Alle Beiträge von Maike Pfalz

Buchwurm, seit ich lesen kann :-)

Soininvaara, Taavi – Finnischer Tango

[„Finnisches Requiem“ 1909
[„Finnisches Quartett“ 2988
[„Finnisches Blut“ 3465

_Vom Gefolterten zum Folterer_

In Camp Bucca wird Adil al-Moteiri qualvoll gefoltert. Doch er übersteht die Erniedrigungen und Qualen schwer verletzt. Anschließend ist er allerdings nicht nur körperlich gekennzeichnet, sondern er will dieses Unrecht wieder gutmachen …

Eeva Hallamaa, ehemals drogenabhängig, hat dagegen einigermaßen ins Leben zurückgefunden. Nach dem Sorgerechtsstreit um ihre Tochter Kirsi und der gescheiterten Beziehung zu Adil al-Moteiri ist sie glücklich in ihrer Partnerschaft mit Mikko, der allerdings nur unter der Bedingung mit ihr zusammen ist, dass Eeva keine Drogen mehr nimmt. Als sie eines Tages im Dezember in ihre Wohnung zurückkehrt, stimmt etwas nicht, sie spürt sofort, dass etwas anders ist. Und richtig: Ein Mann, der sich als „der Türke“ vorstellt, bedroht sie und setzt vor ihren Augen einem bekannten Drogendealer den goldenen Schuss. Der Türke trägt Eeva auf, der Polizei eine Botschaft zu übermitteln, und zwar soll sie ihnen sagen, dass Wassili Arbamov den europäischen Drogenmarkt erobern möchte. Noch ahnt Eeva allerdings nicht, dass ihr Alptraum erst begonnen hat.

Sie flüchtet sich zu Arto Ratamo, den sie in der Vergangenheit kennen und schätzen gelernt hat, weil Kirsi mit Ratamos Tochter Nelli gut befreundet ist. Arto Ratamo glaubt Eevas Schilderung, doch als sich in ihrer Wohnung außer Spuren von Amphetamin nichts findet, beginnt auch Ratamo, skeptisch zu werden. Der tote Drogendealer wird später gefunden – mit Spuren aus Eevas Wohnung direkt an der Leiche, und erschossen wurde er mit der Waffe von Eevas Vater. Eeva rutscht ungewollt in eine schier ausweglose Situation. Bald wird sie wieder vom Türken bedroht, der weitere Pläne mit ihr hat. Doch noch weiß sie nicht, dass hinter allem ihr Exfreund al-Moteiri steckt, der einen wahrlich teuflischen Plan ausgeheckt hat, bei dem Eeva eine entscheidende Rolle spielen soll …

_Rasant_

Der finnische Erfolgsautor Taavi Soininvaara spinnt erneut seine spannende Reihe um Arto Ratamo weiter. Ratamo, der früher als Wissenschaftler gearbeitet hat, ist nun schon seit geraumer Zeit bei der SUPO, der finnischen Sicherheitspolizei. Seine ehemalige Liebe Riitta Kuurma kehrt nach ihrem Dienst bei Europol in die finnische Hauptstadt zurück, und Ratamo merkt, dass Riitta die Trennung noch nicht vollkommen verkraftet hat. Arto Ratamo jedoch steckt bereits in einer neuen Beziehung, in der er zwar glücklich ist, doch Ilona möchte gerne eine Familie gründen und mit Ratamo zusammenziehen; das allerdings ist Ratamo zu viel der Nähe, sodass er ins Zweifeln gerät, ob diese Beziehung wirklich das Richtige ist oder ob er womöglich einfach beziehungsunfähig ist. Gleichzeitig hadert er mit seiner Freundschaft zu Eeva Hallamaa, die schwer belastet wird durch all die Indizien, die gegen sie sprechen und auch Ratamo an ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln lassen.

Schon im Prolog nimmt die Geschichte Fahrt auf, denn wir lernen Adil al-Moteiri kennen, der schwerste Folterungen zu erdulden hat, diesen aber standhält und neue Pläne schmiedet, wir erfahren, dass er nun einen Weg einschlagen will, von dem es kein Zurück mehr gibt. Doch was genau al-Moteiri plant und welche Rolle Eeva Hallamaa, seine Exfreundin, dabei spielt, das bleibt sehr lange Zeit im Dunkeln. Nur häppchenweise erfahren wir von Taavi Soininvaara, welche Figuren in den Plan verwickelt und welche teuflischen Anschläge auf die Menschheit geplant sind.

Erst kurz vor Ende erfahren wir dann aber, was genau das oberste Ziel al-Moteiris ist, und sind genauso schockiert wie die Polizisten, die kurz vor knapp ebenfalls herausbekommen, was al-Moteiri vorhat. Der Spannungsbogen setzt von Beginn an ein, steigert sich dann immer mehr, um schließlich im großen Finale seinen Höhepunkt zu erreichen. Soininvaara schafft es daher wieder einmal, seine Leser völlig zu fesseln und in seine Geschichte eintauchen zu lassen. So musste ich das Buch auch in wenigen Tagen verschlingen, um endlich zu erfahren, was al-Moteiris Plan ist.

_Gut gegen Böse_

Insbesondere Eevas Rolle in al-Moteiris Plänen verleiht der Geschichte ihren besonderen Reiz. Wir wissen, dass Adil al-Moteiri Eeva immer noch liebt, gleichzeitig bringt er sie aber in eine ausweglose Lage; er lässt Reste von Amphetaminen in ihrer Wohnung verteilen, obwohl er weiß, dass Eeva dadurch höchstwahrscheinlich ihren Job an der Uni sowie das Sorgerecht für ihre Tochter verliert. Er hetzt den Türken auf Eeva und versetzt sie dadurch in Angst und Schrecken, er legt falsche Fährten, die Eeva stets als Schuldige dastehen lassen, und versteckt schlussendlich kiloweise Drogen in Eevas Wohnung und im Atelier ihres Lebensgefährten. Wieso al-Moteiri das seiner Geliebten antut, bleibt lange im Dunkeln. Eeva Hallamaa wird dadurch zur Sympathieträgerin, da der Leser ja weiß, dass sie unschuldig und ohne ihr Zutun in diese Situation geraten ist. Wieso Eeva der Schlüssel zum Gelingen von al-Moteiris Plan ist, fand ich zwar arg unlogisch, doch über diesen kleinen Schönheitsfehler mag man hinwegsehen.

Der zweite Sympathieträger ist wieder einmal Arto Ratamo, der vom Unglück verfolgt zu sein scheint. Seine Beziehungen scheitern der Reihe nach, seine Tochter Nelli war wochenlang krank, sodass Ratamo sich große Sorgen um sie macht und den Ergebnissen ihrer Blutuntersuchung ängstlich entgegenblickt, und dann macht er sich auch noch wiederholter Dienstvergehen schuldig, um seine Freundin Eeva Hallamaa zu decken. Ratamo hat wirklich das Potenzial, einen Wallander abzulösen, zumal in der Tat einige Parallelen zu entdecken sind. Und mir scheint, ein Krimi- oder Thrillerheld muss einfach eine tragische Figur sein, die nie zum Happy-End gelangen wird. Und da passt Arto Ratamo hervorragend ins Profil, obwohl er am Ende natürlich stets als mehr oder weniger gefeierter Held dasteht. Mit Ratamo hat Taavi Soininvaara eine Figur geschaffen, die durchaus eine längere Thrillerreihe trägt, weil sie Ecken und Kanten besitzt, stets glaubwürdig bleibt und uns so nahe gebracht wird, dass wir immer mitfiebern und mitleiden. Das ist mal wieder ganz großes Kino.

Neben den Sympathieträgern baut Soininvaara auch die unliebsamen Gestalten zum Teil weiter aus und stellt Ratamo bei der SUPO zwei ungeliebte Gegenparts gegenüber, mit denen Ratamo immer wieder in Clinch geraten kann und die nach und nach immer sympathischer werden – herrlich!

_Wenn Frisuren zu Hauptdarstellern werden_

Auch sprachlich überzeugt Taavi Soininvaara. Obwohl seine Bücher ausgesprochen spannend geschrieben sind, nimmt Soininvaara sich dennoch ab und an die Zeit, um seine Situationen durch nette Metaphern oder Ironie aufzulockern. Insbesondere in der Figurenbeschreibung macht sich das bemerkbar, ein Beispiel:

|“Sie machte einen ganz ruhigen Eindruck und klopfte mehrmals leicht auf ihre massive Frisur, die heute gewissermaßen haargenauso aussah wie ein Hexenbesen am Ast einer Birke.“|

Doch die misslungene Frisur von Arto Ratamos Chefin ist Hauptdarstellerin in einer weiteren Situation:

|“[…] und Arto Ratamo beobachtete interessiert, wie sich ihre massive Haartracht in der Waagerechten verhalten würde. Die Stützkonstruktion hielt, stelle er enttäuscht fest, das imposante tütenförmige Gebilde wackelte kaum, während die Chefin der SUPO vorsichtig Kaffee schlürfte.“|

So gerät das vorliegende Buch nicht nur zu einem spannenden Pageturner, sondern auch noch zu einem vergnüglichen Leseerlebnis, denn Soininvaara trifft stets den schmalen Grat zwischen locker-flockiger Figurenzeichnung und den spannenden Passagen, die natürlich von derlei Schnickschnack verschont bleiben.

_Ein teuflischer Plan_

Auch die Hauptstory überzeugt über weite Teile. Taavi Soininvaara greift verschiedene Probleme auf; so thematisiert er unter anderem den europäischen Drogenhandel. Er beschreibt, auf welchen Wegen die Drogen nach Europa geschmuggelt und dort weiterverbreitet werden, um immer mehr Menschen drgenabhängig zu machen – und das offensichtlich sehr erfolgreich, denn die Strippenzieher schwimmen im Geld, sodass Arbamov eine Erpressung um 25 Millionen Euro eigentlich ganz gut verkraften kann.

Die Drogen sind aber nur ein Schauplatz, denn auch der Konflikt zwischen den islamischen Staaten und den westlichen Mächten ist ein weiterer Themenschwerpunkt. Adil al-Moteiri kämpft als Vertreter des Islams für das Recht seines Volkes, außerdem möchte er vergelten, was seiner Familie widerfahren ist. Dabei bewegt er andere Menschen wie Bauern auf einem Schachbrett und opfert das Leben seiner Mitmenschen, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Nach und nach wird einem immer klarer, dass al-Moteiri vor nichts zurückschreckt, was am Ende die islamischen Staaten allerdings auch wieder als die einzig Bösen hinstellt. Taavi Soininvaara baut jedoch ein Feindbild auf, das durchaus glaubwürdig ist; er macht sehr deutlich, welch schreckliches Elend einzelne Terroristen erzeugen können, wenn sie zu viel Macht und Geld erlangen …

_Darf ich bitten?!_

Unter dem Strich ist Taavi Soininvaara erneut ein erstklassiger Thriller gelungen, der von der ersten Seite an fesselt und mit überzeugenden und authentischen Charakteren aufwarten kann. Nicht nur sprachlich, sondern auch thematisch unterhält Soininvaara seine Leser gut, auch wenn seine Geschichte an manchen Stellen ein wenig hakt (mir erschien Eevas Rolle und Mithilfe dann doch etwas zu konstruiert). Vielleicht nicht allerbeste Sahne, aber insgesamt dennoch verdammt lesenswert!

http://www.aufbauverlag.de

Burger, Wolfgang – Schwarzes Fieber

Eigentlich wollte Kripochef Andreas Gerlach zwei Sommerwochen mit seinen beiden Töchtern in Portugal verbringen, um dort seine Eltern zu besuchen. Doch ein Wasserrohrbruch im Haus seiner Eltern macht dem geplanten Urlaub einen Strich durch die Rechnung. Stattdessen leidet die Familie Gerlach unter dem erneuten Jahrhundertsommer in Heidelberg. Während Andreas Gerlach versucht, sich trotz tropischer Temperaturen zu sportlichen Aktivitäten aufzuraffen, und seine Töchter sich derweil um ein Pferd kümmern, liest Gerlach in der Zeitung von einer verunglückten Motorradfahrerin, die mit schweren Verletzungen auf dem Weg zum Heidelberger Aussichtsberg, dem Königstuhl, gefunden wurde. Dass es sich bei der Verunglückten gar nicht um eine Motorradfahrerin handelt, erfährt Gerlach erst nach seinem Urlaub.

Die schwer verletzte Frau liegt im Krankenhaus, spricht jedoch kein Wort. Ihre Identität bleibt daher genauso im Dunkeln wie ihre Herkunft und die Frage, wie sie schwer verletzt im Graben neben der Straße landen konnte.

Kurz darauf entdeckt ein Ehepaar auf seinem Grundstück in Heidelberg die stark verweste Leiche eines Farbigen. In dessen Hosentasche findet sich das erste wichtige Beweisstück, nämlich ein Streichholzbriefchen aus einer Kneipe, in der die Kneipenwirtin sich tatsächlich an den Farbigen erinnern kann. Ihre Mithilfe ist es schließlich, die die Polizei auf die erste heiße Spur bringt. Dank der Kneipenwirtin kann die Polizei die Wohngemeinschaft ausfindig machen, in welcher der Schwarze vor seinem Tod gewohnt hat. So ist zumindest dieser Tote identifiziert, und die Spur führt die Polizei nach Angola, das Heimatland des Toten.

Derweil schwebt die verunglückte Unbekannte in Lebensgefahr, denn mehrfach schleicht sich ein Typ im Anzug an ihr Krankenbett, kann jedoch glücklicherweise immer rechtzeitig aufgescheucht und vertrieben werden. Doch wer ist der Anzugtyp, der offensichtlich das zu Ende bringen möchte, was er am Königstuhl begonnen hat? Als eine Faser, die bei der Toten gefunden wurde, als Haar einer Perücke identifiziert werden kann, ist die Polizei endlich in der Lage, ein besseres Foto der Unbekannten zu veröffentlichen, und tatsächlich bringt dies den Durchbruch und ihre Identifikation. Auch sie stammt aus Angola – was hat die Unbekannte mit dem Toten zu tun und wer trachtet ihr weiterhin nach dem Leben?

Wolfgang Burger hat das Verbrechen ins beschauliche und weltberühmte Heidelberg gebracht. Die wunderschöne Stadt am Neckar ist Schauplatz seiner Krimireihe rund um Alexander Gerlach, der nach dem Tod seiner Frau zusammen mit seinen zwei Töchtern im Nordbadischen wohnt und bei der Polizei arbeitet. Dieses Mal hat er wieder einen sehr vertrackten Fall zu lösen, denn zwei vermeintlich unzusammenhängende Kriminalfälle kann er langsam aber sicher miteinander in Verbindung bringen.

Wie gewohnt tappt die Polizei zunächst lange im Dunkeln, wodurch Burger einiges an Spannung aufbaut, zumal die Unbekannte im Krankenhaus weiterhin bedroht wird. Welches Geheimnis verbirgt sie, das der Mann im Anzug gerne auslöschen möchte? Es ist eine mühsame Schnitzeljagd, auf die Gerlach und seine Kollegen sich begeben müssen.

Umrahmt wird dieser Kriminalfall von Gerlachs Sorgen um seine beiden Töchter, die sich in den Ferien um ein Pferd kümmern und dabei ihre Liebe zu diesen Tieren entdecken. Die beiden umsorgen liebevoll jeden Tag ihr Pflegepferd und wollen nun all ihr Taschengeld sparen, um sich selbst ein eigenes Pferd anschaffen zu können. Und so löchern sie ihren Vater unentwegt und fragen ihn so lange nach Geld, bis er sich schließlich mit seinen beiden hartnäckigen Töchtern aufmacht in die Zweiburgenstadt Weinheim an der Bergstraße, um dort ein Pferd zu begucken, in das die beharrlichen Töchter sich auch sogleich verlieben. Das eigene Pferd ist dann schnell gekauft, obwohl es ein großes Loch in Gerlachs Brieftasche reißt, doch sieht er auch die positive Entwicklung seiner Töchter, die sich verantwortungsbewusst zeigen und dank des Pferdes auch einiges an Bewegung bekommen.

So entwickelt Wolfgang Burger ganz nebenbei seinen Hauptcharakter weiter und beschreibt Alexander Gerlachs Privatleben ausgesprochen detailreich. Leider ist das auch die einzige Geschichte, welche die Ermittlungen umrahmt, sodass Gerlach der einzige Polizist ist, der uns näher gebracht und der uns daher sympathisch wird. In Gerlachs Charakterzeichnung investiert Burger zwar viel, dennoch hätte ich mir gewünscht, dass er sich nicht alleine auf seinen Krimihelden beschränkt.

Im Mittelpunkt stehen allerdings weiterhin der Mord an dem Schwarzen und der Fall um die afrikanische Unbekannte. Mithilfe des Botschafters in Angola kommt die Polizei Schritt für Schritt weiter, denn der Botschafter erweist sich als ein echter Dr. Watson, der die Polizei mit wichtigen Informationen füttern kann. Mit seiner Hilfe erfährt die Polizei bald den Grund für die Einreise der Unbekannten. Ein schlimmes Schicksal hat sie in Angola ereilt, das sie nun in Deutschland rächen möchte, doch nun ist ein Killer ihr auf der Spur, wodurch die Jägerin zur Gejagten wird.

Nebenbei erfährt der Leser von einer mysteriösen Einbruchserie im Odenwald, bei der in Häuser eingebrochen wird, deren Bewohner zurzeit im Urlaub sind. Und obwohl die Bewohner an alles gedacht haben, ihren Briefkasten regelmäßig leeren lassen und dafür sorgen, dass immer wieder Licht im Hause angemacht wird, werden sie ausgeraubt. Diese Einbruchserie gibt der Polizei viele Rätsel auf, und Gerlachs gute Seele von Sekretärin ist es schließlich, die den Fall lösen kann. Leider hat dieser rein gar nichts mit dem eigentlichen Kriminalfall zu tun, was ich ausgesprochen schade fand, denn so ist die Einbruchserie nur schmückendes Beiwerk.

All die Ermittlungen spielen sich im schönen Nordbaden ab, das wieder einmal von einem Jahrhundertsommer heimgesucht wird. So kann sich Gerlach auch kaum zum Radfahren aufraffen, weil es einfach viel zu heiß ist, um sich sportlich zu betätigen. In diese sommerliche Idylle platzt die spannende Ermittlung, die Wolfgang Burger durch geschickt platzierte Hinweise immer am Laufen hält. Dadurch erhöht sich nach und nach die Spannung, die schließlich in einem Cliffhanger auf Seite 193 gipfelt, auf der Gerlach ankündigt, den entscheidenden Fehler begangen zu haben, der zu weiteren Todesfällen führen wird. Leider löst sich nicht wirklich auf, welcher entscheidende Fehler Gerlach unterlaufen ist; man kann sich zwar einiges zusammenreimen, aber mir ist nicht klar geworden, wie er die weiteren Taten hätte verhindern können.

Zum Showdown begibt Gerlach sich schließlich nach Sardinien, wo der Fall aufgeklärt und zum Abschluss gebracht wird. Für seine Schauplätze hat sich Burger wirklich schöne Orte ausgesucht, die den Fall gut umrahmen. Wir begleiten Gerlach gerne auf seinen Touren rund um Heidelberg, entlang der Bergstraße und schließlich bis nach Sardinien. Zu viel des Lokalkolorits ist es allerdings nicht; Burger verwendet lokalspezifische Informationen recht wohldosiert, sodass auch Ortsfremde sich gut zurechtfinden werden.

Auf den ersten Blick gefällt der vorliegende Kriminalroman recht gut, doch bei genauerer Betrachtung finden sich auch einige Punkte, die störend wirken. Zum ersten ist das die spärliche Charakterzeichnung, die sich auf Gerlach beschränkt. Zum zweiten ist es die überflüssige Einbruchserie, und zum dritten sind es viele Zufälle, die schließlich zur Lösung des Falles führen. So kann sich die Kneipenwirtin nicht nur fünf Wochen nach dem Kneipenbesuch des Schwarzen an ihn erinnern, auch der beherzte Einsatz des Botschafters in Angola, ohne den die Heidelberger Polizei ganz schön alt ausgesehen hätte, ist schon durchaus beachtlich. Und schlussendlich ist es die privat aufgestellte Radarfalle eines Fanatikers, die zur Identifikation des Mörders führt. Hier kommen zu viele unwahrscheinliche Ereignisse zusammen, worunter die Spannung ein wenig leidet. Auch die Vorgeschichte in Angola wirkt ein wenig aufgesetzt, obwohl sie ein durchaus heikles Thema aufgreift, das den Leser nachdenklich stimmt.

So bleibt unter dem Strich ein positiver Eindruck zurück, der durch einige Kleinigkeiten zwar getrübt wird, dennoch würde ich immer wieder zu einem Heidelbergkrimi aus der Feder Wolfgang Burgers greifen.

http://www.piper-verlag.de

Remin, Nicolas – Gondeln aus Glas

Aller guten Dinge sind drei? Das bleibt zu überprüfen. Feststeht, dass Commissario Tron in „Gondeln aus Glas“ seinen dritten Fall löst – und wir dürfen live dabei sein. Nicolas Remin hat sich mit seiner Kriminalreihe im historischen Venedig dank seiner sympathischen Charaktere und seines unvergleichlich liebevollen Schreibstils in die Herzen seiner Leser geschrieben, und nun ist sein dritter Fall auch endlich als Taschenbuch erschienen.

