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Assouline, Pierre – Lutetias Geheimnisse

Pierre Assouline hat ein Buch über den Zweiten Weltkrieg geschrieben – das ist an und für sich nichts Besonderes, doch der Franzose wählt einen nicht alltäglichen Ausgangspunkt. Er erzählt die Geschichte des Palasthotels „Lutetia“ aus der Sicht des Hoteldetektivs Edouard Kiefer, der aus dem Elsass stammt und somit sowohl französische als auch deutsche Wurzeln besitzt.

Dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass er auch während der Besatzung der Deutschen, die das Hotel für ihre Zwecke requirierten, bleiben darf. Während er vorher für die Sicherheit der zumeist erlesenen Hotelgäste zuständig war, muss er nun dolmetschen oder Botengänge für die Nazis erledigen. Doch das Lutetia, das in Edouards Augen seine eigenen Geheimnisse beherbergt, spielt nicht nur geduldig während der Besetzung Frankreichs eine wichtige Rolle. Danach wird es erneut requiriert und dient als Auffanglager für aus KZs befreite Häftlinge. Dabei spielen sich teilweise rührselige Szenen in den Fluren des großen Hotelkomplexes ab: Leute finden sich wieder oder erfahren, dass jene, die sie suchen, tot sind.

Obwohl Edouard Kiefer zumeist in den Hintergrund rückt und als Beobachter fungiert, schimmert an der einen oder anderen Stelle auch sein Privatleben durch. Die Gräfin Nathalie Clary beispielsweise liegt ihm sehr am Herzen. Die beiden sind gemeinsam großgeworden, doch sie heiratete den Grafen Clary, und sie und der Hoteldetektiv pflegen zu den Hochzeiten des Lutetias eine geheime Beziehung. Doch als die Deutschen Einzug in Frankreich halten, wird Nathalie deportiert und kehrt nach dem Krieg für einen kurzen, aber intensiven Moment zurück zu ihrer Jugendliebe. Daneben beschäftigt sich der Ich-Erzähler mit seiner Mutter, die ihn und seinen Vater schon vor Jahren alleine gelassen hat, und dem seltsamen Zufall, dass einer der brutalsten Deutschen beinahe den gleichen Nachnamen wie er trägt …

Viel ist es nicht, was in „Lutetias Geheimnisse“ passiert, doch gerade das ist die Stärke des Romans. Pierre Assouline gestaltet die Zeit vor, während und nach dem Krieg nicht als Abenteuer, sondern konzentriert sich aufs Beschreiben und darauf, die vielen unterschiedlichen Gesichter dieser gewichtigen Zeit darzustellen. Dabei greift der Autor auch auf historisch belegte Gestalten zurück, zum Beispiel den Schriftsteller James Joyce, der vor dem Krieg des Öfteren im Lutetia weilte. Die realen und die erfundenen Personen werden zumeist kurz eingeführt und haben selten einen längeren Auftritt als ein paar Seiten. Einige Charaktere werden mehr als einmal erwähnt, aber in der schier unendlichen Masse von Personen und Schicksalen, die Edouard beobachtet, ist es schwierig, den Überblick zu behalten. Gerade Charaktere, die immer wieder auftauchen, hinterlassen aufgrund der Vielfalt zu wenig Eindruck, um dem Leser erinnerlich zu bleiben, was einfach schade ist. Auf der einen Seite lassen sich der Krieg und seine Übel durch die vielen vorüberziehenden Gesichter sehr gut und weitreichend darstellen, auf der anderen ufert die Geschichte manchmal aus.

Es sind nicht nur die Charaktere, die untergehen, sondern auch der Erzähler selbst. Edouard erzählt flüssig, dicht und sehr detailliert, wirkt dabei aber plaudernd und auch ungeordnet. Man hat das Gefühl, als würde er dem Leser direkt gegenübersitzen und über die guten alten Zeiten plaudern. Er ist ein guter Beobachter, und trotz der Ich-Perspektive rückt er auf weiten Strecken in den Hintergrund. Sein Privatleben vermischt sich nur selten mit seiner Arbeit als Hoteldetektiv, und so vergisst der Leser manchmal sogar, wer der Erzähler eigentlich ist. Allerdings ist fraglich, ob die Geschichte so gut und atmosphärisch wäre, wenn Edouard sich mehr in den Vordergrund gedrängt hätte. Daher ist es in diesem Fall besser, von einem Beobachter anstatt von einem Erzähler zu sprechen, denn dank Assoulines Schreibstil erlebt der Leser die Geschehnisse tatsächlich wie durch Edouards scharfe und aufmerksame Augen.

Dadurch, dass das Buch hauptsächlich Beobachtungen vereint, ist kaum ein roter Faden in der Handlung zu erkennen. Abgesehen von den historischen Ereignissen verfolgt Assouline keine erzählerischen Ziele. Wen das nicht schreckt, der wird in „Lutetias Geheimnisse“ ein gut recherchiertes, fiktives, aber erschreckend realistisches Zeitzeugnis finden. Dabei ist gerade für deutsche Leser die Sichtweise interessant: Es wird nicht direkt vom Ort des Geschehens berichtet, sondern aus dem Nachbarland, und der Fokus liegt dabei auch nicht unbedingt darauf, die Ereignisse möglichst eindringlich und brutal darzustellen, sondern auf der stillen Beobachtung. Obwohl ein subjektiver Erzähler deutlich erkennbar ist, wirkt das Buch an vielen Stellen sehr objektiv.

Diese Objektivität ist allerdings nie mit Sterilität oder Kühle gleichzusetzen. Im Gegenteil erzählt der französische Autor warmherzig und offen und hat den Leser bereits nach den ersten Seiten fest im Griff. Wie bereits erwähnt, ist es Edouards Plaudertonfall, der sich eines gehobenen Vokabulars bedient und so gut wie nie in die Alltagssprache abrutscht, zu verdanken, dass sich das Buch flüssig und ohne Widerstände lesen lässt. Die Worte werden richtiggehend lebendig und wirken eher wie im Gespräch als aus einem Buch gelesen. Das ist überhaupt die größte Stärke von „Lutetias Geheimnisse“: die Lebendigkeit, die vor allem vom Erzähler und damit auch vom Schreibstil ausgeht. Nichts wirkt gekünstelt, sondern nüchtern und bodenständig. Da fällt es schwer zu glauben, dass der Autor acht Jahre nach Kriegsende geboren wurde und nicht mittendrin war.

„Lutetias Geheimnisse“ ist ein Buch, für das man ein gesundes Interesse und den Willen, sich darauf einzulassen, mitbringen muss. Es hat kaum eine geradlinige Handlung, sondern setzt sich hauptsächlich aus den Beobachtungen von Geschehen und Personen zusammen. Der sehr gut ausgearbeitete Erzähler Edouard hält den Roman dabei mit seiner Beobachtungsgabe und der nüchternen, aber dennoch lebendigen Erzählweise zusammen. Wer gerne etwas über den Zweiten Weltkrieg aus einer ungewöhnlichen Sicht erfahren möchte, ist mit Pierre Assoulines Werk gut beraten.

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Bottero, Pierre – achte Tor, Das (Der Andere, Band 1)

In Frankreich ist Pierre Bottero ein etablierter Autor, in Deutschland dagegen kennt man ihn kaum. Das soll sich nun ändern. Mit „Das achte Tor“ erscheint bei |Ullstein| der erste Band von Botteros Trilogie, die in Frankreich „L’Autre“ betitelt ist.

Als ein ambitionierter Wissenschaftler im brasilianischen Dschungel nach einem Maya-Tempel sucht, entdeckt er ein unbekanntes Bauwerk, in dessen Inneren ein schwarzer Würfel schwebt. Was er nicht weiß: In diesem Würfel lebt eine Macht, die Der Andere genannt wird. Vor langer Zeit wurde sie in dieses Gefängnis verbannt und nur sieben bestimmte Familien, von denen jede einzelne eine bestimmte Fähigkeit besitzt, wissen von der Existenz des Anderen und können gegen ihn ankommen.

Nathan gehört zu zwei dieser Familien, weiß aber nichts davon. Er ahnt, dass etwas mit ihm nicht stimmen kann, denn er lernt jede beliebige Sportart innerhalb kürzester Zeit und vollbringt dabei ungewöhnliche Leistungen. Jedes Mal, wenn ihm dies gelingt, ziehen seine Eltern sofort um, so dass der Sechzehnjährige mittlerweile sehr weit herumgekommen ist.

Als eines Tages seine Eltern bei einer Bombenexplosion sterben, erhält er von seinem Vater auf seinem Handy eine aufgenommene Nachricht, dass er von Montréal nach Marseilles fliehen und dort nach seiner Familie suchen soll. Dabei begegnet er der gleichaltrigen Shaé, in der ungeahnte Kräfte wohnen. Gemeinsam entkommen sie den bedrohlichen Helluren und lernen schließlich die restlichen Mitglieder von Nathans Familie, den Kogisten, kennen. Ihr Markenzeichen ist ihre schnelle Auffassungsgabe, und die kann Nathan auch gut gebrauchen, denn plötzlich wendet man sich gegen ihn und Shaé. Sie müssen es nun nicht nur mit den Helluren, sondern auch mit Nathans Familie aufnehmen. Und mit einer dritten Macht, die für das ganze Chaos verantwortlich zu sein scheint und es auf die beiden abgesehen hat…

Pierre Botteros Fantasygeschichte zeichnet sich hauptsächlich durch seine Nüchternheit aus. Es ist angenehm frei von magischen und fantastischen Elementen. Selbst die besonderen Kräfte, die man den einzelnen Familien zuschreibt, sind zumeist nur eine ins Extrem getriebene Steigerung von normalen Fähigkeiten. Natürlich sind Dinge wie Der Andere nicht von dieser Welt, aber mit der magischen Fantasy à la Harry Potter hat Botteros Buch wenig zu tun. Die Geschichte ist dadurch angenehm locker und bricht nicht unter der Last von unwirklichen Ideen zusammen. Stattdessen baut der Autor trotz einer recht langen Vorgeschichte am Ende ein beträchtliches Maß an Spannung mit wenigen, aber effizienten Mitteln auf. Dazu gehört eine überschaubare Anzahl von Hauptfiguren, ein paar ungelöste Geheimnisse und ein Verwirrspiel darüber, wer nun gut und wer böse ist.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Nathan und Shaé, die sehr lebensnah gezeichnet und starke junge Charaktere sind. Ihnen liegt eine eher düstere Grundstimmung zugrunde, die gut zu der nicht unbedingt fröhlichen Geschichte passt. Beide haben bislang Probleme damit gehabt, Anschluss zu finden und echte Freundschaften zu führen. Sie fühlen sich einsam und merken, dass sie anders sind. Dadurch entstehen sehr tiefsinnige, nachdenkliche Figuren, die der Geschichte sehr viel Leben einhauchen und sie auf weiten Strecken bestimmen.

Der Schreibstil ist nüchtern und schnörkellos. Trotzdem schlägt er den Leser mit sicheren Formulierungen und einer düsteren, fesselnden Atmosphäre in den Bann. Der Autor versteht es, anspruchsvoll zu formulieren und mit wenigen Worten eine Stimmung, einen Sachverhalt oder ein Gefühl auszudrücken. Dadurch gibt es keine Längen, und trotz einer recht weitschweifigen Vorgeschichte wird aus „Das achte Tor“ doch noch eine runde Sache.

„Das achte Tor“ vereint Gegensätze: Auf der einen Seite herrscht eine düstere, beinahe schon verzweifelte Grundstimmung vor, auf der anderen sind aber Handlung und Schreibstil unbeschwert und frei von unnötigem Ballast. Mithilfe dieses Gerüsts erschafft der Autor eine spannende, atmosphärische Geschichte, die nicht langweilig wird und Lust auf die Folgebände macht.

|Originaltitel: L’Autre – Le souffle de la hyene
Aus dem Französischen von Wolfgang Renz
336 Seiten, kartoniert|
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Palmer, Rob – Gejagt

Rob Palmer ist Juraprofessor und Anwalt. Anders als man es vielleicht erwartet, spielt sein erster Roman „Gejagt“ aber nicht in einem stickigen Gerichtssaal, sondern in einem ganz anderen Milieu.

Ben Tennant arbeitet für ein Zeugenschutzprogramm, wo er die Antragsteller auf Zeugenschutz auf Herz und Nieren auf ihre Eignung überprüft. Nebenbei besorgt er bedrohten Leuten aber auch privat eine neue Existenz, doch diese kleine Nebentätigkeit wird ihm eines Tages zum Verhängnis. Er organisiert der gerissenen Betrügerin Patrice Callan, deren Äußeres ihn nicht unbeeindruckt lässt, ein neues Leben. Wenig später steht die CIA bei ihm vor der Tür und verlangt, dass er den Aufenthaltsort von Patrice bekannt gibt. Man glaubt, dass ihr Leben in Gefahr ist, aber Ben stellt das in Frage. Die angeblichen Sonderermittler gehen in seinen Augen dafür zu brutal vor.

