S. Craig Zahler – Wie Schatten über totem Land

Die Befreiung zweier Schwestern aus der Gewalt eines sadistischen Irren endet 1902 als blutige Orgie grotesker Gewalt, wobei sich die Unterschiede zwischen Verbrechern und Rettern zunehmend verwischen … – Quasi existenzieller Western, der die archaische Landschaft als Bühne eines Geschehens nutzt, das die Allgegenwart des Bösen im Menschen nicht nur darstellt, sondern förmlich zelebriert und dabei (pseudo-) literarisch aufpimpt; der Verfasser ist bemerkenswert einfallsreich, wenn es darum geht, Gewalt in Worte zu fassen: als Historien-Horror unterhaltsam.

Das geschieht:

Im kaum erschlossenen US-Territorium New Mexico wollte Nathaniel Stromler im gerade begonnenen 20. Jahrhundert sein Glück als Hotelier machen. Ein Sturm riss den Bau ein, und Stromler ging das Geld aus, weshalb er sich als Schustergehilfe durchschlägt. Seine Verlobte, die Lehrerin Kathleen, muss als Hausdienerin Geld dazuverdienen, was Stromlers Selbstbewusstsein zusätzlich schwächt.

Im Sommer 1902 nimmt er ein obskures Angebot an. Für sieben Tage ‚Arbeit‘ wird ein Honorar von 450 Dollar geboten. Stromler fragt lieber nicht nach Details und schließt sich einer wahrlich bunten Truppe an: John Lawrence Plugford und seine beiden Söhne Brent und Stevie suchen nach den Töchtern bzw. Schwestern Dolores und Yvette. Sie wurden entführt und über die Grenze nach Mexiko verschleppt, wo sie in einem Bordell anschaffen müssen.

Plugford Senior hat dies in Erfahrung gebracht und eine Befreiungsaktion vorbereitet. Da er auch auf Rache aus ist, begleitet ihn nicht nur der Spanisch sprechende Stromler, sondern auch der gefürchtete Revolvermann Long Clay. Ebenfalls dabei sind Patch-Up, der schwarze Koch, und Deep Lakes, ein mit Pfeil und Bogen treffsicherer indianischer Ureinwohner und Fährtenleser.

Die Spur führt nach Catacumbas, eine unterirdische, tief im Gebirge verborgene Kultstätte eines ausgestorbenen Stammes, dessen Angehörige grausame Menschenopfer zelebrierten. Der wahnsinnige, aber charismatische Gris hat hier sein privates Schreckensreich gegründet. Er herrscht über Leben und Tod, wobei er bizarre, drakonische Körperstrafen liebt. Trotzdem gelingt die Befreiung der Schwestern, doch als der Überraschungseffekt verpufft ist, bläst Gris zur Jagd auf die Gruppe, deren Flucht sich in einen realen Albtraum verwandelt …

Der Mensch ist sein eigenes Monster

„Wie Schatten über totem Land“ ist weder Western noch Horror. Wer Genre-Schubladen liebt, die das Risiko mindern, womöglich zu einem Buch zu greifen, das nicht festen Lesegewohnheiten entspricht, wird entweder enttäuscht oder – überrascht reagieren: Der Blick über den gewohnten Lektüre-Tellerrand kann durchaus erfreulich sein!

Autor Zahler spinnt zwar ein seltsames Garn, doch er erzählt eine stringente Geschichte. Die Merkwürdigkeiten beschränken sich auf jene kruden Einfälle, mit denen er seine Story würzt. Hinzu kommt ein Splatter-Anteil, der die Mehrheit einschlägiger Filme noch weit in den Schatten stellt: Grausiges mit Detailschärfe ist Zahler definitiv wichtig. Es unterstreicht eine Weltsicht, die man untertreibend „wenig optimistisch“ nennen könnte, wobei der Schrecken nicht auf übernatürlichen Elementen basiert. Der Mensch und nur der Mensch ist es, der Seinesgleichen mit einer Brutalität traktiert, die hier den zunächst ehrenhaften Anlass einer Befreiungsaktion ins Gegenteil verkehrt: „Gut“ und „böse“ gibt es bald nicht mehr. Beide Seiten schenken sich nichts, wenn es darum geht zu foltern, zu töten und Entsetzen zu verbreiten.