_Echt oder nicht echt? Das ist hier die Frage!_

Marie Sophie, die Königin der beiden Sizilien, ist in Geldnot, wie praktisch also, dass sie über die Kopie eines kostbaren Tizian verfügt, die darüber hinaus dank ihrer geringen Größe praktisch zu transportieren ist. So informiert sie Oberst Orlow davon, dass sie diese Kopie an den Kunsthändler Kostolany in Venedig verkaufen will – natürlich inkognito, also reist sie als Signora Caserta nach Venedig.

Doch Kostolany trifft in seinem eigenen Laden auf seinen Mörder, der es offensichtlich nur auf eines abgesehen hat, nämlich den kostbaren Tizian, der als einziges Gemälde verschwindet. Die Königin Maria Sofia de Borbone ist in heller Aufregung, denn sie braucht für ihre Zwecke dringend Geld und will deswegen in Venedig bleiben, bis sich der Tizian wieder angefunden hat.

Das ruft Commissario Tron auf den Plan, der sich geschwind auf die Suche nach dem Mörder Kostolanys macht und sich damit auch auf die Spur des Tizians begibt. Begleitet wird er bei diesem nicht ganz einfachen Unterfangen von seinem Kollegen Sergente Bossi, der mit unglaublicher Kombinationsgabe sofort darauf schließt, dass es sich bei Signora Caserta um die Königin von Sizilien handeln muss. Tron spielt das Spiel mit und gaukelt Bossi vor, dass er dies auch längst bemerkt habe, obwohl er sich in Wahrheit von ihr täuschen ließ. Doch schließlich fällt auch ihm die Ähnlichkeit zwischen Marie Sophie und der Kaiserin Elisabeth von Österreich auf – ihre Schwester.

Der verschwundene Tizian ist allerdings wie üblich nicht das Einzige, was Tron auf dem Herzen liegt, denn seine Mutter plagen immer noch die Geldsorgen und der Palazzo Tron verfällt mehr und mehr. Trons Mutter fasst daher große Pläne mit ihrer künftigen Schwiegertochter, der Principessa di Montalcino, die über das nötige Kleingeld verfügt, um günstiges Pressglas herzustellen und unter dem Markennamen Tron venezianisches Glas in großem Kaliber zu vermarkten. Um die Produktion des Pressglases gebührend zu feiern, planen die beiden geschäftstüchtigen Damen einen großen Ball. Als die beiden hören, dass die Königin von Sizilien in Schwulitäten ist und ausgerechnet Tron ihr bei ihren Sorgen behilflich sein kann, wittern sie Morgenluft. Sie legen Tron mehr als nahe, dass er den Tizian rechtzeitig wiederzufinden habe, damit die Königin aus Dankbarkeit und als werbewirksame Figur auf dem Ball erscheinen kann. So rennt Tron die Zeit davon, zumal Kostolany nicht das einzige Todesopfer bleiben soll …

_Tödlicher Tizian_

Zur Abwechslung treffen wir in diesem Kriminalroman nicht auf die Kaiserin von Österreich, sondern auf ihre Schwester Marie Sophie, die ein delikates Geheimnis mit sich trägt, das sie nun in große Schwierigkeiten bringen soll. Kostolany ist der Erste, der in diesem Buch sein Leben lassen soll, doch längst nicht der Letzte, denn nicht nur Marie Sophie verschweigt etwas, es sind noch weitere Verschwörungen am Werke, die der Mörder nun unter dem Deckmantel des Tötens verhüllen möchte.

Dummerweise werden die Toten immer zu den für Tron ungünstigsten Zeitpunkten aufgefunden, denn stets stellt er sich gerade auf ein kleines Schäferstündchen mit seiner Verlobten ein, die dank des Pressglases kaum noch Zeit für ihren Liebsten hat, doch immer wieder werden die beiden durch schlechte Nachrichten gestört. Zunächst treten die Ermittlungen auf der Stelle, Tron befragt die Kunden, die am Todesabend bei Kostolany gewesen sind. Dabei spürt er zwar einen aufgebrachten Kunden auf, der durchaus ein Tatmotiv haben könnte, doch schon am Großfürsten Troubetzkoy beißt Tron sich die Zähne aus. Denn dieser kommt Tron und Bossi zwar dubios vor, allerdings sehen Trons Vorgesetzte es gar nicht gerne, dass er Troubetzkoy in den Kreis der Verdächtigen aufnimmt.

Durch den sachdienlichen Hinweis eines anderen Kunsthändlers ist der verschwundene Tizian schnell identifiziert und aufgefunden. Problematisch ist lediglich, dass er sich auf dem Schiff des besagten Troubetzkoy befinden soll, das nicht durchsucht werden darf. Aber das schreckt natürlich keinen Tron, der daraufhin beschließt, selbst an Bord zu gehen und das Bild zu beschaffen. Immer noch hat der Fall nicht viel Fahrt aufgenommen, doch als der Tizian schließlich zurückerobert ist, stellt er sich als Fälschung heraus! Als kurz darauf der Kopist des Tizian einen merkwürdigen Unfall erleidet, steigert sich die Spannung schließlich, um allerdings kurz darauf auch wieder abzunehmen.

Durch die aufgetauchte Kopie verwandelt sich der vorliegende Kriminalroman nämlich zu einem Ratespiel. Je nachdem, ob es nun eine Kopie des Tizian gibt oder sogar zwei – denn auch das ist nicht ausgeschlossen -, ergeben sich als Tatmotiv ganz neue Konstellationen und Verdächtige. So spielen Tron und sein Kollege Bossi alle Möglichkeiten durch und verwirren dabei mitunter auch den Leser. Es ist ähnlich wie das Hütchenspiel, bei dem man einen kleinen Gegenstand unter drei verschiedenen Muscheln wiederfinden muss; hier geht es darum, den echten Tizian neben dem einen oder den zwei gefälschten aufzufinden. Beim Durchspielen sämtlicher Möglichkeiten bezüglich des Tizians und der Verdächtigen hat Nicolas Remin mich zugegebenermaßen zeitweise abgehängt, denn zu sehr verwirrt er sich in den einzelnen Gängen seines Irrgartens. Dadurch leidet ein wenig der Spannungsbogen, denn irgendwann ist man es leid und mag gar nicht mehr so genau wissen, wo nun der echte Tizian hängt und wer von den Kopien gewusst hat. Zu verworren empfand ich an dieser Stelle Nicolas Remins Gedankengänge.

_Tron zum Dritten_

Wo Nicolas Remin dagegen in gewohnter Weise punkten kann, das sind seine liebevolle Charakterzeichnung und sein Wortwitz. Commissario Tron kämpft wieder einmal mit kleineren und größeren Problemen auf allen Ebenen, und wie üblich rückt der eigentliche Kriminalfall in seiner Prioritätenliste ein wenig nach hinten, wenn vermeintlich wichtigere Dinge hinzukommen. Der Polizeichef Spaur beschäftigt Tron auch dieses Mal wieder sehr gut, da er ein Stück Prosa für den Emporio della Poesia schreiben möchte, für das er Tron um kreative Ideen bittet. Dieser wirft einige hanebüchene Stichpunkte in den Raum, die Spaur allerdings sogleich begeistert aufnimmt und Tron bittet, um diese Stichpunkte herum ein Konzept zu entwerfen. Kurz darauf plagt Spaur bereits das nächste Problem, denn seine Geliebte Violetta hat einen hartnäckigen Verehrer, der sie mit Blumen beschenkt und ihr den Hof macht. Spaur allerdings kennt nicht einmal den Namen des Konkurrenten und setzt daraufhin Tron auf den „Fall Violetta“ an. Der gemeine Widersacher ist sogleich dingfest zu machen und aus der Stadt zu ekeln, so der Auftrag, mit dem Tron sich zusätzlich noch herumzuplagen hat.

Nicolas Remin entwickelt in wunderbarer Weise seine Charaktere weiter, die einem immer mehr ans Herz wachsen, allen voran natürlich Tron, auch wenn er manchmal schon recht dreist ist, wenn er Bossis Erkenntnisse zu seinen eigenen macht. Bossi gewinnt nach und nach an Profil, er mausert sich immer mehr zu einem guten Ermittler, der mit Fachvokabular nur so um sich schmeißt und Tron damit immer genügend Worte an die Hand gibt, damit der wiederum Spaur beeindrucken kann.

Zu den Stärken gehören bei Remin auch die Frauenfiguren; in diesem Buch ist es vor allem die Principessa di Montalcino, die Tron auf Trab hält, aber auch immer genau weiß, in welchen Situationen sie Tron den kleinen Finger reichen muss, um ihn weiterhin bei der Stange zu halten. Sie spielt die Waffen einer Frau unglaublich geschickt aus und bleibt uns dennoch höchst sympathisch.

_Achtung Wortwitz, ich komme_

Nicolas Remin hat einen unvergleichlichen Schreibstil, der alle seine Bücher zu einem besonderen Leseerlebnis macht. Mit seinen köstlichen Worten und herrlichen Metaphern schafft er es, uns alles bildlich vor Augen zu führen. Der Genuss eines Desserts ist Remin manchmal schon einige Absätze wert, wenn Tron darüber nachdenkt, wie er zwei geliebte Nachspeisen am besten verzehrt: eins nach dem anderen (und dann in welcher Reihenfolge?) oder doch lieber mit „Sachertorteneffekt“ beide gleichzeitig? Das ist ein Problem, das man höchstwahrscheinlich aus dem eigenen Alltag nicht wirklich kennt bzw. nicht so detailliert durchdenkt wie Tron, dennoch beschreibt Remin diese Situation so fantastisch, dass man stets ein Lächeln auf den Lippen trägt.

Auch die Charakterbeschreibungen sind wieder einmal herrlich gelungen – ein Beispiel: |“Als Bossi zehn Minuten später Trons Büro betrat, hatte er den tragischen Gesichtsausdruck eines Mannes, der in ungeahnte Abgründe geblickt hatte. Dazu passte sein schleppender Gang, sein desillusionierter Blick und das blaue Auge, das in farblichem Einklang mit seiner blauen Uniform stand. Auch seine Nase, deren Wiederherstellung gute Fortschritte gemacht hatte, schien abermals in Mitleidenschaft gezogen zu sein. Sie stach bergeracmäßig aus Bossis Gesicht hervor und verlieh seiner Erscheinung einen Einschlag ins Dramatische.“|

Mit diesen farbenfrohen Beschreibungen, die stets einen Hauch von Ironie enthalten und auch die winzigste Kleinigkeit berücksichtigen, entführt uns Remin in eine faszinierende Welt seiner wunderbaren Romanfiguren, die wir nur zu gerne für eine Weile begleiten.

_Unter dem Strich_

Nicolas Remin ist sicherlich nicht der Meister der Spannung. Dieses Mal empfand ich den eigentlichen Kriminalfall als ziemlich schwach, zumal Remin uns mit seinen vielen Gedankenspielen arg fordert und stellenweise zu viele Rätsel aufgibt. Doch punktet Remin wie gewohnt mit seinen historischen Schauplätzen, den anschaulichen Beschreibungen und den sympathischen Charakteren. Insgesamt ist „Gondeln aus Glas“ allerdings das schwächste Glied in der bisherigen Tron-Reihe, aber auch das schwächste Remin-Buch ist immer noch deutlich besser als zahlreiche andere Kriminalromane. Und eins ist klar: Remin muss man gelesen haben, man sollte sich allerdings nicht als Erstes dieses Buch schnappen, sondern vielleicht gleich zum nächsten Fall greifen („Die Masken von San Marco“), den bislang besten Tron-Fall.

http://www.rowohlt.de

_Nicolas Remin auf |Buchwurm.info|:_

[„Schnee in Venedig“ 1987 (Band 1)
[„Venezianische Verlobung“ 2326 (Band 2)
[„Die Masken von San Marco“ 4630 (Band 4)

Mischke, Susanne – Tote vom Maschsee, Der

Neue Krimis sprießen fast schon wie Unkraut aus dem Boden, und besonders beliebt sind Lokalkrimis, bei denen Krimihelden im eigenen Heimatort ermitteln. Doch leider war die schöne niedersächsische Hauptstadt bei Krimiautoren bislang offensichtlich nicht sonderlich beliebt. So haben wir zwar eine sehr gute Tatortkommissarin, die in Niedersachsen ermittelt, aber zu lesen gab es krimitechnisch über Hannover nicht sehr viel – das hat sich nun glücklicherweise dank Susanne Mischke geändert!

_Auf Haarmanns Spuren_

Dr. Martin Offermann, ein bekannter Psychologe, hält im Courtyard Marriott Hotel am Hannoveraner Maschsee einen Vortrag über die Typologie von Sexualstraftätern – noch nichts Böses ahnend, denn es wird nicht lange dauern, bis seine Zunge am Denkmal für Haarmanns Opfer auf dem Stöckener Friedhof gefunden wird und der Rest von Offermann tot im Maschsee.

Die Hannoveraner Kriminalpolizei ist sofort vor Ort, um Spuren zu sichern und Zeugen zu vernehmen. Jule Wedekin, die gerade ihren ersten Tag bei der Kripo verlebt und sich gleich mit den Vorurteilen ihrer neuen Kollegen konfrontiert sieht, bekommt keine Schonzeit zugestanden; sogleich gehört sie zur Ermittlungstruppe, die herausfinden soll, ob jemand Offermann zum Schweigen bringen wollte. Hat die herausgeschnittene Zunge ‚etwas zu sagen‘? Da der bekannte Psychologe oftmals als Gutachter für das Gericht gearbeitet hat, wühlt sich die Kripo durch Berge von Akten und zieht Erkundigungen ein zu laufenden Fällen. Auch Offermanns schöne Kollegin Liliane Fender rückt schnell ins Kreuzfeuer der Polizei, denn sie gibt immer nur so viele Informationen preis wie notwendig, außerdem verschweigt sie der Kripo, dass sie sich demnächst als Partnerin in der Praxis einkaufen wollte – für stolze 140.000 Euro, die sie nun dank Offermanns plötzlichem Ableben gespart hat. Klingt nach einem handfesten Motiv.

Doch die Polizei verfolgt zahlreiche weitere Spuren, denn der jüngste Fall, in welchem Offermann als Gutachter tätig war, erscheint ebenfalls vielversprechend. Es geht um einen Sexualstraftäter, der nun nach 15 Jahren Gefängnis entlassen werden soll – ohne Sicherheitsverwahrung, denn das Gericht hatte 15 Jahre zuvor versäumt, eine solche anzuberaumen. So müssen neue Informationen her, um den Straftäter weiter hinter Schloss und Riegel zu halten. Hat Offermanns Tod mit diesem Fall zu tun? Das bleibt abzuwarten …

_Gestörte Idylle am Maschsee_

Hannover als ehemalige Heimat des bekannten Massenmörders [Fritz Haarmann]http://de.wikipedia.org/wiki/Fritz__Haarmann bietet sich eigentlich an für einen Lokalkrimi, doch „Der Tote vom Maschsee“ war nun der erste von mir gelesene Krimi, der in meiner langjährigen Wahlheimat spielt. So war ich natürlich gespannt wie ein Flitzebogen auf lokale Begebenheiten, die ich selbst aus eigener Erfahrung kenne, und da enttäuschte mich Susanne Mischke nicht. Gleich zu Beginn findet sich eine abgeschnittene Zunge auf dem Stöckener Friedhof, kurz darauf geht es zum Leichenfund an den wunderschönen Maschsee, der damals in der Zeit des Nationalsozialismus künstlich angelegt wurde. Mischke geizt aber auch nicht mit Stadtteilbeschreibungen aus der Südstadt, Linden und auch der List. Stets nimmt sie den Leser an die Hand, leitet ihn über Hannovers Straßen und lädt ihn ein in Kneipen der Stadt. Wer Hannover nicht kennt, mag etwas überfordert sein, doch wer die Niedersächsische Hauptstadt kennt, wird begeistert allen Schritten folgen und sich gerne an die jeweiligen Stadtteile und Örtlichkeiten erinnern.

Doch Susanne Mischke hat noch mehr zu bieten, und zwar grandiose Charaktere. Allen voran wäre da beispielsweise Hauptkommissar Völxen zu nennen, der zu faul zum Rasenmähen ist und es deshalb für praktisch erachtet hat, sich stattdessen vier Schafe anzuschaffen, die das Rasenstutzen für ihn übernehmen. Was er allerdings nicht bedacht hat, war die Tatsache, dass leider auch die Schafe in regelmäßigen Abständen geschoren werden müssen, und so hat Völxen sich das geeignete Werkzeug gekauft und macht sich unter tatkräftiger Unterstützung seiner pubertierenden Tochter ans Werk. Doch bevor er seine Schafe fertig frisiert hat, ereilt ihn ein Anruf seiner Kollegen, die ihn zu einem neuen Tatort rufen, und so eilt er davon und überlässt seiner Tochter und dem nicht gerade gern gesehenen Freund das Feld. Grandios ist die Szene, als Völxen am Tag darauf seine Schafe beguckt und feststellen muss, dass seine Tochter besonders kreativ gewesen ist:

|“Nichts Gutes ahnend, stapft Völxen ums Haus herum und nimmt Kurs auf die Schafweide. Dort angekommen, schnappt er nach Luft, und an seiner Schläfe treten zwei Adern hervor. […] Völxen deutet stumm und anklagend auf das Schaf Angelina. Das Tier ist ordentlich geschoren, bis auf einen Streifen entlang der Wirbelsäule. Damit nicht genug, hat irgendein Blödian diese Irokesenbürste pink eingefärbt.“|

Völxen gibt auch an anderen Stellen genügend Anlass zum Schmunzeln; so ist er etwas beleibt und wird von seiner nicht mehr ganz so geliebten Ehefrau zum Diäten angehalten. Während er zähneknirschend zu Hause das Bier ausspart (glücklicherweise hält sein Nachbar immer ein gutes Herri – für den Nicht-Hannoveraner auch „Herrenhäuser“ genannt – bereit) und den Gemüsefraß herunterquält, gönnt er sich an anderer Stelle natürlich genügend Kalorienbomben, doch seine Frau hat noch bessere Pläne für ihn – nämlich Nordic Walking!

|“Fettverbrennung, schon wieder so ein Unwort. Hat etwa diese Übungsleiterin – „Ich bin Helga“ – dabei ihn angesehen? Dabei ist er hier längst nicht der Dickste. Schon eher diese Dame fortgeschrittenen Alters in den pinkfarbenen Leggins. Überhaupt – wären die Stöcke nicht, man könnte meinen, dies sei ein Treffen der Weight-Watchers. Er kommt sich albern vor in diesen Klamotten, die Sabine für ihn bei ihrem Lieblingskaffeeröster erstanden hat. Zum Glück sieht ihn hier niemand, der ihn kennt. Er hat sich extra bei der Volkshochschule der nahe gelegenen Kleinstadt Gehrden zum Anfängerkurs angemeldet…“|

Hauptkommissar Völxen ist allerdings nicht der einzige Charakter, der richtig Profil gewinnt und dem Leser höchst sympathisch wird. Auch die neue Kommissarin aus gutem Hause – Jule Wedekin -, die sich endlich von ihren Eltern abnabeln will und deswegen in eine kleine Wohnung in der List zieht, erlebt Kurioses: Als sie eines Abends nämlich zu ihrem Nachbarn geht, um das geeignete Equipment auszuleihen, um ihre Küchenlampe aufzuhängen, sieht sie mit Kennerblick sofort die kleine Hanfplantage auf der Fensterbank ihres Nachbarn und stellt sich ihm vorsorglich nicht als Polizistin vor. Thomas, so heißt der Hobby-Hanfzüchter, bietet sich sogleich an, die Küchenlampe eigenhändig aufzuhängen und begleitet Jule in ihre Wohnung, als auch schon ihr Kollege Fernando – ehemals bei der Drogenfahndung – vor der Tür steht und Thomas weismacht, dass er Fußpfleger wäre. Nachdem die zweite Flasche Wein geleert ist und eine Tüte kreist, klingelt auch noch die nächste Kollegin an Jules Tür – Oda, die sich gleich fröhlich zu der angeheiterten Runde gesellt und sich die Tüte schnappt. Genau so stellt man sich die deutsche Kriminalpolizei vor, zumal Oda sich ganz uneigennützig anbietet, den angeheiterten Hanfzüchter spätabends in seine Wohnung begleitet, um sich dort seine Pflanzensammlung zeigen zu lassen – und nicht nur das …

All diese Beschreibungen machen die handelnden Figuren sympathisch und fast schon zu guten Freunden. Susanne Mischke lädt uns ein, ihre Romanfiguren kennenzulernen und sie auf Schritt und Tritt zu begleiten. Derart herrliche Beschreibungen voller Situationskomik findet man leider selten, insbesondere im Krimigenre.

_Und was ist mit der Spannung?_

Neben der wunderbaren Charakterzeichnung vergisst Susanne Mischke selbstverständlich nicht ihren Kriminalfall, den es aufzuklären gilt. Und hier zeigt sie, dass sie die wesentlichen Elemente eines guten Kriminalromans kennt; sie legt verschiedene Spuren aus, die teilweise natürlich in die Irre führen, sie lässt verschiedene Menschen auf den Plan treten, die alle Stückchen für Stückchen zur Lösung des Falles beitragen oder vielleicht auch Hinweise geben, die in die falsche Richtung führen. So fiebert man beständig mit, will wissen, was mit Offermann geschehen ist, ob seine schöne Kollegin Fender Dreck am Stecken und warum man ihn zum Schweigen verurteilt hat.