Nachdem er diesen Leuten entkommen ist, macht er sich selbst auf die Suche nach der schönen Betrügerin. Doch er ist nicht alleine. Als er sie gefunden hat, merkt er, dass man Patrice bereits auf die Schliche gekommen ist, und gemeinsam mit Patrices Tochter Cherry gelingt es ihnen zu fliehen. Doch sie haben mehr als nur einen Feind, wie sie schließlich feststellen, denn Patrice besitzt etwas von unschätzbarem Wert: Ein ehemaliger Lover hat ihr den Schlüssel für ein Bankschließfach vermacht, in dem sich etwas befindet, das für die einen einen monetären und für die anderen einen ideellen Wert hat – und es kann großen Schaden anrichten. Es versteht sich von selbst, dass die beiden, die sich immer näher kommen, den Schlüssel nicht herausrücken wollen, doch dann wird Cherry entführt und es scheint, dass sie keine andere Wahl mehr haben …

Rob Palmers Debütroman wirkt auf weiten Strecken sehr bemüht und kann trotz des Einfallsreichtums des Autors kaum Spannung aufbauen. Dazu fehlt es an einer fesselnden Atmosphäre. Außerdem sind die Verwicklungen, in welche die beiden Protagonisten geraten, an einigen Stellen zu unübersichtlich. Das Ende des Romans ist zwar nicht vorhersehbar, aber es fehlt eine geschickte Spannungskurve, die die Erwartungen des Lesers ankurbelt. Die wüste Hetzjagd auf Patrice und Ben wirkt zu sehr in die Länge gezogen und bietet wenig Abwechslung. Das ist schade, denn an und für sich hat man das Gefühl, dass der Autor sich bemüht hat.

Das zeigt sich vor allem an den Personen. Ben hat eine Gabe, die ihn für seine Arbeit beim Zeugenschutzprogramm geradezu prädestiniert. Er erkennt an Benehmen, Kleidung und Auftreten einer Person, was ihre Absichten sind und häufig auch noch Dinge, welche die Person lieber verbergen würde. Er besitzt eine starke Intuition, und Palmer gelingt es, diese Besonderheit authentisch herüberzubringen und sie im ganzen Buch immer wieder auftauchen zu lassen. Ansonsten wirkt der Protagonist etwas blass und alltäglich. Seine Vergangenheit wird nur selten thematisiert und seine Gedanken und Gefühle gehen innerhalb der Handlung ein wenig unter.

Die anderen Charaktere haben ein ähnliches Problem. Auch sie wirken schablonenhaft, nicht besonders gut ausgearbeitet. Das trägt zusätzlich dazu bei, dass die Spannung flach bleibt. Es passiert einfach zu selten etwas, das wirklich originell ist und hängenbleibt. Der Schreibstil kann über dieses Manko nicht hinweghelfen. Er ist darauf bedacht, möglichst detailliert zu berichten, und besitzt nur einen geringen Wiedererkennungswert. Palmer verfügt über einen guten Wortschatz und formuliert sauber und abwechslungsreich, doch er wirkt dabei streckenweise zu bemüht.

Rob Palmers Debütroman „Gejagt“ zeigt vielversprechende Ansätze. Die Handlung ist gut ausgedacht, doch leider ist die Umsetzung nicht besonders spannend. Die Charaktere wirken – trotz guter Ansätze – blass, genau wie der Schreibstil. Beides ist nicht unbedingt schlecht, aber definitiv noch ausbaufähig. „Gejagt“ ist ein durchschnittlicher Thriller, der sich kaum aus der Masse heraushebt.

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Lynds, Gayle – Spymaster

Spionagethriller haben es so an sich, dass sie zumeist an diversen Orten in der ganzen Welt und vielleicht auch zu unterschiedlichen Zeiten spielen. „Spymaster“ von der Amerikanerin Gayle Lynds bildet da keine Ausnahme. In dem Buch spielt nicht nur der Kalte Krieg eine Rolle, sondern auch der moderne Terrorismus sowie eine Handvoll verschiedener Länder.

Charles Tice ist eine lebende Legende bei der CIA, fristet sein Leben aber momentan in einer Gefängniszelle. Der geschickte Spion hatte seine eigenen Auftraggeber verraten und ein gefährliches Doppelspiel gespielt. Doch eines Tages gelingt ihm die Flucht, und der CIA ist sehr daran gelegen, Tice wieder zu verhaften. Zu diesem Zweck soll Elaine Cunningham, eine neunundzwanzigjährige Jägerin, ihn aufspüren. Sie ist bekannt dafür, in ihrem Metier sehr gut zu sein, doch sie hat nicht mit der Schläue von Tice gerechnet. Ihm gelingt es, sämtliche Fallen zu umgehen, und schließlich nimmt er Elaine als Geisel und ‚zwingt‘ sie zur Zusammenarbeit. Für die junge Frau ist die Kollaboration die einzige Möglichkeit, denn mittlerweile hat sich ihr Auftraggeber gegen sie gestellt. Es scheint, als ob die CIA – oder jedenfalls Teile davon – ebenfalls Dreck am Stecken hat.

Elaine steckt in einem Gewissenskonflikt: Soll sie Tice helfen oder brav ihrem Chef gehorchen, obwohl sie bei beiden nicht sicher sein kann, was sie jeweils für ein Spiel spielen? Und wer sind die anderen Männer, die ebenfalls an Tice und später auch an ihr interessiert sind? Mit Tice auf dem Beifahrersitz begibt sie sich mit ihrem roten Jaguar auf eine Jagd durch Amerika, ohne zu ahnen, was für weite Kreise dieses Abenteuer noch ziehen wird …

Gayle Lynds‘ Thriller erinnert auf weiten Strecken stark an die Bücher und Filme um Jason Bourne: schnelle Schnitte, Action und eine blonde Frau, die sich ihrer Position nicht so sicher ist (in dem Filmen verkörpert von Julia Stiles). Das ist nicht unbedingt negativ, denn die häufigen Wechsel der Perspektiven sorgen für Abwechslung und fügen sich trotzdem zu einer flüssigen Gesamtgeschichte zusammen. Es kommt dabei immer wieder zu überraschenden Wendungen, und Tice und Cunningham gelingt es auf über 530 Seiten, aus jeder brenzligen Situation zu entkommen. Nicht selten schrammt Lynds dabei nur haarscharf am Verlust ihrer Glaubwürdigkeit vorbei. Es ist ihr hoch anzurechnen, dass sie selbst haarsträubend wirkende Situationen recht gut meistert.

Doch solche Situationen sind nicht alles in einem spannenden Buch. Die Spannung geht bei „Spymaster“ nämlich ein wenig verloren, da die Handlung zu umfassend und zu wendungsreich ist. Manchmal verliert der Leser den Überblick, weil sich so viel, teils auch sehr Unterschiedliches ereignet. Wie die Fäden am Ende verknüpft werden, ist zwar überraschend, wirkt aber ein wenig konventionell, vielleicht sogar zu weit hergeholt. Islamistische Terrorgruppen sind eine Tatsache, wie man mittlerweile nicht mehr abstreiten kann, aber deswegen müssen sie noch lange nicht in jedem Thriller die Schuldigen sein. An dieser Stelle beweist Lynds keinen Mut, um etwas Neues zu schaffen, was dem Buch aber gutgetan hätte.

Ganz in der Tradition der Spionagethriller gehalten, wirkt die Geschichte recht kühl und bietet nur wenig Gefühl. Die Charaktere sind trotzdem gut ausgearbeitet und wirken authentisch, bieten aber kaum die Möglichkeit, sich mit ihnen zu identifizieren. Dafür wirken sie zu steril, teilweise auch zu intelligent und zu weit vom realen Leben entfernt. Möglicherweise lernen CIA-Beamte tatsächlich all diese Überlebenstricks, die Lynds in ihrem Buch beschreibt, aber für den ’normalen‘ Leser wirkt die Welt der Spione manchmal ein wenig zu durchkonstruiert. Es fällt schwer, sich in diese andere Welt der Geheimdienste entführen zu lassen.

Der Schreibstil ist, ähnlich wie der Grundton der Geschichte, kühl und sehr präzise. Alles wird detailliert und abwechslungsreich beschrieben, wobei immer wieder auffällt, dass Lynds gerne Produktmarken benutzt. Sowohl bei den Waffen als auch bei den einzelnen Autos weiß sie stets mit den technischen Eigenschaften aufzuwarten. Sie übertreibt es allerdings nicht, so dass auch ein Laie, der sich mit diesen Dingen nicht auskennt, die Geschichte ohne Stirnrunzeln lesen kann. Denn flüssig und homogen kann die Autorin schreiben. Trotz des Umfangs des Buches schwächelt sie nicht und greift auf einen großen Wortschatz und eine verständliche, durchaus gehobene Schreibweise zurück.

In der Summe ist „Spymaster“ von Gayle Lynds ein netter Spionagethriller, der die Grenzen seines Genres aber nicht sprengt. Alles ist gut erzählt und ausgearbeitet, überrascht aber nicht wirklich. Gerade die Tatsache, dass einmal mehr islamistische Terroristen im Vordergrund stehen, wird dem einen oder anderen Leser sicherlich sauer aufstoßen. Dieses Motiv ist mittlerweile einfach zu abgenutzt.

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Robards, Karen – Und niemand hört ihr Rufen

Kindesentführungen gehören zu den Themen, die in der Medienwelt immer mehr als eine Schlagzeile wert sind. Man denke nur an den Fall der in Portugal gekidnappten Maddie, deren Eltern mit einer beispiellosen Kampagne weltweit für Aufsehen sorgten. Die Ängste, welche die Eltern dabei ausstehen, kann jemand, der nicht davon betroffen ist, kaum nachvollziehen. Karen Robards versucht es dennoch mit ihrem Roman „Und niemand hört ihr Rufen“.

Sarah Mason ist Staatsanwältin und dafür bekannt, von morgens bis abends zu arbeiten. Mit dieser Arbeitswut versucht sie, ein schmerzhaftes Ereignis aus ihrer Vergangenheit zu verdrängen: Vor sieben Jahren verschwand ihre Tochter Lexie, damals fünf, und bis heute gibt es keinen Hinweis auf ihren Verbleib. Sarah glaubt nach wie vor daran, dass Lexie lebt.

Eines Nachts bekommt sie einen seltsamen Anruf. Lexie ist am Apparat, was natürlich eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Kurz zuvor waren Lexies Spielsachen durch das ganze Haus verstreut gewesen, ohne dass es einen erkennbaren Grund dafür gegeben hätte. Sarah und Jake, ein erfolgreicher Privatdetektiv und Sarahs bester Kumpel, glauben, dass jemand versucht, Sarah Angst einzujagen. Nur wer? Sarah hat dank ihrer Fälle mehr als eine Handvoll potenzieller Feinde, doch als schließlich ein neunjähriges Mädchen verschwindet, glaubt sie nicht mehr an Jakes Theorie, sondern daran, dass sich das Drama von vor sieben Jahren wiederholt …

Die Erwartungen an „Und niemand hört ihr Rufen“ waren nicht besonders hoch. Die Inhaltsangabe klang stark nach einem dieser Bücher, bei denen eine verletzte Mutter im Mittelpunkt steht und um das Leben ihres Kindes kämpft, ohne Hilfe von anderen zu erhalten.

In diesem Punkt überrascht Karen Robards auf ganzer Linie. Ihr Roman trägt zwar Züge eines solchen klischeehaften Romans, kann aber auch immer wieder herausragen. Zum einen ist die Geschichte wirklich spannend, dreht sich aber gleichzeitig nicht stur um den Kriminalfall, sondern wirkt geradezu literarisch. Die Kapitelenden sind stets so gesetzt, dass man weiterlesen möchte, und der Fall wird anschaulich und authentisch dargestellt. Er reißt mit, ohne zu sehr auf die Tränendrüse zu drücken, und kann manchmal mit überraschendem Humor punkten. Das Ende der Geschichte ist leider ein wenig zu sehr auf Happy-End getrimmt, doch ansonsten kann man Robards in dieser Hinsicht nichts vorwerfen.

Die Charaktere des Buches, allen voran Sarah und Jake, sind originell ausgearbeitet und entfalten ein Eigenleben zwischen den Buchdeckeln. Ihr Auftreten, ihre Vergangenheit wirken stets authentisch, und die eine oder andere Leserin kann sich sicherlich mit Sarah identifizieren. Angenehm ist, dass Jake ein erfolgreicher Privatdetektiv ist. Häufig werden diese Ermittler als charmante Loser, die sich gerade so über Wasser halten können, dargestellt, so dass es lobenswert ist, dass Robards dieses Klischee außen vor lässt.

