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Guillou, Jan – Madame Terror. Sonderauftrag für Hamilton

Schon seit vielen Jahren versuchen die Palästinenser ihren anerkannten Anspruch auf ein eigenes Staatsgebiet durchzusetzen – bislang ohne Erfolg. Der schwedische Schriftsteller Jan Guillou entwirft in seinem Roman „Madame Terror“ ein Szenario, wie die Palästinenser ihrem Ziel ein Stückchen näher kommen könnten.

Eine tragende Rolle spielt dabei Mouna al-Husseini, eine einflussreiche Agentin der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO. Sie ist diejenige, die den wahnwitzigen Plan entworfen hat, mit einem U-Boot die israelische Flotte unschädlich zu machen, um der Forderung nach einem rein palästinensischen Gaza-Streifen Nachdruck zu verleihen. Aus diesem Grund lässt sie mit der Hilfe von Russlands Präsident Putin ein bis dato unerreichtes Wunderwerk von U-Boot bauen und wirbt russische und arabische Männer an, die ihr im Kampf zur Seite stehen sollen. Doch bei der ersten Testfahrt geht einiges schief. Die Russen und die Palästinenser geraten sich in die Haare, was unter anderen Umständen das Ende von Mounas Mission bedeutet hätte.

Kurz und gut: Es muss ein Mann her, der nicht nur ein U-Boot befehligen kann, sondern auch Russisch, Englisch und Arabisch spricht, der Charisma hat und ihr Anliegen versteht. Da kann es selbstverständlich nur einen geben: Carl Hamilton alias Coq Rouge, der Held aus Guillous früheren Büchern. Hamilton sitzt eigentlich in der Falle. Wegen Mordes müsste er in Schweden eine lebenslängliche Haftstrafe abbüßen, aber ihm gelang die Flucht, und nun lebt er im Zeugenschutzprogramm des FBI mit neuer Identität in Kalifornien. Als eines Abends seine alte Freundin Mouna auftaucht und ihn um Hilfe bittet, ziert er sich nicht lange: Er hat es satt, in Kalifornien festzusitzen. Gemeinsam mit der Agentin arbeitet er einen Plan aus, wie man eine möglichst kompetente U-Boot-Mannschaft zusammenstellt und den Krieg gegen Israel am geschicktesten führt. Hamilton stellt sich als Glücksgriff heraus, den Mouna auch bitter nötig hat. Der Anschlag auf den israelischen Marinestützpunkt in Haifa verläuft zwar mehr oder weniger nach Plan, doch ehe die U-Boot-Mannschaft sich versehen hat, wird sie von der ganzen Welt gejagt. Von der ganzen Welt? Nein, eigentlich gibt es nur einen, der glaubt, das U-Boot unbedingt versenken zu müssen, und das ist der amerikanische Präsident …

… und der amerikanische Präsident ist, wie wir wissen, momentan George W. Bush. Jan Guillou nimmt in „Madame Terror“ kein Blatt vor den Mund. Viele politische Figuren in dem Buch existieren auch im realen Leben, darunter Donald Rumsfeld, Condoleezza Rice, Tony Blair, Wladimir Putin oder der palästinensische Präsident Mahmud Abbas. Doch der Schwede baut diese Personen nicht nur in seine Geschichte ein, er schreibt sogar aus ihrer Perspektive. Dabei lässt er es sich nicht nehmen, einige Politiker als eher einfältig und dumm darzustellen, ohne den Bogen aber wirklich zu überspannen.

Er geht dabei sehr selbstverständlich mit den Personen um und führt jede neue erst einmal mit ihrer Biografie und der Darstellung ihres momentanen Gefühlszustandes ein. Dadurch schweift er gelegentlich etwas ab, was aber letztendlich für gut ausgearbeitete Charaktere sorgt. Dabei liegt sein Fokus nicht wirklich auf einer einzigen Person. Vielmehr hat man das Gefühl, dass jede vorkommende Perspektive des Romans gleichberechtigt ist. Das ist natürlich sehr gewagt. Viele Personen sorgen oft dafür, dass ein Buch zerfasert und inkonsistent wird. Nicht in diesem Fall. Guillou schafft es, die Geschichte zusammenzuhalten, und verleiht ihr durch die Vielzahl von Charakteren unterschiedlichster Nationalität und Aufgabe eine bemerkenswerte Tiefe.

Die Handlung unterstreicht diese Tiefe. Sie ist bis ins kleinste Detail ausgefeilt. „Madame Terror“ ist einer dieser Polit-Thriller, die Konzentration erfordern, weil sie so detailreich sind. Widmet man dem Roman diese Konzentration, wird man mehr als entlohnt. Das Buch ist spannend, der Autor scheint zu wissen, worüber er schreibt. Gerät der Anfang noch etwas zäh, kommt das Buch später wie ein schweres U-Boot in Fahrt und gewinnt an Spannung, die man aufgrund des eher trockenen Sujets nicht erwartet hätte. Die politischen Verwicklungen sind an der einen oder anderen Stellen für Leser, die sich auf diesem Gebiet nicht so gut auskennen, etwas verworren, aber im Gesamtkontext sind diese Stellen trotzdem verständlich und mindern die Spannung nicht. Selbige wird im Übrigen auch durch das handwerkliche Geschick des Autors erzeugt. Er weiß mit Perspektivenwechseln zu spielen. Sobald ein großes Ereignis naht, setzt er einen Schnitt, um dann während oder nach dem Ereignis wieder einzusetzen. Meistens tut er dies aus der Sicht einer außenstehenden Person, wie zum Beispiel der amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice, die des Öfteren zu Worte kommt.

Gestützt wird das gut recherchierte und realistisch wirkende Material durch einen gestochen scharfen und intelligenten Schreibstil. Guillou gelingt es dabei, Abwechslung in die Geschichte zu bringen, indem er unterschiedliche Stimmlagen verwendet. Kommen beispielsweise die Amerikaner zum Zuge, wird die Sprache oft etwas ordinärer, so, wie man sich einen – leicht überspitzten – George W. Bush eben vorstellt. Ansonsten lässt sich das Buch wunderbar flüssig lesen. Guillou greift auf einen großen Wortschatz zurück, und obwohl er auf einem hohen technischen Niveau schreibt, vermisst man weder Leben noch Gefühl, auch wenn darauf sicherlich nicht sein Hauptfokus liegt.

In der Summe ist dem Schweden mit „Madame Terror“ ein sehr ausgefeiltes, technisch gut geschriebenes und vor allem spannendes und realistisch dargestelltes Schreckensszenario gelungen, wie es hoffentlich nie passieren wird. Was das Buch für viele sicherlich besonders interessant macht, ist die Tatsache, dass die Amerikaner und ihre Kriegspolitik nicht besonders gut wegkommen. Das hebt die Geschichte auch positiv ab von vielen amerikanischen Thrillern, die sich mit dieser Thematik befassen. Dennoch begeht Guillou nicht den Fehler, die Vereinigten Staaten zu einseitig darzustellen. Im Gegenteil schafft er mit der des Öfteren eingesetzten Perspektive von Condoleezza Rice ein angenehmes, unaufdringliches Gegengewicht, das sehr gefällt.

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Tamora Pierce – Im Zeichen der Löwin – Die Entscheidung

Tamora Pierce gehört zu den Namen überhaupt in der Kinder- und Jugend-Fantasy. Ihr Zyklus um Alanna von Trebond, die sich als Junge verkleidet an den Königshof schlich, um sich als Ritter ausbilden zu lassen, ist weltbekannt. Mit der Reihe „Im Zeichen der Löwin“ macht sie da weiter, wo sie mit Alanna aufgehört hat: Ein junges Mädchen muss sich in der Männerdomäne der Ritter beweisen.

Allerdings hat Keladry von Mindelan, genannt Kel, es wesentlich einfacher als Alanna, der bislang einzige weibliche Ritter im Königreich. Mittlerweile ist es Mädchen per Gesetz erlaubt, die harte Ausbildung zum Ritter zu machen, doch bislang traute sich noch niemand. Kel möchte die Erste sein, doch bald stellt die Zehnjährige fest, dass das bei weitem nicht so einfach ist, wie sie es sich vorgestellt hat.

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Bruno Preisendörfer – Die Vergeltung

Der Volksmund ist sich sicher: „Gut Ding will Weile haben.“ Die Sache mit der Weile trifft auch auf Michael Keller zu, einen der Protagonisten von „Die Vergeltung“, aber ob das, worauf er wartet, gut ist, liegt wohl im Auge des Betrachters.

Die Geschichte beginnt damit, dass Michael Keller am Frankfurter Hauptbahnhof in ein Taxi steigt und eine Fahrt zur Düsseldorfer Messe verlangt. Das ist nicht gerade eine kurze Strecke, aber Sebastian Neubert, der Taxifahrer, ist froh über das Geld. Er ahnt nicht, was unter dem Jackett seines Fahrgastes verborgen ist und was in dessen Kopf vorgeht. Denn die beiden kennen sich, Sebastian ahnt nur nichts davon. Vor neunzehn Jahren wurde Michaels Freundin Vanessa umgebracht, als sie einen Einbrecher in ihrer Wohnung überraschte. Dieser Einbrecher war Sebastian Neubert, der ursprünglich zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war, wegen guter Führung aber vorzeitig entlassen wurde und nun versucht, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Er hat geheiratet, zwei Stiefkinder, liest gerne. Nichts erinnert mehr an den kriminellen Sechundzwanzigjährigen, bei dessen Anblick im Gerichtssaal sich Michael geschworen hat, eines Tages Vergeltung für den Mord an seiner Frau zu üben.

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Daschkowa, Polina – Keiner wird weinen

Polina Daschkowa gehört zu den russischen Autorinnen, um die man nicht herumkommt, wenn man Krimis mag. Neun Bücher wurden mittlerweile in deutscher Sprache veröffentlicht, viele von der Kritik hoch gelobt. Die Russin ist vor allem dafür bekannt, ein realistisches, oft brutales Bild des heutigen Russlands zu zeichnen. Sie beschönigt nichts und fühlt dem einst kommunistischen Land immer wieder auf den Zahn.

„Keiner wird weinen“ erzählt von Kriminellen, Semikriminellen und ganz normalen Menschen, die aufgrund der Rachegelüste Einzelner zusammenfinden. Diese Einzelnen sind Kolja und Wolodja. Kolja ist in einem Kinderheim aufgewachsen, in dem hauptsächlich geistig zurückgebliebene Kinder untergebracht waren. Mit seinem Intellekt verschaffte er sich dort bald eine gewisse Stellung, und als der Dieb Sachar später zu seinem Ziehvater wird, steht Koljas krimineller Karriere nichts mehr im Weg. Innerhalb kürzester Zeit schwingt er sich zum Anführer einer brutalen Einbrecherbande auf und ist auch nach deren Zerschlagung nicht greifbar.

Wolodja will das tun, wozu die Miliz nicht fähig ist: Er will Kolja, der mittlerweile Skwosnjak genannt wird, finden und erledigen. Immerhin hat der brutale Einbrecher, der nie Zeugen hinterlässt, seine Familie ausgelöscht. Das hat Wolodja geprägt, der nun, zum Einzelgänger geworden, das Böse in der Welt rächen will. Sobald er sieht, wie jemand einem anderen Menschen etwas antut, bringt er den Täter um. Skwosnjak ahnt nichts von seinem Feind, doch der unausgefochtene Kampf zwischen den beiden zieht viele unschuldige Menschen in einen Strudel der Gewalt, darunter die junge Vera. Sie wohnt zusammen mit ihrer Mutter in Moskau und lässt sich bereitwillig vom untreuen Stas für Arbeit und Liebesdienste ausnutzen. Sie ist ein freundlicher Mensch und ahnt nichts Böses, als unerwartet ein junger, gutaussehender Mann ihr den Hof macht. Als Stas dies mitbekommt, hat er das Gefühl, den jungen Mann schon einmal gesehen zu haben, und zwar bei nichts Gutem …

Würde man weiter ausholen, schlösse sich der Kreis wieder. Polina Daschkowas Roman macht es dem Leser lange schwer, einen roten Faden zu erkennen. Viele Handlungsstränge und Personen werden eingeführt, einige in der Gegenwart, einige in der Vergangenheit. Die Verknüpfung erfolgt stückweise und wird auch manchmal nicht ganz klar. Wer kennt sich jetzt woher von früher und wer hat einen Hass aufeinander? Wo lässt sich diese Person einordnen und was hat jener Mann damit zu tun? Polina Daschkowa macht es dem Leser nicht immer ganz leicht. Am besten ist es, die Autorin einfach erstmal erzählen zu lassen, denn gegen Ende kommt Licht ins Dunkel. Die einzelnen Stränge verbinden sich zu einem langen, sorgfältig geflochtenen Zopf, und es bleibt dem Leser nichts anderes übrig als Daschkowas Virtuosität zu bewundern. Diese Art, scheinbar völlig zusammenhangslos neue Personen einzuführen und sie schließlich zu Hauptakteuren zu machen, ist wirklich großartig.