Die Lösung des Falles überzeugt auf ganzer Linie, auch wenn sie wohl nicht vollkommen überraschend kommt. Schon ein wenig vorher deutet sich an, dass praktisch nur noch diese eine Auflösung möglich ist, doch glücklicherweise erlag Mischke nicht dem Wahn, ihrem Buch zum Schluss noch eine hanebüchene Wendung hinzufügen zu müssen, die an den Haaren herbeigezogen gewesen wäre.

Kriminaltechnisch gesehen geht „Der Tote vom Maschsee“ als gehobener Durchschnitt durch, doch als Gesamtkunstwerk betrachtet, das sich mit Sicherheit eher an die Bevölkerung Hannovers wendet, kann ich nur die Höchstnote zücken. Susanne Mischke streut genügend Lokalkolorit ein, um Hannoveraner bei Laune zu halten, verirrt sich aber nicht so sehr in Straßennamen und anderem Insiderwissen, dass andere Leser vollkommen ausgeschlossen wären. Insbesondere mit ihren sympathischen und authentischen Charakteren, ihrer Situationskomik und ihrem Wortwitz punktet Susanne Mischke und sorgt dafür, dass ich schon jetzt dem nächsten Fall entgegenfiebere, den Völxen und sein Ermittlungsteam lösen müssen.

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Scholten, Daniel – falsche Tote, Die

Mit seinem Debütroman „Der zweite Tod“ hat Daniel Scholten sprunghaft die Bestsellerlisten erobert, das Buch verkaufte sich wie geschnitten Brot. Nun legt Scholten mit seinem zweiten Krimi „Die falsche Tote“ nach (der kurioserweise zeitlich vor dem ersten Krimi spielt) und möchte sicherlich an seinen früheren Erfolg anknüpfen, allerdings scheint er beim zweiten Anlauf wohl in den Startlöchern steckengeblieben zu sein …

_Wo ist Josefin?_

Josefin Rosenfeldt ist die Tochter des schwedischen Justizkanzlers, doch nun liegt sie tot vor ihrer Wohnung – ein Sturz daraus hat sie das Leben gekostet. Kommissar Cederström und sein Team rücken zu den Ermittlungen an und versuchen, die Sensation vor der Presse geheimzuhalten. Doch als der Justizkanzler die Tote identifizieren soll, stellt sich heraus, dass es sich bei der Leiche gar nicht um seine Tochter handelt, sondern um ein dunkelhaariges Mädchen, das Josefin lediglich ähnlich sieht.

Die Unbekannte hatte in Josefins Wohnung gelebt, doch wo steckt die echte Josefin? Seit sie verfrüht aus ihrem Frankreichurlaub zurückgekehrt ist, verliert sich ihre Spur, und auch ihr Bruder ist zeitweise verschwunden. So steht die Reichspolizei vor vielen Rätseln: Hat sich das Mädchen selbst auf die Straße gestürzt oder war es doch Mord? Und galt der Anschlag ihr oder doch Josefin?

Die Polizei tappt lange Zeit im Dunkeln. Der erste Anhaltspunkt sind kleine mysteriöse Briefchen, die sich offenbar zwei Liebende geschrieben haben. Doch wer sind Hesperia und Aisakos? Mysteriös sind allerdings nicht nur die Briefe, sondern auch die vielen Geldabhebungen, die von Josefins Konto innerhalb kürzester Zeit abgehen, obwohl Josefin höchst sparsam ist und stets nur kleinste Beträge abgeholt hat. Doch nun hat sie ihr gesamtes Konto geräumt und den Dispokredit vollkommen ausgeschöpft. Wofür braucht sie das Geld?

Während ihr Vater Kjell Cederström und seine Kollegen ihren Nachforschungen nachgehen, begibt sich Kjells Tochter Linda mit pochendem Herzen zu einem Zeichenkurs, an dem sie aufgrund ihres großen Talents und trotz ihres jungen Alters teilnehmen darf. Doch ihr Einstieg dort fällt schwer, denn der Dozent ist schwierig und sie hat zunächst eine Blockade und bekommt kein vernünftiges Bild aufs Papier. Da hilft es ihr sehr, dass sie schnell Freundschaft zu Amelie schließt, die ebenfalls an besagtem Zeichenkurs teilnimmt. Aber dann verschwindet Amelie spurlos und Linda begibt sich selbst auf Spurensuche. Hat Amelies Verschwinden etwas mit Josefin zu tun? Denn bei beiden Mädchen hängt das gleiche Poster in der Wohnung.

_Zerfasertes_

Zunächst beginnt „Die falsche Tote“ mit einem Prolog, in welchem wir Josefin auf ihrem Urlaub in Frankreich begegnen, wo sie sich mit ihrem Liebhaber an einer unheimlichen Stelle trifft und darüber nachdenkt, was es mit dem dunkelhaarigen Mädchen auf sich hat, doch in der nächsten Szene beschreibt Daniel Scholten bereits ihren Tod durch den Sturz aus der Wohnung. Der Prolog steht somit in keinerlei Zusammenhang mit dem weiteren Verlauf des Buches, was sich leider auch nie ändern wird, denn ihre französische Urlaubsliebe wird nie wieder thematisiert und auch die Ereignisse in Frankreich spielen später keine Rolle mehr. Doch das ist nur der erste Punkt, der störend auffällt.

Anschließend widmet sich Daniel Scholten den Ermittlungen der Polizei, die lange Zeit auf der Stelle treten. Lediglich die geheimnisvollen Briefe sind ein Anhaltspunkt, doch deren Ursprung und deren Sinn bleiben im Dunkeln. Als dann der Justizkanzler allerdings eröffnet, dass es sich bei der Toten gar nicht um seine Tochter handelt, nimmt das Buch vermeintlich Tempo auf, denn nun steht die Polizei vor der Aufgabe, die Unbekannte zu identifizieren, was sich natürlich als sehr schwierig erweist. Handelt es sich bei der Toten überhaupt um eine Schwedin? Und wie konnte sie sich in Josefins Wohnung und in ihr Leben einschleichen? Die Polizei und auch der Leser wissen es nicht.

Cederström und seine Kollegen ermitteln an vielen Enden, doch keines passt so richtig zum nächsten. Einige Zufälle spielen der Polizei in die Hand und führen sie mal in die eine, mal in die andere Richtung, doch nie ist klar, welche jetzt eine vielversprechende Spur ist und welche nicht. Der Leser tappt somit noch mehr im Dunkeln als Cederström und man verliert sich in einer wirren Handlung, der man gar nicht so recht folgen kann. Eine Spur führt die Polizei nach Deutschland zu einer geheimen Organisation, die dort am Werke ist. Aber auch hier ist unklar, was die Organisation überhaupt treibt und was dies mit dem Todesfall in Schweden zu tun hat.

Da scheint es wiederum vielversprechend, als Lindas neue Freundin Amelie verschwindet und man in ihrer Wohnung das gleiche Poster findet, das der Polizei auch bei Josefin schon Rätsel aufgegeben hat. Handelt es sich dabei um das Poster einer geheimen Schwesternschaft? Doch was hat es mit dem Poster und der Schwesternschaft auf sich? Wir wissen es nicht und erfahren es auch erst spät.

Störend fällt auf, dass zu viele Zufälle im Spiel sind, welche die Polizei voranbringen. Da tritt Linda Cederström auf, die weitschweifig beschrieben wird und sich mit Mühe und Not zu ihrem Kunstkurs schleppt, aber eigentlich hat das nichts mit dem Fall zu tun. Als sich schließlich eine Verbindung zwischen der verschwundenen Amelie und der ebenfalls untergetauchten Josefin auftut, fand ich das sehr verschroben.

_Personelle Schwächen_

Ein weiteres Manko des Buches ist die Vielzahl an auftauchenden Figuren. Einmal ermitteln verschiedene Beamte in der Reichspolizei am Fall „Josefin“, da sind neben Kjell auch noch Henning, Barbro und Sofi, die wir allerdings gar nicht näher kennenlernen. Von Barbro wusste ich bis zum Schluss nichts, von Henning erfährt man nur, dass er unglücklich verheiratet war, von Sofi weiß man, dass sie während der Handlungszeit befördert wurde und sehr ehrgeizig ist, und bei Kjell konnte man sich im Laufe der Zeit zusammenreimen, dass Linda seine Tochter sein muss. Doch familiäre Hintergründe, Hobbys, Eigenarten oder Sonstiges, das den Figuren etwas Format hätte geben können, fehlen völlig im vorliegenden Krimi.

Darüber hinaus werden zahllose Personen interviewt, es tauchen praktisch in jedem Kapitel neue Personen auf, die größtenteils überhaupt keine Rolle spielen und oft genug auch zu einer falschen Spur gehören. Ich kann mich daher an den Großteil der Namen schon jetzt nicht mehr erinnern, weil die Personen nur auftauchten, um ein paar Seiten später wieder in der Versenkung zu verschwinden.

Der rote Faden fehlt dem Buch daher völlig, ebenso wie eine Charakterzeichnung, die praktisch nicht stattfindet. Ich habe selten ein Buch gelesen, in welchem die handelnden Figuren so wenig Raum erhalten und so wenig Profil gewonnen haben. Ich hatte das Gefühl, dass Daniel Scholten ziemlich lieblos seine Ideen zu Papier gebracht und sich nicht darum geschert hat, seine Leser an die Hand zu nehmen, um sie durch das Gewirr an Ideen zu geleiten.

Hinzu kommen zahllose unnötige Handlungsstränge, die sich im Nichts verlaufen. Da forscht die Polizei beispielsweise nach, welche Personen das Buch ausgeliehen haben, in welchem sich die Sprüche finden, die in den geheimnisvollen Briefen stehen, welche sich Hesperia und Aisakos geschrieben haben. Dabei macht die Polizei mitunter erstaunliche Entdeckungen, die leider ebenfalls null mit dem eigentlichen Kriminalfall zu tun haben.

_Ärgernisse_

So liest man sich lustlos durch das Buch, verliert zwischendurch den Überblick und auch den Anschluss. Zwischendurch musste ich immer wieder zurückblättern, um zu erfahren, wie die Polizei eigentlich zu der jetzigen Spur gekommen ist und wie alles im Zusammenhang steht. Daher verpufft auch Scholtens Auflösung am Ende völlig; es gibt kein Aha-Erlebnis, sondern nur Erleichterung, dass die Lektürequal endlich ein Ende hat.

Insgesamt bleibt daher ein enttäuschender Eindruck zurück. Daniel Scholten mag sich viel vorgenommen haben für sein Buch, doch leider fanden hier zu viele Ideen Eingang, sodass man völlig den Überblick verliert. Damit einher geht natürlich, dass auch keine Spannung aufgebaut wird, weil es ja keinen roten Faden gibt, an dem man sich durch das Buch hätte hangeln können. Die fehlende Charakterzeichnung tut ihr Übriges und fügt sich irgendwie auch wieder stimmig in das Konzept ein, denn hier fehlt es einfach an allen Ecken und Enden, sodass die Frage bleibt, ob das Buch überhaupt lektoriert wurde. Denn dabei hätte spätestens auffallen müssen, dass „Die falsche Tote“ handwerklich sehr viel vermissen lässt. Wenn Daniel Scholten irgendwann einmal einen Henning Mankell beerben möchte, muss er doch noch viel lernen …

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Remin, Nicolas – Masken von San Marco, Die

Elisabeth, die Kaiserin von Österreich, war beileibe nicht die verklärt romantische Figur, wie sie in den bekannten Sissi-Filmen präsentiert wird. Und Nicolas Remin traut sich in seinem neuesten Roman „Die Masken von San Marco“ wieder einmal, Elisabeth als diejenige Person hinzustellen, die sie (vermutlich) wirklich gewesen ist, nämlich als die Ehefrau, der die ehelichen Pflichten zuwider waren und die ihren Göttergatten Franz Joseph längst nicht so angehimmelt hat wie er sie. Elisabeth war eine eigensinnige Frau, welcher der höfische Pomp lästig war, die nicht gerne in der Menschenmasse stand und die sich tagtäglich an ihren Turngeräten in der Hofburg gequält hat, um ihre göttlich schlanke Taille zu bewahren. Und genau in dieser Rolle treffen sie nun wieder.

_Tod dem Kaiser_

Die österreichische Monarchie ist den Einwohnern Venedigs ein Dorn im Auge, das Ansehen des österreichischen Kaisers ist schlecht und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich Franz Joseph aus Venedig zurückziehen muss. Doch Franz Joseph hat bereits einen Plan, um sein Ansehen wieder zu steigern: So plant er einen Venedig-Aufenthalt, zu dem ihn auch Ehefrau Elisabeth begleiten soll. Während einer Ansprache auf dem Markusplatz schließlich soll ein vermeintlicher Attentäter mit Platzpatronen auf Franz Joseph schießen, der als Einziger die Ruhe bewahren wird – da er ja weiß, dass es kein echter Anschlag ist – und dessen Ansehen dadurch rapide steigen wird.

So beauftragt er Oberst Hölzl und Graf Crenneville damit, alles Erforderliche in die Wege zu leiten. Die beiden haben jedoch schon Informationen darüber, dass ein echtes Attentat geplant ist. Sie wissen aber auch, mit welchem Zug der Attentäter nach Venedig einreisen wird und wie er verkleidet ist, damit seine Auftraggeber ihn erkennen. Also beschließen sie, einen eigenen Mann einzuschleusen, der den Attentäter ersetzt und die Strippenzieher rechtzeitig ans Messer liefert.

Von all dem ahnt Commissario Tron noch nichts, als er vom Polizeipräsidenten von Spaur erfährt, dass die venezianische Polizei nicht zum Schutz des Kaisers und der Kaiserin beitragen soll. Das soll das Militär übernehmen. So erfährt Tron auch nichts von den genauen Reiseplänen des Kaiserpaars. Als jedoch eine Leiche aus dem Ponte dei Mendicanti gezogen wird, sind Tron und sein Kollege Bossi gefordert. Die Obduktion ergibt schließlich, dass ein Profikiller am Werke gewesen ist, der seinen Widersacher mit einem gezielten Genickbruch in den Tod befördert und ihn aus dem Zug ins Wasser geworfen hat. Schnell erfahren Tron und Bossi, dass der Killer den Ermordeten ersetzt hat. Dieser war mit einem Zinksarg nach Venedig eingereist, dem Tron und Bossi derweil nachforschen. Eine Exhumierung fördert dann zutage, was der unbekannte Tote tatsächlich nach Venedig befördert hat, nämlich lediglich einen Sandsack und einen Haufen Sprengpulver, von dem noch einige Reste im Sarg verblieben sind. Plant tatsächlich jemand ein Attentat auf das Kaiserpaar?

Eberhard von Königsegg, der sich bereits im Palazzo Reale befindet und auf die Ankunft des Kaisers wartet, plagen derweil ganz andere Sorgen, nämlich seine horrenden Spielschulden. Doch hat Königsegg sich eine Lösung parat gelegt; er weiß von einer kostbaren Goldkette, die der Kaiser als Geschenk für seine geliebte Elisabeth im Tresor des Palazzo aufbewahrt. Da der Geburtstag des Kaisers der Schlüssel zum Tresor ist, entwendet Königsegg kurzerhand das kostbare Geschmeide und begibt sich damit zu einem dubiosen |professore|, der das teure Schmuckstück mithilfe von Quecksilber verdoppeln will. Anhand eines Rings hat er Königsegg bereits bewiesen, dass seine Apparatur hervorragend funktioniert, sodass Königsegg hier die Lösung für seine Spielschulden sieht. Als der |professore| das Schmuckstück allerdings in seine Apparatur getan hat, öffnet sich die Tür zum Labor und zwei bewaffnete Polizisten stürmen das Zimmer, welche die beiden Herren kurzerhand festnehmen.

Königsegg ist verzweifelt; wie soll er erklären, wer er ist und wie er in den Besitz des kaiserlichen Geschmeides gekommen ist? Als sich ihm dann die Gelegenheit zur Flucht eröffnet, nutzt er diese, auch wenn er das Schmuckstück zurücklassen muss. Darum will er sich später kümmern. Also wendet er sich kurz darauf an Commissario Tron, der allerdings zu berichten weiß, dass es in der fraglichen Nacht gar keinen Polizeieinsatz gegeben hat. Königsegg wurde reingelegt und steht nun mit Schulden, aber ohne Kette da. Was nun?

Zeitgleich schleust der Profikiller sich in die Gruppe Männer ein, die das Sprengpulver nach Venedig geschmuggelt hat. Der kaiserliche Besuch rückt näher, aber Tron ist den Attentätern immer noch nicht auf die Spur gekommen; die Zeit drängt …

_Schauplatz Venedig_

In Commissario Trons vierten Fall überschlagen sich erneut die Ereignisse: Der österreichische Kaiser Franz Joseph plant zur Aufpolierung seines eigenen Ansehens ein gestelltes Attentat auf sich und die Kaiserin, aber es scheint auch irgendeine Gruppe zu geben, die tatsächlich Sprengpulver nach Venedig schmuggelt, um dort den Kaiser anzugreifen. Doch das sind nicht die einzigen Probleme, die Tron quälen, denn die Renovierungsarbeiten im Palazzo Tron gehen langsam voran, was die Laune seiner geliebten Mutter trübt und sie stets alte Brötchen kaufen lässt, aber auch seine Verlobte hat Sorgen, denn ihr Pressglas verkauft sich so hervorragend ins Ausland, dass Österreich plant, Einfuhrsteuern zu erheben, die das gesamte Geschäft kaputtmachen würden. So bittet die Principessa Tron, das Attentat auf den Kaiser zu verhindern, um sich Elisabeths Gunst zu sichern und sie zu überreden, die Einfuhrsteuer abzuwenden. Kein einfacher Plan, da die venezianische Polizei eigentlich von den Ermittlungen ausgeschlossen ist und auch die Zeit arg knapp wird, um die Attentäter noch rechtzeitig aufzuspüren.

Die Handlung spielt sich an verschiedenen Schauplätzen ab. So treffen wir Franz Joseph, der frohen Mutes ist, weil er sich in Sicherheit wähnt und seine Reaktion auf das vermeintliche Attentat probt. Elisabeth dagegen plant ihren Venedig-Aufenthalt etwas anders; sie packt unauffällige Kleider ein, um erneut in Person der Gräfin Hohenembs die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Ein weiterer Handlungsstrang dreht sich um Eberhard von Königsegg, dessen Sorgen immer größer werden, denn nun hat er nicht nur Spielschulden, sondern muss auch noch das Verschwinden der teuren Kette erklären. Doch wie der Zufall es will, hat er die Schulden bei einem guten Freund Trons gemacht.

Und natürlich hängen die einzelnen Handlungsstränge zusammen, denn Trons Ermittlungen in Sachen Königsegg führen ihn in ein gewisses Casino, in welchem auch einer der nun Toten gearbeitet hat, dessen Ableben Tron aufklären will. Die Ermittlungen nehmen schließlich richtig Fahrt auf, als sich zumindest dem Leser die wahren Zusammenhänge erschließen, denn wir haben den Vorteil, dass wir nicht nur die Drahtzieher des geplanten Attentats kennen, sondern auch den Profikiller, der auf dem Weg nach Venedig einen Mitreisenden mit gebrochenem Genick aus dem Zug befördert hat. So sind wir Tron immer mindestens einen Schritt voraus, sodass wir nur hoffen können, dass er rechtzeitig die richtigen Schlussfolgerungen ziehen wird, um am Ende alle Fälle erfolgreich aufklären zu können.

_Italienische Beschaulichkeit_

Nicolas Remins Kriminalromane rund um Commissario Tron strahlen eine gewisse Ruhe aus, daher ist Ehrgeiz etwas, das Tron völlig zu fehlen scheint. Lieber liest er auf der Arbeit in seinem geliebten Blatt |Emporio della Poesia|, das er selbst herausgibt. Auch schickt er immer wieder Bossi los, um die unangenehmen Nachforschungen zu erledigen. Als es schließlich an die Exhumierung geht, ist Tron es, der die Laterne hält, während Bossi sich mit der Schaufel abplagt und dann auch den Sarg öffnen darf. Doch natürlich ist das Schicksal auf Trons Seite, denn immer wieder fügt sich für ihn alles geschickt zusammen, sodass er als der strahlende Held dasteht.

In diesem vierten Fall des Commissario Tron haben wir diesen und seine Kollegen bereits bestens kennengelernt. Tron ist ein Genießer, der zum Frühstück gerne ein halbes Dutzend süße Teilchen nascht anstelle der alten Brötchen, die ihm seine Mutter immer wieder vorsetzt – natürlich nur aus Geiz, denn Geld hat sie eigentlich genügend, seit die Pressglasproduktion so gut läuft. Für die Geschäfte und das Finanzielle hat Tron seine Verlobte, die ihn aber auch gerne immer wieder darauf hinweist, wie teuer die Speise ist, die Tron gerade unüberlegt verdrückt. Doch ihn lässt das recht kalt, er bleibt gelassen, lächelt und genießt. Das macht Tron immer wieder überaus sympathisch, auch wenn er ohne Hilfe seiner Principessa kein so gediegenes Leben führen könnte.