Der Schreibstil wirkt auf den ersten Blick sehr konventionell. Der Fokus liegt auf Sarahs und Jakes Gedanken und Gefühlen, so dass eine sehr emotionale Atmosphäre entsteht. Robards hält sich nicht mit kleinteiligen Details auf, sondern erzählt flüssig und mitreißend. Überraschend häufig wird es dabei humorvoll. Gerade Sarah und Jake neigen zu bissigen Dialogen, was dem Buch einen unerwarteten Frischekick verpasst.

Dementsprechend ist „Und niemand hört ihr Rufen“ weit mehr, als man auf den ersten Blick erwartet. Die Geschichte ist spannend, die Charaktere sind lebensnah und der Schreibstil überrascht durch seine Witzigkeit. Karen Robards hat ein Buch geschrieben, das man gerne liest und von dem man sich nur schwer wieder losreißen kann.

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Brittney, Lynn – Nathan Fox – Im Auftrag Ihrer Majestät

Ob es Zufall ist, dass der Serienheld von Lynn Brittney Fox – zu deutsch ‚Fuchs‘ – mit Nachnamen heißt? Schließlich sagt man dem Fuchs List und Schläue nach. Diese Eigenschaften kann Nathan Fox gebrauchen, denn er arbeitet als Spion für Königin Elisabeth I.

Eigentlich ist der Dreizehnjährige Mitglied einer Schauspieltruppe, doch eines Tages bekommt er Besuch von zwei hohen Herren: Sir Francis Walsingham, dem Leiter des englischen Geheimdienstes, und John Pearce, seinem wichtigsten Mann. Die beiden haben das Talent des Schauspielers, der auch einige artistische Kunststücke beherrscht, entdeckt und wollen ihn nun zu ihresgleichen machen, einem Spion.

Nathan, der ohne Eltern aufgewachsen ist, ist zunächst skeptisch, doch dann stimmt er zu. Dieses Abenteuer will er sich nicht entgehen lassen! Nach aufreibenden Übungsstunden geht es auch schon auf die erste Mission: Zusammen mit John Pearce soll Nathan nach Venedig segeln, um den Dogen davon zu überzeugen, mit England gegen Spanien zu kämpfen. Doch der Doge lässt sich nicht so einfach überreden. Seine Bedingung ist, dass John Pearce und Nathan Fox vorher das umkämpfte Zypern für ihn einnehmen. Doch das erweist sich als problematisch. Als John Pearce anstelle des zwielichtigen Jagos einen hohen Posten erhält, setzt dieser alles daran, um den Spion in Schwierigkeiten zu bringen. Nathan muss all seine Fähigkeiten darauf verwenden, Jago auf die Schliche zu kommen und großes Unglück abzuwenden …

„Nathan Fox – Im Auftrag des Königs“ ist ein anschaulich geschriebenes, spannendes Jugendbuch, das im elisabethanischen Zeitalter spielt. Dieser historische Hintergrund ist sehr interessant und wird anschaulich und vor allem sehr verständlich dargestellt. Ein Glossar am Ende des Buches erläutert wichtige Begriffe, während auch innerhalb der eigentlichen Geschichte immer wieder bestimmte historische Gegebenheiten des Alltags erklärt werden. Die Autorin hat gut recherchiert und ihre Ergebnisse jugendgerecht aufgearbeitet, sie aber zusätzlich so gestaltet, dass auch ein Erwachsener Freude daran hat und Neues entdecken kann.

Die Handlung erweist sich als sauber konstruiert, auch wenn sie am Anfang ein kleines Wagnis eingeht. Brittney erzählt in mehreren Kapiteln, wie Nathan bei Meister Robey zum Spion ausgebildet wird. Das ist insofern mutig, da es die eigentliche Geschichte hinauszögert. Brittney rafft Nathans Lehrzeit aber stark und berichtet von ihr mit interessanten Details, so dass sie nicht langweilig wird und genug Raum für die eigentliche Geschichte bleibt. Dennoch erweist sich die Handlung an einigen Stellen als etwas zu lang. Die Ränke und Intrigen, denen John und Nathan ausgesetzt sind, sind manchmal ein wenig zu verzwickt und nicht actionreich genug, um spannend zu bleiben. Das zögert die Handlung ein wenig hinaus, aber aufgrund der liebevollen und detailreichen Erzählweise sieht man darüber gern hinweg.

Die Hauptfigur Nathan Fox ist wie geschaffen für den Job des Spions. Er ist ein einfacher Junge mit großer Intelligenz und Mut. Jugendliche können sich sicherlich gut mit ihm identifizieren und bei seinen Abenteuern mitfiebern. Bei den anderen Charakteren verhält es sich ähnlich. Sie sind interessant und originell und passen in die historische Zeit, in welcher der Roman spielt. Negativ anzumerken ist höchstens die leichte Schwarz-Weiß-Zeichnung des Ensembles: Die Bösen werden als böse und die Guten als gut dargestellt. Nun leben die Bücher für jüngere Leser ja häufig gerade davon, dass sich einfache Identifikationsbilder festmachen lassen, aber es wäre doch schön gewesen, wenn Brittney dies umgangen hätte.

Der Schreibstil kann sich dafür sehen lassen. Einfach, wortreich und mit vielen Einzelheiten angereichert, erzählt Lynn Brittney die Abenteuer von Nathan Fox. Sie legt ein flottes Erzähltempo vor und hält sich nicht mit ellenlangen Beschreibungen auf. Wenn sie etwas erklären möchte, tut sie dies in wenigen und knappen, aber dennoch verständlichen Sätzen.

„Nathan Fox – Im Auftrag Ihrer Majestät“ ist ein interessantes, sehr klug erzähltes Jugendbuch aus dem elisabethanischen Zeitalter. Die Handlung kann zwar nicht immer überzeugen, aber die sympathische Hauptfigur und der Hintergrund der Reihe – nämlich Nathans Job als Spion – versprechen weitere, vielleicht spannendere Bücher.

|Aus dem Englischen von Frank Böhmert
304 Seiten, gebunden
Empfohlen ab 12 Jahren|
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Johanna Driest – Das Blaue vom Himmel

Vielleicht liegt es ja wirklich in der Familie, das Schriftstellerdasein. Johanna Driest ist die Tochter von Burkhard Driest, der unter anderem auch Romane und Drehbücher geschrieben hat. Ihre ersten Schreibversuche veröffentlichte die damals Fünfzehnjährige mit „Crazy for Love“ im Jahr 2005. Drei Jahre später ist die damalige Protagonistin Mona immer noch aktuell. Mittlerweile sechzehn Jahre alt, lernt Mona in „Das Blaue vom Himmel“ weitere Hoch- und Tiefpunkte des Teenagerdaseins kennen.

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Blazon, Nina – Königreich der Kitsune, Das (Die Taverne am Rande der Welten 3)

Mit „Das Königreich der Kitsune“ ist mittlerweile der dritte Teil von Nina Blazons Reihe um den Jungen Tobbs, der auf der Suche nach seiner Heimat ist, erschienen. Und dieses Mal, so scheint es, hat die Suche endlich Erfolg …

Tobbs und Anguana, seine Freundin mit dem Ziegenfuß, haben schon viel erlebt. Tobbs, der dreizehnjährige Waisenjunge, ist in der Taverne am Rand der Welten groß geworden, die eine Art Knotenpunkt darstellt. Zig Türen aus mindestens genauso vielen Ländern führen in ihren Flur, und Tobbs hat es sich nicht nehmen lassen, einige dieser Pforten auszuprobieren. Doch eine Tür reizt ihn ganz besonders. Sie führt in das Land Doman, wo er seine Wurzeln vermutet, und wurde zugemauert, um zu verhindern, dass er seiner Herkunft auf den Grund geht.

Das kann den neugierigen Jungen und seine kompetente Freundin natürlich nicht aufhalten. Sie lassen die Tür durch den Hauskobold Domojov aufsprengen und gelangen nach Doman, wo sie gleich zu Anfang ihrer Reise von fleischfressenden Pferden und einer weißen Schlange verfolgt werden. Als Tobbs die weiße Schlange tötet, bringt er sich noch mehr in die Bredouille, denn nun wird er steckbrieflich in der Stadt Katuro gesucht. Dabei gerät er in die Fehde zwischen König Tanuki und dem Volk der Kitsune. Durch die Intrige einer Kitsune, also einer Füchsin, die sich in eine betörend schöne Frau verwandeln kann, gerät Anguana in Gefangenschaft, und Tobbs muss zusammen mit seinen Freunden die Quellnymphe befreien. Dass sie dabei auf Minotauren reiten, ist nur eine der Sensationen, die den Leser erwarten, wenn er die Taverne am Rande der Welten betritt …

„Das Königreich der Kitsune“ lässt am Ende die Frage offen, ob die Reihe fortgesetzt wird oder nicht. Sollte Letzteres eintreten, wäre das sehr traurig, denn obwohl der vorliegende Band nicht immer an seine Vorgänger heranreicht, verspricht er doch kurzweiliges und fantasiereiches Vergnügen, wie man es von der Autorin gewohnt ist. Abstriche muss man vor allem am Anfang machen. Hier kommt die Geschichte nicht in Gang und man vermisst das Feuerwerk von Ereignissen und Erfindungen, das Nina Blazon sonst immer auf ihre Leser loslässt. Außerdem ist das Buch auf weiten Strecken zu handlungslastig, so dass die Personen sich nicht richtig entfalten können.

Glücklicherweise geht es im letzten Drittel nochmal richtig rund. Es wird rasant, spannend und sehr actionreich. Trotz des hohen Erzähltempos behält die Autorin einen kühlen Kopf und schafft es, dass die Geschichte in geordneten Bahnen verläuft und trotzdem mit überraschenden Wendungen aufwartet. Ihren Einfallsreichtum vermisst man dennoch. Während die beiden Vorgängerbände mit einer Vielzahl von Wesen aus Mythen und Sagen geschmückt waren, fällt das Ensemble dieses Mal sehr karg aus. Blazon bedient sich hauptsächlich japanischer Quellen, doch die Auftritte ihrer Gottheiten oder Wesen sind kurz und hinterlassen wenig Eindruck. Das ist schade, da dieser Kulturkreis sicherlich einen weiteren Höhepunkt in der Reihe hätte kennzeichnen können.

Liebenswert geblieben sind aber der Erzählstil und die Figuren. Tobbs und Anguana sind interessante, heitere Charaktere, die toll ausgearbeitet sind und vermutlich jedem jungen Leser gefallen. Sie haben etwas Märchenhaftes an sich und wirken wie Helden, mit denen man sich identifizieren kann. Ein besonderes Spannungsschmankerl ist dabei natürlich die Aufklärung von Tobbs‘ Herkunft, die der Autorin gut gelungen ist. Auch die Nebenfiguren gefallen durch ausgefallene Eigenschaften und liebenswerte bis einfach nur lustige Charakterzüge. Sie werden häufig sehr amüsant dargestellt und spendieren der Geschichte Frische.

Der Schreibstil ist zwar nicht ganz so beschwingt und humorvoll, wie man es gewohnt ist, aber er ragt immer noch durch seine witzige Note und eine gute, kindgerechte, aber nicht simple Wortwahl hervor. Auch dieses Mal stören die teilweise neumodischen Begriffe. „Karate“, „Volleyball“ und „Paparazzi“ wollen nicht so recht zu rätselhaften Fuchswesen, Quellnymphen mit einem Ziegenhuf und Höllenhunden mit Mönchskutten passen. Auch wenn sich damit schöne, alltagsnahe Metaphern basteln lassen, wirkt das moderne Vokabular etwas unangebracht.

Alles in allem ist „Das Königreich der Kitsune“ aber eine rasante, vergnügliche Lektüre mit tollen Ideen und einer größtenteils gelungenen und spannenden Handlung. Blazons leichtfüßiger Schreibstil sowie ihr Einfallsreichtum machen auch den letzten Band der Reihe trotz einiger Abstriche zu einem echten Vergnügen.

_Nina Blazon bei |Buchwurm.info|:_

[„Die Reise nach Yndalamor (Die Taverne am Rande der Welten 1)“ 3463
[„Im Land der Tajumeeren (Die Taverne am Rande der Welten 2) 3980
[„Im Bann des Fluchträgers (Woran-Saga 1)“ 2350
[„Im Labyrinth der alten Könige (Woran-Saga 2)“ 2365
[„Im Reich des Glasvolks (Woran-Saga 3)“ 2369
[„Die Sturmrufer (Die Meerland-Chroniken 1)“ 4180
[„Der Bund der Wölfe“ 2380
[„Die Rückkehr der Zehnten“ 2381
[„Der Spiegel der Königin“ 3203
[„Der Maskenmörder von London“ 3983

http://www.ravensburger.de
http://www.ninablazon.de

Kornbichler, Sabine – Gefährliche Täuschung

Die eher trockene Volkswirtschaftslehre und die Belletristik haben auf den ersten Blick nicht viel gemein. Sabine Kornbichler verbindet die beiden Ungleichen allerdings, denn die studierte Volkswirtin arbeitet mittlerweile als Autorin. Dabei geht es alles andere als wirtschaftlich zu: „Gefährliche Täuschung“ ist ein Thriller im Chiemgau, der von Kornbichlers Studium nicht weiter entfernt sein könnte.

