Alle Beiträge von Maike Pfalz

Buchwurm, seit ich lesen kann :-)

Hesse, Andree – Judaslohn, Der

Gute Kriminalromane kommen nicht nur aus Schweden, sondern auch deutsche Autoren brauchen sich hinter ihren skandinavischen Kollegen nicht zu verstecken – so auch Andree Hesse, der seinen Roman in der norddeutschen Stadt Celle spielen lässt und an vielen Stellen eine Vorliebe für Henning Mankell offenbart.

_Mörderisches aus Celle_

Kriminalkommissar Arno Hennings wohnt seit dem Unfalltod seiner Eltern wieder in seinem Elternhaus in Celle. Der Hauptstadt Berlin und seiner Freundin Aglaja hat er den Rücken gekehrt, um seine Arbeit wieder in seiner alten Heimat aufzunehmen. Als auf dem Truppenübungsplatz die Leiche des jungen Soldaten Grafton entdeckt wird, entpuppt sich dieser Fall für Hennings als Bewährungsprobe in seiner neuen Dienststelle. Er übernimmt zusammen mit Sergeant Emma Fuller von der englischen Militärpolizei die Ermittlungen. Doch zunächst tappt die Polizei im Dunkeln, es werden nur wenige Spuren gefunden und weder Täter noch Motiv zeichnen sich ab. Es dauert nicht lange, bis die Polizei einen teuren Mercedes aus einem Teich nahe des Leichenfundortes bergen kann. Als der Besitzer des Wagens ermittelt wird, führt diese Spur zu einer alten Schulbekanntschaft von Arno Hennings, denn das Auto gehört dem Ehemann seiner alten Freundin Heike Harms.

Von Heikes Ehemann fehlt jedoch zunächst jede Spur. Heike vermutet Knut auf einer Geschäftsreise in Polen, doch telefonisch ist er dort nicht zu erreichen. Als eine weitere Leiche auf dem Truppenübungsplatz entdeckt wird, erklärt sich das Verschwinden von Knut Harms von selbst, denn seine Leiche sitzt gefesselt und verdurstet in einem Kellerraum nahe des Fundortes von Private Grafton.

Mitten in die Ermittlungen platzt eine Schreckensnachricht aus Berlin, denn Arnos Freundin Aglaja wurde mit ihrem Fahrrad von einem LKW überrollt und liegt nun schwer verletzt im Krankenhaus. Überstürzt fährt Arno Hennings nach Berlin und handelt sich für sein unüberlegtes Handeln großen Ärger ein. Von nun an ist er mit seinen Gedanken wieder oft in Berlin, doch findet er bald heraus, dass das Motiv für die beiden Morde in der Vergangenheit des Truppenübungsplatzes liegen muss, wo vor dem zweiten Weltkrieg Höfe standen, die 1936 enteignet wurden …

_Hennings vs. Henning_

Andree Hesse hat sich die kleine norddeutsche Stadt Celle mit ihrem benachbarten Truppenübungsplatz der NATO als Handlungsort für seinen Kriminalroman ausgesucht. An vielen Stellen merkt man den zahlreichen Landschaftsbeschreibungen an, dass Hesse selbst in der Nähe von Celle aufgewachsen ist und die Szenerie zu beschreiben weiß. So lässt er sich auch viel Zeit, um Atmosphäre und Stimmung aufzubauen, denn zunächst passiert nicht viel in seinem Buch. Selbst eine kurze Autofahrt von Celle zum Truppenübungsplatz nimmt anfangs einige Seiten ein, damit ganz nebenbei die Örtlichkeiten genauestens beleuchtet werden können. Zu Beginn erfordert dieser Roman daher etwas Durchhaltevermögen, wenn man nicht gerade aus der Gegend kommt und neugierig auf bekanntes Lokalkolorit wartet. Insgesamt stellen die ausufernden Landschaftsbeschreibungen die einzige Herausforderung an den Leser dar, da sie die Handlung nicht voranbringen und manchmal vielleicht etwas zu weit ausholen.

Doch der Autor nutzt die Zeit auch, um seinen Protagonisten Arno Hennings entsprechend vorzustellen und ein Bild von ihm zu entwickeln. Hennings hat sich nach dem Tod seiner Eltern aus der Großstadt zurückgezogen und scheint Zuflucht zu suchen in seinem ehemaligen Elternhaus, auch wenn sich dort die Mäuse wohler zu fühlen scheinen als Hennings selbst. Auch seine Beziehung zur Polin Aglaja steht auf der Kippe, da er sie mit seiner Entscheidung, aus Berlin wegzuziehen, aus heiterem Himmel überrascht hat. Ein wenig erscheint er uns als tragische Existenz, da zudem einige Probleme mit seinem ungeliebten Vorgesetzten hinzukommen und später auch eine Verletzung seiner linken Hand. Hennings kommen oftmals Zweifel angesichts seiner beruflichen Entscheidung gegen Berlin und gegen Aglaja, und gerade ihr Unfall macht ihm klar, wie sehr er noch an ihr hängt und wie oft seine Gedanken zu ihr zurückkehren. Hennings wird uns als Kriminalkommissar mit menschlichen Alltagssorgen vorgestellt, der auch mal Fehler macht und dadurch umso authentischer wirkt. Der treue Krimileser fühlt sich hier an vielen Stellen an den allseits bekannten Kurt Wallander aus den Romanen von Henning Mankell erinnert, zumal selbst der Name der Hesseschen Hauptfigur an den berühmten schwedischen Autor erinnert.

Auch thematisch eifert Andree Hesse seinem schwedischen Vorbild Henning Mankell nach, denn ähnlich wie in „Die Rückkehr des Tanzlehrers“ führt die Spurensuche in „Der Judaslohn“ zurück bis in die nationalsozialistische Zeit. Hesse nimmt sich ebenfalls dieses brisanten Themas an, entwickelt es allerdings leider nicht ganz so überzeugend wie Mankell. Zu vieler Klischees bedient Hesse sich besonders in der Figurenzeichnung der rechtsradikalen Szene, denn es sind heutzutage nicht mehr nur die intelligenzarmen Fußballfans mit Kahlschlag, die in diesem Zusammenhang auftauchen, doch zieht Andree Hesse dieses etwas ausgelutschte und überholte Bild heran, um einige der Nazis zu charakterisieren.

Natürlich darf in der Romanhandlung auch eine starke weibliche Figur nicht fehlen. So arbeitet Hennings zusammen mit der Engländerin Emma Fuller, die vonseiten der britischen Militärpolizei den Fall aufzurollen versucht. Speziell ihr grammatikalisch oft falsches Deutsch und die häufige Verwendung englischer Floskeln zeichnen sie aus. Auf Dauer störte mich ihre fehlerhafte deutsche Satzstellung aber doch, da man beim Lesen zwangsläufig darüber stolpert. Zumindest erspart uns Andree Hesse die üblicherweise sich entwickelnde Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptfiguren, hier nämlich kommen Aglaja und ihr schwerer Unfall wieder ins Spiel und verhindern die Annäherung zwischen Arno und Emma.

Andree Hesses Charakterzeichnungen sind sehr liebevoll, so erhält jede wichtige Person ihren Raum und wird dem Leser vorgestellt, wobei die offensichtlichen Details genauso Erwähnung finden wie Informationen aus der Vergangenheit und Eigenarten der betreffenden Figur. Hesse stellt hierbei unter Beweis, dass er ein Auge für Details hat und sehr gut zu beobachten weiß.

S. 128: |“Kaum hatte ihnen Jutta die Biere serviert und Arno sich eine Zigarette angesteckt, kam Hans mit seinem schwerfälligen Wiegeschritt aus der Küche, in der karierten Hose und der zweireihigen, weißen Jacke des Kochs, auf der ein paar Fettflecken und Saucenspritzer prangten, die großen Füße in weißen Birkenstocklatschen. Eigentlich habe ich Hans immer nur so gesehen, dachte Arno, während er zuschaute, wie sich sein Cousin ein Bier zapfte, ich kenne ihn eigentlich nur in dieser Montur. Grinsend zwängte Hans schließlich seinen massigen Körper auf die Bank neben Emma, die dagegen wie ein kleines Mädchen aussah.“|

_Nichts ist so, wie es scheint_

An den Beginn seines Buches stellt Hesse einen Prolog, der im Jahre 1936 spielt und von den Enteignungen der Höfe rund um Celle und dem Anschlag auf die berühmte Hitler-Eiche durch den Knecht des Falkenhofes erzählt. Doch bevor der Leser richtig versteht, was eigentlich passiert ist, wechselt Hesse in die Gegenwart und widmet sich der Geschichte rund um Arno Hennings. Eine Verbindung zwischen beiden Ereignissen besteht zunächst nur über die Nähe zu Celle, erst nach und nach streut Hesse Hinweise ein, die den Leser auf eine Fährte locken sollen. Mit der Zeit erahnt man den Zusammenhang zwischen dem Falkenhof und den Leichenfunden auf dem Truppenübungsplatz.

Der Spannungsbogen nimmt immer mehr Fahrt auf, da dem Leser im Laufe der Ermittlungen Informationen präsentiert werden, die das eigene Mitarten ermöglichen und eigene Schlüsse zulassen. Darüber hinaus sorgen die realistischen Szeneriebeschreibungen dafür, dass der Leser überall hautnah dabei ist und auf jeder Seite mitfiebern kann. Der Fall spitzt sich immer weiter zu und lässt offenbar nur eine Schlussfolgerung zu, doch damit hat Hesse uns in die Irre geführt, denn nichts ist so, wie es scheint. Das Ende gefiel mir überwiegend sehr gut, wobei ich es allerdings schade fand, dass Hesse einen Handlungsfaden nicht ganz zum Abschluss geführt hat, aber vielleicht geschieht dies in einer möglichen Fortsetzung?!

_Krimikonkurrenz aus Deutschland?_

„Der Judaslohn“ reicht zwar nicht an sein schwedisches Vorbild „Die Rückkehr des Tanzlehrers“ heran, weiß aber dennoch gut zu unterhalten und sich als eigenständiger Kriminalroman davon abzuheben. Andree Hesse verwendet viel Zeit und Mühe darauf, glaubwürdige Figuren zu entwickeln und ihnen ein Profil zu geben; so wirkt besonders das Bild des Kriminalhauptkommissars Arno Hennings stimmig und führt dazu, dass der Leser mit ihm fiebert und ihm beruflichen und privaten Erfolg wünscht, obwohl er doch in seiner alten Heimat etwas fehl am Platze wirkt und teilweise als unerwünschter Außenseiter angesehen wird.

Auch der Kriminalfall weiß zu überzeugen und erhält seinen Reiz durch die Verbindung zur dubiosen Vergangenheit während der nationalsozialistischen Zeit. Gelungen fand ich auch Arno Hennings Begegnung mit seiner eigenen Kindheit und Jugend, da er in Eichendorf alte Freunde und Bekannte wiedertrifft, die ihr gesamtes Leben bislang in dem kleinen Dorf verlebt haben und daher ihre ganz eigenen Ansichten entwickelt haben. Hesse hat hier eine interessante Mischung erschaffen, die den Leser gut unterhalten kann.

Mit nur kleinen Abstrichen bleibt dieser Roman doch äußerst lesenswert und gefällt insbesondere durch die realistische Figurenzeichnung und Landschaftsbeschreibung, die die Handlung lebendig machen. Andree Hesse ist ein Name, den man sich im deutschen Krimigenre unbedingt merken sollte. Ich werde seine weiteren Veröffentlichungen sicherlich verfolgen.

Schulte von Drach, Markus Christian – Furor

Michael Crichton und Dan Brown haben Konkurrenz bekommen! Endlich wagt sich ein promovierter Biologe an das Schreiben eines Wissenschaftsthrillers, endlich müssen wir uns nicht mehr die naturwissenschaftlichen Ideen und Phantasien von Medizinern und Englischlehrern durchlesen, die nicht selten ziemlich abstrus und undurchdacht wirkten. Markus Christian Schulte von Drach hat mit „Furor“ einen rasanten Thriller vorgelegt, der reale Wissenschaft mit (noch?) fiktiven Ideen mixt und daraus eine äußerst brisante Mischung erschafft.

_Furiose Wissenschaft_

In den letzten Minuten vor seinem Tod spricht der berühmte Hirnforscher Christian Raabe seinem Sohn Sebastian auf die Mailbox und bittet ihn, bestimmte Daten auf seinem Institutsrechner ungelesen zu löschen. Kurze Zeit später wird Christian Raabe mit zerquetschtem Hirn auf dem Dach des Fahrstuhls im Wilder-Penfield-Institut gefunden. Da sein Herz noch schlägt, wird er zunächst ins Krankenhaus gebracht, wo sein Körper am Leben erhalten wird.

Als Sebastian Raabe die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält, ist er geschockt und kann nicht an den angeblichen Selbstmord unter Alkoholeinfluss seines Vaters glauben. Schnell findet Sebastian heraus, dass sein Vater seinen Rechner durch ein Passwort geschützt hat, welches er nicht kennt und auch nicht durch den kryptischen Spruch zu entziffern weiß, den der Computer ihm verrät. Er bittet seinen guten Freund Mato um Hilfe, doch kommt er dem Rätsel nicht auf die Spur. In der Wohnung seines Vaters fällt Sebastian das Tagebuch seines Vaters in die Hände, in welchem dieser zwei seiner engen Kollegen beschimpft. Außerdem findet er dort einen Brief, den sein Vater an seine Frau geschrieben, aber offensichtlich nicht abgeschickt hat. Im Brief berichtet Christian Raabe von einer schrecklichen Katastrophe, von der Sebastian bislang nichts gewusst hatte, sodass der unvollendete Brief an seine verstorbene Mutter ihm Rätsel aufgibt. Als Sebastian den Freund seines Vaters Wallroth auf den Brief anspricht, erzählt dieser ihm eine wenig glaubwürdige Geschichte, die Sebastian nicht zu überzeugen vermag.

Mit der Hilfe seiner Freunde schafft Sebastian es schließlich, das Passwort seines Vaters zu entschlüsseln und findet auf dem Rechner brisante Forschungsergebnisse, an deren Existenz Sebastian kaum glauben mag. Doch allzu schnell muss er realisieren, dass das Wissen um diese Ergebnisse ihn in höchste Gefahr bringt …

_Technik, Spannung, Action – Was will man mehr?_

Im gleichen Stil wie beispielsweise auch Dan Brown stellt Schulte von Drach den mysteriösen Tod des renommierten Wissenschaftlers Christian Raabe an den Anfang seines Buches und lässt damit sogleich die Spurensuche beginnen. Raabes Sohn Sebastian kann nicht an den Selbstmord seines Vaters glauben und sucht nach Motiven und auch nach dem Passwort für den Institutscomputer. Viele Fragen werden aufgeworfen, die nach Antworten verlangen. So kommt von Anfang an kein bisschen Langeweile auf, das Buch beginnt von der ersten Seite an rasant und geheimnisvoll.

In einem zweiten Handlungsstrang lesen wir Ausschnitte aus dem Protokoll der Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Spezialkräfte“, in der ein Massaker im Sudan, ausgeübt durch deutsche Soldaten, geklärt werden soll. Die Soldaten können sich gar nicht mehr wirklich an das Geschehen erinnern oder an mögliche Gründe für ihr aggressives Verhalten. Verschiedene Gutachter werden um ihre Meinung gebeten und bringen schlussendlich etwas Licht in das Dunkel, sodass im Laufe des Buches ein immer klareres Bild von den Ereignissen im Sudan entsteht. Auch dauert es nicht lange, bis der Leser die Verbindung zwischen beiden Handlungssträngen erahnt.

Der Spannungsbogen ist fast durchweg gut gelungen, nahezu die gesamten 343 Seiten hält der Autor das Tempo seiner Handlung hoch, doch zwischendurch gibt es leider kleine Hänger, die dem Leser unerklärlich bleiben. Beispielsweise schaut sich Sebastian nicht sofort die vom Rechner seines Vaters kopierten Daten an, obwohl er doch vorher so intensiv nach dem Passwort geforscht hatte. Und als Sebastian sich mit seinen Freunden zusammen in zwei fremde Rechner gehackt hat, interessiert er sich anschließend kaum für die gewonnenen Dateien, die doch Aufschluss hätten geben können über die falsch spielende Person und die Hintergründe für den möglichen Mord an seinem Vater. An diesen Stellen lässt die Spannung etwas nach, da man sich beim Lesen über Sebastians Verhalten wundert.

Ganz anders ist dies im letzten Viertel, wenn Schulte von Drach in die Trickkiste greift und ein paar zu viele Actionelemente einbaut, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Romans aufkommen lassen. Allerdings ist hier die Handlung dermaßen rasant und fesselnd, dass man das Buch auf den letzten hundert Seiten nicht mehr zur Seite legen kann.

_Mustergültiger Wissenschaftsthriller_

Diesem Roman merkt man deutlich an, dass der Autor selbst viel liest, speziell im Thrillergenre, denn er bedient sich sämtlicher typischer Elemente, die für dieses Genre üblich sind. So lässt Schulte von Drach seine Leser kaum verschnaufen, da immer neue Hinweise auf die Zusammenhänge zwischen Christian Raabe und seinem mysteriösen Tod auftauchen. Auch die Wechsel zwischen zwei Handlungssträngen, die auf den ersten Blick nichts miteinander gemeinsam haben, am Ende allerdings zusammengeführt werden und einen Sinn ergeben, kennt man von anderen Thrillern. Am Ende des Buches steht ein actionreiches Showdown, welches wiederum an zwei unterschiedlichen Schauplätzen stattfindet, sodass hier schnelle Wechsel von einem Ort zum anderen immer mehr Spannung aufkommen lassen.

Natürlich darf auch nicht die übliche Liebesgeschichte zwischen dem männlichen Protagonisten und einer hübschen und intelligenten Frau fehlen, deshalb entwickelt sich zwischen Sebastian und der Journalistin Sareah Anderwald eine leidenschaftliche Affäre, wodurch auch Sareah in das Zentrum der Gefahr gerückt wird. Von außen erhalten die guten Figuren wieder Hilfe, wobei auch hier einer falsch spielt und Böses im Schilde führt. Nebenbei hat Sebastian einige Rätsel zu lösen, die sein Vater und dessen Tagebuch sowie der gefundene Brief ihm aufgegeben haben.

Umrahmt wird diese rasante Geschichte durch interessante wissenschaftliche Details, die zwischendurch immer wieder erörtert und dem unkundigen Leser erklärt werden. Doch erst im Nachwort erfährt der Leser, wo an dieser Stelle die Phantasie des Autors einsetzt und wissenschaftlichen Fortschritt erfindet, den es noch gar nicht gibt. Die Ausführungen über die aktuelle Hirnforschung nehmen dabei nie überhand, als naturwissenschaftlich interessierter Leser hätte man sich durchaus noch mehr Informationen gewünscht, aber Schulte von Drach schafft es, sein Wissen überzeugend und interessant vorzutragen, sodass er auch diejenigen ansprechen dürfte, die sich für Hirnforschung eher weniger begeistern können.

Auch sprachlich orientiert sich Schulte von Drach an seinem offenkundigen Vorbild Michael Crichton, denn seine Sprache ist einfach zu verstehen und flüssig zu lesen, selbst die wissenschaftlichen Erörterungen bleiben stets verständlich. Nirgends tauchen komplizierte Satzkonstrukte auf, über die man beim Lesen stolpern könnte und wenn am Ende das Erzähltempo angezogen wird, werden die Sätze sogar noch übersichtlicher und kürzer. All dies führt dazu, dass „Furor“ zu einem rasanten Leseerlebnis wird.

_Nichts ist unmöglich_

Für seinen Erstlingsroman hat Markus Christian Schulte von Drach sich ein hochbrisantes Thema herausgesucht. In „Furor“ ist es Hirnforschern nämlich gelungen, die Erinnerungen von Toten auf Film-CDs zu speichern, die man sich später ansehen und nachfühlen kann. Die Wissenschaft ist hier nicht mehr weit davon entfernt, das Hirn von Probanden zu manipulieren, Erinnerungen zu beeinflussen und sich diese Kenntnisse für gefährliche Zwecke zu Nutze zu machen. Die Thematik fasziniert von der ersten Seite an, denn auch die aktuelle Forschung hat schon viele Teile des Hirns und seine Aktivitäten entschlüsselt, sodass die Handlung dieses Thrillers gar nicht mehr so weit hergeholt erscheint, wenn es denn den hier erwähnten „Raab’schen Kanal“ wirklich geben würde, durch welchen fast alle Informationen laufen müssen. In seinem Nachwort macht der Autor noch mal deutlich, was heutzutage möglich ist und an welchen Stellen er selbst für seinen Roman hinzugedichtet hat.

Die hierdurch möglichen Konsequenzen werden in einem zweiten Nachwort des Wissenschaftlers Christof Koch vom California Institute of Technology in Pasadena/USA diskutiert. Durch diese Hinweise wirkt das Buch nach und regt den Leser selbst zum kritischem Hinterfragen an, denn die hier vorgestellten Möglichkeiten könnten wahrlich erschreckende Folgen nach sich ziehen. Wieder einmal wird deutlich, dass die immer weiter voranschreitende Wissenschaft nicht nur positive Konsequenzen hat, sondern auch große Gefahren mit sich bringt, wenn das neue Wissen von den falschen Mächten missbraucht wird.

_Figuren und ihre Klischees_

Bei der Charakterzeichnung konzentriert Schulte von Drach sich speziell auf Sebastian Raabe, der von Anfang an alle Sympathien auf sich vereinigt, da er der Idealtypus des netten und erfolgreichen Medizinstudenten ist, der den Tod seines Vaters zu verkraften und dessen Hintergrund zu enträtseln hat. Obwohl Sebastian doch wenige Eigenschaften aufweist, die ihn vom typischen Romanhelden abheben, fühlt man doch stets mit ihm mit und wünscht sich, dass er den bösen Kräften auf die Spur kommen wird. Seelisch-moralische Unterstützung erhält Sebastian von seiner neuen Freundin Sareah, die wirklich alle Klischees auf sich vereinigt. Selbstverständlich ist sie jung, hübsch und intelligent und steht ihrem Freund in allen Gefahren bei.

Erst in Sebastians Freundeskreis taucht eine etwas gescheiterte Figur in Form seines Freundes Hobbes auf, der eine dunkle und undurchsichtige Vergangenheit verlebt hat. Ein wenig hat es den Eindruck, dass die hollywoodtypischen Charaktere verwendet werden, die eine Verfilmung dieses Romans stark erleichtern würden. Dennoch fällt dieser Punkt nicht wirklich negativ ins Gewicht, da die Geschichte an sich zu überzeugen weiß und der Leser angesichts dieser Figuren doch ein Auge zudrücken mag.

_Unter dem Strich_

Mit nur kleinen Schönheitsfehlern ist Markus Christian Schulte von Drach ein fulminanter Wissenschaftsthriller gelungen, der sich nicht hinter Werken von Michael Crichton verstecken muss und auf dem Buchdeckel zurecht Werbung mit diesem Vergleich macht. Die Thematik des Buches ist faszinierend und regt zum Nachdenken über wissenschaftsethische Fragen an, auch schafft der Autor es überzeugend, den tatsächlichen Stand der Forschung mit seinen eigenen Ideen zu vermischen. Einzig die Figurenzeichnung überzeugt nicht wirklich, allerdings mindert das den Gesamteindruck des Buches nicht, da authentische Charaktere in Thrillern meist Mangelware sind. Auch der Spannungsbogen versteht es mitzureißen, nur zum Schluss trägt Schulte von Drach etwas zu dick auf und fügt zu viele Actionelemente ein, sodass „Furor“ zwar nicht durchweg zu überzeugen weiß, aber doch ein unterhaltsames und interessantes Lesevergnügen verspricht, das ich jedem Fan von Wissenschaftsthrillern nur empfehlen kann.

Müller, Raimund – Ritter der Euterpe, Die

Historische Romane üben schon seit langem eine große Faszination auf mich aus, stellen sie doch die Möglichkeit dar, beim Lesen in eine fremde Zeit einzutauchen, Figuren der Geschichte zu treffen und eine ganz andere Lebensart kennenzulernen. Auch geschichtlich kann man in gut recherchierten Romanen oftmals ganz nebenbei noch etwas hinzulernen. Darüber hinaus spielt ein Teil des vorliegenden Romans in meiner Heimat, dem Harz, sodass ich nicht umhin kam, mir Raimund Müllers Erstlingsroman zu Gemüte zu führen. Dem Buch zugrunde liegt eine dreijährige Recherchearbeit des Autors in zahlreichen Museen und Archiven, sogar die erwähnten Orte des Harzes hat Müller alle bereist, um die Schilderung der Szenerie möglichst wahrheitsgetreu klingen zu lassen.