Auch die anderen Figuren gefallen ausgesprochen gut, beispielsweise Eberhard von Königsegg, mit dem wir eigentlich nur Mitleid haben können, da er vom Pech verfolgt ist. Denn kaum hat er endlich einen Ausweg aus der Schuldenfalle gefunden, lässt er sich von einer fingierten Polizeikontrolle hereinlegen und verliert nun auch noch die kostbare Kette. So ein Pech! Doch gibt er nicht auf und stellt dann seine eigenen Nachforschungen an, aber ohne Trons Hilfe wäre er vermutlich nicht weit gekommen.

_Atmosphärisch und sympathisch_

Nicolas Remin verzaubert uns regelrecht mit seiner Lektüre, versetzt uns ins 19. Jahrhundert und nimmt uns in diesem Buch mit nach Wien an die Hofburg und auch wieder mit ins alte Venedig, wo die berühmten Demel-Pralinen allerdings nicht weniger beliebt sind als in Wien. Er beschreibt in wunderbaren Worten die bezaubernden Schauplätze und seine Figuren, sodass man direkt in die Situationen hineinversetzt wird. Natürlich leidet darunter ein wenig der Spannungsbogen, da das gesamte Buch vermutlich dank Tron eine gewisse Beschaulichkeit ausstrahlt, die einen packenden Spannungsbogen irgendwie verhindert. Doch stört dies hier gar nicht, ganz im Gegenteil, Nicolas Remins Kriminalromane sind sympathisch und einfach angenehm geschrieben. In wunderbaren Worten findet hier jedes Detail Erwähnung, wie zum Beispiel die Fliege, die sich in Trons Frühstücksmarmelade verirrt hat, oder die zu feste Konsistenz des Brötchens:

|Nach dem Frühstück – denn das musste er noch hinter sich bringen. Und so wie es aussah, war das nicht ganz einfach. Das Brötchen, in das er biss, nachdem es ihm gelungen war, das Tier aus der Konfitüre zu entfernen, war uralt. So alt, dass seine Zähne nicht einmal einen Fingerbreit eindrangen. Er drehte es um und probierte sein Glück auf der anderen Seite – ohne Erfolg. Tron ließ entnervt das Brötchen sinken und stellte fest, dass ihn die Contesa bereits stirnrunzelnd beobachtete. […] „Weißt du, was dir völlig abgeht, Alvise?“ Nein, das wusste er nicht. Biberzähne für die Brötchen? Geschmack an toten Fliegen?|

Insgesamt gefiel mir das vorliegende Buch ausgesprochen gut. Natürlich muss man in punkto Spannung ein paar Abstriche machen, dafür zaubert Nicolas Remin dem Leser mit seinem herrlichen Schreibstil immer wieder ein Lächeln ins Gesicht, zumal er wunderbar sympathische Figuren zeichnet. Der zu lösende Kriminalfall ist sicherlich nicht der ausgefeilteste, aber die Idee fand ich sehr unterhaltsam, da sie doch die Intrigen, die am kaiserlichen Hof geschmiedet wurden, wunderbar auf die Schippe nimmt. „Die Masken von San Marco“ ist ein Krimi für Liebhaber exotischer, netter und beschaulicher Literatur, eigentlich genau die richtige Lektüre für einen lauen Frühlingsabend.

http://www.kindler-verlag.de/

_Nicolas Remin auf |Buchwurm.info|:_
[„Schnee in Venedig“ 1987
[„Venezianische Verlobung“ 2326

Canavan, Trudi – Götter (Das Zeitalter der Fünf 3)

Band 1: [„Priester“ 4275
Band 2: [„Magier“ 4456

In „Götter“ gibt es ein vermutlich letztes Wiedersehen mit Auraya, die sich im zweiten Band „Magier“ von den Weißen losgesagt hat. Nachdem die Götter von ihr verlangt hatten, Mirar umzubringen, und Auraya diesen Befehl nicht ausführen konnte, hatte sie die Wahl zwischen einem verlängerten „Hausarrest“ und ihrem Abschied als Weiße.

Doch noch viele Fragen sind im zweiten Band unbeantwortet geblieben, sodass die Spannung groß war, als ich den abschließenden Band des „Zeitalters der Fünf“ aufschlug. Und auch hier wurde ich nicht enttäuscht …

_Unsterblich_

Auraya ist inzwischen einfache Priesterin, die sich wieder frei bewegen darf. Natürlich führt ihr Weg sie wieder zu den Siyee, mit denen sie bereits im ersten Teil Freundschaft geschlossen hat. Doch dieses Mal gilt es dort keine gefährliche Seuche zu bekämpfen, sondern sie trifft auf die unsterbliche Emerahl, die sich Auraya als Jade vorstellt. Wie von Mirar gewünscht, trifft Emerahl sich mit Auraya, um die ehemalige Weiße zu unterrichten. Auraya soll lernen, ihre Gedanken vor den Göttern abzuschirmen, außerdem möchte Emerahl herausfinden, ob Auraya tatsächlich das Potenzial hat, selbst eine Unsterbliche zu werden, wie Mirar es vermutet.

Tatsächlich stellt Emerahl schnell fest, dass Auraya ihre Macht nicht eingebüßt hat – ganz im Gegenteil, in mancher Hinsicht ist sie stärker als zuvor. Schnell lernt sie, ihre Gedanken abzuschirmen. Doch zunächst weigert sich Auraya zu lernen, wie sie selbst die Unsterblichkeit erlangen kann. So erzählt Emerahl ihr zwar, wie sie sich selbst unsterblich machen kann, doch erwartet sie nicht, dass Auraya dieses Wissen tatsächlich anwenden wird. Aber wieder einmal sorgt Auraya für Überraschungen, denn schnell wendet sie ihr neues Wissen an und wird damit zu der sechsten Unsterblichen. Auch ihre Fähigkeit zu fliegen hat Auraya nicht verlernt, doch offenbart sie weitere erstaunliche Fähigkeiten; so kann sie weiterhin, obwohl sie keine Weiße mehr ist, die Gedanken anderer Wesen lesen, außerdem spürt sie die Anwesenheit der Götter und kann auch ihren Gesprächen lauschen.

In einer anderen Geschichte treffen wir Danjin wieder, der immer noch seiner ehemaligen Herrin Auraya hinterhertrauert, der sich aber nun an eine andere Weiße gewöhnen muss, nämlich an Ellareen, die zu Aurayas Nachfolgerin erkoren wurde. Da Ella Danjins Gedanken lesen kann, verfolgt ihn permanent ein schlechtes Gewissen, wenn er Auraya nachtrauert. Als ihm Ella schließlich aber die wahren Gründe für Aurayas Weggang nennt, wankt auch Danjins Vertrauen. Aber seine Verbindung zu Auraya ist dennoch nicht vollkommen abgebrochen, verfügt er doch immer noch über den Ring, mit welchem die beiden in gedanklichem Kontakt stehen.

Während Emerahl und Auraya sich kennen lernen und Emerahl ihre Vorurteile der ehemaligen Weißen gegenüber abbaut, reist Mirar nach Süd-Ithanien, wo die Traumweber in Eintracht mit den Pentadrianern leben. Dort gibt es keine Verfolgung, die Traumweber dürfen die Menschen heilen und werden nicht wegen ihres Glaubens unterdrückt. Mirar wird nachdenklich, ob die Pentadrianer nicht doch ein besseres Volk sind als die Bewohner von Nord-Ithanien. Nekaun, die oberste Stimme der Pentadrianer, beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit Reivan, doch im Mittelpunkt steht die schwelende Konkurrenz zwischen Nekaun und der zweiten Stimme Imenja, die Nekaun nicht vollkommen vertrauen kann.

So richtig Fahrt kommt aber erst auf, als die Siyee einen Auftrag ihrer Göttin Huan erhalten und sich nach Süd-Ithanien begeben. Auraya begleitet die Abordnung der Siyee, allerdings haben die Götter ihr verboten, sich in den Auftrag einzumischen und zu kämpfen. Als die Siyee schnurstracks in eine Falle tappen und in Gefangenschaft geraten, befindet sich Auraya erneut in einer Zwickmühle, denn sie darf die Siyee nicht befreien, ohne gegen die Pentadrianer zu kämpfen und sich damit erneut gegen den Willen der Götter zu stellen. Als sie schließlich die Bekanntschaft Nekauns macht, gerät ihr Leben in große Gefahr …

_Auftakt zum Schluss(t)akt_

Zunächst lässt sich Trudi Canavan in gewohnter Manier viel Zeit. Sie begleitet Auraya und Mirar bei ihren Reisen, erzählt ausführlich von den Unterrichtsstunden, die Emerahl der zunächst verhassten Auraya gibt, doch erst einmal geschieht über lange Strecken nicht viel. Die beiden verfeindeten Völker leben ihr Leben vollkommen unbeeinflusst voneinander.

Hier gilt es zunächst, Aurayas neue Fähigkeiten zu erkennen und auszuloten, wie mächtig sie nun noch ist, seit sie nicht mehr unter dem Schutz der Götter steht. Als sie schließlich ihre Fähigkeit erlangt, die Götter zu belauschen, erkennt sie, dass Huan zu einer Todfeindin geworden ist, die nur nach einer Gelegenheit sucht, Auraya zu töten. Huan ist auch schließlich der Grund, warum Auraya sich unsterblich macht, da sie erkennt, in welch einer gefährlichen Situation sie lebt. Hin und wieder verirrt sich auch ihr ehemaliger Geliebter Chaia in ihre Gedanken, über den Auraya immer noch nicht hinweggekommen ist. So drehen sich ihre Gedanken permanent um ihre beiden Ex-Geliebten, die sie nicht vergessen kann. In Mirar erkennt sie immer noch einige Eigenschaften Leirards, dennoch überwiegt ihre Abneigung Mirar gegenüber die meiste Zeit, sodass sie eher Chaia nachtrauert, der erfreulicherweise noch eine sehr wichtige Rolle einnehmen wird.

Erst als Auraya mit den Siyee nach Süd-Ithanien kommt und dort die Bekanntschaft der ersten Stimme Nekaun macht, nimmt das Buch richtig Fahrt auf, alles andere bis dahin ist mehr oder weniger Vorgeplänkel und die Vorbereitung auf die finale Schlacht. Denn natürlich wird es am Ende noch einmal zur Konfrontation der beiden verfeindeten Völker kommen, bei der selbstverständlich auch die Götter ein Wörtchen mitreden wollen.

_Unsterbliche Charaktere_

Wieder einmal beleuchtet Trudi Canavan in allen Einzelheiten die agierenden Figuren. Allen voran ist natürlich wieder einmal Auraya zu nennen, die seit dem Beginn des ersten Bandes eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht hat und nun wirklich gar nichts mehr mit Sonea, unserer Heldin aus der „Gilde der Schwarzen Magier“, gemeinsam hat. Auraya ist längst keine Weiße mehr, dennoch hat sie nichts ihrer Macht eingebüßt, ganz im Gegenteil; sie wird stärker und stärker und könnte das Zünglein an der Waage sein, wenn es zur finalen Schlacht der Weißen gegen die Pentadrianer kommt. Doch je mehr sie über Huan erfährt, umso schwieriger fällt Auraya die Wahl der beiden Seiten …

Auraya ist eine faszinierende Persönlichkeit, die immer mehr an Profil gewinnt. Schon im zweiten Band „Magier“ erweist sie sich als eigensinnig, als sie sich gegen die Götter stellt und beschließt, ihre Rolle als Weiße abzutreten. In diesem Band wird sie unsterblich, und dennoch vergisst sie ihre alten Verbündeten, die Siyee, nicht. Und auch ihr kleines Haustier Mischief darf natürlich nicht fehlen. Auraya ist eine zauberhafte Figur, mit der man sich gerne identifiziert.

Auch die anderen Unsterblichen erhalten viel Raum im Buch. Emerahl begibt sich nun endlich auf die Suche nach der mysteriösen Schriftrolle der sechsten Göttin, in der Emerahl die Wahrheit über die Götter vermutet. Die Suche nach dieser Schriftrolle ist gefährlich und birgt viele Rätsel, die Emerahl mithilfe der beiden unsterblichen Zwillinge zu lösen hat. Als sie schließlich das Rätsel um die Götter lösen kann, ist es wie ein Paukenschlag, der schon an dieser Stelle neugierig auf das Ende macht.

Währenddessen outet Mirar sich als der Anführer der Traumweber, da er seinem Volk offen beistehen will. Bei seinem Besuch in Glymma, dem Hauptsitz der Pendarianer, merkt er, dass dieses Volk ganz anders mit den Traumwebern umgeht. Das bringt ihn in einen schwierigen Gewissenskonflikt, da er immer noch Gefühle für Auraya hegt, die nach wie vor zu den Weißen hält. Diese Situation birgt viel Konfliktpotenzial, das Trudi Canavan bis ins Letzte ausreizt.

Eine besonders interessante Figur ist allerdings auch die Erste Stimme Nekaun. Während er im ersten Teil aus der Perspektive Reivans als sympathischer Anführer vorgestellt wurde, der die Pentadrianer vernünftig anführen kann, lernen wir nun eine ganz andere Seite von ihm kennen. Nekaun entwickelt sich zu einem rechthaberischen und arroganten Anführer, der bei den anderen Stimmen nicht immer Pluspunkte sammeln kann. Auch Reivan muss eines Nachts erkennen, dass Nekaun nicht der nette Junge ist, als den sie ihn einst kennen gelernt hat. Nekaun entwickelt sich hier erstaunlich schnell weiter – allerdings nicht zu seinem Vorteil …

_Grau statt Schwarzweiß_

Wie schon in „Magier“ angedeutet, so sind die Pentadrianer nicht das böse Volk, als das sie noch im ersten Band „Priester“ erschienen. Auch die Pentadrianer haben fünf Götter, an die sie glauben, und fünf Anführer, die Stimmen. Die Parallelen zwischen den beiden Völkern werden immer deutlicher, doch im Bezug auf die Traumweber offenbaren die Pentadrianer sympathische Züge. Trudi Canavan schafft es hervorragend, die klare Aufteilung in Gut und Böse, wie sie uns zu Beginn der Trilogie erschien, weiter zu differenzieren. Ähnlich wie es auch Sergej Lukianenko in seiner [Wächter-Tetralogie 3594 macht, so verpasst auch Canavan beiden Völkern Ecken und Kanten; beide Völker spinnen Intrigen, offenbaren aber auch genügend positive Seiten, sodass man sich hin- und hergerissen fühlt und gar nicht weiß, zu wem man halten soll. Und ähnlich geht es sogar Auraya, die ja unter den Weißen aufgewachsen ist, nun aber erkennen muss, dass die Pentadrianer nicht wie erwartet das durchweg Böse sind.

Stattdessen baut Trudi Canavan eine neue „Feindfigur“ auf, die schlussendlich zu einem riesigen Paukenschlag führen wird, wenn die Autorin auf einen Schlag alle offenen Fragen auflöst!

_Überflüssiges_

Leider schafft Trudi Canavan es auch in ihrer zweiten Trilogie nicht, ihren Spannungsbogen konstant aufrechtzuerhalten. Immer wieder baut sie lange Beschreibungen von Szenerien und Völkern ein, die für den Verlauf der Geschichte vollkommen unwichtig sind. Ein Beispiel dafür sind die Elai, die Auraya in Band eins dazu überreden wollte, eine Allianz mit den Weißen einzugehen. Im zweiten Band haben die Elai noch mehr Raum erhalten, weil die Elai-Prinzessin verschleppt wurde und schließlich mithilfe Imenjas gerettet werden konnte. So kam es schließlich zum Bündnis zwischen den Elai und den Pentadrianern, von dem ich dachte, dass es eventuell die Schlacht am Ende entscheiden könnte. Doch weit gefehlt; im abschließenden Band sind die Elai wieder zu einer Fußnote verkommen, da sie praktisch überhaupt keine Rolle spielen. Zwar hat der Elai-König den einen oder anderen Auftritt, aber doch nur als Statist. Diese überflüssigen Handlungsstränge und unnötigen Ausschweifungen trüben im Rückblick ein wenig den Gesamteindruck der Trilogie.

_Überzeugend, aber ausbaufähig_

Insgesamt gefiel mir der abschließende Band der Trilogie sehr gut. Er benötigte zwar etwas Anlauf, bevor wirklich der Spannungsbogen einsetzt, doch Trudi Canavans Auflösung hat es wirklich in sich. Als es endlich zu dem Moment kam, als sich alle Puzzleteilchen zu einem Bild zusammenfügten und die Zusammenhänge klar wurden, hat es mich wie ein Schlag in die Magengrube getroffen, obwohl ich zugeben muss, dass man die Auflösung hätte erahnen können. Aber ich muss auch gestehen, dass Trudi Canavan mich erfolgreich hinters Licht geführt hat – so hatte ich nicht geahnt, wie alles zusammenhängt. Das ist der Autorin wirklich großartig gelungen, was der gesamten Trilogie das gewisse Etwas verleiht. Eine weitere Stärke Canavans ist es, dass sie sich nicht zu schade ist, auch Figuren zu opfern, wie sie es in der |Gilde der Schwarzen Magier| gemacht hat. Mit Happyends hat sie es offensichtlich nicht, aber dennoch überzeugt ihr Ende vollkommen.

„Götter“ schließt die Trilogie überzeugend ab und hinterlässt auch eine gewisse Leere, weil es mir schwergefallen ist, von Auraya Abschied zu nehmen, aber die Leere nach der Gilde war dann doch noch größer. Trotzdem: Wer Trudi Canavans erste Trilogie verschlungen hat, findet hier einen ansprechenden Ersatz, der ein wenig die Zeit überbrückt, bis das nächste Buch aus der Kyralia-Reihe auf den Markt kommt.

http://www.trudicanavan.com/
[Verlagsspezial zur Trilogie]http://www.randomhouse.de/specialskids/zeitalter/

_Trudi Canavan auf |Buchwurm.info|:_
[„Priester“ 4275 (Das Zeitalter der Fünf 1)
[„Magier“ 4456 ((Das Zeitalter der Fünf 2)
[„Die Rebellin“ 3041 (Die Gilde der Schwarzen Magier 1)
[„Die Novizin“ 2989 (Die Gilde der Schwarzen Magier 2)
[„Die Meisterin“ 3065 (Die Gilde der Schwarzen Magier 3)

Arto Paasilinna – Adams Pech, die Welt zu retten

Energiekrise, hinfort mit dir

Die Energiekrise ist in aller Munde, die Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung spätestens seit den IPCC-Berichten ebenfalls, und genau dies will sich der Erfinder Aatami Rymättylä zunutze machen. Für ihn herrscht Saure-Gurken-Zeit. Seine Akku-AG läuft schlecht, die Aufträge und Reparaturen bleiben aus, da wirtschaftliche Flaute herrscht und niemand ihn beschäftigen will. Der Gerichtsvollzieher ist daher ein guter Bekannter Rymättyläs, aber vor allem seine Exfrauen und -freundinnen stehen permanent auf der Matte, da Aatami Rymättylä die Alimente für seine inzwischen sieben Kinder nicht zahlen kann. Doch eines Tages schafft er den Durchbruch, er erfindet einen leichten Akku auf organischer Basis, der viel leichter und handlicher ist als die herkömmlichen Bleiakkus, aber vor allem speichert sein neuer Akku viel mehr Energie. So trifft es Rymättylä nicht allzu schwer, als bei einer Explosion seine gesamte Werkstatt abbrennt und er selbst wegen vermeintlichen Versicherungsbetrugs im Gefängnis landet. Er hätte ohnehin nicht gewusst, wo er hätte unterkommen sollen, außerdem hat er im Gefängnis genügend Zeit, um seine Berechnungen für den neuen Akku zu verfeinern und zu überdenken.

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Böckler, Michael – Tödlicher Tartufo

|“Zunächst hatte Hippolyt mit Vernaccia und Cabernet geliebäugelt, mit Sangiovese di Romagna, Lambrusco, Gutturnio und schließlich Barbera und Moscato. Nein, nicht um all diese Weine zu trinken, höchstens gelegentlich ein kleines Degustationsglas. Vielmehr hatte er seine Giulietta durch die Anbaugebiete steuern wollen, getreu der Maxime, dass der Weg das Ziel wäre. Er liebte die romantischen Strade die vini, die durch die reizvollsten Landschaften Italiens führten. Der Vernaccia hätte ihn nach San Gimignano ins Elsa-Tal geleitet, von dort durchs Chianti Classico und an Florenz vorbei nach Carmignano, wo traditionell Cabernet Sauvignon angebaut wird. […] Recht bald aber hatte er diese reizvolle Streckenführung verworfen, sie war ihm dann doch zu zeitraubend und lustorientiert erschienen. Immerhin gab es für seinen Ausflug einen ernsten, einen todernsten Anlass. Entweder hatte sich Rettenstein durch einen makabren Unglücksfall ins Jenseits befördert, oder er war Opfer einer brutalen Gewalttat geworden. In jedem Fall erforderte es der Respekt, sich dem Ziel auf direktem Weg zu nähern.“|

Genau das ist Hippolyt Hermanus durch und durch: immer pragmatisch, aber doch mit einem gewissen Gefühl für guten Geschmack und gutes Benehmen. Denn wenn er schon einen eventuellen Mordfall aufzuklären hat, kann es ja nichts schaden, die besten Weine auf dem Weg zu kosten, oder nicht? Aber dann packt ihn doch das schlechte Gewissen, denn kurz vor seinem Tod hatte Rettenstein per Mail Hilfe bei Hipp, wie Hermanus gern genannt wird, angefordert.

