Alle Beiträge von Maike Pfalz

Buchwurm, seit ich lesen kann :-)

Shan Sa – Himmelstänzerin

Die junge chinesische Autorin Shan Sa, die als Aufsteigender Stern Pekings gefeiert wird, emigrierte nach dem so genannten Tian’anmen-Massaker im Juni 1989 nach Paris, wo sie auch heute noch lebt. Inzwischen veröffentlicht sie ihre Romane in französischer Sprache und wurde für das vorliegende Buch mit dem |Prix Goncourt du premier roman| ausgezeichnet. „Himmelstänzerin“ kann schon auf den ersten Blick durch seine ansprechende Optik begeistern, doch auch der zweite Blick ins Buch hinein überzeugt auf ganzer Linie.

Am 4. Juni 1989 steht Shan Sas Romanheldin, die junge Studentin Ayamei, unschlüssig auf dem Platz des Himmlischen Friedens, den das chinesische Militär stürmt, um gewaltsam die Studenten zu vertreiben, die den Platz seit Wochen besetzen. Ihr alter Schulfreund Xiao schreckt Ayamei auf und überredet sie zur Flucht, denn Ayamei war maßgeblich an den Studentendemonstrationen beteiligt und wird nun gesucht. Als Xiao auf der Flucht stirbt, realisiert Ayamei, in welcher Gefahr sie schwebt. Sie muss alleine weiter und wird des Nachts vom LKW-Fahrer Wang aufgesammelt, der sie mit sich nimmt und vor dem Militär verstecken will.

Doch ahnt Wang noch nicht, in welche Gefahr er seine eigene Familie damit bringt, denn die Suche nach Ayamei hat bereits begonnen. Der pflichtbewusste Soldat Zhao verfolgt die junge Studentin und will sie ihrer gerechten Strafe zuführen. Zhao kommt Ayamei immer näher, er befragt rücksichtslos Ayameis Familie, bis es dort zu einem schrecklichen Zwischenfall kommt. Allerdings bringt auch dies Zhao nicht von seinem Wege ab, sein einziges Ziel ist nach wie vor die Ergreifung Ayameis. Ein Tagebuch der rebellischen Studentin ist es schließlich, das Zhao zum Nachdenken bringt …

Im Mittelpunkt dieses gefühlvollen und ergreifenden Romans stehen zwei Figuren, die unterschiedlicher kaum sein könnten und die dennoch viel voneinander lernen können. Mit poetischen Worten beschreibt Shan Sa die Geschichte Ayameis, die schließlich überleben und den Soldaten entkommen möchte. Shan Sa hat Peking damals nach dem Tian’anmen -Massaker verlassen, doch spürt man auf jeder Seite, wie sehr sie dieses Thema immer noch bewegt. Es scheint, als möchte Shan Sa ihre traurigen Erinnerungen an dieses Ereignis in diesem Buch verarbeiten. Die Grausamkeit der Soldaten wird besonders deutlich, als Zhao und seine Kumpane Ayameis Familie befragen und dabei im wahrsten Sinne des Wortes sogar über Leichen gehen. Die Sympathien der Leser sind klar verteilt, sie liegen eindeutig bei Ayamei, die ständig auf der Flucht vor ihren Verfolgern ist.

Die Geschichte, die Shan Sa zu erzählen hat, könnte kaum dramatischer sein. Es scheint, als habe Ayamei praktisch keine Chance zur Flucht, denn die Personen, die ihr geholfen haben, müssen dies teuer bezahlen. Xiao lässt auf der Flucht sein Leben und Wangs Familie wird so lange bedroht, bis sie Ayameis Aufenthaltsort verraten müssen. Die Aussichtslosigkeit der Situation ist es, die den Leser tief erschüttert. Die stärkste Stelle im Buch ist allerdings der Fund von Ayameis Tagebuch, welches Zhao schließlich liest, um sein Opfer näher kennen zu lernen. Zhao ist bewegt von Ayameis Geschichte und fasziniert von der jungen Frau, die sich in den geschriebenen Worten wiederfindet. Die Erzählung im Tagebuch ist es, die Zhao zum Nach- und auch zum Umdenken bringt. Zum ersten Mal beginnt er, sein Tun zu hinterfragen. Dies ist der Moment, in der Zhao seine ersten Pluspunkte sammeln kann.

Shan Sa schafft es auf unglaublich faszinierende und packende Weise, uns ihre Romanheldin vorzustellen und näher zu bringen, sodass wir ihr alles Glück der Welt wünschen, damit sie ihren Verfolgern entkommen möge. Besonders faszinierend ist die Entwicklung, welche die Protagonisten im Laufe der Erzählung durchmachen. Bei Zhao ist es zunächst eine Neugierde, er möchte wissen, wen er eigentlich jagen und auffinden soll. Als er Ayameis Spuren verfolgt und ihr langsam immer näher kommt, ist es eine Faszination, doch als er schließlich ihr Tagebuch gelesen hat, kann er sich Ayamei kaum noch entziehen. Langsam beginnt Zhao, von Ayamei zu lernen. Aber auch Ayamei muss viel lernen in dieser kurzen Erzählung. Anfangs scheint es fast, als wäre sie in eine Demonstration hinein gestolpert, von der sie noch gar nicht ganz verstanden hat, worum es eigentlich ging. Sie erscheint uns naiv und unbeteiligt, doch wird sie uns dann als eine der Anführerinnen der rebellischen Studenten vorgestellt. Zu Beginn hat sie jedoch keinen Überlebenswillen, alles erscheint ihr gleichgültig, hier scheint sie die Bedrohung kaum registriert zu haben. Doch nach und nach wächst ihr Überlebenswille, am Ende ist nichts stärker als der Wunsch, ihren Verfolgern zu entkommen. So machen beide Hauptfiguren trotz der Kürze der Geschichte eine erstaunliche Veränderung mit.

Sprachlich ist „Himmelstänzerin“ äußerst angenehm zu lesen. Shan Sas Sprache ist poetisch und einfach nur wundervoll, besonders die Tagebucheinträge Ayameis sind sehr persönlich; hier lässt Shan Sa uns sehr nah an ihre Protagonistin heran. In den Einträgen erfahren wir etwas aus Ayameis Vergangenheit, von ihrer ersten großen (und unglücklichen) Liebe, über ihre Gefühle und auch über ihre Flucht vor den Soldaten. Nirgends lernen wir die junge Studentin so gut kennen wie in ihrem Tagebuch.

Insgesamt ist Shan Sa mit „Himmelstänzerin“ ein überzeugender – leider viel zu kurzer – Roman über zwei junge Menschen gelungen, die für das kämpfen und leben, woran sie glauben. Trotz des schmalen Buchumfangs erleben wir besonders bei Zhao eine erstaunliche Weiterentwicklung mit, die sehr zum Lesegenuss beiträgt. „Himmelstänzerin“ erzählt mehr, als auf den ersten Blick erkennbar ist, darin besteht die ganz besondere Faszination dieses schmalen Büchleins, das ich nur weiterempfehlen kann.

http://www.piper.de

Soininvaara, Taavi – Finnisches Quartett

Auch mit seinem dritten Kriminalroman beweist der finnische Bestsellerautor Taavi Soininvaara erneut, dass in seinen Krimis mehr steckt als „nur“ Spannung, Morde und polizeiliche Ermittlungen. Immer wieder pickt sich Soininvaara einen politischen Konflikt heraus, um den herum er seine Romanhandlung strickt, sodass er seine Leser nicht nur fesseln, sondern auch zum Nachdenken anregen kann. In seinem aktuellen Krimi „Finnisches Quartett“ geht es um Ökoterroristen und regenerative Energiequellen, aber auch um Energiekonzerne, welche die Forschung an Kernfusion verhindern wollen …

Am Maifeiertag brechen drei Ökoterroristen der Gruppierung „Final Action“ bei Dutch Oil ein – einem Unternehmen, das die Umwelt der Entwicklungsländer zerstört und die natürlichen Ressourcen der Ureinwohner ausbeutet. Die drei Öko-Aktivisten wollen die EDV-Anlage zerstören und können Dutch Oil einen beträchtlichen Schaden zufügen, als plötzlich auf den Computermonitoren ein geheimes Treffen eingeblendet wird, bei dem nicht nur der Vorstandsvorsitzende von Dutch Oil, Jaap van der Waal, dabei ist, sondern auch verschiedene Führungskräfte von internationalen Ölkonzernen, die sich über die geplante Liquidierung eines bekannten Fusionsphysikers namens Elvas durch den Engel des Zorns unterhalten. Die drei Mitglieder von Final Action riechen die Gefahr und versuchen zu flüchten, doch plötzlich gehen die Sirenen los und auf dem Gelände von Dutch Oil werden sie von Sicherheitskräften gejagt, die sie sicherlich nicht nur der Polizei ausliefern wollen. Jorge Oliveira wird schwer verletzt und von den Verfolgern ermordet, während Ulrike Berger und Lasse Nordman zunächst fliehen können. Doch wissen sie, dass sie immer noch von den Sicherheitskräften von Dutch Oil gesucht werden. Zur gleichen Zeit ärgert sich Arto Ratamo von der finnischen Sicherheitspolizei über den Lärm seiner Nachbarn, bis er sich nicht anders zu helfen weiß, als die Polizei zu rufen.

Die Ereignisse überschlagen sich, denn vor seiner Ermordung kann Jorge Oliveira noch eine SMS absetzen, in der er vom geplanten Mord am Physiker Elvas berichtet. Lasse Nordman, der Sohn der finnischen Verteidigungsministerin, lässt sich absichtlich schnappen, damit seine Freundin Ulrike die Möglichkeit zur Flucht bekommt. Auch muss die Polizei feststellen, dass der Physiker Elvas tatsächlich ermordet wird und auch die vergangenen Morde an verschiedenen namhaften Physikern wohl doch keine Unfälle waren, sondern geschickt durchgeführte Morde. Doch noch tappt die Polizei im Dunkeln und hat keine Spur, die zum Engel des Zorns führen könnte.

Der Leser hat diesen, der sich auch Ezrael nennt, allerdings bereits kennen gelernt. Ezrael hat in seiner Kindheit Schlimmes durchgestanden und handelt nun auf Befehl seiner Schwester Mary Cash, die ihn als Werkzeug benutzt. Ezrael denkt, dass er Verräter ermordet, doch seine Schwester weiß ganz genau, welchem Zweck die Ermordung der Physiker wirklich dient, auch der Leser erfährt es bald. Lasse Nordman und Ulrike Berger stehen ebenfalls bald auf Ezraels Exekutionsliste, weil sie zu viel wissen von der geheimen Verschwörung.

Taavi Soininvaara hält sich wieder einmal nicht lange mit Vorgeplänkel auf, sondern wirft seine Leser direkt mitten in die Geschichte. Gleich auf den ersten Seiten begleiten wir die drei Ökoterroristen auf ihrem Feldzug gegen Dutch Oil und erleben mit, wie die Drei Mitwisser einer Verschwörung werden und danach auf die Abschlussliste geraten. Direkt im Anschluss lernen wir den Engel des Zorns kennen und erleben mit, wie er Jagd macht auf einen Physiker, der noch nichts von der Gefahr ahnt, die sein Leben bedroht. Während all dies geschieht, ist unser Romanheld Arto Ratamo noch damit beschäftigt, einen Kleinkrieg gegen Studenten in seiner Nachbarschaft anzuzetteln. Taavi Soinunvaara macht uns somit gleich mit allen wichtigen Romanfiguren bekannt und beginnt mit einem Paukenschlag. Danach dauert es auch nicht lange, bis der Leser erahnen kann, welchen Grund die Anschläge auf die Physiker haben. Doch enthält uns Soininvaara lange vor, was wirklich hinter all dem steckt, denn natürlich passiert viel mehr unter der Oberfläche.

Der Spannungsbogen setzt also gleich zu Beginn des Buches ein und fesselt den Leser an die Geschichte. Später bricht die Spannung allerdings leider etwas ein, obwohl ständig Menschenleben bedroht werden und mindestens ein verrückter Killer sein Unwesen treibt, der zwischenzeitlich eine uns gut bekannte Geisel nehmen kann. Doch unglücklicherweise hegt man für die meisten handelnden Figuren wenig Sympathien, sodass man ihrem Ableben auch recht gleichgültig entgegensehen kann. Taavi Soininvaara begeht den Fehler, dass er seinen früheren Romanhelden Arto Ratamo, den man in den beiden Vorgängerkrimis kennen und schätzen gelernt hat, zu sehr in den Hintergrund treten lässt. Ratamo ist zwar überall vor Ort, aber er wird selbst nicht gejagt und steht auch nie im Zentrum der Geschehnisse, sodass er sich in diesem Buch leider mit einer kleineren Nebenrolle begnügen muss.

Darüber hinaus bremsen zwei weitere Faktoren die Spannung: Nachdem der Engel des Zorns eine Geisel genommen hat, die er für den „Engel der Offenbarung“ hält und von dem er sich einen neuen Auftrag erhofft, begleiten wir ihn längere Zeit bei seinen Handlungen und lernen ihn, sein Wesen und seine Vergangenheit besser kennen. Sein fanatisches Gerede vom Engel der Offenbarung strapaziert auf Dauer leider sehr die Geduld des Lesers. Man ist es bei einem Kriminalroman ja schon gewöhnt, dass man auf verrückte Romanfiguren trifft, aber so tief wollte ich dann doch nicht in die Gedanken des Killers eintauchen, denn mir erschien er zu unglaubwürdig. Auch die seitenlangen historischen Exkurse Jaap van der Waals bringen weder die Handlung noch die Spannung voran, sodass ich gut auf sie hätte verzichten können.

Zwei weitere Dinge sind es, die den eigentlich durchaus positiven Gesamteindruck etwas trüben. Zum einen übertreibt Taavi Soininvaara es etwas mit seinem Lokalkolorit. Wenn seine handelnden Figuren durch die Straßen Helsinkis oder auch Amsterdams spazieren, erfahren wir alle möglichen Straßennamen oder markanten Orte, die der Durchschnittsleser noch nie im Leben gehört hat. Für jemanden, der diese vielfältigen Schauplätze bereits besucht hat, ist diese überschwängliche Verwendung fremd klingender Straßennamen natürlich äußerst spannend, wenn man aber permanent über diese Bezeichnungen stolpert, stört dies ein wenig den Lesefluss. Zum anderen fand ich es etwas unglaubwürdig, dass niemand bemerkt haben soll, dass die Morde an den jeweils führenden Fusionsphysikern kein Zufall sein können. Zwar hatte der Engel des Zorns seine Morde jeweils gut als Unfall getarnt, aber wenn immer wieder der zurzeit beste Fusionsphysiker sein Leben lassen muss, sollte eigentlich jedem klar sein, dass dies nicht nur ein Zufall sein kann.

Dem entgegen steht Taavi Soininvaaras stetes Bemühen, seinen Romanen einen spannenden politischen Hintergrund zu verpassen. In „Finnisches Quartett“ befasst er sich mit umweltfreundlichen Energien, Ökoterroristen und zwielichtigen Managern, die auf Kosten der Umwelt ihren eigenen Profit suchen. Diese Konstellation birgt viel Potenzial, das Soininvaara auch gekonnt ausnutzt. Insbesondere vor dem Hintergrund der tatsächlichen amerikanischen „Umweltpolitik“, offenbart auch Soininvaara eine „unbequeme Wahrheit“, denn man könnte sich durchaus vorstellen, dass die geschilderten Ereignisse gar nicht so weit hergeholt sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. In einer Nation, die bekanntlich der größte Umweltverschmutzer auf der ganzen Welt ist und bezeichnenderweise auch keine Bemühungen erkennen lässt, daran etwas zu ändern, könnten vielleicht tatsächlich Mächte am Werke sein, wie Soininvaara sie im finnischen Quartett aufdeckt. Eins hat Soininvaara also definitiv geschafft: Sein Buch wird nicht einfach durchgelesen, zugeklappt und aus dem Gedächtnis gelöscht – nein, man beginnt sich zu fragen, ob solche Verschwörungen in unserer Welt nicht wirklich passieren könnten …

Trotz kleiner „handwerklicher“ Schwächen hinterlässt „Finnisches Quartett“ einen positiven Gesamteindruck. Taavi Soininvaara beweist erneut, dass er ähnlich wie Henning Mankell nicht einfach nur leicht vergängliche Spannungsliteratur schreibt, sondern Kriminalromane, die zum Nachdenken anregen und Konflikte aufdecken wollen, die vielleicht tatsächlich so passieren könnten. Für den vierten Soininvaara-Krimi würde ich mir allerdings wünschen, dass der sympathische Arto Ratamo wieder mehr ins Zentrum der Geschichte rückt!

Lukianenko, Sergej – Wächter des Zwielichts

Band 1: [„Wächter der Nacht“ 1766
Band 2: [„Wächter des Tages“ 2390

Sergej Lukianenko lädt uns in seinem dritten Teil der Wächter-Serie erneut dazu ein, mit ihm die verschiedenen Schichten des Zwielichts zu erkunden. Dieses Mal werden wir mit den Anderen bis in die fünfte Schicht des Zwielichts eintreten, die wir bislang nie kennen lernen durften. Ins Zwielicht können nur die so genannten Anderen eintreten, nämlich Menschen mit besonderen Kräften. Die Anderen teilen sich in die Dunklen und die Lichten ein, die einst einen Waffenstillstand geschlossen haben, der nun von der Tagwache und der Nachtwache kontrolliert wird. In diesem Waffenstillstand müssen sich die Kräfte der beiden Wachen stets ausgleichen, doch haben bereits die ersten beiden Bände der Wächter-Serie gezeigt, dass dieses Kräftegleichgewicht mehr als wackelig ist. Im vorliegenden Teil geht es jedoch nicht so sehr um die Zwistigkeiten zwischen den beiden Wachen, sondern um den Konflikt zwischen Menschen und Anderen, denn was sind überhaupt Andere? In diesem Buch verrät es uns Sergej Lukianenko …

_Tritt ein ins Zwielicht_

Im dritten Teil steht erneut der Lichte Anton im Mittelpunkt, mit dem in „Wächter der Nacht“ einst alles begonnen hat. Anton lebt inzwischen mit der mächtigen Anderen Swetlana zusammen, die ihm zuliebe aus der Wache ausgetreten ist. Die beiden haben eine kleine Tochter zusammen, deren Schicksal im ersten Teil bereits vorbestimmt worden ist und die voraussichtlich die mächtigste Andere aller Zeiten werden wird. Während Anton von seinem Chef Geser zu einem Auftrag weggeschickt wird, verbringt Swetlana mit ihrer Mutter und ihrer Tochter ihren Urlaub und fürchtet gleichzeitig um Antons Leben, da sie in die Zukunft schauen kann und spürt, dass er in eine Falle tappen könnte.

Mysteriöse Dinge sind aufzudecken, denn die beiden Moskauer Wachen und auch die Inquisition haben Briefe erhalten von jemandem, der sie darüber hinformieren will, dass ein Anderer einem Menschen alles über die Anderen verraten hat und diesen Menschen zu einem Anderen machen will. Wer hat aber diese Briefe geschrieben, denn die Adresse der Inquisition kennen alleine Geser und Sebulon?! Anton geht dem auf den Grund und trifft dabei auch auf seinen alten Freund Kostja, der inzwischen zu einem hohen Vampir geworden ist. Aber auch die Inquisition ist wieder durch einige Magier vertreten, um herauszufinden, wer einen Menschen zu einem Anderen machen möchte.