Gerade daraus bezieht das Buch seine Spannung. Der Leser weiß nicht, wohin die Geschichte führt, aber er ahnt, dass es einen gemeinsamen Nenner geben muss. Langsam ergeben sich dann erste Bezugspunkte, erst allmählich, dann immer rascher kommt das Buch in Fahrt. Die Personen sind folglich der Dreh- und Angelpunkt in „Keiner wird weinen“. Alles hängt entweder mit ihnen oder ihrer Vergangenheit zusammen, und da empfiehlt es sich, mit der Qualität der Charaktere nicht zu geizen. Hierin muss man sich bei der russischen Autorin allerdings keine Sorgen machen. Die Personen werden zumeist mitsamt Lebenslauf eingeführt und sehr lebendig und originell dargestellt – zum größten Teil jedenfalls. Manchmal begeht die Autorin auch, zum Beispiel bei Stas, Vera oder Stas‘ Ehefrau, den Fehler, auf einfache Klischees zurückzugreifen. Ein Mann, der Frauen nur wegen ihres Aussehens heiratet, eine Frau, die ihren Mann wegen seines Status heiratet, und allen voran Vera. Sie erinnert stark an andere Frauencharaktere der russischen Kriminalliteratur. Sie ist mollig, mehr oder weniger erfolgreich im Job, familienbezogen und glaubt nicht daran, jemals einen Mann abzubekommen. Sie ist witzig, schlagfertig und greift gerne durch, kann ihre eigenen Gefühle aber kaum artikulieren. Diesen weiblichen Prototypen findet man in so vielen Büchern von russischen Autorinnen, dass sie schon fast solch ein Merkmal für diese Literatur sind wie der Typ Wallander für skandinavische Krimis. Vera kann dennoch durch ihre sympathische Art punkten. Sie wirkt nicht überzeichnet, sondern sehr authentisch, auch wenn es ähnliche Figuren in anderen Büchern gibt.

Ihre spannende, verwinkelte Geschichte bettet die Autorin in einen sehr belletristischen Rahmen. Sie erzählt nicht ausschweifend, lässt aber auch keine Details weg. Sie möchte einen guten Überblick über das Geschehen und die Menschen geben und verwendet dazu ein umfassendes Vokabular, das sie originell einzusetzen weiß. Sie schreibt anschaulich und unterhaltsam, passend zu ihren durchdachten Charakteren. Manchmal lässt sie an der einen oder anderen Stelle ein wenig humorvolle Kritik durchschimmern, aber sie verlässt die Wege des Romans nicht, um eine eigene Meinung loszuwerden.

In der Summe ist Polina Daschkowa mit „Keiner wird weinen“ ein Kriminalroman gelungen, dessen Betonung auf „Roman“ liegt. Es wird weniger ein Kriminalfall erzählt, der von einem Ermittler gelöst werden soll, als vielmehr eine weitverzweigte Geschichte mit vielen Verwicklungen. Diese Verwicklungen, die eine Menge tote und lebendige Menschen einschließen, wirken stellenweise etwas wirr, werden in der spannenden, vieldimensionalen Auflösung aber einleuchtend verbunden. Die starke erzählerische Komponente macht das Buch definitiv lesenswert, denn dadurch erfährt der Leser, der über das heutige Russland nicht allzu viel weiß, vermutlich mehr als in einem klassischen Krimi.

http://www.aufbauverlag.de

Hustvedt, Siri – unsichtbare Frau, Die

Die Amerikanerin mit dem norwegischen Namen Siri Hustvedt hat sich mittlerweile einen großen Fankreis erschrieben. Das Buch, mit dem 1992 alles anfing, ist „Die unsichtbare Frau“, das sich mit dem Leben einer Studentin im New York der Achtziger Jahre beschäftigt.

Iris Vegan, die Ich-Erzählerin, möchte an der Columbia-University promovieren, doch sie ist stets knapp bei Kasse. Sie lebt noch nicht lange in New York, aber da sie immer auf der Suche nach einem Job ist, erfährt sie sehr bald, was für sonderbare Menschen in dieser Stadt leben. Ein Professor, der sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin einstellt, möchte zum Beispiel, dass sie Gegenstände, die einer Toten gehörten, für ihn auf Tonband beschreibt. Iris geht Liebschaften ein, die sie an den Rand ihres Verstandes bringen, und ehe sie sich versieht, ist sie ebenfalls eine sonderbare Gestalt geworden. Mit einem Herrenanzug bekleidet, zieht sie durch die New Yorker Bars und nennt sich Klaus – nach einer Person aus einem Manuskript, das sie übersetzt hat.

Eine wirklich zusammenhängende Handlung hat das Buch nicht. Vielmehr besteht es aus vier Teilen, die mehr oder weniger unabhängig voneinander vier Zeiträume in Iris‘ Leben erzählen. Diese umfassen bestimmte Ereignisse und Personen, die manchmal an anderer Stelle erneut auftauchen. Zum Beispiel der Kunstkritiker Paris, eine undurchsichtige Person, aus der Iris nicht besonders schlau wird. Mag er sie nun oder mag er sie nicht? Muss sie Angst haben, dass er sie jeden Moment hereinlegt? Allerdings sollte man sich nicht vom Klappentext täuschen lassen. Der behauptet, in dem Buch würde sich „eine Reihe von erotischen Abenteuern“ finden. Tatsächlich gibt es aber kaum Sex in dem Buch, und wenn, dann wird er so beiläufig dargestellt, dass die Bezeichnung ‚Abenteuer‘ doch ein bisschen wagemutig ist.

Siri Hustvedt bewies bereits in ihrem Debüt, dass sie ein unglaublich gutes Händchen für authentische Figuren hat. Der schnörkellose Roman konzentriert sich stark auf die einzelnen Charaktere und beleuchtet sie stets von allen Seiten. Hustvedt schafft es, die Figuren im Buch bis ins kleinste Detail zu beschreiben, denn sie ist eine sehr gute Beobachterin. Jede Person wird mit Ecken und Kanten, Geschichten und Lastern ausgestattet, und für die zwischenmenschlichen Beziehungen gilt das Gleiche. Auch sie sind wunderbar ausgearbeitet, und auch wenn es keine lineare Handlung gibt, sind es diese Beziehungen, die den Leser das Buch nicht mehr aus der Hand legen lassen.

Iris steht als Protagonistin und Ich-Erzählerin natürlich im Vordergrund. Am Anfang wirkt sie wirklich wie eine unsichtbare Frau. Sie verschwendet nur wenig Worte auf ihre eigene Persönlichkeit. Der Leser muss sich Iris Vegan selbst erlesen, aber das gelingt anhand der schönen Beschreibungen von Hustvedt und der oft reflektierenden Rückblicke – Iris schreibt quasi ihre Erinnerungen an diese Zeit nieder – sehr gut. Iris verbirgt nichts. Sie gibt alles ganz offen zu, auch wenn es sie nicht in einem guten Licht dastehen lässt oder sie es sich selbst nicht erklären kann. Dadurch wird sie dem Leser sehr vertraut. Wenn er das Buch zuschlägt, wird er glauben, Iris schon seit vielen Jahren zu kennen.

Getragen wird der anschaulich aufbereitete Inhalt von einem sehr ästhetischen Schreibstil. Hustvedt schreibt zeitlos und ohne unnötigen Ballast. Sie drückt sich gewählt aus, verstrickt sich aber nicht in Schachtelsätzen oder Fremdwörtern. Vielmehr ist „Die unsichtbare Frau“ eine glasklare Angelegenheit. Die Worte wirken wie ein Gerüst, welches das gesamte Buch stützen soll, und das gelingt geradezu tadellos. Hustvedts Debütroman lässt keine Fragen offen. Er ist eine in sich abgeschlossene Lektüre, bei der alles einfach alles stimmt.

http://www.rowohlt.de

Babendererde, Antje – verborgene Seite des Mondes, Die

_Einst bevölkerten_ sie den amerikanischen Kontinent, bevor die Europäer kamen: die Indianer. Es gibt sie auch heute noch, aber von Wild-West-Romantik ist wenig zu spüren. Die wenigsten leben noch in Tipis und in Einklang mit der Natur. Meistens sind sie kaum von den europäischen Amerikanern zu unterscheiden, unter denen sie nicht nur damals, sondern auch noch heute zu leiden haben.

Die Jugendbuchautorin Antje Babendererde zeigt in ihrem Buch „Die verborgene Seite des Mondes“, wie die Indianer heute leben. Im Mittelpunkt steht Julia, die zur Hälfte Deutsche und zur Hälfte Indianerin ist. Als ihr Vater John stirbt, bricht eine Welt für sie zusammen, denn im Gegenteil zu ihrer Mutter war ihr Vater stets für sie da und hat sie an seinen indianischen Wurzeln teilhaben lassen. Daraus hat sie sich ein idealistisches Bild aufgebaut, doch als sie nach seinem Tod endlich ihre Familie in Amerika kennenlernt, wird dieses schnell zerstört. Ihre bereits alten Großeltern erhalten eine verfallene Ranch in der Wüste von Nevada aufrecht, obwohl die Repressalien der amerikanischen Regierung dies fast unmöglich machen. Ada, Julias Großmutter, ist eine bekannte Freiheitskämpferin, doch privat ist sie eine ruppige Person, die Julias Mutter Hanna die Schuld daran gibt, dass John die Ranch im Stich gelassen und ihr nach Deutschland gefolgt ist. Deswegen trifft Julia auch erst mit fünfzehn Jahren zum ersten Mal ihre Großeltern.

Auf der Ranch herrschen eine Menge Spannungen. Mit der Zeit merkt Julia, dass ihr Vater ihr lange nicht alles erzählt hat, was mit seiner Vergangenheit zu tun hat. In ihre Trauer mischen sich Wut und Unverständnis. Sie fühlt sich nicht sonderlich wohl auf der Ranch, doch als sie den stillen Simon kennenlernt, ändert sich das. Simon, ein Einzelgänger, der sich wegen seines Sprachfehlers schämt, gibt sich anfangs eher abweisend, doch es gelingt Julia, ihm näherzukommen. Sehr nahe, um ganz ehrlich zu sein. So nahe, dass es die beiden in ungeahnte Gefahr bringt …

_Von Jugendbüchern_ ist man eine Menge gewohnt. Viele dieser ‚Werke‘ sind kitschiger Herzschmerz vor einer kaugummirosafarbenen Kulisse. Nicht so der vorliegende Roman von Antje Babendererde. Die Autorin widmet sich einem ernsten Thema: der Unterdrückung der amerikanischen Ureinwohner durch die amerikanische Regierung. Allerdings wird sie dabei nicht zu politisch. Sie lässt immer wieder interessante Informationen einfließen, beschreibt im Allgemeinen aber mehr den Alltag von zähen Kämpfern wie Julias Großeltern. Sie malt ein farbiges, sehr detailreiches Bild vom Ranchleben und übergeht dabei nichts. Sie erzählt von indianischen Kindern, die behindert zur Welt kommen, weil sie in einem atomverseuchten Gebiet geboren werden. Sie erzählt von Drogensucht und Alkoholismus, der Hoffnungslosigkeit, den schlimmen Zuständen, jungen Müttern, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder behandeln sollen – und sie erzählt eine wunderschöne Liebesgeschichte zwischen zwei Teenagern, die beide ihr Päckchen zu tragen haben.

Julia ist ein nettes, manchmal etwas naives Mädchen. Sie hat in ihrem bisherigen Leben nur wenig Leid gesehen und der Tod ihres Vaters bedeutet einen starken Einschnitt für sie. Die Reise nach Amerika öffnet ihr die Augen und lässt sie wachsen. Babendererde hat Julia nicht besonders originell gestaltet, aber das sollte man ihr verzeihen, denn dafür ist das Mädchen sehr sympathisch und unglaublich lebendig. Sie ist das nette Mädchen von nebenan, das die Autorin als nachdenklich und überhaupt nicht oberflächlich darstellt. Ihre Ausarbeitung ist bewundernswert gelungen.

Gleiches gilt für den siebzehnjährigen Simon, der sich mit Julia die Erzählperspektive des Buchs teilt. Im Gegensatz zu ihr ist er in Armut und unter sehr harten Umständen aufgewachsen. An ihm zeigt sich, wie sich eine solche Vergangenheit auf das Verhalten und auch auf die Psyche niederschlägt. Simon denkt selten an sich selbst und ist menschenscheu. Seine Stotterei isoliert ihn noch mehr von anderen Menschen und die Tiere sind seine einzigen Freunde – bis Julia kommt. Sie hilft dem Jungen mit ihrer unbekümmerten Art, und Babendererde stellt sehr anschaulich und mit viel Gefühl dar, wie er sich verändert. Die Stille und die Trauer, die in ihm stecken, werden unglaublich stark dargestellt, sind stellenweise sogar poetisch angehaucht.

