Alle Beiträge von Michael Drewniok

Victor Gunn – Die Lady mit der Peitsche

Gunn Lady Peitsche Cover kleinKurz nachdem Lady Gleniston dem unbotmäßigen Gärtner das Fell gerbte, liegt sie mit zertrümmertem Schädel in ihrem Schlosshotel. Doch der Gärtner hat ein Alibi, was auf die meisten Gäste nicht zutrifft und dem gewieften Mörder die Chance bietet, Chefinspektor Cromwell von Scotland Yard an der Nase herumzuführen … – Was wie eine Parodie auf den englischen Landhauskrimi wirkt, ist die auf die Spitze getriebene Befolgung sämtlicher Regeln dieses Genres: unglaublich altmodisch aber lesenswert.
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Reginald Hill – Der Tod und der Dicke [Dalziel & Pascoe 22]

Angebliche Anschläge nahöstlicher Terroristen werden von Geheimdienstleuten inszeniert, die das Gesetz in die eigenen Hände nehmen; Polizist Pascoe muss allein ermitteln, denn Kollege Dalziel liegt im Koma und ringt buchstäblich mit dem Tod … – Der 22. Fall des Duos Dalziel & Pascoe thematisiert den schmutzigen Krieg gegen den Terror. Dem Thema widmet sich Hill mit der üblichen, unvergleichlichen Mischung aus Humor und Ironie: Nicht der beste Band der Serie, aber jederzeit überaus lesenswert.
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Edmund Crispin – Mord vor der Premiere

Im englischen Kriegswinter 1940 kommt es unter den Mitgliedern einer ebenso verschworenen wie zerstrittenen Schauspielertruppe zu einigen Morden, die ein exzentrischer Oxford-Professor aufklären kann … – Erster der Gervase Fen-Thriller, die zu den letzten ‚echten‘ Vertretern des „Goldenen Zeitalters“ der angelsächsischen Kriminalliteratur gehören; ein inhaltlich vertracktes, stilistisch elegantes und verspieltes, an intelligenten Anspielungen reiches Meisterwerk.
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King, Stephen – Wahn

_Das geschieht:_

Ein schwerer Arbeitsunfall kostete den erfolgreichen Bauunternehmen Edgar Freemantle nicht nur den rechten Arm, sondern auch seine Ehe. Geistig und körperlich angeschlagen siedelt der verbitterte Mann auf Anraten seines Arztes in den Sonnenstaat Florida um. Dort zieht er sich auf die vor der Westküste gelegene Insel Duma Key zurück. In einem einsam gelegenen Haus findet Freemantle allmählich wieder zu sich, wobei ihm das Aufleben eines lange brach gelegenen Talents hilft: Er beginnt, zu zeichnen und zu malen.

Die Ergebnisse seiner Kunst sorgen zwar für Begeisterung aber auch für Kopfschütteln, denn von den Bildern geht etwas spürbar Dunkles aus. In der Tat wird Freemantle von Visionen geplagt. Sie bescheren ihm klare Bilder bedrohlicher Ereignisse, die seine Familienangehörigen betreffen. Wenig später beginnen die Geister vor langer Zeit umgekommener Inselbewohner, umzugehen.

Freemantle spürt, dass seine neue Kunstfertigkeit ebenso wie die Visionen von Duma Key ausgehen. Mit seinem neuen Freund, dem Ex-Anwalt Jerome Wireman, beginnt er die Geschichte des Eilands zu recherchieren. Wie sich herausstellt, kam es hier schon im frühen 20. Jahrhundert zu mysteriösen und tragischen Ereignissen. Elizabeth Eastlake, die letzte ihres einst einflussreichen Geschlechts und Eigentümerin der Insel, weiß mehr, doch der Verstand der alten Frau ist von der Alzheimerschen Krankheit zerrüttet.

