Logan zwischen allen Fronten: Die Polen und der Sperminator
Die Angst geht um unter den polnischen Einwanderern in Aberdeen. Keiner weiß, wer von ihnen als nächstes mit ausgestochenen Augen und mehr tot als lebendig irgendwo in der Stadt gefunden wird. Die Briefe, die der Täter an die Polizei schickt, lassen jedenfalls keinen Zweifel daran, dass er auf der Jagd nach immer neuen Opfern ist. Von denen kann oder will keiner den Ermittlern weiterhelfen, und der einzige Zeuge ist ein Pädophiler auf der Flucht. DS Logan McRae und seine Kollegen stehen unter gewaltigem Druck, der noch verstärkt wird durch den Verdacht der Korruption in den eigenen Reihen. Zu allem Überfluss ist McRae auch noch ins Visier von Aberdeens mächtigster Unterweltgröße geraten – der Sommer in der Stadt aus Granit verspricht heiß zu werden. (Verlagsinfo)
Der Autor
Stuart MacBride war schon alles Mögliche: ein Grafikdesigner, dann ein Anwendungsentwickler für die schottische Ölindustrie und jetzt Kriminalschriftsteller. Mit seiner Frau Fiona lebt er in Nordostschottland. Seine Krimis um Detective Sergeant Logan McRae spielen in Aberdeen. Mehr Info unter www.stuartmacbride.com
Romane:
Logan McRae-Reihe
2005: Die dunklen Wasser von Aberdeen (Cold Granite, Goldmann, München 2006, ISBN 978-3-442-46165-3)
2006: Die Stunde des Mörders (Dying Light, Goldmann, München 2007, ISBN 978-3-442-46262-9)
2007: Der erste Tropfen Blut (Broken Skin, Goldmann, München 2008, ISBN 978-3-442-46574-3)
2008: Blut und Knochen (Flesh House, Goldmann, München 2009, ISBN 978-3-442-47029-7)
2009: Blinde Zeugen (Blind Eye, Manhattan, München 2010, ISBN 978-3-442-54683-1)
2010: Dunkles Blut (Dark Blood, Manhattan, München 2011, ISBN 978-3-442-54689-3)
2011: Knochensplitter (Shatter the Bones, Manhattan, München 2012, ISBN 978-3-442-54699-2)
2013: Das Knochenband (Close to the Bone, Manhattan, München 2014, ISBN 978-3-442-48194-1)
2014: In Blut verbunden (The Missing and the Dead, München 2016, ISBN 978-3-442-48336-5)
2016: Totenkalt (In the Cold Dark Ground, Goldmann, München 2017, ISBN 978-3-442-48566-6)
2018: Totengedenken (The Blood Road, Goldmann, München 2020, ISBN 978-3-442-48946-6)
2019: Die dunkle Spur des Blutes (All that’s dead, Goldmann, München 2022, ISBN 978-3-442-49299-2)
2025: This House of Burning Bones (englisch, Macmillan Publishers, ISBN 978-1-035-06488-5)
Ableger
Zur Logan McRae-Reihe existieren einige Ableger, die in unregelmäßigen Abständen veröffentlicht wurden.
2012: Mit tödlicher Absicht (Partners in Crime, Goldmann München 2014, E-Book, ISBN 978-3-641-13465-5) – McRae & Steel
2014: The 45% Hangover (Harpercollins Publishers 2015, englisch, ISBN 978-0-008-12826-5) – McRae & Steel
2015: 22 Dead Little Bodies (Harpercollins Publishers 2015, englisch, ISBN 978-0-008-14176-9) – McRae & Steel
2017: Eine Frage der Sühne (Now we are dead, Goldmann Verlag München 2019, ISBN 978-3-442-48826-1) – Roberta Steel
Oldcastle-Reihe
Die Oldcastle-Reihe spielt in der fiktiven schottischen Stadt Oldcastle. Den Anfang der Reihe machten zwei Romane mit Detective Ash Henderson, Personen aus diesen Romanen tauchen auch in weiteren Büchern der Oldcastle-Reihe auf.
