Kurt Vonnegut – Katzenwiege

Weltuntergang 2.0: Frieren wir die Welt ein!

Kurt Vonnegut ist kein Spaßmacher, oder doch? Jedenfalls ist nicht einfach zu sagen, worum es in seinem Roman „Katzenwiege“ aus dem Jahr 1963 geht. Ist es ein „Märchen aus dem atomaren Zeitalter, eine Satire auf den Fortschrittsglauben“, wie der Verlag schreibt?

Der Autor

Der amerikanische Autor Kurt Vonnegut jr. wurde 1922 am Tag des Waffenstillstands, dem 11.11., geboren. Wie man seinem Namen schon entnehmen kann, ist er deutscher Abstammung. Seine Eltern lebten in Germantown, einem Ortsteil von Indianapolis, und entsprechend war auch sein Umfeld von deutschen Traditionen geprägt.

Wenn es nach Familientradition gegangen wäre, dann hätte auch Kurt Architekt werden müssen. Doch da die Branchenaussichten schlecht waren, zog er zunächst den Militärdienst vor. Allerdings wurde er erst 1944 in den Einsatz geschickt. Er wurde mit seinem Bomber abgeschossen und kam in Kriegsgefangenschaft nach Dresden. Doch erlebte er im Februar 1945 den alliierten Bomberangriff, der die Stadt in Schutt und Asche legte. Dies erzählt er eindrucksvoll in seinem verfilmten Roman „Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug“ sowie in „Mutter Nacht“.

Nach seiner Rückkehr in die USA heiratet Kurt am 1.9.1945 seine Jugendliebe Jane Marie Cox, zieht mit ihr nach Chicago, um Anthropologie zu studieren, beginnt als Reporter zu arbeiten und zieht 1947 nach Schenectady an der Ostküste, um als Public-Relations-Mann für den Konzern General Electric zu arbeiten. Das ist eine ganz neue, ganz andere Welt für ihn. Dass sein Bruder Bernard in der Forschungsabteilung arbeitet, hält Kurt nicht davon ab, die Atomwaffenproduktion des Rüstungskonzerns aus tiefstem Herzen abzulehnen. Ab 1949 betrachtet er sich als Schriftsteller und verkauft die ersten Storys und Artikel. Er kündigt den GE-Job 1951 und zieht nach Cape Cod, Massachusetts.

Bis heute hat Vonnegut über ein Dutzend Romane geschrieben, Dutzende von Kurzgeschichten veröffentlicht sowie einige Theaterstücke produziert. Einiges davon wurde aufgeführt, verfilmt, in eine Oper (Schlachthof 5) umgearbeitet und vieles mehr. In den neunziger Jahren erklärte Vonnegut, er wolle nicht mehr schreiben. Zuletzt erschien auf Deutsch im Jahr 2006 jedoch das Erinnerungsbuch „Mann ohne Land“ (Pendo-Verlag), er starb am 11. April 2007.

Handlung

Unser Chronist ist ein amerikanischer Journalist, der auf die Karibikinsel San Lorenzo eingeladen worden ist, und zwar von den drei Kindern eines gewissen Dr. Hoenikker. Dr. Felix Hoenikker, der „Vater der Atombombe“, hat Eis-9 erfunden, ein kristallines Mittel, das amerikanischen Soldaten helfen soll, sich aus einem Sumpf zu retten, indem es Wasser gefrieren lässt.

Das Problem mit diesem Wunderstoff ist allerdings, dass bereits ein kleiner Splitter davon das gesamte Wasser der Welt gefrieren ließe, für immer. Also steht wieder einmal das Ende der Welt bevor. Hoenikker ist der perfekte amoralische „Dr. Seltsam“, der absolut nichts für menschliche Wesen übrig hat und nur für seine intellektuellen Spielchen lebt. Zu Beginn des Romans ist er bereits tot.