„Wächter des Zwielichts“ teilt sich wie schon die Vorgänger in drei Geschichten ein, die in diesem Fall allerdings eng miteinander verknüpft sind und immer Anton als Bezugsperson haben. Nachdem die mysteriöse Geschichte um die anonymen Briefe gelöst ist, fährt Anton nämlich zu Swetlana und seiner Tochter und trifft dort im Urlaub auf eine überaus mächtige Hexe, die sich jedoch nie hat registrieren lassen. Schon gehen die Ermittlungen also weiter, sodass Anton keinen Urlaub haben wird.

_Die faszinierende Welt der Anderen_

Sergej Lukianenko hat mit seiner Wächter-Serie eine Geschichte erschaffen, die auch weit über Russland hinaus erfolgreich ist, und dies nicht ohne guten Grund. Lukianenkos Welt der Anderen ist einfach nur faszinierend. Obwohl die Idee an sich einfach ist und wir Magier, Vampire und Werwölfe schon aus zahlreichen anderen Romanen kennen, hebt Lukianenko sich dennoch von der Masse der Fantasy-Schreiber positiv ab. Unter anderem liegt das darin begründet, dass seine Zeichnungen nicht schwarz-weiß sind. Die Lichten sind zwar die offiziell Guten und die Dunklen die Bösen, doch haben wir bereits in den ersten beiden Teilen der Wächter-Reihe gelernt, dass auch die Lichten ihre dunklen Seiten haben und sogar der mächtige Geser, der die Nachtwache anführt, immer wieder neue Intrigen spinnt und seine eigenen Wächter für seine egoistischen Zwecke benutzt oder sogar missbraucht.

Dass der Leser dennoch eher mit den Lichten mitfiebert als mit den Dunklen, liegt sicherlich in der Person des Anton begründet, der immer wieder auftaucht und in einigen der Geschichten unsere Bezugsperson ist, die wir auf Schritt und Tritt begleiten. Anton wird zu einem guten Bekannten, der uns nur allzu menschlich erscheint. Antons Schicksal ist dadurch vorbestimmt, dass er nie ein ganz mächtiger Anderer werden wird, immer wird er im Schatten seiner Freundin Swetlana stehen, die schon jetzt mächtiger ist als er. Aus Liebe zu Anton ist Swetlana zwar aus der Wache ausgetreten, dennoch nagt es immer wieder an Anton, dass sowohl Swetlana als auch seine Tochter über höhere Kräfte verfügen werden als er selbst. Dass dies Antons Stolz verletzt und ihn an sich selbst zweifeln lässt, ist nur natürlich, auch wenn sich Antons Zorn dadurch oft genug gegen seine eigene Freundin richtet, die ihn in dieser Hinsicht immer wieder übertreffen wird. Wir lernen im Laufe der Erzählung immer neue Seiten von Antons Charakter kennen, der für uns dadurch immer vollständiger wird. Doch das Schicksal hält auch für Anton dieses Mal noch einige Überraschungen bereit, die ihn einen großen Schritt nach vorne machen lassen.

Ein sehr interessanter Konflikt ist in „Wächter des Zwielichts“ der zwischen Anton und seinem früheren Nachbarn Kostja, der zu einem mächtigen Vampir aufgestiegen ist. Anton weiß, auf welche Weise ein Vampir zu solcher Macht gelangt, nämlich dadurch, dass er Menschen aussaugt. Aus Angst vor den möglichen Enthüllungen ist Anton daher bisher davor zurückgeschreckt, Kostjas Akte zu lesen, in der festgehalten ist, wie viele Menschen zu seinen Opfern geworden sind. Obwohl Anton und Kostja auf unterschiedlichen Seiten stehen, haben sie ihre frühere Freundschaft noch nicht vergessen und hängen daher ihren eigenen wehmütigen Erinnerungen nach. Lukianenko nutzt diese alte Freundschaft aus und spinnt darum einen Konflikt, der in „Wächter des Zwielichts“ zu weit reichenden Konsequenzen führen könnte.

_Faszinosum Lukianenko_

Sergej Lukianenko spinnt in diesem dritten Band „Wächter des Zwielichts“ seine Geschichte der Anderen weiter und bedient sich wieder seiner erfolgversprechenden Elemente: Auch in diesem Teil streut Lukianenko Gerüchte und Verdachtsmomente ein, die die Protagonisten, aber auch die Leser zum Nachdenken bringen. Besonders Geser und Sebulon bleiben in ihrer Charakterzeichnung stets undurchsichtig, auch wenn Sebulon in diesem Buch nur eine kleine Nebenrolle spielt. Immer wieder gibt es Momente, in denen die anderen das Gefühl haben, dass jemand hinter all den mysteriösen Ereignissen steckt, der eigene Ziele verfolgt und die Anderen dafür missbraucht. Aber Lukianenko lässt uns stets so lange wie möglich im Unklaren, sodass genug Gelegenheit bleibt, eigene Vermutungen anzustellen. Durch diese „Hinhaltetaktik“ animiert uns Lukianenko natürlich dazu, seine Geschichte immer weiter zu verfolgen und seine Bücher weiter zu lesen, da wir auf eine echte Aufklärung für manche Geschehnisse hoffen, die bislang ausgeblieben ist.

Wie schon in den beiden ersten Bänden der Wächter-Reihe ist auch „Wächter des Zwielichts“ in drei Geschichten unterteilt, die jeweils ein anderes „Problem“ thematisieren, doch in diesem Buch sind die Geschichten eng miteinander verwoben und gehen direkt ineinander über. Es sind keine Zäsuren eingebaut, sodass kaum Zeit zum Durchatmen bleibt. Die Lektüre erleichtert uns Lukianenko dieses Mal dadurch, dass stets Anton im Mittelpunkt steht und wir uns nicht immer neue Figuren kennen lernen, wie es im zweiten Teil „Wächter des Tages“ der Fall gewesen ist.

Lukianenko ist inzwischen zu einem Faszinosum geworden, seine Bücher verkaufen sich auch in der westlichen Welt hervorragend, sodass sicherlich schon wieder zahlreiche Buchfans sehnsüchtig auf die „Wächter der Ewigkeit“ warten, also auf den vierten Teil der Reihe. Lukianenko hat eine fantastische Welt geschaffen, in der Menschen und Andere zusammenleben, und in diesem dritten Teil wagt Lukianenko erstmals eine Erklärung, was Andere überhaupt sind. Dabei bedient er sich einfacher Grundsätze der Thermodynamik, die ich hier etwas merkwürdig fand, aber glücklicherweise hält er sich mit physikalischen Spekulationen weitgehend zurück, sodass man darüber hinwegsehen kann. Wer also wissen möchte, was Lukianenko sich unter den Anderen vorstellt, sollte unbedingt zu den „Wächtern des Zwielichts“ greifen.

_Und wieder heißt es warten_

Ungeduldig habe ich auf das Erscheinen des dritten Teils der Wächter-Reihe gewartet, doch habe ich es wieder nicht geschafft, den Lesegenuss hinauszuzögern. Dies macht Lukianenko praktisch unmöglich, da er genau an den richtigen Stellen Cliffhanger einbaut und seine Hauptfiguren immer wieder in gefährliche Situationen geraten lässt, die dringend überwunden werden müssen. Das Erzähltempo in „Wächter des Zwielichts“ empfand ich als noch höher als bei den beiden Vorgängerbänden. Die Übergänge zwischen den einzelnen Geschichten waren fließend, sodass ich dieses Buch praktisch nicht aus der Hand legen konnte, was mit Sicherheit aber auch auf die gelungene Figurenzeichnung zurückzuführen ist. Von allen auftretenden Figuren lernen wir neue Seiten und Eigenarten kennen, sodass sich langsam aber sicher ein immer detaillierteres Bild der Hauptcharaktere zusammensetzt.

„Wächter des Zwielichts“ überzeugt auf ganzer Linie und führt überzeugend fort, was Lukianenko in „Wächter der Nacht“ und „Wächter des Tages“ bereits begonnen hat. Diese Wächter-Serie ist zu Recht so erfolgreich und ich warte schon jetzt wieder sehnsüchtig auf das Erscheinen der [„Wächter der Ewigkeit“! 3594

http://www.heyne.de
http://lukianenko.ru/eng/

|Anm.: Zuvor erscheint bei Heyne Anfang 2007 noch die 700-seitige Space-Opera [„Spektrum“.]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3453522338/powermetalde-21 Man darf gespannt sein.|

Parsons, Tony – Erzähl mir nichts von Wundern

Tony Parsons zählt neben Nick Hornby zu den wichtigsten Vertretern populärer Gegenwartsliteratur. Seine Karriere startete er als Musikkritiker. In „Erzähl mir nichts von Wundern“ zeigt er jedoch, dass er weitaus mehr kann als über Musik zu schreiben. Hier zeigt er eine so weibliche und gefühlvolle Seite, dass man fast meinen könnte, dass sich eine Frau hinter diesem Namen verbergen müsste. „Erzähl mir nichts von Wundern“ stieg auf Anhieb in die englischen Bestsellerlisten ein und eroberte dort Platz 1 – und das sicher nicht unverdient.

Cat, Jessica und das Nesthäkchen Megan sind noch Kinder, als ihre Mutter Olivia Jewell die Familie verlässt, um Karriere zu machen. Von einem Tag auf den anderen ist die Mutter aus dem Leben der drei Mädchen verschwunden und die drei werden fortan mehr oder minder gut von ihrem Vater und wechselnden Au-pair-Mädchen versorgt. Doch insgeheim ist es die älteste Tochter Cat, die nicht nur eine stetig wachsende Wut ihrer Mutter gegenüber hegt, sondern die auch stets für ihre Schwestern da ist und sich sogar selbst das Kochen beibringt, damit es nicht immer nur Fertiggerichte und Tiefkühlkost gibt.

Auch wenn man es kaum für möglich halten möchte, so meistern die drei Mädchen ihre Kindheit und Jugend doch beachtlich und wachsen zu selbstbewussten und hübschen Frauen heran. Cat allerdings hat die Nase gestrichen voll vom Familienleben, sie lebt ihr eigenes Leben, arbeitet in einem angesagten Restaurant und ist froh über ihren Freund, der seine Sterilisation bereits hinter sich hat. Jessica ist das genaue Gegenteil: Nachdem sie mit 16 ein Kind abtreiben musste, versucht sie nun verzweifelt, schwanger zu werden, bevor ihre biologische Uhr allzu laut zu ticken beginnt. Ihr liebender Ehemann Paulo unterstützt sie in diesem Vorhaben, auch wenn es bedeutet, dass er mit seiner Frau nur noch Sex nach der „Eieruhr“ hat und nach Hause zu eilen hat, wenn der Eisprung erfolgt ist. Der große Kinderwunsch Jessicas belastet die Ehe, doch Paulo liebt seine Frau über alles und will kein noch so großes Problem zwischen sie treten lassen.

Megan ist derweil im letzten Jahr Ärztin im Praktikum und steht ihrer Approbation näher denn je, als sie feststellen muss, dass sie schwanger ist. Nachdem sie ihren Langzeitfreund Will mit der Hand auf dem Po einer anderen Frau erwischt hat und dieser seine Schuld sogar eingesteht und seine Untreue darauf schiebt, dass er als Mann seinen Samen nun einmal weit streuen müsse, hat Megan einen One-Night-Stand mit dem australischen Tauchlehrer Kirk, von dem sie auch gleich schwanger wird.

„Erzähl mir nichts von Wundern“ erzählt die Geschichte von drei erwachsenen Frauen, die versuchen, ihre Kindheitstraumata abzulegen und eine eigene Familie zu gründen und vor allem, ihr Glück im Leben zu finden. Doch auf dem Weg dahin sind noch einige Hürden zu nehmen, außerdem hat Tony Parsons genug Irrwege eingebaut, die die drei Frauen zu meistern haben, am Ende aber ist es wohl der Leser, der am traurigsten ist, weil er nämlich Abschied nehmen muss von drei beachtlichen Frauen, mit denen man im Laufe der Erzählung Freundschaft geschlossen hat.

Tony Parsons erzählt uns hier von Wundern, auch wenn er im Buchtitel zum Gegenteil auffordert. In dieser Geschichte lernen wir die drei Schwestern Cat, Jessica und Megan Jewell kennen, die nach dem Auszug ihrer Mutter schon früh auf sich alleine angewiesen sind und dadurch zu einem eingeschworenen Team werden. Auch im Erwachsenenalter stehen die drei jungen Frauen sich nahe wie wohl wenige Geschwister, sie treffen sich regelmäßig und teilen all ihre Sorgen.

In seiner Charakterzeichnung beweist Tony Parsons ein beachtliches Fingerspitzengefühl; hier überzeugt er auf ganzer Linie und kreiert drei Charaktere, in die man sich beim Lesen stets einfühlen kann:

Cat ist die älteste der drei Geschwister, die bereits im zarten Alter von nur elf Jahren das Leben der drei Mädchen in die Hand nimmt, als Jessica noch sieben ist und Megan ein Kleinkind von nur drei Jahren. Cat wird schneller reif und erwachsen, als ihr lieb ist, allerdings entwickelt sie auch einen tiefen Hass auf ihre egoistische Mutter, die alleine ihr eigenes Wohl im Sinn hatte, als sie ihren Mann und die drei gemeinsamen Kinder sitzen gelassen hat. Im Erwachsenenalter ist Cat zwar eine glückliche und erfolgreiche Frau, der allein ihre Freiheit wichtig ist, doch tief in sich bemerkt Cat mit der Zeit, dass sie doch noch nicht alles hat zum Glück. Sie ist überzeugt davon, den richtigen Mann fürs Leben gefunden zu haben und sieht es als Bonus, dass dieser bereits seine Familienplanung abgeschlossen hat. Doch es braucht lange, bis Cat sich eingesteht, dass Freiheit ihr nicht das Wichtigste ist.

Jessica ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von Cat, sie wirkt deutlich sensibler und unselbständiger als ihre große Schwester. Nachdem Cat in der gemeinsamen Kindheit immer für Jessica gesorgt hat, steht ihr nun ihr Mann Paulo zur Seite, der sie abgöttisch liebt und alles für seine Frau tun würde. Das erste richtige Unglück, das über Jessica einbricht, ist die ungewollte Kinderlosigkeit. Sie kennt ihren Zyklus in- und auswendig, sie misst ihre Temperatur und bestimmt gewissenhaft ihren Eisprung, um dann sogleich ihren Mann zu sich zu bestellen, um mit ihm Sex zu haben und um im Anschluss daran still liegen zu bleiben. Am Ende versuchen sie es mit künstlicher Befruchtung, bis Jessica plötzlich merkt, dass sie für diese Prozedur keine Kraft mehr hat. Sie gibt ihren großen Kinderwunsch auf, obwohl sie weiß, dass auch Paulo sich so sehr ein Baby wünscht.

Megan ist der Überflieger der drei Mädchen; sie geht ihren Weg und ist bislang problemlos durch ihr Studium und auch die weitere Zeit ihrer Arztausbildung gegangen. Megan möchte die Welt verändern und verbessern, sie möchte sich Zeit nehmen für ihre Patienten, auch wenn ihnen eigentlich nur fünf Minuten zugestanden werden sollten, doch dann macht Megan ihren ersten Fehler: Sie wird schwanger und das zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Als Megan beschließt, das Kind abzutreiben, sind es Jessica und Cat, die sie in die Klinik begleiten und ihr beistehen. Noch wissen die drei jungen Frauen allerdings nicht, wie sehr dieses Erlebnis ihr Leben verändern wird.

Tony Parsons zeichnet drei völlig unterschiedliche Charaktere, doch im Grunde genommen haben alle drei Frauen den gleichen Wunsch, sie haben in ihrer Kindheit Ähnliches durchgemacht und sind nun auf der Suche nach ihrer eigenen Familie. Diese drei authentischen Charaktere sind es, die den Reiz des Buches ausmachen. Cat, Jessica und Megan werden bei der Lektüre zu guten Freundinnen, wir stehen ihnen in allen Lebenslagen bei, wir kennen ihre Gefühle in- und auswendig und wir trauern bei allen Rückschlägen mit ihnen mit. Tony Parsons schafft es, drei Frauenfiguren zu erschaffen, die jede für sich zu überzeugen weiß und die jede für sich für einen anderen Typ Frau steht, sodass die meisten Leserinnen hier Anknüpfungspunkte finden werden. In allen Situationen bleiben die Frauen glaubwürdig, auch wenn Parsons sich zugegebenermaßen an manchen Stellen doch einiger Klischees bedient. Auch ist das Buch sicherlich nicht frei von Kitsch – insbesondere wenn man an das Buchende denkt -, doch sieht man Parsons dies alles nach, weil er uns einen so gefühlvollen Einblick in das Leben der drei Jewel-Frauen ermöglicht und uns dabei selbst zum Nachdenken animiert, dass man über derlei Nebensächlichkeiten gerne hinwegsieht.

Tony Parsons schreibt über Frauen, über unerfüllte Kinderwünsche, über Abtreibung, künstliche Befruchtung, Beziehungsprobleme und den Wunsch nach einem kleinen bisschen Glück, und jedes Thema schildert er eindrucksvoll und einfühlsam. Es ist erstaunlich, wie glaubwürdig er die Probleme, Wünsche und Gedanken seiner drei weiblichen Protagonistinnen schildern kann, da könnten sich durchaus einige Autorinnen eine Scheibe abschneiden.

„Erzähl mir nichts von Wundern“ ist ein wundervoller Roman über das Leben, über die Liebe, über die Familie und über geheime Sehnsüchte, es ist ein Buch, das zum Träumen einlädt, zum Nachdenken anregt und für wohlige Stimmung beim Lesen sorgt. Als ich das Buch am Ende zuklappte, hatte ich einen Kloß im Hals und feuchte Augen, weil „Erzähl mir nichts von Wundern“ mich so gefangen genommen hat, dieses Buch hat mich in eine andere Welt entführt und mir ganz erstaunliche Frauen vorgestellt, die versuchen, ihren Weg zu gehen. Leider dürfen wir als Leser nur einen Teil des Weges mit ihnen gehen, aber auch dies ist ein wirklicher Gewinn!

http://www.piper.de

Manon Spierenburg – Soap Fabrik

Die niederländische Autorin Manon Spierenburg kennt sich aus in der Welt der Daily Soaps. Einst gehörte Spierenburg zur Projektleitung der niederländischen Ausgabe von „Gute Zeiten schlechte Zeiten“ (kurz: GZSZ – Abkürzungen sind nämlich „in“), nun schreibt sie einen spritzigen Roman über ihre Erfahrungen im Daily-Soap-Business.

Unser Romanheld ist Job Duivenkater, der stark auf die dreißig zugeht und eigentlich lieber einen richtigen Roman schreiben will. Doch um sein Leben zu finanzieren, verdingt er sich als Soap-Autor und schreibt Szenen für die erfolgreichste niederländische Daily Soap – „Die Welt dreht sich weiter“-, die liebevoll kurz DWDSW genannt wird und etwas weniger liebevoll DWDD für „Die Welt dreht durch“. Die Arbeitsatmosphäre bei DWDD ist kurz gesagt katastrophal, hier will sich jeder profilieren, und wer einmal in die Projektleitung aufgestiegen ist, der tritt ordentlich nach unten und zeigt seinen einfachen Szenenschreiberlingen, wer hier der Chef ist.