2012: Das dreizehnte Opfer (Birthdays For The Dead, Goldmann Verlag, München 2013, ISBN 978-3-442-47969-6) – DC Ash Henderson
2014: Die Stimme der Toten (A Song For The Dying, Goldmann Verlag, München 2015, ISBN 978-3-442-48289-4) – DC Ash Henderson
2018: Der Totenmacher (A Dark So Deadly, Goldmann Verlag München 2018, ISBN 978-344-2-48567-3) – DC Callum MacGregor
2021: Der Garten des Sargmachers (The Coffinmaker’s Garden, Goldmann Verlag, München 2021, ISBN 978-3-442-49233-6) – DC Ash Henderson
2023: Das Blut der Opfer (No Less The Devil, Goldmann Verlag München 2023, ISBN 978-3-442-49407-1) – DS Lucy McVeigh
2023: Ein kalter Tod (The Dead of Winter, Goldmann Verlag, München 2024, ISBN 978-3-442-49491-0) – DC Edward Reekie
2024: In a Place of Darkness (englisch, 2024, ISBN 978-1-78763-494-7) – DC Angus MacVicar
Weitere Werke
2008: Sawbones (Barrington Stoke, ISBN 978-1-842-99529-7)
2009: Halfhead (Harper Collins Publ. UK, ISBN 978-000-7-34926-5)
2011: Zwölf tödliche Gaben: Zwölf kurze Weihnachtskrimis (Twelve Days of Winter: Crime at Christmas, Goldmann München 2016, ISBN 978-3-442-48047-0)
Handlung
Schon vier Polen mit ausgestochenen Augen und ausgebrannten Augenhöhlen haben Detective Inspector Finnies Leute, darunter Logan McRae, entdeckt. Sie stoßen auf einen neuen Fall. Diesmal wollen sie es besser machen. Es wird ein Desaster. Eine Frau prügelt auf den Kopf eines Kollegen ein, ein Schuss löst sich, sie wird im Bauch getroffen. McRae darf die schreiende und blutende Polin, die er nicht versteht und die ihn nicht versteht, beruhigen. Dann ein weiteres männliches Opfer – sie kommen zu spät. Finnie staucht ihn wie erwartet zusammen, und die Dienstaufsicht würde ihn am liebsten einen Kopf kürzer machen.
Offensichtlich gehen unter der wachsenden Gemeinde der polnischen Gastarbeiter ein Killer und Vollstrecker um. Aber was ist der Zweck seines blutigen Treibens? McRae und Finnie haben keine Ahnung – zumindest bis McRae und Detective Inspector Steel gerufen werden, um vor einem zwielichtigen Wettlokal eine Schlägerei zu beenden. DI Steel, die lesbische Kettenraucherin, schaut aber bloß zu und plaudert mit dem einschlägig vorbestraften Lokalbesitzer Simon McLeod.
Erst als die Uniformierten eintreffen, endet die Schlägerei. Einer der zwei Verhafteten sagt aus, sie, die Einheimischen, sollen gezwungen werden, Rauschgift von Fremden zu verhökern. Das gefällt Steel überhaupt nicht. Sie hat etwas gegen einen Bandenkrieg unter Drogendealern in ihrer Stadt. McLeod tut unschuldig und ahnungslos. Doch er ist es, den sie als nächstes Opfer finden – seine Schreie haben die Nachbarn alarmiert, die wiederum die Cops riefen. Offenbar will jemand mit Gewalt sein Drogenrevier übernehmen. Nun ist es Simons Bruder Colin, der auf Rache sinnt. Als McRae eher zufällig an Simons Krankenhausbett vorbeikommt, verjagt Colin ihn wütend.
Ein paar Zimmer weiter stößt Logan auf die angeschossene Frau. Sie ist endlich aus ihrem Koma erwacht. Sie fleht ihn auf Englisch an, sie nicht zu deportieren, was er ihr natürlich zusichert. Als ihr Pulsüberwachungsgerät zu rasen beginnt, wirft ihn die Krankenschwester raus, als sei er ein Perverser. Vor dem Zimmer lernt er die polnische Tante der Patientin kennen. Sie zeigt ihm ein Foto, dass Krystka als Unterwäsche-Model zeigt: Sie sah einst atemberaubend aus. Aber das war, bevor jemand sie an Händen und Füßen fesselte, zusammenschlug und mehrfach vergewaltigte.
Krystka stammelte etwas davon, sie habe in Filmen arbeiten müssen. Damit kann sie nur Pornos gemeint haben. Der bekannteste Pornohersteller in Aberdeen ist Zander Clark, mit dem McRae schon zu tun hatte. Krystka habe zwar toll ausgesehen, sei aber vor der Kamera eine echte Niete gewesen, meint Zander. Wenigstens bekomme er guten Nachschub über eine polnische Model-Agentur.