Viel zu spät setzt Freemantle die fragmentarischen Hinweise zusammen, die ein absurdes Bild ergeben. So nehmen die Ereignisse jenen Lauf, den eine uralte und finstere Macht sorgfältig geplant hat: Zombie-Piraten steuern Duma Key mit schwerer Fracht an: Unheil und Tod …

|Geschichte eines verletzten Menschen|

Der alternde Meister des Horrors, der die 1980er und 90er Jahre mit seinen Werken prägte, zeigt unerwartet scharfe Zähne: Stephen King findet im vierten Jahrzehnt seiner Karriere nicht nur zur alten Form zurück, sondern schlägt behutsam neue Wege ein. Das Ergebnis ist eine gelungene Kombination alten Tugenden mit frischem Wind, der den Leser in der Regel zuverlässig über diverse Längen – deren Existenz nicht verschwiegen werden soll – trägt.

„Wahn“ – den zwar begründbaren aber dennoch unglücklichen deutschen Titel beachten wir am besten nicht weiter – ist einerseits eine Geistergeschichte der klassischen Art, die dem ungeduldigen Genrefreund möglicherweise zu ‚zahm‘ und zu langsam vorkommen mag. Wer freilich nicht nur Rumpel-Pumpel-Spuk, sondern einfach ein gutes Garn liebt, wird „Wahn“ zu schätzen wissen. Ganz langsam, fast unmerklich schleichen sich die übernatürlichen Elemente in die Handlung ein. Das Erstaunliche ist, dass wir sie nicht vermissen: King erzählt uns eine Geschichte, die auch ohne Geistertrubel interessiert.

Seit ihn im Sommer 1999 ein betrunkener Autofahrer beinahe ins Grab brachte, kommt King in seinen Werken immer wieder auf den Unfall zurück, der sein Leben nachhaltig aus dem Gleichgewicht brachte und ihn zu Alkohol und Rauschgift greifen ließ. Er weiß, wie sich ein Mann wie Edgar Freemantle fühlt. Seit jeher verfügt King über die Gabe, Gedanken und Gefühle in einfache aber überzeugende Worte zu fassen und seine Figuren in Menschen zu verwandeln. Das gelingt ihm auch dieses Mal, und das macht es fesselnd, Freemantles quälenden und quälend langsamen Prozess der Heilung zu verfolgen.

In dieser Phase der Geschichte spielt die Malerei eine große Rolle. Freemantle wird zum Genie der Kunst, und zwischen Genie und Wahnsinn, so sagt ein Sprichwort, liegt nur ein Schritt. Der Wahn materialisiert sich hier als unverhoffte Begleiterscheinung der schweren Verletzungen, die Freemantle bei seinem Unfall erlitt. King hat recherchiert und lässt Informationen über Menschen einfließen, die ein ähnliches Schicksal erlitten und anschließend doppelt erstaunliche, zuvor nie gezeigte schöpferische Fähigkeiten entwickelten.

|Schwache Menschen mit starkem Willen|

Figuren mit entsprechendem Hintergrund tauchen nicht zum ersten Mal in einem Stephen-King-Roman auf. In „The Dead Zone“ (1979, dt. „Dead Zone – Das Attentat“) wurde ein Mann zum Hellseher, der traurige Held in „Firestarter“ (1980, dt. „Feuerkind“) konnte den Menschen seinen Willen aufzwingen, in „Dreamcatcher“ (2001, dt. „Duddits“) lag der Schlüssel zur Rettung der Welt vor bösen Aliens in den Händen eines geistig Behinderten.