Manon Spierenburg – Soap Fabrik weiterlesen

Croix, Guillaume de la – Wie Tom Cruise mein Leben stahl

|“Du sollst zittern, kleiner Tom. Ich kenne das schreckliche Geheimnis, das du hinter deinem legendären Ultrabright-Lächeln und deiner fetten Sonnenbrille verbirgst. Ich weiß noch nicht, wie du es geschafft hast, aber denk nur nicht, dass du so einfach davonkommst, du Mistkerl. Du bist schuldig, und du wirst bestraft werden. Heute steht dein Name für Ruhm und Geld, morgen aber ruft er nur noch Wut und Ekel hervor. Man streicht ihn von allen Plakaten und aus allen Vorspannen der Filme, in denen du mitgespielt hast. Selbst deinen Bronzestern am Hollywood Boulevard wird man herausreißen. Was für ein Niedergang! Was für ein tragisches Ende für einen Mann wie dich, der vor Geld und Berühmtheit nur so zum Himmel stinkt!“|

Mit diesen Worten beginnt Guillaume de la Croix‘ Abrechnung mit Tom Cruise, der dem französischen Autor das Leben gestohlen hat. Das Leben gestohlen? Wie soll das denn gehen? Eine gute Frage, die ich mir vor dem Buchkauf auch gestellt habe, um sie von de la Croix beantwortet zu bekommen, doch Fehlanzeige. Um diese Frage laviert sich der Autor geschickt herum. Mag diese Frage auch der Aufhänger für viele Buchkäufer gewesen sein, so stellt der Leser dann fest, dass es in diesem Buch vordergründig doch um ganz etwas anderes geht als um den Diebstahl fremden Lebens, wie auch immer dieser vonstatten gehen mag.

Doch Guillaume de la Croix‘ Rache ist mit dieser Drohung noch lange nicht beendet. Als der etwas übergewichtige französische Autor im Fernsehen Tom Cruise sieht, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen: Tom Cruise ist |er|, der berühmte Hollywood-Star hat ihm, dem unbekannten und bemitleidenswerten Guillaume de la Croix, das Leben gestohlen! De la Croix beschließt, den berühmten Schauspieler vor Gericht anzuklagen. Als Tom Cruise den besten Anwalt Hollywoods engagiert und de la Croix‘ Anwalt darauf besteht, eine dubiose Astrologin als Zeugin der Anklage aussagen zu lassen, sieht de la Croix seine Felle schwimmen. Als jedoch überraschend Gott als Zeuge gegen Cruise aussagt, ist das Urteil gefällt. Tom Cruise verschwindet fortan in der Versenkung, während bei Guillaume de la Croix schon bald Steven Spielberg anklingelt, um dem neuen Star Hollywoods zu seiner ersten Filmrolle zu verhelfen.

Für Guillaume de la Croix beginnt eine scheinbar wunderbare Zeit, er wird der bekannteste Schauspieler Hollywoods. Bis auf eine Ausnahme sackt er jedes Jahr den Oscar für den besten männlichen Hauptdarsteller ein, in einem Jahr sogar den Oscar für die beste weibliche Hauptdarstellerin, als er einen Transvestiten spielt. De la Croix räumt in Hollywood ab, was es abzuräumen gibt. Im Buch abgedruckt sind bereits einige Zeitungszitate von Guillaume de la Croix, die seine unglaubliche Popularität dokumentieren, und auch Bildunterschriften, die im Laufe der kommenden Jahre vom Leser mit den entsprechenden Zeitungsfotos zu ergänzen sind.

Je weiter die Handlung fortschreitet, umso abstruser werden die Dinge, die uns Guillaume de la Croix zu präsentieren hat. Sein Ruhm erreicht bislang unbekannte Grenzen, er kann jede Frau haben, die er sich wünscht und hat trotzdem eine liebende Frau an seiner Seite, die bis zuletzt zu ihm hält. De la Croix wird so berühmt, dass sogar Kaugummi mit dem mutmaßlichen Geschmack seines Spermas produziert wird. Doch zum Ende hin muss der Star erkennen, dass Ruhm und Popularität vielleicht doch nicht alles sind. Besonders bitter fällt Guillaume de la Croix‘ zweites Treffen mit Gott aus, als er erfährt, was eigentlich wirklich gespielt wurde. Mit diesem Ende hatte wohl niemand gerechnet, schon gar nicht de la Croix, der diesen Schlag erst einmal zu verdauen hat …

Als hätte es Guillaume de la Croix geahnt, erscheint seine „Lebensbeichte“ zu einer Zeit, in der Tom Cruise fast ausschließlich negative Schlagzeilen schreibt und kurz vor seinem Rauswurf bei Paramount Pictures steht, denen seine übertriebene Scientology-Werbung zu viel des Guten wurde. Fast könnte man vermuten, de la Croix hätte seine Finger im Spiel gehabt, denn die Sterne scheinen für Cruise im Moment tatsächlich nicht so gut zu stehen, während Guillaume de la Croix mit seinem spitzfindigen Roman aufhorchen lässt.

Spritzig und voller Wortwitz wird uns die wahre Geschichte Hollywoods erzählt, eine Geschichte, die auf den ersten Blick voller Geld und Glamour steckt, die hinter der Fassade allerdings viel mehr offenbart. Hollywood bedeutet nicht nur Erfolgsgeschichten, der Stern eines Stars kann schneller sinken, als es ihm lieb ist, außerdem droht das nahende Alter, das in Hollywood als schwerwiegender als eine Krebserkrankung betrachtet wird. Guillaume de la Croix verrät uns zwar nicht, wie Tom Cruise es geschafft hat, ihm sein Leben zu stehlen, aber er zeigt dafür ganz andere Dinge auf. Völlig schonungslos deckt er die Macken der Hollywoodstars auf und ihre übertriebene Dekadenz; Guillaume de la Croix nimmt kein Blatt vor den Mund und spielt den Prototypen des arroganten Schauspielers, der ohne Ende Geld scheffelt, gleichzeitig aber alle andere Menschen ausnutzt und sich fast ausschließlich von Alkohol und Drogen ernährt. Das makellose Bild Hollywoods beginnt durch Guillaume de la Croix‘ Feder zu bröckeln.

Auch wenn man also mit falschen Erwartungen an dieses Buch herangeht, beschert es einem doch eine vergnügliche Lesezeit, die angesichts des stolzen Taschenbuchpreises von 12 € allerdings sehr gering ausfällt. Das schmale Büchlein umfasst gerade einmal 280 Seiten, von denen etliche leider unbedruckt geblieben sind. Schade, dass dieser überteuerte Preis sicher einige Leser von diesem Buch abhalten wird, denn auch wenn wir wohl niemals erfahren werden, wie Guillaume de la Croix sich den Diebstahl fremden Lebens vorstellen mag, hält dieses Buch doch einige positive Überraschungen bereit und bringt unsere Vorurteile gegenüber Hollywood in amüsanter und lesenswerter Weise auf den Punkt.

http://www.piper.de

Sittenfeld, Curtis – Eine Klasse für sich

|“Ich war nicht unbeteiligt, ich war nicht desinteressiert, Aspeth wollte mir ganz bestimmt nicht näherkommen, und ich war einer der uncoolsten Menschen, die ich kannte – alles, was ich tat, war, meine Mitschüler zu beobachten, mich über sie zu wundern, über ihre Unbekümmertheit zu staunen und an der gähnenden Kluft zwischen uns, an meiner elenden Verklemmtheit und totalen Unfähigkeit, mich locker zu machen, zu verzweifeln. Und mir nichts zu Herzen nehmen? Ich nahm mir alles zu Herzen – nicht nur die Reaktionen der anderen, ihre Gesten und ihren Tonfall, sondern auch Sinneseindrücke, den Geruch des Windes, die Deckenleuchten im Mathetrakt, die Lautstärke des Radios im Badezimmer, wenn ich mir die Zähne putzte.“|

|“Großartig! ‚Eine Klasse für sich‘ macht so süchtig wie M&Ms“| verkündet der |Boston Globe| und bringt es auf den Punkt: Curtis Sittenfelds Erstlingsroman wurde nicht nur von der |New York Times| zu einem der zehn besten Bücher des Jahres 2005 gekürt, dieses Buch erzählt auf hervorragende Weise die etwas andere Internatsgeschichte und macht dabei schon jetzt mehr als neugierig auf Sittenfelds zweiten Roman, der im nächsten Jahr im |Aufbau|-Verlag erscheinen wird.

_Eine nicht ganz alltägliche Internatsgeschichte_

Im vorliegenden Roman erzählt uns Lee Fiora, die mit 14 Jahren ihre Familie verlässt, um auf das Elite-Internat Ault zu gehen, ihre Geschichte. Obwohl Lees Vater ein einfacher Matrazenhändler aus der Provinz ist, hegt Lee schon einige Jahre vor ihrer Highschoolzeit den Wunsch, auf ein angesehenes Internat zu gehen, auf das auch reiche und erfolgreiche Eltern ihre Kinder schicken. Eigenhändig bewirbt Lee sich an verschiedenen Internaten und entscheidet sich schlussendlich für Ault, weil sie dort gleichzeitig ein Stipendium erhalten kann, das den Großteil ihrer Schulgebühren decken wird.

Angekommen in Ault, stellt Lee fest, dass es dort nicht so ist, wie die Hochglanzprospekte glauben machen wollen. Lee kämpft um ihre einst guten Noten und sehnt sich nach echten Freunden. Doch von Beginn an wird Lee Fiora zur Außenseiterin; man scheint es ihr anzusehen, dass ihre Eltern nicht im Geld schwimmen und ihr Vater eben nicht bei der Bank arbeitet. Je einsamer Lee wird, umso genauer beobachtet sie ihre Schulkameraden und umso größer wird ihr Wunsch, akzeptiert zu werden und dazuzugehören. Als es eines Tages überraschungsfrei gibt, beschließt Lee spontan, in die Stadt zu fahren, um sich dort Ohrlöcher stechen zu lassen. Beim Stechen wird Lee ohnmächtig, findet sich allerdings kurz darauf in den Armen des bestaussehenden Mitschülers ihrer Jahrgangsstufe – Cross Sugarman – wieder, der sich liebevoll um Lee kümmert und sie abends auch zu einem Kinoabend mit seinen Freunden einlädt. Auf dem Rückweg legt Cross wie selbstverständlich im Taxi seinen Arm um Lee und streichelt ihre Haare. Lee schwebt im siebten Himmel, weiß jedoch nicht, dass es lange dauern wird, bis sie Cross wieder so nahe kommen wird.

Über eine Mitschülerin lernt Lee die hübsche Martha Porter kennen, die Lee ebenfalls für eine Außenseiterin hält. Lee und Martha werden beste Freundinnen und teilen sich fortan das Zimmer. Die beiden Mädchen werden praktisch untrennbar; als Martha jedoch zum Senior Prefect gewählt wird, bricht für Lee eine Welt zusammen, denn sie muss erkennen, dass sie doch alleine dasteht in ihrer Rolle als Außenseiterin. Doch damit nicht genug, warten noch weitere bittere Erkenntnisse auf Lee, die ihr weiteres Leben prägen werden…

_Lebensbeichte_

Curtis Sittenfeld ist mit „Eine Klasse für sich“ ein beachtliches Debüt gelungen, das von der ersten Seite an mitzureißen weiß. Das gesamte Buch ist aus Lee Fioras Sicht erzählt, die den Leser an all ihren Gedanken teilhaben lässt. Schon von Beginn an wird deutlich, mit welcher Traurigkeit und Sehnsucht Lee an ihre Highschoolzeit in Ault zurückdenkt. Vielleicht hat alles seinen Anfang genommen, als ein Mitschüler ein Referat über das gleiche Thema hält, auf das auch Lee sich vorbereitet hat. Ab dieser Stunde scheint alles schief zu gehen. Lees Noten werden schlechter und als Lee eine Diebin identifizieren kann, fühlt sie sich mitschuldig, als dieses Mädchen das Internat verlassen muss.

Von Anfang an kapselt Lee sich von ihren Mitschülern ab, sie verteilt Absagen, bis sie von niemandem mehr Einladungen zu Partys oder Ausflügen erhält. Lee gerät in einen Teufelskreis, und das nur deshalb, weil sie gedacht hatte, sie wäre nur dann erwünscht, wenn alle anderen in hysterische Begeisterung ausbrechen würden. So kommt es schließlich, dass Lee die meisten Gelegenheiten verpasst, um Freunde und Anerkennung zu finden. Stattdessen zieht sie sich immer mehr zurück, um ihre Mitschüler genau zu beobachten und zu analysieren. In der Zeit, in der Lee Fiora uns ihre Geschichte erzählt, hat sie ihre verpassten Gelegenheiten bereits erkannt, was dem ganzen Buch einen Hauch von Traurigkeit und Bitterkeit anhaften lässt, weil Lee darüber nachsinnt, wie ihr Leben in Ault hätte verlaufen können, wenn sie sich in manch einer Situation anders verhalten hätte.

In der Rückbetrachtung hat Lee bereits viele Situationen ausgemacht, in denen es nur eine Winzigkeit erfordert hätte, um ihrem Leben eine positive Wendung zu geben. Während uns Lee ihre Lebensgeschichte erzählt, weiß sie bereits, welchen Ausgang die Dinge in Ault für sie genommen haben, deswegen erhalten auch alle positiven Erlebnisse einen Hauch drohenden Unglücks. Schon als Cross seinen Arm um Lee legt und diese im siebten Himmel schwebt, kann man erahnen, dass die Beziehung zwischen Lee und Cross keinen guten Ausgang nehmen kann.

_Schreibweisen_

Mit unglaublich viel Liebe zum Detail, Fingerspitzengefühl und einem sehr feinen Gespür für Sorgen und Nöte von ganz gewöhnlichen Teenagern deckt Curtis Sittenfeld die kleinen und großen Dramen des Lebens an einer Eliteschule auf. Sittenfeld erzählt uns von Lee, die einfach nur akzeptiert werden möchte und um Anerkennung kämpft, von Dede, die sich verzweifelt an die beliebte Aspeth klammert, um vielleicht einen Teil der Aufmerksamkeit abzubekommen, und wir lernen die stille Sin-Jun kennen, die eines Tages völlig überraschend versucht, sich das Leben zu nehmen.

Curtis Sittenfeld beschreibt das Leben in Ault so lebendig, als wäre man selbst dabei. Stets dringt sie in die Tiefe, nie beobachtet sie die Menschen oberflächlich oder nachlässig. Sie versucht immer, uns die Handlungen und Gedanken der Figuren näher zu bringen und schafft dieses auf hervorragende Weise. Wir können die Mädchen und Jungen sehr gut verstehen, auch wenn sie eigentlich noch so widersinnig handeln mögen. Vor allem Lee wird beim Lesen zu einer guten Freundin. Immer ist sie bemüht, sich möglichst unauffällig zu benehmen, dabei wünscht sie sich so sehr echte Freunde. Ihre Wünsche und Gedanken sind so menschlich, nachvollziehbar und dabei aber auch so verzweifelt, dass man Lee Fiora am liebsten in den Arm nehmen und trösten möchte. Wie gut kann man selbst doch noch die Nöte eines Teenagers nachvollziehen, der um Freundschaft ringt und später vielleicht feststellen muss, dass in entscheidenden Situationen etwas schief gegangen sein muss. Zwischendurch würde man Lee gerne die richtigen Worte einsoufflieren, weil man ihr so sehr ihr kleines bisschen Glück wünscht, aber immer wieder muss man hilflos mit ansehen, dass Lee in ihr eigenes Unglück rennt und sich dabei selbst immer trauriger macht.

Curtis Sittenfeld verleiht in ihrem Debütroman all den Kindern und Jugendlichen eine Stimme, die um Anerkennung kämpfen, aber im Schulalltag – aus welchen Gründen auch immer – nicht bestehen können. Bei diesen Jugendlichen ist es nicht alleine die Pubertät, die für Kummer sorgt, sondern es ist die fehlende Akzeptanz und es sind die fehlenden Freunde. Im Nachhinein überrascht mich Sittenfelds Erfolg in den USA doch ein wenig, da sie Lees Unglück größtenteils an ihrem zu geringen sozialen Status festmacht, der sie an einer Eliteschule automatisch zu einer Außenseiterin werden lässt. Umso erfreulicher aber, dass ein so nachdenklich stimmender Roman seine verdiente Anerkennung erhält.

_Eine Elite unter den Büchern_

„Eine Klasse für sich“ ist nicht nur inhaltlich ein sehr schönes Leseerlebnis, Curtis Sittenfeld überzeugt auch mit ihrem flüssigen und angenehm lesbaren Schreibstil, der es ermöglicht, dass sich die Seiten praktisch von alleine lesen. Was das Buch aber in erster Linie zu einem absoluten Vergnügen macht, ist die gefühlvolle Schilderung Lee Fioras, von der man sich beim Zuklappen des Buches regelrecht verabschieden muss, weil sie einem so ans Herz gewachsen ist. Man freundet sich beim Lesen so sehr mit Lee an, dass man es nicht erwarten kann, endlich zu erfahren, was alles in Lees Schulzeit geschehen ist, das sie zu einem so traurigen Menschen gemacht hat. Curtis Sittenfeld hat mit ihrem Debütwerk einen beachtlichen und überaus lesenswerten Roman vorgelegt, dem man auch hier in Deutschland einen großen Verkaufserfolg wünscht – schwer vorstellbar, dass man von diesem Buch nicht tief berührt werden könnte.

http://www.aufbau-verlag.de

Heim, Uta-Maria – Dreckskind

„Dreckskind“ ist der aktuelle Roman der preisgekrönten deutschen Autorin Uta-Maria Heim. Bereits zweimal wurde Heim mit dem Deutschen Krimi-Preis ausgezeichnet und einmal mit dem Friedrich-Glauser-Preis. Ihr aktuelles Romanwerk schmückt sich auf dem Buchrücken mit den lobenden Worten Ingrid Nolls, die der Meinung ist, Heim wäre mit „Dreckskind“ ein großer Wurf gelungen. Schauen wir uns dies genauer an…

In Stuttgart ist der Teufel los: Ein halbes Jahr nach der Ermordnung der kleinen Aranca Burlic verschwindet nun auch der erst sechsjährige Emil Walz von einer [Hocketse.]http://de.wikipedia.org/wiki/Hocketse Obwohl beide Fälle auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, wird eine gemeinsame Sonderkommission gegründet, die den beiden Verbrechen auf die Spur kommen will.

Arancas Mutter Svetlana hat den gewaltsamen Tod ihrer einzigen Tochter immer noch nicht verwunden, sie ist der festen Überzeugung, dass ihr Bruder Stanco die Schuld an Arancas Tod trägt, denn er handelt in dubiosen Kreisen mit Drogen. Svetlana ist sich sicher, dass Arancas Ermordung damit zu tun haben muss. Gleichzeitig fürchtet sie sich auch, als sie von Emils Verschwinden erfährt. Kennt sie die Familie Walz doch genauer, als sie dies der Polizei gegenüber zugeben will?

Emils Vater Gerd Walz ist verzweifelt. Genau einen Tag, bevor seine Frau aus der psychiatrischen Klinik entlassen werden sollte, wird Emil entführt. Was steckt bloß hinter dieser Tat? Oder hat vielleicht seine Frau etwas mit Emils Verschwinden zu tun? Emils große Schwester Elke erfährt bald Genaueres über Emils Verbleib, muss aber Stillschweigen bewahren, denn Emil lebt und wurde verschleppt, allerdings hängt sein Leben dennoch am seidenen Faden.