Die Kinderbuchillustratorin Emma wird während einer Fahrradtour von einem Unbekannten niedergeschlagen und entführt. Fünf Tage hält er sie in einer Hütte im Wald fest und behauptet, dass Laurenz, Emmas Mann, die Geldübergabe herauszögern und Emma nicht wirklich lieben würde. Als er sie endlich freilässt, haben die bangen Stunden selbstverständlich Spuren hinterlassen. Emma ist schreckhaft und anfangs sehr misstrauisch gegenüber ihrem Mann. Sie sieht überall Gespenster und ist dem Entführer, der ihr nur maskiert gegenübergetreten war, so dankbar, dass er sie freigelassen hat, dass sie ihn noch nicht mal anzeigen möchte.

Doch dieses Verhalten wird ihr zum Verhängnis, denn auf einmal wird sie nicht mehr als Zeugin, sondern als Beschuldigte vernommen. Mit ihrer Kreditkarte ist ein Flug gebucht und ein Auto gemietet worden und Zeugen haben geschildert, dass die Person, die dies tat, Emma war. Emma ist verzweifelt. Wie soll sie entführt in einer Holzhütte liegen und gleichzeitig ein Auto mieten? Es muss eine Person geben, die ihr ähnlich sieht. Emma macht sich selbst auf die Suche, doch diese erweist sich als nicht besonders einfach …

„Gefährliche Täuschung“ erinnert stark an die Romane von Petra Hammesfahr. Im Mittelpunkt steht eine starke, aber gleichzeitig verletzliche Frau, der Unrecht angetan wird und die dagegen ankämpft. In diesem Fall heißt sie Emma. Leider unterscheidet sie sich nicht merklich von anderen derartigen Frauenfiguren. Sie versteht sich gut mit ihren Eltern, führt eine funktionierende Ehe und hat in Verena eine beste Freundin gefunden. Ihre Charakterzüge weisen nur wenig Originelles auf. Allerdings kann man Kornbichler nicht vorhalten, sie hätte ihre Figuren nicht gut gezeichnet. Alle Personen sind gut ausgearbeitet und wirken wie Menschen, die jeder in seinem Freundeskreis hat. Sie passen in die Geschichte, aber sie tragen nur wenig Interessantes dazu bei. Dafür wirken sie einfach zu normal.

Ähnliches gilt für die Handlung, die solide Spannung aufbaut, mehr aber leider auch nicht. Kornbichlers Geschichte ist sauber konstruiert und hat die eine oder andere überraschende Wendung zu bieten. Dennoch bleibt sie in der Spur und begibt sich nur selten in wirklich reißerische Gefilde. So widersprüchlich es klingt, aber „Gefährliche Täuschung“ lässt sich tatsächlich als ruhiger Thriller etikettieren. Es passiert nichts Außerordentliches, nichts Gefährliches, aber trotzdem ist die Geschichte stimmig und regt zum Nachdenken an. Der Leser stellt nämlich genau wie Emma fest, wie ambivalent ihre Situation doch ist. Was sie als Indiz für ihre Entführung ansieht, wird durch die Kripo ganz einfach umgedreht und gegen sie verwendet. Es ist erschreckend, wie dem Kriminalfall, der für den Leser, der Emma während der Entführung begleitet hat, klar zu sein scheint, die Basis so einfach entzogen werden kann.

Mit dem Schreibstil verhält es sich ähnlich wie mit Personen und Handlungen: Auch er ragt nicht durch besondere rhetorische Stilmittel oder wiederkehrende Eigenschaften heraus. Kornbichler erzählt flüssig und dicht. Es gibt kaum unnötige Sätze, alles ist zweckmäßig darauf ausgerichtet, die Handlung zu transportieren. Die Autorin schafft es außerdem, die Ich-Erzählerin Emma vor dem Auge des Lesers lebendig werden zu lassen, auch wenn sie wegen der Figurenzeichnung etwas eindimensional wirkt.

Wägt man das Positive gegen das Negative ab, ist „Gefährliche Täuschung“ ein recht solider Thriller, der vor allem Leute anspricht, denen eine Frauenfigur als Hauptperson wichtiger ist als eine hochspannende Handlung. Mit Letzterem kann Kornbichlers Roman nämlich nicht unbedingt dienen. Es geht sehr ruhig zu in dem Buch, auch wenn Emmas Suche ihre Höhepunkte hat. Das wird dem einen gefallen, dem anderen vielleicht nicht. „Gefährliche Täuschung“ ist demnach Geschmackssache.

http://www.knaur.de
http://www.sabine-kornbichler.de

_Sabine Kornbichler bei |Buchwurm.info|:_
[„Annas Entscheidung“ 2549
[„Im Angesicht der Schuld“ 2561
[„Der gestohlene Engel“ 4680

Niven, John – Kill Your Friends

Dass die Musikbranche nicht unbedingt das Paradies auf Erden ist, sollte jeder wissen, der sich ein wenig intensiver mit dem ‚Business‘ auseinandersetzt. Viele Künstler verlieren trotz treuer Fangemeinde ihre Plattenverträge, weil sie nicht genug verkaufen. Nicht immer ist dabei der Künstler selbst schuld. Häufig liegt der Fehler in der Promotionabteilung, die das Produkt nicht entsprechend in der Medien- oder Clubwelt platzieren konnte. Miese Verkaufszahlen sind aber nicht nur für die SängerInnen oder Gruppen gefährlich. So genannte |A & R|-Leute, die für das Auffinden neuer Musikacts oder Trends zuständig sind, dürfen sich nicht zu viele Fehltritte, sprich gescheiterte Projekte leisten, wenn sie nicht vor die Tür gesetzt werden wollen.

John Niven hat als |A & R|-Manager gearbeitet. Er weiß also, worüber er in „Kill Your Friends“ schreibt, auch wenn zu hoffen ist, dass die Erlebnisse von Protagonist Steven Stelfox so wenig biografische Züge wie möglich tragen. Stelfox ist nämlich nicht unbedingt ein Sympathieträger. Er ist drogenabhängig, misanthrop, und wenn es um die Karriere geht, greift er auch einmal zu unsauberen Mitteln. Die Bezeichnung ‚Arschloch‘ ist vermutlich noch milde für den |A & R|-Manager einer großen Plattenfirma, der nur wenige wirkliche Erfolge in letzter Zeit verbuchen konnte. Im Gegenteil hat er solche Rohrkrepierer unter Vertrag genommen wie beispielsweise den schwarzen Drum-’n‘-Base-Produzenten Rage, der Unmengen von Vorschüssen verschlingt, aber entweder gar nichts oder nur schlechte Musik abliefert. Ohne Frage braucht Steven mal wieder einen Hit, doch zwischen all den Orgien, die er mit seinen Kollegen in England, Nizza oder Amerika feiert, bleiben ihm nur wenige klare Minuten, die zudem häufig für die Konkurrenzkämpfe mit anderen |A & R|s draufgehen. Als Kollegen, die der Egozentriker als Loser wahrnimmt, karrieretechnisch an ihm vorbeiziehen, während seine eigene Laufbahn den Bach hinuntergeht, greift Steven zu radikalen Mitteln …

Die Taschenbuchreihe |Heyne Hardcore| hat es sich auf die Fahnen geschrieben, Literatur, die nicht unbedingt brav ist, eine Heimat zu geben. „Kill Your Friends“ ist dementsprechend nichts für Zartbesaitete. Niven beschönigt nichts und macht sich noch nicht mal die Mühe, einen moralisch integeren Protagonisten zu entwerfen. Steven Stelfox, der aus der Ich-Perspektive erzählt, ist boshaft, zynisch und nimmt kein Blatt vor den Mund. Er lästert schamlos über seine Kollegen, über Frauen im Allgemeinen und all die Indiebands, die von den |A & R|-Managern tagtäglich hinters Licht geführt werden. Er bemerkt dabei nicht, dass er nach den zahllosen Drogen- und Alkoholexzessen ein ziemliches Wrack ist, doch der Autor schafft es, die Verzweiflung des jungen Mannes zwischen den Zeilen zu transportieren. Der Leser sieht folglich recht gut, was in Wirklichkeit passiert, während Stelfox weiterhin seiner hedonistischen Illusionen aufsitzt.

In diesem Zusammenhang spielt der Schreibstil eine wichtige Rolle, denn er muss auf der einen Seite Steven so authentisch wie möglich darstellen und auf der anderen seine Verzweiflung durchschimmern lassen. John Niven meistert dies grandios. Bereits nach wenigen Zeilen fühlt man sich als Leser so, als ob man Stelfox schon sehr lange kennen würde – vielleicht nicht unbedingt persönlich, aber als Romanfigur. Der flüssige Schreibstil mit Wiedererkennungswert korrespondiert gut mit Stelfox‘ Gedankenwelt und bietet eine durchaus interessante Sichtweise auf das Leben. Diese ist selten politisch korrekt. Zugegeben sind einige der Erniedrigungen und Bezeichnungen für Frauen oder Ausländer ziemlich grenzwertig. Der kalte, abschätzige Erzählstil hebt sich aber nicht nur dadurch hervor, sexuelle Kontakte mit möglichst kreativen Begriffen zu umschreiben oder eine möglichst hohe Anzahl von Fäkalausdrucken auf jeder Seite vorzuweisen. Des Weiteren kann Niven auch mit seinem Wortschatz, der eben nicht nur aus ordinären Begriffen besteht, und seinen gelungenen Bildern und Metaphern glänzen. Es bleibt zotig, aber Niven vergisst darüber nicht, wie man ein gutes, eindringliches Buch schreibt.

Wenn ein Roman derart auf eine Hauptperson und ihre Gedankenwelt fixiert ist, hat die Handlung es häufig schwer. Das gilt auch für „Kill Your Friends“. Man darf keinen von vorne bis hinten durchkonstruierten Plot erwarten. Gerade am Anfang wird viel Nebensächliches erzählt, und manch einer wird gerade die detaillierten Beschreibungen von Stelfox‘ Exzessen etwas überzogen finden. Niven gelingt es allerdings trotzdem, Substanz in seine Geschichte zu bringen. Er übertreibt es nicht, die unehrliche und selten erfolgreiche Arbeit des |A & R| Steven Stelfox in aller Länge und Breite zu schildern, da es ihm nicht um ein Konterfei der Musikindustrie zu gehen scheint. Stattdessen bringt er auf halber Strecke tatsächlich noch etwas wie eine ‚echte‘ Handlung unter, die sich trotz gegenläufiger Erwartungen als solide und passend herausstellt.

Für Freunde der etwas derberen Unterhaltung ist „Kill Your Friends“ eine gute Adresse. Das Buch vereint einen hassenswerten Protagonisten mit Wortwitz, Zynismus und Boshaftigkeit und überzeugt auch handwerklich auf ganzer Linie. Der Schreibstil, so politisch unkorrekt er auch anmutet, ist für Leute, die derartige Bücher gerne lesen, ein Fest.

http://www.heyne-hardcore.de

Jonquet, Thierry – Haut, in der ich wohne; Die

Man nehme drei Personen, die anscheinend nichts miteinander zu tun haben, mische das Ganze mit Ereignissen aus Gegenwart und Vergangenheit und heraus kommen einige spannende Stunden Lektüre. Genau das hat der Franzose Thierry Jonquet in seinem Roman „Die Haut, in der ich wohne“ getan. Auf dem Klappentext wird nicht nur die Verfilmung von Pedro Almodóvar mit Penelope Cruz und Antonio Banderas angepriesen, sondern auch auf die außerordentliche Spannung des Buches hingewiesen. Anfangs irritiert das ein wenig, denn das Buch ist eher ein Büchlein. Mit nur 141 Seiten ist es nämlich nicht unbedingt umfangreich. Wie man bei der Lektüre schnell merkt, ist es aber nicht immer nur die Länge eines Buches, die über seine Qualität entscheidet.

„Die Haut, in der ich wohne“ hat einen beinahe kammerspielhaften Charakter. Nur wenige Personen treten auf. Genauer gesagt sind es drei, die sich dem Leser in drei Perspektiven präsentieren. Auffällig ist dabei, dass man zuerst keinen Zusammenhang zwischen dem flüchtigen Bankräuber Alex, dem Schönheitschirurgen Lafargue und der namenlosen Person herstellen kann. Sie scheinen sich nicht zu kennen und ihre Wege führen in scheinbar unterschiedliche Richtungen. Alex überlegt fieberhaft, wie er sich nach dem Bankraub der Verfolgung durch die Polizei entziehen soll. Aus Versehen hat er dabei nämlich einen Mann – und dann auch noch einen Polizisten – erschossen. Bis jetzt hat er sich verstecken können, aber wie soll es weitergehen? Und was soll er mit der Beute machen, ohne mit dem gestohlenen Bargeld aufzufallen?