Der heilige Bokonon

Aber es geht auch um Bokonon, dessen wirklicher Name Lyonel Boyd Johnson lautet. Er ist der Gründer der ersten Calypso-Religion, ein richtiger Guru aus Westindien, wie er im Buche steht. Wie er freimütig gesteht, besteht seine Religion aus Lügen, doch wer immer an glaubt, wird mit „foma“ genannten „glücklichen Unwahrheiten“ wieder seines Lebens froh.

Der Bokononismus hat seine Heimat in der karibischen Republik von San Lorenzo. In diesem Armenhaus wird Frank, der „wertlose“ Sohn von Hoenikker, zum Minister für Wissenschaft und Fortschritt ernannt. Der Ich-Erzähler – „nennt mich Jonas“ – will Frank und andere Leute interviewen, doch eines Tages sieht er sich zum Präsidenten der Republik ernannt.

Mona Aamons Monzano ist die wunderhübsche Tochter des finnischen Architekten von San Lorenzos einzigem Krankenhaus. Sie ist eine gelehrige Schülerin in der Ausübung des „Bokomaru“, der erotischen gegenseitigen Massage der Füße, welche zum ekstatischen Vermischen der Seelen durch die Sohlen führt (Achtung: Wortspiel!). Auf diese Weise bekehrt sie unseren Chronisten zum Bokononismus, der einzigen Lehre, die in einer verrückten Welt einen Sinn ergibt. Sie lehrt, alle zu lieben.

Aber den Weltuntergang kann auch sie nicht aufhalten …

Mein Eindruck

„Katzenwiege“ ist neben „Schlachthof 5“ und „Die Sirenen des Titan“ (1959) einer der einfallsreichsten Romane Vonneguts. Er macht sich über Religion, Wissenschaft, Patriotismus und Sex lustig und warnt gleichzeitig vor der Atombombe und dem Fortschrittsglauben der westlichen Welt. Indem er die fiktive Karibikinsel als Hinterhof der übermächtigen USA porträtiert, weist er auch ganz dezent daraufhin, warum es zum Beispiel auf der Karibikinsel Kuba, die ja bis 1959 quasi eine amerikanische Kolonie war, eine Revolution geben musste.

Natürlich endet das Buch mit dem Ende der Welt, was sonst? Jemand wirft etwas Eis-9 ins Meer vor San Lorenzos, alles gefriert, Tornados spielen die Begleitmusik. Der Erzähler überlebt immerhin sechs Monate, um diese Geschichte aufzuschreiben. Aber mit dem Bokononismus hat er auch verschmitzt eine Heilsbotschaft vermittelt, die dem Eis-9 entgegenwirken kann – dazu gehört ein gewisser Gleichmut, eine Bekehrung und ganz viel Liebe.

Kurt Vonnegut ist in seinem Herzen ein romantischer Moralist, sicher aber ein satirischer Spaßvogel und ein Weiser. Vor allem aber ist er ein origineller Kopf, der das Herz auf dem rechten Fleck hat. Mir hat die rhapsodische Erzählweise durchaus gefallen, aber wer hier eine linear erzählte Story erwartet, wird seine liebe Mühe habe. Die Erzählweise ist assoziativ, so dass man sich schon bald fragt, wohin die vielen Facetten der Geschichten führen sollen.

Am witzigsten sind sicher Bokonons Calypso-Lieder sowie der bekannte Kinderreim über die Katzenwiege:

„Das Kätzchen wiegt sich hoch oben im Baum,
Wenn der Wind bläst, wiegt es sich wie im Traum,
Bricht der Ast dann ab,
Stürzt die Wiege herab,
Und weg sind Kätzchen, Wiege und Baum.“

Taschenbuch: 255 Seiten
Originaltitel: Info: Cat’s Cradle (1963)
Aus dem US-Englischen übertragen von Michael Schulte
ISBN-13: 978-3499124495
www.rowohlt.de

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