Die Ermittler der Sonderkommission haben alle Hände voll zu tun, denn zunächst findet sich nirgends eine Spur, die beide Fälle miteinander verknüpfen könnte, obwohl die meisten es doch im Gefühl haben, dass die Aufklärung des einen Falles auch das andere Verbrechen lösen dürfte. Ganz langsam entwirren sich die Fäden eines erst unübersichtlichen „Indizienknäuels“ und ganz allmählich werden uns die Hintergründe und Zusammenhänge aufgezeigt …

Uta-Maria Heim siedelt ihre Kriminalgeschichte in zwei kleinen schwäbischen Örtchen an, in denen die Bevölkerung bislang nicht mit derlei brutalen Verbrechen konfrontiert wurde. Schon früh ist dem Leser klar, dass die Lösung des Falls in der Vergangenheit zu suchen ist, denn den Einstieg in den Roman macht die Vorstellung Marthas, die uns von ihren zahlreichen Geschwistern berichtet und insbesondere von ihren beiden Brüdern Edmund und Emil, die beide nicht sehr alt geworden sind. Eines Tages wird Martha Zeuge, wie Emil von einem Zug überfahren und dabei geköpft wird. Als der Name „Emil“ schließlich auch in der Gegenwart auftaucht, sucht man zunächst ziellos den Zusammenhang mit Martha, doch muss der Leser etwas länger warten, bis Uta-Maria Heim ihre Joker ausspielt und uns erklärt, in welchem Verhältnis der kleine Emil Walz zu der alten [Klaiberin]http://de.wikipedia.org/wiki/Klaiben Martha steht.

Zu Beginn wirkt „Dreckskind“ etwas ziellos; man kann nicht einmal erahnen, welche Rolle Martha in dieser Geschichte spielt und warum sie sich anfangs so detailliert vorgestellt hat, doch wenn man als Leser langsam vergisst, dass es diesen Prolog gegeben hat, trifft man plötzlich wieder auf Martha und es fällt einem wie Schuppen vor den Augen, wie Heim ihre Protagonisten miteinander verwoben hat.

Apropos Protagonisten: Obwohl das Buch mit nur 374 Seiten eher schmal geraten ist, treten unzählige Charaktere auf den Plan und werden uns alle mehr oder weniger ausführlich vorgestellt. Leider kann keiner der Protagonisten Sympathien auf sich vereinigen; alle haben dermaßen komische Macken und Launen, dass man sich mit niemandem so recht anfreunden kann. Das führt dann auch dazu, dass man sich weder in eine der Personen hineinversetzen kann und will, noch mit einer der Personen mitfiebert.

Uta-Maria Heim präsentiert uns eine recht verworrene Geschichte, die nur langsam ihre Zusammenhänge offenbart und auch das scheinbar nur widerwillig. Es tauchen genug Figuren auf, die im Grunde genommen keine oder nur eine winzige Rolle spielen. Das führt leider dazu, dass man sich gar nicht alle Namen und die zugehörigen Lebensgeschichten merken kann. Auch streut Heim einige überraschende Wendungen ein, die man irgendwann kaum noch mitverfolgen kann. So bleibt das große Aha-Erlebnis schlussendlich aus, da man eigentlich nur froh ist, endlich zu wissen, was Aranca Burlic und Emil Walz miteinander zu tun haben. Heim verlangt von ihren Lesern schon einen recht langen Atem, zumal sie kaum spürbare Spannung aufbaut.

Besonders erschwerend kommt die Schwäbische Sprache hinzu, in der sich die meisten Protagonisten unterhalten, was in einem Hörbuch zwar nett klingen mag, was aber sehr lästig zu lesen ist:

|“Es dauert mich, aber mir pressiert’s. Also, ade!“ „Äll Hack ein neues Theater.“ „I verhebbs nimme.“ „Ha noi, ond des secht grad des Chefle!“ „Etzt haltet doch elle mol d‘ Gosch!“|

Wenn es nur darum gegangen wäre, dass aus dem Chef das unvermeidliche „Chefle“ geworden wäre, hätte ich die Verwendung des Schwäbischen sicher noch amüsant gefunden und ich muss gestehen, dass das gesprochene Schwäbisch durchaus Unterhaltungswert hat, aber in geschriebener Form ist es wohl doch eher Geschmackssache und für Schwaben oder hartgesottene Schwäbischfans gedacht.

Insgesamt macht es uns Uta-Maria Heim nicht einfach, sich in ihr Buch einzudenken und einzufühlen. Sie baut Zeitsprünge ein, um uns das Verschwinden Arancas näher zu bringen und um die beiden Familiengeschichten zu erzählen, um die es hier gehen soll. So fällt es doch nicht leicht, sich in diesem Buch zurechtzufinden, und das, obwohl die Grundidee des Buches durchaus vielversprechend war. Die Aufklärung, wie Emils Verschwinden und Arancas Ermordung zusammenhängen und welche Rolle Martha in all dem Kuddelmuddel spielt, gefällt im Grunde genommen gar nicht schlecht, doch muss ich gestehen, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits die Geduld mit dem „Dreckskind“ verloren hatte.

Insgesamt ist „Dreckskind“ ein sehr eigenwilliger Kriminalroman, der bestimmt seine Anhänger finden wird, ich persönlich würde es jedoch nicht als großen Wurf bezeichnen, da ich weder mit den Charakteren warm werden konnte noch mit Heims eigenwilliger Erzählweise.

http://www.gmeiner-verlag.de/

Welsh, Louise – Kugeltrick, Der

Die preisgekrönte britische Autorin Louise Welsh veröffentlicht mit „Der Kugeltrick“ ihren nunmehr dritten Roman und wird damit voraussichtlich ihre Erfolgsgeschichte fortsetzen. Ihre Bücher wurden bislang in 17 Sprachen übersetzt und bereits ihr Debütroman „Dunkelkammer“ erhielt mehrere Preise. Dieses Mal begleiten wir den Illusionisten und Magier William Wilson auf seiner Tour durch Europa …

_London_: In der englischen Metropole London nimmt die Geschichte um den Zauberer William Wilson ihren Lauf, hier tritt er wieder einmal in einem abgehalfterten Theater im Vorprogramm einer „erotischen Tanzgruppe“ auf. Bei seinem denkwürdigen Auftritt in London trifft es ihn besonders hart, denn er spielt den Anheizer für zwei Striptease-Tänzerinnen, die auf dem Abschiedsabend eines Polizeibeamten für Stimmung sorgen sollen. Williams Auftritt läuft mäßig, er fasst sich kurz und hofft, noch unbescholten von der Bühne zu kommen, doch hinter der Bühne wartet ein weiterer Auftrag auf ihn: Er soll dem pensionierten Beamten einen Umschlag aus dessen Anzugsjacke entwenden, wofür ihm ein ordentlicher Batzen Geld winkt, der auf einen Schlag Williams Finanzkrise beenden könnte. So wundert es nicht weiter, dass ihm auch dieser Auftrag gelingt. Unbemerkt klaut er den besagten Umschlag und bringt ihn zu seinem Auftraggeber, doch dann geht plötzlich alles schief, die beiden werden bei der Übergabe gestört und William flieht mit dem ominösen Umschlag.

_Berlin_: William kennt nur einen Wunsch: weg aus England! Und dieser Wunsch wird ihm tatsächlich erfüllt, als ihm sein Agent ein Engagement in der deutschen Hauptstadt besorgen kann. Dort soll William Wilson im „Spinnenetz“ auftreten, einem schäbigen Theater, wenn auch einem mit einem ganz eigenen Charme. Dort angekommen, verliebt sich William Hals über Kopf in die Freundin eines eingebildeten Muskelprotzes und muss erkennen, dass er auch hier zusammen mit erotischen Tänzern auf der Bühne stehen soll. Schon Williams erster Auftritt beginnt katastrophal, seine Zuschauer sind gelangweilt und warten ungeduldig auf den nächsten Showact, bis William eine Assistentin aus dem Publikum holt und dabei Sylvie kennen lernt. Noch weiß William allerdings nicht, wie sehr diese Begegnung sein Leben verändern wird …

_Glasgow_: Hier treffen wir auf William nach all den Geschehnissen, er lebt auf der Straße und besäuft sich jeden Abend besinnungslos. Er ist verzweifelt und heruntergekommen. Eines Abends schläft er neben einem Penner unter einer Brücke ein und bemerkt dabei gar nicht, dass dieser Penner kurz zuvor brutal ermordet wurde. Als William unsanft von Polizeibeamten geweckt wird, ahnt er, dass ihm neues Unheil droht …

In diesen drei europäischen Schauplätzen hat Louise Welsh ihre Kriminalgeschichte rund um den Zauberer William Wilson angesiedelt. Die Geschichte springt häufig zwischen den einzelnen Handlungsorten und damit auch in der Zeit hin und her. Schnell merkt der Leser, dass die Geschichte in London ihren Anfang genommen hat und in Glasgow enden wird. Berlin schließlich stellt eine Zwischenstation dar, in der allerdings ebenfalls ereignisreiche Dinge geschehen. Zunächst lassen sich die Ereignisse nicht eindeutig in die richtige Reihenfolge bringen, was jedoch auch die Spannung unweigerlich ansteigen lässt, da der Leser noch nicht ahnen kann, welche Episode genau zu Williams Verfall beigetragen hat. Die erste Vermutung erweist sich deswegen erst einmal als falsch, wie der Leser sehr spät bemerken wird.

In eindrucksvollen und ergreifenden Worten schildert uns Louise Welsh einen Ich-Erzähler, der sich mehr oder eher weniger erfolgreich als Illusionist und Mentalist verdingt, dabei aber schonungslos zu verstehen gibt, dass er auch nicht zur oberen Liga der Zauberer gehört und eigentlich eher in den kleinen Zaubertricks und Kartenkunststückchen gut ist. Im Laufe der Geschichte erleben wir jedoch eine erstaunliche Wandlung mit, denn während William anfangs zwar arm und recht erfolglos auftritt, hat er in Glasgow bereits mit seinem Leben abgeschlossen und teilt dort lieber sein Dosenbier mit irgendwelchen Obdachlosen. In schonungslosen Beschreibungen wird uns dieser Verfall näher gebracht:

S. 149: |“Trotz aller Warnungen war Alkohol offenbar ein ziemlich langsamer Killer. Kein Vergleich zu einem Messer im Bauch oder einer Kugel im Kopf. […] In der Taille war ich schon ziemlich auseinandergegangen. Zwischen meinen Fingern war eine Schuppigkeit, die nachts mehr juckte. Meine Haut hatte die breiige Blässe von Häftlingen nach einem halben Jahr Knast. Kosmetikartikel wie Deodorant und Rasierwasser hatte ich aufgegeben, wie auch meine Kontaktlinsen. Die Brille machte mich gleich noch drei Jahre älter, obwohl sie für meine derzeitigen Verhältnisse fast einen Hauch zu modisch war. Ich überlegte, ob ich mir nicht eine neue besorgen sollte, eine, die nicht so deutlich signalisierte, dass ich ein Mann war, der bessere Zeiten gekannt hatte. Mein Haar war auch länger geworden. Manchmal kam es zwei Wochen am Stück nicht mit Shampoo in Berührung, und Festiger und Gel und den ganzen Kram brauchte ich nicht.“|

Auch in zahlreichen anderen Situationen beweist Louise Welsh ihr überragendes Erzähltalent und ihre genaue Beobachtungsgabe. Viele Kleinigkeiten schmücken ihre Erzählung aus, die uns bei den Geschehnissen ganz nah dabei sein lassen, weil uns selbst das winzigste Detail nicht vorenthalten wird. Insbesondere in der Darstellung des Protagonisten aus dem Kugeltrick geht Welsh schonungslos und mit viel Liebe zum Detail zu Werke. Der Leser kann ihn förmlich auf der Bühne stehen und zaubern sehen. Allerdings weckt er eher Mitleid als Sympathien, weil er einfach zu tolpatschig und ohne Aussicht auf Erfolg zu Werke geht.

Doch die wunderbaren Beschreibungen sind nicht das Einzige, was diesen Kriminalroman kennzeichnet, denn umrahmt wird die Erzählung durch eine mysteriöse Kriminalgeschichte, die mit dem Diebstahl des geheimnisvollen Umschlags beginnt. Zunächst passiert dieser Teil der Geschichte ganz nebenbei, William denkt gelegentlich an den Umschlag zurück, den er zur Aufbewahrung an seine Mutter geschickt und sie damit wahrscheinlich in große Gefahr gebracht hat. Doch mit fortschreitender Zeit beginnt William Nachforschungen anzustellen, er öffnet den Umschlag und fängt an, Fragen zu stellen und darauf Antworten zu suchen. Wir begleiten ihn also auch auf seinen Ermittlungen und kommen mit ihm gemeinsam der Lösung des Geheimnisses auf die Spur.

Was aber hat der Kugeltrick mit all dem zu tun? Dies ist wiederum eine weitere Episode, die Teil des Buches ist. Der Kugeltrick ist ein sehr gefährlicher Zaubertrick, den William zusammen mit seiner Assistentin Sylvie auf der Bühne vorführt. Er ist dabei um einiges schwieriger und riskanter als der berühmte Trick, in dem Sylvie vor den Augen der Zuschauer durchgeschnitten und mit Messern aufgeschlitzt wird. Welche Rolle aber genau der Kugeltrick spielt, der sich während der Lektüre immer weiter aus den Gedanken der Leser stiehlt, um dann am Ende ganz plötzlich wieder aufzutauchen, das muss wohl jeder selbst herausfinden.

Am Ende lässt sich festhalten, dass Louise Welsh mit „Der Kugeltrick“ ein eindrucksvoller, aber doch auch ganz anderer Kriminalroman gelungen ist. Es geht nicht so sehr um eine vertrackte Mordermittlung, als vielmehr um William Wilsons Spurensuche und Vergangenheitsbewältigung. Die Kriminalgeschichte kann hierbei allerdings nicht ganz so sehr überzeugen wie die ausgefeilten Beobachtungen und Beschreibungen der Autorin, die uns alle Situationen so bildlich vor Augen führen, als säßen wir selbst im Publikum. „Der Kugeltrick“ ist ein Roman für Buchfreunde, die keine Effekthascherei brauchen und die sich gerne mit ihren Protagonisten auch in ein schummeriges und schmuddeliges Milieu begeben, um dem Ich-Erzähler bei seinem persönlichen Verfall zuzusehen. Als Charakterstudie, die sich herrlich lesen lässt, funktioniert der vorliegende Roman sehr gut, mit Autoren wie Henning Mankell kann und will es Louise Welch jedoch nicht aufnehmen. Wer also lieber eine blutige Mordserie miterleben will, sollte auf den nächsten Schwedenkrimi warten, alle anderen Buchfreunde sind mit Louise Welsh jedoch hervorragend bedient.

http://www.kunstmann.de/

Kürthy, Ildikó von – Höhenrausch

|“Mann, bin ich einsam. Sonntagabende sind meiner Empfindung nach für uns Alleinstehende aber auch immer besonders schwer zu bewältigen. Da bleibt man traditionellerweise zu Hause, kocht Nudeln, guckt ‚Tatort‘ und geht, von Sabine Christiansen vergrault, zeitig zu Bett. Der Sonntagabend ist ein ‚Wir-Abend‘. Und ich bin kein Wir mehr. Der Scheißkerl hat mich mit Sabine Christiansen allein gelassen.“|

Wieder einmal spricht Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy ihren weiblichen Leserinnen aus der Seele mit ihrem neuen Roman „Höhenrausch“, in dem sie sich erneut dem Singleleben jenseits der 30 widmet, das ich zwar nicht aus eigener Erfahrung kenne, aber nun bereits mehrfach dank von Kürthy miterlebt und mitgefühlt habe.

Linda Schumann ist 35, von Beruf Übersetzerin und frisch verlassen, nachdem sie im Auto ihres nunmehr Exfreundes – dessen Name man nicht mehr nennen darf und der deswegen „Draco“ (angelehnt an „Harry Potter“) getauft wurde – verräterische Fußspuren an der Fensterscheibe entdeckt hat. Kurzerhand tauscht Linda mit dem unbekannten Andreas aus Berlin die Wohnungen, da beide einen Neuanfang wagen wollen. Linda meldet sich bei einer Dating-Agentur an und bekommt auch tatsächlich schnell ein Date vermittelt. Dort stellt sie allerdings fest, dass sie fälschlicherweise mit dem schwulen Erdal aus Hamburg verkuppelt werden soll, der eigentlich Sexgott27 treffen wollte. Obwohl die beiden sich auf Anhieb unsympathisch sind, entwickelt sich dennoch eine Freundschaft aus dieser Zufallsbegegnung, nachdem Erdal Linda durch Antäuschung eines schweren Asthmaanfalls aus einer grausigen und nebligen Theatervorstellung errettet hat.

So kommuniziert Linda per Mail mit dem unbekannten Andreas, der nun ihre Wohnung in Jülich übernommen hat und ihr alle ihre Plüschtiere zuschickt, damit sie sich in Berlin nicht mehr so einsam fühlt, außerdem telefoniert Linda regelmäßig mit ihrer Freundin Silke und natürlich kommen die „Frauenabende“ mit Erdal hinzu. Als unvermittelt Lindas gut aussehender, aber verheirateter, neuer Nachbar Johann vor der Tür steht, ist die Not groß, denn Linda hat sich Hals über Kopf in den attraktiven Mittvierziger verliebt.

Zwischen den beiden entwickelt sich eine Affäre, die natürlich in allen Einzelheiten mit diversen Menschen ausdiskutiert und aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert werden muss, und obwohl Linda immer cool und unbeteiligt wirkt, möchte sie Johann ganz für sich gewinnen – bis sie plötzlich seiner Ehefrau gegenübersteht und sie leider äußerst nett findet …

In wunderbarer und erfrischender Weise deckt Ildikó von Kürthy wieder einmal sämtliche weiblichen und auch einige männlichen Macken auf und schmückt sie durch viele sympathische Episoden aus. Und wieder einmal ist es nicht so sehr die Geschichte an sich, die unterhält oder überzeugt, sondern es sind die kleinen Dinge am Rande. Während Linda uns ihre Geschichte erzählt, ihre Probleme durchkaut und ihre geheimsten Gefühle offenbart, kommen ihr immer wieder neue Dinge in den Kopf, die sie vom eigentlichen Thema zwar ablenken, aber doch sehr viel über Linda und ihren Charakter aussagen. Diese abschweifenden Episoden und auch die herrlichen Metaphern sind es, die das vorliegende Buch wieder einmal zu einem herzerfrischenden Lesegenuss machen.