_Ein Ritter der Euterpe_

Wir schreiben das Jahr 1757 und in Deutschland herrscht der Siebenjährige Krieg. Das Herz des jungen Northeimer Kantors Matthäus Müller ist für die Ziehtochter der Pastorenfamilie Völger entbrannt, doch Nanni soll dem Stadtphysikus versprochen werden. Angesichts dieses Liebeskummers kommt Matthäus ein geheimer Auftrag des Majors von Dethmer äußerst gelegen. In einem Schnellverfahren wird Matthäus aufgenommen in den Geheimbund „Ritter der Euterpe“, in dessen Mission er einen Kurierdienst ausführen soll, der ihn nach Blankenburg führen wird. Zuvor will Matthäus seinen Bruder Heinrich in Braunschweig besuchen. In Clausthal schließlich soll er einen Kurier treffen, der ihn nach Blankenburg begleiten wird, um dort dem geheimen Rat von Schlierstett eine Botschaft zu überbringen.

Doch schon nahe dem Städtchen Seesen trifft Matthäus auf feindliche Soldaten und muss seine geliebte Geige einbüßen, um sein Leben zu retten. In Clausthal eingetroffen, begibt Matthäus sich sogleich in ein Etablissement, um dort seinen Kurier zu treffen. Als ihn aber eine schöne Nymphe anspricht und ihm ihren Preis für eine Nacht nennt, beschließt Matthäus spontan, der schönen Frau, die sich als Sophia vorstellt, den Vorzug zu geben. Nach ihrer gemeinsamen Liebesnacht gibt sich Sophia als der besagte Kurier zu erkennen. Ohne weitere Vorkommnisse können die beiden ihre Nachricht in Blankenburg überbringen und anschließend noch drei Tage lang ihre Liebe genießen, bevor Matthäus wieder nach Northeim in sein altes Leben zurückkehrt. Gleichzeitig erlebt Matthäus‘ jüngerer Bruder Johann als Musketier in der Armee den Schrecken des Krieges aus erster Hand mit.

Nach Matthäus‘ Rückkehr wird Northeim von einer Kavallerie Franzosen überfallen. Während Matthäus nach eigener Erkundung der Lage für die Verteidigung der Stadt mit Waffen plädiert, ermöglichen Brandschatzverhandlungen den Feinden schließlich den Einlass in die Stadt. Die Frauen und Kinder suchen Schutz in der Kirche, doch sucht Matthäus dort vergeblich nach Nanni. Als er sie schließlich aus dem Pastorenhaus abholen will, wird er Zeuge, wie drei Soldaten Nanni vergewaltigen. Matthäus kann die fremden Soldaten zwar überwältigen, doch ist Nanni hinterher völlig apathisch. Aus lauter Verzweiflung beschließt Matthäus schlussendlich, Nanni zu Sophia und ihrer Freundin Maria zu bringen, damit diese mit ihren ganz eigenen Heilkünsten zur Gesundung seiner heimlichen Liebe beitragen können. Doch damit gerät nun auch Nanni in die Verwicklungen der Ritter der Euterpe …

_Von den Rittern zum Kriegsgeschehen_

Raimund Müller erzählt seine Geschichte in zwei verschiedenen Handlungssträngen. Neben der Handlung rund um Matthäus Müller, der in den Orden der Ritter der Euterpe aufgenommen wird, verwendet der Autor auch viel Zeit darauf, um über die aktiven Kriegsgeschehen zu berichten, die Matthäus‘ jüngerer Bruder Johann erleben muss. Die Wechsel zwischen beiden Schauplätzen geschehen jeweils am Kapitelanfang. Allerdings ist das Buch insgesamt nur in sieben umfangreiche Kapitel eingeteilt, sodass immer sehr lange Passagen zu lesen sind, bevor es zu einem erneuten Sprung in der Erzählung kommt. Als Nanni schließlich zu Sophia geschickt wird, nimmt auch die Schilderung ihrer Erlebnisse bei Sophia und ihrer Freundin Maria viel Platz ein, hier taucht Matthäus über weite Strecken gar nicht mehr auf.

Wünschenswert wären schnellere Wechsel zwischen den beiden Handlungssträngen gewesen, die eine straffere Erzählweise ermöglicht und vielleicht eine Verbindung über die Verwandtschaft der beiden Hauptfiguren hinaus geschaffen hätten. So bleiben beide Geschichten nebeneinander stehen, ohne viel miteinander zu tun zu haben, und die Zusammenführung am Ende kann auch nur als äußerst unbefriedigend bezeichnet werden. Müller legt dermaßen viel Wert aufs Detail, dass er sich oftmals in langatmigen und überaus detaillierten Schilderungen der Kriegsgefechte verliert und darüber seine eigentliche Handlung zu vergessen scheint. Besonders die Kapitel, die über Johanns Leben berichten, erfordern daher einen langen Leseatem und viel Wissen über die damalige Kriegsführung und das dazu notwendige Material. Raimund Müller verwendet bei seinen Schilderungen über die Kriegsführung viel Fachvokabular, das sich dem Laien manchmal leider auch nicht aus dem Zusammenhang erschließt; so setzt der Autor die Kenntnis von Begriffen wie Protze, Avancierriemen oder auch Kartätschen voraus. Ein Glossar wäre hier zum Verständnis wirklich hilfreich gewesen.

Einen Spannungsbogen habe ich im Buch gar nicht erkennen können. So gut wie nie weiß das Geschehen dermaßen mitzureißen, dass uns die Erzählung an das Buch fesselt. Eher wird dem Leser viel Durchhaltevermögen abverlangt, um sich durch die Kapitel rund um Johann Müller zu kämpfen. Inhaltlich berichtet der Autor hier viel über den Siebenjährigen Krieg, sodass diese Passagen passionierten Historikern sehr zusagen dürften. Doch sind es immer wieder die gleichen Kriegsgräuel samt Vergewaltigung und Abschlachtung der gefangen genommenen Frauen, von denen der Autor uns berichtet. Es passiert leider nicht viel Neues, das mitreißen könnte.

Einzig die Passagen über Nanni, die zwei Jahre lang bei Sophia lebt, unterhalten recht gut, da sie die handelnden Personen in den Vordergrund stellen. Die Geschichte des Siebenjährigen Krieges fungiert hier lediglich als historischer Hintergrund, vor welchem besonders Maria und Sophia einige gefährliche Situationen überstehen müssen. Der Begriff „Ritter der Euterpe“ fällt im Buch vielleicht ein halbes Dutzend Mal, sodass mir die Titelfindung dieses Romans absolut nicht klar geworden ist, da der Roman leider nur ganz am Rande von diesem Geheimbund berichtet. Der Klappentext lässt hier falsche Erwartungen aufkommen, da er Verstrickungen rund um den Geheimbund verspricht und den Handlungsstrang rund um Johann Müller komplett verschweigt.

_Historische Figuren und Szenarien_

Zunächst stellt Raimund Müller den Kantor Matthäus Müller in das Zentrum seiner Handlung. Der Leser erfährt mehr über Matthäus‘ Vergangenheit und seine musikalischen Begabungen. Gleichzeitig rückt auch Nanni in den Blickpunkt des Geschehens, da bereits im ersten Kapitel die aufkeimende Liebe zwischen den beiden jungen Leuten geschildert wird, auch wenn diese ihnen aussichtslos erscheint, da Nanni einem anderen Mann versprochen werden soll. Zu Beginn seines Romans konzentriert Müller sich auf die detaillierte Zeichnung einiger weniger Figuren, die durchaus gelungen ist. Spätestens wenn die Erzählung zu Johann wechselt, trifft der Leser auf dem Schlachtfeld allerdings auf so viele verschiedene Personen, dass man sich kaum die erwähnten Namen merken kann. Doch schon nach der ersten Schlacht mit vielen Opfern merkt man, dass die meisten Namen und Figuren keine wesentliche Rolle in der Romanerzählung spielen werden. Das macht die Geschichte doch etwas unübersichtlich.

Im Grunde genommen handelt der vorliegende Roman von nur fünf Personen, denn neben Matthäus und Nanni lernt der Leser weiterhin Johann Müller und natürlich Sophia und Maria genauer kennen. Die Vorstellung der Hauptfiguren überzeugt zu großen Teilen, viele Eigenschaften der Charaktere werden uns näher gebracht, doch bleiben einige Handlungsweisen doch äußerst undurchsichtig. Besonders Nannis Verhaltensweise als ein traumatisiertes Vergewaltigungsopfer wirkt wenig glaubwürdig.

Stellenweise lässt der Autor durchblicken, dass er seine Schauplätze bereist hat. So schildert er manche Szenerie dermaßen realistisch, dass man die Orte direkt vor Augen hat; besonders auffällig fand ich die kurze Beschreibung von Goslar, die mich sogleich in Gedanken vor die erwähnte Kaiserpfalz versetzt hat. Auch während der Schlachten nimmt Müller sich stets die Zeit, die Örtlichkeiten und Voraussetzungen für die Schlacht von mehreren Seiten zu beleuchten; in zahlreichen Szenen war ich beim Lesen dadurch mitten im Getümmel, weil die Schilderungen so realistisch waren.

_Sprachliches_

Durch die Verwendung altertümlicher Ausdrücke und umständlicher Sprache lässt Raimund Müller einen authentischen Eindruck der Zeit des Siebenjährigen Krieges entstehen. Die Dialoge könnten dabei tatsächlich der damaligen Zeit entnommen sein. Trotz der ungewohnten Sprache lässt sich das Buch dennoch leicht und flüssig lesen, da zumindest in den Kapiteln über Matthäus und Nanni keine unbekannten Vokabeln auftauchen, die das Verständnis beeinträchtigen könnten.

Auffällig ist außerdem, dass Raimund Müller kein Blatt vor den Mund nimmt. So berichtet er von verschiedenen Kriegsverbrechen und Folterungen, die ein ungutes Gefühl im Magen aufkommen lassen. Hier werden dem Leser ziemlich barbarische Methoden präsentiert, die man in derlei Details vielleicht gar nicht hätte wissen mögen. Nur die sexuellen Aussschweifungen der handelnden Figuren deutet Müller leidiglich knapp an und setzt genau dann eine Zäsur, wenn es gerade interessant zu werden beginnt. Der Phantasie des Lesers sind dadurch kaum Grenzen gesetzt.

_Äußerlichkeiten_

Optisch macht dieses Buch eher den Eindruck eines Fachbuches als den eines Unterhaltungsromans. So springt einem zunächst das ungewohnte Schriftbild ins Auge. Der Text dürfte in Times New Roman gesetzt sein, was ich von Romanen normalerweise nicht gewohnt bin. Auch wird jeder Absatz durch eine Freizeile verdeutlicht, die dem Leser auf den relativ großen Seiten die Orientierung erleichtert.

Aufgewertet wird der Roman durch einige sehr gelungene schwarz-weiß-Zeichnungen, die in vielen Details die Szenerie zeigen. Auch einige handgezeichnete Karten erlauben dem Leser ein schnelles Zurechtfinden, da viele der auftauchenden Ortsnamen nicht unbedingt geläufig sind.

Getrübt wird das Lesevergnügen leider durch zahlreiche Tippfehler, die eine simple automatische Rechtschreibkorrektur sofort hätte aufdecken müssen. In einigen Wörtern fehlen einzelne Buchstaben, manchmal ist ein Buchstabe zu viel und auch die Trennung am Ende einer Zeile ist nicht immer richtig. Für einen Preis von 24,90 €uro erwarte ich allerdings eine ordentliche Korrektur.

_Am Ende angelangt_

Nach knapp 700 Seiten historischer Erzählung, die viele Details über den Siebenjährigen Krieg und die damaligen Geschehnisse offenbart, bleiben zwiespältige Gefühle beim Leser zurück, denn Raimund Müller versucht angestrengt, die Ergebnisse seiner langen Recherchearbeit ebenso in sein Buch zu pressen wie die Geschichte um Matthäus und seine Lieben. Das Resultat ist ein dicker Wälzer, der nur schwer sein Zielpublikum finden wird. Historisch interessierte Leser werden sicherlich aufstöhnen angesichts der liebesdurchtränkten Rahmenhandlung samt sexueller Eskapaden der Hauptfiguren und schnulzigem Happy-End, während Leser auf der Suche nach einem unterhaltsamen Roman die Passagen rund um Johann womöglich komplett überspringen werden, da die detaillierten Kriegsbeschreibungen auf Dauer recht langweilig werden. Insgesamt wäre es der Erzählung sicherlich gut bekommen, sie an vielen Stellen zu straffen, da das Buch eigentlich keine Handlung für 700 Seiten mit sich bringt. Insgesamt war das Buch auszugsweise durchaus interessant und lesenswert, dürfte aber eher historisch ambitionierte Leser ansprechen als die Fans historischer Unterhaltungslektüre, da zu viele Informationen über die damalige Geschichte in die Erzählung einfließen und das Erzähltempo dadurch drastisch ausbremsen.

Brown, Dan – Meteor

Mit seinem hochspannenden und rasanten Verschwörungsthriller [„Illuminati“ 110 gelang Dan Brown der Durchbruch, seitdem verkaufen sich seine Bücher blendend und werden gerade erst aktuell durch die Werke des neuen Papstes von den Spitzenplätzen der Bestsellerlisten verdrängt. Sein mitreißender Schreibstil ist es, der Browns Bücher zu einem besonderen Leseerlebnis macht, und auch die meist faszinierende Thematik, derer sich Brown bedient. In „Meteor“ rankt sich die gesamte Geschichte um einen Meteoriten, der mehr zu enthalten scheint, als auf den ersten Blick offenkundig wird …

_Schmutziger Wahlkampf_

In den USA herrscht Wahlkampf: Der karrierebesessene Senator Sexton tritt als Gegenkandidat gegen den amtierenden Präsidenten an, der durch seine kompromisslose Unterstützung für die NASA, die schon seit langer Zeit keine Früchte mehr getragen hat, langsam aber sicher ins Hintertreffen gerät. Genau an diesem Punkt setzt Sexton an, der die Verschwendung von Steuergeldern zu seinem heißesten Wahlkampfthema gemacht hat. Seine Tochter Rachel arbeitet im Weißen Haus für den amtierenden Präsidenten und weigert sich, auf Bitten ihres Vaters hin ihren Job aufzugeben. Das Vater-Tochter-Verhältnis ist ohnehin angespannt, da Sexton sogar den Tod seiner Frau für seine eigene Publicity genutzt hat und vehement die Affäre zu seiner Wahlkampfhelferin Gabrielle Ashe abstreitet. Mit seiner Kampagne gegen die NASA zieht er mehr und mehr die Wählerstimmen auf seine Seite, da die meisten amerikanischen Bürger kein Vertrauen mehr in die NASA haben und daher ihre Steuergelder nicht mehr in deren Händen wissen wollen. Doch Sexton hat einiges zu verbergen, denn wie finanziert er eigentlich seinen kostspieligen Wahlkampf?

Kurz nach einem Treffen mit ihrem Vater wird Rachel überraschenderweise zum Präsidenten bestellt, der sie in die Arktis fliegen lässt, um dort eine sensationelle Entdeckung für ihn zu bestätigen. Die in die Kritik geratene NASA konnte dort nämlich durch ein neuartiges Satellitensystem einen großen Meteoriten aufspüren, der bereits seit fast 300 Jahren im ewigen Eis steckt und mit einer kleinen Überraschung in seinem Inneren aufwartet. Um diese sensationelle Entdeckung für die ganze Welt zu verifizieren, hat der Präsident der USA nun einige unabhängige Wissenschaftler auf das Milne-Eisschelf geschickt. Mike Tolland, der sich mit einem Wissenschaftsmagazin im Fernsehen und seinen Filmen über die Unterwasserwelt einen Namen gemacht hat, ist einer dieser Wissenschaftler. Er ist auch derjenige, der die Fernsehdokumentation über den Meteoriten für die weitweite Publikation zusammengestellt hat. Schließlich tritt der Präsident mit der Neuigkeit über den Meteoriten, der noch eine weitere Überraschung in sich birgt, vor die Weltpresse.

Doch in der Arktis schweben Rachel und die anderen Wissenschaftler plötzlich in Lebensgefahr, weil eine Delta-Force-Einheit gewisse Informationen vertuschen will, die mit dem Meteoriten zusammenhängen. Welches Geheimnis umgibt den Meteoriten? Und wer hat die Delta-Force-Einheit in die Arktis geschickt, um den Meteoriten zu bewachen?

_Rasanter Wissenschaftsthriller mit Schwächen_

Erneut hat Dan Brown einen Pageturner vorgelegt, den man nur schwer aus der Hand legen kann. Sein Schreibstil erinnert mich stark an Michael Crichton, denn auch Brown hält sich nicht lange mit detaillierten Beschreibungen der handelnden Personen oder der Situationen auf, vielmehr konzentriert er sich auf das Wesentliche und verschwendet keine Worte. „Meteor“ ist in mehr als hundert sehr kurze Kapitel eingeteilt, sodass keine langen und langatmigen Szenen zu überwinden sind. Darüber hinaus ist Dan Browns Wortwahl einfach, sein klarer und knapper Schreibstil macht seine Romane immer wieder zu einem kurzweiligen (hier aber auch kurzlebigen) Leseerlebnis.

Dan Brown eröffnet in seinem Thriller verschiedene Handlungsstränge, die sich durch das gesamte Buch ziehen. Größtenteils bleibt der Leser bei Rachel, die sich auf der Flucht befindet, zwischendurch erzählen andere Kapitel aber auch mehr über Senator Sexton, seine Wahlhelferin Gabrielle und über Rachels Chef Pickering, die ihrerseits ebenfalls interessante Entdeckungen machen können. Wie gewohnt findet der Wechsel zwischen zwei verschiedenen Handlungsfäden immer an der spannendsten Stelle statt; Brown weiß natürlich, wie er seine Leser bei der Stange halten kann.

Doch ist der Spannungsaufbau in „Meteor“ nicht so gelungen wie in Browns kirchlichen Verschwörungsthrillern. Zwar bekommt der Leser nach und nach immer mehr Informationen über den gefundenen Meteoriten vorgeworfen und möchte dadurch immer dringender wissen, was genau eigentlich hinter dem Fund steckt, doch zeichnet sich zu schnell ab, dass mit dem Meteoriten etwas nicht stimmen kann, sodass das Überraschungsmoment schließlich ausbleibt.

Trotz des wissenschaftlichen Themas bleibt das Buch auch für Laien gut lesbar, da Fachvokabular im Zusammenhang erklärt wird und keine Fragen offen bleiben. Brown beweist hier erneut, dass er viel Recherchearbeit in seine Romane investiert, in „Meteor“ spart er nicht an Informationen zur Bestimmung nicht-irdischen Gesteins, sodass man auf diesem Gebiet durchaus noch etwas dazulernen kann.

Leider bleibt bei aller Rasanz die Figurenzeichnung auf der Strecke, da sich Brown keine Zeit nimmt, um seine Personen zu entwickeln. Stattdessen bedient er sich oftmals vieler Klischees, um seine leeren Figurhüllen mit Inhalt zu füllen. In „Meteor“ stehen außerdem zu viele Personen im Mittelpunkt des Geschehens, als dass jedem genügend Aufmerksamkeit gewidmet werden könnte. Zu viele Wissenschaftler reisen auf das Eisschelf, zu viele Figuren tauchen in der Rahmenhandlung auf. Auch über Rachel Sexton, die im Zentrum der Handlung steht, erfährt der Leser wenig Neues. Häufig wiederholt Brown sich, immer wieder spielt er auf ihr gestörtes Verhältnis zu ihrem Vater an und erwähnt mehrfach ihre Angst vor Wasser, doch tragen diese mageren Informationshäppchen kaum dazu bei, sich ein umfassendes Bild von Rachel machen zu können.

Obwohl ich Wissenschaftsthriller sehr gerne lese und die Thematik äußerst interessant finde, kann „Meteor“ meiner Meinung nach nicht die gleiche Faszination entwickeln wie „Illuminati“ oder auch „Sakrileg“. Browns inszenierte Schnitzeljagd durch Rom zur Zeit des Konklaves ist einfach unübertroffen und auch die Rätselsuche im Pariser Louvre, die schließlich in London endet, weiß deutlich mehr zu überzeugen als die Hetzjagd, die Brown in „Meteor“ veranstaltet. Zu unlogisch und unrealistisch sind hier die Wendungen, zu aussichtslos die Situationen, aus denen die guten Helden sich schlussendlich zumindest teilweise doch noch retten können. Der Autor kann kaum überraschen, da er sich lediglich der altbekannten Regeln einer solchen Verfolgungsjagd bedient, bei der nur ganz bestimmte Personen bis zum Ende überleben können.

Selbst vor logischen Fehlern bleibt dieser Roman nicht verschont, denn zwischendurch präsentiert uns Dan Brown wie gewohnt den Bösewicht, der zuvor offensichtlich zu der Gruppe der Guten gezählt wurde. Doch führt dies zu einigen Unstimmigkeiten, da der heimliche Bösewicht eine zeitlang mit den Guten zusammen gearbeitet hat und daher über ihre Pläne aufgeklärt ist, doch später muss er sich eines anderen Tricks bedienen, um seine Opfer ausfindig zu machen. Außerdem weiß ich nicht, wie Brown diese Zusammenarbeit begründen will, da dem Bösewicht kaum daran gelegen sein kann, seinen Gegnern zu helfen. Warum hat er es also doch getan?

Insgesamt schneidet „Meteor“ im Vergleich zu Browns Verschwörungsthrillern schlecht ab. Etwas bedauerlich finde ich, dass er nach seinem starken Kirchenthriller „Illuminati“ ein vergleichsweise schwaches Buch wie „Meteor“ geschrieben hat, da er zuvor bereits bewiesen hatte, dass er es besser kann. Auch fällt negativ auf, dass Dan Brown sich immer wieder des gleichen Strickmusters bedient; kennt man also einen Roman, so überraschen einen die Wendungen in Browns weiteren Werken nicht mehr. Dennoch bleibt „Meteor“ durchaus lesenswert und dürfte Fans von Wissenschaftsthrillern im Allgemeinen und Michael Crichton im Speziellen gut unterhalten. Das Buch ist kurzweilig und gut zu lesen. Mir persönlich fehlte etwas die Faszination, welche von den Geheimgesellschaften und der spannungsgeladenen Szenerie in „Illuminati“ ausging, bei „Meteor“ hat Brown leider nicht ganz so viel aus der an sich interessanten Thematik herausgeholt. Aufgrund der logischen Schwächen und der etwas vorhersehbaren Handlung kann „Meteor“ daher nicht vollkommen überzeugen.

Nedjma – Mandel, Die

Laut Verlag handelt es sich bei der Autorin um eine Araberin Anfang bis Mitte vierzig, die unter dem Pseudonym „Nedjma“ ihre Lebensgeschichte veröffentlicht. In Frankreich stand das Buch lange Zeit auf den Bestsellerlisten und das wohl aus einem guten Grund, denn Sex verkauft sich natürlich immer hervorragend. Nach der Lektüre des Buches kommen dem nachdenklichen Leser einige begründete Zweifel an der wahren Identität der Autorin, denn bereits das angebliche Alter stimmt nicht mit der im Buch erzählten Geschichte überein. Doch interessiert das wirklich? Wird dieser Roman spektakulärer durch ein wahres Schicksal? Oder ist er als erdachte Erzählung nicht ebenso lesenswert? Ich persönlich glaube nicht an die Wahrheit der erzählten Geschichte und habe das Buch dennoch gern gelesen …

_Badras Geschichte_

Badra ist erst siebzehn Jahre jung, als sie den wesentlich älteren Hmed heiraten muss. Wie die Tradition es haben möchte, wird vor der Hochzeit ihre Jungfräulichkeit überprüft, damit ihr zugedachter Ehemann sie in der Hochzeitsnacht entjungfern kann. Doch bereits die erste Nacht zwischen Badra und Hmed wird für die junge Frau zur Qual. Ihr Ehemann ist bereits zum dritten Mal verheiratet, da seine ersten beiden Frauen ihm keine Kinder hatten schenken können. Schon in der Hochzeitsnacht müssen Badras Schwester und Schwiegermutter hinzukommen, um sie festzuhalten, da Badra sich vor dem Geschlechtsverkehr sträubt. Jede Nacht stirbt Badra ein wenig mehr, wenn ihr Ehemann emotionslos über sie hinwegsteigt und seinen eigenen Orgasmus als einziges Ziel sieht.

Nur drei Jahre lang hält Badra es bei Hmed aus, ihre eigene und glücklich verheiratete Schwester ist es schließlich, die ihr zur Flucht nach Tanger zu ihrer Tante Selma verhilft. Ihrer Tante erzählt Badra von den Qualen ihrer Ehe, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie nicht zu Hmed zurückkehren kann. Bald lernt Badra den angesehenen Arzt Driss kennen und lieben. Er ist es schließlich, der ihr bei der Erfüllung ihrer geheimsten sexuellen Wünsche hilft. Mit ihm erlebt sie über Jahre hinweg scheinbar das sexuelle Glück in Vollendung, doch muss Badra sich schließlich eingestehen, dass sie ihrem Liebhaber hörig ist. Obwohl es sie unendlich quält, dass er neben ihr auch mit anderen Frauen und Männern schläft, kann sie sich nicht von Driss trennen.