Der Schönheitschirurg Lafargue hat ganz andere Probleme. Anfangs ist er dem Leser ein Rätsel. Ist er vielleicht nur ein alter Perverser, der sich daran aufgeilt, eine junge Frau zur Prostitution zu zwingen und ihr dabei durch ein verspiegeltes Fenster zuzusehen? Mysteriös ist, dass er Ève in seiner großen Villa einsperrt, ihr ansonsten aber ein sehr großzügiges Leben ermöglicht. Und auch die junge Frau scheint nicht ganz unzufrieden mit dem Arrangement, auch wenn sie Lafargue immer wieder sabotiert. Was steckt hinter dem Paar? Wie ist seine Vorgeschichte? Und wie lässt sich dieses komische Pärchen mit Alex und dem anonymen, dritten Charakter, der aus einer unheimlichen Gefangenschaft heraus erzählt, verbinden?

Jonquet schafft es auf grandiose Art, diese unterschiedlichen Menschen zusammenzuführen. Überraschend ist dabei vor allem, dass ihm dies auf eine glaubwürdige und spannende Weise gelingt. Das ist schließlich nicht selbstverständlich bei Geschichten mit diesem Aufbau, doch der Franzose meistert diese Hürde souverän. Ihm gelingt eine bemerkenswerte Erzählung, die mehr als eine überraschende Wendung nimmt und den Leser wortwörtlich in Atem hält. Daneben muss man Jonquets Fähigkeit zum Geschichtenspinnen einfach bewundern. Geradezu virtuos lässt er die verschiedenen Charaktere, ihre Perspektiven, die Gegenwart und Vergangenheit ineinander übergehen, und er benötigt noch nicht mal viele Seiten, um dies zu tun. Er verzichtet auf nebensächliche Handlungen, alles scheint auf das grandiose Ende ausgerichtet, und trotz dieser deutlichen Konstruiertheit pulsiert die Geschichte vor Leben und wirkt – trotz ihrer Skurrilität – authentisch.

Dazu trägt sicherlich der düstere Ton der Geschichte bei, der das Hauptaugenmerk auf die dunkle Seite der Charaktere legt und für beklemmende Gefühle sorgt. Der Tonfall wird von einer teilweise poetischen, stimmigen Sprache transportiert. Jonquet benutzt viele Beschreibungen von Schauplätzen, aber auch Gefühlen oder körperlichen Zuständen, um dem Leser in knappen, aber ausdrucksstarken Worten ein plastisches Bild zu vermitteln. Besonders gut gelingt ihm dies bei der Perspektive, die durch ein kursives Schriftbild hervorgehoben wird. Dabei wird nicht aus der Perspektive der ersten oder dritten Person geschrieben, sondern der Erzähler spricht den lange Zeit anonym bleibenden Charakter mit einem persönlichen „Du“ an und erzählt ihm quasi, was er gerade erlebt. Dadurch wird diese Person nicht nur sehr stark hervorgehoben, sondern auch eine sehr eindringliche und interessante Schilderung der bizarren Situation und der Gefühle ermöglicht.

Die Figuren, auf denen eine Menge Aufmerksamkeit ruht, sind stark am Schreibstil ausgerichtet. Da ihre Gefühle und Gedanken darüber transportiert werden, lernt der Leser sie durch die eindringlichen und gleichzeitig nüchternen Worte sehr gut kennen. Sie scheinen perfekt ausgelotet und sind dabei alles andere als die netten Nachbarn von nebenan. Ihr auf den ersten Blick abstrus wirkendes Handeln wird durch Emotionen geleitet, die Jonquet realistisch darstellt. Die Personen werden dadurch sehr tiefgängig, und auch wenn der Leser kaum etwas mit ihnen gemeinsam hat, kann er sich mit ihren Schmerzen und Problemen in gewissem Maß identifizieren.

Thierry Jonquets „Die Haut, in der ich wohne“ stellt sich letztendlich als ein sehr interessantes, spannendes und großartig geschriebenes Büchlein heraus. Der Franzose holt aus einer geringen Anzahl von Schauplätzen, Personen und Ereignissen das Beste heraus. Ganz wie der französische Originaltitel „Mygale“ (dt.: Vogelspinne) andeutet, webt er ein dichtes Netz, bestehend aus einer klaren Sprache, überraschenden Handlungselementen und düsteren Charakteren, das den anspruchsvolleren Leser sicher einwickeln wird.

_Thierry Jonquet bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Unsterblichen“ 930

http://www.hoca.de

Nancy Farmer – Drachenmeer

„Drachenmeer“ – der deutsche Titel von Nancy Farmers Fantasyroman „The Sea of Trolls“ ist irreführend. Drachen spielen nämlich eine eher untergeordnete Rolle in dem Buch, und sie weisen auch keinerlei intelligente Züge auf. Sie können nicht reden, und geritten werden sie auch nicht. Vielmehr stellen sie ein Hindernis für den zwölfjährigen Jack dar, der sich auf eine gefährliche und manchmal sehr witzige Reise begibt, um seine kleine Schwester Lucy aus den Fängen der bösen Bergkönigin Frith zu befreien.

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Melzer, Brigitte – Elyria – Im Visier der Hexenjäger

Mit Fantasy verbindet der Durchschnittsleser normalerweise eine unendliche Vorstellungskraft des Autors: Die Welt, in der die Geschichte spielt, unterscheidet sich deutlich von der unsrigen, ist von Fantasiewesen bevölkert und die Helden besitzen magische Kräfte. Brigitte Melzer zeigt mit „Elyria – Im Visier der Hexenjäger“, dass es auch anders geht.

Ihre Geschichte um die achtzehnjährige Gauklerin Elyria findet vor einer erfundenen Kulisse statt, die allerdings stark an die Zeit der Inquisition im Mittelalter angelehnt ist. Elyria entdeckt eines Tages ein heiliges Amulett auf dem Rastplatz ihrer Gauklertruppe und möchte es zurück an seinen Platz bringen. Dort beschuldigt man sie des Diebstahls und nimmt sie fest. Der Hexenjäger Peristae hält sie allerdings noch aus einem anderen Grund fest: Er glaubt, sie sei das Mädchen mit den goldenen Augen aus einer uralten Prophezeiung, die besagt, dass eben jenes Mädchen Unheil über die Welt bringen wird. Er foltert sie, damit sie gesteht, eine Hexe zu sein, doch aus ihrem Mund kommt kein verräterisches Wort. Warum auch? Sie ist sich schließlich ziemlich sicher, über keinerlei magische Kräfte zu verfügen.

Dies ändert sich, als sie zufällig dem angesehenen Soldaten Ardan über den Weg läuft. Ardan beherrscht einige magische Künste, die er aber wohlweislich versteckt hält, denn die Hexenkunst wird verfolgt. Als die beiden sich aus Versehen berühren, wird Ardans Kraft auf Elyria übertragen. Das junge Mädchen merkt zuerst gar nicht, was mit ihr los ist, und kann diese neue Gabe, die sich zumeist in unkontrollierbaren Feuerstößen oder Druckwellen äußert, nicht beherrschen. Das verhilft ihr zur Flucht aus Peristaes Gemächern und macht sie zu einer Gejagten. Gut, dass sie Ardan, der seine Magie unbedingt wiederhaben will, und einen weiteren königlichen Gefolgsmann, Crean, an ihrer Seite hat. Gemeinsam fliehen sie vor Peristae und seinen Häschern. Allerdings stellen sie sehr bald fest, dass sie noch mehr Feinde haben: Der schwarze König, ein Dämon, der eigentlich längst erledigt sein sollte, begehrt nach Auferstehung, und dazu benötigt er das Mädchen mit den goldenen Augen …

Brigitte Melzer zieht den Leser in ihren Bann. Mit ihrem flüssigen und atmosphärischen Schreibstil erschafft sie einen guten Hintergrund für die simple Handlung und die zwischenmenschlichen Konflikte, die sie angenehm kitschfrei abwickelt. Elyrias Geschichte bezieht ihre Intensität dabei weniger aus möglichst hoher Originalität, sondern vielmehr aus dem guten und sicheren Schreibstil, der sich einfach lesen lässt und fesselt. Es fällt dabei auf, dass die Fantasiewelt, die in anderen Büchern häufig die Hauptrolle spielt, mehr Mittel zum Zweck ist. „Elyria – Im Visier der Hexenjäger“ ist mehr Roman als Fantasygeschichte und ufert nicht in ellenlangen Beschreibungen der Schauplätze aus. Das ist in diesem Fall sehr angenehm und sicherlich einer der Hauptfaktoren, wieso dieses Buch so fesselt.

Die Handlung hat es bei so viel Erzählkraft ein wenig schwer. Obwohl gut konstruiert und durchaus spannend, fehlt es ihr hin und wieder an Besonderheit. Die Reise, die Elyria und ihre Begleiter unternehmen, wirkt vorhersehbar, und obwohl sie Action und Handlungsentwicklung aufweist, mangelt es an überraschenden Wendungen. Für den Hintergrund kann Melzer allerdings wieder einen Punkt für sich verbuchen. In einem kurzen Prolog werden die historischen Geschehnisse erklärt, und sie erweisen sich als stichhaltig und interessant. Es ist fast ein bisschen schade, dass Melzer nicht mehr politische, religiöse oder soziale Punkte in ihre Geschichte einfließen lässt.

Die Charaktere sind dagegen gut ausgearbeitet. Es fällt auf, dass die Autorin viele Erlebnisse und Eigenschaften einflicht, die man sonst eher in ‚modernen‘ Büchern erwartet hätte, wie zum Beispiel Eheprobleme. Das hilft dem heutigen Leser, einen Bezug zu den Figuren herzustellen. Elyria und Co. wirken dabei sehr bodenständig. Sie sind normale Menschen, die um ihr Leben kämpfen, und keine magischen Helden. Einziger Wermutstropfen dabei ist Elyria. Sie wirkt manchmal ein wenig einseitig, als ob es ihre einzige Aufgabe wäre, sich von den anderen beschützen zu lassen und aufgrund des Einsatzes ihrer magischen Kräfte erschöpft zu sein. Nun kann man sicherlich einwenden, dass sie einfach eine Art Anti-Heldin ist, doch hätte ihr die eine oder andere Stärke gutgetan.

Insgesamt besticht „Elyria – Im Visier der Hexenjäger“, das in der „Meister der Fantasy“-Reihe erscheint, mehr durch die Erzählweise als durch die Handlung. Das klingt jetzt vielleicht negativer, als es eigentlich ist: Brigitte Melzer hat ein tolles, mittelalterlich angehauchtes Buch geschrieben, das den Leser fesselt, aber durchaus etwas mehr Originalität hätte vertragen können. Dennoch ist es eine Empfehlung für all jene, die es gerne etwas bodenständiger und qualitativ hochwertig mögen.

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Brandis, Katja – Feuerblüte – Das Mond-Orakel (Band 3)

Katja Brandis‘ Fantasytrilogie um Feuerblüte, wie die junge Schwertkämpferin Alena genannt wird, ist nicht unbedingt vielversprechend im [ersten Band 2876 gestartet, konnte sich im zweiten allerdings steigern. Nun liegt das Finale mit dem Titel „Feuerblüte – Das Mond-Orakel“ vor, und als Leser stellt man sich die Frage, ob das 454 Seiten starke Werk nach den Fortschritten des zweiten Bandes einen krönenden Abschluss der Reihe bieten wird oder ob es die gesamte Trilogie vernichtet.

Alena, die junge Schwertkämpferin, hat sich in Jorak verliebt, doch ihre Liebe scheint keine Zukunft zu haben, da Jorak ein Gildenloser ist. In Daresh, der Welt, die Katja Brandis sich für ihre Geschichten ausgedacht hat, ist ein Mensch nur dann etwas, wenn er einer der vier Gilden – Feuer, Wasser, Erde oder Luft – durch Geburt angehört. Wer Eltern verschiedener Gilden hat oder aus seiner Gilde ausgestoßen wurde, muss ohne das Recht, legal arbeiten zu dürfen, und in Armut in der farbenprächtigen Welt leben. Jorak hat das Pech, dass seine Mutter zur Luft-Gilde und sein Vater zur Feuer-Gilde gehört, und trotz seiner Versuche, in eine der beiden Gilden aufgenommen zu werden, hatte er bislang kein Glück.

Nachdem er mit Alena ein Abenteuer erlebt hat, das ihm die Anerkennung durch die Regentin verschafft hat, möchte er bei den Gilden noch einmal um Aufnahme bitten. Tatsächlich lässt man ihn vor den Rat der Gilden treten, doch an seine Aufnahme ist eine Bedingung gekoppelt: Er muss sich zwei unlösbaren Aufgaben stellen. Jorak nimmt die Aufgaben auf sich, um endlich in aller Öffentlichkeit mit Alena zusammen sein zu dürfen. Selbstverständlich kann er dabei auf die Hilfe seiner Freunde zählen, aber er und Alena ahnen nicht, dass sie sabotiert werden.