Ildikó von Kürthy beschreibt Dinge, die zwar jeder Frau schon einmal aufgefallen sein dürften, die aber nur die wenigsten Frauen in Worte fassen, Ildikó von Kürthy verleiht diesen Gedanken ihre Stimme und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Insbesondere der oft unverstandene weibliche Schuh-Tick wird hier messerscharf analysiert und dürfte nun auch jedem Mann einsichtig werden:

|“Aber irgendwann kommt in Beziehungen die Zeit der so genannten gemütlichen Abende. Dann machst du den Abwasch nicht mehr nackt und nur mit zwölf Zentimetern Absatz unter dir. Und du bist nicht länger bereit, dieses unermessliche Leid in Kauf zu nehmen, das bereits die Schritte zum Klo auf High Heels auslösen – und das für einen Mann, von dem du ja bereits weißt, dass er dich liebt. […] Eine Frau sollte nur dann Absätze von mehr als elf Zentimetern Höhe tragen, wenn sie Single ist und das nicht bleiben möchte. Oder frisch verliebt ist und das bleiben möchte. Oder den Abend definitiv größtenteils im Liegen verbringen wird.“| (S. 112/113)

Beschreibungen wie diese sind es, die mich immer wieder zu Ildikó von Kürthys Büchern greifen lassen, weil sie so herrlich überzogen sind, im Kern aber doch ziemlich nah an der Wahrheit bleiben. Natürlich sind viele Situationen überzogen und auch die Charaktere nicht wirklich alltäglich, aber genau das ist es, was den Reiz des Buches ausmacht.

Apropos Charaktere: Ildikó von Kürthy schafft es immer wieder, eine sympathische Frauenfigur zu kreieren, die jeder Leserin ans Herz wachsen dürfte. Von Kürthys Ich-Erzählerin steckt stets in der Krise, stets hat sie gerade Liebeskummer und jammert sich im Laufe des Buches ein wenig aus, dabei wird die Ich-Erzählerin – in diesem Fall Linda Schumann – aber nie nervig wie manchmal Becky Bloomwood bei Sophie Kinsella, die sich so naiv und dämlich gibt, dass man sie auch mit viel Geduld nur schlecht ertragen kann. Ganz anders bei Linda Schumann; sie hat genug Macken und macht auch einige Fehler, aber wenn sie zum Beispiel über ihre fehlenden Flirttechniken berichtet, muss man sie einfach gern haben:

|“Ich kann gut Englisch, und ich kann gut kochen. Ich kann gut Briefe schreiben, und wenn es sein muss, kann ich sogar gut auf Kohlenhydrate verzichten. Was ich definitiv nicht kann, ist gut rechnen, elegant auf hohen Schuhen gehen und ergebnisorientiert flirten.“| (S. 84)

In vielen Passagen findet frau sich wieder, aber auch der männliche Leser dürfte neben dem Schuhproblem noch weitere Mysterien aufgedeckt und erklärt bekommen, sodass Ildikó von Kürthy nicht ausschließlich für Frauen schreibt – wie beispielsweise auch das Zitat von Harald Schmidt auf dem Buchrücken beweist: |“Liebe! Romantik! Ein supertolles Buch!“|. Dennoch dürfte der weibliche Teil der Bevölkerung zugegebenermaßen wohl den weitaus größeren Teil der Leser(innen)schaft ausmachen.

Besonders optisch ist das Buch ein Hochgenuss, die verschiedenen Elemente wie die Telefonate mit Silke oder die E-Mails zwischen Linda und Andreas sind in verschiedenen Schriftarten gesetzt und somit leicht erkennbar. Auch sind erneut zahlreiche Bilder eingebaut, die stets zu den beschriebenen Situationen passen, sei es die DVD-Box zu „24“, wenn Linda darüber sinniert, wie lässig Jack Bauer sein aufklappbares Handy ans Ohr halten und „Mr. President, we do have a situation here“ sagen kann oder sei es die Plüschtierparade, wenn Linda über die Anschaffung neuer Kuscheltiere für die neue Berliner Wohnung nachdenkt.

Unter dem Strich ist Ildikó von Kürthy erneut ein überzeugender Roman gelungen, der vielen Frauen aus der Seele sprechen dürfte, der allerdings wie schon zuvor „Blaue Wunder“ nicht an ihre beiden Klassiker „Mondscheintarif“ und „Freizeichen“ heranreichen kann. Bei „Höhenrausch“ ist es die Rahmengeschichte, die nicht wirklich überzeugen kann, die betrogene Mittdreißigerin im Liebeskummer reicht für eine etwa 250-seitige Erzählung eigentlich nicht ganz aus. Die vielen Episoden am Rande sorgen allerdings erfolgreich dafür, dass das Buch trotzdem unterhaltsam ist und eine Menge Spaß bereitet. So werden die Fans von Ildikó von Kürthy das Buch durchaus zufrieden zuklappen, auch wenn die Autorin bereits zwei- bis dreimal bewiesen hat, dass sie es noch deutlich besser kann. Für unbeschwerte sommerliche Nachmittags- und Abendstunden auf dem Balkon ist „Höhenrausch“ aber in jedem Fall genau die richtige Lektüre.

Goergen, Ilse – Blut im Schuh

Der sympathische kleine |Bookspot|-Verlag mit dem knuddeligen Maskottchen Booky-Bär veröffentlicht mit „Blut im Schuh“ bereits den zweiten Krimi aus Ilse Goergens Feder. „Blut im Schuh“ stellt dabei eine in sich abgeschlossene Fortsetzung von Goergens Romandebüt „Genau sein Kaliber“ dar und lässt sich problemlos ohne Kenntnis des ersten Krimis lesen.

Julia Brenner arbeitet als Polizistin in Trier und lebt mit einem dunklen Geheimnis. Vor zwanzig Jahren wurde ihre kleine Schwester vom damaligen Freund ihrer Mutter erstickt; dieses Trauma hat Julia nie ganz überwunden. Als sie zu Beginn des Buches in einem Hotelzimmer zu sich kommt und den ermordeten Killer ihrer Schwester vor sich findet und bemerkt, dass er von ihren eigenen Polizeihandschellen gefesselt ist, bleibt Julia nur ein Schluss übrig, nämlich dass sie nun selbst zur Mörderin geworden ist. Doch eine Gedächtnislücke quält Julia sehr, denn sie kann sich an die Tat überhaupt nicht erinnern.

In Berlin macht Tatjana Szykman sich Sorgen um die Treue ihres Ehemannes, denn ihre Schwester Sieglinde liefert ihr handfeste Beweise und Indizien für Günther Szykmans Untreue. Gleichzeitig bietet sie ihrer kleinen Schwester an, die Sache zu klären, wie sie dies vor Jahren mit ihrem eigenen untreuen Exfreund getan hat, der bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben gekommen ist. Tatjana ist verstört, insbesondere als sie einen Anruf der Polizei Trier erhält, die einen toten Mann gefunden hat, neben dem Günthers Portemonnaie gefunden wurde. Tatjana soll nach Trier reisen, um die Leiche zu identifizieren. Tatjana ist fassungslos und kann nicht glauben, dass ihre Schwester ihre Drohung in die Tat umgesetzt und Günther ermordet hat.

Und richtig, Sieglinde hat ganz andere Pläne, denn ihre Laufbahn als Prostituierte neigt sich dem Ende zu, ohne dass Sieglinde finanziell ausgesorgt hat, folglich will sie den wohlhabenden Günther erpressen. Doch etwas geht schief, nach einem Schäferstündchen mit Günther verschwindet dieser und lässt Sieglinde alleine zurück, die die Welt nicht mehr versteht, als sie von ihrer Schwester hört, dass Günther ermordet worden ist …

Zunächst erzählt Ilse Goergen zwei völlig voneinander separierte Geschichten. Wir lernen kurz die verstörte Julia Brenner kennen, die neben einer Leiche erwacht und sich nicht mehr daran erinnern kann, den Mann ermordet zu haben. Gleichzeitig sprechen alle Indizien aber eindeutig gegen Julia. Auf der anderen Seite treffen wir auf die heruntergekommene Sieglinde und ihre naive Schwester Tatjana, die sich problemlos lenken lässt und völlig blind gegenüber Günthers Untreue und den Intrigen der eigenen Schwester ist. Dass Günther einigen Dreck am Stecken hat, wird spätestens klar, als er mitten in der Nacht zu einem mysteriösen Ausflug startet und Sieglinde im schmuddeligen Hotelzimmer zurücklässt.

Ilse Goergen zieht ihre Erzählung anhand der beiden Erzählstränge auf, die erst gar nichts miteinander zu tun haben, die dann aber immer mehr miteinander verwoben werden. Am Ende erfährt der Leser natürlich die genauen Zusammenhänge, aber es besteht auch genug Gelegenheit für eigene Spekulationen. Ganz vereinzelt lässt Goergen versteckte Hinweise einfließen, die andeuten, wie die Familie Szykman in den Mordfall von Trier verwickelt ist. Hierdurch fesselt die Autorin ihre Leser immer mehr an ihr Buch und baut stetig mehr Spannung auf.

Besonders die Charaktere gefallen sehr gut an diesem authentischen Krimi. Wir lernen die unterschiedlichsten Menschen kennen, die aber alle irgendwo menschlich und realistisch wirken und eine Vielzahl von Identifikationsmöglichkeiten bieten. Im Mittelpunkt des Buches stehen drei Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, obwohl zwei davon sogar Schwestern sind. Da wäre einmal die hübsche, aber völlig naive Tatjana, die aus einfachen Verhältnissen stammt, aber durch ihre Heirat ausgesorgt hat – zumindest solange die Ehe funktioniert, denn dank des Ehevertrages würde sie im Falle einer Scheidung leer ausgehen. Umso größer ist ihre Sorge, als sie ahnt, dass Günther wohl doch nicht ganz so treu ist, wie sie immer gehofft hatte. Als zweites lernen wir Sieglinde kennen, die voller Neid gegenüber ihrer Schwester ist, da sie selbst keinen Mann abbekommen hat und ihren Lebensunterhalt als Prostituierte verdienen muss. Sieglinde ist abgehalftert und hat nichts von der Attraktivität ihrer Schwester – ein Punkt, der ihren Neid nur noch weiter steigert. In Trier schließlich treffen wir auf Julia Brenner, die auf Seiten der Frauen wohl die meisten Sympathien ernten dürfte. Julia ist erfolgreich und verletzlich, sie kann ihre traurige Vergangenheit nicht vergessen und daher auch keinen Mann lieben. Dies macht besonders ihrem Kollegen Heiner zu schaffen, der in sie verliebt ist. Insgesamt kann man sich in Ilse Goergens Figuren hervorragend einfühlen, da sie so lebensnah geschildert sind.

Ilse Goergen erzählt ihren Krimi geradlinig und ohne viele Schnörkel, sie beschränkt sich in ihrem nur 171-seitigen Buch auf das Wesentliche und unterhält ihre Leser dabei auf solide Art und Weise. Zwar kann sie nicht an den Nervenkitzel von manch einem Krimibestsellerautor heranreichen, dennoch verleitet einen „Blut im Schuh“ durchaus zum Lesen des Vorgängerromans und zum Warten auf einen möglichen Nachfolger. Nachteilig wirkt sich allerdings aus, dass in dem schmalen Büchlein wenig Platz für genügend Charaktere ist. So ist der Kreis der Tatverdächtigen ziemlich klar abgesteckt und kann am Ende daher auch nicht mehr für große Überraschungen sorgen.

Unter dem Strich bleibt ein positiver Eindruck zurück, der höchstens durch einige Tippfehler mehr als üblich getrübt wird, doch inhaltlich gibt es kaum etwas auszusetzen an Ilse Goergens aktuellem Mosel-Krimi. Insbesondere in ihrer authentischen und glaubwürdigen Figurenzeichnung weiß sie zu überzeugen. Darüber hinaus gefällt die Erzählung in den beiden Handlungssträngen mit dem steten Spannungsaufbau sehr gut. Hier hält das |Bookspot|-Maskottchen Booky-Bär einen durchaus überzeugenden Krimi für zwei, drei unterhaltsame Lesestunden bereit.

Startseite

DiCamillo, Kate – wundersame Reise von Edward Tulane, Die

Kate DiCamillo zählt im Kinder- und Jugendbuchgenre zu den ganz Großen. Bereits mit ihrem Debütwerk „Winn-Dixie“, welches auch verfilmt wurde, gelang ihr der internationale Durchbruch. Die wundervolle Geschichte von „Despereaux – Von einem, der auszog das Fürchten zu verlernen“ stand in den USA monatelang in den Bestsellerlisten und wurde in Deutschland mit Preisen überhäuft, aber „Die wundersame Reise von Edward Tulane“ steht dem in nichts nach …

Darf ich vorstellen – Edward Tulane: |“In einem Haus in der Egypt Street lebte einst ein Porzellanhase. Er hatte Arme aus Porzellan und Beine aus Porzellan. Er hatte Pfoten aus Porzellan und einen Kopf aus Porzellan, er hatte einen Porzellanbauch und eine Porzellannase. Seine Ellbogen und seine Knie ließen sich bewegen, weil die Gelenke mit Draht verbunden waren. Seine Ohren waren aus echtem Hasenfell und auch unter dem Fell steckten biegsame Drähte. Deshalb konnte man die Ohren so stellen, wie sie der jeweiligen Stimmung des Hasen entsprachen: fröhlich, müde, begeistert oder gelangweilt. Sein weiches, wohlgeformtes Hasenschwänzchen war ebenfalls aus Hasenpelz“.| Das ist also Edward Tulane, der Held der vorliegenden Geschichte.

Edward gehört der kleinen Abilene Tulane und ist ein ganz außergewöhnlicher Hase mit einer sehr exquisiten Garderobe aus feinen handgenähten Seidenanzügen. Jeden Morgen zieht Abilene Edward einen schicken Anzug an, setzt ihn liebevoll auf einen Stuhl, zieht seine Taschenuhr auf und zeigt ihm, wann sie wieder bei ihm zu Hause sein wird. Und jeden Abend zieht Abilene Edward einen Schlafanzug an und legt ihn behutsam in sein Hasenbettchen. Doch obwohl Abilene Edward über alles liebt und ihn wie einen Menschen behandelt, hat Edward wenig Gefühle für Abilene übrig, er mag sie zwar, aber wenn sie ihm etwas erzählt, hört er eher gelangweilt mit einem seiner biegsamen Hasenohren zu. Als Abilene mit ihren Eltern auf eine Kreuzfahrt geht, begleitet auch Edward seine Familie, doch an Bord wird er Opfer eines üblen Jungenstreiches. Ein paar freche Jungen entkleiden ihn völlig und werfen ihn über Bord. Edward fällt ins Wasser und sinkt und sinkt und sinkt.

Unten am Meeresboden liegt er dann für lange Zeit einsam und alleine und kann nicht einmal seine Augen schließen, weil diese ja nur aufgemalt sind und sich daher nicht zuklappen lassen. Auch die funkelnden Sterne kann Edward nicht mehr sehen, doch hat er die Hoffnung auf Rettung noch nicht aufgegeben. Bei einem Sturm wird Edward schließlich von einer Riesenwelle hoch gewirbelt und verfängt sich beim erneuten Sinken in einem Fischernetz. Edwards Rettung naht, denn der freundliche Fischer nimmt Edward zu seiner sympathischen Frau mit, die Edward kurzerhand Susanna nennt und den armen Edward in ein Rüschenkleid steckt …

Das ist natürlich noch nicht das Ende von Edward/Susanna Tulanes wundersamer Reise, doch soll jeder selbst lesen, welche Abenteuer Edward noch zu überstehen hat, welche Stationen er noch bereist und welchen Menschen er dabei begegnet. Selten habe ich ein so gefühlvolles und herzerweichendes Buch gelesen wie dieses. Kate DiCamillo beweist ein wunderbares Geschick und eine überragende Erzählkunst, in gefühlvollen Worten bringt sie uns Edwards stolzes, aber doch so verletzliches Wesen näher. Mit vielen Adjektiven wird die Erzählung ausgeschmückt, sodass wir uns alles ganz fantastisch vorstellen können. Unterstützt wird dies noch durch die herrlichen und lebensechten Zeichnungen von Bagram Ibatoulline, welche „Die wundersame Reise von Edward Tulane“ zu einem optischen Hochgenuss machen. In meist farbigen und überaus detailreichen Zeichnungen haucht Ibatoulline Edward und seinen Bekannten Leben ein, seine Bilder sehen fast aus wie Fotos, so hervorragend schafft es Ibatoulline, die Stimmungen und Gesichtszüge der Figuren einzufangen.

An diesem Buch stimmt einfach alles, jede Zeile ist ein echter Leckerbissen. Kate DiCamillo hat eine wunderbare Geschichte geschrieben, die unglaublich viel enthält. DiCamillo preist die Liebe und zeigt anhand von Edwards herzzerreißendem Schicksal, wie wichtig Liebe und Hoffnung sind, denn ohne die Liebe zu Menschen und die Hoffnung auf Rettung hätte Edward Tulane seine gefährliche Reise sicher nicht überstanden. Am Ende ist es dann eine antike Puppe, die Edward die aufgemalten Augen öffnet für seine Zukunft.

Zu Beginn des Buches ist Edward Tulane ein eingebildeter und verwöhnter Hase, der sein komfortables Leben für selbstverständlich hält, doch bereits die Bekanntschaft mit dem dunklen und einsamen Meeresboden zeigt ihm, wie wertvoll das Leben gewesen ist, das er einst leben durfte. Doch auch in den düstersten Stunden unter Wasser gibt Edward die Hoffnung nicht auf, eines Tages von Abilene gerettet zu werden. Edward lernt die verschiedensten Menschen kennen auf seiner Reise, von denen er immer wieder etwas Wichtiges lernt. Besonders beeindruckend verhält sich der kleine Bryce, der ein großes Opfer bringt, um Edward zu retten und der trotz seiner Jugend bereits richtig erwachsen wirkt.

Fein eingewoben in diese traumhaft schöne Geschichte entdeckt der aufmerksame Leser kleine Botschaften fürs Leben von Kate DiCamillo, die eher für den erwachsenen Leser geschrieben sind. Zwar wird das Lesealter der „wundersamen Reise von Edward Tulane“ ab acht Jahren angegeben, doch würde ich dieses wunderschöne Buch eher älteren Buchfreunden ans Herz legen, die auch die kleinen Feinheiten entdecken können. Schon nach wenigen Seiten ist dieses Buch in meine persönliche Bestsellerliste aufgestiegen und wird dort mit Sicherheit auch immer bleiben. „Die wundersame Reise von Edward Tulane“ habe ich zwar gerade erst ausgelesen, aber ich werde es gleich wieder von vorne beginnen und sicher noch viele weitere Male lesen. Bei diesem Buch gilt auf jeden Fall Elke Heidenreichs Motto: „Lesen!“.

http://www.cecilie-dressler.de

Remes, Ilkka – Hiroshima-Tor, Das

Nach [„Ewige Nacht“ 2039 öffnet der finnische Erfolgsautor Ilkka Remes in seinem zweiten auf Deutsch übersetzten Hochspannungsthriller das „Hiroshima-Tor“, welches die ganze Menschheit bedrohen kann. In packender und rasanter Weise schildert er die Hetzjagd zweier großer Nationen nach einem schier unglaublichen Geheimnis …

Auf der Pariser Brücke Pont Marie wird Tanja das Opfer eines Handtaschenraubs, doch enthält ihre Handtasche mehr als nur einen Lippenstift und einen Handspiegel – Tanja sprintet dem Dieb also hinterher. Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse, die Handtasche wird von der Brücke aus in die Seine geworfen und Tanja springt angesichts des wertvollen Tascheninhalts hinterher. Allerdings ist Tanja nicht die Einzige, die hinter dieser Handtasche her ist, denn sie wird später tot geborgen, ihr wurde die Kehle aufgeschlitzt.