Steel will sich aber auf Anweisung von DCI Bain nicht um diese Agentur, sondern lieber um die Herkunft jener anonymen Bekennerschreiben kümmern, die nach jedem neuen Fall von ausgestochenen Augen bei der Kripo eintreffen. Vor allem diesen Schreiben mit ihrem religiösen Unterton verdankt der Fall den Decknamen „Operation Oedipus“. Dass dies nicht ganz korrekt sei, weil sich ja König Ödipus SELBST die Augen ausstach, wagt McRae einzuwerfen, doch das bringt ihm nur den üblen Ruf eines Beckmessers ein. Also hält er fortan die Klappe und ermittelt selbständig.
Während sich die anderen damit brüsten, zufällig eine Wagenladung automatische Waffen in einem Wohnwagen am Strand entdeckt zu haben, spürt Logan den Polen nach. In der rasch gewachsenen polnischen Gemeinde Aberdeens muss doch Oedipus zu finden sein, doch alle haben schlechte Erfahrungen mit der ponischen Polizei gemacht und reden nicht. Schon werden polnische Ladenbesitzer zu Schuldgeldzahlungen gezwungen. Da die Polen in der Mehrzahl katholisch sind, findet Logan in dem katholischen Priester John Burnett einen Helfer, der ihm Kontakt zu Polen verschafft. Alle Hinweise deuten auf einen Jungen namens Ricky Gilchrist hin.
Der Besuch bei Ricky birgt Überraschungen. Rickys Mutter, die Logan und einen uniformierten Polizisten einlässt, hat kein Kurzzeitgedächtnis mehr. Ricky schaut sich gerade einen harten Porno mit Krystka, dem polnischen Model an. Auf seinem Computer findet Logan die Vorlagen für die Bekennerschreiben. Er hat Oedipus gefunden, hurra. Aber wieso hören dann die Fälle von ausgestochenen und ausgebrannten Augen nicht auf?
Logan erkundigt sich bei den Polizeibehörden von Warschau nach ähnlichen Fällen und wird fündig. Solche Fälle reichen bis ins Jahr 1974 zurück, erfährt er. Eine Polizistin namens Wiktorija Jaroszéwicz will Logan sehen und lädt ihn ein. Als er hinfliegt, ahnt er nicht, dass er sich in akute Lebensgefahr begibt…
Mein Eindruck
Diesmal bekommt es Inspektor Logan McRae mit einer Vielzahl von Verbrechen zu tun, die alle muntereinander verbunden sind. Unter ihnen befinden sich der beginnende Krieg unter Drogenbanden, angestachelt von einem polnischen „Enforcer“, der Waffen einschmuggelt; Schutzgelderpressung durch eine Bande Gangster aus Manchester; ein Pädophiler, der als Zeuge fungiert; und last nut not least ein Fall von Korruption in der Kriminalabteilung des Aberdeener Polizei-Hauptquartiers.
Lesbisch und rauchend
Diese Vielzahl von Fällen sorgt für ständigen Ärger, dem die Hauptfigur nachgehen muss. Wie so oft verbündet sich Logan mit seiner Vorgesetzten Detective Inspector Steel, die nicht nur eine lesbische Kettenraucherin ist, sondern auch noch ein Mundwerk wie ein Pferdekutscher hat. Für jedes Schimpfwort zahlt sie 50 Pence in die selbsteingerichtete Schimpfwortkasse – die prompt ausgeraubt wird. Offenbar erschien dem Dieb der Inhalt lohnenswert.
Komik
Mit Steel ist aber auch ein Handicap verbunden: Sie verlangt von Logan, dass er seinen Samen für ein Kind spendet, dass sie sich zusammen mit ihrer Gattin Susan wünscht. Wird Logan ihr diesen Gefallen tun? Dieser Spannungsbogen, der für zahlreiche komische Szenen sorgt, endet erst im Finale.
Die Komik ist aber auch dringend nötig, denn was Logan in Aberdeen vorfindet, kann zarten Gemütern auf den Magen schlagen. Vergwaltigte Models in einem Porno, mishandelte Prostituierte (denen er wieder aus der Patsche hilft), ausgeraubte Ladenbesitzer (eine hektische Verfolgungsjagd inklusive), neurotische Rächer wie Ricky Gilchrist, ein „Sperminator“, der seinen fruchtbarkeitspendenden Saft auf Geländer und ergleichen verschmiert, und zu guter Letzt noch Rory Simpson, der alte Pädophile, der kleinen Mädchen nachstellt.