_Wenn Pilze und Wein zum Verhängnis werden …_

Ildefonso Battardi ist der angesehenste Trüffelsucher im Piemont. Als er sich jedoch an diesem Tag mit seinem Hund auf die Suche nach den besten Trüffeln macht, merkt Ildefonso, dass etwas anders ist. Er ist skeptisch, irgendetwas liegt in der Luft. Noch bevor er den ersten Trüffel aus der Erde graben kann, trifft ihn eine Ladung Schrot, die das Ende seiner letzten Trüffelsuche markiert.

Auch Hubert Rettenstein hat einen schweren Tag: Ein Blatt Papier ist mit einem Parmesanmesser auf seinem Schreibtisch befestigt, und die Botschaft verkündet nichts Gutes, denn angeblich sollen Rettensteins beste Weine vergiftet sein. Um den Gegenbeweis anzutreten, schenkt Rettenstein sich selbst ein Glas des vermeintlich vergifteten Weins ein, hält aber im letzten Moment noch inne und gibt zunächst seiner Katze zu trinken. Als er ihr zuprosten will, krümmt die Katze sich am Boden und erstarrt schließlich. Glück gehabt! Doch dieses währt nicht lang, denn kurz darauf wird Rettenstein in seinem Weinkeller aufgefunden – tot unter einem Weinregal liegend. War es ein Unfall oder hat jemand absichtlich das Regal umgestoßen?

Zunächst sehen beide Todesfälle wie Unfälle aus: Ildefonso wurde von der irregeleiteten Schrotladung eines Jägers niedergestreckt, während Rettensteins überfüllte Weinregale ihm schließlich zum Verhängnis wurden. Auch der Maresciallo Viberti von den Carabinieri in Alba zeigt wenig Interesse an der Aufklärung möglicher Kriminalfälle, denn die Trüffelzeit ist angebrochen und damit eine Saison kulinarischer Hochgenüsse.

Doch Hipp packt das schlechte Gewissen, hatte Rettenstein ihn doch um Hilfe gebeten, die Hipp aus reiner Bequemlichkeit ihm nicht gewährte. Er beschließt, mit seiner altersschwachen Giulietta an den Ort des Unglücks zu fahren und ein paar Nachforschungen anzustellen. Seine Freundin Sabrina ist zunächst wenig begeistert von Hipps Abwesenheit, zumal bald Rettensteins uneheliche und überaus attraktive Tochter Gina auftaucht, die Hipps Leben gewaltig in Aufruhr bringt.

_Die wunderbar erträgliche Leichtigkeit des Seins_

In Hippolyt Hermanus Leben herrschen Harmonie, Beschaulichkeit und natürlich guter Wein. Während er für Tartufo zunächst wenig übrig hat, ist er einem edlen Tropfen Wein gern zugeneigt. Als eine unbequeme Mail seine Muße stören will, ignoriert er diese, doch dann will er Rettensteins Tod doch auf den Grund gehen. Schnell vermutet Hipp ein herbeigeführtes Unglück, denn zu viele Hinweise deuten auf Fremdeinwirkung: Rettenstein ist offensichtlich gar nicht in seinem Weinkeller zu Tode gekommen, sondern wurde dort unter einem umgestürzten Regal drapiert, um alles wie einen Unfall aussehen zu lassen. Doch davon lässt sich natürlich ein Hippolyt Hermanus nicht täuschen.

Mit cleverer Kombinationsgabe und vor allem den richtigen Beziehungen zu einem gewissen Carabinieri gelangt Hipp immer wieder an die richtigen Informationen. Nur die schöne Gina stellt sein Leben auf den Kopf. Alles deutet darauf hin, dass sie ihren Vater ins Jenseits befördert hat, um an sein Geld zu kommen. Hipp jedoch setzt alles dran, ihr zu einem Alibi zu verhelfen. Er flüchtet zusammen mit Gina, um nachzuforschen, ob sie für den Tatabend nicht doch ein Alibi hat. Und was lange währt, wird endlich gut, denn schließlich erinnert sich Gina, wie sie am fraglichen Abend bei ihrer Mutter gewesen und die Ärztin zu einem Hausbesuch gekommen ist und somit bezeugen kann, dass Gina bei ihrer Mutter war. Klingt zwar gut, doch inzwischen hat Hipp sich selbst zum Tatverdächtigen gemacht, da er Gina zur Flucht verhalf, und dummerweise hat er selbst kein Alibi …

So richtig kann ihn dies aber nicht erschüttern, denn Hipp lässt sich von solchen Bedrohungen nicht einschüchtern, er nimmt es gelassen und geht weiterhin seinen Nachforschungen nach. Das eine oder andere Gläschen Wein hilft ihm dabei, die Ruhe und den Durchblick zu bewahren.

_Beschauliche Gemächlichkeit_

Eine sympathische Beschaulichkeit ist es, die das gesamte Buch ausstrahlt. Michael Böckler nimmt sich viel Zeit, die kulinarischen Highlights Italiens zu beschreiben; so lernen wir ganz nebenbei die besten Weine kennen, die leckersten Gerichte und die schmackhaftesten Trüffel. Manch einem mag das zu viel an Lokalkolorit sein, ich persönlich fand diese Exkurse allerdings immer sehr lehrreich, zumal ein umfangreicher Anhang das Buch abrundet. Viele Begriffe im Buch sind mit einem Stern markiert und deuten darauf hin, dass sich zu diesem Ort, zu dieser Delikatesse oder zu diesem Gericht im Anhang weiterführende Informationen finden werden. Dort beschreibt Michael Böckler, was einen guten Wein ausmacht, wann sich ein Barolo Riserva nennen darf, wo es die besten Trüffel zu finden gibt, in welchem Restaurant man einkehren muss, und auch zahlreiche Rezepte runden den Anhang ab. So wird das Buch zu einem literarischen und auch kulinarischen Leckerbissen, den ich auf meine nächste Italienreise, die mich ins Piemont führen sollte, garantiert einpacken werde, um genau zu wissen, wo die beschriebenen Leckereien am besten zu genießen sind.

Im Zentrum der Geschichte steht der überaus sympathische Hippolyt Hermanus, der sich nicht nur mit einem vertrackten Kriminalfall konfrontiert sieht, sondern auch mit einer schönen Frau, die ihn immer wieder in Versuchung führen will, beispielsweise wenn sie komplett entkleidet ihre Klimmzüge macht, um keine Klamotten dabei durchzuschwitzen. Doch auch wenn es ihm ausgesprochen schwerfällt, so duscht Hipp lieber kalt, als dass er seine geliebte Sabrina hintergeht. Hipp mit seiner netten und gelassenen Art, seiner penetranten Vorgehensweise und seiner Vorliebe für gutes Essen und leckeren Wein wird zu einer Identifikationsfigur, die man gerne begleitet und von der man unbedingt mehr wissen will.

_Literarischer Leckerbissen_

Michael Böcklers „Tödlicher Tartufo“ ist ein leicht bekömmlicher und schmackhafter Kriminalroman, der durch seine sympathischen Figuren punktet, durch die bildhaften Beschreibungen der italienischen Landschaften und die exquisiten Beschreibungen all der dortigen Delikatessen, die dem Leser das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Mit viel Liebe zum Detail und einem nicht zu überlesenden Wortwitz beschreibt Böckler seine Figuren und Schauplätze. „Tödlicher Tartufo“ ist trotz der Morde ein sehr beschaulicher Roman, der sicher nicht so viel Tempo entwickelt wie andere Krimis, aber durch seine Gemächlichkeit überzeugt und einen sehr guten Nachgeschmack hinterlässt. Ich freue mich schon auf das nächste literarische Menü, das Michael Böckler uns kredenzt!

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Grangé, Jean-Christophe – Herz der Hölle, Das

Gibt es den Teufel? Oder wer ist für das Schlechte auf der Welt verantwortlich? Wie kann eine Nahtod-Erfahrung einen Menschen prägen? Und wie kann eine Leiche an den verschiedenen Körperteilen unterschiedlich stark verwest sein? All dies sind die Fragen, die der französische Bestsellerautor Jean-Christophe Grangé in seinem neuesten packenden Thriller aufwirft, und wieder einmal ist seine Mischung anders, sie hebt sich vom Mittelmaß ab und weiß über knapp 800 Seiten zu begeistern – so viel sei schon einmal vorweg genommen.

_Vom Teufel besessen_

Mathieu Durey ist bereits seit Jahren mit Luc Soubeyras befreundet. Sie haben sich kennengelernt, weil sie beide strenggläubig waren. Sie wollten Gott dienen und das Böse auf der Welt bekämpfen. Doch während Mathieu seinen Glauben immer weiter stärken kann, fühlt Luc sich immer mehr dem Bösen zugeneigt. Er hinterfragt die Existenz des Teufels und wendet sich von Gott ab. Nach seinen prägenden Kriegserfahrungen beschließt er, dem Guten lieber als Polizist zu dienen. Mathieu kann dies zunächst nicht nachvollziehen, doch nachdem er in Ruanda selbst etliche Gräuel erlebt hat, die er sich zuvor in seinen schlimmsten Albträumen nicht hätte ausmalen können, folgt er Luc auf seinem Weg. Mathieu kehrt seinem Priesterseminar den Rücken zu und wird ebenfalls Polizist. Im Gegensatz zu Luc jedoch besucht er weiterhin regelmäßig den Gottesdienst und lebt seinen Glauben aus.

Doch dann geschieht das Unmögliche: Luc versucht, sich das Leben zu nehmen. Mit Gewichten beschwert, will er sich ertränken. Dank des kalten Wassers und da er nicht ertrunken, sondern früh genug ohnmächtig geworden ist, kann Luc aber wiederbelebt werden. Fortan liegt er im Koma und Mathieu steht mit seinen Fragen alleine. Wie kann Luc als gläubiger Katholik diese Todsünde begehen? Und wieso ist er mit Einstichstellen an den Armen aufgefunden worden? Mathieu kann nicht glauben, dass Luc Drogen genommen hat und nicht mehr leben wollte. Etwas Schreckliches muss passiert sein. Eine Münze, die Luc bei seinem Selbstmordversuch in den Händen hielt, ist es, die Mathieu schließlich auf die Spur des Teufels bringt.

Schritt für Schritt versucht Mathieu, Lucs Selbstmordversuch auf die Spur zu kommen. An welchem Fall hat Luc zuletzt gearbeitet? Wo hat er sich aufgehalten? Und was kann ihn dazu veranlasst haben, sich das Leben zu nehmen? Schon bald erfährt Mathieu, dass Luc regelmäßig nach Besançon gefahren ist. Lucs Frau Laure befürchtet, dass Luc dort schon seit längerem eine Freundin hat. Zu häufig ist er vor seinem Selbstmordversuch verreist, zu oft hat er seine Frau und seine beiden Töchter zurückgelassen, um sich davonzustehlen. Doch auch dies kann Mathieu einfach nicht glauben. Er durchsucht Lucs Arbeitszimmer und findet eine umfangreiche Aktensammlung, welche die grausamsten Kriminalfälle dokumentiert. Diese Aktenordner und die Münze sind es, die Mathieu nach Mordfällen suchen lassen, die auf satanistische Praktiken hindeuten. Dabei stößt er auf den Fall der getöteten Sylvie Simonis aus Sartuis, der viele Rätsel aufwirft. Die örtliche Polizei versucht, den Fall zu verschweigen und versorgt auch die Presse nicht mit Informationen. Doch Mathieu kann schließlich herausfinden, dass Sylvies Leiche für Aufsehen gesorgt hat. Während ihr Gesicht noch klar erkennbar war, wiesen ihre anderen Körperteile starke Verwesung auf. Alle Verwesungsstadien waren an nur einer Leiche zu finden, sie war übersät mit Maden, Fliegen und anderem Getier.

Je weiter Mathieu nachforscht, umso mehr Fragen wirft er dabei auf, denn Sylvies Leben ist von vielen Geheimnissen umgeben. Nicht nur ihr Mörder ist unbekannt, auch ihre Tochter Manon ist Jahre zuvor unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Damals gab es zwar drei Verdächtige, doch verurteilt wurde niemand. Außerdem gehen Gerüchte um, dass Manon vom Teufel besessen war. Hatte etwa Satan seine Finger im Spiel? Zumindest sind es teuflische Morde, auf deren Spur Mathieu nach und nach kommt. Denn Sylvie war nicht die einzige Leiche, die unterschiedlich stark verwest war, in Europa gab es noch weitere Fälle. So führen Mathieus Nachforschungen ihn bald nach Sizilien, wo er eine Frau im Gefängnis besucht, die vor Jahren nach einer Pilgerfahrt nach Lourdes geheilt wurde. Ihr Fall wurde sogar durch den Vatikan als Wunder anerkannt, doch nun wurde sie als Mörderin ihres Mannes verurteilt. Es ist eine teuflische Schnitzeljagd, auf die Mathieu sich begibt. Und immer war Luc schon vor ihm dort, immer war er ihm einen Schritt voraus …

_Eine teuflische Schnitzeljagd_

Nicht etwa ein Mord ist es, der Anlass für Mathieu ist, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen, sondern es ist der versuchte Selbstmord seines besten Freundes Luc. Dies ist schon zu Beginn des 800 Seiten starken Buches eine kleine Überraschung, die vom gewohnten Thrillermuster abweicht. Doch schnell wendet sich Jean-Christophe Grangé dem bekannten Muster zu, denn ungewöhnliche Mordfälle sind es, die es schließlich aufzuklären gilt. Bis Mathieu jedoch zu dieser Einsicht gelangt, muss er einen im wahrsten Sinne des Wortes weiten Weg gehen. Denn seine Ermittlungen führen ihn bald über die Grenzen Frankreichs hinaus; zunächst begibt er sich nach Sizilien, um Agostina Gedda kennenzulernen, die für den Mord an ihrem Ehemann verurteilt wurde, obwohl sie doch von Gott auserwählt ist, da sie nach einer Pilgerreise nach Lourdes von einer tödlichen Krankheit geheilt wurde. Geheimakten aus dem Vatikan sind es an dieser Stelle, die Mathieu auf negative Nahtod-Erfahrungen aufmerksam machen, die nicht vom Licht handeln, auf das man sich zubewegt, sondern von einer schreckenerregenden Gestalt, in der die Menschen den Teufel vermuten. Kann diese Begegnung mit dem Teufel eine solche Persönlichkeitswandlung hervorrufen? Obwohl alle Hinweise darauf hindeuten, will Mathieu die Existenz des Teufels nicht anerkennen und sucht nach einer logischen Erklärung für die Taten der Verurteilten.

Immer sind es nur winzige Hinweise, die ihn voranbringen. Es ist eine mühsame Spurensuche, auf die sich Mathieu begibt, zumal seine Ermittlungen in Sartuis von der örtlichen Polizei auch noch behindert werden. Niemand will ihm Informationen über Sylvie und ihre Tochter geben, alles wird unter Verschluss gehalten, und wieder einmal ist es der Zufall, der Mathieu die Lösung von Manons Tod zuspielt. Mathieu ist schockiert, als er den wahren Mörder der kleinen Manon identifiziert, doch langsam fügen sich die Puzzleteile zusammen. Ganz allmählich entsteht ein immer klareres Bild von den Taten, von den bösen Dingen und schließlich auch vom Mörder. Doch Mathieu ist klar, dass Luc noch mehr gewusst haben muss, erst spät erkennt Mathieu, was Luc in den Selbstmord getrieben hat.

Im Mittelpunkt der gesamten Geschichte steht die Figur des Teufels. Schreckliche Nahtod-Erfahrungen scheinen es zu sein, die der Vatikan gerne verschweigen möchte, die aber dazu führen, dass die Menschen wahrlich teuflische Taten begehen. Der Teufel scheint es zu sein, der den Mördern die notwendigen Informationen zuspielt, denn woher sollen die Mörder sonst wissen, wie man eine Leiche zu präparieren hat, damit diese unterschiedlich stark verwest ist? Woher bekommen die Mörder das dazu nötige Getier? Es scheint keine logische Antwort auf diese Fragen zu geben, es muss etwas Übersinnliches im Spiel sein, so zumindest scheint es. Doch als gläubiger Katholik will Mathieu das nicht wahrhaben, für ihn darf es keinen Teufel geben, der Teufel muss für ihn Menschengestalt haben, doch wie kann das sein? Agostina Gedda beispielsweise wurde verurteilt für den Mord an ihrem Ehemann, nichts deutete auf einen anderen Mörder hin, den Agostina nun decken möchte. Sie muss einfach vom Teufel besessen gewesen sein, oder?

Mathieu stellt für uns die Frage nach der Existenz des Teufels und stimmt uns selbst nachdenklich, denn woher kommt das Böse auf der Welt, wenn es denn keinen Teufel gibt? Mathieu kennt seine Antwort auf diese Frage, doch wird sein Glauben durch die Nachforschungen stark erschüttert.

_Gläubiger Held_

Held der gesamten Geschichte ist Mathieu Durey, den wir bei all seinen Schritten stets begleiten. Wir sind bei ihm, während er auf Spurensuche geht, und haben daher den gleichen Kenntnisstand wie er. All seine Gedanken fühlen wir nach, wir stellen uns die gleichen Fragen und empfinden wie er das gleiche Entsetzen. Im Laufe der Geschichte lernen wir Mathieu zwar immer besser kennen, doch bleibt stets eine gewisse Distanz, da uns sein unerschütterlicher Glaube nicht immer nachvollziehbar gemacht wird, auch seine Lebensweise ist uns fremd. Obwohl er dem Priesterseminar den Rücken gekehrt hat, lebt er einsam und alleine, lässt keine Frau an sich heran und wünscht sich offenbar auch keine Familie. Später soll sich dies zwar ändern, doch dann sind es andere Punkte, die uns nachdenklich stimmen. Er lernt eine Frau kennen und lieben, beginnt eine Affäre mit ihr, obwohl doch alle Beweise gegen sie sprechen. Alle anderen sind überzeugt, dass sie schuldig ist, einen Mord begangen zu haben, doch Mathieu vertraut ihr blind, und das, obwohl er selbst noch keine Lösung für den fraglichen Mord hat. Aber vielleicht macht Liebe auch wirklich blind?

Obwohl wir Mathieu auf Schritt und Tritt begleiten, bleibt doch immer eine gewisse Distanz zwischen ihm und dem Leser. Jean-Christophe Grangé stellt nicht seine Figuren in das Zentrum seiner Erzählung, sondern die Taten und vor allem natürlich die vielen kleinen Hinweise, die es zu verfolgen und zu finden gilt. So kommt es, dass wir trotz des Umfangs dieses Buches kaum eine Figur wirklich gut kennenlernen, doch merkwürdigerweise – obwohl ich dies sonst immer ankreide – stört mich die distanzierte Charakterzeichnung hier nicht, da es so viel anderes zu entdecken und aufzuklären gibt, dass bei mir keine Wünsche offen geblieben sind.

_Reise durchs Grauen_

Die ganze Geschichte nimmt in Frankreich ihren Anfang und beginnt zunächst recht gemächlich. Mathieu hat noch keinen Anhaltspunkt, er ist fassungslos und kann sich rein gar nicht erklären, was Luc zu seinem Selbstmord getrieben haben kann. Längere Zeit braucht es, bis er auf die Spur des Teufels und auf den Mordfall Sylvie Simonis stößt. Doch je weiter die Handlung fortschreitet, umso mehr packt Grangé seine Leser. Das Bild, das er uns eröffnet, könnte kaum komplexer sein. Viele Figuren sind es, die uns begegnen, und viele Verbrechen, die aufzuklären sind. So fiebert man stets mit und bemüht sich, im Dschungel der Ereignisse nicht den Überblick zu verlieren. Ich muss gestehen, dass ich ab und an zurückblättern musste, wenn Grangé einen alten Fall nochmals aufgerollt und ich nicht mehr alle Details parat hatte. Jean-Christophe Grangé bietet uns exzellente Thrillerunterhaltung, verlangt im Gegenzug aber auch ein gutes Maß an Aufmerksamkeit (das man ihm aber nur zu gerne schenken mag).

Insgesamt gibt es nur Winzigkeiten zu bemängeln, etwa die Fülle an Figuren, die ein Personenverzeichnis durchaus sinnvoll gemacht hätte, oder die fehlende Tiefe der Charakterzeichnung. Dem gegenüber stehen ein perfekt inszenierter Spannungsbogen und eine komplexe Handlung, die es wahrlich in sich hat und den Leser spätestens nach den ersten hundert Seiten vollkommen aufsaugt, fasziniert und mitreißt. Selten habe ich einen so gut ausgeklügelten Plot erlebt, der zu meiner großen Freude logisch aufgeklärt wurde, ohne dabei ins unnötig Mystische abzudriften.

http://www.ehrenwirth.de

|Siehe ergänzend dazu unsere [Rezension 4404 zur Lesung bei Lübbe Audio.|

Stott, Rebecca – Und Blut soll dich verfolgen

Isaac Newton ist einer der bekanntesten Wissenschaftler, selbst Laien kennen die Geschichte von dem Apfel, der Newton angeblich auf den Kopf gefallen sein soll und der dann zur Idee der Gravitation geführt hat. Aber Newton umranken noch andere Geschichten; so fand sein Aufstieg am Trinity College in Cambridge unter mysteriösen Umständen statt. Was ist damals wirklich passiert und hatte Newton womöglich seine Finger im Spiel in der Reihe ungeklärter Todesfälle, die seine Berufung erst ermöglichten? Rebecca Stott geht in ihrem Erstlingswerk „Und Blut soll dich verfolgen“ dieser Frage nach.