Währenddessen macht sich Rena, eine alte Freundin von Alenas verstorbener Mutter, auf, um zu erkunden, was das mysteriöse Mond-Orakel ist. Es handelt sich dabei um drei seltsame Kinder, welche die Zukunft vorhersagen können und von deren Prophezeiungen sich der Rat der Gilden abhängig gemacht hat. Rena ahnt, dass dies nicht unbedingt das Beste für das Land bedeutet, und schmuggelt sich als Heilerin in den Tempel des Orakels, wo sie erschreckende Entdeckungen macht …

Katja Brandis schmiedet einen sehr vielschichtigen, spannenden und wendungsreichen Plot, den sie in der dieses Mal sehr gelungen präsentierten atmosphärischen Welt von Daresh ansiedelt. Durch die Menge an Schauplätzen wird das Buch sehr bunt und lebendig aufbereitet. Außerdem treten viele neue und interessante Charaktere auf, und die Beschreibungen der Besonderheiten von Daresh sind anschaulich und abwechslungsreich gestaltet. Vor dieser Kulisse entwickelt die Autorin eine Handlung, die flott vorangeht und immer wieder durch unvorhergesehene Ereignisse überrascht. Es gibt kaum Längen, was die Spannung konstant hält, und die verschiedenen, anfangs unabhängig voneinander wirkenden Erzählstränge sorgen dafür, dass der Leser umso mehr rätselt. Er fragt sich nicht nur, ob die einzelnen Stränge irgendwann (und vor allem wie) zusammengeführt werden, sondern auch, wie es im Einzelnen weitergeht.

Die Personen tragen eine Menge dazu bei, dass „Feuerblüte – Das Mond-Orakel“ zu solch einem Lesegenuss wird. Innerhalb der zwei vorhergehenden Bände sind sie gereift. Aus den zumeist jugendlichen Protagonisten sind Erwachsene geworden, die sich mit einer Menge Probleme herumschlagen müssen. Die Charaktere, allen voran Alena, wirken sehr lebensnah und mehrdimensional. Brandis hat es geschafft, ihnen trotz des fantastischen Grundmotivs des Buches Charakterzüge und Probleme zu verpassen, mit denen sich der normale Leser identifizieren kann. Die Figurenzeichnung geht dabei teilweise sogar über das hinaus, was in der Fantasy normalerweise üblich ist, denn trotz des Happy-Ends wird vorher eine Menge schmutziger Wäsche gewaschen.

Der Schreibstil, in den Vorgängerbänden kritisiert, ist dieses Mal durchaus gelungen. Nach wie vor ist er mehr Mittel zum Zweck als Träger von Originalität. Allerdings entwickelt Brandis in „Feuerblüte – Das Mond-Orakel“ eine geradezu epische Erzählkraft, die bei dem Umfang des Romans auch vonnöten ist. Brandis schreibt spannend, dicht, mit einem sicheren Händchen bei der Wortwahl und ohne Ermüdungserscheinungen trotz der Länge der Geschichte.

Um auf die Fragestellung in der Einleitung zurückzukommen, ist der abschließende Band der Trilogie um Feuerblüte eine runde Sache. Die Handlung birgt enormes Erzählpotenzial, die Personen wirken ausgeglichen und gut durchdacht, der Schreibstil unterstreicht die Qualität der Handlung – Katja Brandis hat sich im Laufe der Zeit gesteigert und legt mit „Feuerblüte – Das Mond-Orakel“ ihr bislang bestes Buch vor.

Willkommen

_Katja Brandis bei |Buchwurm.info|:_
[„Feuerblüte“ 2876
[„Feuerblüte – Im Reich der Wolkentrinker“ 2887
[„Der Verrat der Feuergilde (Kampf um Daresh 1)“ 2909
[„Der Prophet des Phönix (Kampf um Daresh 2)“ 2931
[„Der Ruf des Smaragdgartens (Kampf um Daresh 3)“ 2964

Westerfeld, Scott – Pretty – Erkenne dein Gesicht

Band 1: [„Ugly – Verlier nicht dein Gesicht“ 4650 (April 2007)
Band 2: „Pretty – Erkenne dein Gesicht“ (September 2007)
Band 3: „Special – Zeig dein wahres Gesicht“ (Mai 2008)
Band 4: „Extras“ (noch kein dt. Titel, Originalausgabe Oktober 2007)

Der Schönheitswahn geht weiter: Nachdem Tally Youngblood aus [„Ugly“, 4650 dem ersten Band der mittlerweile zur Quadrologie ausgewachsenen Science-Fiction-Geschichte von Scott Westerfeld, sich dazu entschieden hat, sich der Schönheitsoperation zu unterziehen, lebt sie nun in New Pretty Town, wo die meiste Zeit gefeiert und getrunken wird. Alltagssorgen kennt man hier nicht. Solche Probleme haben die Jugendlichen zusammen mit ihrer ehemals hässlichen Hülle zurückgelassen. Das Leben als Pretty könnte so einfach sein, doch Tally hat das Gefühl, dass sie verfolgt wird – von ihrer Vergangenheit.

Auf einer Kostümparty verfestigt sich dieses Gefühl. Tally versucht, die Pretties mit ihrer ‚kriminellen‘ Vergangenheit zu beeindrucken und dadurch Zutritt zu den Krims, einer elitären Pretty-Clique, zu erhalten. Ihre Chancen stehen gut, immerhin hat sie einen Ruf als Ausbrecherin, der sie sogar mit den gefährlichen Specials, der im Verborgenen arbeitenden Polizei von New Pretty Town, in Kontakt gebracht hat. Nicht viele haben von diesem Vorfall erfahren, doch der mysteriöse Junge auf der Party, der sich als Special verkleidet hat und ständig in Tallys Blickfeld gerät, scheint es zu wissen. Tally fühlt sich verfolgt und beschließt, den Jungen zu stellen.

Als er seine Maske entfernt, erkennt sie Croy, einen Ugly aus ihrem früheren Leben, der sich der Operation entzogen hat und nun mit einer Gruppe weiterer Abtrünniger versteckt außerhalb der Stadt lebt. Die beiden werden von einem Kommando der Specials gestört, doch später lässt Croy Tally eine Nachricht zukommen, und als sie den Hinweisen darin folgt, findet sie heraus, dass die Schönheitsoperationen nicht nur die Körper der Menschen verändern, sondern auch ihr Gehirn. Dies alles hatte sie während ihrer Zeit bei den Abtrünnigen herausgefunden, nach der Operation aber vergessen. Allerdings gibt es ein Heilmittel gegen die Gehirnveränderungen, das Croy ihr zukommen lässt. Nun ist es an Tally, New Pretty Town zu verlassen und sich den Abtrünnigen erneut anzuschließen. Doch die Specials sind wachsam. Sie haben Tally im Auge. Gut, dass ihr Freund Zane, der Anführer der Krims, der ein waches Interesse an ihrer rebellischen Vergangenheit zeigt, ihr zur Seite steht …

„Pretty – Erkenne dein Gesicht“ setzt genau da an, wo der Vorgängerband aufgehört hat. Ohne großartige Erklärungen steigt der Autor Scott Westerfeld in die Geschichte ein. Eines hat sich allerdings geändert: Tally ist nun eine Pretty. Das bedeutet nicht nur ein Leben voller Spaß und Nichtstun, sondern auch eine andere Persönlichkeit. Dies drückt der Autor dadurch aus, dass er Tally und ihren schönen Freunden besonderes Vokabular in den Mund legt. In New Pretty Town dreht sich dementsprechend alles darum, ob etwas „Pfusch“, also schlecht ist oder „prickelnd“. Für die Pretties gibt es nichts Besseres, als prickelnd zu sein, was man am besten durch Feiern und das gegenseitige Übertrumpfen bei der Kostümierung erreichen kann.

Die Oberflächlichkeit dieser Welt weiß Westerfeld sehr plastisch darzustellen. Dank Tally, die das Ganze auf eine leise Art und Weise in Frage stellt – so weit ihre Pretty-Persönlichkeit es zulässt -, kann der Leser einen Blick hinter die Kulissen werfen, so dass New Pretty Town eben nicht nur aus der schönen Perspektive geschildert wird. Während man im ersten Band kritisieren konnte, dass die Schauplätze teilweise etwas unscharf dargestellt waren, so scheint Westerfeld in New Pretty Town etwas sicherer zu sein. Als Tally die Stadt allerdings verlässt, verlässt sie auch das sichere Gebiet. Nicht alles, was sie in der Wildnis erlebt, wirkt plausibel. Manches ist zu sehr auf Kritik an den Zuständen ausgerichtet, anderes passt einfach nicht in die Geschichte, da es zu abwegig wirkt. Insgesamt hat diese Reise auch nicht wirklich viel mit dem eigentlichen Kern der Handlung zu tun. Diese Abschweifungen kosten die Geschichte einiges an Spannung.

Dabei zieht die Handlung am Ende noch einmal richtig an, wenn Tally erneut auf die Abtrünnigen trifft. Hier kommen Spannung, Abenteuer, zwischenmenschliche Reibereien und eine Menge offene Fragen zu einem grandiosen Finale zusammen. Den ersten Teil von Tallys Reise kann man inhaltlich mehr oder weniger unbeschadet überspringen, weshalb es schade ist, dass er überhaupt in dieser Länge Eingang in die Geschichte gefunden hat.

Tally Youngblood bleibt trotz ihrer Operation eine Sympathieträgerin. Obwohl sich ihre Persönlichkeit eigentlich verändert haben sollte, merkt sie, dass das Leben in New Pretty Town nicht alles sein kann, und wehrt sich dagegen. Sie wird dabei als Rebellin aus Verzweiflung gezeichnet, da sie nie offen gegen das System vorgeht. Dadurch hat sie aber nicht unbedingt weniger Biss, sondern wirkt sehr menschlich. Sie besitzt Schwächen und Fehler, nicht jeder mag sie, sie wirkt authentisch, und obwohl die Geschichte in einer nicht näher datierten Zukunft spielt, kann man sich auch aus heutiger Sicht mit ihr identifizieren.

In der Summe hat Scott Westerfeld ein zugängliches Jugendbuch mit einer ansprechenden Hauptfigur und einer nicht immer spannenden Handlung geschrieben. Seine Kritik am gängigen Schönheitswahn fällt angenehm differenziert aus und wird nicht übertrieben, ist aber trotzdem klar erkennbar. Dass das Buch letztendlich nicht überdurchschnittlich gut geworden ist, hängt mit den Längen in der Handlung zusammen und damit, dass es zwar junge Leser anspricht, aber, anders als beispielsweise ein Harry Potter, kaum Eindruck auf ältere Leser macht.

|Übersetzt von Gabriele Haefs
Empfohlen ab 12 Jahren
396 Seiten, Klappenbroschur|
http://www.carlsen.de
[Verlagsseite zur Serie]http://www.carlsen.de/web/jugendbuch/ugly__pretty__special
http://scottwesterfeld.com/

|Siehe ergänzend dazu auch unsere [Rezension 3307 zu Westerfelds Science-Fiction-Epos „Weltensturm“.|

Westerfeld, Scott – Ugly – Verlier nicht dein Gesicht

Band 1: „Ugly – Verlier nicht dein Gesicht“ (April 2007)
Band 2: „Pretty – Erkenne dein Gesicht“ (September 2007)
Band 3: „Special – Zeig dein wahres Gesicht“ (Mai 2008)
Band 4: „Extras“ (noch kein dt. Titel, Originalausgabe Oktober 2007)

Die Pubertät ist keine einfache Phase. Es verändert sich nicht nur der Körper an und für sich, sondern auch das Selbstbild. Man findet sich zu hässlich, zu dick, zu dünn … Die Palette der pubertären Selbstvorwürfe ist endlos. Der amerikanische Autor Scott Westerfeld hat eine Jugendbuchserie geschrieben, die genau diese Problematik aufgreift. Allerdings benutzt er an keiner Stelle den Begriff „Pubertät“. Stattdessen hat er eine Science-Fiction-Welt erschaffen, die den radikalen Weg wählt: Zum sechzehnten Geburtstag sorgt eine obligatorische, rundumerneuernde Schönheitsoperation dafür, dass sämtliche Probleme mit dem eigenen Aussehen von einem Tag auf den anderen verschwinden.

Doch bevor es so weit kommt, leben die Menschen in dieser Welt als Uglies, also „Hässliche“, in einem separaten Stadtteil. Erst nach der Operation, die sie an den geltenden Schönheitsstandard angleichen soll, dürfen die jungen Menschen in New Pretty Town leben, wo die ganze Zeit nur gefeiert und getrunken wird. Tally Youngblood steht kurz vor ihrem langersehnten sechzehnten Geburtstag, doch die Zeit bis dahin möchte nicht so recht vergehen. Ihr bester Freund Peris wurde bereits operiert und lebt nun auf der anderen Seite des Flusses, bei den Schönen.