Timo Nortamo arbeitet für eine Antiterroreinheit in Brüssel und sucht dort für seine Frau Soile und den gemeinsamen Sohn Aaro ein Haus, doch ahnt Timo noch nicht, dass seine Frau, die als Physikerin am Schweizer CERN arbeitet, bereits eine Affäre mit einem Kollegen hat; dementsprechend wenig Freude zeigt sie angesichts des auserwählten Hauses. Noch bei der Hausbesichtigung wird Timo durch einen wichtigen Anruf gestört, denn der Bau eines Atomkraftwerkes und einer Endlagerungsstätte wurde ernsthaft sabotiert, aber damit nicht genug, erfährt Timo Nortamo bald auch von den seltsamen Ereignissen in Paris, die für ihn bald das Ende seiner Karriere bei der Antiterrorgruppe bedeuten werden.

Nicht nur zwei verschiedene Nationen jagen dem Inhalt der ominösen Handtasche hinterher, sondern auch Timo Nortamo, der auf eigene Faust ermittelt und dabei einige Grenzen überschreitet. Sein einziges Ziel ist es, die Echtheit der Unterlagen aus Tanjas Handtasche zu beweisen, die die finnische Präsidentin in Verruf bringen können. Eine Schnitzeljagd durch halb Europa geht los, die noch einige Opfer verlangen wird …

Ilkka Remes beweist von Anfang an, dass er ein Meister des Spannungsbogens ist. Bereits die erste Szene im Buch beginnt fulminant, als nämlich Tanja die wertvolle Handtasche entrissen und sie bei der Rettungsaktion ermordet wird. Schon diese erste Szene wirft etliche Fragen auf, die den Leser bewegen und an das Buch fesseln; doch damit nicht genug, eröffnet Remes weitere Handlungsstränge, von denen einige offenbar nur dazu dienen, seine Leser zu verwirren und auf eine falsche Fährte zu locken. Nur mühsam gelingt es, sich durch die komplizierten Handlungsebenen zu manövrieren und in diesem Labyrinth den richtigen Ausgang zu finden. Einige düstere Mächte sind an dieser Geschichte beteiligt, von denen nicht alle direkt mit der sagenumwobenen Handtasche und ihrem geheimnisvollen Inhalt zu tun haben.

So muss einmal festgehalten werden, dass „Das Hiroshima-Tor“ ein absolut atemberaubender Thriller ist, den man nur schwer aus der Hand legen kann und der über die ganze Strecke der 439 Seiten fesselt. Auf der anderen Seite muss man nach dem Zuklappen des Buches für sich erst einmal alle Handlungsfäden entwirren und genau auseinander halten, in welche Schublade eigentlich welche Handlungsebene gehörte, wer also direkt mit dem eigentlichen Thema des Buches zu tun hatte und wer sozusagen bloß als Rahmengeschichte und zur Verwirrung diente. Diese nebensächlichen Handlungsebenen blähen das Buch unnötig auf, was Remes eigentlich nicht nötig hat, da er überzeugend beweist, dass er für genug Spannung sorgen kann. Meiner Meinung nach hätte er ruhig geradliniger schreiben können. Insbesondere die gesamte Geschichte rund um die finnische Präsidentin ist im Nachhinein völlig überflüssig, sie bringt die eigentliche Handlung nicht voran und spielt sich größtenteils neben den entscheidenden Erlebnissen ab. Das trübt im Nachhinein schon etwas den Lesegenuss, weil das richtige Aha-Erlebnis, bei dem am Ende alle Handlungsfäden zusammengeführt werden, zwangsläufig ausbleibt.

Thematisch hangelt sich Ilkka Remes bedenklich nah an einem von Dan Brown bereits ausgelutschten Problem entlang, was hier als ziemlich müder (und leider auch überzogener) Abklatsch beim Leser ankommt, da einen das eigentliche Thema das Buches kaum vom Hocker reißen kann. Interessant ist allerdings der Weg, auf dem Remes sich diesem hochexplosiven Thema nähert, da hier menschliche Schicksale im Mittelpunkt stehen, die dafür sorgen, dass man beim Lesen einen dicken Kloß im Halse hat. Hier wird man als Leser gezwungen, sich mit einem wichtigen und erschreckenden Ereignis der Geschichte auseinander zu setzen, das zwar bereits etliche Jahre zurückliegt, uns aber auch heute noch betrifft. Eines muss man Remes lassen, er versteht es, seine Leser nicht nur zu unterhalten, sondern sie auch zum Nachdenken anzuregen.

Gelungen sind auch die wissenschaftsethischen Fragen, die Ilkka Remes in diesem Zusammenhang aufwirft. Zwei talentierte und hochintelligente Physikerinnen mit sehr unterschiedlichen Ansichten stehen sich hier gegenüber, von denen die eine – nämlich Heli – in Wissenschaftskreisen unter „ferner liefen“ gehandelt wird, weil sie zu wenig (bis gar nicht) publiziert, während die andere – Soile – zwar viele Artikel veröffentlicht, von Heli deswegen aber verachtet wird, weil diese der Meinung ist, dass Soile sich mit diesen Artikeln selbst verkaufen würde. Die Frage, was Wissenschaft eigentlich darf und auch die Frage nach der Verantwortung eines jeden Wissenschaftlers ist stets aktuell und wird es auch immer bleiben, sodass es sich absolut lohnt, darüber genauer nachzudenken. Schade nur, dass Remes am Ende etwas zu dick aufträgt und eine Märtyrerfigur kreiert, die kein würdiges Ende für diesen spannenden Thriller darstellt.

Die beiden konträren Positionen der Wissenschaftsethik werden dabei durch die beiden weiblichen Hauptrollen repräsentiert, sodass sich auch die Sympathien verteilen, je nachdem, welche Position man selbst zu dieser Frage einnimmt. Während Heli allerdings eine sehr radikale Position einnimmt, ist Soile der Meinung, dass man Wissenschaft nicht aufhalten kann, sie ist Forscherin aus Leidenschaft und möchte ihre Ergebnisse auch veröffentlichen, selbst wenn sie irgendwann eventuell einmal Schaden anrichten könnten. So richtig sympathisch werden einem beim Lesen eigentlich beide Damen nicht; die eine handelt zu überzogen und unrealistisch für eine hochintelligente Physikerin, während die andere durch ihre Untreue auch nicht gerade punkten kann.

Im Zentrum der Erzählung steht glücklicherweise Timo Nortamo, den man bei seinen Nachforschungen gerne durch ganz Europa begleitet, da man ihm stets wünscht, dass er Erfolg haben möge bei seiner Mission. Nortamo ist in diesem Thriller wirklich arg gebeutelt; während der Leser bereits weiß, dass seine Frau Soile eine Affäre hat, muss Timo selbst erst einmal verkraften, dass er von einer Minute auf die andere seinen Job verloren hat und er sich durch den Hauskauf schrecklich verschuldet hat. Durch die sympathische und interessante Hauptfigur gewinnt das Buch sehr; die Abschnitte über Timo Nortamo sind es, die uns bei der Stange halten und immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringen, da Ilkka Remes in all seinen anderen Handlungsebenen stets auf Verwirrung aus ist.

Unter dem Strich ist Ilkka Remes mit dem „Hiroshima-Tor“ durchaus ein überzeugender Thriller gelungen, der insbesondere in Sachen Spannung punkten kann. Wenn man das Buch einmal angefangen hat, kann man es eigentlich nicht mehr aus der Hand legen, da Remes einen immer wieder auf eine falsche Spur bringt und dadurch für Verwirrung sorgt. Leider ist dies auch schon ein Kritikpunkt, der festzuhalten ist, denn Remes eröffnet zu viele Handlungsstränge, die am Ende nicht konsistent zusammengeführt werden. Auf den einen oder anderen Nebenschauplatz hätte ich durchaus verzichten können, dann wäre das Buch wahrscheinlich sogar noch packender gewesen. Insgesamt gefällt das „Hiroshima-Tor“ allerdings sehr gut, insbesondere durch die vielen Aspekte, die den Leser zum Nachdenken anregen.

http://www.ilkka-remes.de/

Roslund, Anders / Hellström, Börge – Bestie, Die

Wieder einmal erobert ein schwedischer Thriller, der mit dem Nordischen Krimipreis ausgezeichnet wurde, die deutschen Bestsellerlisten und wieder einmal erweist sich damit diese Auszeichnung als äußerst verkaufsfördernd. Doch dieses Mal handelt es sich dabei nicht um einen „traditionellen“ nordischen Krimi mit einem Kriminalkommissar in der Hauptrolle, sondern um einen durchaus innovativen und spannend geschriebenen Thriller, der seine Leser zum Nachdenken anregen dürfte.

Auf einem Krankenhaustransport kann der psychopathische Kindermörder Bernt Lund fliehen. Vier Jahre zuvor vergewaltigte, quälte und ermordete Lund zwei neunjährige Mädchen, aber kaum ist er wieder auf freiem Fuße, sucht er sich auch schon sein nächstes Opfer. Dieses Mal schnappt er sich in der Nähe eines Kindergartens die fünfjährige Marie und wiederholt seine grausige Tat.

Maries Vater Frederik sieht rot und stellt seine eigenen Ermittlungen an. Schließlich kann er den Mörder seiner Tochter finden, bevor die Polizei Lund auf die Spur gekommen ist. Frederik erschießt den Kindermörder im festen Glauben, andere Eltern vor dem Schicksal zu bewahren, ebenfalls ihre Tochter zu verlieren. Der anschließende Prozess gegen Frederik wird ein riesiges Medienereignis. Schließlich kommt es zu einem Urteilsspruch, der weit reichende Konsequenzen hat…

Im Fokus der Geschichte steht nicht so sehr die Mordserie bzw. der psychopathische Mörder an sich, sondern die Frage, ob Selbstjustiz als eine Art Notwehr angesehen werden kann. Bernt Lund hatte sich bereits die nächsten beiden Opfer ausgesucht, als Maries Vater seine Rache üben kann. Zwei Leben unschuldiger Kinder konnten also gerettet werden, indem ein Leben – das eines mehrfachen Mörders und Vergewaltigers – ausgelöscht wurde. Ist das Gerechtigkeit? Hat Maries Vater das getan, wozu die Polizei nicht in der Lage war und damit die Welt vor schlimmerem Übel bewahrt? Die Bevölkerung scheint das zu glauben, denn sie steht fest hinter Frederik und feiert ihn als Helden.

„Die Bestie“ wirft viele Fragen auf, die selbstverständlich nicht eindeutig beantwortet werden können – es ist ein moralisches Dilemma, für das es kein Richtig und kein Falsch gibt. Ganz unbeabsichtigt erwischt man sich jedoch häufig bei dem Gedanken, dass Frederik für dieses Verbrechen nicht bestraft werden sollte. Unterstützt werden diese Gedanken insbesondere durch Frederiks sympathisches Wesen. Man kann sich wunderbar in ihn einfühlen und muss unweigerlich mit ihm leiden.

Interessanterweise kommt dieser Thriller dadurch fast ohne die üblichen Verfolgungsjagden und Ermittlungen aus, da Bernt Lund schnell von Maries Vater gestellt werden kann. In der „Bestie“ geht es um viel mehr, und das ist auch der Grund, warum ich das Buch geradezu verschlungen und mich auch gut unterhalten und angeregt gefühlt habe.

Doch ist das Buch trotz dieser überzeugender Ansätze nicht frei von Kritik: Man wird das Gefühl nicht los, als wollten die beiden Autoren mit dem Holzhammer eine Moral in dieses Buch einhämmern. Anders Roslund und Börge Hellström gehen hier meiner Meinung nach einen Schritt zu weit, indem sie dem Leser oftmals eine Meinung vordenken und dadurch eine zwangsläufige Antwort auf die Frage, ob Frederik selbst ein Mörder ist oder als Held gefeiert werden sollte, geben. Ab und an trieft das Buch nur so vor Moral, sodass ich mir gewünscht hätte, die beiden Autoren wären unauffälliger zu Werke gegangen. Irgendwie erscheint es mir etwas zu aufgesetzt, wenn im korrekten Schweden alle Gefängnisinsassen und Schwerverbrecher ganz selbstverständlich so genannte „Schnellficker“ verachten, also Insassen, die wegen Sexualverbrechen verurteilt wurden. Da wird man das Gefühl nicht los, als wollten Roslund und Hellström mit dem ganzen Zaun winken, um auch dem letzten Leser klarzumachen, dass Sexualverbrecher das Widerwärtigste überhaupt sind. Recht haben sie ja, aber darauf bin ich auch ohne ihre Hilfe gekommen.

Schade ist auch, dass die Autoren sich in ihren unterschiedlichen Handlungssträngen geradezu verlieren. Insbesondere anfangs werden so viele verschiedene Handlungsschauplätze aufgemacht, die teils wenig, teils gar nicht adäquat fortgesetzt werden, dass es wirkt, als hätten die beiden Autoren sich nicht gut genug abgestimmt und eventuell den einen oder anderen Handlungsfaden am Ende vergessen – oder was sollte der verheiratete Gefängniswärter, der seit einiger Zeit seine schwulen Neigungen entdeckt hat? Eine wirkliche Rolle hat er leider nicht gespielt. Gerade zu Beginn des Buches verwirren die zahlreichen neu auftauchenden Personen sehr und stören dadurch den Lesefluss.

Insgesamt unterhält „Die Bestie“ sehr gut und bietet auch einige interessante Ansätze, aber dann wirkt mir die Moral doch zu aufgesetzt, um authentisch wirken zu können. Vor allem das Buchende empfand ich als zu abgedroschen und überdramatisiert, dennoch sollte man die Idee, die hinter diesem Buch steckt, würdigen. Wer einmal einen etwas anderen Thriller lesen möchte, der fast ohne die genretypischen Elemente auskommt und dennoch hochspannend ist, der ist bei diesem Buch genau an der richtigen Stelle.

http://www.fischerverlage.de/

Saunders, Kate – Es soll Liebe sein

Mit ihrem aktuellen Roman „Es soll Liebe sein“ präsentiert uns Kate Saunders eine Geschichte, die vielleicht nicht sonderlich innovativ klingt, die aber dennoch für einige herrlich unbeschwerte und unterhaltsame Lesestunden sorgt. Cassie, die sowohl in der Karriere wie auch in ihrem Liebesleben ehrgeizig und konsequent ist, erhält einen nicht ganz alltäglichen Auftrag: Ihre „Ziehmutter“ Phoebe bittet sie nämlich, Frauen für ihre beiden Söhne zu finden; doch damit nicht genug verlangt sie außerdem, dass es wirklich Liebe sein soll. Phoebe, die bereits ihren Mann verloren hat, erfährt, dass sie selbst nicht mehr lange zu leben hat und möchte daher ihre beiden arbeitslosen, aber gutmütigen Söhne gut versorgt wissen. Doch ganz so einfach ist Cassies Aufgabe nicht, denn obwohl sie einige hübsche und erfolgreiche Single-Freundinnen hat, möchte sie ihnen ungern die beiden faulenzenden Muttersöhnchen Ben und Fritz aufschwatzen, die sie selbst für zwar sehr liebenswürdig, aber auch für schwer vermittelbar hält. So ist wirklich Not an der Frau.

Cassie beschließt, die beiden zu Verkuppelnden einzuweihen, um sie gleichzeitig um ihre Mithilfe zu bitten. Als Erstes wären da die beiden momentanen Gespielinnen der beiden Junggesellen loszuwerden, damit die Bühne frei ist für zwei von Cassies Freundinnen. Doch damit nicht genug, sollen die beiden sich auch endlich um einen Job kümmern, denn Ben versucht sich weiterhin als erfolgloser Konzertpianist, der zu sensibel für eine richtige Karriere ist, während Fritz seine abgeschlossene Ausbildung als Arzt weggeschmissen hat, um sich als ziemlich mieser Schauspieler zu verdingen.

Sobald diese Voraussetzungen erfüllt sind, können auch schon die ersten Kandidatinnen auf den Plan treten, doch merkt Cassie schnell, dass wahre Gefühle nicht zu erzwingen sind und Bens und Fritzens schmuddelige Wohnung sämtliche aufblühende Gefühle im Keim erstickt. So flüchtet die erste aussichtsreiche Heiratskandidatin schnell angesichts des Wohnchaos‘ der beiden Brüder. Nun ist guter Rat teuer, zumal Cassie ahnt, dass es mit ihrer eigenen Beziehung auch nicht zum Besten steht. Obwohl sie alles für ihren Matthew macht, jede Kulturveranstaltung brav (und vermeintlich interessiert!) besucht, gewissenhaft ihre Wohnung putzt und versucht, ihm alles Recht zu machen, kommt es zum großen Knall, als Cassies Wohnungsdecke einstürzt und Matthews teure Aktentasche samt seiner hochwichtigen Dokumente unter sich begräbt.

Klingt ein wenig abstrus und ziemlich vorhersehbar, oder? Und das ist es an vielen Stellen auch, nichtsdestotrotz liest frau jede Zeile gerne und oftmals mit einem Lächeln auf den Lippen. Die Geschichte reißt einen von Anfang an mit und rührt einen immer wieder. Cassies Liebe zu Phoebe und ihren nutzlosen Söhnen ist praktisch grenzenlos, haben Phoebe und ihr Mann Jimmy doch die Rolle von Cassies Ersatzeltern übernommen. Nach Jimmys frühem Tod wirkt die schwere Krankheit der sympathischen Phoebe umso tragischer und ihre Sorge um ihre beiden Söhne bewegt sehr, auch wenn die lustigen Situationen im Buch klar überwiegen.

Insbesondere die Charaktere gefallen gut. Da wäre zum Ersten Cassie, aus deren Sicht das gesamte Buch geschrieben ist. Cassie ist im Beruf erfolgreich, privat verbiegt sie sich für ihren „Elch-gesichtigen“ Freund allerdings fürchterlich, bis es nicht mehr weitergeht und sie erkennen muss, dass Matthew es nicht sonderlich ehrlich mit ihr meint. Noch kann Cassie nicht ahnen, dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gibt, der vielleicht besser zu ihr passt, der aber notorisch untreu und sexbesessen ist und nur Augen für andere Frauen zu haben scheint. Cassie mit ihren liebenswerten Macken wird für die weibliche Leserschaft zur Identifikationsfigur, da man manche ihrer Eigenarten auch ganz gut von sich selbst kennt. Außerdem ist sie natürlich die Sympathieträgerin schlechthin. Spätestens, wenn Cassie aus Versehen in ausgelatschten Turnschuhen zu ihrem schicken Armani-Kleid zu einer Party fährt, dürften die Lesersympathien klar verteilt sein.

Aber auch die beiden chaotischen und doch so liebenswerten Brüder, die im Laufe der Zeit eine erstaunliche Wandlung vollführen, tragen sehr zum Erfolg des Buches bei. Man könnte sich glatt in einen der Brüder verlieben, sodass man ihnen von Herzen wünscht, dass sie tatsächlich ihre große Liebe finden, wo sie bereits ihren Vater verloren haben und auch ihre Mutter bald sterben muss. Besonders Fritz wirkt umso tragischer, muss er doch trotz seines abgeschlossenen Medizinstudiums hilflos mit ansehen, wie die Medizin seinen Eltern nicht helfen kann.

Die Story an sich ist dabei fast schon nebensächlich, zumal sie fast durchweg sehr durchschaubar ist und man spätestens auf der Hälfte des Buches merken wird, welche Liebeskonstellationen sich am Ende ergeben werden. So überrascht das Happy-End für fast alle Beteiligten schlussendlich kaum noch, selbst wenn es von Phoebes tragischem Tod getrübt wird.