_Wenn die Vergangenheit dich einholt_

Die bekannte Elizabeth Vogelsang wird tot aufgefunden, leblos treibt sie im Wasser und niemand kann sich ihren Tod erklären. Hat sie etwa Selbstmord begangen? Doch dies ist kaum vorstellbar, hat Elizabeth doch gerade an ihrem größten Werk gearbeitet – einer Biografie über Isaac Newton, welche die gesamte Wissenschaftswelt auf den Kopf stellen sollte. Nur ein einziges Kapitel fehlte noch, und dieses sollte sich Newtons Berufung als Fellow an das Trinity College widmen. Diese Berufung kam damals mehr als überraschend, denn Newton stand nicht wirklich weit oben in der Wunschliste damaliger Wissenschaftler. Eine Reihe ungeklärter Todesfälle am Trinity College hatte den Weg freigemacht für Newton. Hatte er etwa seine Finger im Spiel? Elizabeth Vogelsang hat es herausgefunden, denn sie war die Erste, die auch das letzte Geheimdossier Newtons entschlüsseln konnte.

Ihr Sohn Cameron Brown vertraut die Arbeit an Elizabeth‘ Opus Magnum der Schriftstellerin Lydia Brooke an, mit der er einst eine Affäre hatte. Lydia ist Expertin für das 17. Jahrhundert und stürzt sich sogleich in die Arbeit, da sie eine tiefe Freundschaft mit Elizabeth Vogelsang verbindet und sie die Person Newton ebenfalls reizt. Zunächst kämpft sie sich durch Elizabeth‘ bisherige Kapitel, die sich Newtons Forschung widmen und von seinen Experimenten mit dem Prisma erzählen. Diese Passagen berichten detailreich, wie Newton sich eine Nadel ins Auge geschoben hat, um Farberscheinungen zu untersuchen. Je weiter Lydia vordringt in die Geschichte, umso mehr unerklärliche Dinge geschehen um sie herum. Elizabeth‘ Aufzeichnungen scheinen verschwunden zu sein, auch sieht Lydia immer wieder eine Gestalt in roter Robe. Wer verfolgt sie in Cambridge?

Auch Cameron Brown wird verfolgt und bedroht. Er experimentiert mit Tieren und sieht sich bedroht von einer Tierschutzorganisation mit dem merkwürdigen Namen NABED. Selbst die Haustiere seiner Kinder sind nicht mehr sicher, eines muss sein Leben lassen, was Camerons Frau dazu bewegt, sich mit den gemeinsamen Kindern in Sicherheit zu bringen. Doch NABED ist nicht nur der Name der Tierschutzorganisation, dieses Wort taucht auch in Newtons verschlüsselten Schriften auf. Was verbirgt sich dahinter? Und wer will verhindern, dass Elizabeth Vogelsangs Newton-Biografie veröffentlicht wird? Irgendwann wird Lydia es herausfinden, aber vielleicht ist es dann schon zu spät für sie …

_Dieses Buch wird dich nicht weiter verfolgen_

Rebecca Stott, die als Professorin für Englische Literatur an der Universität tätig ist, hat sich für ihren ersten Roman eine faszinierende historische Figur herausgegriffen. Isaac Newton kennen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch wissenschaftlich Interessierte; seine Person umgibt ein großes Geheimnis, dem Stott hier auf die Spur kommen möchte. Im Anhang macht sie schließlich auch deutlich, wo die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit in ihrem Roman liegen, was reine Spekulation ist und wo wir die historischen Fakten finden.

Hauptfigur im Roman ist Lydia Brooke, die Elizabeth Vogelsangs Opus Magnum redigieren und vervollständigen soll. Mit viel Eifer und Neugierde stürzt sie sich in die Arbeit, pendelt zwischen Bibliothek und Elizabeth‘ Haus, wo sie die Biografie beenden möchte. Doch schnell merkt sie, dass es eine Macht gibt, welche die Veröffentlichung des Buches verhindern möchte. Elizabeth‘ Haustier wird ebenso brutal ermordet wie das Haustier von Cameron Browns Kindern, doch um Cameron diesen weiteren Verlust zu ersparen, verschweigt Lydia ihm, was wirklich vorgefallen ist. Auch als sie selbst Opfer eines Angriffs wird, erzählt sie ihm nichts davon. Dass dies ein großer Fehler ist, der ihre Feinde schützt, merkt sie allerdings zu spät.

Wer wirklich zu den Guten und wer zu den Bösen gehört, das lässt Rebecca Stott lange Zeit im Dunkeln. Sie sät Misstrauen und beleuchtet ihre Charaktere von unterschiedlichen Seiten, doch erst spät offenbart sie ihren Lesern die wahren Zusammenhänge.

_Brieftagebuch_

Schon früh deutet Stott an, dass unheimliche Mächte am Werkeln sind, dass Lydia und Elizabeth mächtige Gegner haben, welche die Veröffentlichung der Biografie verhindern wollen, und früh wird auch klar, dass Cameron Brown dieses Buch nicht überleben wird. Denn das gesamte Buch ist in einer Art Briefform aus Sicht Lydias geschrieben. Sie erzählt in der Ich-Form von ihren Erlebnissen, von den mysteriösen Erscheinungen in Elizabeth Vogelsangs Haus und von ihren Ängsten, die sie anfangs noch versucht zu unterdrücken.

Rebecca Stotts Schreibstil ist gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig, da das Buch einem Brieftagebuch von Lydia an Cameron gleicht. Alles ist in der Vergangenheitsform geschrieben, was darauf hindeutet, dass zumindest Lydia die Gefahren offensichtlich überstehen wird. Auch ist wörtliche Rede nicht so häufig zu finden, da Lydia die Gespräche oftmals in der Passivform wiedergibt. Hinzu kommt Rebecca Stotts bemüht poetischer und ausschmückender Schreibstil, der die wahren Geschehnisse oftmals in einer Flut von Adjektiven und Umschreibungen verschwinden lässt. Ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel:

S. 235: |“Ich stellte mir vor, wie du deine SMS an mich poliertest, sie auf der Zunge schmecktest, den Text löschtest und noch einmal von vorn anfingst. Die Kurzmitteilungen gingen zwischen uns hin und her, durchzogen die Tage und Nächte. Assoziationen, Fragmente, Verszeilen. Ob auch du in diesem heiklen Austausch das Mahlen der Steine, die Auflösung von Stein zu Pulver hörtest, die Anfänge jenes über Jahrhunderte in den heißen italienischen Glashütten betriebenen, immer weiter verfeinerten, vervollkommneten Verfahrens spürtest? Ich meinte, das weiße Pulver an den Händen zu fühlen, Soda und Quarzsand zu riechen, als ich in jener Nacht, in den vielen langen Nächten danach zu dir ins Bett kam.“|

Derartig lange Sätze und schwülstige Beschreibungen sind im vorliegenden Buch an der Tagesordnung. Hinzu kommen die permanenten Andeutungen von Beginn an, dass etwas Schlimmes passieren würde. Bis es tatsächlich aber mal so weit kommt, dass außer den Angriffen der Tierschützer etwas passiert, dauert es (zu) lange.

_Gepflegte Langeweile_

Über rund 400 Seiten zieht sich Rebecca Stotts Newton-Thriller, der stets krampfhaft bemüht ist, ein wenig Spannung aufzubauen. Wahrscheinlich aus diesem Grund schreibt Lydia von Anfang an, dass sie durch ihr Handeln das Böse erst beschworen hat, dass sie durch ihr Schweigen Schlimmeres ermöglicht hat und dass sie all dies hätte verhindern können. Doch was sie hätte verhindern können, welches Blut sie verfolgt und wer der Mann in der roten Robe ist, von dem Lydia sich verfolgt fühlt, das erfahren wir erst sehr spät. Rebecca Stott belässt es lange Zeit bei inhaltslosen Ankündigungen, sie wirft uns auch kaum Hinweise hin, die zu eigenen Spekulationen hätten animieren können. Über mehr als 300 Seiten tappen wir im Dunkeln und verheddern uns in Stotts überfrachteten Wortkonstrukten. Von Spannungsbogen kann hier keine Rede sein, zumindest mich konnte Rebecca Stott kaum bei der Stange halten.

Nur um endlich zu erfahren, wie die Geschichte ausgeht, ob Newton wirklich an den mysteriösen Todesfällen beteiligt war und welche gefährliche Macht hinter Elizabeth her war und nun Lydia verfolgt, habe ich mich durch 400 schwerfällig zu lesende Seiten gekämpft. Doch am Ende blieb Ernüchterung, Stotts Finale verpufft und hinterlässt gähnende Leere. Natürlich hat sie keine erschütternden neuen Erkenntnisse über Isaac Newton zutage gefördert und natürlich blieb der große Knall am Ende aus. Auch die Geisterbeschwörung und das Auftauchen einer mysteriösen Gestalt aus Newtons Zeit trugen nicht gerade dazu bei, mir das Buch schmackhaft zu machen.

Rebecca Stotts Debütroman ist eine misslungene Mischung aus Historien- und Mysterythriller, die zwar beide Genres bedient, aber historisch wenig Neues zu berichten hat, kaum Spannung aufbaut und insbesondere sprachlich absolut fehlgeschlagen ist.

http://www.blessing-verlag.de

Libor Schaffer – Tod am Galgen

Der Odenwald – das klingt nach einer behaglichen Gegend, in der sich Fuchs und Gans noch gute Nacht sagen. Doch der Odenwald ist neben den beschaulichen Landschaften und den vielen schönen Burgen auch der Ort, an dem Privatdetektiv Tobias Bloch seine Kriminalfälle löst. Dieses Mal beschäftigt ihn ein Mordfall am berühmten Beerfeldener Galgen. An diesem Galgen nämlich hängt eines schönen Morgens eine tote Frau, deren langer Rock an den Knöcheln zusammen gebunden ist, damit ihr auch niemand darunter schauen kann. Denn im Odenwald – da herrschen noch Zucht und Ordnung!

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Siegner, Ingo – Gustav vor, noch ein Tor

Womit beschäftigen sich Erdmännchen eigentlich den lieben langen Tag? Mit Fußballspielen natürlich – jedenfalls im Hannoveraner Zoo! Dort trainieren Gustav und seine beiden Freunde Pauline und Rocky fleißig Fußball. Platz und Zeit haben sie ja, denn der Zoo ist groß und der Erdmännchen-Tag nicht allzu ausgefüllt. Während des Trainings, zu dem auch Max der Marabu und Zora das Flusspferd hinzustoßen, dichten die Tiere sich ihre Fußballlieder und Schlachtrufe, um sich selbst anzufeuern und gute Aktionen zu feiern. Doch plötzlich taucht Kurt der Maulwurf auf und kommentiert das Spiel. Die Tiere sind verwirrt – was versteht ein Maulwurf schon vom Fußball? Mehr als man denkt, denn Kurt und seine Artgenossen buddeln sich gerne ihren Weg in die AWD-Arena, wo sie den Profis zuschauen können – Hannover 96!

Neugierig wie sie sind, begleiten die drei Erdmännchen die Maulwürfe auf ihrem nächsten Ausflug und finden sich zu ihrem Erstaunen plötzlich in einem riesigen Stadion wieder, wo ganz viele Menschen auf den Tribünen sitzen, um dem Spiel zu folgen. Schnell ist die Idee geboren, einmal gegen diese Profis zu spielen. Zur Ehrenrettung behauptet Rocky, dass die Zoo-Tiere viel besser spielten als 96, woraufhin eine Wette abgeschlossen wird. So wetten die Maulwürfe, dass die Tiere nicht ein einziges Tor gegen die Profis schießen. Da es um die Ehre geht, ist der Ehrgeiz der Tiere sogleich geweckt.

Da ihnen zur Zoo-Elf noch ein paar Mitstreiter fehlen, schreiben die Tiere flugs einen Rundbrief an ihre Zoo-Gefährten. Schon am nächsten Tag melden sich der Marabu, das Flusspferd, die Giraffe, der Orang-Utan, der Strauß, die Schildkröte und das Faultier zum Duell an. Doch noch immer fehlt ein Mitspieler, weswegen die Erdmännchen zum Dschungelpalast laufen und mit der Elefantendame Califa sprechen. Eigentlich war die Elefantendame ja fürs Tor angedacht, doch Califa will lieber Stürmerin sein, worauf die Erdmännchen aber auch gerne eingehen, als sie Califa das erste Mal spielen sehen. Fortan ist der Zooalltag streng durchgeplant, die Tiere machen Ausdauertraining und üben sich in Pässen und Torschüssen, um sich auf den großen Tag vorzubereiten, der dann auch schneller da ist, als die Erdmännchen vorher gedacht hätten …

Der Autor und Zeichner Ingo Siegner wurde in Hannover geboren, wuchs in Großburgwedel auf, lebt und arbeitet heutzutage aber in der niedersächsischen Hauptstadt, wo offensichtlich der regelmäßige Zoobesuch zu seinen liebsten Hobbys zählt. So tragen seine Romanfiguren dann auch die gleichen Namen wie die tatsächlichen Tiere im Hannoveraner Zoo. Elefantendame Califa beispielsweise gehört zu den Jungelefanten, die nach 30-jähriger Wartezeit im Zoo Hannover geboren wurden. Auch die Schauplätze, an denen die Tiere ihre Technik und Ausdauer optimieren, kennt der kundige Zoobesucher, sodass man sich wieder an diesen zauberhaften Ort versetzt fühlt. Für Hannoveraner also ein echter Lesegenuss.

Aber auch die Geschichte überzeugt: Schon auf der ersten Seite schließt man Freundschaft mit den sportlichen drei Erdmännchen, die den mutigen Plan fassen, gegen echte Fußball-Profis zu spielen. Jedes Tier hat seine Eigenarten, die wir im Laufe der Geschichte immer besser kennen lernen; so beliebt das Faultier selbstverständlich zwischendurch einzuschlafen, während Califa ganz undamenhaft den Fußballrasen als Toilette missbraucht, weil das eigentliche Klo für ihren Umfang zu winzig ist. Dass der Orang-Utan mit seinen langen Armen und seinen guten Reaktionen später das Tor hüten muss, wundert dann nicht mehr weiter. Und die Tiere lassen sich nicht unterkriegen, auch wenn die erste Ausdauereinheit mehr schmerzt als vorher angenommen. Doch die Tiere erhalten kompetente Hilfe in Kurt dem Maulwurf, der durch seine regelmäßigen Besuche in der Arena ein echter Fußballkenner ist und den Tieren folglich ihre Strategie unterbreitet und sie in der Spielpause coacht. Das Wichtigste ist und bleibt den Tieren aber immer noch der Spaß an der Freud, weswegen sie sich oft genug lieber damit vergnügen, neue Fußballlieder zu erdichten.

„Gustav vor, noch ein Tor“ ist vor allem optisch eine Pracht, denn jede Seite wird dominiert von hübschen Farbzeichnungen der Tiere in ihren Spielsituationen; da sehen wir das Faultier gemütlich auf dem Fußball schlummern, während das Flusspferd den Ball lieber mit der Schnauze fängt als mit den Beinen, der Maulwurf legt sich an einer Tafel die Taktik für das Spiel zurecht und der Orang-Utan beißt kräftig beim Dauerlauf in seine Wegzehrung, die selbstverständlich in einer leckeren Banane besteht. Auch das Layout ist positiv hervorzuheben; neben der kindgerecht großen Schrift wird es durch die Bilder immer wieder aufgelockert, so sind die Textblöcke oftmals durch kleinere Bilder unterbrochen, sodass meist nicht allzu viel durchgehender Text zu lesen ist.

Das Buch ist wirklich allerliebst und für jeden Hannover-Fan – ob jung oder alt – ein absolutes Muss. Wer sich dann noch für den Zoo oder für Fußball interessiert, sollte die knapp 13 € für dieses hübsche Buch investieren und sich von Ingo Siegner in den Hannoveraner Zoo entführen lassen, um dort Bekanntschaft zu machen mit den Erdmännchen und ihren sportiven Mitstreitern.

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Trudi Canavan – Magier (Das Zeitalter der Fünf 2)

Band 1: „Priester“

Trudi Canavan hat sich mit ihrer ersten Trilogie „Die Gilde der Schwarzen Magier“ ihren Platz in den Bestsellerlisten erobert – und das vollkommen zu Recht. Wie wenige andere Autoren schafft sie es, sympathische Charaktere und faszinierende Völker zu zeichnen und die Spannung zum nächsten Buch immer weiter zu steigern. So auch bei ihrer zweiten Fantasy-Trilogie „Das Zeitalter der Fünf“, zu der inzwischen der zweite Band vorliegt. Dass die Kritiken des Einstiegsbandes nicht durchweg positiv waren, finde ich zwar schade, denke aber, dass es an den zu hohen Erwartungen liegt und daran, dass Canavan diesen ersten Band als Vorstellung und Einstieg in eine komplexe Reihe braucht, die im Laufe der Zeit noch mehr Faszination und Spannung entwickelt. So habe ich mit Spannung zum zweiten Teil „Magier“ gegriffen und wurde nicht enttäuscht …

Wiedersehen mit alten Freunden

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Nasaw, Jonathan – Kuss der Schlange, Der

Treue Fans von Jonathan Nasaw und seinem Erstlingsroman [„Die Geduld der Spinne“ 82 dürfen in Nasaws neuestem Werk nun ein Wiedersehen feiern mit dem Serienkiller Ulysses Maxwell. Seine Mordserie liegt bereits einige Zeit zurück, doch nachdem er in einem psychiatrischen Institut von seiner Persönlichkeitsstörung geheilt wurde, soll ihm nun der Prozess gemacht werden. Für diese wundersame „Heilung“ ist Dr. Al Corder verantwortlich, der dank einer Elektroschocktherapie den handzahmen Lyssy als Persönlichkeit etabliert hat. Lyssy hat sich seitdem viele Freiräume erspielt, er darf unbewacht spazieren gehen und ist auch im Hause des Arztes ein gern gesehener Gast, doch ahnt niemand, dass dunkle Stimmen in Lyssys Kopf spuken, die immer mehr Platz fordern.

Auch Lily leidet an einer Persönlichkeitsspaltung, seit sie in ihrer Kindheit von ihren Eltern schwer missbraucht worden ist. Mehrere weitere |Alters| helfen ihr, über diese erlittenen Grausamkeiten hinweg zu kommen. Da gibt es beispielsweise die selbstbewusste Lilith, die immer dann hervorkommt, wenn Lily sich ängstigt und mit einer Situation nicht mehr klarkommt. Als sie dann vom Tod ihrer geliebten Großeltern hört, wechselt Lily die Identität und bringt erst Lilah und dann auch wieder Lilith hervor, die sich mit einer Rockerbande auf die Reise begeben. Als Lilith dann vergewaltigt wird, weiß sie sich anders zu helfen als Lily; sie beißt ihrem Vergewaltiger die Nase ab und flüchtet. Doch Dr. Irene Cogan und E. L. Pender können sie aufspüren und bringen sie auf Wunsch von Lilys Onkel in das gleiche Institut, in dem auch der Serienmörder Maxwell von seinem dissoziativen Identitätssyndrom geheilt werden konnte.

Lyssy verliebt sich auf den ersten Blick in die verschüchterte Lily, aber dann wechseln beide ihr Alter und begegnen sich bald als Max und Lilith wieder, die sofort ihre Seelenverwandtschaft entdecken und die Flucht planen. Dieser Flucht stehen natürlich einige Menschen im Wege, die sodann ihr Leben lassen müssen. Auf eigene Faust verfolgen Cogan und Pender das mörderische Pärchen, um Schlimmeres zu verhindern. Die beiden sind jedoch auf Rache aus, und da spielen natürlich auch Cogan und Pender eine wichtige Rolle, da sie zumindest Maxwells Leben auf dem Gewissen haben. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt, in dessen Verlauf viel Blut fließen und viele Persönlichkeiten auftauchen werden …

Nach seinen zwei Vampirthrillern widmet sich Jonathan Nasaw nun wieder seinem angestammten Genre, dem Psychothriller. Und hier beruft er sich auf seine alten Stärken, nämlich die Persönlichkeitsspaltung und seine bekannten und bewährten Charaktere: Maxwell, Pender und Cogan. Nur leider funktioniert diese Ansammlung im vorliegenden Thriller nicht. „Der Kuss der Schlange“ ist gerademal 444 Seiten kurz, doch bis zur Hälfte dauert es, bis Max und Lilith aus dem Institut fliehen und ihren mörderischen Rachefeldzug beginnen. Dieser beginnt allerdings zunächst mit einem weiteren Persönlichkeitswechsel, denn Corder kann vor seinem Tod noch Lyssy heraufbeschwören, der Lilith zunächst in ihrer Flucht behindert, denn Lyssy ist handzahm und möchte gar nicht aus dem Institut fliehen, wo er so viele Privilegien gewonnen hat, dass er sich dort wohlfühlt. Und auch Lilith muss bald wieder Lily Platz machen, die allerdings ungewohnte Stärken an sich entdecken kann. Sie erinnert sich daran, dass Irene Cogan ihr einst erzählt hat, dass man die Persönlichkeitsstörung heilen kann, indem die verschiedenen Alter in einer Persönlichkeit integriert werden; so nimmt sie nach und nach Liliths Selbstbewusstsein an und überwindet auch ihre Kindheitstraumata.

Die Flucht ist geprägt von zahlreichen Persönlichkeitswechseln, in Maxwell kämpfen Max und Lyssy um die Vorherrschaft, aber kaum ist ein Messer im Spiel, dringt auch Kinch, der Metzger, wieder hervor. Doch im Grunde sind es nur noch Max und Lyssy, die stark genug sind, um sich länger im Körper des Serienkillers zu halten. Sobald aber Lyssy das Sagen hat, brauchen die Opfer nichts zu fürchten, und so kommt es, dass auf dem Rachefeldzug auch das eine oder andere Opfer überlebt, wenn nämlich Lyssy und Lily beschließen, Gnade walten zu lassen.

Cogan und Pender versuchen derweil, die Spur des Pärchens aufzunehmen, ohne aber zu wissen, welche Persönlichkeiten dort gerade die Vorherrschaft haben und ob Maxwell Lily entführt hat und diese selbst zum Opfer geworden ist, oder ob diese womöglich aktiv an der Flucht beteiligt ist. Noch sind Cogan und Pender die Verfolger, doch da Maxwell und Lilith noch einige Rechnungen mit den beiden offen haben, werden sie bald zu den Verfolgten. So erwacht Cogan eines Nachts und sieht sich ihrem ehemaligen Peiniger gegenüber, der in ihr Haus eingedrungen ist und Cogan nun als Geisel hält.

Das Buch nimmt leider nie so richtig Fahrt auf, da das Tempo durch das Auftauchen von Lyssy und Lily immer wieder ins Stocken gerät und Nasaw viel Zeit darauf verwendet, die Beziehung des mörderischen Pärchens unter Berücksichtigung aller ihrer Alters zu beleuchten. Hier sind natürlich viele Aspekte zu erörtern, da die verschiedenen Alters so unterschiedliche Charakterzüge aufweisen. Ausgesprochen hanebüchen wird es schließlich im Showdown, wenn Cogan und Pender die beiden aufspüren und sie überwältigen wollen. In diesem Showdown wechseln Lily und Maxwell so oft ihr Alter, dass man fast schon den Überblick zu verlieren droht; hinzu kommt, dass die aktuellen Alter immer versuchen, ihre Mitmenschen zu täuschen, indem sie die Charakterzüge eines anderen Alters annehmen. So spielt sich Lily als Lilith auf, um Maxwells Vertrauen zu erlangen, aber auch Maxwell gibt sich oft genug als Lyssy aus, um der Verfolgung durch Lily, Pender und Cogan zu entgehen. Dies artet in ein heilloses Wirrwarr aus, das eher ärgert als mitreißt.

Jonathan Nasaw hat viel Potenzial verspielt, denn der Klappentext klingt noch ausgesprochen vielversprechend und gaukelt dem Leser vor, hier würde sich ein mörderisches Serienkillerpärchen auf eine blutige Flucht begeben. In Grundzügen stimmt das auch, doch beschreibt der Klappentext nur den zweiten Teil des Buches, der erste widmet sich ausschließlich dem Institut und dem Kennenlernen von Lily und Lyssy, außerdem gerät auch die Flucht nicht halb so blutig wie angekündigt. So viele Spannungsbremser finden sich in der Story, dass der Thriller nicht so recht zu packen weiß.

Unter dem Strich hat Jonathan Nasaw leider nicht an seine alten Psychothrillererfolge anknüpfen können. Er beruft sich nahezu ausschließlich auf bereits dagewesene Komponenten, die in „Die Geduld der Spinne“ noch so überzeugend umgesetzt waren; der vorliegende Thriller artet allerdings zu einem lieblos geschriebenen Abklatsch aus, der insbesondere zum Ende hin arge Hänger hat und einen faden Nachgeschmack hinterlässt. So bleibt nur zu hoffen, dass sich Nasaw für den nächsten Psychothriller wieder etwas ganz Neues ausdenkt, denn die Geschichte um Ulysses Maxwell scheint mir inzwischen arg ausgefranst zu sein.

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_Jonathan Nasaw auf |Buchwurm.info|:_
[„Blutdurst“ 2299
[„Seelenesser“ 926
[„Angstspiel“ 430
[„Die Geduld der Spinne“ 82

Bardola, Nicola – Schlemm

|“Genug für andere gelebt, leben wir wenigstens dieses letzte Stück Leben für uns selbst … packen wir unsere Sachen; nehmen wir rechtzeitig Abschied von der Gesellschaft; machen wir uns los von diesen aufdringlichen Banden, die uns an anderes fesseln und uns von uns selbst entfremden.“| Montaigne

Paul Salamun hat Krebs. Er ist 75 und hat sein Leben gelebt, sodass er beschließt, sich nicht operieren zu lassen, keine lange Therapie durchzustehen und ohne Schmerzen und weiteres Leid aus dem Leben zu scheiden. Gemeinsam mit seiner Frau Franca beschließt er, sich am 9. Dezember das Leben zu nehmen, Franca will es ihm gleichtun, obwohl sie gesund ist. Sie informieren nur ihre beiden Söhne von dem geplanten Selbstmord, damit die Familie voneinander Abschied nehmen kann. Die Salamuns wenden sich an die „Right of Way Society“ (ROWS), die ihnen am festgesetzten Sterbetag den Todescocktail mixen und die beiden auf ihrem Weg aus dem Leben begleiten wird. Moderne Sterbehilfe, das ist möglich in der Schweiz, sorgt aber auch dort noch für Aufsehen.

Elf Tage vor dem 9. Dezember erfährt Sohn Luca von den Plänen seiner Eltern, mit denen er schon lange keinen guten Kontakt mehr hat. Nur noch elf Tage lang wird er das Kind seiner Eltern sein, danach werden sie ihrem Leben eigenhändig ein Ende setzen. Luca ist aufgewühlt, nur wenig Zeit bleibt ihm, um mit seinen Eltern ins Reine zu kommen, um Abschied zu nehmen und sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass seine Eltern ihren Todeszeitpunkt selbst bestimmt haben. „Lebenssatt“ sind die beiden, wie Franca es bezeichnet. |“Eine späte Variante der eisernen Lunge. Kinder längst aus dem Haus. Erste Gebrechen, die Hüfte, Gallensteine. Mehr Falten. Alles erledigt. Alles Sehenswerte gesehen. Alles gelebt. Aufgaben erfüllt. Vieles nur noch Routine. Auch die kleinen Freuden – nur Wiederholungen. Neugier abhanden gekommen“.|

All dies erfährt Luca aus den Tagebüchern seines Vaters, die Paul seinem Sohn vermacht hat, um von seinem Leben zu erzählen und um seinem Sohn seine innersten Gedanken und Erlebnisse mitzuteilen. Einst war Paul ein begabter Mathematiker und leidenschaftlicher Bridge-Spieler, doch mit dieser Welt seines Vaters kann Luca nichts anfangen. Lange braucht es, bis er diese Begabungen seines Vaters nachvollziehen kann und bis er sein eigenes Interesse am Kartenspiel entdeckt.

Der Schweizer Autor Nicola Bardola hat ein – für deutsche Verhältnisse – heißes Eisen angefasst. Aktive Sterbehilfe ist hierzulande verboten, nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sich auch hier eine Organisation bildete, die Menschen mit Todeswunsch auf ihrem Weg begleiten und ihnen dann sogar den Todescocktail mixen würde. Doch ist es wirklich so abwegig, dass Menschen lieber ohne langes Leid sterben wollen? Wenn sie es noch selbst entscheiden können? Wenn sie noch selbst wissen, was sie tun und ihnen Gelegenheit bleibt, von ihren Freunden und Verwandten Abschied zu nehmen? Paul und Franca entschließen sich in „Schlemm“ dazu, genau dies zu tun. Und Bardola weiß, wovon er schreibt, denn seine eigenen Eltern sind diesen Weg gegangen. Bardola selbst findet sich in Luca wieder, dem Sohn, dem es so schwer fällt, den Wunsch seiner Eltern zu verstehen und der lange braucht, um dies zu verdauen.

Paul und Franca haben an alles gedacht, sie konnten ihre eigene Beerdigung planen. Am Tag vor ihrem Tod haben sie ihre Söhne und deren Ehefrauen zu einem letzten gemeinsamen Abendessen eingeladen. Anschließend haben sie alles beiseite geräumt, die Küche geputzt und die Briefe an die Bekannten zum Briefkasten gebracht, die erst dann ankommen würden, wenn bereits alles zu spät wäre. Wie aber lebt es sich mit dem Wissen, dass die eigenen Eltern diesen Schritt tun wollen? Wie soll man sich wirklich von ihnen verabschieden? Diese Frage versucht Bardola zu klären. In vielen Rückblicken erzählt er aus Pauls und Francas Vergangenheit, er beleuchtet ihre Ehe und lässt durchblicken, dass diese eigentlich gar nicht die beste gewesen ist. Doch wieso folgt Franca dann ihrem Mann, obwohl sie selbst doch noch gesund ist? Wieso dieser Wunsch, einem Mann zu folgen, der vielleicht gar nicht zu ihr gepasst hat? Die beiden unternehmen vor ihrem Tod einen langen Spaziergang zusammen, blicken über ihre Heimat, lassen ihr Leben Revue passieren, rauchen noch ein paar Zigaretten gemeinsam und stellen sich auf das nahende Ende ein.

Bardola ist sehr nah an den Menschen dran, er schildert ihre Gedanken, blickt in die Vergangenheit zurück und beschreibt ihre Handlungen und Gefühle. Doch missglückt dieser Versuch meiner Meinung nach. Bardola springt von einer Szene zur nächsten, er wechselt ständig die Zeitebenen, macht nur sehr kurze Kapitel, die kurzen, abgerissenen Gedankenfetzen gleichen. So mutiert „Schlemm“ zu einem Stück Prosa, dem jedweder Zusammenhang fehlt. Ich bin nie mit den Charakteren warmgeworden, die Handlung und Zeitebenen sind chaotisch und schwer nachvollziehbar. Und auch Nicola Bardolas teils recht kühle Sprache stand in einem zu krassen Gegensatz zu dem Thema, das er hier abhandeln möchte.

Auch wenn das Thema das Buches so wichtig ist, so beladen mit Gefühlen, mit Trauer, Verzweiflung, Abschied, so wenig schafft es Bardola letztlich, diese Gefühle zum Leser zu transportieren. Die permanenten Gedankensprünge stören immer wieder den Lesefluss und auch die vielen Exkurse über das Bridgespielen passen so gar nicht zum Thema Sterbehilfe. Die widersprüchlichen Kritiken – insbesondere über Bardolas Sprache – sind in einem Anhang im Buch zusammengefasst und machen nochmals deutlich, wie unterschiedlich sein Stil beurteilt wird. Mir persönlich war seine Sprache zu distanziert und abgeklärt, obwohl dies vielleicht für Bardola der Weg gewesen ist, um selbst eine Distanz zu diesem Buch herstellen zu können. So sehr ich es mir auch gewünscht hätte, ließ mich dieses Buch kalt und berührte mich trotz der dramatischen Thematik überhaupt nicht. Nur kurze Zitate, überaus treffende Beobachtungen, wie ich sie oben angeführt habe, ließen mich aufhorchen und stimmten mich nachdenklich, doch zu selten sind diese Passagen, die den Leser berühren, als dass ich dieses Buch weiterempfehlen könnte.

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Sabine Thiesler – Hexenkind

In einem einsamen Waldhäuschen wird Sarah Simonetti brutal ermordet. Ihre Kehle ist so tief durchgeschnitten, dass ihr Kopf fast abgetrennt wurde. Ihr Ehemann Romano ist erschüttert – wer könnte seine Frau ermordet haben? Schnell tauchen aber die ersten Verdachtsmomente auf, denn Sarah hatte einen jüngeren Liebhaber. Als dann die Polizei auch noch bemerkt, dass in der Küche der Trattoria, die die Familie Simonetti betreibt, das größte Messer fehlt, ist für den Chefermittler Donato Neri klar, dass Romano die Tat begangen hat. Kurzerhand nimmt er den Familienvater fest, der seinen behinderten Sohn Edi in der Obhut seiner Großeltern lassen muss und sich fortan in einer winzigen Zelle befindet, die von drei weiteren mutmaßlichen Mördern bewohnt wird.

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Sendker, Jan-Philipp – Flüstern der Schatten, Das

Paul Leibovitz lebt einsam und alleine, in freiwillig gesuchter Isolation auf einer kleinen Insel nahe bei Hongkong. Kein Ereignis, keine Menschen sollen seine Erinnerungen stören – Erinnerungen an seinen kleinen Sohn, der starb, bevor sein Leben richtig begonnen hatte. Justin war schon immer ein schmächtiger Junge, deswegen fielen die Symptome spät auf, doch bei Leukämie spielt die Früherkennung keine große Rolle. Dennoch plagt Paul sich auch Jahre nach Justins Tod noch mit Schuldgefühlen. Pauls Frau Meredith hat eine andere Art der Trauerbewältigung gewählt; sie hat sich noch mehr in die Arbeit gestürzt und sich noch häufiger im Ausland aufgehalten. Das Ende der Ehe war nur noch eine Frage der Zeit. Der große Schicksalsschlag hat die beiden sich entfremdenden Erwachsenen noch weiter voneinander entfernt.

Nur wenige Rituale sind es, die fortan Pauls Leben bestimmen, eines davon ist eine traditionelle Wanderung an Justins Todestag. Es ist heiß und Paul schwitzt schon, während er noch auf der Fähre nach Hongkong ist, doch dieser Tag wird sein Leben verändern. Auf der Spitze des Berges lernt er eine amerikanische Frau kennen, die dort in Ohnmacht fällt. Aus Hilfsbereitschaft bietet Paul an, sie ins Krankenhaus zu begleiten. Langsam beginnt die Frau zu erzählen, und zwar von ihrem 30-jährigen Sohn Michael Owen, der vor ein paar Tagen spurlos verschwunden ist. Sie bittet Paul, der sich in Hongkong besser auskennt, Nachforschungen anzustellen und sich bei der Polizei zu erkundigen, ob sie Michael schon gefunden haben. Tatsächlich ist Kommissar David Zhang einer der wenigen Freunde, zu denen Paul noch Kontakt hat. Auch wenn es ihn viel Überwindung kostet, weil er den Kontakt zur Außenwelt so weit wie möglich meiden möchte, ruft Paul seinen alten Freund an. Und dieser berichtet ihm dann von einer bisher nicht identifizierten Leiche eines Mannes, dessen Beschreibung der Michael Owens auf erschreckende Weise gleicht. Doch ein ausländischer Toter ist in China eine Sache, die es nicht geben darf. Der Fall soll also so schnell wie möglich unter den Teppich gekehrt werden. So beschließen David und Paul, der Sache gemeinsam auf den Grund zu gehen.

Noch ahnen die beiden nicht, welche Gefahren ihnen bei ihrer Suche drohen, denn Michael Owen war sehr vermögend und bewegte sich in den höchsten Kreisen Hongkongs, seine Freunde (oder doch Feinde?) sind mächtige Menschen, die man sich besser nicht zum Feind machen sollte. Auch Pauls Freundin Christine Wu, die Paul bislang immer auf Distanz gehalten hat, ängstigt sich (zu Recht) um Paul. Doch bei der Suche nach den Gründen für Michaels Ermordung kommen sich auch Paul und Christine langsam näher …

Zunächst beginnt „Das Flüstern der Schatten“ als gefühlvoller Roman, der die Trauer Paul Leibovitz‘ in so einfühlsamen und wortgewaltigen Sätzen beschreibt, dass es einem beim Lesen die Tränen in die Augen treibt. Jan-Philipp Sendker lässt sich hier viel Zeit, um Paul und seine Trauer zu entfalten. Sendker beschreibt Pauls Leben, seine Rituale, seine Gedanken an Justin und seine Verzweiflung, die nichts durchbrechen kann. Auch die Besuche und Telefonanrufe Christines werden Paul meist zu viel, da sie ihn in seiner Trauer und in seinen Gedanken an Justin stören. Es ist wirklich erstaunlich, welch überzeugende Worte Sendker findet, um all diese Gefühle und Facetten glaubwürdig ins rechte Licht zu rücken.

Doch mit der Begegnung zwischen Paul Leibovitz und Frau Owen wendet sich der Roman. Ein Mordfall ist aufzuklären, der eigentlich nicht geschehen durfte. Ein toter Ausländer ist schlecht fürs Image, es muss also schnellstmöglich ein Schuldiger her, und tatsächlich sitzt bald ein Verdächtiger im Gefängnis, der ein Geständnis unterschreibt. Bei seinen Nachforschungen hat David Zhang allerdings bereits erfahren, dass dieser Verdächtige ein wasserdichtes Alibi für die Tatzeit und das Geständnis mit großer Sicherheit nicht freiwillig unterschrieben hat. Schon hier wird die Bedrohung deutlich, die von dem Fall ausgeht. David und Paul müssen verdeckt ermitteln, um nicht selbst zur Zielscheibe zu werden.

Ganz langsam entwickeln sich die Motive, wir kämpfen uns immer weiter in Michael Owens Leben vor, wir lernen seine Geliebte kennen, seine Arbeit und seinen Geschäftspartner, doch noch können wir die Zusammenhänge nicht durchschauen. Die meisten Protagonisten scheinen etwas verbergen zu wollen, sie geben David und Paul keine Auskunft und füttern sie nur häppchenweise mit Informationen, doch langsam kommen David Erinnerungen an seine eigene Vergangenheit und er muss erkennen, dass Michaels Geschäftspartner für ihn kein Unbekannter ist. Langsam fügen sich die Puzzleteilchen zusammen und der Schuldige wird immer weiter eingekreist. Es ist eine unglaubliche Spannung, die Sendker aufbaut, denn der Leser weiß von Anfang an, was die beiden aufs Spiel setzen, indem sie gegen den Willen aller anderen auf eigene Faust ermitteln.

Obwohl in Pauls Leben schon genügend Aufregung Einzug gehalten hat, nimmt auch Christine Wu immer mehr Platz ein. Während er sich früher immer versteckt hat, wenn sie zu Besuch kam, sucht Paul nun von sich aus den Kontakt. Er verbringt die erste Nacht mit ihr, scheitert jedoch bei seinen Annäherungsversuchen, weil er sich auf diese Affäre noch nicht genügend einlassen kann. Seine Verzweiflung und Verwirrung wachsen weiter, doch erkennt Paul, dass er gar nicht anders kann, als Christine eine echte Chance zu geben. Wie zwei Jugendliche vor dem allerersten Kuss nähern die beiden sich zaghaft und behutsam an, gehen mal einen Schritt vorwärts, dann aber auch zwei zurück. Und all dies findet noch Platz in Jan-Philipp Sendkers Roman, der sich langsam zu einem Kriminalfall entwickelt, der auch an der Vergangenheit Chinas rüttelt. Der Mord an Michael Owen führt viel weiter; im Hintergrund passieren so viele Dinge, die Paul und David nur mühsam auseinander klamüsern.

„Das Flüstern der Schatten“ lässt sich keinem Genre zuordnen, es beginnt als Portrait eines trauernden Menschen, entwickelt sich dann zu einem Kriminalfall, rollt politische Hintergründe auf, schildert aber auch die Liebesgeschichte zweier Menschen. Obwohl dies sehr viele Elemente für ein Buch von nur knapp 450 Seiten sind, schafft es Sendker, die meisten davon überzeugend auszubauen. Die Krimi-Anteile konnten mich persönlich nicht vollauf überzeugen, da der Schuldige zu offensichtlich ist und sich gleich als Erster anbietet. Die Hintergründe aufzuklären, ist dabei schon deutlich aufwändiger. Sprachlich gefällt das Buch aber ausgesprochen gut; Sendker gelingt es, jede Gefühlsregung, jede Situation und jede Figur glaubwürdig und in beeindruckender Wortwahl zu beschreiben. Wer etwas über China lesen und lernen möchte, der ist hier genau richtig.

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Canavan, Trudi – Priester (Das Zeitalter der Fünf 1)

Fantasybücher gibt es wie Sand am Meer, doch nach guten Geschichten und Serien, die einen von der ersten bis zur letzten Seite in den Bann ziehen, sucht man doch etwas länger. Trudi Canavans „Gilde der Schwarzen Magier“ war hier eine höchst erfreuliche Entdeckung, die allerdings nach dem dritten Band ein ziemliches Loch hinterlassen hat. Bevor Canavan nun Prequel und Sequel nachliefert, muss diese Zeit überbrückt werden, und da kommt ihre zweite Fantasyreihe „Das Zeitalter der Fünf“ gerade recht.

_Frauenpower_

Im Mittelpunkt der gesamten Erzählung steht Auraya, die mit dem Traumweber Leiard befreundet ist und von diesem einiges über die Heilkunst der Traumweber lernt. Doch diese Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt, als Aurayas erstaunliche magische Fähigkeiten entdeckt werden und sie fortan als Priesterin lebt. Denn als Priesterin gehört sie einem anderen Glauben an als die Traumweber; sie ist den weißen Göttern unterstellt, die sich fünf Vertreter auf der Erde erwählt haben, nämlich die weißen Priester.

Auraya wird schließlich die fünfte Auserwählte und muss fortan die weißen Götter vertreten, die es allerdings verbieten, die Heilkunst der Traumweber anzunehmen, obwohl deren Heilkunst deutlich mächtiger ist als diejenige der Priester von Ithania. Auraya versucht zwischen den beiden Völkern zu vermitteln und beruft Leiard zu ihrem Berater, der die Vermittlerrolle auf Seiten der Traumweber übernehmen soll. Obwohl die Verbindung vielen ein Dorn im Auge ist, fühlen sich Auraya und Leiard immer mehr zueinander hingezogen und beginnen bald eine leidenschaftliche Affäre.