Tally langweilt sich, doch eines Tages trifft sie Shay, die es, genau wie Tally, liebt, nachts verbotenerweise durch die Gegend zu streifen. Gemeinsam verlassen sie immer öfter die Stadt und fliegen auf ihren Hubbrettern in die Wildnis, vor der man Tally immer gewarnt hat. Dort gibt es nichts außer ein paar Industrieruinen der Rusties, wie man die heutige Menschheit in Tallys Welt nennt. Das dachte Tally jedenfalls, denn Shay erzählt ihr von Menschen, genauer gesagt von Uglies, die in dieser Wildnis versteckt leben, weil sie sich bewusst gegen eine Schönheitsoperation entschieden haben.

Tally kann das gar nicht glauben, doch kurz bevor Shay und Tally operiert werden sollen, ist Shay verschwunden. Sie hat nur einen Zettel mit einer chiffrierten Wegbeschreibung dagelassen, der ihr zum Verhängnis wird. Die Specials – das Ordnungskommando der Stadt, eine eiskalte Elitetruppe – wollen, dass Tally Shay folgt und die Specials damit zu den Abtrünnigen führt. Tally möchte ihre Freundin nicht verraten, aber man stellt ihr ein Ultimatum: Entweder folgt sie Shays Anweisungen oder sie wird für immer eine Ugly bleiben. Tally muss sich entscheiden …

Westerfelds Idee, dass in weiter Zukunft nur noch die schönen als „richtige“ Menschen gelten, ist nicht neu, sondern häufiger Stoff für Science-Fiction-Bücher. Konsequent setzt er diese Idee auf einer jugendfreundlichen Ebene um, geht dabei aber leider nicht besonders in die Tiefe. Alles wirkt ein bisschen steril, obwohl gut erdacht und sauber konstruiert. Die Idee mit den Schönheitsoperationen und wie dieses Ereignis die Uglies beeinflusst, ist sehr interessant, doch manchmal fühlt man sich als erwachsener Leser ein bisschen unterfordert. Es wäre schön gewesen, wenn der Autor die Abgründe dieser Welt noch etwas deutlicher dargestellt hätte, denn letztendlich bekommt man nur einen sehr oberflächlichen Einblick in New Pretty Town oder Smoke, die Stadt der Ausreißer.

An der Geschichte selbst gibt es allerdings nichts zu meckern. Sie ist fesselnd erzählt und aufgebaut. Obwohl manchmal etwas unscharf umrissen, sind die Schauplätze interessant, und neben einer gehörigen Portion Abenteuer bieten auch die zwischenmenschlichen Beziehungen Spannendes. Routiniert webt Westerfeld Krisen und Konflikte ein, die immer wieder für Aufhänger sorgen. Neben einer Dreiecksgeschichte ist es vor allem Tallys Status als Spionin der Specials, der immer wieder für Gewissenskonflikte und Probleme sorgt.

Überhaupt ist Tally eine wunderbar ausgearbeitete Hauptperson. Sie erzählt aus der dritten Person, ist sehr zugänglich und lässt den Leser an ihrem Gefühlsleben und ihrer Gedankenwelt teilhaben. Obwohl das Buch in einer anderen Zeit spielt, können sich Jugendliche sicherlich mit Tally identifizieren, da ihre Probleme trotz ihres anderen Lebensstils den heutigen doch sehr ähnlich sind, allein schon ihre Klagen über ihr Ugly-Aussehen oder eben das Hin- und Hergerissensein zwischen Verrat, Freundschaft und Liebe. Diese Themen sind jugendbuchtypisch und werden angenehm kitschfrei und authentisch aufbereitet.

„Ugly – Verlier nicht dein Gesicht“ von Scott Westerfeld ist ein sauberer Auftakt seiner Serie um Tally Youngblood. An der einen oder anderen Stelle ist die Welt, die er entworfen hat, vielleicht ein wenig zu seicht geraten, aber die abenteuerliche Handlung in Verbindung mit der sympathischen und schicksalsgebeutelten Heldin sorgt für gute Unterhaltung, die allerdings stark auf Jugendliche zugeschnitten ist und nicht, wie derzeit andere phantastische Bücher für junge Leser, auch Erwachsene wirklich anspricht.

|Übersetzt von Gabriele Haefs
Empfohlen ab 12 Jahren
432 Seiten Klappenbroschur|
http://www.carlsen.de
[Verlagsspezial zur Serie]http://www.carlsen.de/web/jugendbuch/ugly__pretty__special
http://scottwesterfeld.com/

|Siehe ergänzend dazu auch unsere [Rezension 3307 zu Westerfelds Science-Fiction-Epos „Weltensturm“.

Anmerkung: Die „Trilogie“ ist mittlerweile zur Quadrologie geworden. Eine deutsche Veröffentlichung des vierten Bandes „Extras“ ist noch nicht angekündigt.|

Gardner, Lisa – Lauf, wenn du kannst

Der Aufbau-Verlag preist „Lauf, wenn du kannst“ der amerikanischen Autorin Lisa Gardner mit den Worten „Nie war Spannung weiblicher“ an. Doch was ist bitteschön „weibliche Spannung“? Es fällt schwer, sich etwas unter diesem Begriff vorzustellen. Allerdings ist das auch nicht unbedingt notwendig – viel interessanter ist doch erst mal die Frage, ob das Buch überhaupt spannend ist oder nicht.

Bobby Dodge ist Polizist und gehört außerdem einer Elitetruppe von Scharfschützen an, die zu Einsätzen mit Geiselnahmen gerufen wird. Eine solche findet Bobby vor, als er eines Abends zum Haus von Catherine und Jimmy Gagnon gerufen wird. Er, besoffen, bedroht seine Frau und den gemeinsamen vierjährigen Sohn mit einer Pistole. Alles weist darauf hin, dass er bereit ist abzudrücken. Doch bevor er dies tun kann, erschießt Bobby ihn. Es ist sein erster Toter, und er hat härter daran zu knabbern, als er glaubt.

Dankbar nimmt er daher die Hilfe einer Psychologin in Anspruch, denn der Fall verfolgt ihn – im wortwörtlichen Sinne. Während seine Kollegen ihn beglückwünschen und sagen, er hätte genau richtig gehandelt, will ihn der Vater des Verstorbenen dazu zwingen auszusagen, dass Catherine Jimmys Tod inszeniert hat. Gleichzeitig bekommt er einen Anruf von Catherine, die ihn um Hilfe bittet. Sie fühlt sich verfolgt, denn Jimmys Vater, ein einflussreicher Richter, versucht alles, um seinen Enkelsohn Nathan zu bekommen. Er streut sogar Gerüchte, dass Catherine diesen misshandeln würde. Dass der Junge an einer mysteriösen, schweren Krankheit leidet, unterstützt seine Behauptung nur noch. Bald weiß Bobby nicht mehr, was wahr und was gelogen ist – und ob er wirklich berechtigt geschossen hat.

Bobbys Verwirrung überträgt sich auch auf den Leser – im positiven Sinne. Gardner erzählt eine spannende Geschichte, die sich allmählich steigert und keine Längen aufweist. Sie verzichtet dabei auf blutige Gewalttaten und fesselt stattdessen mit psychologischen Spielereien und doppelbödigen Charakteren. Immer mehr Details, die sowohl für oder gegen Catherine und Bobby sprechen, kommen zum Vorschein. Zusätzlich haben beide Hauptfiguren eine dunkle Vergangenheit und scheinen mit etwas hinter dem Berg zu halten. Wie viel darf man ihnen also glauben? Was ist Wahrheit, was Intrige?

Gardner sorgt dafür, dass sich diese Frage erst ganz zum Schluss beantworten lässt. Sie baut während ihrer Erzählung nicht ab, sondern steigert sich immer mehr ohne dabei zu sehr ins Fantasieren zu geraten. Im Gegenteil ist die Geschichte stichhaltig und weist eine gewisse psychologische Spannung auf, der es gelingt, auf der eine Seite durchaus fachlich zu wirken, aber auf der anderen nie zu abgehoben zu werden. Die Autorin meistert diesen Spagat auf wunderbare Weise und verleiht ihrer Geschichte damit einen glaubwürdigen Anstrich.

Sie verteilt ihre Geschichte auf wenige Perspektiven. Neben Bobby und Catherine kommen außerdem ein Killer und die Psychologin, die Bobby nach dem Todesschuss auf Wunsch seines Vorgesetzten konsultiert, zum Einsatz. Gerade Letztgenannte ist ein feiner Schachzug, da sie dem Leser die Möglichkeit gibt, Bobbys Psyche näher kennenzulernen. Bobby und Catherine stehen allerdings im Vordergrund des Geschehens und erweisen sich als dieses Platzes würdig. Sie sind vielschichtig und interessant dargestellt und wunderbar ausgearbeitet. Sie vermitteln dem Leser viele Gedanken und Gefühle, so dass er direkten Zugang zu ihrem Inneren erhält. Dadurch bekommt der Thriller stellenweise eine geradezu beklemmende Stimmung, die der Spannung sehr zuträglich ist.

Im Gegensatz zu der unterschwelligen Spannung steht der eher nüchtern gehaltene Schreibstil, der aus der dritten Person geschrieben ist und selbst Gedanken und Gefühle sehr sachlich schildert. Trotzdem entsteht dadurch kein Widerspruch. Vielmehr unterstreicht dieser routinierte Stil die Spannungsentwicklung. Lisa Gardner schreibt zwar nüchtern, schafft es aber dennoch, genügend Informationen einfließen zu lassen, um einen sehr dichten und vor allem fesselnden Thriller zu entwerfen.

Um noch einmal auf die Einleitung zurückzukommen, konnte nicht geklärt werden, was denn nun „weibliche Spannung“ sein soll. Was allerdings geklärt werden konnte, ist die Tatsache, dass es sich bei „Lauf, wenn du kannst“ um einen spannenden, unblutigen (vielleicht ist das mit „weiblich“ gemeint) und bodenständig erzählten Thriller von seltener Qualität handelt.

http://www.aufbau-verlagsgruppe.de

_Lisa Gardner auf |Buchwurm.info|:_
[„Der Schattenmörder“ 875

Wolff, Gabriele – Ein dunkles Gefühl

Krimis gibt es viele, und nur wenige schaffen es, sich wirklich aus dieser Masse hervorzutun. Autoren, die immer wieder gerne einen Aufmerksamkeitsbonus bekommen, sind solche, die in irgendeiner Weise direkt mit diesem Genre in Kontakt stehen. Die Oberstaatsanwältin Gabriele Wolff ist so eine. Allerdings siedelt sie ihren Krimi „Ein dunkles Gefühl“ nicht etwa in der Justiz an, sondern bei der Kriminalpolizei.

Ihre Hauptperson heißt Friederike Weber, eine unverheiratete und kinderlose Frau, die stets gute Laune und einen eigenen Sinn für Humor hat. Der vergeht ihr allerdings, als sie zwangsversetzt wird: Obwohl fest im Kommissariat für Todesfälle etabliert, soll sie aufgrund einer Laune der Verwaltung plötzlich bei den Sexualdelikten aushelfen. Und das ausgerechnet, nachdem sie einen mysteriösen Todesfall hereinbekommen hat. Ein zwanzigjähriger Student scheint sich umgebracht zu haben, aber wieso bringt sich ein junger Mann, dem es nicht schlecht zu gehen schien, um? Da muss doch mehr dahinterstecken. Obwohl es eigentlich nicht mehr ihre Aufgabe ist, ermittelt Friederike neben ihrer neuen Arbeit weiter. Und siehe da! Der Fall eines jungen Mädchens, das seinen Stiefvater des sexuellen Missbrauchs bezichtigt und dabei augenscheinlich, aber nicht nachweislich lügt, scheint Verbindungen zum Mordfall aufzuweisen. Doch bevor Friederike dies bemerkt, ist es schon fast zu spät. Die Lage in der Familie der Vierzehnjährigen spitzt sich zu…

„Ein dunkles Gefühl“ lebt vor allem durch seine Hauptperson. Friederike Weber bestreitet die Erzählperspektive alleine, und dementsprechend konzentriert sich die Erzählung nebenbei auch auf ihr Privatleben. Dieses unterscheidet sich schon dadurch von dem anderer Kriminalkommissare, dass sie sich weder in Alkohol ertränkt noch schwer depressiv ist. Friederike widerlegt sämtliche Genreklischees, was das Buch zu einer heiteren Angelegenheit werden lässt. Die forsche und ironische Art der Protagonistin lässt die 255 Seiten im Flug vergehen, vor allem, wenn sie in Kombination mit anderen Figuren auftritt. Diese sind ebenfalls sehr menschlich und vor allem sehr sorgfältig dargestellt. Trotz der Konzentration auf Friederike lässt Wolff es sich nicht nehmen, auch die Nebencharaktere ausführlich und vor allem originell darzustellen. Das trägt sehr viel zu der guten Atmosphäre des Buches bei.

Die Handlung ist sicherlich authentisch dargestellt. Wolff lässt die Bürokratie und die Komplikationen, die eine gute Ermittlung manchmal behindern, nicht außen vor und bietet dadurch einen realistischen Einblick in das Leben auf dem Polizeirevier. Doch obwohl sie aufgrund ihres Jobs sicherlich ausreichend Erfahrung mit echten Fällen hat, wirkt der Plot von „Ein dunkles Gefühl“ manchmal ein wenig konstruiert. Gerade die Zusammenführung der beiden Fälle geht nicht ohne Fragezeichen vonstatten. Die Begründung, welche sie für die Lösung des Missbrauchsfalles liefert, ist sicherlich möglich, wird aber nicht besonders stichhaltig dargestellt. Hier wäre es vielleicht notwendig gewesen, die Erklärungen etwas breiter, vielleicht sogar psychologisch begründeter zu gestalten. Der Laie wird vielleicht nicht verstehen, welche Mechanismen tatsächlich hinter dem Verhalten des Mädchens stecken, der Experte wird die Aufbereitung vielleicht als oberflächlich empfinden. Trotzdem muss man Wolff zugute halten, dass sie gute Absichten hegt. Ihre Handlung hält sich außerhalb üblicher Täter-Opfer-Schemen auf und beweist damit viel Mut.

Der Erzählstil der Autorin ist offen, manchmal sogar plauderhaft. Er passt mit seiner lockeren Art und dem beweglichen, aber nie abgehobenen Wortschatz zur Protagonistin, die immer wieder für saftige Dialoge sorgt. Wolff versteht es dabei vor allem, das vertraute Verhältnis zwischen zwei Personen auch in deren Gesprächen wiederzugeben. Dies sorgt dafür, dass das Buch wie aus einem Guss und direkt aus dem Leben gegriffen wirkt.

Gabriele Wolff hat für ihren Krimi „Das dritte Zimmer“ 2004 den Glauser-Preis erhalten. Mit „Ein dunkles Gefühl“ wird ihr dies vermutlich nicht gelingen, da sich einige Teile der Handlung als Stolperfalle für das Buch erweisen. Dennoch lässt sich über diesen Fehler leicht hinwegschauen, denn Bücher, die so homogen und atmosphärisch wirken, sind selten. Die Protagonistin, die Natürlichkeit, der Erzählstil – wenn’s mit diesem Buch nicht mit einem Preis klappt, dann sicherlich mit einem der nächsten.

http://www.gabrielewolff.de
http://www.diana-verlag.de

Gruber, Andreas – Schwarze Dame

Bislang hat der österreichische Autor Andreas Gruber eher durch Bücher in den Bereichen Science-Fiction, Horror oder Fantasy auf sich aufmerksam gemacht. Mit „Schwarze Dame“ legt er nun einen bodenständigen Thriller vor, der in der goldenen Stadt an der Moldau spielt.

Im Mittelpunkt steht der Wiener Versicherungsdetektiv Peter Hogart. Eines Tages bekommt er einen Anruf von einem seiner besten Auftraggeber, doch dieses Mal soll er nicht bloß einem Versicherungsbetrug auf die Spur kommen. In einem Prager Museum wurden bei einem Brand mehrere, bei |Medeen & Lloyd| versicherte Gemälde gestohlen, woraufhin die Versicherung Alexandra Schelling zwecks Ermittlungen nach Prag schickte. Doch die Frau, zu allem Überfluss die Nichte des Geschäftsführers, hat sich nicht mehr gemeldet. Sie scheint in Prag verschwunden zu sein, und nun soll Hogart ihr hinterherreisen und sie suchen.

Das Aufklären von Vermisstenfällen gehört normalerweise nicht zu seinem Metier, doch er nimmt den Auftrag an. Die Spurenlage ist mau. Als er der Unterweltgröße Greco einen Besuch abstattet, da Alexandra mit ihm in Verbindungen gestanden zu haben schien, lernt er die tschechische Privatermittlerin Ivona Markovic kennen. Sie arbeitet gerade an einer mysteriösen Mordserie in Prag, bei der einmal monatlich eine enthauptete Leiche aufgefunden wird. Die beiden freunden sich an und helfen sich bei ihren Ermittlungen, doch bald wird klar, dass ihre Aufträge vielleicht gar nicht so weit voneinander entfernt sind …

„Schwarze Dame“ ist ein hochqualitativer Thriller, der sich hinter Werken amerikanischer Kollegen nicht zu verstecken braucht. Die Handlung ist sauber konstruiert, geradlinig und spannend. Dadurch, dass Hogart kein Polizist, sondern Detektiv ist, bekommt seine Ermittlungsarbeit einen Hauch von Illegalität, und damit weiß Andreas Gruber sehr gut zu spielen. Er lässt seinen Helden in zwielichtigen Gegenden ermitteln, Hogart legt sich mit der Prager Polizei an, entgeht einem Anschlag auf sein Leben nur knapp und stochert in gesellschaftlichen Wespennestern herum. Die Handlung bleibt dabei allerdings angenehm authentisch. Hogart ist kein Überheld und er legt auch kein überenthusiastisches, unglaubwürdiges Ermittlerverhalten an den Tag. Vielmehr bleibt er stets auf dem Boden. Die Geschichte ist folglich nicht nur spannend, sondern auch realistisch, was nicht selbstverständlich für einen Thriller ist.

Wie bereits angeklungen, ist der Versicherungsdetektiv Peter Hogart ein sehr angenehmer Charakter. Obwohl auch er – wie fast jede Ermittlerfigur – an seiner Vergangenheit zu knabbern hat, ist diese erfreulicherweise keine Nebenhandlung in der Geschichte, sondern eine Handvoll Fakten, die ab und an zum Einsatz kommen. Desweiteren wirkt Hogart nicht wie ein Übermensch, ja noch nicht mal wie ein Über-Detektiv. Die Geschichte transportiert eine gewisse Berufserfahrung, die aber nie ins Negative abrutscht. Im Gegenteil ist Hogart alles andere als ein Fachidiot, so dass er den Leser nicht mit seitenlangen Ausführungen über High-Tech-Apparaturen und Ähnliches nervt.

Der Schreibstil ist flüssig und ausgewogen. Er offenbart genug Emotionen, reitet aber nicht zu sehr darauf herum. Ähnliches gilt für die Details. Auch hier hält Gruber sich angenehm zurück. Er lässt dem Leser Freiraum, seine eigene Fantasie spielen zu lassen und beschreibt nicht haarklein, wie die Schauplätze und Ereignisse aussehen. Frei nach dem Prinzip „Weniger ist oft mehr“ erzeugt er dadurch einen viel größeren Effekt, weil sich der Leser nicht auf hochkomplizierte Satzstrukturen, die völlig mit Informationen überladen sind, konzentrieren muss, sondern mit freiem Kopf der Geschichte folgen kann.

Zusammen mit dieser lockeren Erzählweise, der sympathischen Hauptperson und dem spannenden, filmtauglichen Plot ist „Schwarze Dame“ ein sehr gutes Buch geworden. Durch seine Bodenständigkeit büßt es ein wenig an Originalität ein. Allerdings muss man dazu anmerken, dass es schwierig ist, die Balance zwischen Bodenständigkeit und Originalität zu finden. Daher muss man Andreas Gruber ein großes Lob aussprechen. Sein Thriller gehört definitiv zu den besseren des Genres.

http://www.festa-verlag.de

|Siehe ergänzend dazu unsere [Rezension 2113 zu „Der Judas-Schrein“.|

Meyer, Kai – Göttin der Wüste

Kai Meyer gehört wohl zu den erfolgreichsten Schriftstellern Deutschlands. Seine unzähligen Veröffentlichungen bedienen sich stets der Phantastik, und so ist es auch bei „Göttin der Wüste“. Das Buch spielt im Afrika der deutschen Kolonialzeit und greift auf afrikanische Mythen zurück.

Die zweiundzwanzigjähre Bremerin Cendrine Muck ist auf dem Weg nach Südwest in Afrika, wo sie als Gouvernante für die kleinen Mädchen eines reichen deutschen Minenbesitzers arbeiten soll. Die Familie Kaskade wohnt auf einem herrlichen Anwesen, doch Cendrine fällt es schwer, sich einzugewöhnen. Zum einen macht Madelaine, die Herrin, ihr ab und an das Leben schwer, zum anderen fühlt sie sich von Adrian, dem neunzehnjährigen Sohn, der seit einer Kinderkrankheit taub ist, verfolgt. Er scheint Interesse für sie an den Tag zu legen, und er ist es auch, der ihr Antworten auf die Fragen gibt, die sich ihr stellen, als sie plötzlich wirre Träume hat. Träume, die nicht nur real wirken, sondern sich auch so anfühlen und mit der tragischen Geschichte des Gutes der Kaskades zusammenhängen. Immerhin ist der Erbauer des stolzen Gebäudes damals Amok gelaufen und hat sich und seine ganze Familie ausgelöscht. Adrian eröffnet ihr, dass sie, das kleine weiße Mädchen, die Kräfte einer Schamanin hat. Obwohl die Beweise dafür sprechen, fällt es ihr schwer, dies zu glauben. Doch die Träume kommen wieder und plötzlich sieht sie auch andere Dinge, übersinnliche Dinge, und sie verspürt einen Ruf, der sie in Richtung Henoch, der Stadt, die der Brudermörder Kain einst erbaute, zieht …

Das Szenario, das der Autor in diesem unheimlichen Roman entwirft, ist in seinen Einzelteilen nicht neu, in ihrer Kombination aber recht ungewöhnlich. Eine junge Deutsche mit einer nicht geheimnisfreien Vergangenheit reist zum Anfang des 20. Jahrhunderts nach Südwestafrika, wo sich ihr offenbart, dass sie weit mehr ist als nur die kleine Gouvernante aus Bremen. Der Anfang der Geschichte beinhaltet kaum Fantasyelemente, sondern erzählt vielmehr anschaulich und exakt wie ein historischer Roman. Doch spätestens als Cendrine ein ihr merkwürdiges Stammesritual der Eingeborenen mit Menschenopfern beobachtet und einen kleinen Jungen vor dem Tod bewahrt, wird klar, dass dieses Buch weit mehr ist als eine historische Darstellung. Allmählich und wohldosiert lässt Meyer mystische und auch religionskritische Elemente einfließen, ohne diese zu übertreiben oder in den Mittelpunkt zu rücken. Vielmehr steht Cendrine beziehungsweise die Geschichte als Ganzes im Vordergrund, wobei wichtige Nebenerzählstränge nicht vernachlässigt werden.

Cendrine Muck, die Hauptperson, ist ein angenehmer Charakter, der manchmal aber ein wenig zu sehr an ähnlich geartete Figuren anderer Bücher erinnert. Das zeigt sich vor allem dann, wenn ihr Temperament gegenüber ihrer Erziehung die Überhand gewinnt und sie ihrer Herrin patzige Antworten gibt oder wenn es darum geht, Gerechtigkeit gegenüber den Eingeborenen walten zu lassen. Trotz dieser etwas stereotypen Eigenschaften sticht Cendrine dennoch hervor, denn sie ist authentisch, wird nie als Überheldin dargestellt und ist nicht zu überzeichnet. Meyer gelingt es tatsächlich, den Leser mit seiner Protagonistin zu überraschen. Es scheint zwar so, als ob man schon alles über sie wüsste, aber trotzdem gibt es das eine oder andere Geheimnis, das der Autor aus dem Ärmel ziehen kann.

Abgesehen von der sauber gestalteten Geschichte und der sympathischen Hauptfigur ist es vor allem der Erzählstil, der dafür sorgt, dass man „Göttin der Wüste“ in einem Rutsch liest. Meyer erzählt unglaublich dicht, interessant, dabei aber auch sauber und klar. Er lässt irrelevanten Gedankengängen vonseiten Cendrines nur wenig Platz, sondern konzentriert sich darauf, die Geschichte mit seinem ausgewählten, recht nüchternen Wortschatz zu veranschaulichen. Er geht dabei sehr sorgfältig vor, und es ist sicherlich nicht übertrieben, ihn als „Erzähler“ zu bezeichnen.

Letztendlich schreibt Kai Meyer nicht, um mit einem möglichst originellen Stil zu prunken oder eine durchkonstruierte Handlung zu präsentieren, sondern er schreibt um der Geschichte willen. Er liefert ein Gesamtpaket ab, das sich aus vielen positiven Komponenten zusammensetzt, und das ist es, was es seinem Roman ermöglicht, den Leser in eine andere Welt zu entführen.

http://www.kai-meyer.com
http://www.bastei-luebbe.de

|Kai Meyer auf Buchwurm.info:|

[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
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[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
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