Noch keiner Kingschen Figur tat es gut, über solche Fähigkeiten zu verfügen. Stets zahlen sie einen hohen Preis dafür; sie verlieren ihre Familien, ihre Freunde, und manchmal sterben sie sogar. Die Gabe wirkt in der Regel wie von einer höheren Macht verliehen; sie führt den früheren Jedermann auf eine Mission voller Gefahren und Schrecken. Edgar Freemantle ist keine Ausnahme. Bald wird ihm klar, dass ihm sein künstlerisches Talent womöglich ‚von außen‘ eingegeben wird und eine zwiespältige ‚Schenkung‘ des Geistes von Duma Key ist, der damit eigene Ziele verfolgt.

|Wenn die Kunst zur Wahrheit wird|

Bis es soweit ist, wiegt sich Freemantle in falscher Sicherheit. Die Kunst, das ist eine weitere Lektion, die King uns lehrt, besitzt ihre eigenen Regeln. Sie kann zur Besessenheit werden aber gleichzeitig den Zugang zu Sphären öffnen, deren Existenz der Mensch zwar erahnt, die er in der Regel jedoch nicht beschreiben geschweige denn bereisen kann. Der Künstler wird Stellvertreter und Übersetzer. Meisterhaft beschreibt King nicht die Technik der Kunst, sondern ihre Wirkung, dargestellt am Beispiel eines Menschen, der nicht einmal über das Vokabular verfügt, seine Arbeit ‚wissenschaftlich‘ zu erläutern. Freemantle ringt mit den Worten; lieber malt er und macht sich auf diese Weise verständlich.

Dieser Prozess ist faszinierend, und King vermag ihn begreiflich zu machen. Irgendwann ist Freemantle gesund, er versöhnt sich mit der Familie, wird berühmt. Die Geschichte könnte jetzt happy enden. Stattdessen zieht King die Grusel-Schraube an. Freemantle hat in der Tat eine Tür aufgestoßen – oder wurde sie für ihn geöffnet? Die Geister von Duma Key schlüpfen aus dem Zwischenreich, in dem sie bisher ausharren mussten.

Ihre ‚Gegner‘ wirken denkbar schwach: Auch dies ist typisch für King. Ein verkrüppelter Maler, ein Anwalt mit einer Kugel im Schädel und eine uralte, senile Frau bilden das Trio, dem sich die Gespenster offenbaren. Es wirkt deshalb umso sympathischer, zumal sich der Leser selbstverständlich fragt, wie es ausgerechnet diesen gehandicapten Personen gelingen soll, dem Grauen ein Ende zu bereiten.

|Das letzte Drittel: Horror ohne Maske|

Mit viel Routine und unter Montage bekannter Versatzstücke beginnt King nun zu schreiben, wofür er bekannt wurde: eine phantastische, zunehmend gruselige Geschichte. Das Verblüffende ist die Bereitwilligkeit, mit der wir ihm dabei auf den Leim gehen. In welche Richtung der Spuk gehen wird, ist recht bald bekannt. Das mindert das Lektürevergnügen aber keineswegs. Der alte Fuchs weiß, in welche Richtung er seine Hühnerschar treiben muss, um sie möglichst effektiv in Angst und Schrecken zu versetzen.

Wie üblich ist die Kulisse für die Handlung von entscheidender Bedeutung. Längst ist King nicht mehr auf den US-Staat Maine als Ort für seine Geschichten angewiesen. Er hat gelernt, jeden Ort dieser Welt so zu präparieren, dass sich das bekannte Gefühl steigender Unsicherheit einstellt.

Duma Key ist ein Ort, an dem es umgeht. Auf den ersten Blick ist das nicht zu erkennen; nicht einmal auf den zweiten. So muss es sein, denn sonst könnte die Falle später nicht so perfekt zuschnappen. Erneut bewegt sich King nicht auf neuen Pfaden. Schauplatz und Plot von „Wahn“ erinnern vage an „Bag of Bones“ (1998, dt. „Sara“), während sich King das Element der verwunschenen Künstlerkolonie von seinem Kollegen, Freund und gelegentlichem Mit-Autoren Peter Straub („The Hellfire Club“; 1996, dt. „Reise in die Nacht“) ‚ausborgt‘. Geschenkt, denn diese Medizin wirkt auch als x-ter Aufguss!