Sprachlich ist das Buch nicht so spritzig wie zum Beispiel bei Maria Beaumont, Sophie Kinsella oder auch Helen Fielding, bei denen man aus dem Schmunzeln kaum herauskommt, dennoch ist „Es soll Liebe sein“ eine richtig wohltuende Lektüre, gaukelt sie einem doch die schöne heile Welt vor. So wirkt dieses Buch erfrischend wie ein leichter Sommerregen und wird sein weibliches Publikum sicherlich zufrieden stellen, auch wenn es natürlich kein literarisches Meisterwerk ist. Aber eines ist sicher: Bei diesem Roman ist der Name Programm, sodass es sich definitiv lohnt, sich von Kate Saunders in diese Traumwelt entführen zu lassen.

http://www.krueger-verlag.de

Lauenroth, Frank – Simon befiehlt

„Simon says“ (zu Deutsch: Simon befiehlt) ist ein beliebtes Spiel, das sicher jeder noch von vergangenen Kindergeburtstagsfeiern kennt. Prinzip des Spiels besteht darin, dass der Spielführer Simon seinen Mitspielern Befehle erteilt, die diese ausführen müssen, sofern der Befehl mit „Simon says“ eingeleitet wird. Befehle ohne diesen Zusatz sind wirkungslos und dürfen nicht befolgt werden. Dieses beliebte Spiel hat sich der deutsche Autor Frank Lauenroth zum Thema seines preisgekrönten Romans „Simon befiehlt“ gemacht, wobei er uns eine deutlich erwachsenere Version des Kinderspiels präsentiert, das eher an den berühmten Film „The Game“ mit Michael Douglas erinnert als an ein harmloses Spiel vom Kindergeburtstag. Doch erst einmal hübsch der Reihe nach …

Zunächst lernen wir den Filmkolumnisten Trevor Man kennen, der sich mit rasendem Herzen und einer Urne mit der Asche seiner Mutter auf das Empire State Building begibt, um von dort oben in einem unbemerkten Moment die Asche verstreuen zu können. Dieser merkwürdige letzte Wunsch seiner Mutter kostet Trevor fast das Leben, da Man unter so genanntem Stressasthma leidet, das bei körperlicher Anstrengung oder Aufregung ausbricht und Trevor eiskalt erwischt, als es plötzlich einen Feueralarm gibt und der Bedienstete des Empire State Buildings mit Trevor den Abstieg aus dem 80. Stockwerk zu Fuß antritt. Trevor wird ohnmächtig und überlebt nur durch den beherzten Einsatz der hübschen Notärztin Fiona, in die Trevor sich auf den ersten Blick verliebt.

Doch der Tod seiner Mutter hält noch weitere Überraschungen für Trevor parat, muss er doch erfahren, dass er nicht nur 42 Millionen Dollar geerbt hat, von deren Existenz er nichts geahnt hatte, sondern auch die Mitgliedschaft im geheimnisvollen Simon-Club. Das Geld ist für Trevor der Weg zu einem sorgenfreien Leben ohne den Inhalator gegen sein Asthma, denn von Fiona erhält er den Tipp, dass es ein geheimes Forschungslabor gibt, in dem mysteriöse Geckos gezüchtet werden. Diese kleinen Tierchen leben schließlich in Symbiose mit den Patienten und verabreichen ihnen durch einen Biss die lebensrettende Medizin gegen den Asthma-Anfall.

So könnte Trevor Man endlich sein Leben genießen, wäre da nicht der Simon-Club. Was es damit auf sich hat, erfährt Trevor früher, als ihm lieb ist, denn verpflichtender Teil des Clubs ist das Spiel „Simon befiehlt“, bei dem die Club-Mitglieder zusammen mit einigen Assistenten einen gefährlichen Auftrag ausführen müssen, der offenkundig einem guten Zweck dient. Als aber nach und nach die Mitspieler ums Leben kommen, erkennt Trevor, dass mehr hinter diesem Spiel steckt …

So weit auf der rein inhaltlichen Ebene, die schon für genug Zündstoff in dem 280-seitigen Thriller sorgt. Doch „Simon befiehlt“ bietet seinen Lesern noch mehr: Schon die Einstiegsszene fesselt den Leser an das Buch; hier erleben wir gleich zu Anfang eine lebensbedrohliche Situation mit unserem Hauptprotagonisten Trevor Man mit, der nur knapp seinen Asthma-Anfall überleben kann. Die Schilderung dieser dramatischen Situation ist dabei auf der einen Seite so nüchtern, auf der anderen so packend, dass es einem beim Lesen eiskalt den Rücken herunterläuft, weil wir Zeuge von Trevors letzten Gedanken werden, bevor er ohnmächtig wird. Hautnah bekommen wir Trevors Gedanken zu lesen, der weiß, dass er den Abstieg vom Empire State Building nicht überleben kann, und obwohl wir Trevor gerade erst kennen gelernt haben, fiebern wir bereits mit ihm mit und wünschen ihm, dass er diese Situation überstehen möge.

Im Grunde genommen sind es altbekannte Elemente, die hier verwendet werden, um Spannung aufzubauen, diesmal allerdings zu einem überzeugenden Ganzen zusammengesetzt sind und „Simon befiehlt“ so lesenswert machen. Lauenroth erzählt nicht nur die Geschichte um Trevors aktuelles Leben, sein Asthma und den Tod seiner Mutter, er entführt uns auch in Trevors Vergangenheit, als dieser durch Zufall die reiche Familie McGuiness kennen lernt, und zum dritten werden wir mitgenommen zu einem mysteriösen Casting, bei dem der hinkende Alfred van Houten fünf Spezialisten für einen nicht näher bekannten Auftrag sucht. Der Leser tappt dabei lange Zeit im Dunkeln und kann die Verbindung zwischen den drei Geschichten nicht erkennen; es bleibt unklar, welche Informationen aus Trevors Vergangenheit wichtig sind für die aktuelle Entwicklung, aber noch undurchsichtiger ist die Verbindung zwischen van Houten und Trevor Man.

Erst spät enthüllt Frank Lauenroth uns die Zusammenhänge, die schließlich zum großen Aha-Erlebnis führen werden. Geschickt macht der Autor mehrere Handlungsebenen auf, die parallel weitererzählt werden, die Geschichte auf verschiedenen Ebenen weiterführen und dem Leser neue Informationen liefern. Viele Details können wir schwer einsortieren, wie beispielsweise Trevors Asthma oder seinen Gecko, doch am Ende erkennen wir, dass jede Information ihre Berechtigung hatte, alles genau durchdacht ist und jede Kleinigkeit Sinn ergibt.

Frank Lauenroths Schreibstil ist dabei schlicht und nüchtern, nie schreibt er um den heißen Brei herum, seine Sätze sind knapp und leicht verständlich. Gleichzeitig schafft der Autor es aber auf hervorragende Weise, uns gefährliche Situationen so ausführlich und packend zu schildern, dass unser Herz schneller schlägt und wir geneigt sind, vor Nervosität an unseren Fingernägeln zu knabbern.

Die Protagonisten aus „Simon befiehlt“ passen sich wunderbar in das Gesamtgefüge ein; allen voran ist hier Trevor Man als tragischer Held zu nennen, der immer wieder durch sein Asthma ausgebremst wird, aber auf der anderen Seite als erfolgreicher Kolumnist und gut aussehender Frauenheld auftritt. Auch Trevors neue Freundin Jazz verbirgt hinter ihrer selbstbewussten Art ihre eigene Verletzlichkeit, außerdem müssen wir erfahren, dass sie von einem Unbekannten erpresst wird. Ganz allmählich lässt Lauenroth uns hinter die Fassaden seiner handelnden Charaktere blicken, sodass wir schließlich erkennen müssen, dass in ihnen mehr steckt, als wir geahnt haben.

„Simon befiehlt“ ist ein gut durchkonstruierter Science-Fiction-Thriller, der von Anfang an ein hohes Tempo anschlägt und seine Leser sogleich fesselt. Geschickt verwebt Frank Lauenroth seine Handlungsstränge miteinander und enthüllt ihre Verbindungen erst recht spät. So bleibt am Ende festzuhalten, dass „Simon befiehlt“ absolut lesenswert ist – eigentlich die ideale Lektüre für einen dunklen Winterabend, doch dieser Thriller unterhält auch an einem sonnigen Frühlingstag nicht minder gut, wenn man sich auf die eingestreuten Science-Fiction-Elemente einlässt und sich von Frank Lauenroth nach New York entführen lässt.

Mehr über Frank Lauenroth unter http://www.franklauenroth.de/

Kastner, Jörg – Engelsfürst

Mit „Engelsfürst“ legt der deutsche Autor Jörg Kastner bereits seinen dritten Vatikanthriller rund um den ehemaligen Schweizer Gardisten Alexander Rosin und die engagierte Vatikanjournalistin Elena Vida vor. In den beiden Vorgängerromanen „Engelspapst“ und [„Engelsfluch“ 808 standen sowohl der reformerische Papst Custos als auch der Geheimorden Totus Tuus im Zentrum der Erzählung. Über zwei Jahre ist es her, seit Alexanders geliebter Onkel ermordet wurde und Papst Custos an die Macht kam, der über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt und daher unter dem Namen Engelspapst bekannt wurde. Aber auch der Gegenpapst Lucius, der sich in „Engelsfluch“ einen Namen gemacht hat, besitzt heilende Fähigkeiten und stammt von einem bekannten Engel ab. Im Engelsfürsten nun regieren beide Päpste in trauter Zweisamkeit, bis das Übel seinen Lauf nimmt …

Zu Beginn des vorliegenden Buches begibt Elena Vida sich zu später Stunde an einen abgelegenen Treffpunkt, um sich dort mit dem stellvertretenden Direktor der Vatikanbank, Monsignore Picardi, zu treffen, der am Telefon nervös klang und offensichtlich geheime Informationen für Elena hat. Doch am vereinbarten Treffpunkt wartet nicht Picardi auf Elena, sondern zwei gefährliche Männer, die Elena bewusstlos schlagen. Kurz darauf findet Elena Vida sich in Polizeigewahrsam wieder, da sie neben der Leiche Picardis gefunden wurde und nun des Mordes verdächtigt wird.

Alexander Rosin dagegen wird in den Vatikan gerufen, um dort ebenfalls unglaubliche Neuigkeiten zu hören. Kardinal Mandume nämlich ist nicht, wie offiziell bekannt gegeben, an einem Herzschlag gestorben, sondern er ist durch die so genannte Selbstverbrennung gestorben, bei der innerhalb von Sekunden oder wenigen Minuten von einem Menschen nur noch ein Häuflein Asche übrig bleibt. Als Alexander dann auch noch erfahren muss, dass Elena, von der er inzwischen getrennt lebt, nur knapp einem Anschlag entkommen konnte und nun selbst des Mordes verdächtigt wird, befindet sich auch Rosin mitten in der Geschichte.

In einem zweiten Handlungsstrang treffen wir auf Enrico, den Sohn des zweiten Papstes Lucius, der sich in einem Kloster in San Gervasio aufhält und von merkwürdigen Träumen heimgesucht wird. Der Abt des Klosters bietet Enrico an, eine Rückführung zu versuchen, damit Enrico seine Träume besser deuten kann und vielleicht herausfindet, ob es sich dabei nicht vielmehr um eigene Erinnerungen aus einem früheren Leben handelt. Bei seinen Sitzungen mit dem Abt muss Enrico schließlich feststellen, dass er vor 2000 Jahren tatsächlich bereits unter dem Namen Vel gelebt hat und er aus diesem Leben schreckliche Erinnerungen ans Tageslicht holen wird …

In zwei parallelen Handlungssträngen erzählt Jörg Kastner temporeich die Geschichte des Engelsfürsten. Während recht schnell Elenas Unschuld bewiesen ist und Alexander Rosin ebenfalls nur knapp einem Mordanschlag entkommen kann, versuchen Stelvio Donati und Alexander zusammen herauszufinden, welche Zusammenhänge es zwischen den beiden toten Kirchenmännern Picardi und Mandume gibt. Umrahmt wird die Erzählung durch die tragische Liebesgeschichte zwischen Alexander und Elena, die ein Ende fand, als Alexander aus Neid vor Elenas journalistischen Erfolgen eine Affäre begann. Doch damit nicht genug, erfährt Alexander nun auch noch, dass Elena ein Kind von ihm erwartet. Die Beziehung der beiden ist somit gespickt von Streit, Zwistigkeiten und Eifersucht. Elena kann Alexander seine Untreue einfach nicht verzeihen, obwohl dieser seinen Fehler gerne ungeschehen machen würde. Aber für viel Liebesgeplänkel ist glücklicherweise nicht viel Zeit, da sich im Kloster von San Gervasio etwas Schreckliches zusammenbraut.

Nach gleichem Strickmuster schon wie in „Engelsfluch“ lässt Kastner den besiegt geglaubten Geheimorden Totus Tuus wieder auferstehen, der mächtige Männer auf den Plan treten lässt, die ähnlich prominente Ahnen haben wie Papst Lucius und sein Sohn Enrico, die vom Engel Uriel abstammen und daher als Engelssöhne bezeichnet werden.

Schnell wird klar, dass das so genannte Engelsfeuer entfacht werden soll, um den Engelsfürsten auferstehen zu lassen, doch mit welchen Mitteln dies geschehen soll und worum es sich dabei genau handelt, das enthält Jörg Kastner uns über weite Strecken des Buches vor. Doch wer sich noch an den Vorgängerband erinnern kann, wird einige Parallelen entdecken, die ziemlich offensichtlich sind. Insbesondere beim Showdown erwartet den Leser ein unangenehmes Déjà-vu – man meint, fast genau die gleiche Szene bereits zu kennen.

Nun ja, ein paar neue Komponenten sind durchaus enthalten und es fehlen auch nicht die atemberaubenden Verfolgsjagden und Mordanschläge, die immer wieder die Spannung steigen lassen und das Tempo anziehen, obwohl Jörg Kastner durch die steten Schauplatzwechsel von vornherein ein ziemlich hohes Erzähltempo anschlägt. So bleibt dem Leser wenig Zeit zum Durchatmen und glücklicherweise oft auch wenig Zeit zur Reflektion über das gerade Gelesene, was dem Roman sicher zugute kommt.

Insbesondere die personellen Schwächen sind schnell aufgedeckt, denn wir treffen wieder auf unsere alten Bekannten, den ehemaligen Gardisten Alexander Rosin und seine nunmehr Exfreundin Elena Vida, die beide unerschrocken zu Werke gehen und sich von keinem Killer den Mut nehmen lassen. Immer wieder stürzen sie sich in gefährliche Situationen und treffen daher mehrfach auf die beiden unbekannten Mörder. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch permanent Elenas Sorge um den ungeborenen Sohn anhören. Natürlich vergisst Kastner es auch nicht, immer wieder Alexanders Schuldgefühle auszubreiten, von denen er aufgrund seiner Untreue heimgesucht wird, aber wer hätte es nicht geahnt? Am Ende – so viel sei verraten, ohne zu viel preiszugeben – erwartet unsere beiden Helden natürlich ein schmalztriefendes Happyend, das ebenso gut aus der Feder einer Rosamunde Pilcher hätte stammen können.

Doch bleiben wir beim Inhalt – und da hat Jörg Kastner leider wenig Neues zu bieten; es treten kaum Charaktere auf, die wir nicht bereits aus den Vorgängerbänden kennen, auch ist der Roman nach exakt dem gleichen Schema konstruiert wie sein Vorgänger und dadurch zu leicht durchschaubar. Thematisch entfernt Kastner sich rein gar nicht von seinem eingeschlagenen Pfad, sondern geht gerade mal ein, zwei Schritte weiter, um einige winzige neue Aspekte ins Spiel zu bringen, die aber wenig Sensationelles zu bieten haben. Als dann schließlich die Söhne verschiedener Engel im großen Finale aufeinander treffen, hoffen wir eigentlich nur noch eins: und zwar, dass Totus Tuus nun endlich ausgerottet sein möge, damit kein weiteres Feuer entfacht werden kann.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Kastner mit „Engelspapst“ ein überzeugender Start in seine Vatikanreihe gelungen ist, die er leider mit dem zweiten Band nicht völlig gelungen fortgesetzt hat, „Engelsfürst“ ist nun nur noch ein müder Abklatsch von „Engelsfluch“ und damit der schwächste der drei bisher erschienenen Bände. Natürlich ist das Buch rasant geschrieben, nett zu lesen und auch ganz unterhaltsam, aber man sollte schon einen Hang zum Mystischen haben, um diesem Buch etwas abgewinnen zu können; logische Gedanken und der Wunsch zur Realitätsnähe sind hier fehl am Platze.

http://www.knaur.de

Dahl, Arne – Rosenrot

Kriminalromane haben Hochkonjunktur, insbesondere, wenn ihre Autoren aus Skandinavien und dort speziell aus Schweden kommen. Doch seit Henning Mankell immer seltener seine beliebten Wallanderromane veröffentlichte, schaffen auch andere Autoren den Sprung nach ganz oben in die Krimi-Bestsellerlisten. Ein Autor, der Mankell nicht nur in seiner Schreibweise und einigen Anspielungen sehr nahe kommt, ist der ebenfalls schwedische Autor Arne Dahl, der mit „Rosenrot“ seinen nunmehr fünften Roman rund um die so genannte A-Gruppe vorlegt.

Im Einsatz gegen illegale Einwanderer erschießt der Polizist Dag Lundmark – vermeintlich in Notwehr – den Südafrikaner Winston Modisane, als dieser seinen Fluchtweg versperrt vorfindet. Zunächst sieht alles nach einem ganz normalen Polizeieinsatz aus, doch schnell mehren sich die Verdachtsmomente gegen Dag Lundmark, der offensichtlich etwas zu verbergen und vielleicht doch nicht in Notwehr gehandelt hat. Der Leser weiß natürlich bereits, dass auf Lundmark kein Schuss abgegeben wurde und dass Modisane unschuldig sterben musste. Die A-Gruppe kommt zum Einsatz, sodass wir schnell auf Paul Hjelm und Kerstin Holm treffen, die Lundmark verhören sollen. Doch Holm ist befangen, trägt sie doch noch den Verlobungsring von Dag Lundmark, mit dem sie vor Jahren eine unglückliche Beziehung geführt hat. Tief in Kerstin Holm kommen Gefühle zum Vorschein, die sie sicher verwahrt geglaubt hatte. Obwohl Dag Lundmark sie damals regelmäßig vergewaltigt hatte, trägt sie nach wie vor seinen Verlobungsring und kann ihrem Ex-Geliebten immer noch nicht so recht unter die Augen treten.

Zu dem mutmaßlichen Mord an Winston Modisane gesellt sich eine zweite Leiche, über die ein erkälteter Einbrecher stolpert, dessen Nase so verstopft ist, dass er die halb verweste Leiche zunächst gar nicht bemerkt und ebenso wenig, dass er selbst so sehr nach Leiche stinkt, dass er von der nächsten Polizeikontrolle aufgelesen wird. Bei der zweiten Leiche handelt es sich um Ola Ragnarsson, der einen mysteriösen Abschiedsbrief hinterlassen hat, in welchem er sich als Massenmörder zu erkennen gibt. Doch wieso konnten Ragnarssons Morde unentdeckt bleiben und wieso wurden keine Menschen vermisst gemeldet? Ein verdeckter Hinweis führt die Polizisten zu einem Acker, in welchem zwei Leichen begraben liegen, die offensichtlich auf Ragnarssons Konto gehen. Die Spuren führen bis nach Monte Carlo, wo Ragnarssons Ex-Freundin lebt, die den Ermittlern einen wichtigen Hinweis geben kann.