Die Autorin zeigt mit ihrer tragischen Geschichte auch die dunklen Seiten des Lebens auf. Sie begeht allerdings nicht den Fehler, sich auf die Liebesbeziehung der beiden Protagonisten zu verlassen, sondern baut zudem einige kurze Handlungsstränge ein. Diese sorgen für ein gewisses Maß an Spannung, sind aber nicht überladen, sondern sehr sorgfältig dosiert. Sie bringen Bewegung in die Geschichte und runden das Buch ab, das in einer klaren, gut lesbaren Sprache verfasst ist. Babendererde verzichtet auf rhetorischen Schnickschnack und bleibt oft sehr nüchtern, beobachtend. Sie geht allerdings auch stark auf die Gefühle und Gedanken der Protagonisten ein und verwendet an diesen Stellen häufig eine etwas poetischere Sprache. Gerade Simon denkt immer wieder in Metaphern, was sehr gut zu seiner nachdenklichen Persönlichkeit passt.

_In der Summe_ ist Antje Babendererde ein unglaublich atmosphärisches und schön erzähltes Buch gelungen. Sie verklärt das heutige, harte Leben der Indianer nicht, lässt aber Platz für Gefühle. Neben der romantischen Seite des Buches beschreibt sie aber auch den Freiheitskampf von Ada und ihrem Volk, ohne darüber zu urteilen. Somit ist „Die verborgene Seite des Mondes“ mehr als ein kitschiger Mädchenroman. Dafür ist die Geschichte zu seriös, zu tiefgehend und vor allem zu interessant. Es kommt schließlich nicht jedes junge Mädchen in den Genuss, wie Julia nach Amerika zu fliegen und auf einer echten Ranch zu leben.

http://www.arena-verlag.de
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Isau, Ralf – Galerie der Lügen, Die

Der bekannte deutsche Autor Ralf Isau bezeichnet seine Bücher selbstbewusst als „Phantagone“, was laut eigener Aussage bedeutet, dass seine Romane verschiedener Genres angehören und nicht immer sicher bestimmt werden kann, welche das sind. Jeder Leser soll selbst entscheiden, wo er die Bücher von Isau einordnet.

Ganz schön mutig, für seine Bücher ein eigenes Genre zu kreieren. Doch wer „Die Galerie der Lügen“ (oder auch ein anderes Werk des Autors aufschlägt), wird sehen, dass dies durchaus seine Berechtigung hat. Es fällt tatsächlich schwer, Isaus Romane einzuordnen, vor allem, wenn sie sich mit komplexen Themen wie in „Die Galerie der Lügen“ beschäftigen.

Die Eingangsszene erinnert an „Sakrileg“ von Dan Brown. Schauplatz ist das Pariser Louvre-Museum, Heimat von berühmten Gemälden wie der Mona Lisa von da Vinci. Es findet ebenfalls ein Einbruch statt, aber es wird nichts gestohlen. Stattdessen sprengt der Täter sich und die antike Statue eines Hermaphroditen in die Luft. Doch das soll nicht der einzige Vorfall bleiben. Genau sieben Tage später verschwindet in der Londoner |Tate Gallery of Modern Art| ein Bild des belgischen Malers René Magritte, „Der unachtsame Schläfer“. Von da an finden weitere Einbrüche im Wochenrhythmus statt, und jedes Mal hinterlässt der Täter einen Gegenstand am Tatort, der mit dem Bild des Schläfers in Verbindung steht.

Schnell hat man eine Verdächtige zur Hand. Die Fingerabdrücke der jungen, rebellischen Journalistin Alex Daniels wurden im Louvre gefunden. Alex, die in ihren Arbeiten die Evolutionstheorie kritisiert und deswegen nicht gerade beliebt ist, bestreitet, am Tatort gewesen zu sein. Zeugen hat sie dafür allerdings keine. Deshalb wird sie vorläufig in Gewahrsam genommen. Die Versicherung |ArtCare|, die alle gestohlenen Kunstwerke betreut hat, schickt Darwin Shaw zu Alex, um den Fall zu lösen. Der Versicherungsdetektiv stößt bei ihrer ersten Begegnung gegen den Dickkopf der jungen Dame, doch im Gegenteil zur Polizei glaubt er, dass Alex etwas weiß. Die beiden freunden sich an und es stellt sich heraus, dass Alex, wenn schon nicht selbst, wenigstens verwandtschaftlich in den Fall verwickelt ist: Das DNS-Profil des Louvre-Täters stimmt fast zur Gänze mit ihrem überein. Das ist eigentlich nur bei eineiigen Zwillingen der Fall, doch Alex ist als Einzelkind bei Adoptiveltern aufgewachsen. Haben ihre Eltern ihr etwas verschwiegen? Und was ist es, das sie Darwin Shaw, der die junge Frau allmählich liebgewinnt, verschweigt?

Ralf Isau präsentiert in seinem 2005 im Hardcover bei |Ehrenwirth| erschienen Roman einen bunten Strauß von Themen. Neben Alex Daniels‘ wissenschaftlichen Ansichten, auf die besonders am Anfang sehr ausführlich eingegangen wird, geht es außerdem um die Interpretation von Kunstwerken und vorrangig um Hermaphroditismus. Plump gesagt versteht man darunter „Zwitter“, also Menschen, deren Geschlecht sich nicht so einfach feststellen lässt. Anders als beispielsweise Jeffrey Eugenides, der mit seinem Roman [„Middlesex“, 916 welcher genau dieses Thema behandelt, einen hohen Bekanntheitsgrad gewonnen hat, wendet sich Isau eher der wissenschaftlichen Seite zu. Dementsprechend sollte man nicht nur dafür, sondern auch für die übrigen genannten Themen ein gesundes Interesse mitbringen.

Gerade der Anfang ist stellenweise etwas informationsüberladen, aber das gibt sich mit der Zeit. Ist erstmal alles erklärt, entwickelt sich eine spannende Handlung; das Buch kommt in Fahrt und punktet durch überraschende Wendungen. Isau schafft es immer wieder, Elemente in die Geschichte einzubringen, die zusätzliche Spannung bringen, wie zum Beispiel die angebliche Verwandtschaft Alex‘ zum Louvre-Täter. Dadurch bekommt der Roman stark thrillerhafte Züge, was ihm definitiv nicht schadet.

Ein weiteres Kennzeichen von „Die Galerie der Lügen“ ist Isaus sorgfältige Arbeit. Die Handlung ist haarklein ausgetüftelt hat. Alles hat einen Grund, alles lässt sich nachvollziehen, und gerade das macht Spaß bei der Lektüre von „Die Galerie der Lügen“: die Transparenz. Diese schlägt sich auch den beschreibenden Teilen des Textes nieder. Sogar die alltäglichsten Dinge werden seziert und in ansprechende literarische Form gebracht. Manchmal grenzt diese Genauigkeit geradezu an Pedantismus, wenn Isau sogar die Fluglinie namentlich erwähnt, mit der Darwin Shaw ins Ausland fliegt.

Der Anspruch, alles zu erklären, zeigt sich auch im Schreibstil. Dieser ist eher kühl und distanziert, intellektuell und rational – passend zum Sujet des Buches eben. Und auch wenn man dadurch manchmal das Gefühl hat, die menschliche Seite der Protagonisten könnte etwas zu kurz kommen, so ist trotzdem fraglich, ob dieses Buch besser hätte geschrieben werden können. Der Schreibstil passt wie die Faust aufs Auge. Jeder andere hätte die Ernsthaftigkeit und die Denkanstöße, die Isau im Buch transportiert, sicherlich nicht so gut darstellen können.

Die Charaktere in „Die Galerie der Lügen“ vereinen alles, was bis jetzt gesagt wurde. Sie sind sehr genau ausgearbeitet, aber, ähnlich wie der Schreibstil, öffnen sie sich dem Leser nicht zur Gänze. Gerade Alex, deren gesamtes Leben von schwerwiegenden Geheimnissen belastet wird, gibt sich zugeknöpft. Sie taut mit der Zeit zwar auf, aber der Eindruck der mysteriösen, unnahbaren Frau bleibt. Und gerade das macht sie für den Leser interessant. Die übrigen Charaktere, einmal abgesehen von Darwin Shaw, bleiben durch den distanzierten Schreibstil eher verschlossen. Von ihnen erfährt man kaum mehr als sie durch ihr Auftreten und ihr Gesagtes von sich preisgeben. Das könnte man negativ deuten, aber es hat auch einen entscheidenden Vorteil: In dem Buch, das sowieso schon prall gefüllt ist mit allerlei Informationen, stehen dadurch die beiden oben genannten Personen im Vordergrund und niemand anderer.

„Die Galerie der Lügen“ ist sicherlich keine einfache Bettlektüre. Dazu konzentriert sich Isaus Phantagon zu sehr auf komplexe, anspruchsvoll aufbereitete Themen, für die man, wenn schon kein besonderes Interesse, dann doch wenigstens eine gewisse Aufgeschlossenheit mitbringen sollte. Wer sich auf das Buch einlässt, bekommt im Gegenzug einiges geboten. Isau recherchiert akribisch und weiß das Recherchierte umzusetzen. Er konzentriert sich auf zwei Personen und legt sie anhand seines sezierenden Schreibstils offen. Alles zusammen presst er anschließend in einen sorgfältig abgesteckten Handlungsrahmen, der neben einer thrillerhaften Spannung außerdem manchmal geradezu sachbuchartige Züge und kriminalistische Ermittlungsarbeit aufweist. Ein Phantagon eben, eine gelungene Mischung aus vielen verschiedenen Genres, bei der man stets aufs Neue nach ihren Einflüssen suchen kann.

[Website von Ralf Isau]http://www.isau.de

http://www.bastei-luebbe.de

_Ralf Isau auf |Buchwurm.info|:_

[„Das gespiegelte Herz“ 1807 (Die Chroniken von Mirad 1)
[„Der König im König“ 2399 (Die Chroniken von Mirad 2)
[„Das Wasser von Silmao“ 3014 (Die Chroniken von Mirad 3)
[„Das Jahrhundertkind“ 1357 (Der Kreis der Dämmerung, Teil 1)
[„Der Wahrheitsfinder“ 1502 (Der Kreis der Dämmerung, Teil 2)
[„Der weiße Wanderer“ 1506 (Der Kreis der Dämmerung, Teil 3)
[„Der unsichtbare Freund“ 1535 (Der Kreis der Dämmerung, Teil 4)
[„Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ 1095 (Die Legenden von Phantásien)

Mina, Denise – Hintermann, Der

Täglich drei harte Eier, Grapefruit und schwarzer Kaffee, und schon wird man pro Woche drei Kilo leichter. Klingt verlockend, diese Eierdiät, die Paddy Meehan, die Protagonistin in Denise Minas Buch „Der Hintermann“ seit einiger Zeit ausprobiert, um die überschüssigen Pfunde loszuwerden.

Bei der Diät ist Paddy leider so erfolgreich wie bei ihrer Arbeit als Mädchen für alles in der Zeitungsredaktion der „Scottish Daily News“ im Glasgow der achtziger Jahre. Eigentlich möchte sie Journalistin werden, aber ihre Beschäftigung besteht hauptsächlich darin, dem Chefredakteur Bier aus dem nahen Pub zu holen. Doch das junge Mädchen bekommt seine Chance, als der dreijährige Brian Wilcox brutal ermordet an einer Eisenbahnlinie gefunden wird. Als Verdächtige ermittelt man zwei Elfjährige. Einer von ihnen ist der Cousin von Paddys Verlobtem Sean, wie sie ihrer Kollegin Heather anvertraut. Heather, eine hübsche Studentin mit Ambitionen, nutzt diese Tatsache aus und bringt eine reißerische Story über die heruntergekommene Familie des Verdächtigen.

Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen für Paddy. Ihre streng katholische Familie einschließlich ihres Verlobten ist fest davon überzeugt, dass sie den Artikel geschrieben hat. Paddy, von allen Menschen, die sie liebt, alleine gelassen, beschließt zu beweisen, dass dieser brutale Mord nicht von zwei Elfjährigen begangen worden sein kann. Bei ihrer Recherche stößt sie auf einen Fall von Kindsmord, der bereits acht Jahre zurückliegt und ein ähnliches Muster wie der Brian-Cox-Fall aufweist. Damals hatte man den Stiefvater des toten Jungen verurteilt, obwohl er standhaft behauptet hatte, unschuldig zu sein. Paddy fühlt, dass hier etwas nicht stimmt. Sie begibt sich auf die Spurensuche und befragt die Mutter des vor acht Jahren ermordeten Kindes. Bald stellt sich heraus, dass ihr gewisse Personen bei beiden Fällen begegnen. und sie beginnt, Parallelen zu ziehen. Doch da wird Heather, deren Namen Paddy bei ihren „Ermittlungen“ benutzt, ermordet aufgefunden. Als Paddy erkennt, dass sie das eigentliche Opfer gewesen wäre, wird ihr klar, was für Dreck sie mit ihrer Suche aufgewühlt hat …

„Der Hintermann“ ist eines dieser Bücher, die erst nach einer Aufwärmphase richtig gut werden. Der Anfang jedenfalls lädt eher dazu ein, den Thriller wieder aus der Hand zu legen. Denise Mina hält sich mit Hintergrundinformationen munter zurück. Sie wirft den Leser direkt ins Geschehen, und das ist in einem Buch, das vor zwanzig Jahren in einem Land spielt, dessen Verhältnisse nicht jeder kennt, nicht unbedingt der Königsweg. Die strikten Regeln des Katholizismus und die Feindschaft mit den Protestanten ist gerade für jemanden, der nicht mit den Sitten Schottlands vertraut ist, anfangs schwer verständlich. Mina fügt kaum Erklärungen an, das meiste muss sich der Leser selbst zusammenreimen.

Es ist hilfreich, dass die Hauptperson Paddy Meehan den Katholizismus in Frage stellt. Dadurch werden immerhin einige Dinge klar, auch wenn das eher beiläufig geschieht. Anfangs fällt es schwer, Zugang zu dem pummeligen, stets etwas melancholischen Mädchen zu finden, doch mit der Zeit wächst Paddy dem Leser ans Herz. Frei nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“ befreit sie sich mit dem Erscheinen des Zeitungsartikels von sämtlichen Fesseln, die sie vorher gehalten haben. Ihre Familie ignoriert sie als Reaktion auf den Artikel, ihr Verlobter möchte nichts mehr von ihr wissen. Paddy hat nichts zu verlieren und wirft sich deshalb mit vollem Elan ins Leben. Das verändert sie nachhaltig und rückt ihre Zukunftsvorstellungen zurecht. Das Mädchen entwickelt im Verlauf der Geschichte ein neues Selbstvertrauen, so dass sich der einst konturlose Teenager immer mehr zu einer selbstbewussten Persönlichkeit wandelt.

Ähnliches gilt für die Geschichte, die Mina erzählt. Sie beginnt holprig und irgendwie konventionell – ein Mord passiert, eine Außenseiterin kommt der wahren Lösung auf die Spur -, doch mit der Zeit kommt eine sehr angenehme Atmosphäre auf, die zu der grauen Stimmung im trüben Glasgow passt. Trotzdem hängt das Buch bis zur Mitte ein wenig durch. Es passiert zu wenig Spannendes und Paddys Ermittlungen machen kaum Fortschritte. Wirklich rasant wird es nie, aber gegen Ende folgen die Ereignisse immerhin so dicht aufeinander, dass es nicht langweilig wird.

Der Erzählstil passt zu der gedrückten Stimmung, die im Buch vorherrscht und auf weiten Strecken auch Paddy anhängt. Einfach, auf das Vokabular eines jungen Mädchens abgestimmt, erzählt Mina aus Paddys Perspektive. Aufgrund des Anspruchs ihres Schreibstils ist „Der Hintermann“ dennoch nicht wie ein Jugendbuch geschrieben. Auffällig ist die Art der Autorin, auch unwichtig erscheinenden Kleinigkeiten Raum zu geben, so dass die Geschichte an vielen Stellen sehr ausgefeilt wirkt, was ihr nur zugute kommt.

Der Schreibstil kann allerdings nicht über die anfänglichen Probleme hinwegtäuschen. „Der Hintermann“ von Denise Mina hat durchaus seine Momente, doch vor allem der schwerfällige Start und die fehlenden zündenden Ereignisse in der Mitte machen es manchmal schwierig, das Buch weiterzulesen.

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_Denise Mina auf |Buchwurm.info|:_
[„Refugium“ 928

Ferraris, Zoe – letzte Sure, Die

Wenn man den Islam kritisiert, geht es normalerweise darum, wie sehr die Frauen in dieser Religion unterdrückt werden. Dass dies nicht nur für die Frauen Folgen hat, sondern auch für Männer, zeigt Zoë Ferraris in ihrem ersten Roman „Die letzte Sure“.

Wer sich nun denkt: Nanu? Wie will uns eine Frau mit einem westlichen klingenden Namen die Welt des Korans erklären?, dem sei Ferraris‘ Biografie ans Herz gelegt. Sie hat ein Jahr lang in einer strenggläubigen Gemeinde in Saudi-Arabien gelebt, nachdem die Liebe sie dorthin geführt hat. Selbst wenn sie die Welt, in der ihr Roman spielt, nicht mit der Muttermilch aufgesogen hat, wird sie also eine ungefähre Ahnung davon haben, worüber sie beschreibt.

Um ehrlich zu sein: Sie hat mehr als das. „Die letzte Sure“ findet vor einem perfekt recherchierten Hintergrund statt, der auf mich als Laienleserin einen sehr starken Eindruck gemacht hat. Das Buch ist unglaublich homogen und versetzt den Leser aufgrund der farbigen Beschreibungen, der sehr gut ausgearbeiteten Charaktere und des zeitlosen Schreibstils direkt in die heiße Wüste Saudi-Arabiens und die flirrende Großstadt Dschidda.

Die Geschichte beginnt in der Wüste. Der Wüstenführer Nayir sucht gemeinsam mit seinem Trupp die riesigen Sanddünen nach einem jungen Mädchen ab. Nouf, die Schwester seines Freundes Othman, ist von zu Hause fortgelaufen und wird hier vermutet. Als man sie schließlich findet, ist die Sechzehnjährige tot. Sie ist in einem wasserführenden Trockental ertrunken. Und obwohl ihre reiche Familie ihren Tod als Unfall abtut, will sich Nayir nicht mit dieser Begründung zufriedengeben. Zu viel ist im Unklaren geblieben über die Flucht des Mädchens, das kurz vor seiner Hochzeit stand. Wieso wird sie beispielsweise beim traditionellen Begräbnis wie eine Schwangere in ihr Grab gelegt? Und wieso möchte Othman auf einmal, dass Nayir sich nicht weiter um die Geschichte kümmert?

Nayir ist nicht der Einzige, der Verdacht schöpft. Katya, die die Leiche Noufs in der Rechtsmedizin obduziert hat und außerdem mit Othman verlobt ist, lässt sich ebenfalls nicht so einfach bremsen. Sie gehört zu den wenigen Frauen in der konservativen Stadt, die arbeiten gehen, und ihre forsche Art ist Nayir, als er sie kennenlernt, sehr unangenehm. Als sie auch noch darauf besteht, gemeinsam mit ihm in diesem Fall zu ermitteln, wird sein gesamter Glaube auf den Kopf gestellt.

Der islamische Glaube durchzieht das Buch als roter Faden. Zoë Ferraris bleibt dabei überaus neutral und wird gegenüber der Religion niemals unfair. Sie stellt ihre Grundsätze sehr anschaulich und leicht verständlich dar, verschleiert aber nichts. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Protagonist Nayir, ein Palästinenser, der oft für einen Beduinen gehalten wird, in Wirklichkeit aber ein Fremder in diesem Land ist und manchmal deshalb wie ein einsamer Wolf wirkt. Aufgewachsen bei seinem Onkel, hat er kaum Kontakt zu Frauen. Sein Onkel kann ihm keine Hochzeit arrangieren und er selbst wird durch die Restriktionen des Islam davon abgehalten, überhaupt einmal Frauen kennenzulernen. Als Katya in sein Leben tritt und energisch darauf pocht, mit ihm zusammenzuarbeiten, wird sein strenger Glaube gehörig durcheinandergewirbelt. Trotzdem bleibt er der ehrliche, standhafte Mann, der er schon immer war – er merkt nur, dass er einige Dinge vielleicht manchmal zu verbissen sieht.

Neben dieser männlichen Sicht sorgt die Rechtsmedizinerin Katya dafür, dass auch die Frauen in diesem Buch zu Wort kommen. Sie stellt ihren Glauben allerdings nicht so sehr in Frage, wie die sechzehnjährige Nouf das tut. Mit der Zeit kristallisiert sich immer mehr heraus, dass der Teenager sich eingeengt fühlte und den Vorstellungen der strenggläubigen Eltern zu entfliehen versuchte. Ferraris gelingt es dabei sehr schön darzustellen, wie anstrengend das Leben einer Frau in Saudi-Arabien sein muss, wenn es kaum möglich ist, einen einzigen Schritt ohne Begleitung eines Mannes aus der Familie zu machen.

Die Autorin verarbeitet das Wissen, das sie über diese Religion erfahren hat, auf eine sehr verständliche Art und Weise in ihrer Geschichte. Sie ufert nie aus, erzählt aber immer genug, damit der westliche Leser bestimmte Dinge versteht, auch wenn er sie aufgrund seiner Erziehung und Kultur vielleicht nicht ganz nachvollziehen kann. Obwohl eine Menge zu erklären ist, vergisst Ferraris darüber nie die eigentliche Geschichte: den Kriminalfall um Nouf. Mit viel Cleverness und konventionellen Methoden wie der Hilfe eines beduinischen Spurensuchers, Befragungen und Denkarbeit lösen Nayir und Katya das Rätsel um Noufs Tod. Sie befinden sich dabei mehr als einmal auf dem Holzweg, aber Ferraris bringt die beiden immer wieder auf den richtigen Pfad, indem sie sie häppchenweise mit wichtigen, oft alles verändernden Hinweisen füttert. Das macht die Geschichte spannend und fesselnd. Allerdings ist es eine stille Sorte Spannung, die ihre Kraft nicht aus reißerischen Actionszenen, sondern vielmehr aus den Widersprüchen und Geheimnissen in Noufs Leben bezieht.

Der Schreibstil korrespondiert mit dieser stillen Spannung. Ferraris schreibt angenehm leise. Sie verzichtet auf Gewaltdarstellungen oder reißerische Effekte. Sie verkürzt keine Sätze, um Spannung darzustellen und es gibt auch keine plötzlichen Geistesblitze. „Die letzte Sure“ liest sich nicht wie ein Krimi, sondern wie ein belletristischer Roman, und das ist einer seiner großen Trümpfe. Der Schreibstil ist zeitlos. Nicht flapsig wie von manchen Jungautoren und auch nicht ruhelos, wie man das von anderen amerikanischen Krimischreibern kennt. Poetisch angehaucht und oft nachdenklich präsentieren sich die Perspektiven von Katya und Nayir. Sie wahren dabei eine gewisse Distanz zu ihren Protagonisten, ohne kalt zu wirken, und erlauben es dem Leser, viel Eigeninterpretation in die Lektüre einzubringen.

Besondere Aufmerksamkeit verdient Ferraris‘ Umgang mit den Gegebenheiten eines Wüstenlandes. Die Hitze wird oft anhand von bunten Schilderungen thematisiert. An einer Stelle beschreibt die Autorin, wie Katya, die auf dem Gehweg auf ihren Fahrer wartet, ihre Sandalen danach wegwerfen muss, weil die Hitze die Gummisohlen geschmolzen hat. Diese unglaubliche Bildkraft führt dazu, dass der Leser sich wie direkt in die Wüste versetzt fühlt.

Zoë Ferraris‘ Debütroman „Die letzte Sure“ ist ein Roman von seltener Harmonie. Handlung, Personen, Schreibstil – wirklich alles passt genau zusammen und präsentiert sich in einem harmonischen, aber sehr eindrucksvollen Gewand. Bitte mehr davon!

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Jonas Torsten Krüger – Der Racheengel von Venedig

Die italienische Stadt Venedig ist ein beliebtes Touristenziel. Das ist nicht weiter verwunderlich. Immerhin gibt es eine Menge Kunst und Kultur in der Stadt, die auf Stelzen steht. Zu viel Kunst, wenn es nach der vierzehnjährigen Bea geht. Sie kann ihrer Heimatstadt nichts abgewinnen, schon alleine deswegen nicht, weil ihre verwitwete Mutter als Beauftragte für die Kirchenkunst Venedigs viel zu wenig Zeit für ihre Tochter hat. Doch das junge Mädchen weiß sich abzulenken. Wie sich das in einer Stadt gehört, in der das Boot das Auto ersetzt, ist sie gerne auf und im Wasser. Außerdem ist sie begeisterte Naturschützerin – und Hobbydetektivin!