Diese wird jedoch unterbrochen, als schwarze Magier auftauchen, die dem Volk der Pentadrier gehören. Diese glauben an andere Götter und sind deswegen mit Nord-Ithania verfeindet, dessen Bewohner davon ausgehen, dass sie an die einzig wahren Götter glauben. Die weißen Priester stellen sich den schwarzen Magiern und müssen erschrocken feststellen, dass sie ihnen kräftemäßig unterlegen sind. Ein Krieg zwischen den verfeindeten Völkern bahnt sich an, für den die Anhänger der weißen Götter dringend Verbündete brauchen.

Zu diesem Zweck reist Auraya, die auf der Flucht vor einem Pentadrier die Kunst des Fliegens erlernt hat, zum Volk der Siyee. Die Siyee sind ein kleines, zartes Völkchen, das von der Göttin Huan erschaffen wurde und nun im unwirtlichen Land Si lebt, das zu Fuß nur schwer zu erreichen ist. Doch nun werden die Siyee von Landgängern bedroht, die Si erreichen und die Siyee bedrohen. Diese können sich allerdings nur schlecht wehren, denn ihre Körper sind so zart und ihre Flügel so zerbrechlich, dass sie kaum fliegen, geschweige denn dabei mit Waffen hantieren können. Der Siyee Tryss will dies allerdings ändern; er entwirft einen Harnisch, der so leicht ist, dass er damit immer noch fliegen kann, der ihm aber das Mitführen einer Waffe ermöglicht. Doch besonders seine Cousins verspotten Tryss und glauben nicht an seinen Erfolg. Nur die hübsche Drilli, in die nicht nur Tryss, sondern auch seine verhassten Cousins verliebt sind, glaubt an Tryss und unterstützt ihn sogar mit eigenen Ideen. Was die beiden noch nicht ahnen, ist allerdings, dass ihnen bald ein Krieg drohen könnte, der den Harnisch erforderlich machen wird. Auraya fliegt also zu den Siyee und gewinnt nach und nach die Sympathien des Volkes, das sie schließlich von einer Allianz mit dem Volk der Weißen überzeugen kann. Ein weiteres Volk, das im Wasser lebt, soll Auraya vor Ausbruch des Krieges noch zu einer Allianz überzeugen, doch bei ihnen nützt ihr die Fähigkeit des Fliegens nicht, sodass ihr Auftrag noch deutlich schwieriger ist als bei den Siyee.

In einem weiteren Handlungsstrang lernen wie eine Zauberin kennen, die den Traumwebern angehört. Emerahl ist eine mächtige Heilerin, die sich aber bald von den Priestern verfolgt findet. Nur knapp kann sie ihren Widersachern entkommen, indem sie ihren eigenen Tod vortäuscht. Um ihr Leben wieder aufnehmen zu können, verzaubert sie sich in eine junge, gutaussehende Frau mit feurigen roten Haaren. Da sie nun nicht länger Heiltränke verkaufen kann, um die Priester nicht erneut auf ihre Spur zu locken, beschließt Emerahl, als Prostituierte zu arbeiten. Dank ihres neuen verjüngten Äußeren wird bald die Besitzerin des renommiertesten Bordells auf sie aufmerksam, die Emerahl – die ihren Namen bald in Jade ändern muss – davon überzeugt, im Bordell zu arbeiten. Dort avanciert sie schnell zur beliebtesten Prostituierten, aber insgeheim plant sie längst ihre Flucht, die jedoch vom Krieg noch erschwert werden wird …

_Krieg und Frieden_

Die Messlatte liegt hoch; Trudi Canavan hat bereits bewiesen, dass sie hervorragende Fantasybücher schreiben kann, dass sie Fantasie besitzt, interessante Charaktere mit Ecken und Kanten zeichnen und eine ganz eigene Welt entwerfen kann. Umso spannender war für mich die Frage, ob sie dies auch in ihrer zweiten Serie schafft und ob diese sich dann auch noch von der Gilde der Schwarzen Magier abheben kann, wo all die Charaktere mitspielen, die mir im Laufe von drei Büchern so sehr ans Herz gewachsen sind.

Zunächst fallen allerdings die Parallelen auf: Auraya ist genau wie ihre „Vorgängerin“ Sonea rebellisch, sie verfügt zwar über außergewöhnliche magische Fähigkeiten, aber trotzdem lässt sie sich nicht in einen Käfig zwängen; sie will sich ihre Freunde selbst aussuchen und nimmt es dabei auch in Kauf, anzuecken und sich Feinde zu machen. Gegen den Willen der Götter und der anderen weißen Priester lässt sich Auraya auf eine Affäre mit Leiard ein, die sie zwar anfangs noch geheimhalten kann, die aber natürlich zwangsläufig auffliegen muss und dann für einen großen Skandal sorgt. Die Parallelen hören allerdings glücklicherweise bald auf: Bei Auraya überspringen wir die Jugend, sodass nahezu das gesamte Buch in einer Zeit geschrieben ist, in der sie zwar noch viel lernen muss, in der sie aber bereits über große Fähigkeiten verfügt und die Götter sie unsterblich gemacht haben. Dass sie allerdings immer noch verwundbar ist, muss Auraya schnell schmerzhaft erfahren, als sie dem ersten Pentadrier gegenübertritt.

Obwohl der vorliegende Band erst der Einstieg in die Reihe „Das Zeitalter der Fünf“ ist, droht schon früh ein großer Krieg zwischen den Weißen und den Pentadriern. Die Vorstellung der verschiedenen fantastischen Völker und die Zeichnung der Charaktere ist folglich geprägt von der nahenden Kriegsgefahr, in der die handelnden Figuren auf der Jagd nach Verbündeten sind, die das Zünglein an der Waage sein könnten. Besonders hervorzuheben sind hier die Siyee, die Canavan ausgesprochen liebevoll und zeitintensiv präsentiert. Schon lange, bevor Auraya sich nach Si aufmacht, lernen wir Tryss und sein Volk kennen, das an der Macht der Götter zu zweifeln beginnt, weil Huan sie so verletzlich und schwach gemacht hat, dass sie eher eine verunglückte Ausgeburt der Götter zu sein scheinen. Doch Auraya ist sofort fasziniert von den Siyee, die zwar nie große Krieger sein können, allerdings ihren Beitrag leisten wollen (und werden!). Das Wasservolk dagegen, das Canavan anschließend vorstellt, erreicht lange nicht die Faszination der Siyee und spielt im weiteren Verlauf des Buches auch keinerlei Rolle; warum Auraya dieses Volk also aufsuchen musste, ist mir bis zum Schluss des ersten Bandes ein großes Rätsel geblieben, und ich kann mir auch kaum vorstellen, dass sich das noch einmal ändern wird.

_Auf in den Kampf_

Verwundert hat mich, dass Trudi Canavan die Weichen so früh stellt und Nord-Ithania so schnell von dunklen Magiern bedroht wird, denn in der |Gilde der Schwarzen Magier| hat es deutlich länger gedauert, bis schwarze Magie zum großen Thema wurde. Allerdings kommt so trotz der ausschweifenden Beschreibungen und all der vielen Details, die Canavan in ihre Geschichte hineinstrickt, kaum Langeweile auf. Denn zwischendurch verlangt die Autorin zugegebenermaßen einen ziemlich langen Atem von ihren Lesern. Ihre Erzählung teilt sie ein in drei Haupthandlungsstränge, von denen nur einer Auraya begleitet. Der zweite Handlungsfaden handelt von Tryss und seiner Erfindung, seinen Problemen mit seinen Cousins und der aufkeimenden Liebe zwischen ihm und Drilli. Der dritte Handlungsstrang widmet sich der Traumweberin Emerahl, die so alt ist, dass sie sogar noch den berühmt-berüchtigten Traumweber Mirar kennt, der bereits vor einiger Zeit von den weißen Göttern besiegt wurde. Doch auch Mirar findet seinen Eingang in die Geschichte, denn in Leiards Person schlummert noch eine zweite, nämlich die von Mirar. Oftmals spricht Mirar wie ein zweites Ich zu Leiard, allerdings wird Mirar im Laufe der Zeit immer stärker, sodass er später sogar die Kontrolle über Leiard übernehmen, für ihn sprechen und handeln kann.

Welche Rolle Mirar und Emerahl in der weiteren Geschichte einnehmen werden, ist bislang unklar; Trudi Canavan nimmt sich zwar viel Zeit, um Emerahl detailliert vorzustellen und ihre Geschichte zu erzählen, doch am eigentlichen Geschehen ist sie niemals beteiligt, sodass wir auf ihren großen Auftritt noch warten müssen.

_Fantasievoller Einstieg_

Ähnlich wie bei der |Gilde der Schwarzen Magier| nimmt Trudi Canavan sich viel Zeit, um ihre Figuren vorzustellen, die verschiedenen Völker, das unbekannte und fantastische Land, und um ihre Leser auf die Geschichte einzustimmen. So war der gut 800-seitige erste Band kein wirklicher Pageturner, auch wenn wegen des drohenden Krieges früh viel Spannung aufgebaut wird. Was Canavan aber wieder einmal hervorragend gelingt, ist die Tatsache, dass man praktisch sofort weiterlesen möchte, weil man seine neuen Fantasyhelden mitten in der Geschichte verlassen musste.

Dank der liebevollen Charakterzeichnung, einer sympathischen Auraya, die eine sehr unglückliche Beziehung zu Leiard führt, und dank der spannungsgeladenen Atmosphäre animiert „Priesterin“ definitiv dazu, auch gleich zum zweiten Band und dann zum abschließenden dritten zu greifen. Zwar reicht der Einstiegsband dieser Reihe nicht an den dritten Teil der |Gilde der Schwarzen Magier| heran, doch auch Canavans erste Fantasyreihe begann erst ganz gemächlich und steigerte sich dann zu einem unglaublichen Tempo, sodass ich davon ausgehe, dass Canavan auch bei „Das Zeitalter der Fünf“ in den Folgebänden noch ein paar Briketts auflegen wird, denn natürlich wollen wir wissen, wie es mit Auraya weitergeht, ob Leiard Mirar in sich besiegen kann, ob die weißen Götter gegen die Pentadrier gewinnen können und welche Rolle Emerahl im Gesamtgefüge spielt. All diese Fragen sind offen geblieben und ich brenne darauf, die Antworten zu erfahren.

http://www.cbj-verlag.de

|Originaltitel: Priestess of the White (Age of the Five 1)
Originalverlag: Orbit / [Blanvalet]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/344224479X/powermetalde-21
Aus dem Englischen von Michaela Link
Ab 12 Jahren
Taschenbuch, 832 Seiten, 12,5 x 18,3 cm|

_Trudi Canavan auf Buchwurm.info:_
[„Die Rebellin“ 3041 (Die Gilde der Schwarzen Magier 1)
[„Die Novizin“ 2989 (Die Gilde der Schwarzen Magier 2)
[„Die Meisterin“ 3065 (Die Gilde der Schwarzen Magier 3)

Clark, Mary Higgins – Und hinter dir die Finsternis

Die Grande Dame der Kriminalliteratur meldet sich mit einem neuen packenden Roman zurück und zeigt, dass sie auch im hohen Alter noch nichts von ihrer Fähigkeit verlernt hat, ihre Leser mitzureißen und vor allem zu überraschen.

_Mord in der High Society_

Kay Lansing ist Bibliothekarin und auf der Suche nach der richtigen Location für eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Sofort kommt ihr der Gedanke an das Anwesen der sagenumwobenen Familie Carrington. Die Carringtons sind nämlich nicht einfach nur steinreich, sondern die Familie umgibt auch viele Geheimnisse. Vor 22 Jahren ist nach der Party bei den Carringtons ein junges Mädchen spurlos verschwunden und Peter Carrington, der Sohn des Hauses, der inzwischen zum Herren über das Anwesen aufgestiegen ist, haftet immer noch der Verdacht an, für dieses Verschwinden verantwortlich zu sein. Aber auch seine erste Frau Grace ist auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen, und es konnte nie geklärt werden, ob sie Selbstmord begangen hat, verunglückt ist oder gar ermordet wurde.

Als Kay Lansing zum ersten Mal Peter Carrington in natura trifft, um ihn wegen der Wohltätigkeitsveranstaltung zu fragen, verliebt sie sich trotz aller Gerüchte, die seine Person umgeben, auf den ersten Blick in ihn. Und diese Gefühle beruhen auf Gegenseitigkeit. Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre und heiraten kurz darauf. Klingt alles nach einem Happy-End, doch bald holt Peters Vergangenheit ihn ein, als Gladys Althorp, die Mutter des verschwundenen Mädchens, einen Privatdetektiv engagiert, der endlich das Geheimnis um das Verschwinden ihrer Tochter Susan aufklären soll. Und tatsächlich, Nicholas Greco findet schnell eine Zeugin, die ihre Aussage von damals, die Peter Carrington entlastet hat, zurücknimmt. Als ein weiteres Beweisfitzelchen auftaucht, das Peter belastet, wird er festgenommen.

Nun beginnt auch Kay auf eigene Faust, den Familiengeheimnissen auf die Spur zu kommen, weil sie immer noch felsenfest an die Unschuld ihres Mannes glaubt, obwohl doch alles gegen ihn spricht. Auch Kays Großmutter, die seit dem frühen Tod ihrer Mutter und dem Selbstmord ihres Vaters vor 22 Jahren immer wie eine Mutter für Kay war, misstraut Peter Carrington und macht sich Sorgen um ihre Enkelin. Als diese entdeckt, dass sie schwanger ist, könnte sie eigentlich glücklich sein, doch ihr Mann sitzt derweil in Untersuchungshaft und muss sich immer schwereren Vorwürfen aussetzen. Langsam kommen auch Kay Zweifel, denn sie erinnert sich an eine Nacht kurz nach der Hochzeit, als sie ihren Mann beim Schlafwandeln am Pool gesehen hat, wie er versucht hat, etwas (oder jemanden?) unter Wasser zu drücken. Hat er womöglich die Morde im Schlaf begangen? Die Polizei ermittelt und findet kurze Zeit später zwei Leichen auf dem Anwesen der Carringtons …

_In dubio pro reo?_

In gewohnter Manier führt uns Mary Higgins Clark durch ihren Kriminalroman, und wieder einmal sind mysteriöse Morde aufzuklären, deren Täter fast schon festzustehen scheint. Doch wie nicht anders zu erwarten war, ist bei Mary Higgins Clark nie etwas so, wie es scheint. Gemeinsam mit Kay Lansing begeben wir uns auf Spurensuche und finden zunächst immer mehr erdrückende Hinweise, die für die Schuld Peter Carringtons sprechen. Alle Menschen sind von Peters Unschuld überzeugt und als er von Kay erfährt, dass er immer noch schlafwandelt und dabei die Morde „nachstellt“, glaubt er fast schon selbst an seine Schuld. Das Problem ist nur, dass in den USA Menschen auch für Morde verurteilt werden können, die sie ohne ihr Wissen im Schlaf begangen haben. Trotzdem will Peter ein Zeichen setzen, begibt sich in ein Schlaflabor, um endlich zu beweisen, dass er sich nicht an das erinnern kann, was er im Schlaf tut.

Nach und nach entdecken wir immer mehr Spuren, die auch den Selbstmord von Kays Vater in einem ganz neuen Licht zeigen. Seine Leiche konnte nämlich nie gefunden werden und auch ein Abschiedsbrief fehlte. Es gab also immer wieder Gerüchte, ob Kays Vater nicht verschwunden ist, weil er womöglich mit Susan Althorps Verschwinden zu tun hat. Doch Kay mag an diese Theorie nicht glauben, wird aber bald eines Besseren belehrt. Langsam kehrt auch eine Erinnerung zurück an die Nacht von Susans Verschwinden: Ihr Vater arbeitete damals nämlich als Gärtner für die Carringtons. In besagter Nacht musste er Kay mitnehmen zum Anwesen, um vor der Party noch etwas zu klären. Aus Neugierde schlich Kay damals in die Kapelle des Anwesens und wurde Zeugin eines Streites zwischen einem Mann und einer Frau. Die Frau wollte damals Geld haben, doch der Mann wies sie ab. Kay hat diesem Ereignis nie viel Bedeutung beigemessen, doch irgendwann beginnt sie sich zu fragen, ob sie nicht Peter und Susan belauscht hat und damit das Motiv für Peters Tat kennt.

Die Ermittlungen sind packend, spannend und verwirrend. Als Fan der Romane Mary Higgins Clarks war ich mir von Anfang an sicher, dass die Grande Dame mich wieder auf eine falsche Spur führen will, doch auch dieses Mal gelingt ihr dies voller Überzeugung, denn man kann sich bald gar nicht mehr vorstellen, wie Peter überhaupt unschuldig hätte sein können; doch wenn die große Krimiautorin eines kann, dann schier hoffnungslose Situationen überraschend aufklären. Und so hat Mary Higgins Clark auch hier wieder die eine oder andere Überraschung parat, mit der man ganz sicher nicht gerechnet hat. Nach und nach fügen sich alle Teilchen zu einem schlüssigen Ganzen zusammen, doch erst ganz spät kann man erahnen, wer womöglich noch ein Motiv für die Taten hätte haben können. Allerdings muss ich gestehen, dass ich immer jemand anderen im Blick hatte.

_Ein Leben wie im Märchen_

Große Teile des Romans sind aus der Ich-Perspektive Kays erzählt. Kay erzählt ihre Geschichte, offenbart uns ihre Gedanken und Ängste. Doch gleichzeitig gibt es auch immer wieder Passagen, die aus Sicht eines neutralen Beobachters geschrieben sind und dafür sorgen, dass wir nichts verpassen, sondern immer dort dabei sind, wo etwas Wichtiges passiert. Mary Higgins Clark eröffnet hier viele Schauplätze; so lernen wir die beiden Hausangestellten der Carringtons kennen, die schon viele Jahre dort arbeiten und die guten Seelen des Hauses zu sein scheinen. Doch natürlich haben auch diese beiden etwas zu verbergen. Wir treffen Peters Stiefmutter und ihren Sohn Richard Walker, die immer noch auf dem Anwesen leben, obwohl Peters Vater längst verstorben ist. Peters Verhältnis zu den beiden ist gut, doch Kay misstraut ihnen bald. Richard Walker betreut eine Kunstgalerie, die allerdings mehr schlecht als recht läuft, außerdem macht er beim Pferdewetten immer mehr Schulden, sodass seine Mutter ihm immer häufiger aus der Patsche helfen muss.

Den größten Raum im Buch erhält Kay Lansing, die die Liebe ihres Lebens gefunden hat, um diese aber gleich wieder zu verlieren. Verzweifelt sucht sie nach Hinweisen, die ihren geliebten Mann entlasten könnten. In unerschütterlicher Weise glaubt sie weiterhin an seine Unschuld, obwohl doch alles gegen ihn spricht. Teilweise konnte ich ihren festen Glauben nicht mehr nachvollziehen, aber Liebe macht ja bekanntlich blind.

Eine weitere wichtige Figur ist der Privatermittler Nicholas Greco, der zunächst für Susan Althorps Mutter arbeitet, der seine Dienste aber später auch für die Gegenseite verkauft. Greco ist stets auf der Suche nach der Wahrheit, doch hat man manchmal das Gefühl, dass er sich zu früh eine eigene Meinung bildet und dabei wichtige Hinweise übersieht. Doch am Ende wendet sich alles zum Guten und er findet gemeinsam mit Kay die Wahrheit heraus.

Durch das Auftreten zahlreicher Figuren gewinnen nur wenige genügend Profil, dennoch überzeugt die Charakterzeichnung über weite Strecken.

_Wettlauf mit der Zeit_

„Und hinter dir die Finsternis“ packt von der ersten Seite an und reißt den Leser mit, da man unbedingt wissen muss, was im Keller der Familie Carrington für Leichen begraben sind. Mary Higgins Clark inszeniert ein rasantes Katz-und-Maus-Spiel gegen die Zeit, denn sollte Peter wirklich unschuldig sein (und alles andere wäre nun wirklich zu simpel), dürfte der wahre Mörder sich in Kays unmittelbarer Nähe befinden und es sollte ihm viel daran gelegen sein, Peter für diese Taten im Gefängnis zu wissen. Wie man es von Mary Higgins Clark gewöhnt ist, hebt sie sich ihr großes Überraschungsmoment so lange auf, bis sie nicht mehr länger warten kann, und so erwartet den Leser auch hier ein Finale, das sich gewaschen hat. Was ich der Autorin hier hoch anrechnen möchte: Sie dreht nicht im letzten Moment alles um, was sie vorher aufgebaut hatte, nur um den größten Effekt zu erreichen, nein, sie löst ihre Geschichte überzeugend auf, erklärt die Motive und präsentiert uns den wahren Täter. Zwar ist das Auffinden dieses Täters vom einen oder anderen Zufall begleitet, was die Glaubwürdigkeit der Geschichte ein wenig leiden lässt, aber die Auflösung ist absolut stimmig und überzeugt auf ganzer Linie. So bleibt nur zu hoffen, dass die Großmeisterin der Kriminalliteratur uns noch viele weitere ähnlich spannende Krimis bescheren wird.

|Originaltitel: I Heard That Song Before
Originalverlag: Simon & Schuster
Aus dem Amerikanischen von Andreas Gressmann
Gebundenes Buch, 400 Seiten, 13,5 x 21,5 cm|
http://www.heyne.de