Zu keinem Zeitpunkt wandelt Zahler in der von ihm heraufbeschworene Western-Welt auf bekannten Pfaden. Von Pioniergeist und Aufbruchsstimmung ist nicht das Geringste zu spüren. „Go West, young man!“, lautete ein gern zitierter Lockruf: Im Westen standen dir alle Möglichkeiten offen, denn hier konnte angeblich jeder sein Glück machen, wenn er nur entschlossen (und rücksichtslos) genug war. Doch die Wirklichkeit sah schon damals anders auf: Nathaniel Stromler hat es versucht und ist gescheitert. Nur deshalb nimmt er an der Expedition der Plugfords teil.

Ursache und Wirkung – Unrecht und Rache

Die Plugfords entsprechen oberflächlich dem Bild des hart arbeitenden Farmer- oder Rancher-Clans, doch rasch entpuppen sich sämtlich Mitglieder als verbohrte, beschränkte, auf Rache mindestens ebenso wie auf die Befreiung der entführten Töchter fixierte Zeitgenossen. Wie tief diese irre Wut geht, demonstriert nachdrücklich die Tatsache, dass Yvettes verlogener Ehemann, der im Glücksspiel nicht nur seine Gattin, sondern auch seine Schwägerin an Gris ‚verloren‘ hat, vom Schwiegervater und den Schwägern in einer Truhe gefangen gehalten und mit auf die Expedition genommen wird, damit die Frauen sich nach ihrer Befreiung umgehend an ihm rächen können.

Wo die Plugfords schwächeln, tritt Long Clay auf den Plan, den Zahler als Zerrbild des im Western-Genre gern porträtierten Revolverhelden schildert, der Gewalt nur im Dienst der guten Sache ausübt. Clay ist ein Profi sowie ein Sadist und Psychopath, der Terror und Mord wie selbstverständlich einsetzt. Dabei spart er die Gefährten keineswegs aus; kommen sie ihm wie der unglückliche Stromler in die Quere, schweben sie in Lebensgefahr.

In Catacumbas – eine Art Filiale des „Titty Twister“ – wartet ein Gegner, der solche Rücksichtslosigkeit ebenfalls alltäglich einsetzt. Gris ist unter der ohnehin dünnen Maske des Geschäftsmanns ein Irrer, der sich in Öl malen lässt, während er eine verwesende Leiche als Fußschemel benutzt. Auch sonst ist sein Verhalten vor allem irrational; vorgeblich ‚vernünftigen‘ Äußerungen folgen ultrabrutale Maßnahmen. So ist vor diesem Hintergrund ein Long Clay – verstärkt durch den ebenfalls jenseits jeglicher Rationalität agierenden Deep Lakes – unbedingt erforderlich: Gris kann nur geschlagen werden, wenn man noch unmenschlicher als er vorgeht – und das ist tatsächlich möglich, wie uns lesen der Verfasser beweist.

Keine Gnade, keine Erlösung

In dieser Hinsicht geht Zahler mit beinahe dokumentarischer Genauigkeit vor. Er stellt das Entsetzliche in den Vordergrund, Gewalt ist in dieser Welt allgegenwärtig. Sie richtet sich nicht nur gegen Gegner, sondern auch gegen Frauen, Familienmitglieder, ‚Freunde‘ oder Tiere: Gleich mehrfach beschreibt Zahler, wie Pferde gruppenweise mit Granaten abgeschlachtet werden, um sie als Reittiere für die Verfolger auszuschalten. Killer-Profi Clay ‚arbeitet‘ parallel dazu mit einem speziellen Scharfschützengewehr und mäht die chancenlosen Jäger nieder.