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Blazon, Nina – Sturmrufer, Die (Die Meerland-Chroniken 1)

Nina Blazon ist ein Arbeitstier. Alleine dieses Jahr erschienen von ihr vier Bücher, darunter die historischen Romane „Der Maskenmörder von London“ und „Katherina“ und in der Reihe |Die Taverne am Rande der Welt| die beiden Bände „Die Reise nach Yndalamor“ und „Im Land der Tajumeeren“. Mit „Die Sturmrufer“ begibt sich die Autorin zurück zu ihren Wurzeln. Der Fantasyroman für Jugendliche ist der erste Band der Reihe |Die Meerland-Chroniken|.

Die Geschichte beginnt an einem wohlbekannten Ort. Die Küstenstadt Dantar spielte schon im ersten Teil der |Woran|-Saga, „Im Bann des Fluchträgers“, eine kleine Statistenrolle. Dieses Mal steht sie im Vordergrund, denn Amber, ein junges Mädchen aus den Bergen, möchte Bürgerin der Stadt werden und dort leben und arbeiten. Dumm nur, dass sie einen Bürgen braucht, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Noch dümmer, dass sie erstens noch niemanden in der großen Stadt kennt und sich zweitens mit ihrer kratzbürstigen Art und dem Talent, Menschen ständig vor den Kopf zu stoßen, keine Freunde macht.

Als ein heftiger Sturm mit einer riesigen Flutwelle über die Stadt hinwegfegt, lernt sie in ihrem Versteck den jungen Seiler Inu kennen. Sie benimmt sich ihm gegenüber abweisend. Dennoch besorgt er ihr einen Job als Ruderin, denn bei dem Unwetter sind Handelsschiffe gesunken. Nun sollen Taucher nach den wertvollen Ladungen suchen. Gemeinsam mit Inu, der stolzen Taucherin Sabin und dem freundlichen Navigator Tanijen rudert Amber zu einer Sandbank, wo Sabin teuren Schmuck aus einem Wrack holen soll.

Doch das Wetter macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Ohne Vorwarnung zieht ein neuer Sturm auf und schwemmt das kleine Boot der vier an eine unbekannte, anscheinend unbewohnte Insel. Sie finden Zuflucht in einer verlassenen Festung, die irgendwie unheimlich ist. So wie die ganze Insel. Vögel, die Wind machen, ein Schiffsfriedhof, Bäume, aus denen Fischen schlüpfen – hier geht es augenscheinlich nicht mit richtigen Dingen zu.

Die Versuche, die Insel zu verlassen, scheitern. Erst als Tanijen dem Geheimnis des verwunschenen Ortes auf die Spur kommt, scheint auch die Flucht in greifbare Nähe zu rücken. Doch weder Tanijen noch die anderen drei ahnen, wie gefährlich dieses Geheimnis ist …

Nina Blazon konzentriert sich dieses Mal hauptsächlich auf die vier Jugendlichen, die sehr unterschiedlich sind. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Konflikte. Während Amber und Sabin mit Erlebnissen in ihrer Vergangenheit zu kämpfen haben, steht zwischen Tanijen und Inu das Ende der gemeinsamen Freundschaft. In der Abgeschiedenheit brechen diese Konflikte erneut auf und es kommt erschwerend hinzu, dass gerade die Mädchen sehr einzelgängerisch sind.

Emotionaler Zündstoff ist dementsprechend vorhanden, und die Stuttgarter Autorin nutzt das für ihre Zwecke aus. Sie flicht ein dichtes, authentisches Netz aus Problemen und Konflikten, das aus seiner Tiefe Spannung bezieht. Sie weiß genau, wie sie die einzelnen Personen zueinander platzieren muss, um den Leser in den Bann zu ziehen.

Das ist natürlich eng mit den Personen selbst verbunden, die bestechend gut ausgearbeitet sind. Sie besitzen Ecken und Kanten, und Blazon hat jede mit einer traurigen Geschichte ausgestattet. Die Figuren werden richtiggehend lebendig und geben dem Leser – obwohl sie in einer ganz anderen Welt leben – die Möglichkeit, sich mit ihnen zu identifizieren.

Anders als in ihren vorherigen Büchern schlägt die Autorin einen ernsteren, erwachseneren Ton an. „Die Sturmrufer“ ist sicherlich nicht so witzig und leichtfüßig wie ihre Reihe |Die Taverne am Rande der Welten|, dafür aber dementsprechend tiefgehender. Der Schreibstil bleibt im Großen und Ganzen der Gleiche. Blazon verzichtet – aufgrund der Ernsthaftigkeit des Buches – auf ihren köstlichen Humor und überdrehte, beinahe satirische Fantasyelemente. Trotzdem schreibt sie bunt und lebendig, auch wenn sich dies eher auf das Innenleben der Charaktere bezieht als auf die Welt, in der die Geschichte spielt.

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Küstenstadt Dantar und die geheimnisvolle Insel blasse Örtchen in einer wässrigen Fantasywelt wären. Im Gegenteil stattet die Autorin den Schauplatz erneut mit vielen wunderbaren Details aus und beweist ein ums andere Mal, wie fantasievoll sie sein kann. Ihr Einfallsreichtum hört nicht einfach so beim Hintergrund der Geschichte auf, sondern reicht weit in den Schreibstil hinein. Immer wieder benutzt sie Elemente der Umgebung um Dantar, um daraus bildhafte, leicht verständliche Metaphern zu bauen, welche die Geschichte sehr anschaulich werden lassen.

Bei all dem Lob gibt es aber auch etwas zu bemängeln. Manchmal scheint sich die Autorin, die 2003 den Wolfgang-Hohlbein-Preis gewann, ein wenig zu sehr auf dem Beziehungsgeflecht der vier Protagonisten auszuruhen. Die Handlung besteht zwar aus sehr vielen guten Einfällen, aber diese sind zumeist nicht sauber kombiniert. Oft fehlt es an Glaubwürdigkeit und an Ordnung, obwohl der Anfang sehr vielversprechend ist. Dadurch wirkt das Buch manchmal recht beliebig, beinahe kraftlos, und es kommt dementsprechend nur wenig Stimmung auf.

Gut, dass man sich aber trotzdem bei Nina Blazon immer auf zwei Dinge verlassen kann: originelle Charaktere und einen fesselnden Schreibstil. Davon gibt es auch in „Die Sturmrufer“ wieder eine hochwertige Kostprobe. Da dies der erste Band der Trilogie |Die Meerland-Chroniken| ist, bleibt nur zu hoffen, dass die Charaktere uns erhalten bleiben und in den beiden folgenden Büchern Abenteuer erleben, wie man sie von Blazon gewohnt ist.

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_Alle Bücher von Nina Blazon auf |Buchwurm.info|:_

[„Im Bann des Fluchträgers (Woran-Saga 1)“ 2350
[„Im Labyrinth der Könige (Woran-Saga 2)“ 2365
[„Im Reich des Glasvolks (Woran-Saga 3)“ 2369
[„Der Bund der Wölfe“ 2380
[„Die Rückkehr der Zehnten“ 2381
[„Der Spiegel der Königin“ 3203
[„Die Reise nach Yndalamor (Die Taverne am Rande der Welten 1)“ 3463
[„Im Land der Tajumeeren (Die Taverne am Rande der Welten 2)“ 3980
[„Der Maskenmörder von London“ 3983

Rose, Joel – Kein Rabe so schwarz

Der amerikanische Autor Joel Rose hielt es mit seinem Roman „Kein Rabe so schwarz“ wie mit einem guten Wein: Er ließ ihn reifen. Knapp zwanzig Jahre recherchierte er dafür, 4000 Seiten schrieb er. Letztendlich kürzte er die Geschichte auf die vorliegenden 513 Seiten, auf denen er versucht, das New York Mitte des 19. Jahrhunderts aufleben zu lassen.

Wenn man seine Geschichte in einer so weit zurückliegenden Zeit ansiedelt, ist es notwendig zu recherchieren. Doch wofür brauchte der Autor zwanzig Jahre? Das klingt doch nach allzu viel Zeit für einen Roman. Die lange Reifezeit könnte damit zusammenhängen, dass Rose nicht nur einfach ein Bild des alten New Yorks zeichnen möchte, sondern mehrere historische Persönlichkeiten in seine Kriminalgeschichte eingebaut hat. Neben den kurzen Auftritten verschiedener Persönlichkeiten der Literaturszene von damals ist es hauptsächlich der Schriftsteller und Dichter Edgar Allan Poe, dem Rose sich widmet.

1841 wird die hübsche Zigarrenverkäuferin Mary Cecilia Rogers erdrosselt und misshandelt im Hudson River gefunden. Dieser real geschehene Mordfall soll später Anlass für die Poe-Erzählung „Das Geheimnis der Marie Rogêt“ sein. Joel Rose wiederum nimmt den eigentlichen Fall zur Hand, bereitet ihn literarisch auf und lässt Poe im Verlauf der Geschichte seine Erzählung veröffentlichen, die bei den Ermittlungen keine unwichtige Rolle spielt.

High Constable Hays, ein in die Jahre gekommener Mann, dessen Geist aber immer noch einwandfrei funktioniert, wird beauftragt, den Fall Mary Rogers zu lösen. Das Zigarrenmädchen bleibt allerdings nicht die einzige Tote. Wenig später findet man am Hudson River die Leiche des Druckers Samuel Adams und dann geschieht ein dritter Mord. Der junge Gangster und Bandenchef Tommy Coleman soll seine Frau, deren Liebhaber und seine vierjährige Tochter umgebracht haben.

Während die letzten beiden Fälle schnell aufgeklärt werden können, kommt Hays dem Mörder von Mary Rogers keinen Schritt näher. Immer wieder wird seine Aufmerksamkeit von anderen Polizeiarbeiten abgelenkt, doch Mary Rogers verfolgt ihn jahrelang. Erschwerend ist, dass die junge Dame, obwohl verlobt, anscheinend ein Verhältnis mit einem anderen Mann hatte. Doch wer war dieser andere Mann und ist er vielleicht der Mörder?

Zur gleichen Zeit taucht der zerrissene und verarmte, aber geniale Dichter und Schriftsteller Edgar Allan Poe in der Stadt auf. Immer wieder sorgt er für Ärger, weil er sich mit allen möglichen Leuten, vor allem aus dem Literaturgeschäft, anlegt, während ihm die Frauen zu Füßen liegen. Als er verkündet, eine dreiteilige Geschichte zu veröffentlichen, die den Mordfall um Mary Rogers aufklären soll, sorgt er für einen handfesten Skandal. Hays, der unbestechliche Polizist – den der Fall Rogers immer noch nicht losgelassen hat – und seine Tochter Olga versuchen, Poes Geschichte zu entschlüsseln. Steckt letztendlich in der Erzählung wirklich ein Hinweis auf den Mörder?

Eines ist nach dem Lesen dieses Buches gewiss: Die zwanzig Jahre Recherche haben sich gelohnt. Rose zeichnet ein sehr detailliertes, authentisch wirkendes Bild des 19. Jahrhunderts. Sogar die Art und Weise, wie und aus welcher Sicht er schreibt, versetzt er zwei Jahrhunderte zurück. Mit gehobenem Wortschatz erzählt er virtuos und an Poes Werke angelehnt. Besonders am Anfang ist der gestochene Schreibstil für den Durchschnittsleser deshalb gewöhnungsbedürftig. Die verschachtelten Sätze, die oft viele beschreibende Satzteile und Adjektive enthalten, sind anfangs etwas anstrengend.

Dadurch ist „Kein Rabe so schwarz“ kein Buch für jedermann. Ein historisches Interesse sollte vorhanden sein, eine Abneigung gegen Edgar Allan Poe ist sicherlich auch keine gute Voraussetzung für diesen Roman. Hinzu kommt, dass das Buch trotz des gut recherchierten Hintergrunds nicht auf ganzer Linie überzeugt. Vor allem die Handlung hat ihre Schwächen, was daran liegen mag, dass Rose sich an einem realen Fall orientiert. Dadurch wird das Buch sehr in die Länge gezogen. Die Aufklärung des Mordes an Mary Rogers findet zum Beispiel erst fünf Jahre später statt. Der Autor begeht zum Glück nicht den Fehler, den gesamten Zeitraum dazwischen haarklein darzustellen. Er macht Zeitsprünge, kann es aber nicht lassen, an einigen Stellen allzu sehr in die Breite zu gehen. Oft fehlt es an einem gemeinsamen Nenner, besonders am Anfang, und es gibt kaum eine echte Sogwirkung.