Zur gleichen Zeit verschwindet Dag Lundmark, gegen den sich die Verdachtsmomente so weit verdichten, dass er schnell als Modisanes Mörder entlarvt werden kann. Langsam aber sicher entdecken die Ermittler die Verbindung zwischen den beiden so unterschiedlich aussehenden Todesfällen, doch bis dahin ist es ein langer Weg für die schwedische Polizei und insbesondere für Kerstin Holm, die von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt wird und schlimme Dinge entdecken muss …

Arne Dahl präsentiert uns einen zunächst absolut unspektakulären Fall, in dem ein vielleicht rassistisch veranlagter und zu Brutalität neigender Polizist im Dienst einen schwarzen Einwanderer erschießt und dies wie Notwehr aussehen lässt. Doch ist dies nur die Oberfläche, an der wir kratzen. Hinter der Fassade versteckt sich ein ausgeklügelter Plan, der weitreichende Konsequenzen hat. Nach und nach streut Arne Dahl weitere Hinweise ein, die uns Dag Lundmark besser kennen lernen lassen. Wir erfahren wichtige Dinge aus seiner Vergangenheit und auch von Kerstin Holms Vergangenheit, die vor Dag Lundmark bereits von einem Freund ihrer Familie sexuell belästigt und vergewaltigt wurde. Die sonst so toughe A-Ermittlerin erscheint verletzlicher und angreifbarer denn je. Ein „schwarzes Loch“ zieht sie an und droht, sie in die Tiefe zu reißen. Kerstin Holm kann nicht länger vor ihrer eigenen Vergangenheit flüchten und ist in diesem Kriminalfall die Marionette in einem perfiden Plan.

Nach etwa hundert Seiten tritt die zweite Leiche auf den Plan und die Ermittlungen spalten sich in zwei vermeintlich unterschiedliche Kriminalfälle auf, die selbstverständlich miteinander zusammenhängen, obwohl sie erst gar nichts miteinander zu tun haben. Der Einbrecher Björn Hagmann erhält einen anonymen Hinweis und beschließt daraufhin, auch mit seiner schweren Erkältung einen Einbruch zu verüben, der jedoch nur dazu dient, dass die Leiche von Ragnarsson entdeckt werden kann. Kurz nach dem Einbruch gelingt Hagmann die Flucht vor der Polizei, doch kann er nicht einem Mordanschlag entkommen, den er nur knapp überlebt.

Die schwedische Polizei hat alle Hände voll zu tun, liefern beide Todesfälle doch viel Anlass zu Ermittlungen, sodass wir etliche Ermittler kennen lernen, die in einem schwer durchschaubaren Miteinander leben und arbeiten. Arne Dahl entwirft ein kompliziertes Beziehungsgeflecht, in dem die meisten Protagonisten eine bewegte Vergangenheit haben und auch aktuell nicht frei von Problemen und Sorgen sind. Leider lässt Dahl allerdings so viele Ermittler und Verdächtige auf den Plan treten, dass man sich als Leser nur schwer zurechtfinden kann. Die fremdartigen Namen helfen natürlich auch nicht gerade, um die jeweilige Hintergrundgeschichte einem Protagonisten zuzuschreiben. Einzig Paul Hjelm und Kerstin Holm bleiben gut im Gedächtnis und hinterlassen ihre Spuren beim Leser. Besonders Kerstin Holm wird uns näher gebracht, auch wenn wir ihre Handlungen nicht nachvollziehen können. Doch im Nachhinein zeigt sich, dass Kerstin Holms Taten von ihren verwirrten Gefühlen getrieben wurden und hierbei sehr verständlich bleiben.

Personell ist „Rosenrot“ leider etwas überfrachtet; man bekommt den Eindruck, dass die schwedische Polizei sogar überbesetzt ist, weil so viele unterschiedliche Personen an den beiden Fällen arbeiten. Das macht die Identifikation mit den einzelnen Figuren beim Lesen deutlich schwieriger. Hier vermisst man dann doch den Mankell’schen Wallander, der in seinen Romanen stets im Mittelpunkt steht und dem Leser als Identifikationsfigur oder zumindest doch Bezugsperson dient. Dies fällt in „Rosenrot“ deutlich schwieriger.

Doch Arne Dahl überzeugt dafür an anderer Stelle: Wie dem Leser schnell klar wird, hängen beide Kriminalfälle natürlich eng zusammen und gehören zu einem großen Plan, auch wenn Dahl uns nur langsam die Verbindungen zeigt und uns erst spät verstehen lässt, wie alles zusammenhängt und wo die Motive für die Morde versteckt liegen. Dahl eröffnet immer mehr Handlungsspielorte und lässt seine Akteure in viele unterschiedliche Richtungen ermitteln, sodass die Erzählung immer mehr Tempo aufnimmt und den Leser zunehmend fesselt. Die Geschichte in „Rosenrot“ ist verwickelt, aber sehr gut konstruiert. Der Kern zur Auflösung der Todesfälle liegt versteckt unter einem Haufen verhüllender Schichten, die nur nach und nach angehoben werden. Als Leser muss man sich mit wohldosierten Informationshäppchen zufrieden geben, die sukzessive den Blick unter die vielen Schichten erlauben und den Leser ganz am Ende mit einer Auflösung belohnen, die ein echtes Aha-Erlebnis ist. Wenn sich die Hintergründe der Todesfälle offenbaren, bleibt der Leser sprachlos zurück. Arne Dahl hat mit „Rosenrot“ eine überzeugende und bewegende Romanhandlung komponiert, die nachwirkt und sich äußerst positiv vom Durchschnitt der aktuellen Kriminalromane abhebt. Mit diesem Buch festigt Arne Dahl seinen Anspruch auf die oberen Plätze der Bestsellerlisten und seinen Platz unter den großen Autoren der Spannungsliteratur.

Abschließend bleibt nur noch festzuhalten, dass Arne Dahl mit „Rosenrot“ einen klug inszenierten Roman vorgelegt hat, der logisch durchkomponiert ist und absolut überzeugen kann. Wie sein schwedischer Kollege Mankell scheut auch Dahl sich nicht davor, seinem Roman einen politisch kontrovers diskutierbaren Hintergrund zu geben und darüber hinaus Protagonisten, die alles andere als perfekt sind und einige Krisen zu durchleben haben. „Rosenrot“ beginnt zwar erst gemächlich, nimmt dann aber ein solches Tempo auf, dass man das Buch nicht mehr zur Seite legen kann. Und auch das Ende enttäuscht nicht, allerdings sollte man sich als Leser zurückhalten und vor der Lektüre lieber nicht den Umschlagtext zum Buch lesen, da meiner Meinung nach einiges vorweggenommen wird, was Arne Dahl dem Leser erst spät präsentiert. „Rosenrot“ ist eine runde Sache, endlich wieder ein Autor, der Henning Mankell so nah kommt wie vielleicht kein anderer!

http://www.piper.de

Siehe ergänzend auch die [Rezension 3091 von Michael Matzer zur Lesung bei |steinbach sprechende bücher|.

Santiago Roncagliolo – Vorsicht

„Vorsicht“ ist der zweite Roman des jungen peruanischen Autors Santiago Roncagliolo und mit ebensolcher Vorsicht auch zu genießen. Spitzfindig wird auf dem Buchrücken bereits die Frage gestellt, ob Roncagliolo in diesem Buch die Geschichte einer normalen Familie erzählt, doch kann man wohl nur hoffen, dass dem nicht so ist …

Auf nur 184 Seiten erzählt Santiago Roncagliolo die Geschichte einer nicht ganz alltäglichen peruanischen Familie, die kurz vor dem Auseinanderbrechen scheint. Im ersten Kapitel stirbt in Anwesenheit des kleinen Sergio seine Oma und von nun an sieht der kleine Mann vermeintlich Gespenster. Was sich jedoch wirklich hinter diesen ominösen Gespenstern verbirgt, erfahren wir erst später im Laufe der Erzählung. Opapa leidet offensichtlich an Alzheimer, denn den Tod seiner Frau vergisst er schnell wieder, stattdessen erinnert er sich an seine letzte Gelegenheit zu einem Seitensprung, die bereits einige Jahre zurückliegt und die durch ein kaputtes Leitungsrohr erfolgreich zunichte gemacht wurde. Doch Opapa möchte sein Liebesglück noch nicht aufgeben. Als er herausfindet, dass seine ehemalige Liebe Doris in ein Seniorenheim zieht, quartiert er sich dort gegen den Willen seiner Familie und der Heimleitung ein.

Santiago Roncagliolo – Vorsicht weiterlesen

Lukianenko, Sergej – Wächter des Tages

Der Auftakt zu Sergej Lukianenkos Wächter-Trilogie schlug unter anderem dank großzügiger Kinowerbung ein wie eine Bombe, das Buch stand wochenlang in den Bestsellerlisten ganz weit oben und auch der Andrang am Kino war anfangs für eine russische Verfilmung sehr groß. Und auch wenn der Kinofilm vielleicht nicht den westlichen Massengeschmack getroffen hat, wurde die Fortsetzung in Buchform doch ungeduldigst erwartet. In [„Wächter der Nacht“ 1766 wurde ein düsteres Bild von Moskau gezeichnet; hier trafen wir auf den Lichten Magier Anton, der für die Nachtwache arbeitet und einige Abenteuer und Gefahren zu überstehen hat. Die beiden großen Magier Sebulon und Geser intrigieren gegenseitig und manchmal auch scheinbar gegen ihre eigene Wache, sodass nie klar war, wer in dieser Trilogie wirklich die Guten sind und wer die Bösen. Umso gespannter war ich auf die „Wächter des Tages“, die sich nun der Gegenseite widmen, sodass wir auch die Tagwache näher kennen lernen werden.

Zunächst treffen wir auf die dunkle Hexe Alissa, die einst Sebulons Geliebte war, nach dem Missbrauch des Kraftprismas beim Chef der Tagwache allerdings in Missgunst gefallen ist. Die erste Geschichte beginnt sogleich mit einem Kampf zwischen den Lichten und den Dunklen, bei dem eine Dunkle stirbt und Alissa alle magischen Kräfte verliert und nicht mehr ins Zwielicht eintreten kann. Doch dadurch rehabilitiert sie sich und gewinnt Sebulons Vertrauen zurück. Alissa wird zu einem Urlaub in ein Kindererholungsheim geschickt, um dort neue Kräfte zu tanken. In den Alpträumen der Kinder gewinnt Alissa ihre magischen Fähigkeiten zurück. Doch auch ein anderer Betreuer erhält Alissas verstärkte Aufmerksamkeit, denn sie beschließt, die Zeit im Erholungsheim zu einer kleinen Affäre zu nutzen. So verführt sie den gut aussehenden Igor und verbringt eine heiße Nacht am Strand mit ihm. Doch als sie ihre magischen Fähigkeiten zurückerlangt hat, muss sie erkennen, dass Igor ein lichter Magier ist, der ebenfalls zum Krafttanken in das Heim geschickt wurde. Es kommt zum Kampf zwischen den beiden, der für einen der Widersacher tödlich endet.

Die zweite Geschichte widmet sich dem Lichten Witali, der sein Gedächtnis verloren hat und nicht weiß, wer er eigentlich ist. Nach und nach bemerkt Witali, dass er über große magische Kräfte verfügt, mit denen er sogar Geser und Swetlana überrumpeln kann. Gleichzeitig wird eine mächtige Kralle entwendet, woraufhin es zu einigen Morden auf Seiten der Dunklen kommt. Erst nach und nach wird klar, welche Rolle Witali im Gesamtgefüge der Wachen spielt, am Ende der Geschichte kommt es zu einem fulminanten Showdown, bei dem das Kräftegleichgewicht wieder hergestellt wird.

Erst in der dritten Geschichte jedoch verdichten sich die Geschehnisse, wir erfahren mehr über die Zusammenhänge innerhalb des zweiten Teils der Wächter-Trilogie, aber langsam durchschauen wir auch, welche Rolle Alissa und ihre Liebesgeschichte spielen, welchen Part Igor dabei einnimmt und welchen die gestohlene Kralle. Im Laufe dieser Geschichte gibt Sergej Lukianenko viele Geheimnisse preis und erklärt uns ansatzweise, welche düsteren Pläne die beiden Chefs der Tag- und Nachtwache verfolgen. Auch hier wird wieder mehr als deutlich, dass es keine Guten und Bösen im eigentlichen Sinne gibt. Doch leider endet auch diese Geschichte offen, sodass wir ungeduldig auf den bereits heiß ersehnten dritten Teil „Wächter des Zwielichts“ warten müssen, bis wir endlich hinter die Fassaden blicken können …

Sergej Lukianenko versteht es hervorragend, seine Wächter-Trilogie in diesem Mittelband fortzusetzen und weiter auszubauen. Er gönnt uns keine Ruhepause, sondern steigt direkt mit einem gefährlichen Kampf zwischen Licht und Dunkel ein, bei dem beide Seiten große Verluste wegzustecken haben. Doch wie schon im ersten Teil, dient auch diese Schlacht nur zur Ablenkung. Sebulon und Geser verfolgen beide ihre eigenen Pläne und setzen ihre eigenen Wächter wie Figuren in einem Schachspiel ein, sodass die eine oder andere Figur bei diesem Spiel auch geopfert werden muss. Nur ganz langsam lässt Lukianenko uns einige Zusammenhänge verstehen und erst am Ende von Band 2 erfahren wir, wessen Schicksal durch die Schicksalskreide in [„Wächter der Nacht“ 1828 eigentlich umgeschrieben wurde und zu welchem Zweck dies geschah. Dadurch baut Lukianenko kontinuierlich Spannung auf, doch ganz bewusst lässt er viele Fragen offen, die uns natürlich zum Kauf der Fortsetzung verleiten werden.

Während Sergej Lukianenko uns in seinem ersten Teil Anton als Bezugsperson an die Hand gegeben hat, aus dessen Sicht wir sämtliche Ereignisse geschildert bekommen haben, wechseln die Bezugspersonen in „Wächter des Tages“, sodass wir uns nicht so recht einfühlen können in die Welt der Tagwache. In dem Moment, wo uns die Hexe Alissa sympathisch wird und wir ihre widerstreitenden Gefühle nachvollziehen können, müssen wir uns von ihr bereits verabschieden, weil die Perspektive zu Witali wechselt, der für die zweite Geschichte unser Erzähler sein wird. Für die Sympathieverteilung bedeutet das, dass wir weiterhin eher mit den Wächtern der Nacht fühlen, da Anton für mich der Sympathieträger bleibt, der immer noch seiner Liebe Swetlana hinterher trauert, mit der er aufgrund ihrer großen magischen Kräfte keine glückliche Zukunft haben kann.

Meiner Meinung nach verschenkt Sergej Lukianenko durch den Wechsel der Bezugspersonen einiges Potenzial, da wir mit keiner handelnden Figur so recht warm werden können. Unsere Sympathieträger werden immer genau dann geopfert, wenn wir sie gerade besser kennen gelernt und uns mit ihnen angefreundet haben. Dadurch steht man als Leser etwas verloren da und vermisst eine Identifikationsfigur, die Anton im ersten Band repräsentiert hat. So war ich dann froh, als Anton in der dritten Geschichte dieses Bandes wieder eine wichtige Rolle übernahm und häufiger auftrat. In der dritten Geschichte schwenkt Sergej Lukianenko hin und her, im regelmäßigen Wechsel begleiten wir auf der einen Seite Anton und auf der anderen Seite den Dunklen Edgar, die beide allmählich die Pläne ihrer beiden Chefs durchschauen und uns dabei peu à peu die Antwort auf viele Fragen präsentieren.

Auch in diesem Band spielt Sergej Lukianenko seine Stärken aus; so gestaltet er seine Charaktere weiter aus und wir lernen neue Facetten der wichtigen Figuren kennen. Bei Lukianenko gibt es keine Schwarzweiß-Zeichnungen, er gibt all seinen Charakteren gute wie auch schlechte Wesenszüge mit, die die Grenzen zwischen Gut und Böse erfreulich verwaschen gestalten. So kann im Grunde genommen jeder Leser für sich entscheiden, mit wem er mitfiebern möchte, Lukianenko gibt uns keine Seite vor. Für mich ist und bleibt Anton Gorodetzki die Identifikationsfigur schlechthin, seine Gefühle für Swetlana sind nachvollziehbar, ebenso wie seine Zweifel und Frustration, weil er die Pläne seines Chefs nicht versteht und sich von Geser und Sebulon ausgenutzt fühlt. Anton ist nicht perfekt, auch in „Wächter des Tages“ muss er sich zwischen zwei Seiten entscheiden, um am Ende vielleicht doch eine Zukunft mit Swetlana haben zu können.

Sergej Lukianenkos Charaktere sind vielschichtig und authentisch, sie werden uns mit all ihren Vorzügen, Zweifeln, Intrigenspielen und in all ihrem Gefühlschaos vorgestellt. Aber es sind nicht nur die ausgefeilten Figuren, die offenbaren, dass Lukianenko ein sehr genaues Bild von seiner Zwielichtwelt vor Augen hat; es ist insbesondere die komplexe und schwer durchschaubare Handlung, die ein Zeichen dafür ist, dass Lukianenko noch viel vor hat in seiner Wächter-Trilogie. Er hat eine realitätsnahe Welt geschaffen, in der die Anderen in einem komplizierten Miteinander leben, das von Kämpfen, Intrigen und Vertragsbrüchen gekennzeichnet ist, die immer wieder das labile Kräftegleichgewicht ins Wanken bringen. In diesem Band werden uns zwar einige Zusammenhänge erklärt, doch wird unterschwellig deutlich, dass Lukianenko uns die entscheidenden Hinweise weiter verheimlicht. Bei den Anderen steckt hinter jeder Tat noch viel mehr, meist handelt es sich um Ablenkungsmanöver, nie können wir sicher sein, dass wir wirklich schon hinter die Fassade geblickt haben; Lukianenko lässt uns nur an der Oberfläche kratzen und fesselt uns dadurch nur umso mehr an seine Bücher.

So bleibt festzuhalten, dass „Wächter des Tages“ zwar mit den üblichen Problemen eines Mittelbandes zu kämpfen hat, da Anfang und Ende des Buches offen gestaltet sind, dennoch überzeugt Lukianenko erneut (fast) auf ganzer Linie. „Wächter des Tages“ ist atmosphärisch dicht geschrieben, düster, spannend, zwiespältig, es weckt unsere Neugier auf die Fortsetzung und bietet viel Potenzial für den ausstehenden Abschluss der Wächter-Trilogie. Viele Dinge sind noch ungeklärt, viele Schicksale stehen nicht fest, sodass Sergej Lukianenko in „Wächter des Zwielichts“ noch einiges aufklären muss. Mit nur winzigen Schönheitsfehlern wie der fehlenden Bezugsperson bleibt „Wächter des Tages“ ein klein wenig hinter dem ersten Teil der Trilogie zurück, doch bietet es auf der anderen Seite einen genaueren Blick in die Welt der Tagwache, sodass wir die Gefühle und Denkweisen der Dunklen viel besser nachvollziehen können, und es bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte, die Lukianenko hoffentlich in „Wächter des Zwielichts“ aufgreifen wird, um uns endlich verstehen zu lassen, was in der Welt der Anderen wirklich vor sich geht. Was will man mehr?