|Taschenbuch: 912 Seiten
Originaltitel: Duma Key (New York : Scibner 2008)
Übersetzung: Wulf Bergner
ISBN-13: 978-3-453-43343-4
Als eBook: September 2008 (Wilhelm Heyne Verlag)
ISBN-13: 978-3-89480-440-4|
[www.stephenking.com]http://www.stephenking.com
[www.stephen-king.de]http://www.stephen-king.de
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

|Als Hörbuch-Download: März 2008 (gelesen von David Nathan)
ISBN-13: 978-3-8371-7493-9|
[www.randomhouse.de/randomhouseaudio]http://www.randomhouse.de/randomhouseaudio

Über 40 weitere Rezensionen zu Büchern und Hörbüchern von Stephen King findet ihr in [unserer Datenbank]http://buchwurm.info/book .

Clifton Adams – Die Schonzeit ist vorüber

Im Jahre 1890 verdingt sich ein Ex-Marshall als Führer einer Jagdgesellschaft im Indianerreservat von Oklahoma. Zu spät wird ihm klar, was tatsächlich geplant ist: Eine Räuberbande wird Mann für Mann aus dem Hinterhalt erlegt, bis sich der Marshall auf ihre Seite schlägt … – Ungewöhnlicher Spät-Western bar jeder Cowboy-Romantik, ohne Helden oder Happy-End, stattdessen düster und realistisch: ein Rückblick in die 1970er Jahre, als sogar Unterhaltungsliteratur mit gesellschaftskritischem Anspruch geschrieben wurde.
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Theroux, Marcel – Weit im Norden

_Das geschieht:_

Irgendwann im 21. Jahrhundert haben Umweltzerstörung, Erderwärmung und Bevölkerungsexplosion die Zivilisation global kollabieren lassen; ein III. Weltkrieg gab der Menschheit den Rest. Milliarden sind verhungert, die Überlebenden führen eine kärgliche Existenz als Jäger, Farmer und Sammler. Um die wenigen Ressourcen wird weiterhin gekämpft. Jegliche staatliche Ordnung hat sich aufgelöst, es gilt das Recht des Stärkeren. Sklaverei ist an der Tagesordnung; oft verkaufen sich die Menschen selbst, um dem Hungertod zu entrinnen.

Im Norden Sibiriens entstanden einige Jahre vor der Katastrophe fünf neue Städte. Vor allem fromme Quäker aus den USA siedelten sich hier mit Billigung der russischen Regierung an. Das Klima hatte sich aufgeheizt, sodass ein Leben am Polarkreis möglich wurde. Doch der Krieg erreichte auch Sibirien. Die Siedler zogen fort oder wurden von Flüchtlingswellen überrollt.

Not und Gewalt haben auch die Stadt Evangeline veröden lassen. Nur noch Makepeace Hatfield, die letzte Überlebende ihrer Familie, hält aus. Als sie eines Tages ein Flugzeug abstürzen sieht, wird sie aus ihrer Lethargie gerissen: Gibt es irgendwo wieder eine Zivilisation im Aufbau? Makepeace macht sich auf den Weg nach Westen. Doch weit kommt sie nicht. Im Festungsdorf Horeb gerät sie unter Frömmler, die sie ausrauben und als Sklavin verkaufen.

Ein Arbeitslager hoch im Norden wird ihre neue ‚Heimat‘. Makepeace schlägt sich durch und wird schließlich befördert: Als Wächterin soll sie eine Sklavengruppe begleiten, die in den Ruinen der Industriestadt Polyn nach Wertvollem suchen soll. Zu spät erkennt Makepeace, dass sie an einer Himmelfahrtsmission teilnimmt: Polyn ist verstrahlt und vergiftet. Wer einmal in die Tiefen der Stadt vorgedrungen ist, wird sie niemals lebend verlassen …

|Ganz leise geht der Mensch dahin|

Normalerweise geht die Welt – vor allem im Film – spektakulär vor die Hunde. Außerirdische greifen an, Zombies steigen aus den Gräbern, der III. Weltkrieg bricht aus. (Wahrscheinlich gibt es sogar Geschichten, die diese drei Effekte gleichzeitig bemühen.) Anschließend wird es nicht besser; in der Darstellung der „Post-Doomsday“-Ära haben Mad Max & Co. nachhaltig Maßstäbe gesetzt; auch „Weit im Norden“ finden wir ihre Spuren.

