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Dubois, Jean-Paul – Ein französisches Leben

Ganz unspektakulär klingt der Titel von Jean-Paul Dubois‘ Roman „Ein französisches Leben“. Ganz pragmatisch beschreibt er den Inhalt und wirkt dabei gleichermaßen banal wie unaufregend. Und so läuft man beinahe Gefahr, ein schönes Kleinod zu verpassen, das man angesichts des unscheinbaren Titels in der Masse der Neuerscheinungen kaum wahrnimmt.

„Ein französisches Leben“ erzählt in der Tat ein solches, und zwar das von Paul Blick. Eine Kindheit in den fünfziger Jahren, das Aufbegehren der Achtundsechziger und später der Rückzug in die Bürgerlichkeit. Pauls erstes einschneidendes Erlebnis ist der Tod des Bruders am Tag der Wiederwahl von Charles de Gaulle. Paul verliert einen wichtigen Haltepunkt, den großen, starken Bruder, der ihn auf alles im Leben hätte vorbereiten können.

Doch Paul geht auch so seinen Weg, wenngleich die Familie nicht mehr die Gleiche ist wie vor dem Tod des Bruders, dessen Platz am Abendbrotstisch schon bald ein Fernsehgerät einnimmt. Paul entflieht dem Elternhaus, so früh er kann, und beginnt sein Studium mitten in den unruhigen Zeiten der achtundsechziger Bewegung. Auch Paul steckt mittendrin. Zügelloses WG-Leben, Bandproben statt Vorlesungen, politische Debatten anstelle von Klausuren – Paul entwickelt viele Leidenschaften, aber keine für sein Studienfach Soziologie.

Irgendwie bekommt er sein Diplom, wenngleich man sich fragt, wofür. Er nimmt einen Job als Sportjournalist an und verliebt sich in Anna, die Tochter seines Chefs. Als Anna schwanger wird, beugt Paul sich den gesellschaftlichen Konventionen und heiratet Anna. Mit der Heirat schwenkt er wieder in ein konventionelleres Leben ein, wenngleich die Rollenverteilung in der jungen Familie Blick für die damalige Zeit noch eher unkonventionell ist. Während Anna im eigenen Betrieb Karriere macht, hütet Paul Haus und Kinder und kocht das Abendessen.

Als die Kinder größer werden, entdeckt Paul zwei neue Leidenschaften: das Fotografieren von Bäumen und Laure, die Freundin seiner Frau. Zwischen Laure, Dunkelkammer und Hausarbeit spielt sich Pauls Leben in den folgenden Jahren ab, und mit seiner Ehe geht es dabei ganz leise bergab. Als dann nacheinander mehrere persönliche Katastrophen über die Blicks hereinbrechen, ist das beschauliche Leben für Paul vorbei. Er muss sich dem Schicksal stellen …

Eine Lebensgeschichte erzählt „Ein französisches Leben“ nur in erster Linie. In zweiter Linie ist Jean-Paul Dubois‘ Roman auch ein Abbild der Gesellschaft zwischen 1958 und heute. Wie schon am Tag, als Pauls Bruder stirbt, durchkreuzen die politischen Ereignisse immer wieder das persönliche Schicksal des Paul Blick. Paul ist ein Mensch mit hochgesteckten, linken Idealen, und so spielt Politik immer wieder eine Rolle in seiner Biographie. Dubois schildert Pauls Leben mit einem stetigen Auge auf die politischen Entwicklungen der jeweiligen Zeit, und so ist „Ein französisches Leben“ gleichzeitig ein Resümee der französischen und europäischen Geschichte der letzten fünfzig Jahre.

Paul ist dennoch der Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Alles wird aus seinem Blickwinkel beschrieben und an ihm kann man wunderbar die unterschiedlichen Ausprägungen der Epochen nachvollziehen, die er erlebt hat. Interessant wird es mit dem Aufbegehren Ende der sechziger Jahre, als Paul gerade sein Studium antritt. Wie ein Befreiungsschlag vom dumpfen Alltag seines Elternhauses, auf dem noch immer der Tod des Bruders lastet, wirkt der Start in sein neues Leben. Paul will so schnell wie möglich auf eigenen Füßen stehen, sein Leben nach seinen Vorstellungen führen.

Der rebellische Charakter des Achtundsechzigers wird unter den Konventionen des Ehelebens jedoch schnell gebrochen. Paul zieht sich zurück, bleibt zu Hause und kümmert sich um den Nachwuchs, während seine Frau als erfolgreiche Geschäftsfrau immer mehr in eine Rolle schlüpft, die ihm als Linken nicht in den Kram passen kann. Und so schleift das Leben nicht nur die Ecken und Kanten von Pauls Persönlichkeit ab, sondern auch die des Ehelebens. Das Zusammenleben wird zunehmend farbloser. Die Leidenschaft der erste Jahre weicht wortkargen Mahlzeiten und einsamen Abenden auf dem Sofa.

Dabei führt Paul eigentlich ein so bewundernswert ruhiges Leben. Da seine Frau die Brötchen verdient, bleiben ihm alle Freiheiten, die er sich wünschen kann. Er hat Zeit, sich der Fotografie zu widmen, die immer mehr zu seiner einsamen Insel wird, die ihn von den anderen isoliert. Stundenlang hockt er in der Dunkelkammer, während sich Bäume auf dem Fotopapier materialisieren und die Welt um ihn herum immer weiter wegrückt.

Es muss unweigerlich irgendwann zu einem Bruch in diesem Leben kommen, das voller Entfremdung und Müßiggang ist, und so schlägt das Schicksal am Ende gnadenlos zu. Es passiert wahnsinnig viel auf den letzten Seiten des Buches, und man kann sich ausmalen, welch radikalen Umbruch das im Leben eines Paul Blick bedeuten muss.

Das Leben des Paul Blick ist sicherlich nicht in jeder Hinsicht exemplarisch für das einer ganzen Generation, dennoch gelingt es Jean-Paul Dubois durch seine weitsichtige Erzählweise, das Abbild einer Epoche darzustellen. Mit präzisem Blick porträtiert er die unterschiedlichen Generationen und skizziert das Leben der unterschiedlichen Menschen in Paul Blicks Leben.

Auch wenn das nicht immer spannend ist (von Spannung kann eigentlich erst gegen Ende des Buches die Rede sein), so ist es dennoch stets sehr schön zu lesen. Dubois hat einen absolut fantastischen Erzählstil, an dem einzig die häufigen und teils skurrilen Fremdwörter stören. Ansonsten jongliert er so wunderbar mit Worten und setzt sie auf so erstaunliche Weise zu punktgenauen und wohlakzentuierten Formulierungen um, dass die Lektüre ein wahrer Genuss ist. Es ist vor allem Dubois‘ Erzählstil, der den Leser leichtfüßig durch die Handlung trägt.

Dubois schreibt mit wunderbar klarem Blick und bringt dabei eine solche bunte Palette an Emotionen unter, die so herrlich treffsicher in Worte verpackt sind, dass man sich das Buch einfach auf der Zunge zergehen lassen muss. Ein Roman, der langsam und genießerisch gelesen werden will und dann das ganze Kaleidoskop seiner Emotionen entfaltet.

Bleibt unterm Strich ein positiver Eindruck zurück. „Ein französisches Leben“ ist sicherlich nichts für Leser, die eine fesselnde Erzählung erwarten. Wer sich aber auf eine schöne Sprache voller Gefühl und Leben einlassen kann und wer einfache Geschichten zu schätzen weiß, die das Leben halt so schreibt, der wird an der Lektüre sicherlich seine Freude haben. Dubois‘ Erzählstil bereitet sehr viel Freude und verlangt genießerisches Lesen. Wer sich darauf einlässt, der wird mit einer Geschichte voller intensiver Gefühle belohnt.

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Tregubova, Elena – Mutanten des Kreml, Die

Dass es um Demokratie und Pressefreiheit in Russland derzeit nicht sonderlich gut bestellt ist, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin im Jahr 2000 hat der Staat einen Großteil der Presse wieder unter seine Kontrolle gebracht – teils direkt, teils durch Tochterfirmen und Holdings staatlicher oder unter Staatsbeteiligung laufender Konzerne.

Den Journalisten bläst in Russland ein rauer Wind entgegen, zumindest immer dann, wenn sie die Dinge beim Namen nennen und Putins Politik kritisieren. Sein Engagement hat schon so mancher Journalist mit den Leben bezahlt. Der Mord an Anna Politkowskaja, die vor allem Putins Tschetschenienpolitik kritisiert hat, ist da nur ein prominentes Beispiel. Laut dem |Committee to Protect Journalists| wurden seit 2000 mindestens 13 Journalisten ermordet und es gab unzählige Übergriffe und Gewalttaten gegen Journalisten. Verurteilungen gab es dazu bislang keine – alle Gewalttäter sind ungeschoren davongekommen.

In diesen Statistiken taucht auch Elena Tregubova auf, und dass sie nicht auf der Liste der Toten zu finden ist, verdankt sie nur dem Umstand, dass sie außerordentlich großes Glück hatte und unverletzt blieb, als nach Veröffentlichung ihres Kreml-kritischen Buches vor ihrer Wohnungstür eine Bombe explodierte. So hat sie „nur“ die öffentlichen Diffamierungen und Repressalien, die ständige Bedrohung ihres Lebens und den Verlust ihres Jobs als Journalistin für die russische Zeitung |Kommersant| zu beklagen.

2003 veröffentlichte Tregubova in Russland ihr Buch „Bajki Kremljowskogo Diggera“ („Geschichten eines Kreml-Diggers“) und schob kurze Zeit später den Nachfolgeband „Abschied eines Kreml-Diggers“ nach, in dem sie die Erlebnisse rund um die Veröffentlichung ihres ersten Buches festhält. In Deutschland sind beide Bücher in einer zusammengefassten Ausgabe unter dem Titel „Die Mutanten des Kreml“ erschienen.

Elena Tregubova, die 1973 geboren wurde, arbeitete fünf Jahre lang als Kreml-Korrespondentin für den |Kommersant|, bevor sie infolge des Skandals um ihr Buch rausgeworfen wurde. Ihre journalistische Tätigkeit begann in den Neunzigern, damals noch unter Jelzin, der sich stets offen gegenüber der Presse zeigte. Zusammen mit anderen Journalisten begleitete sie Jelzin auf seinen Reisen und denkt noch heute fast wehmütig an die Zeiten des großväterlichen Führungsstils Jelzins zurück, der die Presse schätzte und ihre Freiheit respektierte.

Obwohl ihre Erinnerungen an die Jelzin-Zeit etwas den Anschein erwecken, als würde Tregubova sie teilweise ein wenig zu sehr durch die rosarote Brille sehen, so dokumentiert sie dennoch auch Jelzins Ende detailgetreu: der Aufstieg des Oligarchentums, die in Jelzins Hintergrund die Fäden ziehende Jelzin-Tochter Tatjana Djatschenko und der stetig labiler werdende Gesundheitszustand Jelzins.

Schon während Jelzins Amtszeit interessiert Tregubova sich für Putin. Sie beobachtet ihn, als noch niemand den unscheinbaren ehemaligen Chef des FSB auf dem Zettel hatte. Sie berichtet von einem denkwürdigen Sushi-Essen, zu dem Putin sie einlud, beschreibt die Wirkung dieses Mannes und hat spätestens seit seinem steilen politischen Aufstieg in die engeren Kreml-Kreise Ende der Neunziger ein stetig kritisches Auge auf ihn geworfen.

Mit dem Amtsantritt Putins beobachtet sie dann eine stetige Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen. Der Kreml beginnt die Arbeit der Presse indirekt, teils aber auch durchaus direkt zu beeinflussen. Mehrfach verliert Tregubova ihre Akkreditierung für den Kreml. Wer nicht das schreibt, was der Kreml lesen will, der wird eben auch in der Ausübung seiner Tätigkeit behindert.

Lebensgefährlich wird es für Tregubova dann, als ihr erstes Buch in Russland erscheint. Der Kreml reagiert wütend, Tregubova verliert ihren Job und schließlich explodiert die Bombe vor ihrer Wohnungstür. Die Journalistin überlebt nur deshalb, weil sie etwas später aus ihrer Wohnung kommt, als die Täter erwartet hatten, und verdankt ihr Überleben somit einzig ihrer, wie sie es selbst nennt, „pathologischen Unpünktlichkeit“.

„Die Mutanten des Kreml“ ist ein Dokument des Niedergangs des freien Journalismus in Russland unter Putin. Das Bild, das Tregubova vom heutigen politischen Russland skizziert, ist niederschmetternd. Die Pressefreiheit ist praktisch ausgehebelt, die oppositionelle Presse wurde konsequent vernichtet und die großen landesweiten Medien wie die Fernsehsender NTW oder TNT unterstehen inzwischen staatlichen Konzernen wie Gazprom.

Die Presse nimmt diese restriktiven Maßnahmen zur Untergrabung ihrer Freiheit scheinbar widerstandslos hin. Nur wenige Medien und Journalisten wehren sich, und wer aufbegehrt, der hat mit erheblichen Repressalien zu rechnen. Auch Elena Tregubova hatte sichtliche Schwierigkeiten, ihr Buch überhaupt an den Mann zu bringen. Letztlich erschien es in einem bolschewistisch geprägten Verlagshaus, das Tregubovas Buch ursprünglich eigentlich nicht veröffentlichen wollte, weil der Verleger von Tregubova den Eindruck einer „verwestlichten Jet-Set-Schnepfe“ hatte, die nicht ins Verlagsprofil passt.

Auch die zunehmend nationalistischen Töne im russischen Politikalltag, der latent geschürte Rassenhass im Zuge des Tschetschenienkrieges, der dazu führt, dass Kaukasier im Alltag immer wieder Vorurteilen und fremdenfeindlichen Übergriffen ausgesetzt sind, sind ein wichtiges Thema für Elena Tregubova.

Tregubova spricht die Dinge an, wie sie sind, und dass dabei nicht einfach nur irgendein zeitkritisches Dokument herausgekommen ist, ist wohl Tregubovas unverfälschtem persönlichen Stil zuzuschreiben. Sie analysiert nicht einfach nüchtern die Lage in ihrem Land, sondern beurteilt alles von ihrem persönlichen Erfahrungshorizont aus. Sie beschreibt, wie es ihr persönlich seit Putins Amtsantritt ergangen ist, und das macht sie in einem äußerst liebenswerten Plauderton.

Sie schreckt nicht vor harter Kritik zurück und schildert eindrucksvoll, wie in Russland Pressefreiheit und Demokratie vor die Hunde gehen, bewahrt aber bei aller Härte des Stoffes stets einen leichtfüßigen Erzählton, der auch immer wieder vor Selbstironie sprüht. Sie erzählt mitreißend, spannend und immer wieder auch mit einem Augenzwinkern gegenüber ihrer eigenen Person. So entsteht eine Art „Pop-Politthriller“, der zu fesseln weiß und vermutlich auch deswegen in Russland zum Bestseller wurde.

Auch die Hörbuchfassung des |Hoffmann und Campe|-Verlags versprüht den Charme der Elena Tregubova. Als Sprecherin wurde Sandra Borgmann verpflichtet, die man als Rosalie aus der TV-Serie „Berlin, Berlin“ kennt. Sie füllt den Text wunderbar mit Leben und manövriert souverän durch das Meer unaussprechlicher russischer Namen. Gerade auch vor dem Hintergrund dieser hervorragenden Leseleistung ist es schade, dass das Buch für die Hörbuchfassung gekürzt wurde. 225 Minuten sind für ein Hörbuch noch keine Länge, und ich hätte gerne das komplette Buch in dieser Form genossen.

Bleibt unterm Strich ein durchweg positiver Eindruck von „Die Mutanten des Kreml“. Zwar kann man Elena Tregubova sicherlich vorhalten, dass sie die Zeit Jelzins in etwas zu rosigen Farben malt, aber ansonsten ist ihr Buch ein wichtiges und mutiges Werk, das ein persönliches und dadurch umso eindringlicheres Bild des heutigen Russland skizziert. Auch die Lesung von Sandra Borgmann ist äußerst gelungen, wenngleich man sich wünscht, der Text wäre für die Hörbuchfassung nicht gekürzt worden.

Elena Tregubova ist indes übrigens untergetaucht. Eigentlich hätte sie im Dezember zur Lesereise nach Deutschland kommen sollen, aber die hat sie in letzter Minute abgesagt. Der |Tropen|-Verlag, in dem die Buchfassung von „Die Mutanten des Kreml“ erschienen ist, hat seitdem keinen Kontakt mehr mit ihr aufnehmen können.

http://www.hoffmann-und-campe.de

Katzenbach, John – Opfer, Das

Nachdem John Katzenbach sich im letzten Jahr mit seinen beiden Thrillern [„Die Anstalt“ 2688 und „Der Patient“ einen Namen gemacht hat, ist er nun mit einem neuen Werk am Start: „Das Opfer“. Wieder ein Psychothriller, nur kommt diesmal kein Psychiater drin vor, wie in den beiden Vorgängerwerken. „Das Opfer“ bedient sich einer Thematik, die schon durch ihren aktuellen Bezug besticht: Stalking.

Der Geschichtsprofessor Scott Freeman findet im Zimmer seiner Tochter Ashley einen Brief, der böse Vorahnungen weckt. |“Keiner könnte dich jemals so lieben wie ich, weder heute noch irgendwann. Wir werden für immer zusammen sein – so oder so.“| – so lauten die Zeilen eines unbekannten Verehrers.

Wie richtig er mit seiner Vorahnung liegt, kann er noch nicht wissen. Auch die Kunstgeschichtsstudentin Ashley ahnt davon noch nichts. Angeheitert und aus einer spontanen Laune heraus, hat sie sich ganz gegen ihre Art auf einen One-Night-Stand eingelassen – mit dem Computerfreak und gerissenen Kleinkriminellen Michael O’Connell. Und genau der lässt sie anschließend nicht mehr in Ruhe.

Was zunächst einfach nur lästig ist, beginnt mit der Zeit, Ashley Angst zu machen. Verwelkte Blumen vor ihrer Tür, massenhafte E-Mails und das ständige Gefühl, verfolgt zu werden, machen ihr schon bald Sorgen. Als Ashley die Sache zu unheimlich wird, vertraut sie sich ihrer Familie an. Vater Scott und Mutter Sally, die Rechtsanwältin ist, suchen nach einem Ausweg, doch was sie auch versuchen, es scheint Michael nur noch mehr anzustacheln.