_Klartext reden_

Bereits in einem kurzen Vorwort macht Badra deutlich, worum es ihr in diesem Buch geht, denn sie möchte ihre eigene Lebensgeschichte aufschreiben und von ihrer sexuellen Befreiung berichten. Sie ist überzeugt davon, das allerschönste Geschlecht überhaupt zu besitzen, das sie einzusetzen weiß und dies auch tut. Die Autorin nimmt kein Blatt vor den Mund, um von ihren intimsten Erlebnissen zu berichten, das zeigt schon die kurze Leseprobe aus dem Vorwort:

S. 10: |“Ich, Badra, verkünde, mir nur einer Sache sicher zu sein: Dass ich das schönste Geschlecht der Welt habe; es hat die schönste Form von allen; es ist prall, heiß, feucht, duftend und singt wie kein anderes; und es ist unübertrefflich in seinem Verlangen nach harpunengleich sich reckenden Schwänzen.“|

In abgeklärten Worten schildert Badra von ihrer gescheiterten Ehe mit Hmed und den seelischen Qualen, die sie dort erleiden musste. Als die Ehe kinderlos bleibt, muss sie zudem merkwürdige Rituale vollführen, um die Fruchtbarkeit anzulocken, doch selbstverständlich scheitern all diese Versuche. Fast bekommt der Leser den Eindruck, dass Badra eine mögliche Schwangerschaft durch bloßen Widerwillen ihrem Mann gegenüber verhindern konnte.

Wenn Badra von ihren Erlebnissen mit Hmed berichtet, sind ihre Sätze meist kurz und knapp, darüber verliert sie kein Wort zu viel, während sie ihre sexuellen Episoden mit Driss und anderen demgegenüber ausschmückt und ausführlich in allen Facetten zu beschreiben weiß. So drücken sich ihre Gefühle auch in der veränderten Sprache aus:

S. 47: |“Ihn bedienen, dann wieder abräumen. Ihm ins Ehebett folgen. Die Beine breit machen. Mich nicht bewegen. Nicht seufzen. Die Übelkeit bekämpfen. Nichts fühlen. Sterben. Auf den Kelim starren, der an der Wand hängt. Saied Ali zulächeln, der den Menschenfresser mit seinem gegabelten Schwert enthauptet. Mich zwischen den Beinen trockenreiben. Schlafen. Die Männer hassen. Ihr Ding. Ihr übel riechendes Sperma.“|

Der gesamte Roman ist leicht und verständlich geschrieben, ein ausführliches Glossar am Ende des Buches erleichtert das Verständnis des arabischen Vokabulars, das sich nicht immer aus dem Zusammenhang erschließt. Doch deckt das Glossar alle fremden Vokabeln ab, sodass keine Fragen offen bleiben.

_Nichts ist unmöglich_

Die Autorin entwickelt zwei verschiedene Handlungsstränge. Auf der einen Seite berichtet Badra von ihren Erlebnissen bei Tante Selma in Tanger und von ihrer Liebe zu Driss, eingeschoben sind aber immer wieder kursiv gedruckte Kapitel, die Geschichten aus ihrer Vergangenheit erzählen. Im Vordergrund stehen jedoch die Episoden um Driss, die den deutlich größeren Raum in diesem Buch erhalten. Über Badras Vergangenheit erfahren wir nur das Nötigste, hier offenbart sie nur die Fakten, die erforderlich sind, um ihre Handlungsweisen zu verstehen und um deutlich zu machen, dass sie aus ihrer Ehe flüchten musste.

Neben den Episoden einer gescheiterten Ehe erfährt der Leser darüber hinaus Geschichten aus Badras Kindheit und muss erkennen, dass die junge Frau schon lange vor ihrer Entjungferung mehr als neugierig war. Dort lesen wir Geschichten über ihre Cousine Noura, die oftmals mit einigen Freundinnen zu Badra zu Besuch kommt, um dort statt mit Puppen zu spielen, sich gegenseitig zu erkunden und zu befriedigen. Doch auch die Jungen wissen sich zu helfen, denn eines Tages kann Badra eine Reihe von Jungen beobachten, von denen „jeder den neben ihm Liegenden zwischen den Beinen bearbeitete“, so ihre Ausdrucksweise.

Als Badra schließlich ihre Affäre zu Driss beginnt, driftet „Die Mandel“ (welch treffender Titel!) deutlich ins Schlüpfrige ab, der Leser bekommt mehr als offenherzige Episoden zu lesen, nicht nur Badra erscheint uns sexsüchtig, sondern auch Driss, der offen bekennt, dass er auch gerne mit Männern und bisexuellen Frauen schläft. In diesem Buch gibt es nichts, was es nicht gibt. Hier befriedigen sich die Jugendlichen nicht nur untereinander, da gibt es auch Driss‘ Großmutter, die sich mit Vorliebe jungen Mädchen gewidmet hat, auch Geschichten aus der Oberschule erzählt uns Badra, wo die Mädchen des nachts zu zweit in einem Bett geschlafen haben – offiziell, um sich gegenseitig zu wärmen, doch bezeichnet Badra das Schulheim ganz deutlich als „knisterndes Freudenhaus“.

Bei derlei Beschreibungen über den arabischen Lebensstil regen sich nun spätestens leise Zweifel angesichts des Wahrheitsgehalt dieses Buches, denn schwer vorstellbar ist es doch, dass derlei freie Liebe dort wirklich praktiziert wird. Doch haben diese Zweifel auch ihren Reiz, da der Leser für sich entscheiden kann, ob er Nedjmas Lebensbeichte Glauben schenken mag oder das Buch als unterhaltsame erotische Lektüre sieht, die vielleicht noch Anregungen für das eigene Liebesleben zu bieten vermag?!

_Sexuelle Befreiung?_

Ein wichtiger Punkt ist die Frage nach der sexuellen Befreiung, auf den die Autorin besonders deutlich verweist. Badra flüchtet zu ihrer Tante Selma, um ihrem lieblosen Ehemann zu entkommen, der sie als bloßes Stück Fleisch ansieht, an dem er sich allabendlich kurz abreagieren kann. Dass auch seine Frau sexuelle Begierden hat, scheint Hmed nicht zu interessieren. Erst Driss ist es, der seiner Geliebten jeden Wunsch von den Augen ablesen kann, der sie in Sphären mitreißen kann, die sich Badra nie erträumt hätte. Sie ist abhängig von ihm und süchtig nach dem Sex mit ihm, in ihrer Beziehung zueinander dreht sich alles um das Eine und Badra erkennt schnell, dass ihr einmal Sex nicht reicht. Der Leser ist selbstverständlich immer mittendrin im Geschehen und erlebt alles hautnah mit.

Während Badra noch von ihrer sexuellen Befreiung schwärmt, merkt sie offensichtlich nicht, wie sie immer abhängiger wird von Driss. Er gibt ihr jeden Monat Geld für ihren Lebensunterhalt und kauft ihr am Ende sogar eine Wohnung. Obwohl es Badra fast das Herz zerreißt, lässt sie Driss gewähren und mit anderen Frauen und Männern schlafen. Selbst wenn die beiden zusammen ausgehen, ist es doch nicht sicher, dass Driss später Badra auswählt, die er mit nach Hause nehmen wird. Alles schluckt sie runter, auch Zeiten der Abstinenz, in denen Driss Badra nicht beachtet und nicht mit ihr schläft. Badra wird dabei immer unglücklicher und beschließt schlussendlich, sich von ihrem Geliebten zu trennen, doch ist die Hörigkeit so groß, dass sie es nicht schafft.

So wird beim Lesen doch immer offensichtlicher, dass die sexuelle Befreiung keine wirkliche Befreiung ist, da sich Badra in eine Abhängigkeit zu Driss begeben hat. Erst spät erkennt sie die Lage, in die sie geraten ist und nach Driss‘ Tod spricht Badra teils in verbitterten Worten über ihren einstigen Geliebten. Dennoch finde ich es fragwürdig, diese sexuelle Hörigkeit als eine Befreiung hinzustellen, die sie in Wahrheit nicht ist.

_Bildungslektüre mit Spaßfaktor_

Insgesamt ist das Buch angenehm zu lesen und auch eine unterhaltsame Lektüre, die eventuell manchem Leser noch etwas Neues zu berichten weiß. Am Ende ist man fast traurig, dass es nur einen Abend braucht, um dieses schmale Buch zu lesen, das einen in eine exotische und faszinierende Welt versetzt, die man höchstens aus erotischen Filmen kennt, die keine Jugendfreigabe erhalten. Diskussionswürdig ist die Frage nach der sexuellen Befreiung, die eigentlich keine ist, auch wenn die Geschichte einer Frau, die sich von religiösen und kulturellen Fesseln lösen kann, anderen Frauen in einer ähnlichen Situation vielleicht auch Mut machen kann. Das Buch wird ergänzt durch ein umfassendes Glossar, das alle auftauchenden arabischen Wörter erklären kann. Mit nur kleinen Einschränkungen bleibt das Buch insgesamt empfehlens- und auch lesenswert.

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Enquist, Per Olov – Buch von Blanche und Marie, Das

|“Die Liebe kann man nicht erklären. Aber wer wären wir, wenn wir es nicht versuchten?“|

Marie Curie ist bis heute die vielleicht berühmteste Physikerin überhaupt. Sie war nicht nur die erste Frau, die mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet wurde, sondern sie ist bis heute die einzige Frau, der zweimal ein Nobelpreis verliehen wurde; auch ist Curie neben Linus Pauling die einzige, die in zwei unterschiedlichen Fachgebieten den Nobelpreis erhalten hat. Nach dem Unfalltod ihres Mannes Pierre Curie sorgte ihre Beziehung zum verheirateten Kollegen Paul Langevin für einen öffentlichen Skandal. Im Jahre 1934 starb die polnische Physikerin Marie Curie an Leukämie, eine Krankheit, die sie sich höchstwahrscheinlich durch den ständigen Umgang mit radioaktiven Substanzen zugezogen hatte.

Per Olov Enquist hat sich für seinen aktuellen Roman einige bekannte historische Persönlichkeiten herausgepickt, um eine fiktive Geschichte um sie herum zu spinnen. Im Zentrum der Erzählung stehen zwei bekannte Frauen, nämlich eben jene Marie Curie und Blanche Wittman, die als Medium des Nervenarztes Jean Martin Charcot in die Geschichte einging. Darüber hinaus begegnen dem Leser Figuren wie Paul Langevin, der in Physikerkreisen ebenfalls recht bekannt ist, aber auch Sigmund Freud findet sich in diesem Roman wieder.

_Wahrheit oder Fiktion?_

Ein Erzähler präsentiert dem Leser die Geschichte von Blanche und Marie, wobei ein Teil des Romans aus dem sogenannten „Fragebuch“ von Blanche stammt, das sie in Art eines Tagebuches verfasst hat. Der Rest ist aus der Sicht des Erzählers geschrieben und überbrückt meist die Zeit zwischen den Fragebuchpassagen, indem Einschübe über die Geschichte der Radioaktivität und über die gesicherten historischen Daten der bekannten Figuren berichten.

In zwei verschiedenen Handlungssträngen erfährt der Leser mehr über das Leben und Lieben von Marie Curie und Blanche Wittman. Blanche fungiert dabei als Bindeglied zwischen beiden Biographien, da sie zumindest in Enquists Geschichte einige Jahre nach ihrer Entlassung aus der Salpetrière Laborassistentin bei Curie wird. Der Autor beginnt bei bekannten historischen Fakten, erzählt also von Curies physikalischer Karriere und von der Geschichte der Radioaktivität, wir erfahren mehr über die Experimente mit Pechblende und auch über die Ehe zwischen Marie und Pierre Curie. Später beginnt Marie eine Affäre mit dem verheirateten Paul Langevin, die tatsächlich damals zu einem öffentlichen Skandal wurde. Enquist bedient sich also dieses Wissens und schmückt die Fakten mit eigenen Ideen aus.

Seine Phantasie kann etwas weiter gehen in der Zeichnung der Figur von Blanche Wittman, da sie zwar bekanntlich das berühmte Medium von Professor Charcot gewesen ist und als Königin der Hysterikerinnen bezeichnet wurde, doch dichtet Enquist eine kurze Liebesaffäre zwischen Arzt und Patientin hinzu, die alles andere als historisch gesichert ist. Darüber hinaus kann man dem Autor allerdings nicht viel Phantasie zugestehen, da er wenig über bekannte biographische Daten der auftauchenden Figuren hinausgeht.

_Amputierte Figuren_

Schon zu Beginn des Buches wird Blanche Wittman als ein Torso vorgestellt, da ihr im Laufe der Jahre beide Beine und ein Arm amputiert werden müssen. Später verbringt Blanche daher die meiste Zeit des Tages in einer Holzkiste, in der sie mit ihrem einen verbleibenden Arm ihr Fragebuch füllt. Obwohl etliche Passagen des Romans aus Blanches Sicht geschrieben sind, bleibt sie doch recht undurchsichtig. Recht früh wird ihre möglicherweise aktive Beteiligung an Prof. Charcots Tod angedeutet, doch später schildert sie diese Episode ganz anders. Auch über ihre Krankheiten wird der Leser im Dunkeln gelassen, nur andeutungsweise werden die Patientenexperimente und öffentlichen Vorführungen an der Salpetrière geschildert und etwas über die mögliche Krankengeschichte der dortigen Patienten erzählt, doch bleibt alles undurchsichtig und zweifelhaft. Auch kann der Leser nur vermuten, dass Blanches Amputationen von den Experimenten mit radioaktiven Substanzen herrühren.

Selbst ihre Gefühle werden nur zart angedeutet, obwohl sie doch ein Buch über die Liebe schreiben und diese erklären möchte. Ihre gesamte Beziehung zu Charcot und ihr Wesen zeichneten sich für mich nicht klar ab, sodass mir ihre Figur einfach nur absurd erschien. Darüber hinaus legt Enquist meiner Meinung nach zu viel Wert darauf, Blanche als verkrüppelten Torso hinzustellen, sodass es schwierig wird, sich diese Frau als ein liebendes Wesen zu denken, zu deutlich führt uns der Autor ihre Krankheiten vor Augen.

Marie Curie erhält dagegen den ihr zustehenden Raum im Buch, ihre Biographie ist hinlänglich bekannt und gesichert, sodass sich Enquist auf diese Fakten stützen kann, nur ihre Verbindung zu Blanche Wittman stammt aus Enquists Feder. Doch auch Curies Zeichnung gelingt nur mäßig, da wir zwar viele biographische Daten kennen lernen, aber zu wenig über ihre menschliche Seite erfahren.

Erst zum Ende hin lässt Enquist seine beiden Hauptfiguren in den Vordergrund treten, erst dann geht es wirklich um die Liebe, nämlich um die verzweifelte Liebe zwischen Marie Curie und Paul Langevin, die für einen Skandal sorgte und fast das Ende von Curies Karriere gewesen wäre, und um die kurze aber heftige Liebe zwischen Blanche Wittman und ihrem Arzt. Zu viel Zeit vergeudet Enquist damit, zwei Biographien zu entwickeln und zu wenig Raum gibt er der eigentlich interessanten Geschichte, an der seine eigene Phantasie einsetzen kann. So erfährt der kundige Leser wenig Neues über das Leben von Marie Curie, lediglich die Passagen über Blanche Wittman und die Geschichte der Salpetrière offenbarten mir unbekannte Fakten.

_Orientierungslos_

Da Per Olov Enquist gleich zwei sagenumwobene Frauengestalten in den Mittelpunkt seines schlanken Buches stellt und beide Lebensgeschichten zu entwickeln versucht, verheddert er sich leider zu häufig in den einzelnen Episoden. Es gibt zu viele Gedankensprünge im Buch, zu oft wechselt der Erzähler von Blanche zu Marie, zu häufig tauchen Zeitsprünge auf, sodass der Leser ratlos die Seiten umblättert und den Gedankengängen des Autors nur sehr schwierig folgen kann. Ein roter Faden, der uns durch das Buch leitet, wäre sehr wünschenswert gewesen, doch hinterlässt „Das Buch von Blanche und Marie“ eher den Eindruck einer losen Gedankensammlung, die noch sortiert und in die richtige Reihenfolge gebracht werden muss. Auch die häufig wechselnde Erzählerperspektive erschwert das Lesen, da oft erst aus dem Zusammenhang klar wird, ob der Erzähler spricht oder wir Passagen aus Blanches Fragebuch zu lesen bekommen.

Leider möchte der Autor zu viele Aspekte in seinem Büchlein unterbringen, sodass er die meisten Dinge nur anreißen kann, denn natürlich ist die Biographie einer Persönlichkeit wie Marie Curie nicht annähernd in ein so dünnes Buch zu quetschen. Zudem tauchen zahlreiche bekannte Figuren auf, die ihren Raum verlangen; der Versuch, all diese Personen unter einen Hut zu bringen, muss zwangsläufig scheitern.

Wünschenswert wäre gewesen, wenn Per Olov Enquist sich auf ein Thema beschränkt hätte, wenn er also aus Curies und Wittmans Leben nur ihre Liebesgeschichten erzählt hätte oder wenn er nur eine der beiden Damen herausgepickt hätte. Doch hält er sich mit Beschreibungen aus der Vergangenheit der beiden Frauen so sehr auf, dass für die Liebe zu wenig Raum bleibt. Darüber hinaus ist es schade, dass Enquist die Schicksale beider Frauen nicht mehr miteinander verbindet, da beide Erzählungen fast zusammenhanglos nebeneinander stehen.

_Gefühlskalte Worte_

Auch sprachlich weiß das Buch nicht zu überzeugen. Häufig finden sich nur kurze holperige Satzfragmente, die teils ohne Verb auskommen müssen. Darüber hinaus hat Enquist offenbar eine Vorliebe für Ausrufezeichen, die manchmal gehäuft mitten in einem Satz auftauchen und den Lesefluss erheblich stören. Als Stilmittel sind mir diese eingeschobenen Satzzeichen nicht sonderlich positiv aufgefallen, da sie scheinbar zufällig einzelne Worte betonen.

S. 115: |“Der Punkt! von dem aus die Geschichte betrachtet wurde und wirklich wurde! einen Meter von einem Tisch entfernt, an dem sie einst! als Pierre noch lebte! den geheimnisvollen Stoff entdeckt hatte, der! und das blaue radioaktive Licht! war denn dies nicht der richtige Punkt, um die Angst zu überwinden!“|

Besonders negativ aufgestoßen ist mir die Passage über Pierre Curies Unfalltod, der völlig herzlos und gefühlskalt beschrieben wird wie von einer Person, die sich nichts mehr gewünscht hat als diesen brutalen Tod. Mir erscheint eine solche Ausdrucksweise in der Situation völlig unangemessen, da sie selbst Maries Trauer nicht adäquat zeigen kann.

S. 85: |“Man rief die Ehefrau Marie herbei, und sie kam. Und er war tot. Nichts mehr zu machen. Wir müssen alle sterben. Aber er war doch noch so jung. […] So endete Maries dritte Liebe. Sein Kopf wurde zertrümmert. In keiner Weise gleich einem Vogel, der von der Wasseroberfläche abhebt und im Nebel verschwindet, nein, sein Kopf wurde ganz einfach von dem sechs Tonnen schweren Wagen zertrümmert, und dann war es zu Ende.“|

_Versuch eines Brückenschlages_

„Das Buch von Blanche und Marie“ wird im Nachwort ausdrücklich als Roman tituliert, dennoch stützt Enquist sich auf viele historische Quellen, die etliche Aspekte des Buches belegen können. Besonders aus Marie Curies Leben ist offensichtlich wenig hinzugedichtet, da bis auf ihre Freundschaft zu Blanche Wittman alle ihre Daten bekannt sind. Somit scheint das Buch eine Vermischung zwischen Biographie und Roman werden zu wollen, doch ist dieser Versuch misslungen. Die Geschichte um Blanche Wittman ist an vielen Stellen zu skurril, als dass sie wirklich mitreißen und unterhalten könnte, sodass ich auf diesen Part im Buch leicht hätte verzichten können. Über Marie Curie schreibt Enquist aber zu wenig, um sich deutlich von einer Biographie abzugrenzen.

Ein solcher Brückenschlag wäre durchaus möglich gewesen, wenn der Autor sich am Ende genug Raum gelassen hätte, um seine eigene Geschichte zu entwickeln, die sich endlich vom bereits Bekannten abgrenzen kann. Als das Buch etwas in Schwung kommt, Blanche von ihrer Affäre zu Charcot erzählt und Marie unter Liebeskummer leidet, da hetzt Enquist plötzlich, obwohl er sich doch vorher so viel Zeit genommen hat, um den persönlichen Hintergrund seiner Figuren zu entwickeln. Fast hat es den Eindruck, als wären ihm die Ideen ausgegangen und auch der Mut, eine eigene Geschichte über zwei so bekannte Personen zu schreiben.

_Ein Fazit_

Der vorliegende Roman ist schwierig in ein Genre einzuordnen, da er sich größtenteils auf bekannte historische Fakten stützt und zwei Biographien entwickelt, die in unabhängigen Quellen nachzulesen sind. Zu wenig eigene Ideen hat Enquist eingebaut, wobei er die Charakterisierung Blanche Wittmans leider zu stark übertrieben hat. Wittman erscheint dem Leser eher als verkrüppelter und verschrobener Torso denn als eine gefühlsvolle Frau, die versucht, die Liebe zu erklären. Auch sprachlich konnte Enquist mich nicht überzeugen, die Wahl seiner Stilmittel erscheint mir oftmals ungeschickt und unangemessen. Sein Schreibstil kam mir unausgegoren vor, zumal die Erzählung einen roten Faden deutlich vermissen ließ. Abschließend kann ich nur nochmals unterstreichen, dass ich enttäuscht war von diesem Buch und mir deutlich mehr erwartet hatte.

Jostein Gaarder – Maya oder Das Wunder des Lebens

S. 313: „Joker erwacht in einer organischen Festplatte auf dem Kopfkissen. Er spürt, dass er anfängt, sich aus einem heißen Strom halbfertiger Trugbilder an den Strand eines neuen Tages zu kämpfen. Welche Zellkraft steckt die Elfengehirne in Brand? Welche Turbinen treiben das Feuerwerk des Bewusstseins an? Welche atomare Kraft bindet die Gehirnzellen der Seele aneinander?“

Philosophie oder nur leeres Wortgeplänkel, das ist hier die Frage! Handelt es sich hierbei um hochwichtige Verse oder einfach nur inhaltslose Worthülsen, die keine Bedeutung mit sich tragen, aber wichtig klingen sollen? Ich denke, beide Deutungen sind möglich, wobei ich eindeutig zur zweiten tendiere, da Gaarder mich mit seinen philosophischen Ausführungen leider nicht überzeugen kann. Mit dem Erfolg von „Sofies Welt“ gelangte der norwegische Autor zu Weltruhm, auch seine nachfolgenden Romane wie „Das Kartengeheimnis“ oder „Der Geschichtenerzähler“ verkauften sich blendend, doch in „Maya oder Das Wunder des Lebens“ verlangt Gaarder seinen Lesern mehr Geduld und Ausdauer ab denn je.

Eine Geschichte in der Geschichte

Zunächst begegnet uns der Schriftsteller John Spooke, der von seinem Zusammentreffen mit dem Evolutionsbiologen Frank Andersen auf der kleinen Fidschiinsel Taveuni berichtet. Doch schon bald wechselt die Erzählerperspektive und der Großteil des Buches ist in Form eines Briefes von Frank an seine Frau Vera geschrieben, in welchem Frank seine Erlebnisse auf der Fidschiinsel zusammenfasst und von Ana und José erzählt.

Bei Ana und José handelt es sich um ein spanisches Paar, welches Frank auf Taveuni kennenlernt, die beiden unterhalten sich untereinander stets auf Spanisch und geben dabei merkwürdige philosophische Sätze von sich. Frank, der selbst Spanisch sprechen kann, lauscht ihnen heimlich und versucht, den beiden gegenüber zu vertuschen, dass er ihren Diskussionen folgen kann. Zudem hat Frank sofort das Gefühl, dass er Ana bereits irgendwo gesehen hat, doch kann er sie bzw. ihr Gesicht nicht einordnen. Komischerweise befällt John Spooke genau das gleiche Gefühl, doch findet er bald im Internet heraus, dass Ana der Maya auf Goyas Gemälde „La Maya Desnuda“ („Die nackte Maya“) nicht nur verblüffend ähnlich sieht, sondern diese Maya sein muss. Doch wie kommt Anas Gesicht auf ein 200 Jahre altes Gemälde? Erst spät werden dem Leser mögliche Antworten auf diese seltsame Frage präsentiert.

Frank und Vera leben seit dem Unfalltod ihrer kleinen Tochter getrennt voneinander, da dieses Unglück ihre Beziehung zueinander zu sehr überschattet hat. Doch in seinem Brief richtet Frank von Beginn an eine Bitte an Vera und verlangt von ihr, bis zum Ende des Schriftstückes durchzuhalten und alles zu lesen, was er für sie aufgeschrieben hat. Dabei berichtet er von philosophischen Diskussionen auf der kleinen Insel Taveuni und auch von ausführlichen Gesprächen mit dem Gecko Gordon, der Frank vom Trinken abhalten will.

Es wird deutlich, dass Ana und José eine Schlüsselposition einnehmen und insbesondere Goyas Werk in diesem Zusammenhang zu sehen ist, auch wird Frank am Ende in den Besitz des berühmten Manifestes gelangen, welches er mit Vera teilen möchte.