Die ‚Kollateralschäden‘ sind beträchtlich. Clay pflegt selbst harmlose Zeugen umzubringen, um jede undichte Quelle zu stopfen. Vor Frauen oder Kinder macht er keineswegs halt. Terror durch Folter ist für Clay eine kühl kalkulierte Methode, um Gegner in Schrecken zu versetzen. Deep Lakes zieht aus dem Hinterhalt mit, und die Plugfords machen sich nur selten Gedanken, wie breit die Spur des Todes ist, die sie hinter sich zurücklassen. Von Yvette und Dolores kann aufgrund ihrer Erfahrungen in Catacumbas ohnehin niemand Mitleid erwarten. Nathaniel Stromler kann dagegen sein Entsetzen nicht zurückhalten. Zahler nennt ihn immer wieder den „Dandy“, denn Stromler kam aus dem ‚zivilisierten‘ Osten in den Mittelwesten. Trotz seines beruflichen und privaten Niedergangs hat er sich moralische Richtlinien bewahrt, die nun eine nach der anderen mit Füßen getreten werden. Als Stromler, der zu den wenigen Überlebenden einer ganze Kette von Massakern gehört, wieder ‚nach Haus‘ kommt, ist der „Dandy“ tot; zurück bleibt ein körperlich und geistig zerstörter Mann.

Hinter dem Schrecken scheint Zahler einen tieferen Sinn anzudeuten. Mehrfach finden sich Einschübe und Rückblenden, die verdeutlichen, dass schon vor der Catacumbas-Expedition vieles im Argen bei den Plugfords und bei Stromler lag. Darüber hinaus gibt es Visionen, die mythisch verbrämen, dass das Blut in Strömen fließt. Möchte Zahler hier ‚literarisch‘ wirken? (Auch der nichtssagende, aber bedeutungsschwangere Titel könnte darauf hindeuten.) Das wäre ebenso überflüssig wie vergeblich, da diese Geschichte wie schon erwähnt simpel ist. Immerhin lässt Zahler die Sudel-Stammeleien jener Gewalt-Pornografen, die ihren Werken ausschließlich durch Einschlägiges Unterhaltungswert einprügeln wollen, weit hinter sich.

Autor

Der am 23. Januar 1973 in Miami, US-Staat Florida, geborene Steven Craig Zahler ist ein echtes Multi-Talent und aktiv als Roman- und Drehbuchautor, Kameramann, Regisseur und (unter dem Namen Czar) Musiker. Literarisch orientiert sich Zahler an Gothic-Noir-Schriftstellern wie Joe R. Lansdale oder Jack Ketchum, die sich um Genre-Grenzen wenig scheren. Sein Romandebüt „A Congregation of Jackals“ (2010) spielt zwar im historischen US-Westen, weist aber deutliche Thriller-Elemente auf, während „Wraith of the Broken Land“ (2013; dt. „Wie Schatten über totem Land“) Western-Historie mit Horror mischt.

Seit 2011 schreibt Zahler Drehbücher. Schon der von Alexandre Courtes inszenierte Thriller „Asylum Blackout“/„The Incident“ konnte einiges Aufsehen erregen, doch wesentlich erfolgreicher wurde „Bone Tomahawk“, für den Zahler 2015 selbst auf dem Regiestuhl Platz nahm. Bemerkenswert war die Furchtlosigkeit, mit dem der Autor/Regisseur gezielt Themen aufgriff, die eigentlich dem Trash-Horror vorbehalten schienen. 2017 inszenierte Zahler den Gefängnis-Thriller „Brawl in Cell Block 99“, 2018 entstand gar ein Reboot der faktisch zugrunde gedrehten „Puppet-Master“-Serie („The Littlest Reich“) nach einem Zahler-Drehbuch.

Paperback mit Klappenbroschur: 422 Seiten
Originaltitel: Wraith of the Broken Land (Bowie/Maryland : Raw Dog Screaming Press 2013)
Übersetzung: Madeleine Seither
https://www.scraigzahler.com
https://luzifer.press

E-Book: 3375 KB
ISBN-13: ISBN-13: 978-3-95835-278-0
https://luzifer.press

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