Michaels Nachstellungen arten in reinen Psychoterror aus und gnadenlos räumt er jedes Hindernis aus dem Weg, das ihm den Zugang zu Ashley versperrt. Schon bald droht die ganze Sache zu eskalieren und die Familie Freeman in ihrem dunklen Sog zu verschlingen – ein Katz-und-Maus-Spiel auf Leben und Tod …

Stalking ist ein durchaus brisantes Thema, das sich hervorragend als Stoff für einen Psychothriller eignet. Der Verfolger, der sich nicht abschütteln lässt und aus obsessiver Liebe heraus seinem Opfer den Alltag zur Hölle macht – das verspricht Spannung und Schauder zugleich. Vor allem ist ein Thriller um das Thema Stalking auch ein Lehrstück, das zeigt, wie verwundbar der Mensch ist, wie leicht ein Leben zur Qual werden kann, wenn sich jemand darin einmischt und wie wenig es braucht, damit Liebesbeteuerungen zu Psychoterror werden.

Dabei ist der Psychoterror selbst oftmals ein ganz subtiler. Und genau darum tun sich Gesetzgeber und Justiz so schwer damit, Stalking als das Verbrechen anzuerkennen, das es ist. Auch Ashley sieht sich mit dieser Problematik konfrontiert. Die Bedrohung durch einen Stalker ist (solange er keine nennenswerten Gesetzesüberschreitungen begeht) eine eher diffuse. Drohungen werden kaum konkret ausgesprochen, aber sie liegen dennoch auf der Hand, wenn auch in chiffrierter Form.

All diese Erfahrungen macht auch Ashley, wobei sie das Pech hat, obendrein an einen äußerst gerissenen und gefährlichen Psychopathen geraten zu sein. Michael ist intelligent und geduldig genug, um in Ashleys Leben jede Menge Schaden anzurichten, und er ist clever genug, um das Ganze so geschickt einzufädeln, dass seine Schandtaten kaum auf ihn zurückzuführen sind.

Ashleys Familie neigt zunächst dazu, die Gefahr, die von Michael ausgeht, zu unterschätzen. Lange Zeit sehen sie nicht, wie gefährlich die Lage für sie ist, und als sie es erkennen, ist es fast schon zu spät. Michael ist ein mächtiger Gegner, und zu beobachten, wie er seine Schachzüge vorbereitet und ausführt, sorgt schon für sich genommen für reichlich Spannung.

Katzenbach geht den Roman von Anfang an spannend an. Ständige Perspektivenwechsel zwischen den Protagonisten, eine Erzählweise, die versetzt über zwei Zeitebenen immer auch schon einen kleinen Blick in die Zukunft wirft und dabei dezente Andeutungen bevorstehender Ereignisse im gegenwärtigen Erzählstrang einstreut – Katzenbachs Rezeptur zur Romankomposition ist ausgeklügelt und wohlakzentuiert. Der Plot folgt einem stetig aufstrebenden Spannungsbogen, in dem auch Gedanken und Gefühle der unterschiedlichen Figuren nie zu kurz kommen.

Über weite Strecken entwickelt sich der Roman äußerst vielversprechend. Katzenbach erzählt zwar gerne ausführlich, aber die Spannung kommt in der Regel dennoch nicht zu kurz. Die Ausführlichkeit hat auch den Vorteil, dass man sich zunehmend gut in die Romanfiguren einfühlen kann.

Die Auflösung der Geschichte hat es obendrein ziemlich in sich. Katzenbach schlägt eine Richtung ein, die alles verändert und dafür sorgt, dass der Roman sich in seiner Grundstimmung vollkommen wandelt. Bereits im vorderen Teil der Handlung lässt Katzenbach auch immer wieder moralische Fragen durchschimmern, insbesondere wenn es um den Schutz von Stalkingopfern und die Verfolgung der Täter geht.

Die moralischen Zwischentöne werden zum Ende hin zunehmend lauter, und darunter leidet dann leider auch ein wenig die Spannung. Die Figuren müssen sich neu positionieren, vieles erscheint plötzlich in einem anderen Licht, und diese Umorientierung dauert ihre Zeit, so dass der ansonsten bis zu diesem Punkt so straffe, aufstrebende Spannungsbogen ein wenig an Fahrt verliert.

Am Ende bleibt ein Haufen Fragen. Die einen muss sich der Leser selbst stellen – in Bezug auf die moralischen Konsequenzen der Geschichte – und die anderen stellen sich in Form letzter nagender Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Handlungsweisen der Protagonisten. Letzteres offenbart eine Schwäche, die auch schon bei [„Der Patient“ 2994 am Ende ein wenig den Lesegenuss getrübt hat. So läuft ein eigentlich sehr gut begonnener Psychothriller am Ende in eine etwas merkwürdige Richtung und verliert etwas dabei an Fahrt, wenngleich nicht an Schärfe und Brisanz.

Unterm Strich also ein solider Thriller, der dem Leser viel Spannung beschert und eine ebenso packende wie aktuelle Geschichte abhandelt. Katzenbach kann so seinen Ruf als Autor spannender Thriller auf jeden Fall festigen, wenngleich er auch hier wieder zum Ende hin ein wenig schwächelt. Trotzdem, ein „Page-Turner“ ist ihm auch mit „Das Opfer“ über weite Strecken wieder einmal gelungen.

http://www.john-katzenbach.de/
http://www.droemer.de

Toledo, Camille de – Goodbye Tristesse

Der Klappentext zu „Goodbye Tristesse“ lässt auf wirklich Gutes hoffen. |“Das atemloseste Politpamphlet des Jahres“| verspricht die |Welt am Sonntag|. Das |Süddeutsche Zeitung Magazin| sieht in „Goodbye Tristesse“ |“die Antwort auf ‚Generation Golf‘, aber leidenschaftlicher und politischer.“|

Das Lebensgefühl einer Generation soll hier analysiert werden, und zwar der Generation, die Autor Camille de Toledo selbst liebevoll die Kinder des Doppelkollaps nennt – die Generation also, deren Jugendjahre zwischen die beiden markantesten Eckdaten der heutigen Zeit fallen: 11/9 und 9/11. Der Fall der Mauer und der Fall der Zwillingstürme als Eckpfeiler einer Generation.

Auch Camille de Toledo ist ein Kind des Doppelkollaps. Geboren wurde der Franzose 1976. „Goodbye Tristesse“ erschien 2002 in Frankreich und fand dort eine große Leserschaft. Gerade auch für die Presse war das Werk ein gefundenes Fressen, denn Camille de Toledo ist nicht irgendein Linker, der irgendein neues Antiglobalisierungspamphlet geschrieben hat.

Mit bürgerlichem Namen heißt er Alexis Mital und er ist der Enkel des Gründers der Danone-Gruppe. Der Spross eines Großindustriellen, vermutlich des wichtigsten und größten in Frankreich, übt sich in Kapitalismuskritik. Doch das Ganze ist nur auf den ersten Blick so spektakulär, wie Presse und Verlag es gerne hätten. De Toledo spricht nicht gerne über seinen Großvater, lässt seine Familie außen vor (er outet sich erst im Epilog) und will viel lieber über seine Ideen und Gedanken zu Globalisierung, Kapitalismus und die Auflehnung dagegen sprechen, als die ewig gleichen Fragen nach seinen Wurzeln zu beantworten.

„Goodbye Tristesse“ ist dabei letztlich eine Bestandsaufnahme der heutigen Zeit, des vorherrschenden Geistes und eine Antwort auf die Frage, wie man heute, in Zeiten politischen Desinteresses, noch vernünftig protestieren kann. De Toledo beginnt seine Analyse in den späten Achtzigern und differenziert in der Zeit zwischen Mauerfall und 11. September drei verschiedene Stadien der Revolte, die den Kern seiner Analyse ausmachen.

|“Das Stadium des neuen Rückzugs“| markiert den Beginn seiner Analyse und damit definiert de Toledo eine Zeit, die geprägt ist von der schuldbeladenen Erinnerung an den Holocaust und die enttäuschte Erinnerung an die verratenen Ideen und Ideale der 68er. Der Kapitalismus nimmt alles in sich auf. Er absorbiert die Subkultur und damit auch immer wieder die Revolte selbst. De Toledo beschreibt, wie diese Aspekte im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren zu Resignation und Zynismus führen, die das Stadium des neuen Rückzugs charakterisieren.

|“Das Stadium des neuen Einflusses“| sieht de Toledo von der Verflüssigung geprägt. Markantestes Merkmal ist in dieser Phase die zunehmende Vernetzung. Kunst, Kapitalismus, Intelligenz – alle diese Dinge sieht de Toledo vereint, die Menschen als Bestandteile eines großen zusammenhängenden Netzes.

Die letzte Phase ist |“das Stadium des neuen Körpers“|. In dieser Phase sieht de Toledo eine Wiederbelebung des poetischen Menschen, der einen Kontrapunkt zum Marktmenschen markiert. Als Form der Revolte sieht er in dieser Phase einen Übergang von einer bewaffneten zu einer semantischen Guerilla. Subcomandante Marcos, den de Toledo gerne als Beispiel für diese Phase der Revolte heranzieht, hat das so ausgedrückt: |“Wir sind eine Armee von Träumern und deswegen sind wir unbesiegbar.“| Die Idee der semantischen Guerilla des Subcommandante Marcos verknüpft de Toledo mit der Idee eines „provisorischen Außerhalb“ der Gesellschaft, aus dem heraus der Protest formiert wird. Oberste Zielsetzung ist für ihn eine |“Romantik der offenen Augen“|, die er von direkten und gewaltlosen Aktionen geprägt sieht und von einer offenen Auseinandersetzung mit den schier unendlichen Möglichkeiten des Protestes.

Allein schon diese grobe, stark vereinfachte Inhaltsbetrachtung offenbart, dass de Toledo zur Verdeutlichung seiner Ideen einen sehr philosophischen Ansatz wählt. Wer das Buch also kauft, weil er eine politische Variante von „Generation Golf“ erwartet, der dürfte am Ende enttäuscht sein. So geht es auch mir. Die Pressestimmen klingen wunderbar und der Klappentext absolut verführerisch, aber das, was sich dann zwischen den Buchdeckeln offenbart, ist ein äußerst sperriger, schwer verdaulicher Brocken, der so abstrakt und verkopft daherkommt, dass man bei der Lektüre immer wieder Zweifel an der eigenen Intelligenz bekommt. Trotz Abitur und Fachhochschulabschluss waren viele Passagen des Buches für mich schlichtweg unverständlich.

Die Aufmachung des Buches und der Tenor der Pressestimmen suggerieren Leichtigkeit und einen lockeren, aber gleichzeitig ernsthaften Diskurs. Doch dieser Eindruck täuscht. De Toledos Ideen überhaupt grundsätzlich nachvollziehen zu können, ist ohne Sekundärliteratur für den eher rudimentär philosophisch bewanderten Leser ein Drahtseilakt. Wer noch nie zuvor von der „Situationistischen Internationale“ oder von der „Gesellschaft des Spektakels“ gehört hat, wer die Werke von Guy Debord oder Gilles Châtelet nicht kennt oder noch nie den „Anti-Ödipus“ gelesen hat, der wird so manches nicht nachvollziehen können, was de Toledo schreibt.

Er macht sich nicht einmal die Mühe, sich verständlich auszudrücken – zumindest drängt sich der Eindruck im Laufe der Lektüre auf. De Toledo jongliert eben nicht nur mit abstrakten Gedankenkonstrukten, sondern verschanzt diese auch noch hinter einem Wortschatz, der mit Fremdwörtern gespickt ist. Dabei mag man dem Autor keinesfalls unterstellen, dass er das absichtlich macht, um sich wichtig zu tun. De Toledo studiert seit seiner Jugend philosophische Werke, insbesondere offensichtlich die französischer Philosophen. Für ihn sind abstrakte Denkspiele nichts Ungewöhnliches, aber wer nicht auf einen ähnlichen Erfahrungsschatz bauen kann, für den wird wohl so manches im Dunkeln bleiben.

Dabei wirkt de Toledos Buch in jedem Fall hochgradig leidenschaftlich. Man spürt immer wieder, dass er sehr viel Herzblut in sein Werk gesteckt hat und immer dann, wenn sich mal ein Lichtblick auftut und man zu begreifen beginnt, worauf er hinaus will, geht von de Toledos Leidenschaft etwas Ansteckendes aus. So gesehen, ist es außerordentlich schade, dass durch die abstrakten und schwer verdaulichen Gedanken so viel von dieser leidenschaftlichen Energie verpufft.

Und so bleibt am Ende ein außerordentlich blasser Eindruck zurück. Vieles bleibt diffus und unklar und so bleibt auch die kritische Auseinandersetzung mit de Toledos Thesen letztlich auf der Strecke. Wie soll man schließlich etwas kritisch betrachten können, das man kaum verstanden hat und das so seltsam abstrakt bleibt, dass man kaum einen Gedanken festhalten kann?

Fazit: Ein Buch vor allem für den philosophisch geschulten und interessierten Leser. Mit einem „atemlosen Politpamphlet“, einer politischen Variante von |“Generation Golf“| oder der Leichtigkeit verheißenden Umschreibung „Lebensgefühl der Thirty-Somethings“ hat „Goodbye Tristesse“ wenig bis gar nichts zu tun, und so sind Pressestimmen und Klappentext prädestiniert dazu, einen falschen Eindruck zu erwecken und eine enttäuschte Leserschaft zurückzulassen.

Bleibt die sympathische Ironie, dass die Taschenbuchausgabe zu „Goodbye Tristesse“ gerade in einem Verlag erscheint, der selbst Teil eines multinationalen Konzerns ist, und das bestätigt dann schon irgendwie, dass Camille de Toledo mit seiner Beschreibung des „Stadiums des neuen Rückzugs“ Recht hat …

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Marzi, Christoph – Malfuria

Nachdem Christoph Marzis „Lycidas“-Trilogie zu Ende erzählt ist und auf ihre im März anstehende Hörbuchpremiere bei |Audible.de| wartet, ist der Autor aus dem Saarland nun mit einer neuen Fantasy-Trilogie am Start. Zugeschnitten auf eine etwas jüngere Zielgruppe, erscheint die Reihe im Jugendbuchverlag |Arena|. Mit „Malfuria“ legt Marzi für diese Reihe den Grundstein.

„Malfuria“ spielt in Barcelona und wie schon bei [„Lycidas“ 1081 bleibt die Zeit etwas unergründlich. Die Stadt wirkt altertümlich und (post)modern zugleich, eine Zeit voller Wunder und so unergründlich, dass sie für sich genommen schon sehr reizvoll wirkt.

Hier begleitet der Leser die junge, angehende Kartenmacherin Catalina und den Lichterjungen Jordi. Jordi sieht als Sohn des Leuchtturmwärters als Erster, was Unheilvolles auf Barcelona zusteuert: die |Meduza|, ein fliegendes Schiff, das die Schatten in die Stadt bringt.

Schon bald verlassen unheimliche Gestalten das Schiff: Schatten, die ihr Gesicht hinter einer Harlekin-Maske verbergen. Sie bringen Kälte und Dunkelheit in die Stadt und sind auf der Suche nach jemandem – nach Catalina, die in der Windmühle des alten Kartenmachers Marquéz lebt.

Und so muss Catalina fliehen. Unterwegs trifft sie auf Jordi, den sie unfreiwillig mit in die Geschichte hineinzieht. Zusammen versuchen sie den Schatten zu entkommen und machen dabei so manche abenteuerliche Bekanntschaft. Sie treffen El Cuento, den Wind, der ihnen bei der Flucht hilft, sie besuchen das mysteriöse Haus der Nadeln und sie entdecken ein lange gehütetes Geheimnis, das eng mit Catalinas Schicksal verknüpft ist: Malfuria.

„Malfuria“ ist eine Fantasygeschichte, die für Jugendliche wie Erwachsene gleichermaßen interessant ist. Dass Marzi über eine ausgesprochen rege Phantasie verfügt, hat er mit seiner „Lycidas“-Reihe hinlänglich bewiesen. Auch in „Malfuria“ gibt er wieder wunderbare Einfälle zum Besten, kreiert eine fantastische Atmosphäre und erzählt eine Geschichte voller Spannung und Magie.

Während „Lycidas“ zusammen mit seinen beiden Nachfolgebänden [„Lilith“ 2070 und „Lumen“ recht ausführlich und weitschweifig erzählt ist, kommt „Malfuria“ eher kompakt daher. Gradlinig und in flottem Tempo wird die Geschichte erzählt. Trotz der Kompaktheit entwickelt der Plot eine charakteristische Atmosphäre, die vielleicht nicht ganz so dicht ist, wie man es von „Lycidas“ kennt, aber dennoch spannend.

Die Figuren wirken lebendig und wachsen dem Leser schnell ans Herz. Die Welt, durch die sie sich bewegen, ist farbenprächtig und gespickt mit wundersamen Kreaturen und Orten. Ein erstes Highlight der Geschichte ist das Auftreten der Eistreter, die schattenähnlichen Kreaturen mit den Harlekin-Masken. Sie hätten auch gut in die uralte Metropole gepasst, die Marzi in „Lycidas“ beschreibt, und ähneln ein wenig dem Nebel, der in [„Lumen“ 3036 auftaucht und Unheil verbreitet. Sie wirken düster und unheimlich und sorgen für reichlich Spannung.

Obwohl sich nicht nur anhand der Eistreter Parallelen zu Marzis Vorgängerwerken ziehen lassen, ist „Malfuria“ kein „Lycidas“-Abklatsch. Zwar werden bestimmte Themen variiert, wie die Eistreter oder auch die Menschen mit den Münzenaugen, die an die Kinder mit Spiegelscherbenaugen in der Hölle von „Lycidas“ erinnern, dennoch ist „Malfuria“ ein eigenständiges Werk. Die Atmosphäre ist eben doch eine andere und Barcelona hat als Handlungsort noch einmal einen ganz eigenen Charme.

Der Plot ist gut aufgebaut. Nachdem Marzi die beiden Protagonisten Jordi und Catalina in die Handlung eingeführt hat, zieht er mit Catalinas überstürzter Flucht aus der Windmühle gleich die Spannungsschraube kräftig an. Was folgt, ist eine Flucht kreuz und quer durch Barcelona, auf der Catalina und Jordi sowohl unheimliche wie auch freundliche Begegnungen machen und die zum Ende hin geradezu rasant wird. Die unheimlichen Häscher sind den beiden dicht auf den Fersen, und für Catalina gibt es so manche schmerzhafte Erkenntnis zu verkraften.

Insgesamt schafft Marzi eine Ausgangslage, die für die im Juli anstehende Fortsetzung vielversprechend aussieht. Die Geschichte enthält noch einiges an Potenzial und die Weiterentwicklung der Hauptfiguren, insbesondere Catalina, verspricht interessant zu werden.

Alles in allem also ein durchaus vielversprechender Trilogieauftakt: sympathische Figuren, ein schöner Plot voller fantastischer Ideen, die beweisen, dass mit Marzi auch nach „Lycidas“ weiterhin zu rechnen ist. In der Riege deutscher Fantasyautoren verschafft er sich so ein hübsches Logenplätzchen. „Malfuria“ ist eine farbenprächtige und spannend erzählte Fantasygeschichte, der man eine große Leserschaft wünscht und die im Juli hoffentlich ebenso schön weitergeht.

http://www.malfuria.de/
http://www.arena-verlag.de/
http://www.christophmarzi.de

Japrisot, Sébastien – Mord im Fahrpreis inbegriffen

Sébastien Japrisot, dessen bürgerlicher Name eigentlich Jean-Baptiste Rossi lautete, hat sich in seiner französischen Heimat durchaus den Ruf eines guten und beachtenswerten Autors erarbeitet. Japrisots Werke wurden teilweise verfilmt. Hierzulande dürfte sein bekanntestes Werk „Mathilde“ sein, eine Geschichte, die Jean-Pierre Jeunet vor ein paar Jahren Audrey Tautou in der Hauptrolle auf Zelluloid gebannt hat. Japrisot starb 2003. „Mord im Fahrpreis inbegriffen“ ist ein Krimi, den Japrisot 1962 schrieb und der nun im |Aufbau Taschenbuch Verlag| auf Deutsch erschienen ist.

Die Handlung ist schnell erzählt: Es ist 07.50 Uhr, als der Nachtzug aus Marseille in Paris ankommt. Alle Fahrgäste steigen aus, bis auf eine: Georgette Thomas, die erwürgt in ihrer Schlafwagenkoje liegt. Inspektor Grazziano macht sich zusammen mit seinem smarten Kollegen Gabert an die Arbeit. Es gilt, die fünf anderen Fahrgäste des Schlafwagenabteils Nr. 4 zu finden. Doch Grazziano und Gabert sind immer einen Schritt zu langsam. Ein Zeuge nach dem anderen wird ermordet, bevor die Polizei seine Aussage aufnehmen kann. Den beiden ermittelnden Beamten läuft die Zeit davon …

Japrisot strickt einen sehr klassisch anmutenden Krimiplot. Sehr direkt und unvermittelt steigt er in die Handlung ein. Kaum ist die Leiche gefunden, nimmt Grazziano auch schon seine Ermittlungen auf und schon wenig später gibt es die zweite Leiche. Japrisot schildert die Ereignisse in einem sehr schlichten Stil. Beschränkt auf das Wesentliche, beobachtet er die Figuren präzise und schildert den Plot punktgenau.

Sein Erzählstil wirkt dabei mitunter seltsam distanziert. Man braucht seine Zeit um damit warm zu werden, wird dann mit zunehmender Seitenzahl dennoch durch den spannenden Plot und die offene Frage nach dem Täter gefesselt. Scheinbar unbeteiligt gibt Japrisot die Ereignisse aus stetig wechselnden Perspektiven wieder und ist dabei doch mitten im Zentrum des Geschehens. Mit einem Tempo, wie es einer Agathe Christie würdig wäre, liefert er seine Opfer ans Messer und lässt die ermittelnden Beamten dabei anfangs ziemlich dumm aussehen. Bis diese überhaupt merken, was passiert, ist der Mörder richtig warmgelaufen und schon etwa die Hälfte der Fahrgäste aus Schlafwagenabteil Nr. 4 dahingemeuchelt.

Japrisot setzt in der Erzählweise immer wieder neu an, wechselt den Betrachtungswinkel und serviert dem Leser eine Rückschau der Ereignisse in besagtem Schlafwagenabteil aus unterschiedlichen Sichtweisen. Mit jedem Mal verändert sich das Bild, doch lässt Japrisot den Leser genauso im Dunkeln tappen wie Grazziano und Gabert, was Motiv und Täter angeht.

Erst ganz am Ende lässt Japrisot die Bombe platzen, präsentiert den Täter und sorgt damit definitiv für eine Überraschung. Raffiniert löst er die Geschichte auf und liefert einen Täter, auf den man von selbst nicht so schnell kommt. Selbst versierte Krimileser dürften sich an dieser harten Nuss die Zähne ausbeißen. Japrisots Auflösung kommt wirklich überraschend und lässt sich auch nicht mit dem sonst meist sehr erfolgsversprechenden kritischen Suchen nach dem unverdächtigsten (Nicht-)Verdächtigen entlarven. Das Motiv hat mich dabei zwar nicht bis in den letzten Winkel überzeugt, aber raffiniert und ungewöhnlich ist die Auflösung allemal.

Die Ahnungslosigkeit, mit der der Leser über weite Strecken durch das Buch wandelt, sorgt in jedem Fall dafür, dass keine Langeweile aufkommt. Japrisots Stil ist ohnehin sehr kalkuliert und präzise. Kein Satz ist zu viel, und so läuft der Autor keine Gefahr den Leser mit Spannungsabfällen zu langweilen. Kontinuierlich dreht er an der Spannungsschraube, um sie zum Ende hin, wenn der Leser sich schon ganz nah an der Lösung glaubt, noch einmal kräftig anzuziehen.

Was obendrein fasziniert, ist, wie Japrisot die Protagonisten skizziert. Oft wirkt die Betrachtung im ersten Moment eher oberflächlich, zumal Japrisots Wortwahl oft so klingt, als schildere er Dinge, die er von jemand gehört hat, die dieser von jemand anderem gehört hat. Dennoch kann man sich von so manchen Figuren ein erstaunlich deutliches Bild machen. Trotz seiner distanziert wirkenden Erzählweise schafft Japrisot also eine erstaunlich dichte Atmosphäre, und auch wenn er am Ende nicht in allen Aspekten seine Sache hundertprozentig gut macht, so bleibt doch ein überwiegend positiver Eindruck zurück.

Fazit: Japrisot schafft es, mit einer raffinierten Auflösung zu überraschen und erzählt seine Geschichte spannend und stets mit wechselnden Blickwinkeln. Wer klassische, flott und präzise erzählte Krimis mag, dem sei Sébastien Japrisots „Mord im Fahrpreis inbegriffen“ durchaus ans Herz gelegt.

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Hurwitz, Gregg – Scharfrichter, Die

Selbstjustiz ist gerade in den USA, wo schon so mancher Waffennarr das Recht, einen Einbrecher zu erschießen, für sich beansprucht hat, ein sensibles Thema. So gesehen packt Gregg Hurwitz mit seinem Thriller „Die Scharfrichter“ ein mehr oder minder heißes Eisen an.

Tim Rackley ist US Marshal in Los Angeles. Auch seine Frau Andrea arbeitet bei der Polizei. Tim ist ein rechtsgläubiger Mensch, der an die Gesetze glaubt. Das ändert sich, als seine sechsjährige Tochter Virginia brutal ermordet und der Täter aufgrund eines juristischen Formfehlers freigesprochen wird. Tim sieht plötzliche, wie die Rechtsprechung auch mal im Unrecht sein kann, und das will und kann er nicht so stehen lassen.

Wie es der Zufall so will, klopft just in dem Moment aufkeimender Rachegelüste ein Mann an seine Tür, der sich als Vertreter einer Kommission vorstellt, die es sich zum Ziel gemacht hat, solche Fehlurteile der Rechtsprechung geradezubiegen – auf eigene Faust, versteht sich, und auf nicht ganz legale Weise obendrein. Nach einigem Grübeln schließt Tim sich dieser Kommission an, die sich daraufhin trifft, um sieben Fälle neu aufzurollen, zu verhandeln, Urteile zu sprechen und zu vollstrecken. Der siebte Fall soll der Mörder von Tims Tochter sein.

Zunächst verläuft alles planmäßig, als dann jedoch einige skrupellose Mitglieder der Kommission bei einer Urteilsvollstreckung ein Blutbad anrichten, läuft die Sache aus dem Ruder. Tim muss schon bald erkennen, dass er sich auf ein Spiel eingelassen hat, von dem er besser die Finger gelassen hätte und bei dem am Ende nicht nur sein eigenes Leben in Gefahr ist …

Auf den ersten Blick klingt das alles nach einem spannenden Thriller um Justiz und Rache. Diesen Eindruck will offensichtlich auch der auffällige gelbe Sticker auf dem Buchdeckel erwecken, der „Hochspannung!“ verspricht. Solche Sticker machen mich mittlerweile aber immer misstrauisch, denn schon zu oft entpuppte sich ein solcher „hochspannender“ Thriller oder gar „Thriller des Monats“ als Pleite oder höchstens mittelklassiges Werk.

„Die Scharfrichter“ ergeht es da leider nicht viel anders – zumindest scheint sich der Sticker auf dem Buchdeckel lediglich auf das letzte Buchdrittel zu beziehen. Mag die Thematik im ersten Moment auch noch spannend klingen und auch Hurwitz‘ Einstieg in die Geschichte noch recht vielversprechend erscheinen, so folgt dem mit zunehmender Seitenzahl dann doch immer häufiger ein Stirnrunzeln. Die Geschichte entwickelt so einige Ecken und Kanten, die ein wenig den Lesegenuss trüben.

Und das, obwohl Hurwitz am Anfang noch einen recht guten Eindruck hinterlässt. Die Trauer und Ohnmacht der Eltern wird einigermaßen gut greifbar und steht in den ersten Kapiteln noch im Mittelpunkt der Handlung. Das erste Stirnrunzeln folgt dann mit dem Freispruch des Kindermörders wenig später. Der Täter wird freigesprochen, nachdem die Verteidigung mehrere Gutachten vorlegt, die belegen, dass der Angeklagte taub ist, also nicht hören konnte, wie ihm seine Rechte vorgelesen wurden, als die Polizei ihn mitsamt aller erdrückenden Beweise in seinem Haus vorfand. Dass daher alle in diesem Zusammenhang sichergestellten (und absolut eindeutigen) Beweise und das Geständnis des Täters vor Gericht nicht anerkannt werden, führt zum Freispruch. Dass aber vorher niemand gemerkt haben will, dass der Täter taub ist, wird nicht sonderlich glaubwürdig verdeutlicht.

Auch andere Fehlurteile, die die Kommission später intern noch einmal neu aufrollt, bleiben ähnlich fragwürdig. Warum z. B. die Gerichte einen Mann, der erwiesener Maßen ein Massenmörder ist, freisprechen, weil das Sondereinsatzkommando drei Minuten zu spät seine Wohnung stürmt, wird nicht ganz deutlich. Dafür, dass die USA sich beispielsweise in Guantanamo einen Dreck um die Rechte Verdächtiger scheren, lässt die US-Justiz hier einfach zu freizügig Massenmörder laufen, als dass es glaubhaft wäre.

Und so lässt das Ganze Hurwitz‘ Realitätsbezug ein wenig zu zweifelhaft erscheinen. Mag sein, dass das Rechtssystem einige haarsträubende Schlupflöcher hat, aber dass eine dreiminütige Verspätung der Polizei schwerer wiegen soll als ein 86-facher Mord, erscheint einfach zu unglaubwürdig. Wenn Hurwitz‘ Recherchen wirklich so haarsträubende Probleme in der US-Justiz ergeben hätten, hätte ich mir einen entsprechenden Kommentar im Nachwort gewünscht, um dem irgendwie Glauben schenken zu können, aber ohne einen weiteren Kommentar klingt das für meine Ohren einfach zu fantastisch.

Der Thrillerplot, den Hurwitz aber aus diesem etwas fragwürdigen Stoff spinnt, lässt mit der Zeit zumindest die Spannungskurve ordentlich steigen. Damit lässt er sich zwar auch ein wenig Zeit (in der ersten Hälfte des Buches gibt es immer wieder Phasen, die weniger spannend sind), dafür ist gerade das letzte Drittel des Buches dann doch wirklich spannend. Es entbrennt ein fesselndes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Tim, den anderen Mitgliedern der Kommission und der Polizei, bei dem es um alles geht.

Bei der Schilderung der Vorgehensweise der Kommission, bei allen Aspekten, die sich um Waffen und Technik sowie deren Handhabung drehen, geht Hurwitz äußerst präzise vor. Er schildert solche Dinge geradezu detailverliebt und lässt immer wieder Daten und Fakten einfließen, wie die Stärke des Rückschlag einer Waffe oder die Vorgehensweise zur Ausschaltung eines Bewegungsmelders. Dem gegenüber stehen aber hier und da kleine Flüchtigkeitsfehler in der Kontinuität der Geschichte. So beträgt der Zeitraum zwischen dem Mord an Tims Tochter und den aktuellen Ereignissen des Romans erst 14 Tage, später dann nur noch 11 Tage, und eine Sprengstofftasche, die erst oliv war, ist plötzlich schwarz. Aber das sind sicherlich eher Kleinigkeiten, die man als nicht ganz so schwerwiegend betrachten kann.

Nicht ganz überzeugend finde ich dagegen die Auflösung. Ich hatte befürchtet, dass die Geschichte auf das hinauslaufen würde, was dann zum Ende hin kommt, denn irgendwie liegt das im Laufe des Buches schon in der Luft – überzeugend gelöst finde ich es dennoch nicht. Auch das Ende erscheint mir ein wenig zu typisch amerikanisch. Der strahlende Held bleibt der strahlende Held, trotz all der Dinge, die er tut und erlebt. Das Ende passt zwar zur Geschichte, hinterlässt aber dennoch einen etwas fahlen Nachgeschmack.

Überhaupt wirken die Figuren etwas klischeebehaftet: Tim der Superpolizist auf Abwegen, der nie den Überblick zu verlieren scheint und dessen Heldenaura nur selten Kratzer erleidet. Auch die Kommissionsmitglieder wirken teils sehr klischeeüberfrachtet. Die muskulösen Zwillingsbrüder Masterson, die ihre Aggressionen nicht immer im Zaum halten können. Storch, der hässliche, kränkliche Technikfreak, der ein gesellschaftlicher Außenseiter ist, aber in Sachen Technik ein brillantes Genie. Das sieht alles ein wenig zu sehr nach Hollywoodfilm aus.

Bleiben unterm Strich also gemischte Gefühle zurück. Einerseits baut Hurwitz den Plot spannend auf und gibt der Geschichte gerade zum Ende hin viel Tempo, dennoch bleiben viele Aspekte in Erinnerung, die wenig überzeugend sind. Gerade mit Blick auf die Entscheidungen der Justiz bleibt vieles fragwürdig. Zwar sind die USA ein Land, wo Gerichte auch schon mal den Ausgang einer demokratischen Wahl festlegen (was für sich genommen so haarsträubend ist, dass man all die krassen Fehlurteile, die Hurwitz schildert, sofort glauben möchte), dennoch erscheint mir in dieser Hinsicht manches zu fantastisch. Auch die wenig befriedigende Auflösung und die klischeebehafteten Figuren trüben ein wenig die Freude. Fazit: Spannende Kost zwar, aber dennoch nicht auf ganzer Linie überzeugend.

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Yoshimoto, Banana – Eidechse

Banana Yoshimoto hat schon eine besondere Art, ihre Leser zu fesseln. Ihr Stil, ihre Art zu Erzählen, auf eine so lockere und gleichsam so intensive Weise, sucht in der literarischen Welt seinesgleichen. Seit ihrem Debüt „Kitchen“ von 1988 hat Yoshimoto auch hierzulande viele begeisterte Leser gefunden und in ihrer Heimat Japan einen Literaturpreis nach dem anderen eingeheimst.

Der aktuell bei |Diogenes| im Taschenbuch verliegende Erzählband „Eidechse“ ist von 1993 und vereint sechs Erzählungen, die vor allem eines verbindet: Sie handeln von Menschen, denen eine wichtige Veränderung bevorsteht. In allen Geschichten spielt dabei die Liebe eine wesentliche Rolle. Junge Menschen, die den Schritt wagen, sich zu einer Beziehung zu bekennen. Menschen, die mit einer Heirat den Grundstein zur gemeinsamen Zukunft legen, spielen die Hauptrolle.

Yoshimotos Erzählungen drehen sich dabei um die Gefühle dahinter, um Unsicherheiten und Ängste, um Ratlosigkeit, Orientierungslosigkeit und Ungewissheit, die mit dem festen Bekenntnis zu einem bestimmten Menschen einhergehen. Yoshimoto selbst formuliert das in ihrem Nachwort so wunderbar treffend, dass nichts näher liegt, als sie zu zitieren: |“Die Geschichten behandeln den gesamten Komplex von der anfänglichen Ratlosigkeit über die Phase der Ungewissheit, in der man sich daranmacht, sein seelisches Gepäck neu zu ordnen, bis hin zur Befreiung und Erleichterung, wenn man sich über etwas klargeworden ist.“|

Das Besondere an Yoshimotos Erzählungen ist dabei, dass sie ihre Geschichten immer mit einer besonderen Zutat, einem unerwarteten Element zu garnieren weiß. Sie legt eine spezielle Magie in die Zeilen, fügt geradezu fantastische Aspekte hinzu, wie in der ersten Erzählung des Buches „Frisch verheiratet“, die eine S-Bahn-Fahrt schildert, die ein junger Mann in betrunkenem Zustand durch das nächtliche Tokio macht und auf der er in dem scheinbar verwahrlosten Penner neben sich plötzlich eine hübsche Frau erkennt.

Yoshimoto versteht es, auf diese Weise zu überraschen und schwere und leichte Elemente zu verknüpfen. Sie erzählt ihre Geschichten in einem leichten, lockeren Ton und setzt dem sperrige, schwer verdauliche Elemente entgegen, die mit der Wahrnehmung des Lesers spielen und als Projektionsfläche für die komplexen Seelengemälde dienen, die Yoshimoto aus ihren Figuren entwirft.

Den Erzählungen verleiht diese Art etwas Surreales. Die sprachlichen Bilder, die Yoshimoto skizziert, sind wunderschön, wenngleich sie schnell wieder verblassen. Was zurückbleibt, ist in etwa so wie die diffuse Erinnerung an einen merkwürdigen Traum. Die Handlung verschwimmt, aber Stimmungen und Augenblicke bleiben zurück, und das auf eine teilweise erstaunlich intensive Art, bei der man sich am Ende fragt, wie sie das eigentlich vollbracht hat.

Yoshimotos Erzählungen sind etwas, auf das man sich voll und ganz einlassen muss, das Raum zum Wirken braucht und Zeit, sich zu entfalten. Je mehr man das Gelesene wirken lässt, desto intensiver sind die Bilder im Kopf.

Nicht alle Erzählungen sind dabei gleich einprägsam. „Helix“, „Der Kimchi-Traum“ und „Der Glücksbringer“ haben sich mir nicht ganz so intensiv eingeprägt wie „Frisch verheiratet“, „Eidechse“ und „Eine denkwürdige Begebenheit am Großen Fluss“, dennoch hat jede Erzählungen ihre Vorzüge. Sie hier inhaltlich zu reflektieren, ergibt wenig Sinn, zu sehr sind Stimmungen und Gefühle Kern der Erzählungen, als dass es eine konkrete Handlung gäbe, die sich zufriedenstellend wiedergeben ließe.

In Yoshimotos Erzählungen muss man einfach eintauchen und Figuren, Gespräche und Stimmungen wirken lassen. Wem das zu wenig ist, der wird Yoshimotos Erzählungen nicht viel abgewinnen können. Wer sich aber darauf einlassen kann, dem wird Yoshimoto mit ihren Erzählungen einige Freude bereiten.

Unterm Strich kann Banana Yoshimoto somit auch mit „Eidechse“ wieder überzeugen. Sie zeichnet komplexe Seelenporträts, entwirft interessante Figuren und zaubert dem Leser vielfältige Stimmungen in den Kopf. Ein Buch, das man mehr fühlt als liest, dessen Eindruck auf den ersten Blick flüchtig und auf den zweiten intensiv ist. Yoshimoto beweist einmal mehr, dass sie eindrucksvoll zu erzählen weiß und es immer wieder schafft, den Menschen tief in die Seele zu blicken.

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Nicholls, David – Keine weiteren Fragen

|“Immer wenn ich Edith Piaf ‚Non, je ne regrette rien‘ singen höre – was häufiger geschieht, als mir lieb ist, jetzt, wo ich an der Uni bin -, denke ich unwillkürlich, wovon redet die eigentlich? Ich bereue so ungefähr ALLES. Mir ist bewusst, dass der Übergang zum Erwachsenwerden ein schwieriger und mitunter schmerzlicher Prozess ist. Mir sind die Abläufe von Durchgangsriten vertraut, ich weiß, was der literarische Begriff ‚Bildungsroman‘ bedeutet, und ich bin mir darüber im Klaren, dass ich auf Dinge, die in meiner Jugend geschehen sind, eines Tages zurückblicken und sie amüsiert und milde belächeln werde. Aber das erklärt noch lange nicht, warum ich mich für Dinge schäme, die vor dreißig Sekunden passiert sind.“| (S. 378)

Diese Bestandsaufnahme gibt schon recht deutlich die Situation von Brian Jackson, dem Protagonisten aus David Nicholls‘ Roman „Keine weiteren Fragen“, wieder. Dabei sollte doch mit dem Beginn des Studiums alles super werden: geistreiche Gespräche, tiefsinnige Bemerkungen, gewichtige Freundschaften, tagsüber Sex mit schönen Frauen und exotisches Essen – so in etwa stellt Brian Jackson sich seine Mannwerdung vor. Doch wie das Einstiegszitat eindrucksvoll demonstriert, gestaltet sich dieser Prozess schwieriger, als Brian erwartet hat.

Wir schreiben die 80er Jahre: Brian Jackson ist hochmotiviert, aknegeplagt und lebensunerfahren, als er sich in das Studium und das Leben stürzt. Das große Ziel ist nicht nur, endlich zum Mann zu werden, sondern wenn möglich auch einen Platz in der TV-Quizshow „University Challenge“ zu ergattern. Doch dabei verknallt Brian sich unsterblich in Teamkollegin Alice. Brian strengt sich redlich an, Alice möglichst beeindruckend zu umgarnen, doch da die beiden ohnehin in zwei gänzlich unterschiedlichen Ligen spielen, gestaltet sich dies außerordentlich schwierig. Brian hat eben mehr das Talent zum Außenseiter als zum unschlagbaren, mysteriösen Verführer.

Doch wenn Brian auch nicht unbedingt in vielen Dingen zu brillieren weiß, so kann er auf eine Fähigkeit dennoch voll und ganz bauen – sein Quizkandidatentalent. Und so will Brian Alice beim „University Challenge“ demonstrieren, was in ihm steckt, und mit dieser todsicheren Strategie schließlich ihr Herz gewinnen …

David Nicholls Debütroman ist in seiner englischen Heimat gleich nach der Veröffentlichung gewaltig eingeschlagen. Die Verfilmung kam bereits im Herbst 2006 in die englischen Kinos. Kritiker und Presse sparen nicht mit Lob und greifen dabei gar zu einem Vergleich mit Nick Hornby. Das lässt auf einiges hoffen.

Mit Brian Jackson hat Nicholls eine Figur geschaffen, die immer wieder Anlass zu Heiterkeit bietet. Die Geschichte spielt mitten in der Rezession und Brian schafft nur dank eines Stipendiums den Weg an die Uni, wo er Englische Literatur studiert. Während seine Kumpels zu Hause ihn mit dem Begriff Mittelschicht belegen und das als Schimpfwort meinen, geht er an der Uni höchstens als Unterschicht durch. Das macht ihn im Angesicht der reichen, gutaussehenden Unikollegen gleich zum Außenseiter.

Zu beobachten, wie Brian sich damit abplagt, trotz all dieser Widrigkeiten anerkannt zu werden, ist äußerst unterhaltsam. Sei es seine gewagte Tanzeinlage zu James Browns „Sex Machine“ bei der ersten Uniparty oder sein Kampf um Anerkennung im „University Challenge“-Team. Immer wieder schafft Brian es, sich beim Versuch, Eindruck zu hinterlassen, lächerlich zu machen. Besonders gut gelingt ihm dies selbstverständlich in der Gegenwart von Alice.

Brian hat sich den Beginn des Studiums als glorreichen Neuanfang ausgemalt, dabei aber vergessen, dass er aus seiner Haut nicht heraus kann. Und so verläuft Brians Start ins Studentenleben für ihn selbst eher ernüchternd und für den Leser dafür umso erheiternder. Brian ist ein liebenswerter Versager, den man gleich zu Beginn ins Herz schließt.

Die Typen, denen Brian im Laufe seines ersten Studienjahres an der Uni begegnet, sind teilweise grundverschieden, was die Lektüre um eine weitere unterhaltsame Facette ergänzt. Da wäre beispielsweise Rebecca, die meistens auf Krawall gebürstet ist und gerne die Konfrontation mit Brian sucht. Die beiden sind herrlich gegensätzlich und ergänzen sich so wunderbar zu einem durch und durch komischen Team.

Alice dagegen ist ein ganz anderer Typ. Sie ist weltgewandt, gutaussehend und beliebt und damit das komplette Gegenteil von Brian. Dass sie ihn überhaupt wahrnimmt, grenzt schon an ein Wunder. Das Hin und Her zwischen Alice und Brian ist von einem so ausgeprägten Ungleichgewicht bestimmt, dass man gleich vom ersten Augenblick ahnt, dass Brian hier eigentlich nur Energie verschwendet. Aber er kann es ja einfach nicht lassen …

Was „Keine weiteren Fragen“ zu einer so unterhaltsamen und komischen Geschichte macht, sind das Zusammentreffen dieser unterschiedlichen Persönlichkeiten und die Art, wie sie miteinander umgehen. Daraus ergibt sich im Verlauf des Romans so manche Pointe und auch Brians Ehrgeiz bei „University Challenge“ offenbart so manchen komischen Moment.

Dennoch schafft Nicholls einen Brückenschlag zwischen Komik und Tragik. „Keine weiteren Fragen“ enthält auch ernsthafte Momente – in erster Linie geht es dabei um vernachlässigte Freundschaften. Brian schafft es nicht nur in der Sache Alice, sich immer wieder zum Idioten zu machen, sondern lässt auch sonst so ziemlich keine Gelegenheit dazu aus. Darunter haben vor allem seine Freunde von früher zu leiden. Diese Verknüpfung von Humor und ernsthaften Aspekten der Geschichte macht die Figur des Brian umso greifbarer. Er ist nicht einfach nur der Depp, der sich in eine Frau verliebt, die drei Nummern zu groß für ihn ist, sondern bekommt auch eine zunehmend menschliche Seite.

Ein besonderes Lob verdient das Ende der Geschichte. Nicholls lässt die Sache stimmig enden. Er löst sie im Grunde auf die einzige wirklich sinnvolle Art auf (und auch das wieder mit einem sehr schönen Lacher) und sorgt so dafür, dass „Keine weiteren Fragen“ nicht so schnell wieder aus dem Gedächtnis verschwindet, wie es so manchem anderen Roman dieser Art vorbestimmt ist. Nicholls schafft es, Geschichte und Figuren glaubhaft weiterzuentwickeln, und das rundet den Gesamteindruck positiv ab.

Unterm Strich ist „Keine weiteren Fragen“ eine wirklich runde Sache – unterhaltsam und flott erzählt, mit witzigen, liebenswürdigen Figuren, die man schnell ins Herz schließt, und einem stimmigen Handlungsverlauf. Wer humorvolle, selbstironische Bücher mag, dem sei dringend zur Lektüre geraten. David Nicholls ist mit „Keine weiteren Fragen“ eine herrlich komische Geschichte geglückt, die aus der Masse vergleichbarer „Coming-of-Age-Romane“ wunderbar hervorsticht.

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Läckberg, Camilla – Eisprinzessin schläft, Die

Das schwedische Fjällbacka ist ein Kaff, wie es im Buche steht. Irgendwo an der ländlich-provinziellen Küste Schwedens gelegen, wo vor allem der Tourismus als Lebensgrundlage dient, seit der Fischfang kein ganz so einträgliches Geschäft mehr darstellt. Klingt alles in allem nicht gerade nach einem Ort, an dem viel passiert – schon gar nicht nach einem Ort, der Stoff für spannende Krimis bietet. Dennoch hat Camilla Läckberg sich gerade ihren Geburtsort Fjällbacka als Handlungsort ihrer Krimis auserkoren. Und das ist durchaus eine kluge Wahl gewesen …

Während des Winters liegt in Fjällbacka der sprichwörtliche Hund begraben. Umso höher schlagen die Wellen, als ein Leichenfund die schwedische Winteridylle trübt. Alexandra Wijkner wird ermordet im gefrorenen Wasser ihrer Badewanne gefunden. Die junge Frau war erfolgreich, reich und schön, doch ihr Ableben gibt allen in Fjällbacka und auch der Polizei Rätsel auf. Wen mochte Alexandra Wijkner sich zum Feind gemacht haben?

Auch Erica Falk stellt sich Fragen wie diese. Erica ist nach Fjällbacka zurückgekehrt, um im Haus ihrer verstorbenen Eltern Klarschiff zu machen und wird dabei in den Mord an ihrer früheren Busenfreundin Alexandra hineingezogen. Gemeinsam mit Kriminalassistent Patrik Hedström sammelt Erica Informationen zu dem Fall, in dem sich so manche sonderbare Verbindung auftut. Eine Spur führt zur Familie des reichen Konservenfabrikanten Lorentz, eine andere zu einem stadtbekannten Säufer. Und was ist mit dem ungeliebten Ehemann der Toten?

Irgendwo hinter all den winzigen Puzzlestückchen, die Erica und Patrik ausgraben, scheint ein altes Geheimnis verborgen zu liegen. Irgendetwas, das vielleicht bis in Alexandras Kindheit in Fjällbacka zurückreicht …

Camilla Läckberg ist mit ihren Krimis in Schweden bislang ziemlich erfolgreich. Über 500.000 verkaufte Bücher sind in einem Land wie Schweden schon ein Wort und dementsprechend wird die Autorin auch von der deutschen Presse gefeiert. Die |Bild am Sonntag| kürt sie gar zu einer „Krimi-Queen“. All das Lob lässt in jedem Fall auf Gutes hoffen, und diese Hoffnungen werden nicht enttäuscht.

Mit Erica Falck und Patrik Hedström schickt Camilla Läckberg ein außerordentlich sympathisches Ermittlerduo ins Rennen. Erica stolpert eher unverhofft in den Fall hinein. Durch Zufall ist sie bei der Entdeckung der Leiche dabei, und da sie früher einmal Alexandras beste Freundin war und nun als Schriftstellerin prädestiniert für die Aufgabe ist, bitten Alexandras Eltern sie darum, den Nachruf für die Zeitung zu schreiben.

Ehe Erica sich versieht, steckt sie auch schon mitten in den Ermittlungen, und da sie nun einmal Schriftstellerin ist, macht sie sich auch gleich ein paar Notizen, um aus der Geschichte um Alexandras Tod später einen Roman entwickeln zu können. Ericas Interesse an dem Fall ist also eher auf persönlichen und schriftstellerischen Interessen begründet. Daraus resultiert auch eine gewisse Unbefangenheit, mit der sie an den Fall herangeht. Sie folgt einfach ihrer Intuition und macht dabei so manche Entdeckung, um die Patrik Hedström sie nur beneiden kann.

Auch Patrik und Erica kennen sich aus früheren Zeit. Im Zuge der Ermittlungen kreuzen sich ihre Lebenswege wieder. Dabei kommen die beiden sich nicht nur beruflich näher. Auch Patrik ist eine äußerst sympathische Figur. Zu lesen, wie die beiden sich vorsichtig einander annähern, ergänzt den Krimi um eine weitere menschliche Facette.

Überhaupt liefert Camilla Läckberg mit „Die Eisprinzessin schläft“ einen Krimi ab, der stets auch immer ein wenig über den Horizont des eigenen Genres hinausschaut. Es trifft genau das zu, was Läckberg ihre Protagonistin Erica über das Schreiben von Krimis sagen lässt: Erica interessiert sich eigentlich weniger für Krimis als vielmehr für die Menschen, die dahinter stecken. Genau das wendet auch Camilla Läckberg an. Sie rückt die Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung, und das hebt sie sehr schön aus der Masse vieler anderer Kriminalautoren heraus. Bei ihr verdient so ziemlich jede Figur eine genauere Betrachtung, auch wenn sie nur marginal Einfluss auf die Handlung nimmt. Da sie dabei auch gleichzeitig beweist, dass sie es vermag, ihren Figuren in die Herzen zu schauen, geht die Rechnung auf. Läckbergs Krimis haben eine unverkennbar menschliche Sicht der Dinge, die einen zusätzlichen Lesegenuss darstellt.

Es ist diese menschliche Sicht der Dinge, die dem Roman auch immer wieder eine positive Note verleiht. Die Autorin krempelt die Vergangenheit ihrer Figuren um und fördert dabei wirklich unschöne und erschütternde Dinge zu Tage, dennoch hat der Roman insgesamt auch eine unverkennbar positive Ausstrahlung.

Damit schafft Camilla Läckberg es (und wenn wir uns schon im Spannungsfeld schwedischer Krimiliteratur bewegen, ist dieser Vergleich wohl unvermeidlich), einen schönen Gegenpol zu den düsteren Krimis zu schaffen, die beispielsweise ein Henning Mankell abliefert. Läckberg braucht den Vergleich mit Mankell nicht zu scheuen, einfach weil die beiden sich letztendlich an entgegengesetzten Punkten des Krimigenres bewegen.

Läckberg schafft in ihrem Plot immer wieder auch Raum für Nebenhandlungen, die der Geschichte zusätzliche Tiefe verleihen. Dabei bettet sie diese Nebenstränge so gut in den Haupthandlungsstrang ein, dass man kaum Kritikpunkte findet – zumal ihr flüssiger und lockerer Erzählstil sein Übriges zum Gelingen beiträgt. Am Ende ergibt die Geschichte ein überzeugendes großes Ganzes. Läckberg hat nicht nur einen Kriminalfall gelöst, sondern auch menschliche Schicksale entblättert. Die Auflösung des Falls gelingt ihr dabei sehr gut und stimmig. Die Motive des Täters werden deutlich nachvollzogen und die losen Enden der Geschichte stimmig zusammengeführt. Handwerklich gibt es daran nichts auszusetzen.

Schön sind auch immer wieder die etwas humorvolleren Töne. So beschreibt Läckberg durch wechselseitige Perspektiven wunderbar Hedströms Chef, der sich einfach absolut unmöglich benimmt, sich dabei aber jederzeit für einen glanzvollen Helden hält. Auch die Betrachtungen von Ericas Verhalten ganz allgemein und speziell gegenüber Patrik geben immer wieder Anlass zum Schmunzeln. Ich musste bei der Lektüre hin und wieder an Bridget Jones denken und war daher auch nicht sonderlich verwundert, als Erica im Laufe des Romans Bridget Jones als ihre Lieblingsheldin nennt. Läckberg schafft es mit diesen humorvollen Zwischentönen und ihrer positiven Grundstimmung, den Krimiplot ganz hervorragend abzurunden.

Bleiben unterm Strich eigentlich keine Wünsche offen. Camilla Läckberg weiß mit ihrem Debütroman „Die Eisprinzessin schläft“ auf ganzer Linie zu überzeugen. Mit Erica Falck und Patrik Hedström hat sie ein wunderbar sympathisches Ermittlerduo geschaffen, dem man gerne bei weiteren Ermittlungen über die Schulter schauen möchte. Die Geschichte ist stimmig erzählt, lässt humorvolle Zwischentöne zu und wirkt trotz der erschütternden Hintergründe des Falls in den Grundzügen ausgesprochen positiv und realitätsnah. Spannend und gleichermaßen unterhaltsam erzählt Läckberg ihre Geschichte und macht dabei wirklich Lust auf mehr. Wie gut, dass mit [„Der Prediger von Fjällbacka“ 2539 bereits ein weiterer Krimi mit Erica und Patrik in den Hauptrollen vorliegt.

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Willingham, Bill / Buckingham, Mark – Fables 1 – Legenden im Exil

Kritiker und Presse überschlagen sich förmlich vor Lob für Bill Willinghams Graphic-Novel-Reihe „Fables“. Gekrönt wird all das Lob von fünf |Eisner Awards|. Grund genug, die Reihe, die jüngst unter dem Label von |Vertigo| bei |Panini Comics| erschienen ist, einmal näher unter die Lupe zu nehmen.

Dabei verheißt eigentlich schon der Name des Autors Gutes. Bill Willingham hat vor allem seit den späten 90ern intensiv für |Vertigo| gearbeitet und dabei unter anderem auch einige Teile der „Sandman Presents“-Reihe veröffentlicht. 2003 entstand dann „Fables“. Dank des Erfolgs der „Fables“-Reihe hat Willingham dann sogar noch einen Spin-off dazu entwickelt, der seit 2006 in den USA unter dem Titel „Jack of Fables“ erscheint. Als Zeichner hat Lan Medina an „Fables“ mitgearbeitet. Aus seiner Feder stammt allerdings nur der erste Teil der Reihe „Legenden im Exil“. Einen Namen hat Medina sich bereits mit diversen Arbeiten für |Marvel| und |DC| gemacht. So viel zu den Machern.

Willinghams Arbeiten für die „Sandman Presents“-Reihe zeigen schon in etwa, was man bei ihm erwarten darf: Urban Fantasy. „Fables“ erzählt die Geschichte diverser Märchenfiguren, die unerkannt in New York im Exil leben. Böse Mächte haben sie aus der Märchenwelt vertrieben. In New York kennt niemand ihre wahre Identität und sie bleiben unter sich, um ihr Geheimnis zu wahren. Ihre neue Heimat in New York nennen sie Fabletown. Dort leben sie ein eher beschauliches Leben und schlagen sich mit den Tücken des Alltags herum, wie die Menschen auch – bis eines Tages Rose Red unter merkwürdigen Umständen verschwindet.

Zusammen mit dem Detektiv Bigby Wolf findet Rose Reds Schwester Snow White Spuren in Roses Appartement, die auf ein Blutbad hindeuten. Überall finden sie Spuren von Roses Blut und das nicht unbedingt in geringer Menge. Hat jemand Rose ermordet? Wo ist dann die Leiche? Und wer ist der Täter? Eine Botschaft an der Wand deutet darauf hin, dass der Täter aus der Fabletowngemeinde stammen muss. Bigby Wolf macht sich auf die Suche nach dem Täter …

Willingham bedient sich unterschiedlichster Märchenfiguren, um mit ihnen den „Fables“-Plot zu gestalten. Die meisten kennt man, aber manch eine Figur, wie King Cole, der aus einem englischen Kinderreim stammt und ein legendärer Keltenkönig ist, dürfte hierzulande ähnlich unbekannt sein, wie der ebenfalls einem englischen Kinderreim entsprungene Blue Boy, Jack aus der englischen Geschichte mit den Bohnenranken und den Riesen oder Grimble, der Troll, der in einem norwegischen Märchen von drei Ziegen hereingelegt wird.

Die bekannteren Gestalten von Fabletown sind: Lord Beast und Miss Beauty (Die Schöne und das Biest), Bluebeard (Blaubart), die böse Hexe (aus diversen Märchen), Flycatcher (der Froschkönig), Bigby Wolf (der böse Wolf aus diversen Märchen, wobei Bigby für Big B(ad) steht), das kultivierte Schwein (das eines der drei berühmten Schweinchen ist), Pinocchio, Prinz Charming (der jeden x-beliebigen Prinzen aus jedem x-beliebigen Märchen darstellt) und die Schwestern Rose Red (Rosenrot) und Snow White (Schneeweißchen).

Willingham kreiert aus jeder dieser bekannten Märchenfiguren eine eigenständige neue Figur, angepasst an ein unauffälliges Leben in New York. Der Wolf arbeitet als schmuddeliger, zerzauster Detektiv, Bluebeard mimt den kühlen, reichen Adeligen, und Prince Charming macht genau das, was ein Prince Charming nun mal in erster Linie so macht: Süßholz raspeln und Frauen verführen. Alle Figuren haben eine menschliche Gestalt angenommen (mit Ausnahme des kultivierten Schweins, das ganz einfach ein Schwein geblieben ist, wenngleich natürlich ein absolut kultiviertes).

Wie normale Menschen leben die Einwohner von Fabletown ihr Leben, gehen ihrer Arbeit nach, wohnen in ihren Appartements und tun ihr Möglichstes, um nicht aufzufallen. Kontakte zu Normalsterblichen gibt es nur selten, schließlich wollen die Fabelwesen ihre Identität möglichst geheim halten. Sie leben als mehr oder weniger geschlossene Gemeinschaft in einem New Yorker Appartementhaus und haben als solche ihre eigenen Gesetze und Regeln.

Grundlage ihres Zusammenlebens ist die Generalamnestie. Sie ermöglicht es, dass Bigby Wolf als mehr oder minder offizieller Ermittler von Fabletown anerkannt wird und selbst eine blutrünstige Gestalt wie der frauenmordende Bluebeard gesellschaftliches Ansehen erlangen kann. Die Märchenfiguren haben sich halt dazu entschlossen, in der Welt der Menschen noch einmal komplett bei Null anzufangen und jedem die gleichen Chancen einzuräumen.

Der Plot, den Willingham im ersten Band der Reihe entrollt, ist letztlich eine Kriminalgeschichte – die um das mysteriöse Verschwinden von Rose Red, die vermutlich ermordet wurde. Im Laufe der wölfischen Ermittlungen lernt der Leser die Gemeinde von Fabletown kennen und wird obendrein in eine zunehmend spannender werdende Geschichte gezogen. Es gibt viele Verdächtige, da in der Märchenwelt einige der jetzt so braven Bewohner von Fabletown kein so rühmliches Leben führten. Und so hegt man so manche Vermutung, wer der Täter sein könnte, ehe Bigby Wolf in klassischer Krimimanier den Täter entlarvt.

Gewürzt wird die Geschichte immer wieder mit einer humoristischen Note. Willingham hat sie mit einem ironischen Unterton und einem immer wieder durchschimmernden Augenzwinkern niedergeschrieben. So wohnt zum Beispiel das kultivierte Schwein ironischerweise beim ehemals bösen Wolf zur Untermiete. Willingham geht mit den Märchenelementen seiner Geschichte bzw. seiner Figuren ungezwungen und fantasievoll um und unterstreicht das Ganze immer wieder mit einer feinen Ironie. Das macht die Geschichte zu unterhaltsamer Lektüre. Der Brückenschlag zwischen dem ernst zu nehmenden, sehr klassisch ausgeformten Krimiplot und dem feinsinnigen Humor gelingt Willingham dabei ausgesprochen gut.

Insgesamt liest sich die Geschichte locker und flott runter. Die Lektüre macht ausgesprochen Spaß und vor allem Appetit darauf, zu erfahren wie es mit den Bewohnern von Fabletown weitergeht. Am Ende von Band 1 hängt Willingham obendrein noch eine selbst illustrierte Kurzgeschichte an, die erzählt, wie die Bewohner von Fabletown aus der Märchenwelt ins New Yorker Exil gelangten. Auch die liest sich sehr angenehm.

Medinas zeichnerische Umsetzung der Geschichte ist ebenfalls als gelungen zu bezeichnen. Die Eigenarten der unterschiedlichen Charaktere werden durch die Zeichnungen wunderbar unterstrichen. Die Handlung wirkt lebhaft und die Verrücktheit der gesamten Situation wird sehr schön betont.

Bleibt unterm Strich ein sehr positiver Eindruck zurück. Willinghams Geschichte um die in New York lebenden Märchenfiguren ist gleichermaßen unterhaltsam wie spannend. Die zu Grunde liegende Idee ist absolut wunderbar und Willingham setzt sie sowohl spannend als auch humorvoll um. Wer andere Werke der Urban Fantasy, beispielsweise von Autoren wie Neil Gaiman, mag, für den dürfte auch „Fables – Legenden im Exil“ ein vielversprechender Tipp sein. Und wer obendrein auch noch ein bisschen was für Comics übrig hat, für den könnte „Fables“ sich als absoluter Volltreffer erweisen.

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Driest, Burkhard – Brennende Schuld

Burkhard Driests Krimis spielen da, wo andere Urlaub machen – auf Ibiza. „Brennende Schuld“ ist bereits Driests dritter Roman um den auf Ibiza ermittelnden Hauptkommissar Toni Costa, der sich stets ein wenig hin- und hergerissen fühlt zwischen seinen Aufgaben als Polizist und den Erwartungen seiner mächtigen und einflussreichen Verwandtschaft.

In seinem dritten Fall ermittelt Costa im Fall einer des Nachts an den Strand gespülten, entstellten Leiche, die seine Lebensgefährtin Karin entdeckt. Bei den Ermittlungen finden Costa und seine Kollegin Elena vor einem antiken Altarstein in einer Höhle unter dem Meer zwei weitere Leichen, beide bis auf die Knochen verbrannt. Die Höhle befindet sich unterhalb der Nekropolis Ibizas, der phönizischen Totenstadt im Herzen der Stadt.

Als Costa das dortige Gelände in Augenschein nimmt, trifft er die Archäologin Dr. Laureana Sanchez, eine Koryphäe auf dem Gebiet der karthagischen Geschichte, die bei den Ermittlungen behilflich ist. Costa und seine Kollegen vermuten hinter den Morden zunächst eine rituelle Opferung. Doch Costa kommen Zweifel an dieser These. Auf eigene Faust deckt er noch andere mögliche Hintergründe auf, bei denen er schon bald auf einen Verdächtigen stößt. Doch als er den verhaften will, bricht ein wahres Inferno los. Plötzlich steht der Wald in Flammen, doch die Löschflugzeuge bringen nicht die erhoffte Rettung, sondern Costa beinahe den Tod …

Schon beim Blick auf den Klappentext verspricht „Brennende Schuld“ eine feine Mischung. Ein spannender Krimiplot, ein bislang im Krimigenre wenig abgenutzter Handlungsort, den viele zumindest aus Urlauberinnerungen kennen, und eine Prise geschichtlicher Kontext. Doch bis ins Letzte kann der Roman dann doch nicht den hoch gesteckten Erwartungen gerecht werden. Gerade anfangs kommt die Geschichte irgendwie nüchtern und distanziert rüber. Man braucht einige Zeit, ehe man wirklich in die Geschichte eintaucht.

Driest lässt zwar sprachlich kaum einen Wunsch offen, dennoch gilt es, die Distanz zwischen Leser und Figuren erst einmal zu überwinden, und das dauerte zumindest in meinem Fall dann doch eine ganze Weile. Immer wieder springt der Autor in der Zeit hin und her. Gerade zu Anfang werden häufig Kapitel eingeschoben, die in der Kindheit der Hauptfiguren spielen und deren tieferer Sinn sich nicht immer direkt erschließt. So wird es tendenziell schwerer, in die Handlung einzutauchen und sich darauf einzulassen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Driest mit dem Auftauchen der Archäologin Dr. Sanchez auch den einen oder anderen Ausflug in die phönizische Geschichte macht. Das bremst die Spannung ein wenig aus und trägt ähnlich wie die Vergangenheitskapitel dazu bei, dass die Geschichte sich etwas schwer tut, richtig in Fluss zu kommen. Erst mit fortschreitender Seitenzahl schafft Driest es, mit seinem Plot zu fesseln. Der Fall entwickelt sich zielgerichteter, man taucht tiefer in die Geschichte ein und das Spannungsfeld der Figuren wird zunehmend faszinierender. Was letzteren Punkt anbelangt, entwickelt gerade das Verhältnis von Costa zu seiner Lebensgefährtin Karin seinen Reiz. Karin, die die erste Leiche gefunden hat, ist als Journalistin tätig, was für Costas Arbeitsalltag einiges an Konfliktpotenzial bereithält.

Costa selbst gerät im Laufe der Ermittlungen immer wieder in brenzlige Lagen, die sich spannungssteigernd auf den Plot auswirken. Zumindest in einem Fall ist aber die Auflösung einer solchen brenzligen Situation etwas zu haarsträubend zufallsgeprägt. Dass rein zufällig in dem Moment, als Costa bewusstlos in einem Swimmingpool treibt, die Kollegin mit einem mobilisierten Hubschrauber mitten durch ein Großfeuer zu seiner Rettung herbeieilt, klingt dann doch eher so, als hätte Driest seinen Helden hier in eine Situation manövriert, aus der er keinen glaubwürdigen Ausweg mehr gefunden hat. Das schmälert dann wieder etwas den Lesegenuss, auch wenn der Plot zu diesem Zeitpunkt schon mächtig in Fahrt gekommen ist und sein Spannungspotenzial unaufhaltsam zu entrollen beginnt. Auch die Auflösung des Falls birgt noch einiges an Spannung und ist durchaus klug inszeniert.

Die Figur des Hauptkommissars Toni Costa ist dabei durchaus interessant und facettenreich. Ein bisschen südländisch machohaft wirkt er, obwohl er durch seine deutsche Mutter von den Kollegen kaum als echter Ibizenker angesehen wird. Er ist geschieden, und während er mit seiner deutschen Lebensgefährtin Karin auf Ibiza lebt, wohnt seine Ex-Frau mit den beiden Kindern in Deutschland. Familiäre Dinge spielen in den Plot immer wieder hinein. Toni ist ein Spross einer der einflussreichsten ibizenkischen Familien, die die Insel in politischen wie auch in wirtschaftlichen Belangen ziemlich unter ihrer Fuchtel hat. Und nicht immer scheint der Machterhalt der Familie Costa ganz treu mit den Gesetzen des Landes konform zu gehen. So bringt die Familie für Toni Costa durchaus auch Konflikte in seinem Beruf als Polizist mit sich.

Eine weitere Annehmlichkeit birgt der Handlungsort des Romans. Ibiza ist als Krimischauplatz noch ziemlich unverbraucht, und eine Insel, die der Durchschnittsdeutsche höchstens durch Urlaubsreisen kennt, mal durch die Brille der Einheimischen zu betrachten, hat durchaus seinen Reiz. Driest weiß dabei, wovon er spricht, lebt er doch selbst schon seit Jahren auf der Insel. Für Ibizafans ist die Krimireihe um Hauptkommissar Costa sicherlich ohnehin ein größerer Genuss.

Eine Anmerkung noch zur Kontinuität der Reihe. Man kann die Bände auf jeden Fall einzeln für sich lesen, doch Driest verfährt ähnlich wie beispielsweise ein Henning Mankell. Hier und da nimmt er in der persönlichen Reflektion der Figuren gerne mal Bezug auf vorangegangene Fälle. Wer sich also nicht die Spannung vermiesen möchte, tut gut daran, die Reihe in der vorgesehenen Reihenfolge zu lesen, d. h. erst „Roter Regen“, dann „Liebestod“ und zu guter Letzt „Brennende Schuld“.

Bleibt unterm Strich ein etwas durchwachsener Eindruck zurück. Ibiza als Handlungsort ist durchaus reizvoll, auch wegen der interessanten geschichtlichen Hintergründe. Auch die Figur des Hauptkommissar Costa weiß zu überzeugen. Ein paar Schwächen im Handlungsaufbau können diese Vorzüge allerdings nicht verbergen. Auch wenn Driest sprachlich sein Handwerk durchaus versteht, bremst er im Aufbau die Spannung manchmal etwas aus, greift zumindest in einem Fall zu sehr in die Zufallskiste und gestaltet den Einstieg in die Geschichte durch seine Handlungssprünge und geschichtlichen Einschübe leider so unruhig, dass man sich etwas schwer tut, richtig in die Geschichte einzutauchen.

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Huston, Charlie – Ein gefährlicher Mann

Anfangs war der sympathische Verlierertyp Hank Thompson noch [„Der Prügelknabe“. 1469 Durch Zufall und weil er ein so netter Kerl ist, der nichts Böses ahnt, gerät er in einer Auseinandersetzung unter Gangstern zwischen die Fronten. Doch Hank hat eine gehörige Portion Glück und so gelingt ihm die Flucht – im Gepäck viereinhalb Millionen Dollar, die nicht wirklich ihm gehören.

Und so wird aus dem Prügelknaben [„Der Gejagte“. 1518 Hank setzt sich nach Mexiko ab und lebt ein gemütliches Leben zwischen Bungalow und Strandbar. Das geht aber nur so lange gut, bis in Hanks geliebter Strandbar ein Typ mit russischem Akzent auftaucht. Hanks geheimes Leben in Mexiko droht aufzufliegen und so tritt er erneut die Flucht nach vorn an. Zurück in den USA, zieht Hank schon bald wieder eine Spur der Verwüstung hinter sich her, doch so sehr Hank auch zu entkommen versucht, am Ende hat David Dolokhov, ein russischer Gangsterboss, Hank in der Hand. Und Hank hat nicht einmal mehr die viereinhalb Millionen Dollar parat, um sich freizukaufen.

Hank hat keine andere Wahl als in den Dienst von David zu treten, und so wird er „Ein gefährlicher Mann“. Mit David ist vereinbart, dass Hank für ihn als Schläger und Killer arbeitet und David im Gegenzug das Leben von Hanks Eltern verschont. Hank macht, was von ihm verlangt wird, aber er selbst geht dabei vor die Hunde. Er verliert jeglichen Lebensmut und übersteht die meisten Tage nur zugedröhnt mit Tabletten.

David bleibt die schlechte Verfassung seines geheimen Schützlings nicht verborgen, und so setzt er Hank bald auf einen neuen Auftrag an, der etwas weniger düster ist: Hank soll den aufstrebenden Baseballstar Miguel Arenas als Bodyguard beschützen. Arenas hat aufgrund seiner Spielsucht einen riesigen Berg Schulden bei David. Davids Plan ist es, Miguel von sich abhängig zu machen. Unter Hanks Aufsicht soll Miguel weiter Schulden aufhäufen, damit er als Profibaseballer manipulierbar wird.

Doch nebenbei hat Hank noch andere Sorgen. Davids Schwägerin Anna (deren Sohn Mickey in Mexiko von Hank umgebracht wurde) schwört Rache und will Hank aufspüren und notfalls mit Hilfe ihrer beiden skrupellosen, russischen Neffen ermorden. Es kommt zum Showdown in New York, wo sich schon bald die Ereignisse überschlagen …

Bereits mit den ersten beiden Teilen seiner Trilogie um den sympathischen Verlierertypen Hank Thompson hat Charlie Huston, von Haus aus Drehbuchautor, bewiesen, dass er sein Handwerk versteht. Ein Buch der schnellen Schnitte – hart, lakonisch und temporeich erzählt. Die Geschichte ist für eine Verfilmung prädestiniert und so verwundert es nicht, dass die Filmrechte bereits nach Hollywood verkauft wurden. Für „Der Gejagte“ wurde Charlie Huston obendrein mit dem Edgar Award, dem wichtigsten amerikanischen Krimipreis, belohnt.

Huston versteht es, einen actiongeladenen Plot mit rabenschwarzem Humor zu verquicken und hat mit Hank Thompson eine Hauptfigur erschaffen, der man viele Sympathien entgegenbringen kann. Hank schliddert im ersten Band der Reihe so unverhofft in die Geschichte, wie es jeden Menschen treffen könnte. Seine Hilfsbereitschaft wird damit belohnt, dass er zwischen die Fronten einer Auseinandersetzung unter Gangstern gerät. Für Hank geht es dabei ums nackte Überleben, und um mit heiler Haut aus der Sache rauszukommen, muss er schon bald Gewalt anwenden.

Dadurch verliert er im Laufe der Reihe natürlich ein paar Sympathiepunkte. Hanks Weg durch die Geschichte ist gepflastert mit Leichen, dennoch bleibt er durchaus sympathisch. Hank versucht mit allem, was er tut, das Leben seiner Eltern zu schützen, das der Gangsterboss David Dolokhov quasi als Pfand für Hanks Loyalität missbraucht. Die eingebüßten Sympathiepunkte erobert Hank Thompson sich dabei zum Ende der Geschichte wieder zurück. Huston beendet die Geschichte so, dass Hank einem wieder so sympathisch ist wie ganz am Anfang – und das durchaus glaubwürdig.

Auch ganz grundsätzlich betrachtet, ist „Ein gefährlicher Mann“ ein stimmiger Schlusspunkt der Trilogie. Huston führt die Geschichte gelungen und glaubwürdig zu Ende und rundet die Geschichte damit auf gelungene Weise ab. Zwar wirkt der letzte Teil nicht mehr ganz so spritzig und humorvoll, wie es gerade beim zweiten Teil „Der Gejagte“ der Fall ist, dennoch führt Huston die Geschichte auf stimmige Weise fort. Der Humor konzentriert sich in diesem Band vor allem auf den Starkult, den die „Fans“ von Hank Thompson um den meistgesuchten Mann Amerikas in Internet zelebrieren. Letztendlich fällt der letzte Teil gerade anfangs um einiges düsterer aus. Hank ist drauf und dran, den Lebensmut völlig zu verlieren. Ohne Tabletten läuft eigentlich nichts mehr und sein Dasein ist dermaßen trostlos, dass die humorvolle Note des Vorgängerbandes zwangsläufig weniger ausgeprägt ist.

Seinem Stil bleibt sich Huston ansonsten treu. Schnelle Schnitte, wie in einem Actionfilm, harte, ungeschönte Beschreibungen, die auch mit Brutalität nicht geizen, und Dialoge mit vielen F-Wörtern. Charlie Huston lässt sich innerhalb des Krimigenres eben eher der Hard-Boiled-Ecke zuordnen.

Für Quereinsteiger ist „Ein gefährlicher Mann“ übrigens absolut ungeeignet. Wer nicht weiß, was vorher alles schon passiert ist, der wird kaum folgen können. Da sich die Bücher von Charlie Huston aber ohnehin in Rekordzeit durchlesen lassen, da sie äußerst locker und flott geschrieben sind, kann das eigentlich niemanden stören.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass Charlie Huston mit „Ein gefährlicher Mann“ einen stimmigen Schlusspunkt für seine Hank-Thompson-Trilogie geschaffen hat. Wer schon die Vorgängerbände mochte, der wird auch an diesem Band seine wahre Freude haben. Hank Thompson bleibt ein Sympathieträger in einem temporeichen und mitunter ziemlich blutigen Plot. Actionreiches, rasantes und mitunter schwarzhumoriges Kopfkino, das über alle drei Teile der Reihe zu überzeugen weiß. Das gelungene Finale rundet die Reihe stimmig ab und unterstreicht den guten Eindruck, den Charlie Huston mit den ersten beiden Bänden hinterlassen hat.

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Lisa Tuttle – Das geheime Land

Was passiert mit Menschen, die von einem Augenblick zum nächsten spurlos verschwinden? Lisa Tuttle nimmt sich all der verschwundenen Menschen an und schickt den in London lebenden amerikanischen Detektiv Ian Kennedy auf Spurensuche.

Ian Kennedy ist seit jeher vom rätselhaften Verschwinden besessen. Einst verschwand sein Vater spurlos von einem Tag auf den anderen. Für Ian absolut unbegreiflich und unerklärlich. Ebenso unerklärlich scheint die junge Peri Lensky verschwunden zu sein. Ian Kennedy, Spezialist für auf rätselhafte Weise verschwundene Menschen, wird von Peris Mutter Laura beauftragt, das Mädchen zu suchen. Seit zwei Jahren fehlt von ihr jede Spur und sie verschwand auf so sonderbare Weise, dass es fast nach einem Märchen klingt.

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Sage, Angie – Septimus Heap – Flyte

Mit „Flyte“ läutet Angie Sage die nächste Runde ihrer Reihe um die Geschichte des jungen Septimus Heap ein. Die Geschichte des lange verschollen geglaubten siebten Sohn eine siebten Sohnes (und als solcher mit besonderen magischen Fähigkeiten gesegnet), die in in [„Septimus Heap – Magyk“ 1856 ihren Anfang nahm, wird nun im zweiten Band der Trilogie fortgeführt.

Mit dem hoffnungsvollen Nachwuchsmagier Septimus hat Angie Sage eine Fantasy-Figur erschaffen, die neben Harry Potter und Co. ihre Daseinsberechtigung hat. Septimus braucht sich kaum hinter seinem bekannteren Kollegen zu verstecken, wenngleich die Septimus-Heap-Romane ihre Zielgruppe enger fassen. Sie sind noch in wesentlich stärkerem Umfang wirkliche Kinder- und Jugendbücher, als dies bei Kollege Potter der Fall ist.

Seit den Geschehnissen in „Magyk“ ist ein gutes Jahr vergangen. Septimus ist mittlerweile seit einem Jahr im Zaubererturm bei der Außergewöhnlichen Zauberin Marcia Overstrand als Lehrling angestellt und hat viel gelernt. Jenna ist zusammen mit der Familie Heap in den Palast gezogen, wo nach dem Ende des bösen Zauberers DomDaniel und des Obersten Wächters wieder beschauliche Ruhe eingekehrt ist. Das Leben der Familie und der jungen Prinzessin Jenna verläuft in geregelten Bahnen, bis eines Tages der seit einem Jahr verschwundene älteste Heap-Sohn Simon auftaucht und das ruhige Leben aufmischt.

Kurzerhand entführt er Jenna und flieht mit ihr in seine Höhle jenseits der Schieferbrüche. Dort hat Simon sein Lager in einer alten Landwurmhöhle aufgeschlagen, zusammen mit den Gebeinen von DomDaniel, die nicht so ganz hundertprozentig tot zu sein scheinen. Simon will den Zauberer zurück in die Welt der Lebenden holen und dann bei ihm in die Lehre gehen. Dafür will er DomDaniel bei der Wiederherstellung seiner früheren Macht loyal zur Seite stehen und dazu gehört auch die Entführung von Jenna.

Wird es DomDaniel gelingen, die Macht über die Burg wieder an sich zu reißen und als Oberster Zauberer in den Zaubererturm einzuziehen? Septimus macht sich auf, Jenna zu suchen und nach Hause zu bringen. Aber reichen seine magischen Fähigkeiten schon aus, um gegen Simon und DomDaniel etwas ausrichten zu können?

Der Beginn der Geschichte spielt sich wie im Vorgängerband nahezu komplett innerhalb der Burgmauern ab. Wieder einmal beschwört Sage eine Welt herauf, die an das späte Mittelalter erinnert, gewürzt mit einer saftigen Prise Magie. Überall in Sages Welt gibt es kleine magische Gimmicks, die das Leben erleichtern und die der Handlung eine gewisse humorvolle Note verleihen. Sage versteht es, der Geschichte auch lustige Züge zu verleihen, die den Lesespaß gerade für Kinder enorm erhöhen dürften.

Die ersten düsteren Züge der Handlung treten mit dem Auftauchen von Simon in Erscheinung. Simon hegt eine starken Groll, zum einen gegen seinen „neuen“ Bruder Septimus, der die Lehrstelle bei Marcia Overstrand bekommen hat, die er selbst sich doch immer gewünscht hat, und zum anderen gegen Jenna, die sich auf einmal als Prinzessin entpuppte. Die Entführung von Jenna gelingt zunächst, wenngleich Jenna gerissen genug ist, einen erfolgversprechenden Ausbruch zu wagen (der wiederum seine komischen Züge hat, weil er recht ungewöhnlich vonstatten geht).

Doch damit fängt die Geschichte erst an und Simon lässt nichts unversucht, Jenna so schnell wie möglich zurück in seine Gewalt zu bringen. Der Beginn eines Katz-und-Maus-Spiels, das fortan den Plot bestimmt und noch für reichlich Spannung sorgt. Spannende Lektüre ist somit garantiert. Simon hat schon einiges an magischen Fertigkeiten erlangt und er ist als Gegner für Septimus, der versucht, Jenna im weiteren Verlauf zu beschützen, ein wirklich harter Brocken. Septimus kann froh sein, dass sein Bruder Nicko ihm zur Seite steht, und auch Wolfsjunge, der zusammen mit einigen von Septimus‘ Brüdern im Wald lebt und Septimus, Nicko und Jenna begleitet, erweist sich als hilfreicher Gefährte.

Spannung, Magie, Humor, Freundschaft – Sages Geschichte enthält viele Elemente, die eine vielversprechende Mischung abgeben. Manches Problem der Protagonisten löst sich für den erwachsenen Leser sicherlich ein bisschen zu leicht. Kinder dürfte dieser Aspekt indes wohl wenig stören. Sages Welt ist recht einfach gestrickt. Die Figuren lassen sich ganz leicht in Gut und Böse einteilen, Grauzonen gibt es dabei nicht so recht. Sages Romanwelt ist halt durch und durch kindgerecht angelegt.

So verwundert es auch nicht, dass die Bösen, um besiegt werden zu können, manchmal schon eine recht trottelige Figur abgeben müssen. Manchmal wirkt Simon wie der letzte Depp und stellt sich einfach nur ungeschickt an, obwohl er schon über recht ausgefeilte magische Fähigkeiten verfügt. Auch Marcia Overstrand macht in diesem Band eine eher schlechte Figur. Auch sie wirkt irgendwie zu tollpatschig (gemessen daran, dass sie immerhin die mächtigste und wichtigste Zauberin im Land ist). Sie wird stellenweise ein wenig zur Witzfigur degradiert, was ihr in ihrer Rolle als Septimus‘ Mentorin nicht unbedingt gut bekommt.

Ein weiterer Nachteil ergibt sich daraus, dass „Flyte“ der Mittelband einer fortgesetzten Serie ist. So ist die Handlung alles andere als abgeschlossen, wobei manches für meinen Geschmack etwas zu offen bleibt. Zumindest ein Erzählstrang wirkt unschön abgebrochen, ansonsten schafft Sage mit „Flyte“ eine ganz ordentliche Ausgangsposition für den nächsten Band der Reihe. Insgesamt ist ihr das im ersten Teil aber besser gelungen, da sie dort gleichzeitig den ersten Handlungsblock abgeschlossen und die Grundlagen für den zweiten Band geschaffen hat. So bleibt die Lektüre am Ende doch ein wenig unbefriedigend.

Schön ist dagegen wieder einmal die Aufmachung des Buches. War schon der erste Band sehr liebevoll gestaltet, so steht der zweite Band dem in nichts nach. Liebevoll skizzierte Figuren am Kapitelanfang zeigen die Protagonisten und verleihen der Geschichte mehr Atmosphäre.

Sages Schreibstil ist leicht verständlich und eingängig, aber stets auch etwas gewitzt. Für Kinder dürfte hier der Lesespaß garantiert sein und ich bin mir sicher, dass mir die Septimus-Heap-Reihe zu meinen Kindertagen auf jeden Fall reichlich Freude bereitet hätte.

Alles in allem ist „Septimus Heap – Flyte“ eine schöne Fantasygeschichte für Kinder, die anders als die letzten Harry-Potter-Bände auch wirklich kindgerecht ist. Das schränkt natürlich auch den Lesespaß der erwachsenen Leserschaft ein, aber das kann man einem Kinderbuch wohl kaum zum Vorwurf machen. Abgesehen davon, dass einer der Erzählstränge am Ende unschön abgebrochen und die ehrwürdige Marcia Overstrand in manchen Situationen ein wenig zu sehr als Witzfigur strapaziert wird, macht das Buch einen größtenteils guten Eindruck. Die Geschichte ist phantasievoll erzählt, hat eine humorvolle Note und sympathische Figuren. Kinder dürften daran in jedem Fall ihre wahre Freude haben.

Website zum Buch: [www.septimusheap.de]http://www.septimusheap.de

Sergej Lukianenko – Wächter der Nacht

Sergej Lukianenkos Buchreihe um das Hin und Her der Mächte des Lichts und des Dunkels in den Straßen von Moskau hat auch außerhalb Russlands ihre Fangemeinde gefunden. Zwar dürfte der Erfolg in Deutschland etwas geringer ausfallen als in Lukianenkos Heimat, wo die Reihe in etwa so populär sein soll wie der „Herr der Ringe“ (mit dem das Werk unverständlicher Weise immer wieder verglichen wird), dennoch ist die Geschichte um die „Wächter der Nacht“ durchaus reizvolle Fantasykost.

Grund genug für das Hörbuchportal |Audible|, sich der Sache anzunehmen und mit einer selbstproduzierten Hörbuchreihe Lukianenkos Werk auch für die Freunde des vorgelesenen Wortes zu erschließen. Dass |Audible| ein gutes Händchen in der Hörbuchproduktion hat, zeigt die Qualität der zuletzt veröffentlichen Produktionen deutlich genug. So ist z. B. „Die Anstalt“ von John Katzenbach nicht zuletzt dank der überragenden Leistungen der beiden Sprecher Thomas Danneberg (Synchronstimme u. a. von Arnold Schwarzenegger, John Travolta und Nick Nolte) und Simon Jäger (Synchronstimme u. a. von Josh Hartnett und Heath Ledger) ein echter Hörgenuss.

Somit darf man zu Recht auch an die Produktion von „Wächter der Nacht“ hohe Erwartungen knüpfen. |Audible| hat sich die Veröffentlichung der gesamten bisherigen Bände der Reihe zum Ziel gesetzt. Von August 2006 bis April 2007 erscheint jeden Monat ein Teil der Reihe, der von |Audible|-Abonnenten runtergeladen werden kann. Wer nicht |Audible|-Kunde ist, hat übrigens schlechte Karten – wie die übrigen |Audible|-Produktionen auch, erscheint auch „Wächter der Nacht“ exklusiv bei |Audible|. Anderswo im Handel wird man vergeblich danach suchen.

Jedes Buch wird in seine drei Einzelbücher gesplittet, von denen jeden Monat eines veröffentlicht wird. Damit wird die Geschichte natürlich unschön auseinandergerissen, was gerade in Anbetracht der Tatsache, dass Lukianenko sich gerne eines Cliffhangers bedient, um die Spannung zu steigern, schon mal Unmut und Ungeduld hervorrufen kann. Am Ende einer Geschichte vier Wochen auf die Fortsetzung warten zu müssen, während einem tausend Fragen im Kopf herumspuken, ist halt weniger schön und hat etwas von einem literarischen |Coitus interruptus|.

Die ersten drei Teile der Hörbuchreihe werden jeweils aus der Sicht von Anton, einem Mitarbeiter der Nachtwache, erzählt. Lukianenko zeigt dem Leser/Hörer die Welt, in der Anton lebt. Anton lebt in Moskau, sieht die Welt aber anders als der Normalsterbliche, denn Anton ist ein so genannter Anderer. Die Anderen gibt es schon seit ewigen Zeiten. Sie sind Magier, Vampire oder Gestaltwandler. Sie leben unerkannt unter den Menschen und können in eine Art Zwischenwelt, das Zwielicht, abtauchen. Ganz grob unterteilt man die Anderen in die Lichten und die Dunklen. Beide Gruppen überwachen sich gegenseitig, denn ihr Ziel besteht nicht darin, die Übermacht zu gewinnen, sondern den Status Quo zu wahren. Für dieses Ziel arbeiten Anton und die anderen Lichten der Nachtwache genauso wie seine dunklen Kollegen der Tagwache.

_Wächter 1: Das eigene Schicksal_

Anton hat bei der Nachtwache immer im Innendienst gearbeitet, bis er eines Tages in den Außendienst versetzt wird. Ohne es zu ahnen, gerät Anton gleich bei seinem ersten Einsatz zwischen die Fronten. Zum einen versucht er ,den zwölfjährigen Jegor aus den Klauen einer Vampirin zu befreien, zum anderen beobachtete er auf seiner nächtlichen Streife eine Frau, über deren Kopf ein schwarzer Wirbel schwebt. Ein schwarzer Wirbel zeigt einen Fluch an, aber wie groß und mächtig der Fluch ist, der auf der jungen Frau lastet, wird Anton und seinen Kollegen von der Nachtwache erst klar, als der Wirbel so große Ausmaße annimmt, dass er für ganz Moskau eine Bedrohung darstellt …

_Wächter 2: Der eigene Kreis_

Eine Reihe von Morden sorgt in den Reihen der Anderen für Aufregung. Als Täter kommt nur ein Anderer in Frage, vermutlich ein Lichter. Der Chef der Nachtwache betraut Anton mit den Ermittlungen, der schon bald feststellen muss, dass er selbst der Einzige ist, der kein Alibi hat. Das bleibt auch den Kollegen von der Tagwache nicht verborgen, und so ist Anton schon bald auf der Flucht durch die Straßen von Moskau und auf der Suche nach dem wahren Täter …

_Wächter 3: Im eigenen Saft_

Für die Nachtwache ist Urlaub angesagt. Zusammen mit seinen Kollegen fährt Anton hinaus zur Datscha von Kollegin Tigerjunges, die ruhig und beschaulich auf dem Land lebt. Hier findet Anton endlich Zeit, sich über sich selbst und seine Rolle in der Welt der Anderen Gedanken zu machen. Als sich jedoch unerwartete Geschehnisse andeuten, kehrt Anton nach Moskau zurück, wo sich schon bald die Ereignisse überschlagen, in denen ein Schicksalsbuch und ein Stück Kreide eine zentrale Rolle spielen …

Lukianenko baut „Wächter der Nacht“ als drei einzelne Geschichten auf. Sie bauen jeweils aufeinander auf, sind aber dennoch in gewissen Teilen in sich abgeschlossen. Darüber hinaus gibt es aber noch ein großes Ganzes, das Lukianenko dem Leser/Hörer erst im Laufe der Zeit Stück für Stück offenbart. Doch der Weg zur finalen Erkenntnis ist gespickt mit falschen Fährten, und so gehen die Vermutungen auch schon mal in die falsche Richtung. Lukianenko baut den Plot eben spannend und mit einigen Wendungen auf.

Dazu gehört auch, dass die Figuren sich nicht ganz plump in Gut und Böse einteilen lassen. Die Übergänge zwischen beiden Gruppen sind fließend. Die Lichten sind längst nicht die uneingeschränkt Guten, für die man sie anfangs halten mag, und so ist man als Leser/Hörer immer wieder gezwungen, seine Sympathien zu überprüfen und den Figuren gegenüber kritisch zu bleiben. Lukianenko betreibt eben keine zweidimensionale Schwarzweiß-Malerei, und so gesehen ist der Leser/Hörer mehr gefordert, sich seinen Teil zu denken.

Lukianenkos Welt der Anderen kommt atmosphärisch und düster daher, was zum Teil auch dadurch bedingt ist, dass ein Großteil der Handlung nachts spielt. Doch auch die Trostlosigkeit, die das Leben vieler Menschen in einer Stadt wie Moskau prägt, trägt zur Gesamtstimmung bei.

Zum Teil macht den Reiz der Geschichte sicherlich auch ihr naher Bezug zur Realität aus. Während viele Fantasygeschichten in komplett abgeschlossenen Welten spielen, die mit unserem Alltag kaum etwas verbindet, gibt es bei Lukianenko eine sehr große Schnittmenge zwischen Fantasy und realer Welt. Am ehesten lässt sich das vielleicht noch mit Werken von Autoren wie Neil Gaiman oder Christoph Marzi vergleichen, die auf ähnliche Art unsere Welt mit einer Phantasiewelt kreuzen.

Die Hörbuchproduktion ist im Großen und Ganzen durchaus gelungen. Die Lesung ist ungekürzt, was für sich genommen schon mal sehr positiv ist. Jeder Teil dauert etwa fünf bis sechs Stunden. Als Sprecher der Prologe der einzelnen Geschichten wurde Achim Höppner verpflichtet, der unter anderem schon als Synchronsprecher für Ian McKellen, Michael Caine und Clint Eastwood tätig war.

Die eigentliche Geschichte aus der Perspektive des Anton wird von Oliver Brod gesprochen. Brod klingt im ersten Moment etwas holprig und schleppend, wird aber doch recht schnell warm mit seiner Rolle und liefert dann eine überzeugende Vorstellung. Die Rollen der unterschiedlichen Figuren differenziert er recht ordentlich, wenngleich es Sprecher gibt, die gerade die Unterschiede zwischen den einzelnen Figuren besser herausarbeiten können. Dennoch passt Oliver Brods Stimme zur Figur des Anton sehr gut und ist deswegen nicht unbedingt eine schlechte Wahl.

Unterm Strich kann man die Hörbuchproduktion von |Audible| zu Sergej Lukianenkos „Wächter der Nacht“ als durchaus hörenswert bezeichnen. Die Geschichte an sich ist spannend und absolut empfehlenswert und auch die Hörbuchproduktion ist ein kurzweiliges Hörvergnügen. Etwas unschön mag die Aufteilung in drei monatlich erscheinende Einzelbücher sein, die den Hörer nach einem Cliffhanger dann schon mal vier Wochen in der Luft hängen lässt, aber das lässt sich ja umgehen, indem man sich die Einzelteile der Bücher erst dann runterlädt, wenn alle drei erschienen sind. Pech nur für denjenigen, der kein |Audible|-Abonnent ist, denn für den gibt es derzeit keine Möglichkeit, anderweitig in den Genuss des Hörbuches zu kommen. Aber so ist das nun einmal bei Exklusiv-Titeln. Wenn’s jeder hören könnte, wäre es schließlich nicht mehr exklusiv …

Spieldauer: 5 Stunden und 56 Minuten
Sprecher: Oliver Brod, Achim Höppner

Die „Wächter“-Reihe bei Audible: http://www.audible.de/adde/site/Serien-Mikrosite/index.jsp?BV__UseBVCookie=Yes

Christoph Marzi – Lumen. Die Uralte Metropole 03

Mit „Lumen“ findet Christoph Marzis „Lycidas“-Reihe nun ihren gleichzeitigen Höhe- und Endpunkt. In „Lycidas“ 1081 lernt der Leser das Waisenmädchen Emily und ihre Freundin Aurora kennen, die der Alchemist Wittgenstein unter seine Fittiche nimmt. Zusammen tauchen sie ab in die uralte Metropole unterhalb der Tunnel der Londoner U-Bahn und haben dort so manches Abenteuer zu bestehen.

„Lilih“ setzt die Geschichte fort. Wieder wandelt der Leser zusammen mit den Protagonisten durch die uralte Metropole und darf diesmal obendrein einen Ausflug in das Pariser Pendant machen, denn auch unterhalb der Pariser Métro gibt es eine uralte Metropole, in der so manches unheimliche Abenteuer auf Emily und ihre Freunde wartet.

Handlung

In „Lumen“ führt Marzi die Geschichte nun zu Ende. Seit der Handlung aus „Lilith“ sind zwei weitere Jahre vergangen, seit Beginn der Geschichte in „Lycidas“ sogar sechs. Emily ist kein Kind mehr, sondern schon fast erwachsen. Noch immer lebt sie bei Wittgenstein, nur zu ihrer Freundin Aurora scheint die Distanz größer geworden zu sein. Während Emily mit ihrem Freund Adam Stewart glücklich ist, trauert Aurora dem immer noch verschollenen Neil Trent hinterher.

Doch schon bald ereignet sich wieder Mysteriöses in der Stadt der Schornsteine. Nebel wabern durch die Straßen – sonderbare Nebel, die einen eigenen Willen zu haben scheinen. Sie machen die Menschen, die sie berühren, zu willenlosen Marionetten und bringen Furcht und Tod.

Und so machen Emily und Wittgenstein sich erneut auf in die uralte Metropole, um die Ursache der mysteriösen Nebel zu erkunden. Sie stoßen auf ein Netz aus Lügen und Intrigen, bei dem schwer zu ergründen ist, wer die Fäden zieht. Ziel des unbekannten Drahtziehers scheint es zu sein, den Konflikt zwischen den beiden großen Londoner Familien Manderley und Mushroom erneut anzufachen. London drohen neue Unruhen, die sich wie ein Flächenbrand über ganz London auszubreiten drohen. Doch wer profitiert davon?

Unsere Helden machen sich getrennt auf den Weg, das Geheimnis zu lüften und die Verschwörung auszuhebeln. Aurora macht sich mit Lilith im Limbus auf die Suche nach dem Lichtlord, während Emily mit Wittgenstein Spuren im geheimnisumwitterten Prag verfolgt. Doch die Lage spitzt sich zu und es ist ungewiss, ob Emily und ihre Freunde das bevorstehende Unheil verhindern können …

Mein Eindruck

In „Lumen“ setzt Christoph Marzi konsequent fort, was er in den ersten beiden Bänden der Geschichte angefangen hat. Raffiniert verwebt er Mythen, Sagen und Phantasie zu einer spannenden Geschichte. Man steckt als Leser schnell wieder drin in der Welt von Emily und ihren Weggefährten. Marzis Welt ist so plastisch, dass man schon auf wenigen Seiten wieder darin versunken ist.

Die einzige Schwierigkeit besteht darin, das Vergangene zu rekapitulieren. Marzis Geschichte weist eine enorme Komplexität auf und in den ersten beiden Büchern ist so viel passiert, dass man die vielen Details einfach viel zu schnell vergisst. Zwar skizziert der Autor auch in „Lumen“ wieder wichtige vergangene Ereignisse nach, wer jedoch die Lektüre der ersten beiden Bücher noch ganz frisch im Gedächtnis hat, dürfte klar im Vorteil sein.

Jedes Buch setzt einen ganz eigenen Schwerpunkt bei den Mythen, die es in die Handlung einbindet. Es macht schon den Reiz der Geschichte aus, Marzis literarische Vorbilder aufzustöbern. In „Lycidas“ sind Miltons „Das verlorene Paradies“, Neil Gaimans „Niemalsland“ und die Geschichten von Charles Dickens die offensichtlichsten Inspirationsquellen. In „Lilith“ verlegt Marzi den Schauplatz nach Paris und so tauchen dort auch andere Bezüge auf. In erster Linie zu der Gothic-Novel „Vathek“ von William Beckford.

Und so ist eigentlich auch schon mit Erwähnung des neuen Schauplatzes Prag klar, welche literarischen Vorbilder man hier trifft. Ein sehr deutlicher Bezug besteht schon aufgrund des Handlungsortes zu Gustav Meyrinks [„Der Golem“ 1205 und auch gewisse kafkaeske Züge weist der Plot hier auf. An einer Stelle begegnet Wittgenstein gar Gregor Samsa, der allen Lesern von Kafkas „Verwandlung“ noch im Gedächtnis sein dürfte.

Doch Marzi aufgrund solcher Parallelen vorzuwerfen, er würde sich einfach nur munter kreuz und quer durch die Literaturgeschichte klauen, täte ihm Unrecht. Er verheimlicht seine Vorbilder nicht, dafür sind sie viel zu offensichtlich und es macht Spaß, beim Auftauchen einer neuen Figur erst einmal zu recherchieren, woran der Name angelehnt ist.

Auch über das Einbinden anderer Werke hinaus beweist Marzi Phantasie. Sein Plot ist unglaublich lebhaft und geradezu gespickt mit den sonderbasten Figuren und Einfällen. Besonders gelungen ist ihm diesmal die Beschreibung der mysteriösen Nebel, und auch die kuriosen, vergessenen Erfindungen, deren Wege Wittgenstein und Emily im Untergrund kreuzen, sind herrlich zu lesen. Besonders weiß hier die pneumatische Untergrundbahn zu gefallen, die völlig zu Recht nie serienreif wurde.

„Lumen“ ist mehr oder weniger als ein großes Finale angelegt. Es tauchen viele längst vergessene Figuren wieder auf. Der Tod ist bei Marzi ein äußerst dehnbarer Begriff, und so gibt es so manches unverhofftes Wiedersehen. Nicht umsonst legt er seinen Protagonisten immer wieder den Satz |“Nichts stirbt jemals für immer“| in den Mund. Bei Marzi ist so gesehen fast alles möglich. Doch das bedeutet nicht, dass der Plot deswegen weniger spannend wäre. Die Art, wie Marzi Figuren wieder aufleben lässt, wirkt keinesfalls plump, sondern ist aus der Handlung heraus jeweils gut nachvollziehbar und somit nicht beliebig.

Spannung erzeugt auch stets die Ambivalenz der Figuren. Schon in den vorangegangenen Büchern hat Marzi seine Figuren nicht eindimensional oder schwarzweiß skizziert. Gut und Böse sind jeweils sehr relative Begriffe. Die beiden Lager lassen sich nicht strikt voneinander abgrenzen, und so weiß der Leser genauso wenig wie die Protagonisten, wem man vertrauen kann und wem nicht. Das erhöht die Spannung enorm, zumal es für Emily und ihre Weggefährten in diesem Band nun endgültig auf einen Kampf auf Messers Schneide hinausläuft. Nie zuvor schien das Schicksal der Welt an einem so dünnen Faden zu hängen wie diesmal.

Auf Ebene der Protagonisten gibt es ein paar Veränderungen. „Lilith“ endet auch damit, dass eine liebgewonnene Figur aus der Handlung ausscheidet, die eine große Lücke hinterlässt. An dessen Stelle tritt der Alchemist Tristan Marlowe, der sich in Sachen Charme zwar nicht mit seinem Vorgänger messen kann und der damit auf der Sympathienskala recht weit unten rangiert, der aber durch seine Undurchsichtigkeit seinen Reiz hat.

Die Figurenentwicklung hat in den Vorgängerwerken wenig Raum. Zu sehr muss Marzi sich auf die Handlung konzentrieren, als dass er dafür wirklich genügend Zeit gehabt hätte. In „Lumen“ holt er diesbezüglich einiges nach. Wittgenstein öffnet sich Emily, und so erfahren wir einiges über seine Vergangenheit. Er wird dadurch menschlicher und greifbarer, wenngleich eine gewisse kühle Distanz dennoch bestehen bleibt. Auch für Emily und Aurora gibt es etwas Zeit für persönliche Dinge. Die beiden Mädchen würzen die Handlung mit einer Prise Romantik, was dem Plot durchaus gut tut.

Was immer noch stört (wenngleich nicht mehr so sehr wie zu Beginn der Reihe), ist die immer noch sonderbare Erzählperspektive. Wittgenstein tritt als Ich-Erzähler auf, dennoch wird der Plot in unterschiedliche Erzählebenen gesplittet und es gibt schon dadurch einen übergeordneten, allwissenden Erzähler, der im Konflikt zum Ich-Erzähler steht. Das wirkt in meinen Augen etwas unausgereift und so, als wäre bei der Wahl der Erzählperspektive irgendetwas falsch gelaufen. Doch nach zwei Büchern stört das im dritten Buch nun nicht mehr ganz so massiv wie noch zu Anfang.

Unterm Strich

Alles in allem ist „Lumen“ ein durchaus gelungenes Finale, das zwar einerseits bis zum Rand vollgestopft mit Handlung ist (schon fast ein bisschen viel des Guten), andererseits aber endlich auch mal den Figuren etwas mehr Raum gibt. „Lumen“ ist wie zuvor schon „Lycidas“ und „Lilith“ ein ausgesprochener Lesegenuss. Der Plot ist spannend und unglaublich phantasievoll erzählt. Marzis Stil ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber gleichsam gewitzt wie farbenprächtig, und so hält man mit „Lumen“ ist stimmiges Finale einer gelungene Fantasyroman-Serie in Händen – komplex, spannend und voller ambivalenter Figuren.

Taschenbuch: 800 Seiten
ISBN-13: 978-3453810815

http://www.christophmarzi.de/
http://www.randomhouse.de/heyne

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (7 Stimmen, Durchschnitt: 1,86 von 5)

Weyn, Suzanne – Bar Code Tattoo

Es ist mittlerweile kein ganz so ungewöhnliches Szenario mehr, das Suzanne Weyn in ihrem Roman „Bar Code Tattoo“ heraufbeschwört. Bargeld ist Schnee von gestern, auch Kreditkarten sind schon lange out. Der Mensch der Zukunft braucht im Jahre 2025 nichts andere mehr als ein paar Striche auf dem Handgelenk – ein Strichcode-Tattoo. Als Zahlungsmittel erleichtert es den Alltag und dank gespeicherter Führerschein-, Ausweis- und Versicherungsdaten braucht man keine Papiere mehr mit sich umherzutragen. Das ist enorm praktisch, möchte man meinen, doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite offenbart ein ganz anderes Bild – das der totalen Überwachung.

In dieser Welt wächst die junge Kayla auf. Sie ist gerade siebzehn geworden, Zeit, sich wie alle anderen tätowieren zu lassen. Doch Kayla ist unschlüssig. Sie hegt Zweifel daran, dass das Tattoo wirklich so harmlos ist, wie ihr alle eintrichtern wollen. Was steckt hinter der Behauptung von Kaylas Mutter, dass das Tattoo Schuld daran ist, dass ihr Vater sich vor kurzem das Leben genommen hat? Auch die Familie ihrer Freundin trifft ein hartes Schicksal, anscheinend auch wegen des Tattoos.

Kayla will die Wahrheit herausfinden, bevor sie sich selbst tätowieren lässt. In der Schule schließt sie Freundschaft mit einigen Jugendlichen, die sich in der Bürgerrechtsbewegung engagieren, und erfährt so manches über das Tattoo, das sie in dem Glauben bestärkt, dass die Regierung das Tattoo nicht zum Wohle der Allgemeinheit eingeführt hat. Offenbar geht es dabei um das Erfassen des Gen-Codes der Menschen und darum, bestimmte Menschen aufgrund genetischer Eigenschaften auszusortieren. Für Kayla und ihre Freunde steht fest, sie müssen sich dem entgegenstellen …

Was Suzanne Weyn in ihrem Roman skizziert, ist ein Zukunftsszenario, das durchaus vorstellbar erscheint. Schon heute sind die meisten Menschen bereit, ihre Bürgerrechte zum Wohle ihrer Sicherheit (egal ob einer tatsächlichen oder einer vorgegaukelten) zum Fenster rauszuwerfen. Dank gespeicherter Daten auf diversen Kunden- und Kreditkarten ist der gläserne Bürger ein Stück mehr Realität geworden. Bequemlichkeit und Sicherheit sind bei den Befürwortern gern gesehene Argumente und die Warnrufe von Verbraucherschützern und Bürgerrechtlern werden gerne abgewunken.

Suzanne Weyn setzt die gegenwärtige Entwicklung konsequent fort und zeigt, wohin das Ganze führen kann. Der Bar Code am Handgelenk dient vorgeblich dem Komfort und der Sicherheit. Niemand kann mehr Kreditkarten und Ausweispapiere stehlen und man hat immer alles parat, was man braucht. Doch der Strichcode macht den Menschen auch verwundbar. Alle sensiblen Daten befinden sich in einem einzigen Code, alles wird zentral erfasst, und man mag sich gar nicht ausmalen, was passieren könnte, wenn diese Daten in die falschen Hände geraten.

Ebenso ermuntert das leicht zugängliche Vorhandensein sämtlicher Daten dazu, sie auch zu nutzen und damit in die Persönlichkeitsrechte des Menschen einzugreifen. Der Blick auf die genetischen Eigenschaften vor Abschluss einer Versicherung oder beim Einstieg in den Job sind nur zwei bescheidene Beispiele.

Mit genau diesen Dingen setzt auch Kayla sich auseinander. Sie lebt in einer durch und durch globalisierten Welt. Die Verflechtungen von Politik und Wirtschaft sind so weit entwickelt, dass sich niemand mehr Mühe gibt, sie zu verbergen. Der „Präsident“ der Vereinigten Staaten steht gleichzeitig dem alles beherrschenden Konzern „Global 1“ vor. Die Interessen des Staates sind nichts anderes als die Interessen eines riesigen globalen Konzerns.

In dieser Welt hat Kayla so einiges durchzustehen. Erst verliert sie ihren Vater, worauf ihre Mutter in zunehmendem Maße dem Alkohol zuspricht und die Tochter vernachlässigt, die sich dann selbst um einen Job bemüht, um den Lebensunterhalt der beiden zu bestreiten. Dann verliert sie ihre Freundin, die, wirtschaftlich ruiniert, mit ihren Eltern zu weit entfernt wohnenden Verwandten ziehen muss.

All diese Schicksalsschläge treffen Kayla mit atemberaubender Geschwindigkeit und weitere folgen im Laufe der Geschichte. Es ist fast zu viel, als dass ein siebzehnjähriges Mädchen allein damit fertig werden könnte, und so mag man Kayla es auch nicht so ganz abnehmen, wie stark sie selbst dabei bleibt. Kaylas emotionales Innenleben ist wie ein Betonklotz, der zwar einige Risse bekommt, aber im Wesentlichen kaum zu erschüttern zu sein scheint. Hier wünscht man sich als Leser etwas mehr Tiefe in der Figurenbetrachtung.

Natürlich muss man Weyn zugute halten, dass „Bar Code Tattoo“ ein Jugendbuch ist, dennoch erscheint die Figurenskizzierung etwas zu oberflächlich für meinen Geschmack. Das Bild wäre einfach vollständiger, würde Weyn das Innenleben ihrer Hauptfigur etwas stärker vertiefen. Auch Dreizehnjährige sollten keine Probleme damit haben, das dann nachvollziehen zu können.

Eine weitere Schwäche offenbart sich mit Blick auf die Romankonstruktion. Das Szenario entwickelt sie ganz hervorragend, da gibt es gar keinen Zweifel, der Aufbau der Geschichte hadert aber hier und da ein wenig mit der Glaubwürdigkeit. Die Entlarvung eines Verräters (den wir hier selbstverständlich nicht namentlich nennen wollen) erfolgt, auch gemessen an einem Jugendbuch, etwas zu plump.

Ebenso erscheint es etwas unglaubwürdig, in welcher Weise sich im weiteren Verlauf der Geschichte die Wege der Protagonisten immer wieder auf sonderbare Weise kreuzen. Räumlich längst voneinander getrennt und über den Nordosten der USA verstreut, treffen sie sich urplötzlich mitten im Wald wieder – und es kommt nicht nur einmal vor, dass der Faktor Zufall auf diese Weise etwas überstrapaziert wird.

So wirkt der Plot stellenweise leider ein wenig mit der Brechstange konstruiert, was in Anbetracht des eigentlich so gelungen entworfenen Szenarios wirklich schade ist. Gerade im Bereich der Utopien habe ich im Jugendbuchsektor schon Bücher gelesen, deren Umsetzung besser ist (z. B. [„Das Skorpionenhaus“ 1737 von Nancy Farmer). Es liegt also nicht einfach nur an der höheren Erwartungshaltung, die man als Erwachsener hat.

Der Verlag empfiehlt das Buch ab 13 Jahren, und das erscheint mir auch angemessen. Die Thematik ist in jedem Fall wichtig und sie ist so aufbereitet, dass sie Kindern dieser Altersklasse gut zugänglich sein dürfte. Weyn skizziert ihr Szenario so, dass es leicht verständlich ist. Sie packt das Thema jugendtauglich an, auch wenn sie zum Ende hin eine seltsam mystisch angehauchte Richtung einschlägt, die etwas sonderbar erscheint, weil Weyns Erklärungen auch nicht ausreichen, das Ganze wirklich schlüssig erscheinen zu lassen. Zumindest lässt sich das Ganze argumentativ sehr leicht aushebeln.

Bleibt am Ende ein etwas gemischter Eindruck zu „Bar Code Tattoo“ zurück. Einerseits eine wirklich wichtige Thematik, die gerade auch bei Kindern und Jugendlichen, die heute aufwachsen und für die Kredit- und Kundenkarte eine alltägliche Selbstverständlichkeit sind, ein schöner Anlass ist, diese Dinge auch mal kritisch zu hinterfragen. Weyn entwirft ein durchaus glaubhaftes Szenario, schlägt aber dabei zum Ende hin eine etwas fragwürdige Richtung ein und kann auch mit der Romankonstruktion und der Figurenskizzierung nicht hundertprozentig überzeugen. Wichtige Lektüre ja, aber eben leider in der Romanumsetzung auch mit einigen Schwächen.

http://www.patmos.de

Katzenbach, John – Patient, Der

In den USA ist John Katzenbach schon seit Jahren ein Name, der für spannende Thrillerlektüre steht. Bereits zehn Romane sind von ihm erschienen, von denen es viele in die Bestsellerlisten schafften. Zweimal brachte er es obendrein auf eine Nominierung zum Edgar Award. In Deutschland war John Katzenbach dagegen bis vor kurzem noch ziemlich unbekannt. Erst durch seinen Psychothriller [„Die Anstalt“ 2688 wurde er populär. Nun schiebt der |Knaur Taschenbuch Verlag| mit „Der Patient“ den nächsten Katzenbach hinterher.

Thematisch bewegen sich beide Bücher auf etwa gleichem Terrain. Während „Die Anstalt“ sich um die sonderbaren Vorkommnisse in einer Nervenheilanstalt dreht, in deren Zentrum die Patienten stehen, dreht sich „Der Patient“ um einen Psychoanalytiker.

Dr. Frederick Starks begeht seinen 53. Geburtstag – in der Gleichförmigkeit von Starks tristem Alltagsleben ein Tag wieder jeder andere auch. Dennoch krempelt dieser Tag Starks Leben völlig um, als ihn die Glückwünsche eines sehr sonderbaren Gratulanten erreichen. |“Herzlichen Glückwunsch zum 53sten Geburtstag, Herr Doktor. Willkommen am ersten Tag Ihres Todes.“| Mit diesen Worten leitet der unbekannte Absender seinen Brief ein.

Der Unbekannte, der sich selbst Rumpelstilzchen nennt, lädt Starks zu einem Spiel ein. Starks soll innerhalb von 15 Tagen herausfinden, wer er ist. Findet er die Lösung, hat er gewonnen. Findet er sie nicht, so muss er am Ende dieser 15 Tage entweder Selbstmord begehen oder Rumpelstilzchen wird einen beliebigen Menschen aus Starks Verwandtschaft umbringen.

Rumpelstilzchen behauptet, irgendwo in Starks Vergangenheit zu existieren. Starks hat angeblich sein Leben zerstört und dafür will er nun Rache nehmen, die er anhand seines perfiden Spiels vollzieht. Und während Starks sich mangels Alternativen daran macht, seine Vergangenheit auf der Suche nach der Identität des Unbekannten zu durchforsten, nimmt das Spiel seinen Lauf. Doch schon bald muss Starks erkennen, dass Rumpelstilzchen ihm stets einen Schritt voraus ist …

Hat er eine Chance, in 15 Tagen Rumpelstilzchens Identität zu lüften? Wird Frederick Starks in 15 Tagen noch am Leben sein? Ist in Rumpelstilzchens Spiel überhaupt vorgesehen, dass Starks überlebt?

Was John Katzenbach auf den 668 Seiten seines Romans inszeniert, ist ein Katz-und-Maus-Spiel, das es wirklich in sich hat. Raffiniert zieht er die Geschichte auf und lässt sich dabei nicht in die Karten gucken. Rumpelstilzchens „Spiel“ ist bis ins letzte Detail durchgeplant. Starks beschaulichem, eintönigem Leben haftet auch eine gewisse Durchschaubarkeit seines Verhaltens an, das sich der Täter zunutze macht.

Mit jedem Tag, der im Laufes der gesetzten Frist verstreicht, arbeitet Rumpelstilzchen darauf hin, Starks keine andere Möglichkeit zu lassen, als am Ende den Freitod zu wählen. Man staunt, mit welcher Leichtigkeit das Leben eines Menschen aus den Angeln gehoben wird und wie gering die Chancen für Dr. Starks sind, sich dem Unvermeidlichen zu entziehen.

Doch würde alles so laufen, wie Starks Kontrahent es vorgesehen hat, bräuchte der Roman wohl kaum über 600 Seiten, um in einem finalen Selbstmord zu enden. Katzenbach baut diverse Wendungen in die Geschichte ein, die stets aufs Neue die Spannungsschraube anziehen. Doch um nicht zu viel zu verraten und dem potenziell interessierten Leser die Spannung vorwegzunehmen, verkneife ich mir hier weitere Details. Es reicht zu wissen, dass Katzenbach die Geschichte wesentlich komplexer ausbaut. Die Handlung macht so manche Wendung mit, die die Geschehnisse in anderem Licht erscheinen lässt.

Und so reicht es, an dieser Stelle zu sagen, dass die meisten der vollzogenen Wendungen durchaus glaubwürdig und nachvollziehbar sind – und oft sind sie auch wirklich überraschend. Katzchenbach packt die Erzählperspektive durchaus spannungssteigernd an. Oft lässt er den Leser selbst über Dr. Starks Pläne im Dunkeln. Er lässt ihn Starks Aktivitäten beobachten und seine eigenen Schlüsse ziehen. Erst im weiteren Verlauf der Ereignisse sieht der Leser dann, in welche Richtung sich das Ganze entwickelt. Das macht den Roman zu einem wahren „Page-Turner“.

Für mich persönlichen gab es nur einen einzigen konkreten Fall, in dem ich wirklich Schwierigkeiten hatte, die Glaubwürdigkeit der Handlung beziehungsweise die Motivation einer Figur nachzuvollziehen. Das hinterlässt im Gesamteindruck einen kleinen Makel, kann den Lesegenuss aber nur geringfügig schmälern.

Insgesamt sind der Romanaufbau, die Erzählweise und der Spannungsbogen immer noch so gut durchdacht ausgearbeitet, dass die Lektüre durchweg fesselnd ist. Katzenbach zieht den Leser schnell in seinen Bann und lässt ihn bis ganz zum Ende nicht mehr los, denn zu jeder Zeit gibt er dem Leser ein Dutzend Fragen an die Hand, die ihn auf Trab halten, so dass man das Buch kaum beiseite legen mag.

Beachtlich ist auch, wie wenig Gewalt und Brutalität Katzenbach braucht, um einen spannungsgeladenen Plot aufzubauen. Der beste Teil der Spannung spielt sich komplett auf der Ebene der Psyche ab, im Hin und Her zwischen den Figuren, im Vorausahnen der Aktivitäten des Gegners und im gedanklichen Konstruieren der Person, die sich hinter dem Namen Rumpelstilzchen verbirgt. Zwar geht auch „Der Patient“ nicht ganz ohne Gewaltanwendung über die Bühne, aber der Schwerpunkt ist eindeutig anders gesetzt. Sprachlich ist das Ganze so formuliert, dass sich das Buch ganz flott runterlesen lässt. Katzchenbachs Stil ist recht einfach und eingängig, aber dennoch nicht ganz so simpel gestrickt, wie es bei Thrillern von der Stange oftmals der Fall ist.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass „Der Patient“ spannungsgeladene Lektüre ist, die den Leser zu fesseln weiß. Katzchenbach inszeniert einen verzwickten und raffinierten Plot, den der Leser nicht so leicht durchschaut. Sieht man von der Glaubwürdigkeit einer einzelnen Nebenfigur ab, ist „Der Patient“ durchaus nachvollziehbar konstruiert. Fazit: Spannend, raffiniert und voller interessanter Wendungen. Wer ausgeklügelte Psychothriller mag, der kommt hier voll auf seine Kosten.

http://www.john-katzenbach.de/
http://www.knaur.de

Lewycka, Marina – Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch

Ich hätte es im Leben nicht für möglich gehalten, dass ich eines Tages mal ein Buch lesen würde, das „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ heißt. Die Geschichte des Traktors würde mich nicht einmal auf Deutsch so brennend interessieren, dass ich unbedingt ein Buch darüber lesen müsste …

Aber wie gut, dass bei Marina Lewyckas Debütroman der Name nicht Programm ist, denn (der geistreiche Leser mag es schon anhand des deutschsprachigen Titels scharfsinnig kombiniert haben) ein Buch mit deutschem Titel dürfte wohl kaum wirklich ukrainischen Inhalts sein. So gesehen ist also auch die Sache mit dem Traktor nicht all zu wörtlich zu nehmen.

Was soll das also für ein Buch sein, wo schon der Titel so sonderbar ist? „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ erzählt im Grunde eine Familiengeschichte. Erzählt wird die Geschichte von Nadias Familie, deren Eltern zu Kriegszeiten aus der Ukraine geflüchtet sind und die es über Umwege schließlich nach England verschlagen hat.

Nadias 84-jähriger Vater ist mittlerweile verwitwet, hegt aber bereits neue Heiratspläne, die für seine beiden Töchter Nadia und Vera kaum schockierender sein könnten, denn die Auserwählte ist Valentina, Mitte Dreißig und ein üppig bestücktes, ukrainisches, wandelndes Blondinenklischee. Nadias Vater Nikolai ist hin und weg, aber für die beiden Töchter ist von vornherein klar, wie sich Valentinas „Liebe“ zu dem alten Mann begründet: Sie will eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für sich und ihren Sohn Stanislav – und dazu muss sie Nikolai nun einmal heiraten.

Nikolai ist im Taumel der späten Liebe blind für Nadias und Veras Versuche, eine Eheschließung zu vereiteln, und so kommt es, wie es kommen muss: Die beiden heiraten, Valentina zieht zusammen mit Stanislav in Nikolais Haus ein. Als die gute Valentina dann jedoch feststellen muss, dass Nikolais Rente dermaßen spärlich ausfällt, dass er ihr nach ihrer Auffassung kein guter Ehemann sein kann, nimmt das Unglück seinen Lauf.

Für Nadia und Vera steht fest: Sie müssen ihren Vater schleunigst aus den Klauen dieses skrupellosen Frauenzimmers befreien – koste es, was es wolle. Dafür nehmen die beiden Schwestern es sogar in Kauf, dass sie wieder miteinander reden müssen, nachdem sie im Streit um das Erbe der Mutter eigentlich nie wieder ein Wort miteinander wechseln wollten.

Und so schreiten die beiden beherzt zur Rettung des Vaters, der unterdessen dem Unheil im eigenen Haus immer wieder dadurch entflieht, dass er sich schriftstellernder Weise seinem Lieblingsthema widmet: den Errungenschaften der Industrialisierung und dabei im Speziellen den Errungenschaften der ukrainischen Traktorindustrie …

Marina Lewycka ist mit „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ ein herzerfrischendes Debüt geglückt, das nicht umsonst nach seiner Veröffentlichung in England von Kritikern und Presse gefeiert wurde. Ganz leichtfüßig steigt Lewycka in ihre Geschichte ein und serviert dem Leser ein Buch, das zunächst einmal nach einem luftig-lockeren Unterhaltsroman aussieht.

Die Figuren wirken ein wenig klischeebeladen. Nikolai, der 84-jährige Rentner, der auf die junge Blondine hereinfällt, Valentina, die nicht ein einziges Klischee auslässt und wie das Abziehbild der üppigen Ostblock-Blondine wirkt – Lewyckas Figuren mögen im ersten Moment platt wirken. Dennoch schafft die Autorin es, ihren Figuren mit jedem Kapitel mehr Tiefe zu verleihen. Der Leser lernt ihre Geschichten kennen, wirft einen Blick hinter die Klischees und schafft es in zunehmendem Maße, die Persönlichkeiten zu begreifen, die dahinter stecken.

Ein wenig erinnert das Ganze auf den ersten Blick an Zadie Smiths Roman „Zähne zeigen“. Dort ging es um die Geschichte einer indischen Familie, die versucht, in England zwischen eigenen Traditionen, der eigenen Identität und den Verlockungen der modernen, westlichen Welt ihr eigenes Glück zu finden. Doch wo „Zähne zeigen“ mir manchmal etwas träge und behäbig vorkam, da ist „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ flott und spritzig erzählt.

Lewyckas Roman lebt vor allem von der Verquickung zweier gänzlich unterschiedlicher Zutaten. Auf der einen Seite steht die humorvolle Betrachtung der Gegenwart, der ironische Blick auf die Figuren und ihre Verhaltensweisen, das Spiel mit den Klischees und das Irrwitzige der Situation. Auf der anderen Seite blickt der Roman auch immer wieder in die Vergangenheit.

Der Weg von Nadias Eltern von der Ukraine nach England wird bruchstückhaft aufgearbeitet. Man begreift, wie die Figuren zu dem geworden sind, was sie verkörpern, und wirft im Falle von Nadias Eltern einen Blick auf die schicksalhaften Zeiten von Stalin und Zweitem Weltkrieg. Nadias Eltern haben in der Ukraine die schlimmsten Kapitel der jüngeren europäischen Geschichte miterlebt. Ganz ernst und sachlich schafft Lewycka es, diese Schicksale in ihren ansonsten so ironisch-heiteren Roman einzufügen.

Das dürfte ihr auch deswegen so gut gelingen, weil ein Teil davon sicherlich auch eng mit ihrer eigenen Geschichte verknüpft ist. Zwischen Nadia und der Autorin gibt es auffällige Parallelen. Beide haben ukrainische Eltern und sind in einem Flüchtlingslager geboren. Beide leben sie in England. Mit „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ dürfte Marina Lewycka sich auch einen Teil der eigenen bedrückenden Familiengeschichte von der Seele geschrieben haben.

Dass ihr dabei der Balanceakt zwischen heiterer Erzählung und ernsten geschichtlichen Hintergründen so gut gelingt, verleiht dem Lesegenuss eine besondere Tiefe. Man durchlebt bei der Lektüre vielfältigste Gefühle. Mal möchte man sich über die komischen Figuren, die witzigen Dialoge und Nadias immer wieder in Klammern eingestreute Gedanken fast kaputt lachen, mal verspürt man bei den Schilderungen der Hungersnöte in der Ukraine und bei den Zahlen der von Stalin systematisch ausgehungerten Menschen einen dicken Kloß im Hals.

Mit dieser Mischung weiß Lewycka in jedem Fall zu fesseln. „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ entwickelt sich schnell zu einer Lektüre, die man nicht mehr beiseite legen mag. Das liegt nicht zuletzt an Lewyckas leicht zugänglichem Schreibstil, der sich durchweg sehr unterhaltsam liest. Sie trifft stets den richtigen Ton und skizziert ihre Figuren mit all ihren Klischees genau so, dass sie dennoch größtenteils glaubwürdig bleiben und nicht ins Lächerliche abdriften. Sprachlich und erzählerisch hat Lewycka einen fein akzentuierten und hochgradig unterhaltsamen Roman abgeliefert, der zu begeistern vermag.

Für mich persönlich ist „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ eine der Entdeckungen des Jahres und ein Lesegenuss, den man nur jedem ans Herz legen kann: herrlich komisch, mitreißend und hochgradig unterhaltsam und dabei dennoch feinsinnig, mit großem Ernst geschrieben und voller tragischer Momente. Prädikat: zu hundert Prozent empfehlenswert!

http://www.dtv.de