Krakau sehen und sterben
Das alles ist jedoch Pippifax gegenüber dem, was Logan in Krakau erleben muss. Er ist dort mit Wiktorija auf der Spur von Leuten, die Simon McLeod Opfer eines Killers wurden, der foltert und Augen aussticht. Der Höhepunkt dieses Ausflug ins exkommunistische Ausland ist der Besuch bei einem früheren Bombenbauer – ebenfalls ein Blinder. Als ein Killerkommando eintrifft, um den Mann zu erledigen, geht eine Bombe hoch – aber Logan und Wiktorija sind noch in der Wohnung…
Trauma
Das psychische Trauma von dieser Horrorexplosion, die ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte, geht Logan noch lange nach. Wodka und Zigaretten sollen den Schmerz betäuben. Als Wiktorija ihn in Aberdeen besucht, kehrt die Erinnerung daran wieder zurück. In einem grandiosen Besäufnis, das sie im Garten von Susan und Steel abhalten, ertränken sie ihren Schmerz – und studieren die Logan zugeschickte Akte des Killers: Vadim Michailovich Kravchenko, ein Folterknecht aus dem Afghanistankrieg. Da klingelt es an der Tür…
Showdown Nr. 2
Der Showdown mit Kravchenko sorgt für einen zweiten blutigen Actionhöhepunkt. Auch hier geht der Autor an die Grenzen und verlangt seinem Leser einiges an Nervenstärke ab. Auch der korrupte Beamte stellt sich heraus. Und hier wird endlich klar, was der Titel „Blind Eye“ an Doppeldeutigkeit birgt: Nicht nur die Geblendeten à la Ödipus sind gemeint, sondern die mentale Blindheit von Logan und seiner Polizeitruppe. Sie müssen gleichermaßen vor der eigenen Korruption auf der Hut sein wie vor der Korruption in fremden Polizeibehörden…
Unterm Strich
Der Leser, der diesen dicken Thriller bewältigen will, sollte sich an den zwei Actionhöhepunkten orientieren. Nachdem in der Aufwärmphase schon heftig geprügelt und verstümmelt wurde, steigert sich das Krakauer Abenteuer von DS Logan McRae zu einem traumatischen Erlebnis.
Diese „bombige“ Erfahrung hat nicht nur psychische Folgen, sondern auch Wiktorija zu ihm. Das wiederum scheint Kjravchenko, den Killer, auf den Plan zu rufen – und der bringt Logan die Flötentöne bei. Höchste Zeit für einen zweiten Actionhöhepunkt, der die vielen Rätsel aufklären muss, den der Fall der blinden Augen bislang gestellt hat.
Wer rief beispielsweise das Killerkommando in Krakau in die Wohnung des Bombenbauers? Und wer lotste Kravchenko in das Versteck von Wiktorija und Logan? Reicht die Korruption in beiden Ländern so tief, dass Logan kein sicheres Fleckchen Erde mehr bleibt?
Korruption
Dass die Korruption, die der Autor in diesem Krimi anprangert, allgegenwärtig ist, zeigte vor wenigen Jahren wieder der Fall der Metropolitan Police London – allgemein als „Scotland Yard“ bekannt“ in der Abhöraffäre um die Sonntagszeitung „“News of the World“. Ist Medientycoon Rupert Murdoch wirklich so ahnungslos von der Verflechtung seiner eigenen Journalisten und der Kripo der Polizeibehörde?
Die „Süddeutsche Zeitung“ hat vor wenigen Jahren in einem Artikel die Korruption bei Scotland Yard aufgezeigt: Seit 1877 werden dort korrupte Beamte entdeckt und bestraft. Aber man findet nie alle, und diese traurige Tatsache wurde bereits mehrfach konstatiert. Zwar sind die beiden Spitzen der Metropolitan inzwischen zurückgetreten, aber das Grundproblem bleibt.
Im Roman verdächtigt Logan aufgrund einer Beobachtung, dass Detective Inspector Finnie mit einem Aberdeener Gangster namens Wee Harry Mowat zusammenarbeitet und sich schmieren lässt. Hätte Logan nur ein bisschen mehr geschnüffelt und tiefer gegraben, hätte er sich und Finnie eine Menge Ärger ersparen können. Aber hinterher ist man immer klüger – in einem so geschickt erzählten Thriller sowieso.
Taschenbuch: 608 Seiten
O-Titel: Blind Eye, 2009
Aus dem Englischen von Andreas Jäger.
ISBN 9783442546831
Goldmann-Verlag
Der Autor vergibt: