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Buchwurm, seit ich lesen kann :-)

Crichton, Michael – Welt in Angst

Seit dem Tsunami-Unglück in Asien zu Weihnachten letzten Jahres kommt Michael Crichtons neuem Roman mehr Aktualität und Brisanz zu, als der Autor sich dies je hätte vorstellen können. Einen knappen Monat, nachdem eine riesige Flutwelle – ausgelöst durch ein Seebeben der Stärke 9.0 auf der Richterskala im indischen Ozean – für eine Katastrophe in weiten Teilen von Asiens Küsten gesorgt hat, erscheint „Welt in Angst“, das sich schwerpunktmäßig genau mit derlei Umwelt- und Naturkatastrophen beschäftigt. Fast schon unheimlich erscheint dieser mysteriöse Zusammenhang, der nahezu bedrohlich wirkt, wenn man das Buch gelesen und all die Dinge konsumiert hat, die aus Crichtons Fantasie entstanden sind …

In Paris wird ein junger englischer Physiker ermordet, dessen Fachgebiet die Erforschung von Meereswellen und speziell Tsunamis ist. In Malaysia werden riesige Kavitationsgeneratoren verkauft, die mit Hyperschall arbeiten. Kurze Zeit später holt in Shad Thames ein amerikanisch aussehender Mann einhundertfünfzigtausend Meter dünnen Führungsdraht ab, der für Panzerabwehrraketen eingesetzt werden kann. In Tokio lässt sich der geheimnisvolle John Kenner vorführen, wie per Internet gezielt Extremisten verfolgt und überprüft werden. In Kanada möchte ein angeblicher Erdölgeologe ein U-Boot mieten, um Messgeräte in großer Meerestiefe aufzustellen. All diese Vorgänge hängen miteinander zusammen, doch wie?

Der Multimillionär George Morton möchte mit einer Spende von insgesamt zehn Millionen Dollar die sogenannte Vanutu-Klage unterstützen, bei der der pazifische Inselstaat Vanutu die Umweltschutzbehörde der USA verklagen will. Denn die USA sind bekanntlich der größte Umweltsünder weltweit und rufen daher die globale Erwärmung hervor, die die Erdgletscher abschmelzen lassen wird, wodurch Vanutu überflutet würde. Doch dann erfährt Morton, dass ein Teil seines Geldes fehlgeleitet wurde, er wird misstrauisch. Allerdings bleibt ihm nur noch wenig Zeit zum Handeln, denn bei einem Autounfall in seinem neuen Ferrari verunglückt Morton tödlich.

Seine Assistentin Sarah Jones und sein Anwalt des Vertrauens, Peter Evans, sind geschockt. Kurz darauf werden ihre beiden Wohnungen durchsucht und verwüstet und auch in George Mortons Haus wird eingebrochen, seine sämtlichen Safes stehen offen. In diesem Moment erinnert sich Evans an den letzten Satz, den Morton vor seinem Tode zu ihm gesprochen hat, dieser führt Sarah, ihn und den ominösen Wissenschaftler Kenner zu einer Liste mit geografischen Orten. Doch gefährliche Leute sind ihnen auf der Spur und sie planen Furchtbares, ein Wettlauf mit der Zeit beginnt …

In typischer Crichton-Manier muss der Leser nicht lange warten, bis die Geschichte ins Rollen kommt und man völlig in der Erzählung versinkt. Zu Beginn des Romans werden so viele Handlungsebenen eröffnet, dass man lange nicht ahnt, wie diese zusammenhängen, weitergeführt und miteinander verknüpft werden. Auch die Guten und die Bösen haben sich uns noch nicht offenbart, sodass man im Dunkeln tappt und auf die Katastrophe wartet. Der Einstieg ist nicht gerade rasant, macht allerdings Lust auf mehr und fesselt den Leser schnell an die Story. Nach George Mortons Auftauchen wird sofort klar, dass er eine zentrale Rolle einnehmen wird, doch dauert es recht lange, bis Crichton aufklärt, welches Unglück der Menschheit droht.

Die Rollen der Guten und der Bösen werden schon auf den ersten einhundert Seiten verteilt, ungewiss ist lange Zeit lediglich, was die Bösen im Detail planen, doch voreilige Leser, die den Fehler gemacht haben, zuvor den Klappentext zu lesen, wissen längst, was die Extremisten vorhaben und worauf das Buch hinauslaufen wird. Um sich diese Spannung zu bewahren, kann ich nur dringend dazu raten, sämtlichen Text auf dem Buchumschlag zu ignorieren und den Umschlag am besten weit weg zu legen! Baut Crichton zu Beginn mehrere Handlungsebenen auf, so führt er diese schnell zusammen, sodass sich die Geschichte danach linear weiterentwickelt und es keine Sprünge zwischen verschiedenen Handlungssträngen mehr gibt.

Mehrere Katastrophen sind im Laufe des Buches zu verhindern, sodass eigentlich kaum Ruhepausen auftauchen dürften, doch leider nimmt Crichton immer wieder selbst Tempo aus seiner Geschichte heraus. Kaum ist ein Unglück abgewendet, kommen Sarah, Peter Evans und Kenner zur Ruhe und haben Zeit, sich auf die nächste Schreckensnachricht einzustellen. Überbrückt wird diese Zeit meist durch wissenschaftliche Diskussionen rund um die globale Erwärmung. Genau an dieser Stelle sehe ich das größte Problem des Buches, denn es baut auf dem Thema der globalen Erwärmung auf und spielt mit dem Wissen und vor allem dem Unwissen der Leser. Der informierte Leser findet seine Identifikationsfigur in John Kenner, der die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben scheint, während der unwissende Leser sich hervorragend wiederfindet im skeptischen Peter Evans oder später im Schauspieler Ted Bradley. Kenner ist derjenige, der seine uninformierten Begleiter durch wissenschaftliche Belege von der Nichtexistenz der globalen Erwärmung zu überzeugen versucht. Diese wiederum spielen ihm mit ihrer Skepsis und Unwissenheit immer wieder Bälle zu, die Kenner freudestrahlend aufgreift. In zu vielen Szenen spielt er besserwisserisch seine Informationen aus, die der Leser bereits nach der ersten Diskussion aufgenommen hat. Manchmal habe ich mich gefragt, ob Crichton seine Leser für dumm verkaufen will, denn zu häufig wiederholen sich die wissenschaftlichen Diskussionen, in denen Crichton in der Person des Kenner mit seinem Wissen beeindrucken möchte. Schon in den zahlreichen Wortgefechten zwischen Kenner und Evans habe ich mich gefragt, wie ein 28jähriger Staranwalt wie Evans so verstockt sein kann, dass er mehrfach über die aktuelle Klimaproblematik belehrt werden muss, bevor er endlich einsieht und versteht, dass die globale Erwärmung vielleicht doch nicht so dramatisch existent ist, wie er bislang gedacht hat. Doch kaum hat Kenner sein erstes Opfer überzeugt, taucht das nächste in Form des naiven Schauspielers Bradley auf. Diese zahlreichen Diskussionen gehen uns nicht nur relativ schnell auf die Nerven, sondern sie sorgen auch für einen abrupten Spannungsabfall, weil die eigentliche Erzählung unterbrochen wird, um dem Leser erneut etwas über die aktuelle Klimaforschung zu erzählen.

Positiv zu nennen sind die Zitate, die jede wissenschaftliche Aussage begleiten und auch unter den Temperaturgraphen und anderen Bildern zu finden sind. Hierdurch weist Crichton auf seine intensive thematische Vorbereitung zu diesem Buch hin. Rein fachlich kann er also auf publizierte Artikel bauen, die ich zwar nicht kontrolliert habe, die ich ihm aber durchaus glaube, weil ich in letzter Zeit selbst viel über dieses Thema gelesen habe. Mit seinen Aussagen zur Umweltpolitik lehnt Crichton sich hier zwar sehr weit aus dem Fenster, stützt sich aber immerhin auf wissenschaftliche Beweise, die er zu diesem Zwecke auslegt. Obwohl Michael Crichton in einem Nachwort nochmals seinen Standpunkt zu umweltpolitischen Themen deutlich macht, kann man diesen mehr als nur zwischen den Zeilen auch aus dem Buch selbst herauslesen. Über diese Einstellung kann man diskutieren, aber sie steht hier nicht zur Debatte.

Sprachlich und stilistisch ist sich Crichton wie immer treu geblieben, denn kurze Kapitel reihen sich aneinander, immer nur kurze Szenen in knappen Sätzen sind zu lesen, bevor der nächste Schnitt kommt und eine neue Situation beschrieben wird. Wie auch schon in [„Timeline“ 360 verliert sich Crichton allerdings etwas zu häufig in wissenschaftlichen Erläuterungen.

Die Charakterisierungen haben mich einmal mehr nicht wirklich überzeugt. Keiner der Charaktere ist authentisch, alle wirken völlig künstlich, da sie entweder zu perfekt oder zu fehlerhaft sind. Da ist beispielsweise John Kenner, der alles zu wissen scheint und zu jeder Aussage das passende Paper zitieren kann. Darüber hinaus ist er natürlich erfolgreicher Wissenschaftler vom MIT (Massachusetts Institute of Technology), der auch hervorragend mit Waffen umgehen kann und eine Nichte hat, die als Anwältin an der Vanutuklage mitarbeitet und ebenfalls perfekt informiert ist über umweltpolitische Fragen. Auch sie zeigt im Dschungel im Kampf mit Rebellen erstaunliche Fähigkeiten, die ich einer Anwältin an sich nicht ohne Weiteres zutraue. Alle auftauchenden Frauen sind selbstverständlich hübsch, so auch die große blonde Sarah, die überaus sportlich ist. Peter Evans stellt den jungen Lieblingsanwalt des steinreichen George Morton dar, der es zwar früh zu etwas gebracht hat, aber dennoch nicht viel über das Thema Klima zu wissen scheint und auf diesem Gebiet auch schwer belehrbar sein muss. In den umweltrelevanten Diskussionen zeigt sich Evans uneinsichtig, doch später hat auch er von Kenner gelernt. Während er Sarah anfangs noch zur Last fällt, mutiert Evans im weiteren Verlauf des Buches gleich zum zweifachen Lebensretter. Das wirkt leider alles wenig realistisch, sodass es lange dauert, bis einem die Charaktere ans Herz wachsen und man mit ihnen mitfiebert, wenn sie wieder gegen die Extremisten kämpfen und in aussichtslose Lagen geraten. Ein leidlich gutes Bild kann man sich auch nach etwa 550 Seiten nur von sehr wenigen Personen machen.

Im Kampf gegen die Bösen greift Crichton ähnlich wie Dan Brown in [„Meteor“ 155 ein wenig in die Trickkiste, denn Sarah, Peter und John meistern schier ausweglose Situationen; so erwartet man das von wahren Helden. Gerade aber diese rasanten und gefahrvollen Szenen sind es neben der faszinierenden Klimathematik, die das Buch ausmachen und dazu führen, dass es mitzureißen versteht. Ein anderes wichtiges Thema, das Crichton aufgreift, ist die gezielte Manipulation der Menschen durch die Medien, wie sie gerade in den USA nicht unüblich ist. In „Welt in Angst“ wird der Bevölkerung die nahende Klimakatastrophe vorgespielt, damit sie spendet und der stattfindenden Klimakonferenz besondere Aufmerksamkeit schenkt. Doch in Wahrheit ist alles ganz anders oder aber zumindest nicht halb so schlimm. Die interessante Thematik rund um das Klima, das jeden Menschen etwas angeht, genau wie der Umweltschutz, aber eben auch die fragwürdige Politik von Umweltschützern machen das Buch zu einem interessanten Leseerlebnis, bei dem man durchaus noch etwas lernen kann. Durch die im Anhang befindliche kommentierte Bibliografie ermöglichst Crichton seinen Lesern weitere Recherchen anhand der ausgewählten Literatur. Auf diese Weise verpackt Michael Crichton sein angelesenes Wissen in eine spannende Geschichte, wobei er sich manchmal allerdings in zu vielen Details zur Klimaproblematik verliert. Dennoch wird das Buch dadurch zu etwas mehr als bloßer Unterhaltungsliteratur, da die Geschichte in vielerlei Hinsicht zum Nachdenken anregt.

Insgesamt gefällt das Grundkonzept des Buches äußerst gut, und ganz ungewollt hat Crichton sich ein Thema herausgesucht, wie es aktueller nicht sein könnte. Die Geschichte ist spannend, leidet allerdings ein wenig unter den Spannungseinbrüchen durch die wiederkehrenden Erörterungen zu Umweltfragen. Die Charakterisierungen bleiben etwas zu sehr an der Oberfläche und zeichnen sich durch recht viele Übertreibungen aus, die die Figuren künstlich wirken lassen, nichtsdestotrotz kann man sich von den Hauptcharakteren ein recht gutes Bild machen. Punkten kann Crichton durch seine ausführliche Literaturrecherche, die ihm dieses interessante Buch erst ermöglicht hat. So ist Michael Crichton mit „Welt in Angst“ sicherlich kein Meisterwerk gelungen, aber doch ein spannendes und vielleicht auch lehrreiches Buch.

|Originaltitel: State of Fear (Dezember 2004)
Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann|

Patterson, James – Tagebuch für Nikolas

Gleich zu Beginn von „Tagebuch für Nikolas“ lernt man Katie Wilkinson kennen, die einsam in ihrer Badewanne sitzt, umgeben von ihrer Katze Guinevere und ihrem Labrador Merlin, die sie aber nicht über ihre Trennung hinwegtrösten können. Sie muss an das Tagebuch denken, das ihr einstiger Freund Matt ihr überlassen hat, ein Tagebuch seiner Frau Suzanne an ihr gemeinsames Kind Nikolas. Doch wie kann das sein? Wie konnte Katie nur so glücklich sein mit Matt und auf eine gemeinsame Hochzeit hoffen, wenn er doch eine Frau und ein Kind hat, obwohl er ihr immer versichert hat, dass er nicht verheiratet ist?

Das Tagebuch wird es erklären.

Suzanne widmet ihrem Sohn Nikolas ein Tagebuch, in welchem sie ihm von ihrer Vergangenheit und ihrer Liebe zu Matt erzählt. Suzanne war einst eine erfolgreiche Ärztin am |Massachusetts General Hospital|, als sie bereits im Alter von 35 Jahren einen Herzanfall erleidet und am Herzen operiert werden muss. Nur vier Wochen nach dem Herzanfall verlässt ihr Lebensgefährte Michael sie, und Suzanne beschließt ihr Leben umzukrempeln, ihren stressigen Job aufzugeben und zieht nach Martha’s Vineyard, wo sie während ihrer Kindheit sämtliche Sommerferien mit ihren Großeltern verbracht hatte.

Dort übernimmt Suzanne eine kleine Arztpraxis und genießt das Leben in Strandnähe, sie trifft einen ehemaligen Freund wieder und freundet sich immer mehr mit dem Mann an, der ihr Haus renovieren soll. Spaßeshalber wird er immer nur Picasso genannt, doch eigentlich heißt er Matt und wird einmal der Vater ihres Sohnes Nicholas sein. Suzanne und Matt verlieben sich ineinander, sind glücklich und heiraten schließlich. Irgendwann kommt dann auch Nikolas auf die Welt und macht ihr Glück perfekt.

Wirklich perfekt? Oder was wird passieren, das Matt dazu bringt, eine Beziehung zu Katie zu beginnen? Welche Erklärungen beinhaltet das Tagebuch?

Zugegebenermaßen habe ich eine kleine Schwäche für schnulzige Liebesromane und auch Liebesfilme, was dazu geführt hat, dass ich Nicholas Sparks’ sämtliche Bücher mit Tränen in den Augen verschlungen habe und immer sehnsüchtig auf neue Werke warte, damit ich mich wieder in wunderschöne Fantasiewelten begeben kann. Doch kann James Patterson Sparks das Wasser reichen, wo er doch sonst in ganz anderen Genres schreibt?

Schon der Inhalt des Buches klingt stark nach einer triefenden Schnulze, die bereits nach zwanzig Seiten auf das unweigerliche Happyend hinarbeitet. Zwischendurch werden gekonnt einige tragische Schicksale wie die Trennung von Matt und Katie oder auch Suzannes Herzanfall eingestreut, um dem Buch etwas mehr an Realitätssinn zu verleihen, doch konnte mich dies alles nicht überzeugen. Hätte mich jemand nach den ersten paar Kapiteln gefragt, wie ich mir das Ende des Buches ausmale, so hätte ich ihm genau das Ende vorhergesagt, wie Patterson es in seinem Buch niederschreibt, es gibt für meine Begriffe in dieser Erzählung leider keine Überraschungen, sodass Sparks-Kenner spitzfindig nach wenigen Seiten das Buch durchschaut haben dürften.

Die Geschichte um Katie wird aus der Sicht eines außen stehenden Erzählers geschrieben, das Tagebuch liest sich logischerweise in Ich-Form aus Sicht von Suzanne. Anfangs fand ich den Sprung vom Erzähler zur Ich-Form etwas verwirrend, aber die Sprünge werden durch ein neues Kapitel und die Freiseiten entsprechend deutlich gekennzeichnet. Verwirrender dagegen fand ich das Auftauchen eines zweiten Matt. Bereits im ersten Kapitel um Katie erfährt der Leser, dass sie von ihrem geliebten Matt verlassen worden ist, der ihr aber Suzannes Tagebuch überlassen hat. Im Tagebuch taucht dann auch recht schnell ein Matt auf, doch plötzlich eröffnet Suzanne dem Leser, dass sie sich in den Maler „Picasso“ verliebt hat und er der Vater von Nikolas ist. Erst später wurde dann klar, dass auch Picasso Matt heißt. Der andere Matt spielt aber später gar keine Rolle mehr, warum also tauchte er überhaupt auf und warum musste er auch noch den gleichen Namen erhalten? Das stiftet unnötig Verwirrung, zumal man beim Lesen eines Liebesromans ja nicht immer ein großes Maß an Aufmerksamkeit mitbringt.

Das Tagebuch ist immer wieder unterbrochen durch Anreden an den geliebten Nikolas beziehungsweise an den starken Ritter Nikolas oder auch den kleinen Prinzen. Allein diese Anredeformen an Nikolas wirken schon ein wenig übertrieben, aber noch kitschiger wird schließlich das allumfassende Glück, das Matt und Suzanne zusammen erleben. Dazu eine kleine (willkürlich herausgegriffene) Leseprobe:

|“Ich musste daran denken, was Matt in der Nacht, als er mir den Heiratsantrag machte, zu mir gesagt hatte: „Ist es nicht ein unermessliches Glück, dass es dich noch gibt und dass wir zusammen glücklich sein können?“ Ja, es war ein unglaubliches Glück, und dieser Gedanke ließ mich schauern, als ich dort am Abend unserer Hochzeit neben Matt stand.“|

In diesem Stil ist nahezu das gesamte Tagebuch geschrieben, Redewendungen wie „unermessliches Glück“ oder „Ich liebe dich“ zählen hier sicherlich zu den am häufigsten verwendeten Floskeln überhaupt. Das Tagebuch ist schwärmerisch, überschwenglich, verträumt und steckt voller Glücksmomente, die im Rahmen des kurzen Buches dennoch etwas zu häufig hervorgehoben werden. Gut, ein Liebesroman sollte triefen und das Wunder der Liebe lobpreisen, aber muss es gleich so übertrieben werden? Muss auf jeder Seite explizit erwähnt werden, wie sehr Matt und Suzanne sich geliebt haben und dass ihr Sohn das perfekteste Wesen auf der Welt ist, das bereits im Alter von weniger als einem Jahr sprechen und laufen kann? Ich erhebe nicht den Anspruch von Realitätsnähe bei einer Liebesschnulze, aber ich hatte auch gerade beim Lesen anderer Rezensionen über dieses Buch den Eindruck, dass „Tagebuch für Nikolas“ für mehr gehalten wird als eine verkitschte Liebesgeschichte, die von vorne bis hinten absehbar ist, und das kann ich nicht nachvollziehen. Ich bemerke weder große literarische Leistungen von Seiten Pattersons noch eine besonders kreative und innovative Liebesgeschichte oder eine Story, die mich am Ende überraschen kann. Wo ist dieses Buch also mehr als eine ganz normale Schnulze?

Als verträumter Liebesroman mag „Tagebuch für Nikolas“ sehr unterhaltsam und nett sein, ich kann aber nicht behaupten, dass mich das Buch schwer beeindruckt hätte. Es ist nicht immer alles „Friede, Freude, Eierkuchen“, aber auch die erwähnten tragischen Schicksale werden so überdramatisiert, dass sie für mich einem Rosamunde-Pilcher-Roman entnommen sein könnten. Solche tragischen Ereignisse machen einen Liebesroman für meine Begriffe nicht zu einem großen literarischen Werk, sondern sie gehören irgendwo zu solchen Schnulzen dazu, denn in den meisten Kitschromanen steht das große Glück erst am Ende einiger Schicksalsschlägen, oder nicht?

Mir persönlich sind nicht einmal die Charaktere besonders ans Herz gewachsen, da sie einfach zu unmenschlich gut waren. Matt scheint der absolute Traummann zu sein, der seiner Traumfrau jeden Wunsch von den Augen ablesen kann und einfach nur perfekt ist, doch gibt es so jemanden wirklich? Ich konnte auch Katies Trauer und ihre Wut nicht mitfühlen, da die Geschichte meiner Meinung nach für solche Gefühle recht abgedroschen ist. Die Personen werden uns durch die Erzählung der Geschichte schon näher gebracht, aber sie werden zu einseitig dargestellt und ihre Fehler gar nicht erwähnt, sodass sie künstlich wirken und daher auch von mir kein Mitleid erhalten konnten.

Das Buch unterhält gut, entlockt uns zwischendurch eventuell die eine oder andere Träne, berührt vielleicht ein wenig, entführt seine Leser für zwei bis drei Stunden in romantische Welten, ist dann aber sicherlich wieder schnell vergessen. Um es kurz zu sagen: ein typischer und kitschiger Liebesroman, der nicht mit Überraschungen aufwarten kann und auch nicht weniger schnulzig ist als beliebige andere Liebesromane zuvor.

_James Patterson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47
[„Der 1. Mord“ 1361
[„Die 2. Chance“ 1362
[„Der 3. Grad“ 1370
[„4th of July“ 1565
[„Die 5. Plage“ 3915

Dave J. Pelzer – Sie nannten mich »Es«

Manche Bücher erzählen eine grausame Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, die uns beim Lesen einen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen. Zuletzt hatte „Mia“ von Liza Marklund bei mir diese Wirkung hervorgerufen, doch nun habe ich „Sie nannten mich Es“ gelesen und fand es mindestens ebenso schockierend …

Stationen einer Kindheit

Das kurze und dünne Buch ist in sieben verschiedene Kapitel eingeteilt, die wichtige Stationen in Dave Pelzers Leben darstellen. Gleich zu Beginn erlebt der Leser Daves Rettung mit. Endlich haben die Schulkrankenschwester und der Schuldirektor genug gesehen von Daves blauen Flecken und Verletzungen, die selbstverständlich nicht von Unfällen stammen. Die beiden verständigen die Polizei und lassen Dave aus der Schule abholen. Zunächst muss er eine Aussage über seine Erlebnisse machen, anschließend ist er jedoch frei – frei von seiner gewalttätigen Mutter, die ihn permanent gequält hat.

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Ildikó von Kürthy – Freizeichen

Einen Namen im Frauenbuchgenre hat sich die Stern-Journalistin Ildiko von Kürthy durch ihr Erstlingswerk „Mondscheintarif“ gemacht, welches bereits wenig schmeichelhaft verfilmt wurde. Mit „Freizeichen“ hat sie ihren dritten Roman veröffentlicht, der ebenfalls im |Wunderlich|-Verlag erschienen ist und nun als Taschenbuch bei |rororo| vorliegt.

Der Leser befindet sich gleich zu Beginn mitten in einem Gedankenmonolog der Hauptperson Annabel wieder, die sogleich berichtet, dass sie nun endlich vor dem Problem steht, sich zwischen zwei Männern entscheiden zu müssen. Eigentlich ist sie bereits seit viereinhalb Jahren mit Ben zusammen, doch im Alltag ist die Leidenschaft flöten gegangen und Annabel fragt sich nun, ob diese Beziehung so noch Sinn ergibt. Kurzentschlossen – eine Fettanalysewaage und Max Frisch haben ihren Teil dazu beigetragen – fährt sie für ein paar Tage zu ihrer reichen Tante nach Mallorca, um dort über ihre Beziehung und ihre Frisur nachzudenken. Auf Mallorca angekommen, muss sie feststellen, dass ihr Koffer nicht mitgeflogen ist und ihre überschüssigen dreieinhalb Kilo sich vielleicht doch nicht so günstig verteilen, wie ihre Freundin Mona ihr das immer wieder versichert.

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Nicholas Sparks – Du bist nie allein

Spätestens durch seinen Roman „Weit wie das Meer“, der unter dem Titel „Message in a bottle“ mit Kevin Costner verfilmt worden ist, hat Nicholas Sparks sich einen Namen gemacht durch seine unvergleichlichen Liebesromane. Seine Bücher zeichnen sich durch blumige Sprache und eine meist tragische Liebesgeschichte aus, doch in seinem neuen Buch „Du bist nie allein“ (auf Englisch: „The Guardian“) wagt Sparks einen Spagat zwischen zwei Genres. Seine Intention war dabei die Verbindung einer großen Liebe mit der Gefahr, wobei der Schwerpunkt allerdings für Sparks auf der Liebesbeziehung liegen sollte.

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Fielding, Helen – Geheimnisse der Olivia Joules, Die

|Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist …
… Osama Bin Laden!|

Helen Fielding ist spätestens seit der grandiosen Verfilmung von „Schokolade zum Frühstück“ mit Renee Zellweger in der Hauptrolle sicherlich jedem als die göttliche Autorin der beiden Romane um Bridget Jones ein Begriff. Insider kennen darüber hinaus auch ihr eher gewöhnungsbedürftiges Werk „Hummer zum Dinner“, das den typischen Bridget-Jones-Charme ein wenig vermissen lässt. So schlug ich gespannt ihr neues Werk auf, um mir eine Meinung zu bilden, denn ich war von vornherein etwas skeptisch, da ich mir bereits recht sicher war, dass ihre neue Heldin Olivia gar nicht so sympathisch sein kann wie die liebe Bridget mit ihren eingebildeten Gewichtsproblemen.

Olivia Joules arbeitet freiberuflich als Journalistin und wird zur Präsentation einer neuen Gesichtscreme in Miami eingeladen. Auf der Party bemerkt sie einen erstaunlich gut aussehenden Mann, der sie offensichtlich anzuflirten scheint, es handelt sich um den Filmproduzenten Pierre Ferramo, also um die Werbefigur für die neue Creme. Olivia ist entzückt angesichts dieses fantastischen Mannes, doch schnell packen sie Zweifel: Handelt es sich bei Ferramo womöglich um Osama Bin Laden? Plötzlich ist sie sich sicher, den vielleicht meistgesuchten Mann der Welt gefunden zu haben. Schnell googlet sie Ferramo und findet keinen einzigen Treffer, während sie unter ihrem eigenen Namen fast 200 Suchergebnisse angezeigt bekommt. Ihr natürliches Misstrauen ist sofort geweckt, was wird hier gespielt? Nichts kann Olivia Joules in diesem Glauben erschüttern; Bin Laden hat sich sein Gesicht operieren lassen und sogar seine Körpergröße verändert. Als Ferramo dann auch noch ein arabisches Wort fallen lässt, ist Olivia schockiert, sie hat einen al-Qaida-Mann vor sich!

Olivia beschließt, Ferramo auf den Zahn zu fühlen und ihren Aufenthalt in Miami zu verlängern. Dort liegt das berühmte Schiff „OceansApart“ vor Anker, das Olivia unbedingt besichtigen möchte, doch bevor es dazu kommen kann, explodiert das Schiff und sinkt vor Olivias geschockten Augen. Weitaus erschütternder findet sie allerdings die Tatsache, dass Ferramo sie kürzlich noch davor gewarnt hat, das Schiff zu betreten. Ist Ferramo Schuld an dem Schiffsunglück? Kurz darauf flüchtet er nach Los Angeles und Olivia reist ihm hinterher. Die Verfolgungsjagd geht schließlich weiter und führt Olivia zunächst nach Honduras, später in den Sudan, sie erlebt aufregende Dinge und entdeckt schließlich auch das Geheimnis hinter Pierre Ferramo.

So weit zum Inhalt des Buches, der schon mal sehr abgefahren klingt, nicht wahr? Die Geschichte beginnt zunächst recht vielversprechend und lustig. Der Leser wird mit Olivia vertraut gemacht und lernt sie als etwas chaotische Journalistin mit blühender Fantasie kennen. Sie reist gerne und lebt am liebsten in Hotels, wo sie pedantisch darauf achtet, ob das Toilettenpapier am Ende auch ordentlich gefaltet ist und spitz zusammenläuft. Ihre fantastische Einbildung führt sie schnell zu dem Schluss, dass der gut aussehende Ferramo nicht wirklich Franzose ist, sondern ein al-Qaida- Mitglied sein muss und zwar nicht irgendeines, nein, Osama Bin Laden persönlich. An dieser Stelle musste ich etwas schlucken, denn diese Wendung fand ich dann doch ein wenig zu weit hergeholt. Eine blühende Fantasie kann ich noch gut nachvollziehen (wer hat die nicht?), aber musste es gleich Bin Laden sein? Damit hat das Buch zwar aktuellen Bezug, aber wird dadurch noch weitaus unrealistischer als die meisten Frauenromane ohnehin sind. Sympathisch wird Olivia dennoch, man erfährt mehr über ihre tragische Vergangenheit und leidet irgendwo mit ihr mit, denn ihr Chefredakteur besteht auf einer fertigen Story bis 18 Uhr, vergisst allerdings dazu zu sagen, dass er damit englische Zeit meint. So tippt Olivia in Amerika seelenruhig ihrer Zeit hinterher und bringt kein anständiges Wort zu Papier, während ihr Redakteur in London schon graue Haare bekommt.

Das Buch ist durchaus witzig geschrieben, doch hat es nicht die persönliche Nähe wie „Bridget Jones“, was zum einen daran liegen kann, dass das Buch nicht in der Ich-Form geschrieben ist. Ein neutraler Erzähler aus der dritten Person schildert Olivias Geschichte und ihre Erlebnisse, er stellt sie auch vor, so dass man sie doch irgendwo lieb gewinnt, doch herrscht immer eine gewisse Distanz, die durch die persönlichen Tagebucheinträge in „Bridget Jones“ von der ersten Seite an aus dem Weg geräumt waren. Durch die Erzählerform ist der Schreibstil auch nicht so locker-flockig geraten, Frauenbücher gewinnen meist an Charme durch die persönlichen Gedanken der weiblichen Hauptperson, die den Leser an allen noch so verrückten und peinlichen Gedanken teilhaben lässt, das ist bei Olivia leider nicht möglich.

Die Charakterzeichnung Olivias finde ich auch nur teilweise gelungen, denn man lernt sie nicht so gut kennen, wie man es sich wünschen würde. Das Buch ist nur kurz und will ja auch noch die hanebüchene Spionagegeschichte erzählen, daher rückt die Personenbeschreibung schnell in den Hintergrund. Neben Olivia lernt man eigentlich fast keine handelnde Person näher kennen, selbst Ferramo bleibt recht blass, wobei das vielleicht auch besser ist, da man sich dann als Leser noch eine Ähnlichkeit mit Bin Laden einbilden kann, die wohl offensichtlich gar nicht vorhanden ist. Anfangs fand ich Olivia Joules noch sehr interessant und sympathisch durch ihre leicht chaotische Art, doch schnell fängt sie mit ihrer Einbildungein ein wenig an zu nerven. In jede Situation deutet sie etwas hinein, das doch recht weit hergeholt scheint. Schade, eine Hauptperson, mit der man auf jeder Seite und in jeder Zeile mitleiden kann, weil sie einer verlorenen Liebe oder Kleidergröße 36 hinterher trauert, wäre mir doch lieber gewesen als diese neue Romanfigur. Hier hat sich Helen Fielding deutlich verschlechtert, meiner Meinung nach sollte sie sich lieber ein neues Kapitel in Bridgets Leben ausdenken.

Mein größter Kritikpunkt ist allerdings die Geschichte an sich. Ich weiß das Buch nicht recht einzuordnen, da es als Mischung aus trashigem Frauenroman und Spionage“thriller“ daherkommt, schnell schwenkt das Buch von der typischen Frauengeschichte um auf die Agentenschiene, auf der Olivia der al-Qaida hinterherspioniert. Es mag durchaus innovativ und interessant sein, einen Brückenschlag zwischen verschiedenen Genres zu wagen, doch finde ich, dass Fielding dies nicht überzeugend gelungen ist. Das Buch ist nicht witzig und weiblich genug für das Genre „Frauenroman“, aber auch nicht spannend genug für einen echten Spionageroman. Somit wirkt die Story ziemlich lächerlich und überzeugt eigentlich auf keiner Seite. Wahrscheinlich kann man sogar James Bond einen größeren Bezug zur Realität nachsagen als Olivia Joules. Mir ist nicht ganz klar, was Helen Fielding dazu bewogen hat, ihre neue Romanheldin in eine solche Spionagegeschichte hineinzuschreiben, denn ihre alten Bridgetfans mag sie damit vergrault haben.

Etwas erschrocken war ich außerdem, als ich das Buch nichts ahnend umgeblättert habe (im Zug zwischen zwei Geschäftsmännern, die ihre |Financial Times| lasen …) und mir ein billiges schwarz-weiß Bild entgegensprang. Im Buch finden sich nämlich ein paar wenige Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die wirken, wie aus einem Supergirlcomic geklaut. Die Bilder sind unterlegt von einem Satz aus dem Roman, der die Szene beschreiben soll. Leider tragen die Bilder nicht sonderlich gut dazu bei, sich die Situationen besser vorzustellen, da sie doch recht grob und künstlerisch unbegabt wirken, aber irgendwie mögen sie auch in den Rahmen dieses Buches passen …

Insgesamt war ich doch enttäuscht von dem Buch, da ich mir ein spritziges Frauenbuch gewünscht hatte, das in Art von Bridget Jones eine sympathische Frauenfigur mit üblichen Problemen vorstellt. Allerdings wird man als Leser dann mit einer Olivia Joules konfrontiert, die sich Osama Bin Laden gegenübergestellt glaubt. Die Geschichte nimmt dadurch sogleich eine unangenehme und unrealistische Wende, die dem Buch nicht gut tut. Ganz so furchtbar wie die Besprechung klingen mag, ist das Buch dann allerdings nicht. Es war schon unterhaltsam und sicherlich keine Zeitverschwendung, aber über das Mittelmaß kommt es leider nicht hinaus. So reicht es dann auch nur zu einer knappen Empfehlung.

Lene Gammelgaard – Die letzte Herausforderung

Seit der Lektüre von Jon Krakauers Buch „In eisige Höhen“ übt das Thema Mount Everest und insbesondere die Katastrophe vom Mai 1996, bei der mehrere Menschen während eines Unwetters in Gipfelnähe erfroren sind, eine gewisse Faszination auf mich aus. Inzwischen sind bereits einige Bücher zu diesem Thema von weiteren Bergsteigern erschienen, die die Katastrophe ebenfalls miterlebt haben. Die bekanntesten dürften neben der Veröffentlichung von Krakauer die Berichte von Anatoli Boukreev, Beck Weathers und auch von Lene Gammelgaard sein.

Auf zum Gipfel

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Mankell, Henning – Brandmauer, Die

Kriminalromane sind in Deutschland so populär wie nie zuvor, und besonders schwedische Krimis stehen auf der Beliebtheitsskala dank Henning Mankell ganz weit oben. Der größtenteils in Afrika lebende Autor hat mit Kurt Wallander einen Kommissar geschaffen, der an Authentizität möglicherweise unübertroffen ist. Bei der „Brandmauer“ („Brandvägg“, 1998) handelt es sich leider um den letzten Fall, den Kurt Wallander in Ystad zu lösen hat.

_Wallander wird alt_
Inzwischen hat Kurt Wallander das stolze Alter von 50 Jahren erreicht, sodass ihm nur noch etwa zehn Jahre bis zur lang ersehnten Pensionierung bleiben. Einst war er mit Mona verheiratet, doch bereits vor „Mörder ohne Gesicht“ hatten die beiden sich getrennt. Aus der Ehe geblieben ist Wallander seine Tochter Linda, zu der er ein sehr wechselhaftes Verhältnis hat; mal verstehen die beiden sich blendend, mal scheint Linda ihrem Vater völlig entrückt zu sein. Wallander ist kein großer Held, er wird eher von vielen Zweifeln geplagt, ob sein Beruf wirklich noch das Richtige für ihn und er den immer schwierigeren Belastungen noch gewachsen ist. Bei Wallander wurde unlängst Diabetes diagnostiziert, sodass er inzwischen seinen Lebenswandel umstellen musste. Mittlerweile hat er etwas abgenommen und sich tägliche Spaziergänge zur Gewohnheit gemacht, aber auch das macht ihn nicht viel glücklicher, Wallander fühlt sich einsam, denn auch seine Beziehung zu Baiba Liepa, die in Riga lebt, ist in die Brüche gegangen, sein ehemals bester Freund Sten Widen will auswandern und auch sein exzentrischer Vater ist inzwischen gestorben. Was bleibt ihm noch?

_Mord oder Selbstmord – das ist hier die Frage_
Zu Beginn lernt der Leser kurz Tynnes Falk kennen, der sorgfältig seinen Tagesablauf notiert und eines Abends noch einmal spazieren gehen will. Er holt am Bankautomaten einen Kontoauszug und denkt, dass alles in Ordnung ist. Doch danach kann er sich an nichts mehr erinnern. Kurz darauf wird seine Leiche vor dem Bankautomaten aufgefunden.

Fast zur gleichen Zeit wird ein Anschlag auf den Taxifahrer Lundberg verübt. Zwei junge Mädchen, nämlich die neunzehnjährige Sonja Hökberg und die erst vierzehnjährige Eva Persson, überfallen den Taxifahrer, schlagen ihm mehrmals mit einem Hammer auf den Kopf und stechen ihm ein Messer in die Brust. Kurze Zeit später erliegt Lundberg seinen schweren Verletzungen und Wallander ist entsetzt angesichts der brutalen Gewalt, mit der die beiden jungen Mädchen vorgegangen sind. Schnell gestehen die beiden ihre Tat, zeigen allerdings keine Reue. Warum bloß haben sie den unschuldigen Taxifahrer angegriffen?

Wallander versteht die Welt nicht mehr, was ist passiert, dass junge Frauen so eiskalt sein können? Bald darauf kann Sonja Hökberg aus ihrer Haft fliehen, gleichzeitig zieht Eva Persson ihr Geständnis zurück. Dann fällt in Ystad der Strom aus und eine verkohlte Leiche wird in der Transformatorstation gefunden. War es Selbstmord oder Mord? Wie konnte die Tür zum Häuschen aufgeschlossen werden, obwohl die Schlüssel nur wenigen Menschen zugänglich sind? Wie hängen all diese mysteriösen Todesfälle zusammen? Wallander und seine Kollegen tappen im Dunkeln. Gleichzeitig gibt Wallander eine Kontaktanzeige auf, um vielleicht eine Frau kennen zu lernen. Zunächst ist er skeptisch, aber vielleicht wird ihm doch eine Frau antworten …

_Mankell-Wallandersche Betrachtungen_
Für mich ist und bleibt Henning Mankell ein echtes Phänomen. Seine Krimis sind absolute Weltspitze und reißen den Leser von Beginn an mit, selten habe ich spannendere Bücher gelesen. Auch hier steigen wir mitten in die Geschichte ein und schon im ersten Kapitel kommt Tynnes Falk ums Leben. Die Polizei steht vor einem Rätsel, denn Falks Todesursache bleibt lange Zeit im Dunkeln. Gleich am Anfang überschlagen sich die Ereignisse, denn sowohl zum Thema Tynnes Falk gibt es schnell neue Erkenntnisse, wie auch im Fall um Sonja Hökberg. Um den Leser und seine Aufmerksamkeit an keiner Stelle zu verlieren, baut Mankell regelmäßig Cliffhanger ein. Oftmals hängt Wallander seinen Gedanken nach:

|“Er konnte seinen Gedankengang nicht klar zu Ende denken. Aber er wusste, dass er wichtig war.“|

Als Leser könnte man Wallander dann nur zu gern am Kragen packen und schütteln, um seinen Denkprozess voranzutreiben, denn diese Ungewissheit ist kaum auszuhalten.

Einmal streut Mankell die Information ein, dass Wallander einen so schwerwiegenden Fehler begeht, dass er später immer wieder daran zurückdenken muss. Wallander befürchtet, an einem weiteren Todesfall schuldig zu sein und man fiebert der Auflösung dieses Fehlers entgegen, auf die man allerdings fast bis zum Schluss des Buches warten muss.

|“Später sollte Wallander stets denken, dass er an jenem Nachmittag, als er in seinem Büro saß und Ann-Britt zuhörte, einen der größten Fehler seines Lebens begangen hatte. Als sie von ihrer Entdeckung berichtete, dass Sonja Hökberg sehr wohl einen Freund gehabt hatte, hätte er sogleich begreifen müssen, dass an der Geschichte etwas faul war. Ann-Britt hatte nicht die ganze Wahrheit ausgegraben, sondern nur die halbe. Und halbe Wahrheiten haben, wie er wusste, die Tendenz, sich in ganze Lügen zu verwandeln. Er sah nicht, was er hätte sehen müssen. Sein Fehler musste teuer bezahlt werden. In finsteren Stunden dachte Wallander, dass sein Versagen zum Tod eines Menschen beigetragen hatte. Und es hätte dazu führen können, dass eine andere Katastrophe tatsächlich eingetreten wäre.“|

Der Spannungsbogen ist wieder nahezu perfekt gelungen, die letzten 350 Seiten habe ich praktisch an einem Stück gelesen, weil ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Mankell bräuchte meiner Meinung nach gar keine Cliffhanger, um seine Leser bei Laune zu halten, seine Geschichten wären auch ohne sie spannender als die meisten anderen Kriminalfälle. Interessant ist bei der „Brandmauer“ darüber hinaus, dass scheinbar gar nicht zusammenhängende Fälle doch miteinander verwoben sind. Mal gibt es neue Erkenntnisse zum einen Fall, dann wieder welche zum anderen Fall, doch erfährt man bis kurz vor Schluss nicht die wahren Zusammenhänge und ist dadurch ständig am Miträtseln. Sehr verwirrend war auch, dass Wallander zwischendurch ab und an Spuren verfolgt, die logisch klingen und Wallanders berühmter Intuition entspringen, die aber dennoch in eine falsche Richtung weisen. Als Leser kann man also nie sicher sein, ob man sich auf der richtigen Spur befindet. Mankell spielt gerne mit den Informationen über die Täter und ihre Motive, so ist der Leser oftmals der Kriminalpolizei einen Schritt voraus. An einer Stelle erfahren wir einige Kleinigkeiten über den Drahtzieher hinter den Morden und lernen einen Komplizen kennen. Wallander dagegen ist ahnungslos und weiß nicht, wem er trauen kann und wem nicht. Das führt dazu, dass man Wallander in sein Verderben rennen sieht und immer weiter hoffen muss, dass er noch rechtzeitig bemerken wird, wer die Komplizen des Drahtziehers sind.

_Faszination Wallander_
Wieder einmal steht Kurt Wallander im Mittelpunkt des Geschehens. Mankell legt stets viel Wert auf die Charakterzeichnung seines nicht-perfekten Krimihelden. In diesem Fall hadert Wallander mit sich und seiner Einsamkeit. Am liebsten würde er ausbrechen aus seinem Alltag und seine Arbeit hinschmeißen, wie es auch andere seiner Bekannten getan haben. Zudem fühlt er sich einsam, da ihm die Frau an seiner Seite fehlt. Als Linda ihm dann eine Kontaktanzeige vorschlägt, ist Wallander zunächst skeptisch, gibt dann aber schweren Herzens doch eine auf. Ein wenig Bergauf geht es mit seiner Gesundheit, denn Wallander hat etwas abgenommen und mit dem Rauchen aufgehört. Gewann man in anderen Fällen noch den Eindruck, dass Wallander auch ein kleines Problem mit dem Alkohol hat, scheint er dieses inzwischen in den Griff bekommen zu haben. In jedem Wallanderkrimi kommen neue Mosaiksteinchen hinzu, die das Bild unseres Krimihelden immer weiter vervollständigen, sodass dieses im Laufe der Reihe immer detaillierter wird. Dadurch wächst einem Wallander richtig ans Herz, man leidet mit ihm mit, wenn er sich einmal mehr einsam und verlassen fühlt oder er es wieder nicht schafft, seine Wäsche zu waschen (dieses Mal bringt er das allerdings einmal zustande!). Wallander wird einem zunehmend sympathischer, je mehr man über ihn liest, zumindest ging das mir so und auch allen, mit denen ich bisher darüber gesprochen habe.

Mankell schafft es sogar im Laufe der gesamten Krimireihe, auch seine anderen Figuren immer weiter auszubauen, so werden darüber hinaus Wallanders Kollegen besser vorgestellt, besonders über Martinsson wird man in der „Brandmauer“ einige interessante Dinge erfahren. Ann-Britt Höglund erlebt in diesem Roman ähnlich wie Wallander zuvor persönliche Schicksalsschläge und wird immer mehr zu seiner Lieblingskollegin.

Neben der ausführlichen Charakterzeichnung der handelnden Personen ist eine weitere Besonderheit der Mankell-Krimis die meist enthaltene „Botschaft fürs Leben“; so wird auch hier wieder ein Problem behandelt, das die heutige Gesellschaft kritisieren soll. In seinem Nachwort schreibt Mankell dann auch, dass er sich vorstellen könne, dass dies durchaus so geschehen könnte, wie er es für seinen Krimi erfunden hat. Im Mittelpunkt stehen dieses Mal nicht politische Missstände, sondern die Verwundbarkeit der heutigen Gesellschaft. Was man darunter genau zu verstehen hat, wird ausführlich im Buch beschrieben, würde hier aber zu viel verraten. Ich persönlich fand die Idee nicht schlecht, dieses Problem aufzugreifen, auch wenn „Die Brandmauer“ dadurch vielleicht nicht ganz das Gewicht erhält wie zum Beispiel „Die weiße Löwin“. Am Ende war ich dann doch ein ganz klein wenig enttäuscht, dass nicht mehr hinter den Ereignissen steckte, aber das ist natürlich Geschmackssache.

Obwohl in jedem der Wallander-Krimis ein neuer Fall aufgeklärt werden muss, ist es doch wichtig, dass man die Bücher in chronologischer Reihenfolge liest, denn Mankell spielt in allen seinen Büchern auf bereits vergangene Ereignisse an. Dieses Mal geht er sogar ein Stück weiter und deutet diese nicht nur an, sondern beschreibt recht ausführlich den Täter aus „Die falsche Fährte“. Unfreiwillig werden dem Leser neben dem Mörder auch einige seiner Opfer und sein Motiv verraten, hier verrät Mankell so viel wie nie zuvor über einen vergangenen Krimi.

_Was am Ende übrig bleibt_
Insgesamt ist Henning Mankell mit der „Brandmauer“ ein mehr als solider Krimi gelungen, der spannender ist als die Romane seiner skandinavischen Kollegen, allerdings nicht ganz heranreichen kann an „Die weiße Löwin“ oder auch „Mittsommermord“, dennoch ist der Fall wieder hochspannend und brisant. Das Buch unterhält gut und man kann es praktisch kaum noch aus der Hand legen, wenn man erst einmal damit angefangen hat.

Deutsche Wallanderseite: http://www.wallander-web.de/