Lindquist, Mark – Carnival Desires

Mark Lindquist ist hierzulande noch ein recht unbeschriebenes Blatt. In Amerika dagegen ist er weitaus bekannter. Bret Easton Ellis bekennt, dass Lindquist sein Lieblingsautor ist, und so wie Ellis auch, wurde Lindquist Ende der 80er und zu Beginn der 90er zum so genannten |“literarischen Brat Pack“| gezählt. Zum |“Brat Pack“| zusammengefasst wurden seinerzeit Autoren, die mit ihrem postmodernen Prosastil die Literaturkritik in wahre Verzückung versetzten. Neben Ellis und Lindquist zählte auch noch Jay McInerney dazu.

Lindquist tauchte als Romanautor zuerst 1987 mit „Sad Movies“ auf der Bildfläche auf. 1990 folgte der 2005 nun endlich auch auf Deutsch bei German Publishing veröffentlichte Titel „Carnival Desires“. Nach zehnjähriger kreativer Pause folgte 2000 dann „Never Mind Nirvana“. Der vierte Roman scheint in Arbeit zu sein.

Lindquists Biographie ist recht ungewöhnlich und dient ihm immer wieder als Inspirationsquelle für seine eindeutig autobiographisch gefärbten Romanfiguren. Bis Anfang der 90er schrieb Lindquist Drehbücher für große Hollywood-Studios. 1991 folgte dann ein radikaler Schnitt. Lindquist zog sich völlig zurück, studierte Jura und arbeitet heute als stellvertretender Staatsanwalt in Seattle.

Lindquist ist jemand, der hinter die Kulissen Hollywoods geschaut hat, und diese Erfahrungen und Eindrücke sind Teil seiner Romane. Seine Hauptfiguren arbeiten bei Filmgesellschaften, sind Schauspieler, Regisseure und Drehbuchautoren, wie Lindquist selbst. Nur bei „Never Mind Nirvana“ kommt die Hauptfigur aus einer anderen Ecke und ist – welch eine Überraschung – Staatsanwalt in Seattle.

Ausgangspunkt von „Carnival Desires“ ist Tim, der im Roman selbst aber keine allzu lebendige Rolle mehr einnimmt. Kein Wunder, denn Tim, der als Schauspieler tätig war, hat sich an Heiligabend erschossen – aus Langeweile. An Silvester kommen Tims Freunde zusammen, denken zurück an ihre gemeinsamen Jahre und grübeln über die Zukunft. Tims Freunde sind allesamt Endzwanziger und Teil von Hollywoods Film- und Partyszene. Tims Tod lässt sie einen Moment inne halten und über ihr Leben, ihre Träume und Ziele nachgrübeln.

Und so kommt es, wie es an Silvester zwangsläufig kommen muss: Es werden gute Vorsätze fürs neue Jahr gefasst. Der Drehbuchautor Bick will sich zur Ruhe setzen, in den Norden ziehen und ein religiöseres Leben führen, der Regisseur Oscar will eine Freundin finden, Mona will endlich einen Job ergattern, Schauspielerin Libby will eine Sprechrolle an Land ziehen und das Schauspielerpaar Merri und Willie will endlich erwachsen werden, was für Willie bedeutet, Merri zuliebe den Drogen entsagen zu müssen. Joys Vorsatz ist es, einen Vorsatz zu finden.

Ein paar Monate später wollen die Freunde sich wieder treffen und über Erfolg und Misserfolg ihrer Vorsätze urteilen. Die einen vergessen ihre Vorsätze so schnell, wie sie sie gefasst haben, andere arbeiten darauf zu, sie zu erfüllen und wiederum andere enden in einer absoluten Katastrophe …

„Carnival Desires“ ist ein Roman, der auf den ersten Blick einfach nur locker-flockige Lektüre zu sein scheint. Knappe Dialoge, gepfefferte Wortwechsel mit Witz und Ironie und eine Handlung, die mehr oder weniger daraus besteht, in Momentaufnahmen die unterschiedlichen Figuren der Geschichte zu beleuchten und zu Wort kommen zu lassen. Leichtgängige Unterhaltung über das schräge Leben in Hollywood.

Doch das würde dem Roman nicht ganz gerecht werden. Lindquists Roman hat zweifelsohne seine witzigen Momente, die vor allem im Partygeplänkel der Hauptfiguren und den flotten Wortwechseln durchschimmern, aber das ist eben noch längst nicht alles, was diesen Roman ausmacht.

Lindquist weiß, wovon er spricht. Die Hauptfigur Bick könnte er selbst sein. Die biographischen Parallelen sind offensichtlich. Lindquist hat durch diese Nähe zu seiner eigenen Biographie Charaktere erschaffen, die (gemessen an ihrer Umgebung) überraschend menschlich und real wirken. Man kann sich erstaunlich gut in sie hineinversetzen.

Lindquist versetzt seine Hauptfiguren in alltägliche Situationen und lässt seine Figuren ganz natürlich darin agieren. Bei einem Roman, der in einer realitäts-vakuumverpackten Welt wie Hollywood spielt, mag das ein wenig verwundern, aber es verleiht dem Roman eine besondere Note. Natürlich gibt es auch abgedrehte Figuren, wie den Schauspieler Willie, der alles, was er macht, gleich bis zum Exzess durchlebt, aber auch hinter seiner überdrehten, zugedröhnten Fassade schlummert ein überraschend menschlicher Kern. Bei Lindquist bietet fast jede Figur ihre eigenen Identifikationspunkte.

Jeder ist auf der Suche nach seinem persönlichen Glück. Jeder versucht auf seine individuelle Art, sich selbst zu verwirklichen, insofern ist Lindquists Blick hinter die Hollywood-Gesichter ein durch und durch menschlicher. Jeder hat irgendeinen wunden Punkt, jeder einen schwarzen Fleck auf der Seele und muss mit seinen eigenen Problemen fertig werden; und wie es scheint, ist es kaum irgendwo schwieriger glücklich zu werden als in Hollywood. Der Wert echter Freundschaft ist dabei unermesslich und genau das müssen auch die Figuren in Lindquists Roman erkennen.

Gewürzt wird „Carnival Desires“ durch Lindquists gewitzte und intelligente Art. Er schreibt in einem recht schlichten Stil, verschachtelt sich nicht im Satzbau, sondern bringt seine Aussagen zielsicher auf den Punkt. Ein großer Teil des Romans besteht aus Dialogen und so ist Lindquists Art, seine Ideen und Gedanken zu vermitteln, eine sehr direkte. Seitenhiebe auf Hollywood gibt es da natürlich in Hülle und Fülle, aber auch kritische Töne über die Funktionsweise und Machtstrukturen der Traumfabrik.

Alles in allem ist „Carnival Desires“ in all seiner Einfachheit überraschend vielschichtig. Lindquist treibt die Geschichte mit viel Schwung voran, erzählt direkt und gewitzt, mal nachdenklich, mal humorvoll und stets sehr menschlich. Wer mal einen halbwegs realistischen Blick hinter die Kulissen Hollywoods werfen will, der ist mit diesem Roman gut bedient und bekommt gleichzeitig noch ein unterhaltsames Werk zeitgenössischer Literatur in die Finger.

Lindquist hat eine ganz eigentümliche Mischung aus Witz und Melancholie, die durchaus Lust darauf macht, auch mal zu seinen beiden anderen Romanen „Sad Movies“ und „Never Mind Nirvana“ zu greifen. Freunden von Douglas Coupland und Konsorten sehr ans Herz zu legen.

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