In der Mitte wendet sich kurz alles zum Guten. Die Geschichte kommt in Fahrt, um die Mordfälle herum baut sich Spannung auf. Für kurze Zeit besteht das Buch weniger aus Gedankenspielen Hays‘, sondern aus richtigen Ereignissen. Man glaubt, der Lösung des Falls nun nahe zu sein, und hofft auf einen rasanten Showdown. Leider enttäuscht Rose diese Hoffnung. Gegen Ende wird die Geschichte wieder flacher und die Aufklärung des Falls stellt sich als äußerst speziell dar. Die Handlungen des Mörders und sein Motiv lassen sich rückblickend nur schwer nachvollziehen, da es im Vorfeld kaum Ansatzpunkte dafür gab, dass er in den Fall verstrickt sein könnte.

Was der Handlung auf jeden Fall mehr Tiefe verliehen hätte, wären schärfer umrissene Charaktere. Rose stattet seine Personen zwar mit den richtigen Attributen aus und erwähnt auch, wodurch sie sich auszeichnen und wie sie wirken. Leider entfaltet sich diese Wirkung aber nur selten in der Geschichte. Selbst Hays, der eine zentrale Rolle im Buch spielt und als „Vorbild“ für Poes Meisterdetektiv Monsieur Dupin fungiert, bleibt blass. Der Leser weiß, was den High Constable ausmacht, findet aber innerhalb der Buchdeckel kaum Zugang zu ihm. Es fehlt an nachvollziehbaren Gefühlen, während es mehr als genug Gedanken nachzulesen gibt.

Auf der Romanfigur Edgar Allan Poe liegt in diesem Fall natürlich besonderes Augenmerk; immerhin gibt es ein reales Vorbild. Dieses ist zwar schon lange tot, aber sein Leben gibt genug Stoff her für mehr als einen Roman (siehe dazu zum Beispiel den ähnlich gelagerten Poe-Krimi [„Die Stunde des Raben“ 3552 von Matthew Pearl). Rose schafft es, den Schriftsteller Poe einigermaßen lebendig werden zu lassen, doch auch ihm fehlt es ein wenig an Farbe. Manchmal verlässt sich Rose zu sehr auf die Ereignisse aus der Biografie des realen Poe, anstatt den fiktiven Poe vielschichtig zu gestalten.

Letztendlich muss man „Kein Rabe so schwarz“ trotz dieser Fehler Respekt zollen. Das Buch ist unglaublich gut recherchiert und lässt das 19. Jahrhundert auf über 500 Seiten lebendig werden. Man merkt, dass der Autor sich lange mit Poe und der historischen Epoche auseinandergesetzt hat. Sogar seinen Schreibstil hat er an diese Zeit angepasst, doch dabei bleiben die Personen und die Handlung leider etwas auf der Strecke.

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Kuhn, Krystyna – Engelshaar

Hannah Roosen hat es nicht einfach. Ihren alten Job beim bei Psychologischen Notdienst der Polizei musste sie aufgeben, nachdem sie den Selbstmord eines jungen Mädchens nicht verhindern konnte. Die Schuldgefühle quälen sie und sie hofft, dass es ihr mit ihrem neuen Job bei der gerade gegründeten Arbeitsgruppe des Frankfurter Vermisstendezernats V11 endlich wieder besser geht.

Doch wie das Schicksal es will, muss sie sich bei ihrem ersten Fall erneut mit einem jungen Mädchen beschäftigen, genauer gesagt mit zweien. Jelena Epp ist allerdings tot, ihre beste Freundin Marina Klaasen verschwunden. Die beiden stammen aus Kirgisien und sind gemeinsam mit einer strenggläubigen Glaubensgemeinschaft, der Bruderschaft Ebenezer, nach Deutschland gekommen. Während Marina sich deren konservativen Regeln beugt, findet Jelena Anschluss bei einer russischen Gang von Jugendlichen und beginnt ein Verhältnis mit Kolja, dem Kopf der Bande.

Die Arbeitsgruppe vom V11, die neben der Polizeipsychologin noch eine Computerexpertin, einen psychiatrischen Gutachter und die Kommissare Fischer und Liebler als Mitglieder zählt, steht vor einem Rätsel. Als Vorzeigeprojekt des Innenministers, das dessen Ruf vor der Landtagswahl aufpolieren soll, stehen sie schon kurz nach ihrer Gründung vor dem Nichts. Wo ist das Motiv zu suchen? In der religiösen Gemeinde, die Jelena wegen ihres Lebenswandels ausgestoßen hatte? In der Gang der russischen Jugendlichen, weil Kolja aufgrund von Jelenas Aussage in Haft sitzt?

Ein schwieriger Fall, den Hannah Roosen und ihre Kollegen da zu knacken haben. Krystyna Kuhn macht es ihnen nicht leicht, indem sie einen geschickt verschachtelten, aber zumeist übersichtlichen Krimi schreibt. Die Handlung ist originell, spannend und geschickt aufgebaut. Es wäre ein Einfaches gewesen, den Täter in einer der beiden verdächtigten Gruppen – die religiösen Gemeinde und die Jugendgang – anzusiedeln, doch Kuhn lässt sich nicht auf diese Ebene herab. Sie behandelt sowohl die Gläubigen als auch die jungen Russen mit Respekt und verzichtet auf gängige Vorurteile. Das führt dazu, dass die Suche nach dem Täter zwar komplex, aber sehr realistisch verläuft und durch ihre Tiefe besticht.

Der eigentliche Täter entpuppt sich als Randfigur, der nur wenig Bedeutung beigemessen wird. Dennoch ist das Motiv nachvollziehbar und überrascht, da es nicht in übliche Krimi-Muster passt. Es geht viel tiefer und Kuhn schafft es, die Beweggründe des Täters sehr plausibel und einfühlsam darzustellen. Sie lässt dem Menschlichen hinter dem Mord sehr viel Raum, so dass es als Leser schwerfällt, den Täter zu verurteilen.

Was den Roman, neben der Handlung, so lesenswert macht, ist die Hauptperson und Ich-Erzählerin Hannah Roosen. Hannah ist keine Heldin, sie ist eine ganz normale Frau und Mutter eines pubertierenden Fünfzehnjährigen. Während in anderen Büchern von Krystyna Kuhn entweder eine lebenslustige Singlefrau („Fische können schweigen“) oder eine eiskalte Karrierefrau („Wintermörder“) im Mittelpunkt standen, präsentiert die Autorin in „Engelshaar“ eine sehr alltägliche Frauenfigur.

Hannah ist ständig überarbeitet, hat zu wenig Zeit für ihren Sohn, in ihrer Ehe kriselt es und ihr neuer Job setzt ihr zu. Sie hat das Gefühl, nicht richtig ernst genommen zu werden, und arbeitet deshalb umso härter. Sie geht geradezu in dem Fall auf, und das kommt wiederum dem Leser zugute. Er ist hautnah am Geschehen und sieht alles durch Hannahs psychologisch geschultes Auge.

Da die Polizeipsychologin auf eine sehr menschliche Art in der Ich-Perspektive erzählt, konzentriert sich das Buch weniger auf die trockenen Ermittlungen als vielmehr auf die zwischenmenschlichen Töne des Geschehens. Gut sortiert und anschaulich dargestellt, überzeugen sie vor allem dank Hannahs sympatischem Erzählstil.

Anders als bei anderen Büchern der Autorin fehlt in „Engelshaar“ der teilweise sehr bissige Humor von Kuhn. Der Schreibstil ist Hannah angepasst, die zwar durchaus auch mal witzig sein kann, vordergründig aber eine vom Leben eingespannte Frau ist. Kuhn drückt sich gewählt aus, ohne überkandidelt zu klingen. Sie schafft mit ihrer treffsicheren Art für Sätze und Wörter ein dichtes Erzählnetz, das sehr mitreißend ist

Mit „Engelshaar“, dem dritten von mittlerweile vier Kriminalromanen, untermauert Krystyna Kuhn ihre Stellung als eine von Deutschlands aufstrebenden Krimiautorinnen. Sie schafft es, ihre anderen Bücher weder in Bezug auf die Handlung noch in Bezug auf Hauptperson zu kopieren. Hannah Roosen glänzt nicht durch Originalität, sondern durch Bodenständigkeit und unglaubliche Authentizität. Dadurch, dass sie in ihren Büchern ihren Schreibstil der jeweiligen Protagonistin anpasst, ist jeder Roman der Autorin ein ganz neues Erlebnis!

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_Krystyna Kuhn auf |Buchwurm.info|:_

[„Fische können schweigen“ 2882
[„Wintermörder“ 4037

Browne, Robert Gregory – Devil\’s Kiss – Dir bleiben 48 Stunden

Robert Gregory Browne ist nicht der erste Autor, der seine Kenntnisse aus seiner Zeit als Drehbuchschreiber in seine Bücher einfließen lässt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass derartige Vorkenntnisse meist zu spannenden, gut aufgebauten Geschichten führen. Die Autoren wissen schließlich, wie man ein Publikum unterhält.

Robert Gregory Brownes Debüt „Devil’s Kiss – Dir bleiben 48 Stunden“ fängt vielversprechend wie ein Actionfilm an. Eine junge, schwangere Frau erschießt in einer Bank zwei Wachmänner und zwingt die Kunden, sich auf den Boden zu legen. Wenig später finden sich ihre Komplizen, unter ihnen ihr Ehemann Alex Gunderson, ein unterschätzter Terrorist, ein und sie brechen den Tresor auf. Obwohl die Polizei schnell vor Ort ist, schafft die Bande es zu fliehen. Sie hat dabei keine Skrupel, wie der Spezialermittler Jack Donovan feststellen muss. Er verfolgt die Bankräuber, was letztendlich zu einem schlimmen Unfall führt. Sara, Alex Gundersons Frau, wird bei diesem Unfall so schwer verletzt, dass sie ins Koma fällt, weitere Mitglieder der Bande sterben, Donovan überlebt verletzt.

Über eineinhalb Monate später ist der Fall Gunderson in den Hintergrund geraten. Einzig Donovan glaubt, dass der Mann sich nach wie vor in Chicago aufhält. Seine Vermutung wird bestätigt, als Gunderson Donovans Tochter Jessie entführt. Er vergräbt sie in der Erde und versorgt sie per Sauerstoffmaske mit genug Sauerstoff für 48 Stunden. Er stellt keine Bedingungen, er will nur, dass Donovan spürt, was er ihm mit Saras Unfall – den er dem Ermittler in die Schuhe schiebt – angetan hat. Die Lage spitzt sich zu, als es zu einem folgenschweren Unglück kommt …

Explosionen, freche Sprüche, ein fesches Gangsterpärchen – „Devil’s Kiss – Dir bleiben 48 Stunden“ beginnt frisch und energiegeladen. Die Kapitel sind kurz, frei von Ballast und die Perspektiven wechseln schnell. Trotzdem lässt Robert Gregory Browne seinen Charakteren dabei genug Platz, um sich zu entfalten. Er schafft es, mit wenigen, kargen Sätzen Persönlichkeiten zu beschreiben, was an und für sich schon eine große Leistung ist.

Wenn man nach einem Wort sucht, dass den Thriller kurz und bündig beschreiben würde, wäre es das Adjektiv „cool“. Browne setzt neben den anfänglichen Hollywoodeffekten auf lässige Cops, abgebrühte Gangster und derbe Dialoge. Die Sprache ist bildhaft und effektiv, die Handlung spannend, da rasant und voller Überraschungen.

Leider hält Browne nicht, was der Anfang verspricht. Die Suche nach Donovans Tochter hat aufgrund der Umstände sehr großes Spannungspotenzial, aber der Autor tappt in eine Falle, die er sich selbst stellt. Eingangs erwähnt er, dass das Nahtoderlebnis seines Onkels ihn sehr berührt hat und er es deshalb dem breiten Publikum nahebringen möchte. Doch die Art und Weise, wie er das tut, wiegt die guten Absichten nicht auf.

Jack Donovan rast verzweifelt durch Chicago. Auf einer Brücke kommt es zu einem folgenschweren Überholmanöver, bei dem Jack mitsamt seinem Auto in den eiskalten Chicago River fällt. Er ist kurz tot, kann aber wiederbelebt werden. Der Unfall kann ihn nicht von der Suche nach seiner Tochter abhalten. Im Gegenteil hat er noch mehr Antrieb erhalten, denn in den Minuten zwischen Leben und Tod ist ihm der verstorbene Alex Gunderson erschienen. Er hat ihm einen bedeutenden, aber verschlüsselten Hinweis gegeben und nun setzt Donovan alles daran, noch einmal in Kontakt mit Alex zu treten.

Bis diese übersinnliche Komponente ins Spiel kommt, ist wirklich alles in Ordnung mit der Geschichte. Sie ist spannend und logisch aufgebaut und man liest sie mit hohen Erwartungen. Doch nach einiger Zeit verliert man den Überblick. Für 48 Stunden tischt Browne dem Leser ganz schön viel auf inklusive einem schweren Autounfall mit Krankenhausaufenthalt. Die Handlung wird etwas verworren. Spätestens als Jack behauptet, seit seinem Nahtoderlebnis sei Gunderson in seinem Inneren, driftet der Thriller ins Unrealistische ab. Bei aller Liebe, aber hier schlägt Browne ein bisschen über die Stränge und schafft es nicht, dies ordentlich zu begründen.

Trotz eines sehr vielversprechenden Anfangs ist „Devil’s Kiss – Dir bleiben 48 Stunden“ letztendlich nur ein B-Movie. Auf der Haben-Seite stehen die gut ausgearbeiteten, originellen Charaktere und der knackige, coole Schreibstil. Und der Anfang der Handlung. Eigentlich steht alles auf der Haben-Seite bis auf die Wende, die der Thriller nimmt, als Jack von der Brücke in den Chicago River rast. Die Art und Weise, wie Robert Gregory Browne das Nahtoderlebnis in seine Geschichte einbaut, missfällt aufgrund ihrer unrealistischen Züge und des – man möchte sagen – übersinnlichen Schnickschnacks.

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Hustvedt, Siri – Was ich liebte

Was kann das für ein Buch sein, an dessen Übersetzung aus dem Englischen sich drei Übersetzer gütig getan haben? Ist es so kompliziert, dass keiner der Übersetzer mehr als ein paar Seiten schaffte? Setzen die drei einfach gerne auf Teamwork?

Diese Frage wird bei der Lektüre von Siri Hustvedts „Was ich liebte“ leider nicht beantwortet. Muss es auch nicht, denn um ehrlich zu sein, wird die Frage mit der Zeit immer unwichtiger. Es gibt andere Dinge, über die der Leser nachzudenken hat, Dinge, die in direktem Zusammenhang mit der Geschichte stehen.

Das Buch erzählt rückblickend fünfundzwanzig Jahre aus dem Leben des Literaturprofessors Leo Hertzberg. Fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit und dementsprechend viel geschieht in dem Buch. Eines bleibt aber all die Jahre konstant: die Freundschaft zu dem Künstler Bill Wechsler. Gemeinsam fahren die beiden Männer in den Hafen der Ehe ein, werden etwa zur gleichen Zeit Väter zweier Söhne und überstehen nicht nur einen tragischen Todesfall in Leos Leben, sondern auch die negative Entwicklung von Bills Sohn Mark.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Während der erste Teil quasi die Vorgeschichte darstellt, geschieht im zweiten Teil etwas, das das Glück von Leo und seiner Frau Erica und deren Ehe stark belastet. Im dritten Teil dagegen steht ein ganz anderes Thema im Vordergrund: Bills Sohn, der sich zu einem notorischen Lügner entwickelt hat, Drogen nimmt und mit den falschen Leuten Umgang pflegt.

Die ersten beiden Teile, die rückblickend von Leo erzählt werden, muten sehr biografisch an. Stellenweise ohne chronologische Reihenfolge, erzählt er als alter Mann, was seine Freundschaft zu Bill ausmacht und wie sie ihre Frauen kennengelernt haben. Immer wieder beschreibt er die Kunstausstellungen von Bill und die Verbindungen zwischen den Familien Wechsler und Hertzberg.

Es passiert nicht wirklich viel bis zu dem Unglück. Vielmehr ist es Hustvedts dichter, detaillierter Schreibstil, der den Leser bei der Stange hält. Sie gehört zu den Autoren, deren Figuren und Schreibstil man beinahe zusammenfassend betrachten möchte, weil sie sich so ähnlich sind. Sie sind von einer seltenen Tiefe gekennzeichnet, von einer unglaublichen Durchkonstruiertheit und Lebendigkeit. Jedes Wort, jeder Charakterzug, jedes noch so kleine Ereignis scheinen an der richtigen Stelle zu stehen, um ein farbenprächtiges, realistisches Gesamtbild zu schaffen.

Man merkt der Autorin an, dass sie aus einem sehr intellektuellen Hintergrund kommt. Der Vater ein Norwegisch-Professor, hat sie selbst Geschichte studiert und in Anglistik promoviert. Dementsprechend intellektuell wirkt auch „Was ich liebte“. Da das Buch in vielen Teilen in der Künstler- und Schriftstellerszene spielt – Bills zweite Frau sowie Erica beschäftigen sich mit Letzterem -, beschreibt es diese ausgiebig, ohne zu langweilen. Hustvedt hat sich sämtliche Ausstellungen von Bill Wechsler erdacht und auch die Bücher, die Violet, Bills zweite Frau, zu den Themen Hysterie und Essstörungen schreibt, fließen stark in die Geschichte ein. Beispiele aus dieser Literatur werden immer wieder zitiert und gestalten den Roman sehr abwechslungsreich.

Der letzte Teil der Geschichte, in dem es um Mark und seine zwielichtigen Verbindungen geht, unterscheidet sich stark vom Vorherigen. Plötzlich hat das Buch eine richtige, lineare Handlung, die es an einigen Stellen sogar schafft, Spannung aufzubauen. Ich möchte nicht so weit gehen, den dritten Teil von „Was ich liebte“ als Krimi oder Thriller zu bezeichnen. Dennoch fällt es ab diesem Punkt schwer, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Es gewinnt an Fahrt, ohne etwas von seiner Qualität zu verlieren, und überrascht immer wieder durch originelle Wendungen. Hustvedt rückt von Themen wie Kunstausstellungen und wissenschaftliche Literatur ab und führt den Leser stattdessen – natürlich aus der Sicht von Leo – in die Jugendszene von New York ein.

Es entsteht ein mehrpoliges Buch, das sich mit sehr unterschiedlichen Themen beschäftigt. Es ist Siri Hustvedts literarischem Talent zu verdanken, dass es dabei nicht in zwei Teile zerbricht. Zum einen hängt es mit den authentischen Figuren zusammen, die sie zeichnet und die das ganze Buch begleiten. Keine der Personen ist wirklich gut oder wirklich schlecht. Stattdessen skizziert sie in verschiedenen Grautönen die Personenkonstellation aus Familien, Freunden, Kindern und zerbrochenen Ehen. Jede Person hat dabei ihre eigenen Charakterzüge, spezifische Eigenheiten und ist dem scharfen Auge von Ich-Erzähler Leo ausgesetzt. Unwichtige Gesten, bestimmte, wiederkehrende Tätigkeiten, Laster werden sorgfältig beschrieben und in die jeweilige Person „eingepasst“.

Die originellen Figuren werden von dem bereits erwähnten sehr belletristischen Schreibstil eingerahmt. Hustvedt benutzt gehobenes Vokabular, das nie zu hochgestochen klingt, und die Erinnerungen eines alten Mannes, um ein wunderbar dichtes und vielschichtiges Erzählambiente zu schaffen. „Was ich liebte“ entwickelt einen ganz eigenen Zauber, dem man sich selbst an Stellen, an denen sich nur wenig ereignet, nicht entziehen kann.

Siri Hustvedts dritter Roman „Was ich liebte“ zeichnet sich durch ein sehr genaues Bild von zwei Familien und deren Schicksalen aus. Die Autorin erzählt flüssig und sehr genau von den einzelnen Personen und darüber, was sie verbindet. Dabei sind es vor allem ihre feinen Charaktere und der bindende, atmosphärische Schreibstil, die das Buch so herausragend machen.

Nur eine Frage bleibt unbeantwortet: Wieso drei Übersetzer?

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Juli Zeh – Spieltrieb

Für ihr Debüt „Adler und Engel“  wurde Juli Zeh gelobt und mit Preisen ausgezeichnet. Ihr zweiter regulärer Roman „Spieltrieb“ schickt sich an, das Gleiche zu tun.

Das Buch spielt in Bonn, Zehs Heimatstadt, genauer gesagt in der fiktiven Ernst-Bloch-Schule. Die Privatschule mit angeschlossenem Internat ist die neue Heimat der fünfzehnjährigen Ada. Die hochintelligente, aber gefühlskalte und arrogante Schülerin ist kein einfaches Kind. Sie widerspricht den Lehrern, ist aber nicht aggressiv, sondern schweigsam. Sie hat keine Freunde, doch als Alev neu in die Klasse kommt, baut sich zwischen den beiden etwas auf. Freundschaft oder Beziehung kann man das nicht gerade nennen. Die beiden sind von ihrer Intelligenz und ihrer abgebrühten Einstellung her auf gleicher Ebene. Es gibt keine emotionale Beziehung zwischen ihnen. Mal ignoriert Alev Ada, mal schenkt er ihr all seine Aufmerksamkeit. Ada, obwohl sie sich nicht zu solchen Gefühlen fähig wähnt, wird von dem jungen Halbaraber mit den komischen Ansichten angezogen.

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Kuhn, Krystyna – Wintermörder

Die im Spessart wohnende Autorin Krystyna Kuhn arbeitet fleißig daran, sich in der deutschen Literaturwelt einen Namen zu machen. Zwei Jugendbücher und vier Krimis gehen mittlerweile auf ihre Kappe. Einer davon ist „Wintermörder“, der die Gegenwart mit der dunklen Vergangenheit Deutschlands verbindet.

Myriam Singer ist Staatsanwältin. Ihr Beiname ist „Eiserne Lady“. Sie legt keinen Wert darauf, sich Freunde zu machen und hat kein Problem damit, beständig ihre geheime Telefonnummer zu ändern, weil man sie bedroht. Außerdem ist die junge Frau karriereversessen und mischt sich nur allzu gerne in die Ermittlungen der Kriminalpolizei ein, wenn es um „ihre Fälle“ geht.

An einem kalten Winterabend wird Henriette Winkler, die fünfundachtzigjährige Vorsitzende eines Frankfurter Bauunternehmens, brutal ermordet. Nachdem der Täter ihr sämtliche Knochen gebrochen hat, übergießt er sie mit Wasser und lässt sie in ihrem Garten erfrieren. Zeitgleich verschwindet Frederik, der Urenkel von Henriette Winkler. Die Kommissare Liebler und Fischer sowie Myriam sehen einen Zusammenhang. Sie können ihn nur nicht erklären. Es geht keine Lösegeldforderung ein, dafür wendet der Täter sich an Udo Jost, einen zwielichtigen Fernsehjournalisten. Er spielt ihm ein Foto zu, das Henriette Winklers Ehemann zur Zeit des Zweiten Weltkriegs mit einer Nazigröße zeigt. Myriam Singer und Henri Liebler, der neuerdings darauf besteht, sie zu duzen, stehen vor einer schwierigen Aufgabe. Wie hängt die Vergangenheit mit der Gegenwart zusammen und was hat Henriette Winkler zu verbergen gehabt?

Krimis, die einen Rückbezug zum Zweiten Weltkrieg herstellen, sind beileibe keine Seltenheit. „Wintermörder“ sticht in dieser Hinsicht auch nicht sonderlich hervor. Die Ereignisse sind nicht sonderlich originell, dafür aber wunderbar gradlinig und schnörkellos erzählt. Kuhn begeht nicht den Fehler, dem Privatleben ihrer Charaktere übertrieben viel Raum einzuräumen. Myriams einsames Singleleben kommt zwar ab und an zur Sprache, aber nie in ausschweifender Art und Weise. Der Fokus liegt eindeutig auf der Handlung. Das sorgt dafür, dass die Spannung sich gegen Schluss immer mehr steigert und in einem Showdown der leisen Töne endet.

Mit Myriam Singer ist Kuhn ein ungewöhnlicher Charakter gelungen. Myriam wirkt auf den ersten Blick nicht gerade sympathisch. Die karriereorientierte Staatsanwältin nimmt wenig Rücksicht und scheint vollkommen gefühlskalt zu sein. Ihre juristische Einstellung als Hardliner schlägt sich auch in ihrem Gefühlsleben nieder. Dennoch merkt der Leser an der einen oder anderen Stelle, dass sie doch nicht so glücklich ist, wie sie vorgibt.

Kuhn nutzt diese Tatsache für sich und zeichnet das vielschichtiges Bild einer modernen Karrierefrau. Myriam bestimmt das Buch mit ihrer Perspektive in der dritten Person. Der Journalist Jost und die Mutter von Frederik, eine ehemalige Freundin von Myriam, kommen zwar auch zu Wort, aber nur sporadisch. Dennoch sind diese Fremdperspektiven sehr dicht erzählt und überzeugen, da die Personen im Rahmen des Möglichen sehr genau ausgearbeitet sind.