Philosophisches Verwirrspiel

Erneut hat Jostein Gaarder einen sehr philosophischen Roman vorgelegt, der dem Leser viel Konzentration, Geduld und Ausdauer abverlangt. Bereits die wechselnde Erzählerperspektive von John Spooke zu Frank Andersen und später wieder zurück zu John verwirrt, da nicht sofort klar wird, wer überhaupt der Erzähler ist. Auch streut Gaarder viele Andeutungen von bereits stattgefundenen Ereignissen ein, über die Frank später berichten will, sodass man schnell den Überblick zu verlieren droht und kaum noch behalten kann, auf welche Punkte der Autor nochmals zurückkommen möchte.

Jostein Gaarder versucht kläglich, eine gewisse Erwartungshaltung beim Leser aufzubauen, indem er schon früh andeutet, dass Frank in seinem Brief eine wichtige Bitte an Vera formulieren wird, doch am Ende erweist sich dieses Anliegen als trivial und nichtssagend, sodass man sich als Leser ziemlich verschaukelt fühlt, weil man doch mehr von diesem Buch erwartet bzw. sich erhofft hat. Gaarders Intention erschließt sich selbst dem aufmerksamen Leser nicht leicht. In langen philosophischen Abhandlungen schwärmen die verschiedenen Protagonisten des Buches vom Wunder des Lebens, preisen die Vorzüge der Evolution und beschreiben in furchtbar schwülstigen Worten die Natur der Fidschiinseln.

Sprachliche Hürden

Insbesondere sprachlich ist das Buch eine echte Herausforderung. So verliert Gaarder sich oftmals in langatmigen und detaillierten Naturbeschreibungen, die sich über etliche Seiten hinziehen und auch seine philosophischen Wortergüsse verlangen dem Leser viel ab. Gaarders Worte sind schwülstig und teilweise recht kompliziert, seine Ausdrucksweise mutet deutlich selbstverliebt an und die komplizierten Satzkonstrukte tragen auch nicht gerade zum Verständnis des Buches bei. Selten erlebe ich Romane, in denen mir unbekannte Worte auftauchen, doch Gaarder schafft es häufig, dem Leser Ausdrücke zu präsentieren, die nicht dem alltäglichen Wortschatz angehören. Aus dem Zusammenhang erschließen sich die meisten Bedeutungen, doch fand ich diese wertschwangere und überladene Sprache sehr lästig, auch wenn sie wohl zum beabsichtigten Inhalt des Buches passt. Ich bin sicherlich einiges an Kitsch gewöhnt, doch überschreitet Gaarder dieses Mal selbst bei mir die Grenze des Erträglichen. Die ellenlangen Darstellungen von Flora und Fauna auf Taveuni trieften vor Schmalz und waren in schier unerträgliche Wortungetüme gekleidet.

Doch was ist eigentlich Maya? Gaarder schreibt darüber Folgendes (S. 172/173): „Aber Laura ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie behauptete, jegliche Vielfalt sei nur ein Trug. Wenn wir jeden Tag die Welt als vielfältig erleben, dann beruhe das auf Blendwerk, auf dem, was in Indien viele Jahrtausende hindurch maya genannt worden sei. Denn nicht die äußerliche, sichtbare oder materielle Welt sei die wirkliche. Sie sei nur eine traumähnliche Illusion, zwar real genug für die, die darin gefangen seien, doch für weise Menschen sei nur brahman oder die Weltseele wirklich. Die Seele des Menschen sei identisch mit brahman, fügte sie hinzu, und erst, wenn wir das einsähen, könnten wir uns von der Illusion der äußeren Wirklichkeit befreien. Dann werde die Seele zu brahman, was sie ohne ihr eigenes Wissen ja schon die ganze Zeit gewesen sei.“

Da über die Hälfte des Buches in Form eines Briefes an Vera geschrieben ist, sind die Dialoge meist in indirekter Rede aufgeführt, was häufig zu langen Absätzen führt, durch die der Leser sich hindurch kämpfen muss. An dieser Stelle frage ich mich darüber hinaus, welche Frau einen solchen langen und schwülstigen Worterguss ihres Ehemannes lesen wird, von dem sie ohnehin getrennt lebt?!

Identifikation fehlgeschlagen

Die Figuren in diesem Roman bleiben leere Gestalten, die einzig dazu dienen, ihre Meinung über das Wunder des Lebens preiszugeben. Keine Person wird uns derart präsentiert, dass man sich ein gutes Bild von ihr machen könnte, die Figuren rücken völlig in den Hintergrund, Gaarder geht es einzig und allein um sein Manifest. Die wenigen Eigenschaften, die wir von den handelnden Charakteren erfahren, erlauben weder eine Identifikation noch führen sie dazu, dass jemand uns ans Herz wächst. Ganz im Gegenteil, die Figuren wirken unrealistisch und meist unsympathisch, besonders Ana scheint eher eine sagenumwobene Kunstfigur zu sein als ein Mensch aus Fleisch und Blut, und auch Frank kann nicht punkten. Spätestens, wenn er sich mit einem Gecko unterhält, der eines Abends auf seiner geliebten Ginflasche sitzt, beginnt man als Leser ernsthaft, sich Gedanken um den Gesundheitszustand des Erzählers zu machen. Wo dieses skurrile Zusammentreffen zwischen Mensch und Gecko anfangs noch zum Schmunzeln verleitet, so wird es doch auf Dauer immer lästiger, wenn sich selbst der Gecko an den philosophischen Abhandlungen beteiligt und seinen Standpunkt zum Besten gibt.

Was am Ende übrig bleibt

Im Gegensatz zu „Sofies Welt“, in der die schmückende Rahmengeschichte und die philosophischen Abhandlungen strikt voneinander getrennt sind (und es dem entnervten Leser schlussendlich ermöglichen, einen der beiden Handlungsstränge komplett zu überspringen), sind beide Elemente in diesem Buch eng miteinander verwoben. Zwar erzählt Frank von seinen Erlebnissen auf der kleinen exotischen Insel, doch taucht dort immer wieder das spanische Pärchen auf, das mit wichtigen Thesen nur so um sich wirft. Auch treffen sich eines Abends die Inselbesucher zu einer Diskussion um das Wunder des Lebens, die Entstehungsgeschichte, Illusionen und das Bewusstsein der Menschheit. Jede Figur steht für eine eigene Sichtweise und stellt diese lang und breit dar. Leider fehlt auch hier der rote Faden, der dem Leser zeigen könnte, wohin sich die Erzählung entwickeln wird und worauf der Autor hinausmöchte.

Am Ende bemerkt der Leser, dass Gaarder ihn an der Nase herumgeführt hat, denn Franks Brief stammt nicht aus seiner eigenen Feder, sondern aus der des Schriftstellers, der sich von Frank und dem Besuch auf Taveuni zu einem neuen Roman inspirieren ließ. Erst im Nachwort treffen beide Männer wieder zusammen und an manchen Stellen wird klar, wo im Brief Franks Realität aufhört und Johns Fiktion beginnt. Die genauen Grenzen zwischen Erdachtem und wahrem Geschehen bleiben jedoch verwaschen, es wird nicht immer deutlich, wo Johns Phantasie einsetzt und neue Dinge hinzuerfindet. Manch einer mag dies für eine besondere literarische Raffinesse halten, allerdings ist man am Ende des Buches so ausgelaugt und genervt von den Dingen, die man lesen musste, dass dies gleichgültig am Leser vorbeizieht.

Schon in „Sofies Welt“ versuchte Jostein Gaarder, die Geschichte der Philosophie in Romanform zu verpacken, sodass auch Leser ohne Vorwissen, wie zum Beispiel Kinder und Jugendliche, einen Einblick in diese Wissenschaft erhalten können. Auch „Maya oder Das Wunder des Lebens“ ist als Jugendbuch ausgewiesen, das ab 12 Jahren lesbar sein soll, doch halte ich diese Angabe der Zielgruppe für völlig verfehlt, da der Autor durch die wechselnde Erzählperspektive, die weitschweifenden Beschreibungen und die teils spezielle und komplizierte Wortwahl seine jugendlichen Leser überfordern dürfte. Während „Sofies Welt“ bei den Anfängen der Philosophie einsetzt und relativ einfach Grundzüge dieser Wissenschaft erklären soll, ist „Maya“ doch eher als eine Art Anwendung der Philosophie zu sehen, die speziell auf Fragen der Evolution und den Wert des Lebens eingeht. Diese Übertragung auf schwierigere Fragestellungen dürfte Lesern ohne Vorkenntnisse sehr schwer fallen, zumal Gaarder durch die Vermischung von Realität und Fiktion eine weitere Hürde schafft.

Gaarder scheint hochwichtige Botschaften in Romanform weitertragen zu wollen, doch scheitert er bei diesem Versuch. Sein Brückenschlag zwischen Roman und Sachbuch ist beim vorliegenden Werk völlig misslungen, da der Autor weder durch eine interessante Geschichte zu unterhalten weiß, noch philosophisches Fachwissen vermitteln kann. Lediglich viele hohle Phrasen werden ohne roten Faden aneinander gereiht, sodass der Leser Gaarders Gedankengängen nicht folgen kann. Für mich war dieses Buch der wohl letzte und abschreckendste Versuch, mit Jostein Gaarder und seinen Büchern warm zu werden.

Taschenbuch: 432 Seiten
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Charlotte Link – Der fremde Gast

„Mach Fremden nicht die Tür auf“, so schärft man es kleinen Kindern immer wieder ein, Charlotte Links aktueller Thriller macht aufs Schärfste deutlich, was einem blühen kann, wenn man sich nicht an diesen Leitsatz hält. Hatte ich bislang nur vier von Links historischen Gesellschaftsromanen gelesen, so bekam ich durch ihr neu erschienenes Taschenbuch nun endlich die Möglichkeit, auch einen ihrer Thriller zu lesen. Wieder einmal beweist Link eindrucksvoll, dass sie Leser an ihre Bücher fesseln kann und zu unterhalten weiß. Einmal angefangen, kann man ihre Werke nicht mehr aus den Händen legen, „Der fremde Gast“ stellt hier keine Ausnahme dar …

Wenn der Mörder zweimal klingelt

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Kui, Alexandra – Nebelfelsen, Der

Die 32-jährige Autorin Alexandra Kui(tkowski) legt nach ihrem erfolgreichen Jugendroman „Ausgedeutscht“ aus dem Jahre 1998 ihr erstes Erwachsenenbuch vor, nämlich den Kriminalroman „Nebelfelsen“, der im fiktiven Harzort Grauen spielt. Alexandra Kui lebt als Songwriterin und freie Autorin auf dem platten Land bei Hamburg.

_Grauenvolles aus dem Harz_

Schon in ihrem Urlaub in Pompeji denkt Antonia Czechy darüber nach, einfach alles aufzugeben und davonzulaufen, um ein neues Leben zu beginnen. Spontan will sie ihren überaus korrekten Freund Kai, der als Werbetexter arbeitet, vorwarnen, doch dieser reagiert nur genervt und will Antonia nicht ernst nehmen. Zurück in Hamburg, legt Antonia sich dermaßen mit ihrem Chef an, dass dieser ihr den Job kündigt. Nachdem sie ihre Arbeit als Fotografin in Hamburg los ist, reist Antonia ohne Verabschiedung und ohne Gepäck in das Harzer Städtchen Grauen, in welchem ihre beste Freundin Cleo sich das Leben genommen hat.

Genau zur Walpurgisnacht trifft Antonia in Grauen ein und läuft auf der Suche nach geeigneten Fotomotiven durch die Straßen. Dort sieht sie auch einen kleinen Mann im offensichtlich selbstgestrickten Ringelpulli, der mitten im Harz Flamencogitarre spielt. Als Antonia genug hat von dem Hexentreiben in Grauen, stellt der Gitarrenspieler sich ihr als Tom Sturm vor und bittet sie um die Fotos von der Walpurgisnacht. Bei dieser Gelegenheit lernt die junge Hamburgerin den Chefredakteur des Lokalblattes „Harzer Kurier“ kennen, der ihr eine Stelle als Fotografin bei der kleinen Zeitung anbietet.

Nach einer mit Tom Sturm durchzechten Walpurgisnacht erwacht Antonia in einer kleinen Pension bei der beleibten Kneipenwirtin Ulli, die sie am vergangenen Abend mit Bier versorgt hat. Antonia nimmt den Job beim Harzer Kurier an, da sie der Faszination der geheimnisvollen Nebelfelsen und ihrer eigenen verkorksten Vergangenheit nicht entkommen kann. Als sie oben auf den Felsen steht und in die nebelverhangene Tiefe blickt, ist sie nahe davor, sich selbst in die Tiefe zu stürzen. Der kleine Ort Grauen lebt vom Sensationstourismus rund um die Klippenspringer, die für ihren Selbstmord in den Harz reisen.

Auch Cleos Selbstmord lässt Antonia nicht los, hinzu kommt die aufkeimende Liebe zwischen ihr und Tom Sturm, der sie sich bald nicht mehr entziehen kann. Doch irgendetwas scheint Tom zu verbergen, auch die ansonsten so gutmütige Ulli möchte Antonia vor Tom warnen, doch die ist auf diesem Ohr taub und zieht bald zu ihrem neuen Freund und dessen zwei Töchtern in das „Muschelhaus“. Aber auch bei Antonia wachsen mit der Zeit Skepsis und Angst, denn mit den Nebelfelsen und Toms Familie scheint etwas nicht zu stimmen …

_Kuis Bild vom Harz_

Alexandra Kui, die selbst als Volontärin bei der Goslarschen Zeitung im Harz gearbeitet hat, zeichnet in ihrem Roman ihr persönliches Bild von der Harzer Landschaft und besonders dem erdachten Ort Grauen, der durch die Todesspringer an den Nebelfelsen zu trauriger Berühmtheit gelangt ist. Die Beschreibung der Szenerie des Harzes ist dabei sehr gelungen, der Ort Grauen wird dem Leser eindrucksvoll präsentiert und steht einem direkt vor Augen, auch die Nebelbänke an den Schläferklippen kann man sich bildlich vorstellen. Für mich hatte dieses Buch daher einen besonderen Reiz, da ich nicht nur die erwähnten Orte wie Goslar, Braunschweig und Wernigerode kenne, sondern auch die berühmten Walpurgisfeste im Harz; so konnte ich beim Lesen mein eigenes Bild vom Harz mit dem der Autorin vergleichen, was das Buch zu einem interessanten Leseereignis für den Harzer Ortskundigen macht. Ganz entgegen zu meinen sonstigen Lesevorlieben hätte ich mir in diesem Buch noch mehr Lokalkolorit gewünscht, da ich im Harz aufgewachsen bin und noch mehr über Alexandra Kuis Bild vom Harz hätte erfahren wollen.

_Personelle Schwächen_

Obwohl das Buch auf der Titelseite mit der Bezeichnung „Kriminalroman“ wirbt, stehen die Charaktere im Mittelpunkt des Buches, vor allem die 27-jährige Antonia Czechy aus Hamburg und der 52-jährige Chefredakteur Tom Sturm sind hier zu nennen. Alexandra Kui räumt den beiden in ihrem Roman viel Platz ein, lässt eine Liebesgeschichte entstehen, die allerdings von vielen Streitereien und Problemen gekennzeichnet ist. Beide Menschen erscheinen kompliziert und schwer durchschaubar, leider bleibt selbst die Vergangenheit der Ich-Erzählerin Antonia hierbei größtenteils unklar. Ihre Verhaltensweisen waren mir daher oftmals unverständlich, in vielen Situationen reagiert sie völlig unangemessen und geht an die Decke, ohne dass dem Leser klar wird, was die Gründe für diesen Ausbruch sind. Am Rande wird erwähnt, dass Antonia vor ihrer eigenen Vergangenheit davonlaufen will, vor den Erlebnissen in Kalifornien mit ihrem Exfreund Cire und vor dem Selbstmord ihrer besten Freundin, den Antonia immer noch nicht verarbeitet oder verstanden hat. Aus ihrer Vergangenheit erfahren wir einiges, dennoch werden uns zu viele Informationen vorenthalten, beispielsweise, was aus Cire geworden ist, der nebenbei häufiger erwähnt wird, aber ansonsten völlig im Dunkeln bleibt, oder auch, was hinter der Verbindung zwischen Cleo und Tom steckt, von der Antonia erfahren musste. Dennoch ist genau diese Vergangenheitsbewältigung verbunden mit einer ehrlichen Selbstkritik der Ich-Erzählerin das Thema des Buches. Schade, dass Alexandra Kui uns nicht mehr Facetten ihrer Romanfigur präsentiert hat, die ihre Eigenarten erklärbar gemacht hätten, denn so wirkt Antonia unecht und manchmal auch unreif, sie reagiert zu häufig zu übertrieben, um Sympathien für sie entwickeln zu können oder sich gar mit ihr identifizieren zu können. Dabei gefiel Antonia zunächst gut und wirkte interessant, erst später summierten sich ihre komischen Anwandlungen zu sehr und ihre Liebschaft zu ihrem Chef machte sie leider nicht sympathischer.

Auch die Figur des Tom Sturm wird einem nicht erklärbar, obwohl er neben Antonia den größten Raum im Buch erhält. Die Beziehung zwischen den beiden wird schnell zu einem Hauptthema des Romans und verdrängt die geheimnisvollen Nebelfelsen aus der Erzählung. Allerdings wirkt ihre Annäherung und plötzliche Verliebtheit zu gekünstelt, da Antonia zuvor offen ihre Abneigung Tom gegenüber zum Ausdruck gebracht hatte. Zu sehr fallen also ihre neu entwickelten Gefühle vom Himmel, ich habe sie nicht nachvollziehen können.

Viel authentischer und natürlicher wirkt dagegen die Kneipenwirtin Ulli, die sich mit mütterlicher Sorge um ihren neuen Pensionsgast Antonia kümmert, ihr neue Kleidung kauft und sie liebevoll bekocht. Auch wenn Ulli an manchen Stellen nichts über ihre frühere Beziehung zu Tom Sturm erzählen mag und sich mit geheimnisvollen Andeutungen begnügt, bleiben ihre Handlungen stets nachvollziehbar.

_Von Krimi keine Spur_

Durch die Ankündigung eines Kriminalromans mit finalem Showdown hatte ich mich auf eine falsche Fährte leiten lassen und vermutet, einen spannungsgeladenen Roman lesen zu können, doch hier wurde ich enttäuscht, denn obwohl die Nebelfelsen an vielen Stellen als mystisch und mit besonderer Anziehungskraft versehen beschrieben werden, bleiben sie schnell hinter Toms und Antonias Beziehung zurück. Der Leser muss sich mit einigen Hinweisen am Rande, bezogen auf die sogenannten Schläferklippen, begnügen, von Krimi ist allerdings keine Spur. Auch Spannung wird nur wenig aufgebaut, da die spärlichen Andeutungen in Bezug auf Tom und seine dubiose Vergangenheit nicht ausreichen, um den Leser an das Buch zu fesseln. Erst spät kommt die Handlung ins Rollen, als Antonia entscheidende Hinweise auf die Mutter von Toms jüngerer Tochter erhält, die sie aufhorchen lassen. Doch ist sofort offensichtlich, was hinter der Geschichte stecken muss und was damals passiert ist, sodass am Ende kaum Überraschungen bleiben.

Mit ihrem Showdown kann Alexandra Kui nicht überzeugen. Zu konstruiert wirkt die Auflösung der Geheimnisse um die Nebelfelsen und um Tom Sturm, hier greift Kui in die Trickkiste, um ihrem Buch etwas Spannung hinzuzufügen, doch vergallopiert sie sich dabei. Das Ende hinterlässt daher einen faden Beigeschmack beim enttäuschten Leser, ein etwas weniger sensationelles Buchende wäre realistischer und auch zufriedenstellender gewesen. Schade, dass die Autorin an dieser Stelle ein wenig über das Ziel hinausgeschossen ist.

_Viel gewollt und wenig geschafft_

Alexandra Kui wollte scheinbar zu viele verschiedene Dinge in ihr nur 300-seitiges Buch packen. So beginnt das Buch zunächst mit Antonias Beziehungs- und Jobproblemen, der Leser wird mit geheimnisvollen Andeutungen zu ihrer Vergangenheit und Cleos Selbstmord gelockt, anschließend reisen wir gemeinsam in das düstere Örtchen Grauen mit den nebelverhangenen Schläferklippen. Gerade in Grauen treffen wir auf skurrile und merkwürdige Personen, die oftmals in ihren Handlungsweisen zu übertrieben agieren, aber offensichtlich einiges zu verbergen haben. Besonders Tom Sturm muss einige Leichen im Keller begraben haben, das wird aus den zarten Andeutungen der Bewohner deutlich. An dieser Stelle entdeckt Antonia plötzlich ihre Gefühle für Tom, die zu einer turbulenten und problematischen Beziehung führen, in der auch noch zwei Töchter des Chefredakteurs auftauchen und eine Rolle spielen. Kui greift zu viele Aspekte in ihrer Erzählung auf und vergisst dabei, ihre Kriminalgeschichte weiterzuentwickeln, Spannung aufzubauen und am Ende allen aufgegriffenen Handlungsfäden ein passendes Ende zu verleihen. Es bleiben zu viele Fragen offen, sodass das Buch keine runde Sache geworden ist, auch in ein Genre ist der Roman schwierig einzuordnen, da von Kriminalgeschichte wenig zu spüren war.

Insgesamt kann das Buch als Kriminalroman nicht überzeugen, da kaum Spannung aufgebaut wird, sondern die handelnden Charaktere im Zentrum des Buches stehen. Insbesondere die beginnende Beziehung zwischen der jungen Hamburgerin Antonia Czechy und dem alternden Lokalchef Tom Sturm steht hier im Vordergrund, dennoch bleiben die Hintergründe etwas im Unklaren. Die aufkeimende Liebe fällt vom Himmel, da Ich-Erzählerin Antonia zuvor zu oft betont hatte, dass sie den kleinen Mann im Ringelpulli nicht ausstehen kann. Alexandra Kui hält sich in ihren Beschreibungen manchmal zu sehr auf, im Grunde genommen nebensächliche Dinge wie Antonias Einstieg in Toms Band werden zu sehr ausgebreitet und bremsen den Spannungsbogen deutlich aus. Auch die Nebelfelsen werden nur am Rande erwähnt und rücken schnell in den Hintergrund. Leider kann auch das Buchende nicht überzeugen, sodass der Roman für Harzer durch die bekannten Orte durchaus lesenswert ist, aber nicht dazu verlocken kann, das Buch weiterzuempfehlen oder gar ein zweites Mal zu lesen.

Mankell, Henning – Rückkehr des Tanzlehrers, Die

Mit der „Rückkehr des Tanzlehrers“ präsentiert uns Henning Mankell erstmals einen anderen Kriminalhelden, hier ermittelt kein Kurt Wallander mehr in Ystad, sondern ein gewisser Stefan Lindman aus Boras. Welcher Teufel mag Mankell geritten haben, als er sich Lindman ausdachte und damit viele Wallanderfans enttäuschte, denn der liebe Kurt hätte doch wirklich noch den einen oder anderen Fall lösen können, auch wenn er immer wieder von tiefen Zweifeln und Depressionen befallen wird. Aber genau das ist es doch, was wir an ihm lieben. Ob Lindman ihm da das Wasser reichen kann? Wir werden sehen …

Herbert Molin lebt nach seiner Pensionierung abgeschieden und versteckt in einem kleinen Häuschen am Waldesrand, nachts plagt ihn die Angst vor Schatten, sodass er sich die dunklen Stunden mit Puzzles und dem Tanz mit einer lebensgroßen Puppe vertreiben muss. Schlafen kann er nur tagsüber. Doch eines Nachts ist alles anders, sein Hund schlägt an und hört plötzlich auf zu bellen. Molin greift zur Schrotflinte und will den nächtlichen Besuch auskundschaften, aber dann werden schon sämtliche Fensterscheiben in seinem Haus zerschossen und er spürt Tränengas in seinen Augen. Sein Mörder ist gekommen und peitscht Molin eiskalt zu Tode …

Stefan Lindman ist jung, erst 37 Jahre alt und doch ist er schwer krank. Die Diagnose lautet „Zungenkrebs“ und trifft den Kriminalbeamten aus heiterem Himmel, dabei hatte er sich gar nichts dabei gedacht, als er den Knubbel in der Zunge erfühlt hat. Noch wenige Wochen bleiben ihm, bis er sich zur Strahlenbehandlung ins Krankenhaus einweisen lassen muss. Zunächst überlegt er, ob er spontan Urlaub auf Mallorca machen soll, hört dann aber, dass sein ehemaliger Kollege Herbert Molin brutal ermordet worden ist und so beschließt Lindman, stattdessen nach Härjedalen zu reisen, um sich dort ein wenig umzusehen und die Ermittlungen zu beobachten.