Eine spannende Handlung und gut ausgearbeitete Personen machen aber noch lange kein gutes Buch aus. Es ist der Schreibstil, der letztendlich alles zusammenhält. Glücklicherweise hat Krystyna Kuhn schon in anderen Büchern bewiesen, dass sie gut schreiben kann. Ihr Stil ist sehr beweglich und orientiert sich stark an der Geradlinigkeit der Handlung. Sie benutzt nur wenige Metaphern, die sitzen dafür aber meistens. Ganz so kess wie bei [„Fische können schweigen“ 2882 klingt die Autorin dieses Mal nicht. Das passt aber zu der unterkühlten Art von Myriam Singer und schließt die eine oder andere bissige humorvolle Bemerkung nicht aus.

Insgesamt ist Krystyna Kuhn ein guter Kriminalroman gelungen. Die Handlung ist spannend, der Schreibstil prima und die Hauptfigur originell. Aufgrund der Wahl des Themas im Buch – der Zweite Weltkrieg und seine möglichen Auswirkungen auf die Jetztzeit – kann man „Wintermörder“ nicht als genrebrechende Innovation bezeichnen. Trotzdem hat die Autorin ihre Hausaufgaben gemacht und ein Buch geschrieben, dass immerhin handwerklich auf ganzer Linie überzeugt.

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Juli Zeh – Adler und Engel

Manchmal meint es das Leben nicht gut mit uns. Wie zum Beispiel mit Max, dem Protagonisten in Juli Zehs Romandebüt „Adler und Engel“.

Max ist dreiunddreißig und erfolgreicher Karrierejurist. Er ist einer der wenigen Balkanspezialisten und arbeitet in einer angesehenen Kanzlei. Doch seine rosigen Zukunftsaussichten werden zerstört. Nachdem seine Freundin Jessie sich umgebracht hat, geht es mit Max bergab. Er geht nicht mehr zur Arbeit, nimmt Unmengen von Koks und möchte sterben.

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Sinisalo, Johanna – Troll: Eine Liebesgeschichte

Trolle sind nicht unbedingt das, was man mit Belletristik für Erwachsene verbinden würde. Denn: Trolle? Sind das nicht diese skandinavischen Märchenfiguren mit den großen Füßen und den Knollnasen?

Immerhin in einem Punkt bestärkt uns die finnische Autorin Johanna Sinisalo. „Troll: Eine Liebesgeschichte“ spielt tatsächlich in Skandinavien, um ganz genau zu sein in Helsinki. Allerdings hat ihr Roman wenig mit drolligen Kindergeschichten wie den Mumins zu tun.

Als der gutaussehende Werbefotograf Angel eines Abends von einem Date nach Hause kommt, sieht er eine Bande von Jugendlichen ein Kind im Innenhof zu seiner Wohnung verprügeln. Mutig schreitet er ein, doch als er sich über den leblosen Jungen beugt, muss er feststellen, dass es sich dabei überhaupt nicht um ein Kind handelt. Das Wesen mit den schwarzen Zotteln und den feuerroten Katzenaugen ist ein junger Troll.

Er scheint verletzt und schwach. Deshalb nimmt Angel ihn mit in seine Wohnung, wo er ihn aufpäppelt. Pessi, wie er den Troll nach einer Kinderbuchfigur nennt, erholt sich nur langsam. Obwohl Angel anfangs nicht so genau weiß, was er mit dem Wesen machen soll, wird es immer mehr Teil seines Alltags. Darüber vergisst er nicht nur seinen Beruf, sondern auch die wenigen Freunde, die er hat. Er bindet sich vollkommen an den Troll, ohne zu merken, dass das mythische Wesen einen großen Einfluss auf ihn hat. Als Martes, Arbeitgeber und Date von Angel, seinem komischen Benehmen auf die Spur kommen will, kommt es zum Eklat. Pessi ist und bleibt ein wildes Wesen – für ihn gelten keine Menschenregeln …

Was die Autorin sich da ausgedacht hat, ist ziemlich überraschend. Ein Troll? In einem Roman für Erwachsene?

Ja, für Erwachsene. „Troll: Eine Liebesgeschichte“ ist kein Buch für Kinder. Sinisalo holt den Troll aus seiner Märchenhöhle und dichtet ihm aphrodisierende Wirkung an. Pessi, als Wesen der Wildnis, verströmt Pheromone, die einen nicht ungefährlichen Einfluss auf seine Umwelt haben. An der einen oder anderen Stelle geht die Autorin sogar einen Schritt in Richtung Erotik, ohne dabei zu offensichtlich zu werden.

Dadurch ist das Buch, zumindest gegen Ende, stellenweise sehr aufgeladen. Am Anfang kann man das nicht gerade behaupten, Die Geschichte schleppt sich mit melancholischer Stimmung vorwärts. Angel findet den Troll und beschäftigt sich mit dessen Lebens- und Essgewohnheiten. Der Leser ebenfalls. Sinisalo flicht in ihre Prosaerzählung zahlreiche Informationen über die Trolle ein, sei es durch Lexikonartikel oder längere Zitate aus Literatur und Dichtung. Das ist auf der einen Seite durchaus interessant, da sich die Erkenntnisse daraus aber wiederholen, zugleich auch nervig. Vor allem deshalb, weil diese Sachtexte, die ab einem gewissen Zeitpunkt keinen wirklichen Zusammenhang zur Erzählung mehr haben, den Lesefluss stören.

Gegen Ende schafft die Finnin es dann doch noch, ihre Geschichte in Schwung zu bringen. Die Ereignislosigkeit, die den Anfang regiert, wird durch Ereignisse ersetzt. Es kommt ein gewisser Zauber auf, der leider sehr schnell zusammen mit der Geschichte zu Ende geht. Das ist natürlich ungeschickt. Trotzdem zeigt das Buch, im übrigen das erste Belletristikwerk der Science-Fiction- und Fantasyautorin, dass Johanna Sinisalo das Zeug für eine gute Geschichte hat. Es offenbart sich nur nicht so ganz bei „Troll: Eine Liebesgeschichte“.

Personen und Schreibstil wirken ebenfalls oft so, als ob sie noch in den Kinderschuhen steckten. Die Charaktere, die aus der Ich-Perspektive erzählen, wirken meist etwas schwammig. Ihnen fehlt es an echten Wesenszügen, auch wenn Sinisalo sich sichtlich bemüht. Trotzdem ähneln sich die Figuren zu stark, um als herausragend bezeichnet zu werden.

Palomita, die einzige Frau im Ensemble, kann dennoch Lob verbuchen. Die junge Philipinnin, die „Katalogbraut“ von Angels Nachbarn, wird authentisch dargestellt. Ihre Denkweise ist naiv und ihr Wortschatz ist sehr einfach. Sie lebt in Angst vor ihrem herrischen Ehemann und schafft es dennoch immer wieder, Angel und den Troll hinter dessen Rücken zu treffen.

Während Palomitas Perspektive durch die Einfachheit im Schreibstil besticht, macht es sich Sinisalo bei den anderen Figuren manchmal unnötig schwer. Nicht immer, aber an einigen Stellen wirken ihre Worte nicht flüssig, sondern geradezu anstrengend. Der kantige Schreibstil, der durchaus seinen Charme hat, wird der Finnin zum Verhängnis. Dass die Übersetzung daran ihren Anteil hat, ist natürlich möglich. Woran sie aber sicherlich nicht schuld ist, ist Sinisalos Hang zu Reihungen, vor allem in Bezug auf beschreibende Adjektive vor einem Nomen. Diese Konstellation tritt sehr häufig auf und erweist sich oft als Stolperstelle.

Lobenswert zu erwähnen ist Johanna Sinisalos Umgang mit Stilmitteln. Sie benutzt viele Bilder, Metaphern und Vergleiche, die teils kühl, teils poetisch für Anschaulichkeit sorgen. Sie schreckt auch nicht davor zurück, eigene Begriffe zusammenzusetzen, wie zum Beispiel auf Seite 33.

|…[meine] Augen öffnen sich, und ringsum ist die blaugraue Spielnacht des Zimmers.|

Dadurch würzt sie die Geschichte mit einer eigenen Note. Eine eigene Note hätten dem gesamten Schreibstil oder den Personen auch nicht geschadet. Sie wirken ausbaufähig, genau wie die Handlung. Dennoch hat „Troll: Eine Liebesgeschichte“ seine Höhepunkte. Das Ende der Geschichte und der Einsatz von rhetorischen Stilmitteln können sich sehen lassen. Insgesamt fehlt es dem Buch aber ein wenig an Substanz.

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Blazon, Nina – Maskenmörder von London, Der

Nina Blazon, Wolfgang-Hohlbein-Preisträgerin, ist vielen vielleicht nur wegen ihrer erfolgreichen Fantasybücher ein Begriff. Tatsächlich schreibt die Autorin aber auch historische Romane wie zum Beispiel „Der Maskenmörder von London“.

Die Geschichte spielt im 18. Jahrhundert. Die Stadt London steht Kopf, denn der italienische Staropernsänger Giacomo Maria Amorelli singt in Prinz Fredericks Theaterhaus. Auch Isobel Burlington, eine betuchte Witwe, ist großer Fan des Sängers, während ihr Neffe Lucius bei der bloßen Erwähnung des Namens die Augen verdreht.

Der junge Mann, der aus ärmeren Verhältnissen aus Dover stammt und in London seine Ausbildung zum Kaufmann machen soll, interessiert sich nicht sonderlich für Opern und das adlige Getue seiner Tante. Doch als bei der Premiere von Amorellis neustem Stück dessen Rivale Ferrante ums Leben kommt, ist Lucius‘ Neugierde geweckt.

Mithilfe der Schleifenmacherin Sisí und dem Volk auf der Straße versucht er den rätselhaften Fall zu lösen. Denn anders als die Polizei unter dem raubeinigen Constable Avory glaubt Lucius nicht daran, dass Amorelli der Mörder ist …

Erneut gelingt es Nina Blazon, in den Mittelpunkt ihrer Geschichte einen jungen, gewitzten Helden zu stellen, der eine knifflige Aufgabe lösen muss. Lucius ist frech und mutig und nicht gerade der Kaufmannslehrling, der er eigentlich sein sollte. Sein Charakter ist gut ausgearbeitet und weist Ecken und Kanten auf. Außerdem ist er sehr sympathisch und interessant, weil er gerne ein wenig über die Stränge schlägt.

Ihm zur Seite stehen weitere Figuren, die ebenfalls sehr schön und zeitgerecht gezeichnet sind. Um Spannung in die Besetzung zu bringen, lässt Blazon die eine oder andere Person etwas undurchsichtig erscheinen, webt persönliche Tragödien ein und stellt Lucius eine tapfere junge Dame an die Seite. Sisí, eine einfache Bürgerin, zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie sich gerne über ihre Standesgrenzen hinwegsetzt und Dinge tut, die einem jungen Mädchen eigentlich nicht gebühren.

Die ganze Handlung wird davon geprägt, dass Lucius und Sisí Dinge tun, die sie eigentlich nicht tun sollten. Munter brechen sie die Traditionen des 18. Jahrhunderts, um den wahren Mörder von Ferrante zu finden. Trotz dieser leicht verruchten Komponente und des schönen Erzählstils bleibt die Handlung aber recht blass. Den Ereignissen fehlt oft der zündende Funke. Dadurch kommt kaum Spannung auf beziehungsweise erst am Ende. Hier schlägt Blazon ein paar Haken und sorgt für die Überraschungen, die sie lieber vorher schon hätte einfließen lassen sollen.

Insgesamt lässt die Geschichte auch ein wenig an der Dichte missen, die man sonst von der Stuttgarter Autorin gewohnt ist. Ihre überbordende Fantasie, die ihre Fantasybücher zu kleinen Sensationen werden lässt, scheint in Angesicht einer realen Welt geschrumpft zu sein. Dadurch wirkt der Hintergrund, vor dem sich die Geschichte abspielt, etwas farblos und starr. Blazon bemüht sich zwar, witzige Besonderheiten des 18. Jahrhunderts in die Geschichte einzuweben, aber es gelingt ihr nicht, diese entsprechend zu präsentieren. Die Besonderheiten wirken lose und es fehlt der Geschichte an Dichte.

Immerhin der Schreibstil ist genauso gut wie in Nina Blazons Fantasybüchern. Leichtfüßig und beschwingt mit einer guten Prise Humor schreibt sie aus Lucius‘ Perspektive. Das Buch ist angenehm zu lesen, wenn auch ein wenig ernster als zum Beispiel Blazons „Die Taverne am Rande der Welten“-Reihe. Dieser neue Ernst tut dem Erzählstil aber keinen Abbruch. Nina Blazon beweist erneut, dass sie anspruchsvoll, aber doch jugendfreundlich schreiben kann.

„Der Maskenmörder von London“ gehört nicht zu Blazons besten Büchern. Die Handlung erzeugt dafür zu wenig Spannung und auch der geschichtliche Hintergrund ist vergleichsweise blass. Trotzdem kann sie mit ihrem leichtfüßigen Schreibstil und den sympathischen Charakteren punkten.

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