In Sveg angekommen, mischt Lindman sich schnell in die Ermittlungen ein, was vom leitenden Beamten Rundström gar nicht gern gesehen wird, doch macht Stefan wichtige Entdeckungen und kann dadurch den Fall vorantreiben. In Molins Nähe finden sich nämlich Zeltspuren von einer Person, die ihr Opfer zuvor genau ausspioniert hat, auch die Verbindung zu einer älteren Dame wird hergestellt. Elsa Berggren scheint der einzige Mensch zu sein, zu dem Molin neben seinem Nachbarn Abraham Andersson noch Kontakt hatte. Als Lindman in Berggrens Wohnung einbricht, findet er eine SS-Uniform und auch Molins Tagebuch legt eine Spur bis in die Zeit des zweiten Weltkrieges. Das Motiv für den Mord muss weit zurückliegen, doch dann geschieht ein weiterer Mord und alles gerät durcheinander …

Henning Mankell bleibt sich selbst treu, indem er seiner Geschichte einen Prolog vorschaltet. Als Einstieg in sein Buch wählt er einen historischen Ausflug in die Zeit des zweiten Weltkrieges, der Leser lernt hier einen Henker kennen, der speziell für zwölf Hinrichtungen nach Deutschland eingeflogen wird. Auch ein besonders grausamer Mann – Josef Lehmann – ist dabei, doch dessen Bruder konnte fliehen und somit seiner gerechten Strafe entkommen. Die Hinrichtungen gehen problemlos über die Bühne und der Henker kann nach Hause fliegen. Zunächst ergibt der Prolog im Kontext des Buches keinen Sinn, der Zusammenhang zu Herbert Molin fehlt völlig und man fragt sich einige Weile, was Mankell mit dieser Einleitung bezwecken wollte. Es ist klar, dass er hier schon Hinweise auf das Mordmotiv eingestreut hat, doch sind diese lange Zeit nicht zu deuten.

Nach dem kurzen Prolog springt Mankell ins Jahr 1999 und präsentiert seinen neuen Krimihelden, nämlich Stefan Lindman, und auch hier bedient er sich seines altbekannten Erfolgsrezeptes, denn was die Figur des Wallander ausmachte, waren unter anderem seine Zweifel und Fehler. Wallander wirkte authentisch durch seine Macken und Eigenarten und in ähnlicher Manier wird einem Stefan Lindman dargeboten, der sogleich mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat. Fast möchte er sich aufgeben und davonlaufen, auch seine Beziehung zu Elena steht auf der Kippe, da er spontan davonreist, ohne sie zu informieren. Lindman muss ständig an die bevorstehende Behandlung denken und verfällt immer wieder in Depressionen. Genau wie Wallander arbeitet er oftmals auf eigene Faust und zwar eher am Rande der Legalität. Lindman bricht heimlich in Häuser ein und mischt sich in einen Kriminalfall ein, der nicht in seiner Zuständigkeit liegt. Anfänglich musste ich mich beim Lesen dazu zwingen, in Lindman eine neue eigenständige Person zu sehen. Zu groß waren die Parallelen zu Wallander, zu sehr war ich an den guten alten Kurt gewöhnt. Doch im Laufe des Buches gewinnt Lindman immer mehr an Größe, er bekommt seine Zweifel in den Griff und nähert sich auch Elena wieder an, er will gegen seine Krankheit kämpfen und den Mord an Herbert Molin auflösen. Er gibt nicht auf, so schwer es ihm oftmals auch fällt. Als Leser wird er einem dadurch schließlich trotz der Vorbehalte sympathisch, man muss einfach mit ihm mitfiebern und das Beste für ihn hoffen.

Henning Mankell legt stets viel Wert auf seine Charakterzeichnungen, muss in diesem Buch allerdings wieder von vorne beginnen, keine bekannte Figur tritt auf, die lediglich weiterzuentwickeln ist, alle handelnden Charaktere müssen neu eingeführt werden. Neben Stefan Lindman liegt hier der Schwerpunkt auf seinem Kollegen Guiseppe Larsson, Herbert Molin und auch auf dem Mörder selbst. Besonders das Bild von Herbert Molin setzt sich erst nach und nach zusammen, im Laufe der Ermittlungen werden immer neue Informationen aufgedeckt, die schlussendlich ein ziemlich gutes Bild des Opfers ergeben, das in seiner Vergangenheit einige Leichen im Keller begraben hat.

Zwischendurch wechselt Henning Mankell häufiger die Perspektive. Während ein Handlungsstrang die Ermittlungen in Sveg verfolgt, widmet ein anderer sich dem Mörder Molins, der dem Leser hierdurch schon recht früh vorgestellt wird. Dennoch dauert es länger, bis man die Motive erahnen oder hinter die Fassade blicken kann, denn als der zweite Mord geschieht, gibt Mankell seinem Roman eine sehr interessante Wende, die zu überraschen weiß.

Im Grunde genommen fehlt uns nur ein typisches Mankell-Element, nämlich die eingebauten Cliffhanger, die die Spannung immer wieder ins Unermessliche steigern und den Leser an das Buch fesseln. Meist schafft Mankell dies durch den vergesslichen Wallander, der ahnt, dass er etwas Entscheidendes übersehen hat, den Gedanken aber nicht zu fassen bekommt. Ähnliche Anwandlungen hat auch Stefan Lindman, jedoch fällt ihm schließlich doch in jeder Situation ein, was er vergessen zu haben glaubte. So muss der Leser hier nicht mit zittrigen Fingern weiterblättern – immer in der Hoffnung, doch endlich erlöst zu werden und den entscheidenden Hinweis zu bekommen.

Die Cliffhanger hat Henning Mankell allerdings auch in der „Rückkehr des Tanzlehrers“ nicht nötig, da er seinen Spannungsbogen perfekt zu inszenieren weiß. Als Leser muss man nur den kurzen Prolog „überstehen“, schon ist man wie gewohnt mitten in der Handlung und wohnt einem grausigen Mord bei. Anschließend häufen sich schnell die Hinweise, die das Tatmotiv trotzdem arg im Dunkeln lassen. Geschickt platziert Mankell an den richtigen Stellen neue Informationen, die den Leser doch wieder in das Geschehen einbinden, weil man selbst aktiv am Miträseln ist ob des Motivs. Rein vom Kenntnisstand ist der Leser der Polizei an jeder Stelle voraus, da der Leser den Prolog aus dem zweiten Weltkrieg kennt und schnell dem Mörder und seinen Gedanken begegnet. Allerdings erfährt man erst spät genug über die Hintergründe, um die richtigen Schlüsse ziehen und das Geschehen durchschauen zu können. Meiner Meinung nach ist Mankell ein Meister des Spannungsbogens, denn keines seiner Bücher konnte ich zwischendurch leicht aus der Hand legen, spätestens ab der Mitte jedes Buches fühlt man sich fast schon gezwungen weiterzulesen, so musste ich auch bei diesem Kriminalroman die letzten 200 Seiten unbedingt am Stück lesen.

Sprachlich dagegen beschränkt Mankell sich auf das Minimum. Um seinen Roman rasant voranzutreiben, hält er sich nicht mit komplizierten Satzkonstruktionen auf, die das Lesen erschweren würden, auch seine Wortwahl ist stets einfach und klar. Nie ist man gezwungen, einen Satz zweimal zu lesen, weil er beim ersten Lesen nicht verständlich wäre. All dies führt dazu, dass Mankells Kriminalromane immer wieder zu einem großartigen Lesevergnügen werden, auch wenn man dem Autor sicherlich nicht bescheinigen kann, dass er ein großer Literat ist, die Sprache hat er nicht neu erfunden, er weiß aber hervorragend, sich ihrer mit relativ einfachen Mitteln zu bedienen. Genau so lieben wir das!

Doch die „Rückkehr des Tanzlehrers“ hat noch mehr zu bieten, denn Henning Mankell greift ein heißes Thema auf. Schon im Prolog reist man nach Deutschland und erlebt Hinrichtungen während des Zweiten Weltkrieges mit. Nicht lange lässt Mankell seine Leser im Unklaren darüber, dass sein Buch vom Nationalsozialismus handelt, früh entdeckt Lindman die SS-Uniform und liest in Molins Tagebuch von dessen Vergangenheit bei der Waffen-SS. Wieder einmal bedient Mankell sich eines brisanten Themas, das er kritisch betrachtet und zu dem er Stellung nimmt. Vermutlich findet Mankells Standpunkt sich in Stefan Lindman wieder, der es gar nicht glauben kann, dass es auch im Jahre 1999 Nazis in Schweden gibt und dass er ihnen nun so nahe kommt wie vielleicht nie zuvor. Lindman fragt sich, wie dies unentdeckt bleiben konnte und ob diese Untergrundorganisation Größeres plant. Er hat Angst vor möglichen Konsequenzen und kann das nationalsozialistische Gedankentum nicht annähernd nachvollziehen. Dass dieses Thema hochaktuell ist und nicht einfach vom Himmel fällt, hat sich erst im Herbst 2004 in Deutschland bei zwei Landtagswahlen gezeigt. Henning Mankell ist es immer wieder ein Anliegen, selbst seinen Unterhaltungsromanen eine Boschaft mitzugeben; dem treuen Leser ist es nicht neu, dass Mankell gesellschaftliche Missstände anklagt und offene Kritik übt. Gerade dies ist ein weiteres seiner Markenzeichen, das mir persönlich sehr gut gefällt, da der Leser hoffentlich zum eigenen Mitdenken angeregt wird.

Insgesamt ist Henning Mankell erneut ein hervorragender Kriminalroman geglückt, dessen Spannungsbogen sofort mitreißt und den Leser stets zum Mitraten animiert. Die Charakterzeichnungen fügen sich prima in das Gesamtbild des Buches ein, und Mankell schafft es, dass einem sogar Stefan Lindman sympathisch wird, der den allseits beliebten Kurt Wallander zwischenzeitlich verdrängt hat. Wieder einmal nimmt Mankell sich eines wichtigen Themas an, das er kritisiert und zu dem er offen Stellung bezieht; so trägt dieses Buch neben dem eigentlichen Kriminalfall eine Botschaft weiter, die den Leser zum Nachdenken bringen soll. Auch wenn das Buch außerhalb der Wallanderreihe entstanden ist, sind die typischen „Mankell-Merkmale“ enthalten, sodass jeder bisherige Fan auch mit diesem Buch höchst zufrieden sein dürfte. Darüber hinaus hat Mankell einen Namen in die Handlung eingestreut, der treuen Fans bekannt vorkommen dürfte. Trotz meiner kleinen Vorbehalte angesichts des neuen Krimihelden hat Mankell mich vollkommen überzeugt und erneut einen erstklassigen Krimi vorgelegt.

Loewe, Elke – Engelstrompete

Die deutsche Autorin Elke Loewe aus Hüll an der Niederelbe machte sich in den letzten Jahren einen Namen im Kriminal- und Historiengenre und veröffentlicht nun mit „Engelstrompete“ den dritten Roman, der sich um das Geschehen in dem fiktiven Dörflein Augustenfleth und die Erlebnisse Valerie Blooms rankt. Fans der Serie sei versichert, dass dies sicherlich nicht der letzte Roman aus Augustenfleth war, denn noch immer ist das Geheimnis um Tante Robbies Tod nicht aufgeklärt, da der dubiose Dorfarzt weiterhin untergetaucht ist …

Zur Zeit des Schützenfestes platzt in das friedliche Idyll der kleinen Deichstadt Augustenfleth der Tod des Pfarrers Jonny Sonnenberg. Die kleine Lilly ist es, die den Pastor tot in der Kirche findet und schreiend mit dieser neuen Information durch Augustenfleth läuft. Zuerst trifft sie auf Valerie Bloom, die den Abend mit ihrem Nachbarn „Taxi-Enno“ verbringt, der auch sogleich in die Kirche eilt, um nachzusehen, ob er noch erste Hilfe leisten und den Pfarrer retten kann. Schnell spricht sich dieses Unglück in der Kleinstadt herum, sodass die Einwohner höchstpersönlich in der Kirche nach dem Rechten sehen wollen.

Der neue Arzt im Dorf diagnostiziert schnell einen natürlichen Tod duch Herzversagen, doch das kann keiner so recht glauben, auch wenn Sonnenberg ein ungesundes Leben geführt hat, denn er war noch jung und sah vor seinem Tod ganz gesund aus. Die Gerüchte gehen also um in Augustenfleth und schnell werden erste Verdachte geäußert. Auch Jonny Sonnenberg wird posthum Opfer von Mutmaßungen und Verdächtigungen. Vor seinem Tod lebte er sehr zurückgezogen und hatte kaum Kontakt zu seinen Gemeindemitgliedern, nur den Kindergottesdienst führte er stets mit besonderer Sorgfalt durch. Kann es vielleicht einen Grund für einen Selbstmord gegeben haben? Oder ist er gar ermordet worden?

Die Augustenflether scheinen es zu glauben und haben in Enno auch schnell einen potenziellen Mörder gefunden, da dieser sich einige Zeit zuvor skeptisch über Sonnenberg geäußert hatte. Enno, der sich viele Freiheiten herausnimmt und beruflich als Taxifahrer arbeitet, muss schnell feststellen, dass seine Nachbarn zu harten Bandagen greifen, denn die Reifen seines Taxis werden durchstochen und eines Tages liegt sogar eine tote Ratte auf seinem Autodach. Wer will ihm hier etwas anhängen? Besonders seine Nachbarin Valerie aus München möchte wissen, was hinter Jonny Sonnenbergs Tod steckt. Was ist wirklich passiert in Augustenfleth? Ihr detektivisches Gespür ist geweckt.

Zunächst zeichnet Elke Loewe ein friedliches dörfliches Idyll der kleinen fiktiven Stadt Augustenfleth an der Elbe, die Schwalben bauen ihre Nester und beobachten die Dorfbewohner bei ihrem alltäglichen Leben. Alles ist still und friedvoll, Valerie lässt sich von Enno über Blumen und besonders die Engelstrompete belehren. In diese ruhige Szenerie platzt die kleine Lilly und verkündet lautstark, dass sie den Pfarrer tot in der Kirche hat liegen sehen. Schnell ist es vorbei mit der friedlichen Stille, denn es dauert nicht lange, bis die Augustenflether über die wahren Hintergründe des Todes oder auch Mordes anfangen zu spekulieren. Sonnenberg war ihnen nie ganz geheuer, da er viel zu zurückgezogen für einen Gemeindepfarrer lebte; kaum jemand wusste Genaueres über ihn. So sind die Einwohner des kleinen Dorfes mit Klatsch und Tratsch schnell bei der Hand, besonders Enno rückt bald in den Mittelpunkt der Verdächtigungen.

Im Mittelpunkt des Buches steht wie in den beiden Vorgängerkrimis („Die Rosenbowle“ und „Herbstprinz“) erneut Valerie Bloom, die nach dem Tod ihrer Tante Robbie deren Bauernkate bewohnt und vom geerbten Geld lebt. Erst seit drei Jahren wohnt Valerie in Augustenfleth und ist daher noch nicht vollkommen in den Dorfklatsch involviert, die meisten Einwohner deuten ihr gegenüber daher stets nur ihre Zweifel an, halten sich mit Informationen aber zurück. Valerie wird immer misstrauischer, da sich zudem Enno immer merkwürdiger verhält, doch kommt sie in ihren Nachforschungen kaum voran. Besonders am Anfang kam mir der Gedanke an Miss Marple, da Valerie ähnlich wie die Grande Dame der Krimihelden unentwegt versucht, hinter die Geheimnisse des Mordes zu blicken und dabei in jeder Situation überaus neugierig agiert.

Elke Loewe schafft es dabei, zunächst ein eindrucksvolles Bild der Landschaft und Idylle von Augustenfleth zu entwerfen, um es sogleich zu zerstören durch das hereinbrechende Unglück und Misstrauen der Dorfbewohner. Ganz unterschwellig werden Verdächtigungen ausgesprochen und Nachbarn bedroht, die Atmosphäre wird immer geladener, was nicht nur an den Unwettern liegt, die zeitweise über die Elbe herüberkommen. Im Verlauf des Romans wird nur ganz allmählich Spannung aufgebaut; so geht es erst ruhiger zu, nachdem Sonnenbergs Leiche entdeckt ist. Hier nimmt sich Loewe viel Zeit, um ihre Hauptfigur Valerie Bloom weiterzuentwickeln. Im Laufe des kurzen Buches lernen wir Valerie von vielen Seiten kennen, wir durchleben ihre Angst angesichts ihrer ungewissen Zukunft mit, ihre Zweifel in Bezug auf ihren selbst geschriebenen heiteren Frauenroman und auch die Zweifel in Bezug auf Jonny Sonnenberg und seinen angeblich natürlichen Tod. In jeder Situation ist Valerie dabei, der Leser verlässt sie nie, sodass Valerie zu einer richtigen Freundin wird.

Sämtliche Figuren wirken wir aus dem wirklichen Leben gegriffen und erscheinen völlig glaubwürdig So plagen Valerie wie viele andere junge Frauen ganz normale Selbstzweifel in Anbetracht einer eher ungewissen Zukunft. Valerie Bloom weiß nicht, was sie vom Leben erwarten soll und wo sie einmal hinmöchte; der Leser erlebt all diese Gefühlsregungen hautnah mit und kann sie verstehen und sogar nachvollziehen. Aber auch die restlichen Dorfbewohner werden mit alltäglichen Macken und Sorgen vorgestellt, selbst der typische Dorfklatsch darf hier nicht fehlen. So gefielen nicht nur die Charakterzeichnungen ausgezeichnet, sondern auch die Schilderung der gesamten Szenerie und all der handelnden Personen, auch wenn aufgrund des geringen Buchumfangs natürlich nicht jeder einzelne Mensch ausführlich hervorgehoben werden konnte.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auch auf der detaillierten Beschreibung sämtlicher Pflanzen und Blumen. Allerlei Blüten finden Erwähnung, und wenn Enno von seinen Pflanzenzüchtungen schwärmt, wird auch der Leser mit diversem Hintergrundwissen über Botanik gefüttert. Für Laien wie mich gehen diese pflanzenkundlichen Erörterungen allerdings an mancher Stelle zu weit, da mir die Historie der Engelstrompete (Brugmansia arborea) und der Unterschied zwischen Brugmansia und Datura eher nebensächtlich erschienen und die Handlung an sich nicht vorantrieben. Nebenbei entsteht durch den Detailreichtum ein immer besseres Bild von Augustenfleth, sodass der Leser sich direkt in die Deichlandschaft versetzt fühlt und hautnah dabei ist.

Über weite Strecken des Buches plätschert die Handlung allerdings nur vor sich hin, da Elke Loewe sich mit näheren Charakterbeschreibungen und Schilderungen der Szenerie im kleinen Dorf zu sehr aufhält. Die Spannung bleibt dabei ein wenig auf der Strecke, denn lange Zeit passiert nichts, das die Handlung vorantreiben könnte. Immer wieder werden unter der Hand die gleichen Verdachtsmomente geäußert, sodass die Geschichte auf fast 200 Seiten nicht recht ins Rollen kommen will. Dem Leser werden dabei genug Informationen an die Hand gegeben, um selbst Mutmaßungen über ein mögliches Mordmotiv anstellen zu können. Schnell scheint klar, was der Pfarrer Sonnenberg zu verbergen hatte. Leider verrät der Klappentext aber im Grunde genommen schon alles, was überhaupt aufgedeckt wird. Für Krimi-ungeübte Leser mag das Ende überraschend kommen, doch wenn man ehrlich zu sich selbst ist, war dies das einzig sinnvolle Ende überhaupt, das einem nicht viel mehr entlocken konnte als ein leichtes Lächeln auf den Lippen und dem Gefühl, es selbst doch schon lange geahnt zu haben. Darüber hinaus streut Elke Loewe nebenbei viele Hinweise ein, die den wahren Täter eindeutig entlarven können, wenn man die richtigen Schlüsse zieht. Ein Mitraten wird hierdurch also ermöglicht, was das Buch doch wieder lesenswert und interessant macht, da man sich als Leser eingebunden fühlt und am Ende keine hanebüchene Auflösung erfahren muss, die vom Himmel fällt.

Es hätte nicht viel gefehlt, um das Buch zu etwas ganz Besonderem zu machen, da die Schilderungen sehr sympathisch und gelungen sind, doch fehlen typische Elemente, die in einem Kriminalroman die Spannung aufrecht erhalten und aufbauen. Um überhaupt Nervenkitzel und Spannung zu empfinden, sollte man vor Lektüre des Buches tunlichst den Klappentext übersehen, da er fast alles verrät, was im Buch passieren wird. Sprachlich gefällt „Engelstrompete“ sehr gut, oftmals merkt man durch die spezielle Wortwahl, dass eine deutsche Autorin am Werke war und kein Übersetzer, der einen fremdsprachigen Text in die eigene Sprache übertragen musste. Elke Loewe hat ein nettes Buch mit glaubwürdigen Charakteren in einer hübschen kleinen Dorfidylle geschaffen, das durchaus zu unterhalten weiß. Doch kann es sich nicht mit Kriminalromanen à la Henning Mankell messen, da Spannung und Grusel etwas zu kurz kommen, fast könnte man das Buch trotz des Todesfalles als „niedlich“ bezeichnen. Mir persönlich sind die Augustenflether dennoch so ans Herz gewachsen, dass ich nun trotz schleppenden Spannungsbogens auch die anderen beiden Bücher über Valerie Bloom lesen werde. Zu einer uneingeschränkten Lobeshymne reicht es jedoch leider nicht aus.

MacLachlan Gray, John – menschliche Dämon, Der

Recht mutig und reißerisch verkündet der Buchrücken von John MacLachlan Grays Debütroman ein Werk, das packend ist wie Caleb Carr und atmosphärisch wie Süskinds „Parfüm“ und hängt die Messlatte für den „menschlichen Dämon“ damit verdammt hoch. So zählt „Das Parfüm“ von Patrick Süskind für mich doch zu den spannendsten und erfreulichsten Schullektüren überhaupt, die den Leser in eine völlig fremde, geheimnisvolle und gefährliche Epoche versetzt. Zu Beginn kämpften bei mir daher die hohe Erwartung angesichts eines atmosphärisch überzeugenden Buches und eine gesunde Skepsis gegeneinander – wollen wir uns ansehen, welche Seite am Ende gewonnen hat …

John MacLachlan Gray versetzt seine Leser in das London des Jahres 1852, in welchem ein Frauenmörder umgeht, der seine Opfer zunächst mit einem teuren Schal erdrosselt und anschließend ihr Gesicht entstellt. Schon früh ist ein Verdächtiger gefunden, der sogleich ins berüchtigte Gefängnis Newgate gesteckt wird, um dort auf seine Hinrichtung zu warten. Der Korrespondent des „Falcon“ Edmund Whitty ist als Berichterstatter immer zugegen, wenn jemand hingerichtet wird und erzählt schließlich aus erster Hand von seinen Erlebnissen. Doch plagen ihn insgeheim große Sorgen, denn sein Alkohol- und Drogenkonsum haben erschreckende Ausmaße angenommen, sodass Whitty sich nur schwer seiner Gläubiger entziehen kann, die ihm an Geld und Wäsche wollen. Oftmals muss er darüber hinaus morgens feststellen, dass er sich nicht mehr an die Ereignisse des vergangenen Abends und der letzten Nacht erinnern kann.

In einem Zeitungsartikel greift Whitty offen und schonungslos den Schriftsteller Henry Owler an, der daraufhin beschließt, seinem Widersacher einen gehörigen Schrecken einzujagen, indem er ihn ins gefährliche Holy Land entführt, in welchem sich düstere Gestalten herumtreiben; außerdem will er Whitty beweisen, dass er mit seinen Vermutungen Recht behält. Gemeinsam suchen die beiden Männer das Newgate-Gefängnis auf, um dort William Ryan zu treffen, der als beschuldigter Frauenmörder im Gefängnis sitzt, jedoch seine Unschuld beteuert. Recht bald kommt Edmund Whitty zu dem Schluss, dass Ryan wohl doch richtig liegt und sich der wahre Mörder noch frei in London bewegt und weiterhin morden kann. Kurz nachdem Ryan schwer verletzt aus dem Gefängnis fliehen kann, wird eine weitere Frauenleiche gefunden, die aber zu einer Zeit ermordet wurde, als Ryan noch in Gefangenschaft war. Die Suche nach dem wahren Mörder geht also weiter.

Nebenbei begleitet der Leser einige weitere Figuren auf dem Weg durch ein düsteres London, wir erfahren etwas über die Liebesverstrickungen zweier Männer und lernen mehr über Whitty und Owler. Als Owlers schöne und lebenslustige Ziehtochter Dorcas ermordet wird, beschließt seine Tochter Phoebe, den Mörder zu suchen und ihm eine Falle zu stellen. Doch wird sie dem menschlichen Dämon entkommen können?

Schon von der ersten Seite an taucht der Leser in eine fremdartige und bedrohliche Welt ein; John MacLachlan Gray wählt hierbei den Zeitungsartikel über eine Hinrichtung als Einstieg in sein düsteres Buch. Auch der Hauptfigur Edmund Whitty, die im Zentrum des Buches steht, begegnet der Leser im ersten Kapitel. Die Eröffnung macht daher sofort klar, worum es geht, worauf der Leser sich einzustellen hat und dass man nicht allzu furchtsam sein sollte für die Lektüre dieses Buches. Lange dauert es allerdings, bis man erkennt, worauf die Erzählung abzielt. Gray eröffnet viele verschiedene Handlungsstränge und stellt immer mehr Figuren vor, von denen man anfangs nicht weiß, ob sie eine Rolle spielen werden und wenn ja, welche. Abwechselnd baut der Autor seine Handlungsebenen weiter aus und lässt einige Personen von einem Handlungsstrang in einen anderen wechseln, sodass manche Figuren als Bindeglied fungieren. Das Buch beginnt komplex, etwas schwerfällig und ohne einen rechten roten Faden. Erst ein Blick auf den Klappentext auf der Innenseite des Buchdeckels hilft hier etwas weiter und erklärt dem Leser, worauf dies alles hinauslaufen soll. Gerade zu Beginn lässt sich Gray viel Zeit, um seine Geschichte zu entwickeln und die handelnden Charaktere vorzustellen; hier hätte ich mir etwas mehr Tempo gewünscht und eine zielgerichtetere Erzählweise, die den Leser nicht so lange im Dunkeln hätte tappen lassen.

Bei der Betrachtung der Sprache und verwendeten Stilmittel ist zunächst der Einsatz von Zeitungsartikeln in dem ansonsten aus einer neutralen Beobachterperspektive geschriebenen Buch auffällig. Die Zeitungsberichte entstammen entweder der Feder Edmund Whittys oder der eines seiner Kollegen beziehungsweise Konkurrenten und sind durchweg in der Ich-Form geschrieben. Die Artikel sprechen dabei ihre Leser direkt an und berichten in offener Weise von den Erlebnissen des Korrespondenten und seinen Gefühlen und Meinungen. Recht deutlich wird hierbei Grays Versuch, seinen Roman in einer Sprache zu verfassen, die dem 19. Jahrhundert entstammen könnte. Die meisten Sätze sind lang, kompliziert und verschachtelt, Gray offenbart eine Liebe zum Komma und zum Nebensatz, wie man sie selten zu lesen bekommt. Sein Buch ist daher nicht wirklich leicht und flüssig zu lesen, sondern erfordert ein hohes Maß an Konzentration. Ursprünglich wollte ich den menschlichen Dämon auf einer Zugfahrt weiterlesen, habe mir dann allerdings doch bald überlegt, leichtere Kost einzupacken. Auch Metaphern und Adjektive werden in geradezu verschwenderischer Weise benutzt, sodass Grays Sätze regelrecht aufgebläht werden. An manchen Stellen spielt der Autor den Poeten und beschreibt den Nebel und seine Konsistenz in dermaßen übertriebenen Bildern, dass seine Worte leider schon schwafelig anmuten. Dem Leser wird es dabei unnötig erschwert, die wichtigen Informationen und die eigentliche Geschichte in diesem Wust an Sprache wiederzuentdecken.

Die Erzählung schleppt sich daher an vielen Stellen ziemlich dahin und als Leser wartet man auf entscheidende Ereignisse, die die Geschichte vorantreiben, doch wartet man oftmals vergebens. Gray beschreibt viele Begebenheiten und Situationen bis ins kleinste Detail und baut dabei wahrlich eine fantastische und glaubwürdige Atmosphäre auf, die es dem Leser kalt den Rücken herunterlaufen lässt, dennoch hält er sich mit derlei Beschreibungen oft zu lange auf. Unglücklicherweise hat John MacLachlan Gray nicht ganz die richtige Mischung aus veralteter Sprache, dichter Atmosphäre und einem packenden Spannungsaufbau gefunden, denn während die Sprache authentisch wirkt und ich keine historischen Patzer bemerken konnte und während Gray in der Tat eine Grundstimmung aufbaut, die an Schrecken dem „Parfüm“ nahe kommt, so leidet sein Spannungsaufbau nicht wenig. Nur selten wird es spannend und bis kurz vor Schluss gibt es keinen Punkt, an dem man das Buch nicht mehr aus der Hand legen könnte. Der eigentliche Kriminalfall wird fast schon lieblos weitergeführt, die Suche nach dem menschlichen Dämon geschieht irgendwie nur ganz am Rande. Außerdem wird es dem Leser arg schwer gemacht, Verdachtsmomente gegen den wahren Täter zu sammeln, weil derlei Informationen ebenfalls in den überladenen Sätzen untergehen. Selbst als der wahre Dämon präsentiert wird, konnte ich nicht feststellen, ob Gray in seinem Buch Hinweise auf den echten Täter versteckt hatte oder ob dieser vom Himmel fällt. Auch war ich noch etwas skeptisch, weil ich nicht recht wahrhaben wollte, dass dies nun schon das Ende gewesen sein sollte. In diesem Punkt enttäuscht der Autor schließlich doch nicht, denn am Ende denkt er sich eine Auflösung für sein Buch aus, die es in sich hat. Hier werden menschliche Abgründe deutlich, sodass der Vergleich mit Patrick Süskinds berühmtem Werk durchaus gerechtfertigt erscheint. Ohne mit Caleb Carr näher vertraut zu sein, möchte ich jedoch behaupten, dass „Der menschliche Dämon“ diesem zweiten Vergleich nicht standhalten kann, denn das Buch ist einfach nicht packend, es entführt seine Leser in eine unheimliche Welt und präsentiert diese wirklich überzeugend und bildgewaltig, doch fehlt oft die Spannung, die das Buch zu einem „Pageturner“ hätte machen können. Gray verspielt hier leider viel Potenzial, aus der Grundidee hätte man so viel mehr machen können, wenn man an einigen Stellen die Sätze und Rahmengeschichte vielleicht ein wenig abgespeckt und vereinfacht hätte; so wird man als Leser ein wenig von Grays ausufernden Beschreibungen überrollt.

Die Charakterzeichnungen haben mir dagegen sehr gut gefallen, besonders Edmund Whitty wurde dem Leser hier nahe gebracht. Schon in seiner allerersten Szene erwacht er nach einer durchzechten Nacht mit großen Gedächtnislücken und fragt sich verwirrt, ob er denn überhaupt seinen Artikel geschrieben und eingereicht hat oder ob er womöglich schon arbeitslos ist. Nur langsam kann er die zurückliegende Nacht rekonstruieren und kommt zu dem Schluss, dass er wohl doch noch in Lohn und Brot steht. Im weiteren Verlauf des Romans kommen immer weitere Steinchen hinzu, aus denen man sich ein gutes Mosaik des etwas konfusen Korrespondenten erschaffen kann. Bei all seinen Verfehlungen bleibt Edmund Whitty doch immer ein Sympathieträger, der gerade durch seine Vorliebe für ausschweifende Abendgestaltung sympathisch wirkt. Die Figur ist zwar etwas überzeichnet und nicht unbedingt glaubwürdig, doch fügt sie sich insgesamt perfekt in das entstehende Bild von London ein. Auch Owler und seine beiden Töchter und selbst der angeklagte Ryan bekommen den ihnen zustehenden Raum im Buch und werden entsprechend vorgestellt.

Insgesamt bleibt angesichts des gelungenen Endes ein positiver Gesamteindruck zurück, auch wenn das Buch nicht alle Erwartungen erfüllen konnte. John MacLachlan Gray zeichnet ein überaus eindrucksvolles und überzeugendes Bild von London und lässt eine Atmosphäre entstehen, die einem Schauer über den Rücken laufen lässt. Auch die Charaktere wirken sympathisch und gewinnen an Farbe, doch bleibt die Spannung oft auf der Strecke. Zu häufig verliert Gray sich in verschachtelten Sätzen, die der Leser nur schwer zu entwirren weiß. Die Sprache wirkt dadurch zwar authentisch und dem Zeitpunkt der Handlung angepasst, ist aber dermaßen überfrachtet, dass wichtige Informationen leicht untergehen und man einen recht langen Atem beim Lesen braucht. Das trübt den Gesamteindruck des Buches leider ein wenig, da man aus der Idee ein noch viel packenderes Buch hätte machen können. Wer sich aber von derlei komplizierten Satzkonstruktionen nicht abschrecken lässt, ist mit diesem Roman sicherlich gut bedient.

Kellerman, Faye – Schwingen des Todes, Die

Obwohl Faye Kellerman mit den „Schwingen des Todes“ bereits den 14. Roman aus der Reihe um Hauptfigur Peter Decker und seine Ehefrau Rina Lazarus veröffentlicht hat, ist sie mir als Schriftstellerin erst letztes Weihnachten begegnet, als eines ihrer Bücher den Weg auf meinen Gabentisch fand. Bekannter ist allerdings ihr Mann, der Bestsellerautor Jonathan Kellerman, mit dem sie in Los Angeles wohnt.

_Die Schwingen des Todes_
Lieutenant Peter Decker erhält von seinem Halbbruder Jonathan aus New York einen Hilferuf: Sein Schwager Ephraim ist ermordet aufgefunden worden, dessen Nichte Shayndie wird seitdem vermisst. Obwohl Decker zunächst skeptisch ist und seinen Urlaub nicht für Privatermittlungen verschwenden möchte, reist er zusammen mit seiner Frau Rina und der gemeinsamen Tochter Hannah nach New York, um seinem Halbbruder und dessen Familie in dieser schweren Zeit beizustehen und sich nebenbei umzuhören.

In New York angekommen, besuchen Jonathan und Peter zunächst zusammen den jüdischen Staranwalt Hershfield, der Jonathans Familie juristisch beistehen soll, da schnell der Verdacht auf die Familie fällt. Die Tatumstände sind wirklich mysteriös: Der ehemals drogenabhängige Ephraim wurde häufig mit seiner noch minderjährigen Nichte Shayndie zusammen gesehen, sodass bald der Verdacht auftaucht, dass er sie missbraucht haben könnte. Decker nimmt Kontakt zur New Yorker Polizei auf und bekommt den Namen eines möglichen Verdächtigen genannt, den er bei seiner Polizeiarbeit in Los Angeles bereits gut kennen gelernt hat, nämlich Chris Donatti. Donatti besitzt einen mehr als fragwürdigen Ruf, wurde eines Mordes verdächtigt und schart immer wieder blutjunge Mädchen um sich, die er erotisch fotografiert, dabei aber immer genau darauf achtet, dass diese gerade volljährig geworden sind.

Donatti ist allerdings nicht gut auf Decker zu sprechen, sodass er keine Informationen preisgeben möchte, doch Decker spürt, dass Donatti mehr über den Fall weiß, als er zugeben will. Bald gibt Chris Donatti jedoch zu, dass er Shayndies Aufenthaltsort kennt. Doch daraufhin geschieht ein weiterer Mord …

Aus der Feder von Faye Kellerman erschienen bereits zahlreiche andere Romane über Peter Decker und seine Frau Rina Lazarus, bei den „Schwingen des Todes“ handelt es sich um ihren neuesten Roman, der erst im Januar 2005 als Taschenbuch erschienen ist. Nun kenne ich leider bisher nur dieses eine Buch, sodass ich nicht weiß, wie die Geschichte um Peter Decker und seine komplizierten Familienverhältnisse bereits entwickelt wurde und wie viele Hintergrundinformationen man aus früheren Büchern mitbringen kann, doch ist dieses Buch auch ohne Kenntnis der anderen Teile durchaus gut lesbar. Der Kriminalfall ist in sich abgeschlossen und wird auch aufgeklärt, dennoch denke ich, dass man beispielweise mehr über die Vorgeschichte zwischen Decker und Donatti aus anderen Büchern kennen wird. Auch über Deckers Familie wird man sicherlich mehr gelesen haben, denn seine Familie ist groß und kompliziert, da Decker in früher Kindheit adoptiert wurde und somit den Adoptivbruder Randy hat, aber auch den Halbbruder Jonathan, der bei ihrer leiblichen Mutter aufgewachsen ist. Auch war Decker bereits einmal verheiratet und hat neben der Tochter Hannah zwei weitere Söhne. Derlei Informationen werden sämtlich in diesem einen Buch eingestreut, sodass man sich schon ein recht gutes Bild von der Hauptfigur machen kann. Andere Charaktere müssen allerdings unter dieser guten Vorstellung des „Helden Decker“ etwas leiden; so bleibt seine Frau Rina eher im Hintergrund, obwohl die Krimireihe von Faye Kellerman auf dem Ehepaar aufgebaut ist und nicht nur auf Peter. Speziell die Verhältnisse zwischen Rina und Chris Donatti bleiben arg im Dunkeln, sodass es mich schon reizen würde, weitere Decker-Romane zu lesen, um hierüber mehr zu erfahren.

Neben der gelungenen Personencharakterisierung ist auch der Einstieg in das Buch sehr interessant. Schon auf den ersten Seiten erfährt der Leser von der Familientragödie in New York und wird gleich mitgerissen, da er natürlich wissen möchte, was mit der fünfzehnjährigen Shayndie geschehen wird. In New York angekommen, wird Decker gleich mit der Trauer in seiner Familie konfrontiert, jedoch fürchtet er auch schnell, dass diese etwas zu verbergen hat und mehr über die Sache weiß, als sie ihm gegenüber zugeben möchte. So dauert es auch nicht lange, bis Peter das Misstrauen ihm gegenüber spürt und bis ihm Jonathans Verwandte zu verstehen geben, dass Decker schnellstmöglich abreisen solle. Doch Peter bleibt, er möchte hinter die Fassade blicken und Shayndie retten. Außerdem hat er Blut geleckt und einen Deal mit Chris Donatti gemacht; er muss einfach wissen, wer Ephraim getötet hat und was hinter dieser Tat steckt.

Leider verfranst sich Kellerman schnell in ihrer teils ausschweifenden Erzählung. Wo es der Charakterisierung zugute kommt, behindert es den Spannungsaufbau, denn die Autorin hält sich mit zu vielen Details auf. In jeder Situation beschreibt sie neue familiäre Verstrickungen, auch manche Dialoge dauern einfach zu lange. Kleinigkeiten, die die Geschichte eigentlich nur umrahmen sollten, nehmen den Hauptteil der Erzählung ein und bremsen deutlich den Lesefluss. Darüber hinaus setzt Kellerman viele jüdische Fachvokabeln voraus, die nirgends erklärt sind. In manchen Zusammenhängen ist die Bedeutung der Worte erschließbar, manchmal fragt man sich dann aber doch, warum es kein Glossar gibt, in welchem solche Ausdrücke erklärt werden. Das gesamte Umfeld Deckers ist jüdisch, sodass viele Traditionen und Bräuche beschrieben werden, die mich persönlich nicht sonderlich interessiert haben. Solche Informationen sind teilweise nettes Beiwerk, meist allerdings langweilten sie mich recht schnell.

Auch in der Mitte des Buches wusste ich immer noch nicht, worauf Kellerman hinaus will, kein Verdächtiger zeichnete sich ab, denn Donatti konnte schnell aus dem Kreis der Hauptverdächtigen ausgeschlossen werden; auch haben die Ermittlungen kein konkretes Ziel, sondern plätschern einfach vor sich hin. Der rote Faden fehlte dadurch in diesem Roman, der es mir einfacher gemacht hätte, Kellermans Gedankensträngen zu folgen.

Sprachlich hat mir das Buch dagegen sehr gut gefallen. Faye Kellerman schreibt abgesehen vom jüdischen Fachvokabular sehr verständlich, versteht es allerdings, sich gewählt auszudrücken und die Situationen zu beschreiben. Im Thrillergenre ist sie mit dieser Fähigkeit aber vielleicht ein wenig fehl am Platze?! Auffällig waren die ausführlichen Personenbeschreibungen bei ihrem ersten Erscheinen, so bekam der Leser beim Auftauchen einer neuen Person zunächst immer erst eine kurze Umschreibung über Statur und Besonderheiten der Person zu lesen. Diese Eigenart fand ich etwas merkwürdig, sie passt aber wohl auch zum ausschweifenden Schreibstil der Autorin.

S. 30: |“Aber der Mensch hinter dem Schreibtisch war definitiv keine Frau. Seine Wangen waren so eingefallen, dass die Backenknochen förmlich durch die dünne Haut stachen. Die dünnen dunklen Haare, die sich an der hohen Stirn lichteten, trug er glatt nach hinten gekämmt. Zwei dünne Linien bildeten die Lippen, und die Augen verschwanden unter dichten Augenbrauen, funkelten aber übermütig. Der Mann war perfekt gekleidet: schwarzes Wollsakko, weißes Hemd mit Doppelmanschetten und eine gemusterte Krawatte mit Pferden und Gladiatoren – wahrscheinlich ein zweihundert Dollar teures Stück von Leonard.“|

Auch wenn das Thema an sich sehr spannend war, als dubiose Kreise in New York aufgedeckt werden konnten, wurde ich mit dem Buch nicht recht warm. Die Geschichte riss mich nicht mit, begeisterte mich nicht und wurde auch nie so spannend, dass ich zwangsläufig weiterlesen musste. So fällt mir die Beurteilung des Romans schwer wie selten, da mir der Schreibstil der Autorin sehr zugesagt hat, aber trotzdem ein packender Spannungsaufbau fehlte, der das Buch zu einem besonderen Leseerlebnis machte. Positiv aufgefallen ist mir die Tatsache, dass der Roman prima lesbar war ohne Kenntnis der anderen Bände aus der Decker/Lazarus-Reihe, die bislang unbemerkt an mir vorbeigegangen war. Interesse an den anderen Büchern ist bei mir aber definitiv geweckt worden, da ich gerne mehr über Peter Decker und seine Familie erfahren möchte, dennoch bin ich nicht überzeugt davon, dass Kellerman dies in einem Thrillerrahmen überzeugend gelingen kann.

_Die Reihe um Peter Decker und Rina Lazarus:_
Denn rein soll deine Seele sein
Das Hohelied des Todes
Abschied von Eden
Tag der Buße
Du sollst nicht lügen
Die reinen Herzens sind
Weder Tag noch Stunde
Doch jeder tötet, was er liebt
Totengebet
Der Schlange List
Der wird euch mit Feuer taufen
Die Rache ist dein
Der Väter Fluch
Die Schwingen des Todes

Göpel, Felix – Mit dem Fahrrad zur WM. Von Kreuzberg nach Korea 2002

Schuld waren eigentlich nur Göran Kropp und Felix Göpels Mutter, die ihrem Sohn zu Weihnachten das Buch des berühmten schwedischen Weltenbummlers schenkte, der mit dem Fahrrad nach Nepal aufbrach, um dort alleine den Mount Everest zu besteigen. Die Fahrrad-Expedition begeisterte den passionierten Hobbyradfahrer Felix so sehr, dass er beschloss, ein Semester lang in Indien zu studieren und den Weg dorthin mit dem Rad zu meistern. Nach zweijähriger Vorbereitungszeit starten Felix Göpel und sein langjähriger Freund aus Kindestagen Kevin Meisel am 5. August 2001 mit ihren Rädern, um getreu dem Motto „mit dem Fahrrad in die Uni“ von Berlin nach Indien zu fahren.

Schon in Meißen werden die beiden abenteuerlustigen Radfahrer durch eine Sehnenscheidenentzündung in Kevins Ferse ausgebremst und müssen noch relativ nah der Heimat die erste Zwangspause einlegen. Doch Kevins Wille ist ungebrochen, nach kurzer Verschnaufpause geht die Fahrt weiter gen Osten durch fremde Länder. Zwischendurch wird immer wieder der „Lance der Woche“ als Auszeichnung für besondere Hilfe während der Tour verteilt, höchstwahrscheinlich steht jedoch der allererste „Lance“ noch aus, der demjenigen gebührt, der im Berliner Fahrradladen Klinkert einem beliebigen Mitarbeiter die Meinung geigt.

Im verregneten Prag denken sich Felix und Kevin eine recht schicke Taktik aus, um zu einer kostenlosen Übernachtung zu gelangen, doch eine unscheinbare Cloppenburgerin scheint den beiden dann doch nicht spektakulär genug zu sein, um bei ihr die Nacht zu verbringen, so muss schnell eine neue Idee her. Die Grenzüberquerung zwischen Tschechien und Österreich artet schließlich zu einer fast hollywoodreifen Episode aus, die nur mit Hilfe der Volksbank noch ein glückliches Ende nehmen kann.

Besonders Kevin scheint auf der Tour das Pech magisch anzuziehen, so ist es immer wieder die Ferse, die ihn am Weiterfahren hindert, später gesellt sich noch ein schmerzendes Knie hinzu, in Ungarn bricht ihm ein Zahn ab, im Iran hätte ihm ein plötzlich abbremsender Peykan fast das Leben gekostet und später wird sogar ein Tumor in seiner Brust festgestellt. Kevin sorgt für die Geschichten und Felix schreibt sie auf. Aber auch Felix Göpel bleibt nicht völlig verschont; in der Türkei verleitet ihn eine verspannte Schulter zu einem Besuch im Hammam, in dem er sogar noch kränker massiert wird. So erleben die beiden jungen Männer ihre ganz eigene Tour der Leiden, verfolgt von wild gewordenen Hunden, immer wieder im krassen Gegensatz zu den Kulturen, durch die sie pedalieren, und ab dem Iran erstmals mit dem Gedanken, hinter Indien noch weiterzufahren bis Korea, wo im Jahr 2002 die Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet.

Zwischendurch erlebt der Leser nicht nur mit, wie Felix Göpel und Kevin Meisel in der Türkei von den Anschlägen des 11. September auf das New Yorker World Trade Center erfahren und Felix um seine ältere Schwester „Friedi“ fürchten muss, sondern auch wie die beiden als Folge auf die Terroranschläge und den darauf folgenden Krieg in Afghanistan ihre Fahrpläne durch Pakistan umschmeißen müssen, um nicht „John Rambo“-gleich todesmutig durch die Gefahrenzone zu radeln. Insgesamt fast 11000 Kilometer und 10 Monate später stehen Felix und Kevin schließlich in Korea im Fußballstadion …

Reiseliteratur ist langweilig, selbst verreisen und Urlaub machen ist viel besser. Das ist in den meisten Fällen sicherlich richtig, doch die Erlebnisse der hier geschilderten Leidenstour auf dem Rad von Berlin nach Korea zur Fußball-WM fernab der Zivilisation werden wohl nur die wenigsten Urlauber selbst am eigenen Leibe erfahren können. Somit wird der Leser bei der Lektüre dieses Buches in fremde Länder entführt und erlebt eine Geschichte mit, wie sie unglaublicher kaum sein könnte. Die zehnmonatige Radtour lebt von den kleinen Episoden zwischen Kevin, Felix und den Menschen, denen sie auf ihrem Weg nach Korea begegnen. Hier prallen Gegensätze aufeinander, aber auch auf die Hilfsbereitschaft der einheimischen Bevölkerung können die beiden oft zählen. Der längste Abschnitt des Buches ist dem Iran gewidmet, in welchem Kevin und Felix schließlich auch Weihnachten und Silvester feiern.

Mit Wortwitz und spritziger Sprache erzählt Felix Göpel von all den Dingen, die zwischen Kreuzberg und Korea geschehen sind, und bringt seine Leser dadurch oftmals zum Lachen oder zumindest doch zum Schmunzeln. Die Episoden sind dabei so kurzweilig geschrieben, dass man problemlos in eine fremde Welt eintauchen und die Radtour nachlesen und fast sogar miterleben kann. Das verschneite Mistwetter vor dem eigenen Fenster bemerkt man eigentlich erst dann, wenn es im Iran so kalt wird, dass des nachts das Wasser in den Trinkflaschen gefriert. An vielen Stellen bedient sich Felix Göpel der Umgangssprache, was aber durchaus zu den wahnwitzigen Geschichten der beiden Abenteurer passt. Nicht alle Kapitel sind in handelsüblichen Kapiteln im Tagebuchstil geschrieben, einige Geschichten werden in Form von Briefen erzählt, die Felix an seine Familie gerichtet hat. Das Abenteuer an der Grenze zwischen Österreich und Tschechien reicht gar aus für ein kurzes Theaterstück in vier Akten und auch ein Chatprotokoll ist zu finden.

Besonders nett zu lesen sind die kleinen Seitenhiebe, die nur am Rande auffallen, oder auch die gelungenen und witzigen Metaphern, die die Erzählung beleben. Beim Lesen habe ich mich königlich amüsiert über die zahlreichen verrückten Geschichten, auch wenn sie in der Situation sicherlich nicht so lustig waren, wie sie beim Lesen klangen. Ich erinnere mich da an den durchgedrehten Hund, der zu einer akuten Bedrohung wird und sich von Felix’ Trinkflasche nicht recht abschütteln lassen will. Die Situationen sind dabei so lebhaft und plastisch geschildert, dass der Leser sich ein gutes Bild davon machen kann und die Szenen regelrecht vor Augen hat. Zur besseren Vorstellung tragen hier unter anderem die zahlreichen Bilder von der Tour auf den Seiten 353 bis 368 bei.

Die Reiseeindrücke sind dabei sehr subjektiv und persönlich, und der Leser darf sogar an privaten Sorgen teilhaben wie derjenigen um die Familie zu Hause und um die Schwester, die am 11. September in Manhattan arbeitet. So wachsen einem das Buch und seine beiden Helden einfach ans Herz, beim Lesen leidet man immer mit und bangt um Kevins Ferse, die ab dem Iran kaum noch mitradeln mag. Auch wenn die beiden sich dem iranischen Sicherheitsapparat gegenübersehen, als sie sich zu oft mit zwei jungen Mädchen in der Öffentlichkeit haben blicken lassen, ist der Leser hautnah dabei und fiebert mit. Am spannendsten und interessantesten wird es eigentlich immer dann, wenn Felix und Kevin eine Pause einlegen wollen, um sich auszuruhen und die Gegend zu erkunden. Hierbei finden sie sich später sogar in einem Ashram wieder, wo sie feststellen müssen, dass sie einfach nicht die Pause zwischen zwei Gedanken finden und schon gar nicht auf eineinhalb Stunden ausdehnen können.

Felix Göpel zeigt uns die östliche Welt, wie er sie auf seiner Tour der Leiden kennen gelernt hat, er schildert seine persönlichen Eindrücke und scheut sich auch nicht vor einer nur teilweise versteckten Gesellschaftskritik. In meist lustigen Worten bringt er hierbei seine eigene Meinung unter, die nicht immer mit der Meinung am jeweiligen Reiseort konform geht. Hierbei bleiben beispielsweise auch die Gepflogenheiten des Islam nicht verschont, wenn Felix in der Türkei verschleierte Frauen bei der Feldarbeit beobachtet, während die Ehemänner ihren Tag im Teehaus verbringen und ihre Frauen erst abends vom Feld an den Herd holen (S. 149).

Gerade die kleinen Erlebnisse zwischen den beiden Radfahrern und der einheimischen Bevölkerung sorgen dafür, dass der Leser einen recht guten Einblick in fremde Traditionen erhält und mehr über Land und Leute erfährt, obwohl die meisten Geschichten eine persönliche Wertung erhalten. Der Schwerpunkt des Buches liegt hierbei nicht so sehr auf den Radsporterlebnissen, auch wenn die häufig auftauchenden Platten in Tibet genauso angesprochen werden wie die schwierige Ersatzteilsuche in der Türkei, doch auch radsportdesinteressierte Leser werden bei dieser Reiseschilderung ihre helle Freude haben und müssen keine langatmigen Radbeschreibungen be fürchten. Die Probleme mit den Fahrrädern werden eher am Rande abgehandelt, Mittelpunkt des Buches sind die persönlichen Eindrücke des Autors.

„Mit dem Fahrrad zur WM“ sorgt für kurzweiliges Lesevergnügen, das seinen Leser schnell in fremde Welten entführt und ihm unbekannte Kulturen vorstellt. Seinen Reiz gewinnt das Buch durch seinen Wortwitz und die vielen amüsanten Episoden zwischen Kreuzberg und Korea. Der Leser leidet auf jeder Seite mit den beiden Radsporthelden mit, die ihre ganz eigene Tour der Leiden erleben auf ihrem Weg nach Korea, und wird hierbei exzellent unterhalten. Auch für Reiseliteraturmuffel wie mich ist dieses Buch einfach nur empfehlenswert. Man kann in die Geschichte besser eintauchen als in so manchen Krimi und so bleibt am Ende eigentlich nur zu hoffen, dass sich Kevins Ferse wieder erholt und die beiden 2010 nach Südafrika aufbrechen, um dort erneut mit dem Rad bis vor die Fußballstadien vorzufahren.

Wer nach dem Buch noch etwas mehr über Felix Göpel, Kevin Meisel und ihre gemeinsame Fahrradtour zur Fußball-Weltmeisterschaft erfahren möchte, kann sich auf ihrer Homepage http://www.mitdemfahrradindieuni.de schlauer machen und sich dort noch viele weitere Fotos ansehen.

Corinne Maier – Die Entdeckung der Faulheit

Mit dem Aufdruck „Dolce Vita am Arbeitsplatz: das Kultbuch über die Kunst des Nichtstuns im Büro“ macht das Buch auf seinem Rücken Werbung für sich selbst. Wer träumt nicht davon? Tagsüber nicht arbeiten und einen faulen Lenz schieben, aber am Monatsende doch bezahlt werden, das wäre schön. Wie die Autorin Corinne Maier es selbst hält, bleibt dem Leser leider vorenthalten, nur eines ist klar, ihr Arbeitgeber, der große französische Energiekonzern EDF (Electricité de France) war nicht erfreut über die Veröffentlichung der polemischen Bücher seiner Mitarbeiterin.

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Szerb, Antal – Pendragon-Legende, Die

Ende 2004 erschien im |Deutschen Taschenbuchverlag| eine Neuübersetzung der „Pendragon-Legende“, die der ungarische Literaturprofessor Antal Szerb bereits im Jahre 1934 verfasste. Szerb ist in Ungarn bis heute berühmt, obwohl er bereits 1945 im Alter von nur 43 Jahren im Internierungslager Balf in West-Ungarn starb.

Im Alter von 32 Jahren lernt János Bátky auf einer Soiree bei Lady Malmsbury-Croft den Earl of Gwynedd kennen, der auch unter dem Namen Owen Pendragon bekannt ist. Die beiden unterhalten sich gut und diskutieren unter anderem über Fludds Naturphilosophie. Am Ende des Abends erhält Bátky eine Einladung nach Wales auf das Schloss Llanvygan der Pendragons, wo ihm eine ausführliche Sichtung der dortigen Bibliothek ermöglicht werden soll. Bátky freut sich zwar über das Angebot, fühlt sich allerdings viel zu träge, um wirklich nach Wales zu reisen. Dennoch wird seine Neugierde geweckt, als er erfährt, dass die Pendragon-Bibliothek weltweit berühmt ist für ihre Werke aus dem Gebiet der Mystik und des Okkultismus im 17. Jahrhundert. Kurze Zeit später erhält Bátky einen mysteriösen Anruf, der ihn vor einer Reise nach Wales warnen will, da dort sein Leben in Gefahr sei. Doch Bátky versucht, dieses Telefonat wieder zu vergessen.

Durch einen Zufall (?) lernt er bei seinen Studien zur Familiengeschichte der Pendragons im |British Museum| den lebens- und reiselustigen George Maloney aus Connemara kennen, der sogleich von seinen zahlreichen und aufregenden Auslandsaufenthalten erzählt. Bei einem gemeinsamen Abendessen stellt Maloney seinem neuen Bekannten Bátky den Neffen des Earl of Pendragon vor. Der gebildete Osborne Pendragon studiert in Oxford, möchte aber seine Ferien auf Llanvygan verbringen und hat dazu auch seinen Freund Maloney eingeladen. So beschließen Maloney und Bátky, gemeinsam nach Wales zu reisen.

Schon die Begrüßung auf dem Schloss verläuft nicht so erfreulich, wie Bátky sich das erhofft hat, und gleich in der ersten Nacht wird er von merkwürdigen Geräuschen geweckt. Als er seinen Revolver aus dem Nachtschrank holen will, muss Bátky erstaunt feststellen, dass sämtliche Patronen aus der Waffe entfernt worden sind und auch ein Päckchen fehlt, das er für Maloney mit sich geführt hat. Auf dem Gang vor seinem Zimmer trifft er auf eine mittelalterlich gekleidete Gestalt, die sich als Hausdiener vorstellt, doch bei einem Blick aus seinem Zimmerfenster kann Bátky einen schwarzen Reiter mit Fackel und Hellebarde beobachten. Kurz darauf wird ein Mordanschlag auf den Earl verübt, dem er nur mit viel Glück entkommen kann. Es scheint, als könnte der Earl drohendes Unglück spüren, denn dies war bereits der dritte Mordversuch, den er vereiteln konnte. Langsam aber sicher verdichten sich die Verdachtsmomente, bald ist ein angeblich Schuldiger gefunden, doch was steckt wirklich hinter den Mordanschlägen?

„Die Pendragon-Legende“ ist aus der Sicht des János Bátky geschrieben, der seine Lebensgeschichte erzählen möchte. In seinen ersten 32 Lebensjahren ist außer dem ersten Weltkrieg nichts Entscheidendes passiert; so entschließt sich Bátky, gleich beim Soiree der Lady Malmsbury-Croft einzusetzen und damit bei seiner ersten Begegnung mit dem Earl of Pendragon. Obwohl sofort offensichtlich wird, dass dieses Kennenlernen für den Ich-Erzähler von entscheidender Bedeutung gewesen sein muss, lässt Szerb sich in seiner Erzählung viel Zeit. Zunächst entwickelt er seine Charaktere und verleiht Bátky einige selbstkritische Züge, da er immer wieder einstreut, mit welchen Charakterzügen er an sich selbst unzufrieden ist. Die Charakterzeichnungen sind ein Punkt, der sofort positiv auffällt an diesem Buch, denn neben János Bátky lernt der Leser auch die anderen Hauptfiguren recht gut kennen. Eine besonders sympathische Figur ist dabei Maloney, der immer wieder unglaubliche Geschichten aus Connemara von sich gibt, die ihn ein wenig spleenig, aber auch nett erscheinen lassen. Aufgrund der abstrusen Geschichten bezeichnet Bátky Maloney wenig schmeichelhaft als Münchhausen, doch kommt der Leser nicht umhin, diesen Geschichten doch ein wenig Glauben zu schenken. Maloneys extravagante Hobbys tragen dazu bei, dass der Leser sich ein gutes Bild von diesem überdrehten und lebenslustigen Charakter machen kann. Szerb entwickelt Charaktere, wie es sie im wahren Leben möglicherweise eher weniger geben mag, dennoch kann man ihm dies nicht übel nehmen, da einem die Personen einfach ans Herz wachsen durch ihre menschlichen Macken und Eigenarten. Der Autor zeigt an vielen Stellen eine erstaunliche Beobachtungsgabe, da er in etlichen weiteren Situationen Eigenschaften und Merkmale seiner Charaktere anbringt. Als dritte Figur tritt Osborne Pendragon in Erscheinung, der zwar gebildet und intelligent ist, aber seine Schwierigkeiten mit Frauen zu haben scheint; auch er vermag es durch sein leicht schrulliges Verhalten, dem Leser in einigen Situationen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Besonders Lene Kretzsch weiß eine sehr amüsante Episode über Osborne zu berichten, als sie nämlich versucht, den reservierten und wohlerzogenen Osborne zu verführen, was sich als äußerst kompliziert erweist. Natürlich fehlen auch nicht die Frauenfiguren in diesem Roman; so treten die ominöse Eileen St. Claire, die bezaubernde Cynthia Pendragon und die toughe Lene Kretzsch in Erscheinung. Hier prallen drei völlig unterschiedliche Frauentypen aufeinander, die sich Antal Szerb wahrlich meisterhaft ausgedacht hat.

Szerbs Erzählweise ist gemächlich, aber unheimlich sympathisch, in vielen Sätzen verstecken sich sensibler Humor und feine Ironie, die uns nicht vor lauter Lachen vom Sofa fallen lassen, aber immer wieder zum Schmunzeln bringen. Der besondere Reiz liegt hier in den Feinheiten, die am Rande fallen und auf die man genau Acht geben sollte. „Die Pendragon-Legende“ sollte daher mit etwas erhöhter Aufmerksamkeit gelesen werden, da Szerb viel zu sagen hat und dem Leser zahlreiche Informationen mit auf den Weg gibt. So erfährt der Leser während Bátkys ausführlicher Literatursichtung vor seiner Reise nach Wales einiges aus der Familiengeschichte der Pendragons, die eng verwoben ist mit der Geschichte der Rosenkreuzer. Stein um Stein baut Szerb dadurch seine Geschichte auf. Oftmals wird die eigentliche Erzählung ein wenig unterbrochen durch diverse Einschübe, wenn beispielsweise eine neue Person auftaucht, die János Bátky zunächst vorstellen möchte, oder wenn aus der Historie der Pendragons berichtet wird. Obwohl ich derlei Einschübe sonst eher lästig finde, muss ich zugeben, dass sie hier in die Geschichte passen, zumal die eingeschobenen Szenen meist interessant oder auch amüsant sind.

Allmählich wird fast schon unmerklich Spannung aufgebaut durch kleine Hinweise auf mysteriöses Treiben im Hause Pendragon. Bátky kommt im Schloss kaum zum Schlafen, da nächtens die merkwürdigsten Dinge geschehen, darüber hinaus schwebt der Earl of Pendragon in Lebensgefahr, da er bereits drei Mordanschlägen durch schicksalhafte Mithilfe entkommen konnte. In Pendragons Labor entdeckt Bátky unglaubliche Dinge, die mit der Geschichte der Rosenkreuzer zusammenzuhängen scheinen. Doch bleibt lange unklar, worauf das Buch eigentlich hinauslaufen möchte.

Eine Einteilung in ein Genre ist bei der „Pendragon-Legende“ äußerst schwierig, da Szerb auf der einen Seite eine Geistergeschichte schreibt, auf der anderen aber auch ein Familienbild der Pendragons entwirft. Beide Handlungszweige sind eng verwoben und werden gleichberechtigt weitergeführt. Obwohl die Rosenkreuzer auftauchen und eine nicht unwesentliche Rolle spielen, darf man keinen Verschwörungsthriller im Stile eines Dan Brown erwarten, denn Szerb lässt seine „Pendragon-Legende“ in eine völlig andere Richtung gehen. Im Grunde genommen kann man das Buch als eine Gruselgeschichte mit ausführlichen Charakterzeichnungen und sympathisch erzählter Rahmengeschichte bezeichnen.

Die „Pendragon-Legende“ reißt nicht durch übergroße Spannung mit, sondern hat ihren ganz eigenen Charme, das Buch ist eine kleine literarische Perle, die man aufmerksam lesen sollte, um alle Feinheiten aufzunehmen. Antal Szerb lässt herrliche Charaktere entstehen, die allesamt irgendwo sympathisch werden, allen voran der philosophisch interessierte, schüchterne und ängstliche Ich-Erzähler Bátky, der auch den Reizen einer schönen Frau nicht widerstehen kann. Die eigentliche Gruselgeschichte passiert fast schon am Rande, obwohl sie doch eigentlich Anlass gegeben hat zu Bátkys Erzählung. Doch der besondere Reiz dieses Buches liegt in den Geschichten, die drumherum erzählt werden. Der Leser sollte sich allerdings auf Szerbs Erzählweise und die manchmal etwas schwerfällig anmutende Sprache einlassen, dann wird die „Pendragon-Legende“ für einige sehr unterhaltsame und interessante Stunden sorgen.

Reichs, Kathy – Totenmontag

Mit „Totenmontag“ veröffentlicht Bestsellerautorin Kathy Reichs bereits den siebten Erfolgsroman in ihrer Tempe-Brennan-Reihe. Ähnlich wie auch John Grisham macht sich Reichs ihr eigenes Fachwissen zunutze, um wissenschaftlich fundierte und spannende Bücher zu schreiben, die ihre Leser in eine fremde und faszinierende Welt entführen sollen. In diesem Fall begleitet der Leser erneut die forensische Anthropologin Brennan bei ihrer nicht ganz alltäglichen Arbeit.

Im Keller unter einer Pizzabude werden drei Skelette gefunden; die forensische Anthropologin Dr. Temperance Brennan macht sich sogleich an die Untersuchung der Skelette. Doch Detective Luc Claudel, mit dem sie im persönlichen Clinch liegt, setzt sie unter Zeitdruck, da er die Skelette für antik und damit aus polizeilichen Gründen für wenig wertvoll erachtet. Brennan dagegen hat von Anfang an ein komisches Gefühl im Bauch und schätzt die Gebeine als jüngeren Datums ein. Keine Spuren eines gewaltsamen Mordes sind an den Knochen zu erkennen, doch bemerkt Brennan schnell, dass es sich um die Gebeine drei junger Mädchen handelt, die aufgrund ihres Alters sicherlich keines natürlichen Todes gestorben sind.

Tempe Brennans detektivisches Gespür ist schnell geweckt, denn sie vermutet ein Verbrechen und forscht den Besitzern und ehemaligen Bewohnern des Hauses mit der Pizzabude nach. Als überraschend ihre Freundin Anne zu Besuch kommt, weil diese große Eheprobleme hat und freundschaftlichen Beistand braucht, bezieht Tempe Anne kurzerhand in ihre Nachforschungen mit ein. Als Brennan herausfindet, dass ein bekannter Mafiosi früher Besitzer des Hauses gewesen ist, wird ihr natürliches Misstrauen geweckt. Gemeinsam mit Anne besucht sie den Mann, der das Haus von dem Mafiosi gekauft hat und befragt ihn nach seinen aktuellen und ehemaligen Mietern.

Stück für Stück nähert sich Brennan dem Geheimnis der drei Skelette, während sie immer weiter nach Spuren an den Knochen forscht und schließlich feststellt, dass jedem Mädchen ein Ohr abgetrennt worden ist. Eine C14-Datierung ergibt schließlich ein Todesdatum der Mädchen in den 1980er Jahren, sodass die Knochen keineswegs als antik bezeichnet werden können. Was ist im Haus mit der Pizzabude geschehen? Und wie sind die drei jungen Mädchen umgekommen?

Schon in der ersten Szene findet sich der Leser in einem dunklen Keller mit Claudel und Brennan wieder, als ein Schuss fällt und Brennan blutiges und zerfetztes Muskelgewebe erblickt. Doch schnell wird klar, dass sie lediglich eine getötete Ratte vor sich hat, die Claudel im Eifer des Gefechts erschossen hat. Anschließend geht es wieder etwas ruhiger zu, auch wenn die beiden die Skelette dreier junger Frauen entdecken. Der Fund dreier Knöpfe, die auf das 19. Jahrhundert datiert werden, führt Claudel zu dem Schluss, dass auch die Leichen der Mädchen aus dieser Zeit stammen. Doch Brennan forscht auf eigene Faust weiter und fordert eine C14-Datierung an, um zu beweisen, dass die Skelette sehr wohl aus jüngerer Zeit stammen. Zunächst versucht Kathy Reichs, ihre Leser in die Irre zu führen und legt einige falsche Fährten aus, eine davon ist die der Mafia, die später wortlos unter den Tisch gekehrt wird. Schade, dass Reichs diese Spur, die Brennan zu dem Schluss geführt hat, dass unter der Pizzeria ein Verbrechen geschehen sein muss, später nicht mehr ausführt oder zumindest mit Erklärungen zum Abschluss bringt. So werte ich diese Mafia-Spur als einen lieblosen Versuch, am Anfang Spannung aufzubauen und später für Verwirrung zu sorgen.

Im weiteren Verlauf des Buches sorgen einige Cliffhanger für mäßigen Spannungsaufbau, auch wenn die Geschichte dennoch nicht recht in Schwung kommen mag. Reichs verzettelt sich hier manchmal in zu vielen Handlungssträngen. Neben der forensischen Untersuchung der Knochen taucht plötzlich Tempes Freundin Anne mit ihren privaten Liebesproblemen auf, außerdem hegt Brennan den Verdacht, dass ihr Geliebter Ryan eine Affäre mit einem jungen College-Mädchen hat, zu all dem Ärger kommen die persönlichen Differenzen zwischen Claudel und Brennan und schlussendlich die mühsame Ermittlung im Pizzabudenfall, die weitere Fragen aufwirft. Besonders die ausgiebigen forensischen Untersuchungen wirken hierbei langatmig, da die Details einer genauen Knochenanalyse, gespickt mit allerlei Fachvokabular, nur wenig interessant wirken und das Buch dadurch oftmals einfach nur ausbremsen. An manch einer Stelle liest sich „Totenmontag“ daher eher wie ein Ärzteblatt als ein spannender Thriller. Etwa ab der Hälfte des Buches gewinnt die Erzählung dann etwas an Tempo, da Brennan den toten Mädchen auf die Spur kommt.

Die Geschichte ist aus der Sicht der Anthropologin Temperance Brennan geschrieben, die wohl nicht nur zufällig den gleichen Beruf ausübt wie die Autorin Kathy Reichs; so gewinnt man als Leser den Eindruck, dass sich Reichs selbst in einen Thriller hineingeschrieben hat. Inwieweit sich Reichs und Brennan über den Beruf hinaus ähneln, wage ich allerdings nicht einzuschätzen. Mir erscheint Brennan in diesem Roman allerdings eher weniger authentisch, da sie als allzu tragisch dargestellt wird. Neben ihrer zerbrochenen Ehe, die immer wieder am Rande angeführt wird, scheint ihre Beziehung zu Ryan in die Brüche zu gehen, da er sich heimlich mit einer jungen Frau trifft. Auch die Untersuchung der Knochen geht nicht recht voran, schließlich stirbt die telefonische Informantin und Detective Claudel macht Brennan das Leben nicht gerade leicht. Hier erscheint die sonst eher starke Karrierefrau Brennan plötzlich schwach und bemitleidenswert, was irgendwie nicht in das Bild der intelligenten und promovierten forensischen Anthropologin passt.

Neben Tempe Brennan werden nur wenige Personen ausführlicher vorgestellt, nämlich die beiden Polizisten Ryan und Claudel und Tempes Freundin Anne. Doch reichen die Beschreibungen nicht aus, um sich ein wirklich gutes Bild von den Charakteren machen zu können. Selbst von den gefundenen Skeletten erfährt der Leser leider mehr als über die handelnden Charaktere …

Kathy Reichs offenbart recht deutlich eine Vorliebe für Metaphern, so wird beispielsweise ein Steiff-Teddy als Bild für einen Knopfexperten herangezogen, an anderer Stelle spannt Brennan ihre Halsmuskeln an wie Gitarrensaiten, später vergleicht sie Montreal mit einem Fuß. Diese überschwängliche Verwendung von Bildern wirkt ab und an etwas merkwürdig. Darüber hinaus merkt der Leser recht deutlich, dass Reichs von Haus aus keine Schriftstellerin ist, denn abgesehen von den zahlreichen französischen Floskeln, die leider unübersetzt bleiben, ist die Sprache einfach und schmucklos. Kurze Sätze reihen sich aneinander, die das Buch zu einer idealen Straßenbahnlektüre machen, die nicht viel Aufmerksamkeit erfordert. Auch sind die Kapitel so kurz gehalten, dass man schnell Einschnitte findet, an denen sich das Buch beruhigt zuklappen lässt. Meist sind die Kapitelenden auch nicht so reißerisch und spannend, dass man seine Haltestelle verpassen könnte. Störend wirken in der Tat nur die medizinischen Fachausdrücke, die bei der Beschreibung der einzelnen Knochen verwendet werden, etwas weniger Details hätten hier auch ausgereicht, um sich ein gutes Bild machen zu können.

„Totenmontag“ ist ein Buch, das sich zügig durchlesen lässt und dabei auch etwas zu unterhalten weiß. Der beschriebene Leichenfund ist interessant und wirft schnell einige Fragen auf, denen Tempe Brennan nachgehen möchte. Nach und nach kommt Brennan der Lösung des Falles immer näher, verwirft allerdings zwischendurch wortlos einige Spuren, die zuvor für Spannung sorgen sollten. Auch am Ende versucht Reichs nochmals, ihre Leser zu verwirren, indem sie eine falsche Fährte auslegt, doch vermag sie hier leider nicht mehr zu überraschen, da der wahre Tatbestand bereits zu offensichtlich ist. Das Buchende wirkt mir etwas zu glatt und weichgespült, denn selbstverständlich lösen sich die Beziehungsprobleme mit Ryan in Luft auf, als er die junge Dame wie vermutet als eine Verwandte vorstellt. Wen das am Ende noch überrascht, der hat wohl noch nie zuvor ein Buch gelesen. Ein solch kitschiger Abschluss muss am Ende eines Thrillers einfach nicht sein.

Die Thematik an sich und die wahren Hintergründe der drei Gebeine im Keller der Pizzeria sind wahrlich grausam und spannend, aus diesem schaurigen Kriminalfall hätte man in der Tat ein besseres Buch fabrizieren können. Kathy Reichs verspielt hier viel Potenzial, indem sie keine rechte Spannung aufbaut und ihre Leser mit zu vielen forensischen Details langweilt. Das Buch übt einfach keine Faszination aus, kann nicht mit glaubwürdigen Charakteren aufwarten und scheut sich auch vor einer Gesellschaftskritik, die am Ende vielleicht möglich gewesen wäre.

Insgesamt ist „Totenmontag“ eine recht vergängliche Lektüre, das Buch ist schnell durchgelesen angesichts der schnörkellosen Sprache und des geringen Umfangs und auch schnell wieder vergessen. Der Unterhaltungswert ist absolutes Mittelmaß, die Charaktere bleiben entweder zu blass oder werden zu tragisch dargestellt. Für zwei Leseabende auf der heimischen Couch oder als kurzweilige Lektüre auf dem täglichen Weg zur Arbeit funktioniert das Buch recht gut, allerdings animiert es wenig zum Lesen weiterer Werke von Kathy Reichs.

Homepage der Autorin: http://www.kathyreichs.com

Thomas Görden- Die Krypta

Die Verkaufsstrategie der „Krypta“ ist voll aufgegangen, der Buchtitel versprach einen spannenden Thriller religiösen Inhalts, an dem ich nicht vorbeigehen konnte. Der Inhalt des Buches ging allerdings leider in eine vollkommen andere Richtung …

Abenteuerliches über die Krypta

Eines Abends beobachten die beiden Obdachlosen Karla und Hannes, wie zwei dunkel gekleidete Gestalten eine Leiche vor dem Kölner Dom ablegen. Als sie die tote Person genauer untersuchen wollen, werden sie von einem Fremden angegriffen, wobei Hannes von dem nächtlichen Angreifer verletzt wird. Die Kriminalpolizei wird eingeschaltet und Susanne Wendland übernimmt den Fall des ermordeten Dompropstes Oster. Offensichtlich wurde Oster erschlagen, doch findet sich kein Blut am Fundort der Leiche, sodass der Tatort an anderer Stelle zu suchen ist. Um an die verstörte Karla heranzukommen, bittet Susanne die befreundete Schamanin Chris um Rat, von der sie sich erhofft, dass sie zu Karla vordringen kann. Und richtig, Chris bemerkt sofort das zweite Gesicht bei Karla und kann sie zum Reden bringen. Karla verspürt geheimnisvolle Kräfte und Vibrationen rund um den Dom herum, die auch Chris fühlen kann. Auch die vielen Tauben ziehen sich vom Dom zurück, weil sie die brodelnde Gefahr bemerken können.

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Reilly, Matthew – Operation Elite

Der Autor und studierte Jurist Matthew Reilly entdeckte schon früh seine Leidenschaft für das Bücherschreiben; so fertigte er seinen ersten Roman „Showdown“ (im Original „Contest“) schon während seines Studiums an und beendete ihn im Alter von nur 19 Jahren. Probleme ergaben sich allerdings bei der Veröffentlichung, denn sein Manuskript wurde zunächst überall abgelehnt, sodass Reilly die ersten tausend Kopien seines Buches auf eigene Kosten publizierte. Leider fand er später doch noch einen Verlag für seine Romane …

In Reillys neuestem Werk „Operation Elite“ steht erneut Shane M. Schofield, genannt „Scarecrow“ im Mittelpunkt des Geschehens. Die Majestic-12, eine Gruppe einflussreicher Milliardäre, haben eine Liste mit den Namen von 15 Personen ausgegeben, die zu liquidieren sind, auf jeden Kopf wurden stolze 18,6 Millionen Dollar ausgesetzt, sodass die Jagd der zahlreichen Kopfgeldjäger auf die gewinnbringenden Opfer der Liste rasant losgehen kann. Auch Schofields Name taucht auf der Liste auf, und so dauert es nicht lange, bis er in Sibirien in einen Hinterhalt gelockt wird und sich urplötzlich in Lebensgefahr befindet. Doch Schofield kann sich aus zahlreichen brenzligen Situationen retten, muss aber schnell erkennen, dass seine Feinde von seiner Liebesbeziehung zu Libby Gant wissen.

Während Schofield in Sibirien vor den Kopfgeldjägern flüchtet, befindet sich Gant zusammen mit Mother(fucker) in Afghanistan, um den letzten Terroristenunterschlupf der Al-Kaida in die Luft zu sprengen. Doch auch dort treffen konkurrierende Truppen aufeinander, die es einerseits auf Gant abgesehen haben, aber auch auf weitere Köpfe der Liste. Gant kann eine lasergesteuerte Bombe aktivieren, die die Terroristenhöhle in die Luft sprengen wird, gerät aber selbst in die Fänge eines gefährlichen Kopfgeldjägers, der es eigentlich auf Schofield abgesehen hat.

Zusammen mit Mother und dem gefährlichen Knight eilt Schofield sogleich zur Rettung seiner Liebsten, gerät aber auch hierbei von einer lebensbedrohlichen Situation in die nächste. Derweil versucht Schofields Gefährte Book herauszukriegen, was die Majestic-12 mit der Liquidierung der 15 Personen bezwecken wollen und entdeckt dabei Unglaubliches. Ein neuer Krieg entsetzlichen Ausmaßes soll ausgelöst werden und einzig Schofield ist noch in der Lage, diesen zu verhindern …

In einem kurzen ersten Kapitel erzählt Matthew Reilly von der Liste der M-12, auf der 15 Menschen stehen, die umgebracht werden sollen. Zunächst wird der Leser jedoch über den Sinn dieser Tötungsaktion im Dunkeln gelassen. Erst später kommen die Romanfiguren hinter den Plan der Majestic-12 und wissen, welches Unglück sie zu verhindern haben. Doch Reilly hält sich nicht lange mit diesen einleitenden Worten auf, sondern lässt Schofield schon bald blindlings in die erste lebensbedrohliche Situation spazieren. Schon nach wenigen Seiten befindet sich der Leser mitten in einer actiongeladenen Situation, in der Kopfgeldjäger, Söldner und andere gefährliche Schurken hinter Shane M. Schofield her sind. Dort werden hochtechnologische Waffen gezogen, mit denen Gebäude zum Einsturz gebracht oder Waffen unbrauchbar gemacht werden und auch welche, die Schofields Leben retten werden.

Überhaupt scheint Reilly eine blühende Phantasie und ein Faible für Technik zu haben, denn auf vielen Seiten erzählt er von neuartigen Erfindungen, von denen die Welt bislang nichts gehört hat. Eines der Flugzeuge ist beispielweise mit einem Schallwellenmanipulator ausgerüstet, mit dem sich der Überschallknall verhindern lässt. Auch von den Düppeln, unter denen man sich hier viskose Teilchen vorstellen muss, die in der Luft schweben und sich überall festsetzen können, hatte ich vorher noch nichts gehört; „Düppel“ bezeichnet herkömmlich ein Radartäuschungsmittel. Dabei scheinen gerade die Düppel doch sehr hilfreich zu sein, da sie auch den Lauf sämtlicher Gewehre blockieren können. Als besonders hilfreich erweist sich für Schofield immer wieder sein Maghook, welcher eine Art Fangleine darstellt, die ausgeworfen werden kann und die magnetisch (!) überall zu haften scheint. Praktisch an allen Gegenständen haftet der Maghook und selbst beim Autoabsturz in einer bergigen Gegend möchte Schofield seinen Maghook benutzen. Leider bleibt Reilly uns die Antwort schuldig, wo genau dort magnetische Teile zu finden sein sollen. In „Operation Elite“ kann sogar ein Jeep abheben, wenn er nur schnell genug wird. Warum Flugzeuge fliegen, Jeeps jedoch nicht, scheint Reilly leider nicht zu wissen. Nicht ganz klar geworden ist mir die Physik hinter all den beschriebenen technischen Errungenschaften, die wahrlich abenteuerlich sein muss … Einzig die erwähnten Mersenne-Primzahlen gibt es wirklich. Doch wird nicht mehr nach der 40. Primzahl gesucht, wie Reilly noch in seinem Buch behauptet, sondern bereits nach der 41., da Nummer 40 im Jahre 2003 entdeckt worden ist. Ich frage mich ernsthaft, woher Reilly seine abstrusen Ideen nimmt und wieso ein Mann, der Jura und Kunst studiert hat, sich technisch so weit aus dem Fenster lehnen muss …

Neben derlei Abstrusitäten erscheint mir Reilly darüber hinaus sehr waffenverliebt zu sein, denn sämtliche der auftauchenden Figuren sind waffentechnisch fantastisch ausgerüstet und tragen meist mehrere tödliche Gewehre mit sich herum, die allesamt aufgeführt und erwähnt werden müssen:

S. 28: |“Er war mit einer MP-7 von Heckler&Koch bewaffnet, dem Nachfolger der MP-5. Die MP-7 war eine kurzläufige Maschinenpistole, kompakt, aber gefährlich. Außerdem hatte Schofield noch eine halbautomatische Pistole vom Typ Desert Eagle dabei, ein K-Bar-Messer und in einem Rückenhalfter einen so genannten Maghook vom Typ Armalite MH-12 – eine magnetische Haftvorrichtung, die mit einem mit zwei Handgriffen ausgestatteten Gerät abgefeuert wurde, das Ähnlichkeit mit einer Pistole hatte.“|

Auch die Helikopter, Schiffe und sonstigen Fortbewegungsmittel werden in allen möglichen technischen und langweiligen Details vorgestellt, unter denen sich der normale Leser nicht wirklich etwas vorstellen kann. Zur Untermalung sind allerdings viele Gebäude und Orte in Form von Grafiken dargestellt, in welchen verschiedene markante Punkte eingezeichnet sind, an denen sich Schofield und Konsorten in der Geschichte herumtreiben müssen.

Die vorgestellten Charaktere sind farblos und klischeebesetzt. So ist Held Schofield natürlich unverwundbar und mit übermenschlichen Reflexen ausgestattet, die ihn besonders wertvoll machen. Seine Achillesferse findet sich in seiner Liebschaft zu Libby Gant, mit der er seit einem knappen Jahr zusammen ist und der er nach absolvierter Mission einen Heiratsantrag zu machen gedenkt. Schofield ist dermaßen übertrieben und heroisch dargestellt, dass man in keiner Situation mit ihm mitfiebert und sei seine Lage noch so aussichtslos, denn der Leser weiß ja ohnehin, dass sich Schofield retten kann. Besonders eindrucksvoll fand ich die Vorstellung Mothers, die sämtliche Klischees einer toughen Militärfrau in sich zu vereinigen scheint. Später stellt sich im Übrigen heraus, dass Mother verheiratet ist und zwei Kinder hat, die Britney Spears hören.

S. 90: |“Mit ihren einsachtundachtzig, ihrem rasierten Schädel, der Beinprothese und ihren herausragenden Killer-Fähigkeiten hatte Mothers Wort Gewicht. Ihr Spitzname sagte schon alles. Er war die Kurzform von ‚Motherfucker‘.“|

Im Prinzip stellt das Buch eine sinnlose Aneinanderreihung von Actionsequenzen dar. Eingeteilt ist es in sieben Kapitel, die die Angriffe auf den Superhelden Shane M. Schofield durchnummerieren. In jedem einzelnen Kapitel, welches wiederum unterteilt ist in zahlreiche kurze Abschnitte, findet sich der Leser konfrontiert mit einer eindrucksvoll bedrohlichen Situation, in der die guten Helden selbstverständlich immer weit in der Unterzahl sind, aber dennoch meist gegen die bösen Kopfgeldjäger und Terroristen zu gewinnen scheinen. Während von der M-12 Liste also immer mehr Menschen liquidiert werden, überlebt Schofield ein ums andere Mal die Angriffe auf seine Person. In diesem Buch spielen praktisch alle bekannten Geheim-Gruppierungen mit; so trifft der Leser auf Al-Kaida, Dschihad, Mossad, CIA, Marines und ähnliche Organisationen und Geheimdienste. Etwas weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen! Inhaltlich gesehen ist „Operation Elite“ mehr als dünn, die Geschichte um M-12, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen, wird größtenteils zu einer kleinen Randerscheinung degradiert, da sich Reilly fast ausschließlich auf die Actionsequenzen konzentriert. Luft holen kann man beim Lesen daher kaum, da die Szenenschauplätze so häufig gewechselt werden und immer wieder in einem Gemetzel enden, dass keine Ruhepausen auftauchen. Manch einen Geschmack mag diese stupide Actionbeschreibung treffen, ein wenig Story hätte dem Buch allerdings recht gut getan.

Sprachlich ist „Operation Elite“ eine reine Katastrophe und absolut dilettantisch geschrieben, viele Sätze sind nur unvollständig und kommen ohne ein Verb aus, auch Nebensätze sind eine seltene Erscheinung in diesem Buch – warum auch, man kommt offensichtlich sehr gut mit kurzen und abgehackten Hauptsätzen aus. Kompliziertere Satzkonstruktionen wird der Leser hier vergeblich suchen, auf sprachliche Schönheit und ausgewählte Wortwahl kommt es Reilly nicht an. Ganz im Gegenteil, geschmückt wird „Operation Elite“ von zahlreichen kursiv gedruckten Worten, die ich eigentlich nur aus Comics kenne. Reilly offenbart in „Operation Elite“ seine Vorliebe für Ausdrücke wie „wosch, wumm, krack, bläm, wopp, kreisch, wromm, klong, schmatz, schluck“ etc., die teilweise mitten in einem Satz auftauchen, oftmals aber auch völlig alleine dastehen.

S. 51: |“Der Bodyguard feuerte – Clark feuerte im selben Moment – der Bodyguard fiel mit dem Gesicht auf den Boden – Clark brach ebenfalls zusammen – dann zog Wexley die Pistole – während Schofield sich abrollte und zweimal seine Desert Eagle abfeuerte – Bäng! Bäng! Wexley wurde in die Brust getroffen und einen halben Meter zurückgeschleudert, prallte gegen die Wand des Verwaltungsgebäudes und brach zusammen.“|

An vielen Stellen verwendet Reilly Metaphern, die einfach nur unpassend wirken, wie beispielsweise: |“Der Kopf des Soldaten explodierte wie eine Büchse Tomatensuppe.“| (S. 129) Ahnlich ungeschickte Ausdrucksweisen finden sich häufig und wären besser dem Lektorat zum Opfer gefallen. Sehr bildhaft wird ein sich nähernder Helikopter durch die Aneinanderreihung von zahlreichen „Wopps“ angekündigt, die sich auf einer Länge von ganzen zwei Zeilen wiederfinden. Im Grunde genommen hat Reilly sein sinnfreies Buch so geschrieben, als wäre es in der Tat ein Comic. Ich persönlich stelle mir dabei eine Menge lustiger Bilder vor, in denen die Menschen mit Sprechblasen ausgerüstet werden und Geräusche mit derlei Begriffen wie oben aufgezählt erläutert werden. Sprechblasen bräuchte dieser Comic allerdings nur wenige, da Dialoge recht rar gesät sind in Reillys aktuellem Werk. Meist geht es ihm nur um rasante Szenen, in denen jedes Wort fehl am Platze wäre und in denen daher auch nicht viel geredet wird. Um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen, spart Reilly nicht an Satzzeichen, in geradezu verschwenderischer Weise werden besonders dramatische Ausrufe mit gleich mehreren Ausrufezeichen versehen, damit auch der unaufmerksamste Leser bemerkt, dass etwas betont werden möchte. Auch die häufig kursiv gedruckten Passagen haben einen ähnlichen (und überflüssigen) Effekt.

Auf etwas über 500 Seiten kämpft sich der Leser durch sieben lebensgefährliche Szenen, in denen Shane M. Schofield sich seinen Gegnern stellt und schier ausweglose Situationen meistert. Immer wenn der Leser glaubt, dass Schofield sich nun wirklich nicht mehr retten könne, zaubert dieser ein weiteres Ass aus dem Ärmel, mit dem er wieder einmal seinen Kopf aus der Schlinge ziehen kann. Realistisch ist das Buch an keiner Stelle und auch spannend mag es nicht werden. Eher fühlt man sich genervt durch sinnfreie Ballerei und unglaubliche technische Erfindungen, die einzig der Phantasie des Autors entspringen. Sprachlich rangiert das Buch an unterster Stelle und ich bin mir fast sicher, dass ich noch nie so etwas Dilettantisches gelesen habe.

Blöd, wenn man einen Comic erschaffen will und nicht zeichnen kann – aber schreiben leider ebenso wenig …

King, Stephen – Todesmarsch

Nachdem der allseits bekannte Autor Stephen King sich mit seinem Roman „Carrie“ und der zugehörigen Verfilmung einen Namen gemacht hatte, wollte er sich und anderen beweisen, dass sich seine Bücher auch ohne den berühmten Autorennamen verkaufen würden. Aus diesem Grund veröffentlichte er zwischen 1979 und 1984 fünf Bücher unter dem Pseudonym „Richard Bachman“. Durch einen Zufall flog diese Tarnung jedoch auf, sodass die Bachman-Bücher heutzutage meist unter dem Namen King verkauft werden.

_Marsch in den Tod_
Zu Beginn fährt Hauptfigur Ray Garraty in Begleitung seiner Mutter zum Großereignis des „Marsches“, bei dem Ray einer der Teilnehmer sein wird. Seine Mutter versucht noch verzweifelt, ihn in letzter Minute von diesem Todesmarsch fernzuhalten, doch Ray hat sich bereits zum Mitlaufen entschieden.

Insgesamt 100 Jungen unter 18 Jahren starten an diesem Morgen um 9 Uhr beim Todesmarsch, der von zahlreichen Soldaten begleitet wird, die peinlich genau die Laufgeschwindigkeit der Jungen messen werden. Denn sobald jemand unter eine Geschwindigkeit von vier Meilen pro Stunde fallen sollte, wird der Läufer verwarnt. Insgesamt drei Verwarnungen sind erlaubt, anstelle der vierten Verwarnung wartet die unangekündigte Exekution auf den jeweiligen Teilnehmer. Doch von bloßem Erschießen kann hierbei keine Rede sein, denn sollte jemand sich dabei gegen die Soldaten auflehnen, wird er regelrecht hingerichtet.

Ausgesprochene Verwarnungen können wieder abgearbeitet werden, wenn man eine Stunde lang ohne Verwarnung bleibt. Pausen gibt es keine, es wird so lange weitermarschiert, bis nur noch ein Junge übrig ist. Auf den Sieger des Marsches warten Geld, Ruhm und ein Preis, den der Junge sich selbst aussuchen kann. Doch muss der Sieger erst 99 andere Jungs überleben …

Vor Beginn des Marsches werden nochmals alle Namen der Teilnehmer aufgerufen und jeder bekommt eine Startnummer. Anschließend werden Verpflegungsgürtel mit Tuben voll Lebensmittelextrakten verteilt, die jeden Morgen um 9 Uhr ausgetauscht werden. Wasser bekommen die Jungs so viel sie wollen, sie müssen allerdings selbst darum bitten. Jedoch sind manche Jungen irgendwann körperlich und auch geistig so am Ende, dass sie es nicht mehr schaffen werden, selbst ihr Wasser zu erbitten.

Pünktlich um 9 Uhr beginnt der Marsch. Zunächst ist es nicht viel mehr als eine bloße Wanderung, doch spätestens nach den ersten erteilten Verwarnungen und dem Tod des ersten Jungen wird den anderen klar, worauf sie sich dabei eingelassen haben. Langsam wird auch Ray Garraty bewusst, dass wirklich Menschen erschossen werden, in seiner Phantasie hatte er sich vorgestellt, dass statt echter Kugeln aus den Gewehren der Soldaten nur ein lautes „Plopp“ erklingen würde, doch weit gefehlt! Es gibt keine Gnade, da stirbt ein Junge, weil er wegen eines Wadenkrampfes zu langsam wird, ein anderer bekommt schon am ersten Tag Blasen, der nächste Junge leidet an Durchfall. All diese Schicksale führen zum sicheren Tod.

Ray Garraty ist das Zentrum der Geschichte, um ihn dreht sich das gesamte Buch und der Leser ist dabei, wie Ray seine Kameraden besser kennen lernt und sogar Freundschaften schließt. Aber nach und nach wird die Gruppe seiner Freunde immer kleiner, denn am Schluss kann nur einer überleben …

_Nur eine makabre Geschichte?_
Obwohl auf der Handlungsebene nicht viel passiert, versteht es Bachman/King geschickt, seine Leser von der ersten Seite an in seinen Bann zu ziehen. Er beschreibt den Marsch und seine Teilnehmer mit einer solchen Intensität, dass man gefesselt ist von der Geschichte und das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann, sobald man die ersten Seiten gelesen hat. Im Mittelpunkt steht ganz klar Ray Garraty, der zur Identifikationsfigur und zum Sympathieträger schlechthin wird. Man wünscht ihm den Sieg und hofft für ihn, dass er seine Freundin Jan in Portland an der Straße sehen wird. Während des Marsches schließt Ray Freundschaften zu anderen Teilnehmern, obwohl diese doch keine Zukunft haben. Die Charakterzeichnungen im Buch sind besonders hervorzuheben, da die marschierenden Jungen mit ihren ganz eigenen Lebensschicksalen die Geschichte beleben. Im Laufe des Marsches erfährt man von vielen Jungen einen Teil ihrer Lebensgeschichte und auch ihre Gründe für die Teilnahme an dem Todesmarsch. Es wird dabei offensichtlich, dass den meisten nicht klar war, worauf sie sich überhaupt einlassen, denn sie hatten nicht realisiert, dass der Marsch den fast sicheren Tod für sie bedeuten würde.

Ein interessanter Punkt sind hierbei die aufkeimenden Freundschaften zwischen den Teilnehmern, die auf der einen Seite notwendig erscheinen, um den Marsch zu überstehen, um Ablenkung durch die Gespräche zu erhalten und auch Aufmunterungen, wenn ein Teilnehmer einen Einbruch erleidet, die aber auf der anderen Seite von vornherein ohne Zukunft sind, da den Marsch nur einer überleben kann. An einer Stelle rettet Ray seinem besten Freund das Leben, indem er diesen zum Weitermarschieren zwingt, später hilft auch dieser Ray in mehreren Situationen weiter, obwohl beide damit ihre eigenen Siegchancen verringern. Denn je schneller alle anderen tot sind, desto schneller kann man selbst gewinnen – ein faszinierendes menschliches Phänomen.

Die von Anfang an aussichtslose Situation treibt die Teilnehmer zu unmenschlichen Leistungen an, über Tage hinweg marschieren sie pausenlos weiter, getrieben durch ihre eigene Angst. Die Jungen erleiden schier unglaubliche Qualen und überleben nur, indem sie sich auf völlig andere Dinge konzentrieren. So erhält Ray Garraty der Gedanke an seine Freundin Jan aufrecht, die in Portland auf ihn warten wird. Ihr Wiedersehen kostet ihn dann schließlich fast sogar sein Leben. Ein anderer Teilnehmer hat zu Hause eine schwangere Freundin, für die er überleben möchte, doch wird auf derlei persönliche Hintergründe natürlich keine Rücksicht genommen.

King schreibt so ergreifend, dass man sich in die Jungen hineinversetzen und ihre Qualen miterleben kann und muss. Wir sind hautnah dabei und Teil der Geschichte, begleiten Ray nach Maine auf seinem Todesmarsch. In diesem Buch konzentriert sich King auf einen nicht ganz alltäglichen Horror, der von den Soldaten ausgeübt wird. Im Mittelpunkt stehen menschliche Schicksale von Jungen, die sämtlich noch nicht volljährig sind und eigentlich noch ihr ganzes Leben vor sich hätten. Doch die Aussicht auf Reichtum und Ruhm treibt sie zu diesem todbringenden Marsch. Der Autor zeichnet eine erschreckende Zukunftsvision von einer Welt, in der Zuschauer am Rande der Straße stehen und mit fiebrigen Augen auf eine Hinrichtung warten. Der Marsch ist ein riesiges Publikumsereignis, das natürlich auch im Fernsehen übertragen wird und zu dem unzählige Menschen strömen, nur in der Erwartung, einem Jungen beim Sterben zusehen zu können. Verliert ein Junge seine Schuhe, so kann er sicher sein, dass diese nicht lange auf der Straße liegen bleiben, denn sie werden schnell als Souvenir eingesammelt. Selbst die verrichtete Notdurft wird von den Zuschauern aufgelesen.

Obwohl nichts weiter als der Marsch beschrieben wird, zählt „Todesmarsch“ zu den spannendsten und mitreißendsten Büchern, die ich je gelesen habe. Die Faszination liegt in der intensiven Charakterbeschreibung der Teilnehmer, die einem dadurch ans Herz wachsen. Zahlreiche Fragen werden aufgeworfen, die zum Nachdenken anregen: Was bringt die Jungs dazu, an diesem Marsch teilzunehmen? Was sind das für Menschen, die eine solche Aktion zulassen und dabei auch noch sensationslüstern zuschauen? Was sind das für Menschen, die die Jungs eiskalt hinrichten, nur weil diese am Rande ihrer Erschöpfung zusammenbrechen? Das sind nur einige Fragen, die während des Buches auftauchen und die man sich als Leser stellen wird. „Bachman“ setzt nicht auf den Horror des frühen Stephen King, sondern auf „Psychospiele“ und die detaillierte Beschreibung der Hauptcharaktere. Ihre persönlichen Ängste, Nöte und ihre Gedanken stehen dabei im Vordergrund. Das macht „Todesmarsch“ zu einem einmaligen Leseerlebnis!

Homepage des Autors: http://www.stephenking.com

_Stephen King bei |Buchwurm.info|_ (Auswahl):

[„Brennen muss Salem – Illustrierte Fassung“ 3027
[„Friedhof der Kuscheltiere“ 3007 (Audio)
[„Puls“ 2383
[„Trucks“ 2327 (Audio)
[„Colorado Kid“ 2090
[„The Green Mile“ 1857 (Audio)
[„Das Leben und das Schreiben“ 1655
[„Atemtechnik“ 1618 (Audio)
[„Todesmarsch“ 908
[„Der Turm“ 822 (Der Dunkle Turm VII)
[„Der Sturm des Jahrhunderts“ 535
[„Tommyknockers – Das Monstrum “ 461
[„Achterbahn“ 460
[„Danse Macabre – Die Welt des Horrors“ 454
[„Christine“ 453
[„Der Buick“ 438
[„Atlantis“ 322
[„Das Mädchen“ 115
[„Im Kabinett des Todes“ 85
[„Duddits – Dreamcatcher“ 45