Von den vielen Apokalypsen seiner Vorgänger übernahm Marcel Theroux bestimmte Handlungselemente sowie einen Grundtenor unendlicher Melancholie. Der Untergang der Menschheit ist gewiss kein erheiterndes Ereignis, doch selten gelang es, die damit einhergehende Stimmung so intensiv heraufzubeschwören. |“Das Ende der Zivilisation … ist der Beginn eines großen Abenteuers“| lesen wir auf dem hinteren Umschlag die Worte eines Klappentext-Dichters, der das dazugehörende Buch offensichtlich nicht gelesen hat.

Denn zumindest für Makepeace Hatfield bedeutet das Ende ihrer Welt das allmähliche Verlöschen der eigenen Existenz. Die „Post-Doomsday“-Literatur wimmelt von kernigen Pioniergestalten, die in die Hände spucken und die Trümmer beiseiteschieben, um aus den Ruinen eine neue und hoffentlich bessere Welt zu errichten. Auf den ersten Blick ist Makepeace eine von ihnen. Sie ist kein Opfer und gehört nicht zu den 99,9% der Erdbevölkerung, die gestorben sind, weil sie sich in ihr Schicksal ergeben haben. Makepeace wehrt sich notfalls mit der Waffe in der Hand. Mitleid kann sie sich nicht leisten, denn eine deprimierende Lehre, die sie – in Vertretung des Verfassers – aus den Erfahrungen ihres Lebens ziehen musste, war die Erkenntnis, dass Mitgefühl gefährlich ist. Nicht einmal Cormac McCarthy geht in „The Road“ (dt. „Die Straße“) in der Darstellung einer Welt ohne Menschlichkeit so weit wie Theroux.

|Es ist zu spät – in jeder Hinsicht|

In verschiedenen Rückblenden erinnert sich Makepeace an die Jahre des Umbruchs und Untergangs. Die Menschheit hatte sich durch fortgesetzte Umweltausbeutung und -zerstörung buchstäblich den Ast abgesägt, auf dem sie selbst saß, und eine ökologische Kettenreaktion in Gang gesetzt. Von der Verödung fruchtbarer Landstriche und weltweiten Missernten, die erstmals auch die Industrieländer im Speckgürtel dieser Erde nicht verschonten, erfahren wir nur von Makepeace, die sich auf Grundsätzliches beschränkt und dadurch erst recht ahnen lässt, welche globalen Tragödien sich abgespielt haben.

Den eigentlichen Schlussstrich zog der Mensch, indem er jegliche Solidarität aufgab, sondern jene angriff, die besser dastanden oder sogar helfen wollten: Bittsteller wurden zu Neidern, Besitzende mussten um das kämpfen, das sie nicht hergeben konnten und wollten. Nicht einmal der III. Weltkrieg fand mit der befürchteten atomaren Wucht statt: Die Gegner waren schon vor dem Ausbruch offener Feindseligkeiten erschöpft.

Nachdem die meisten Menschen tot sind, könnte endlich Ruhe einkehren. Doch nicht die vollständige Ausschöpfung der irdischen Ressourcen brachte der Zivilisation den Untergang. Theroux macht deutlich, dass auch die überbevölkerte Erde ihre Bewohner noch ernähren konnte, während sich die menschenleere Erde zu erholen beginnt. Der Mensch allein verursachte seinen Untergang.

|Barbarei und Abfallverwertung|

„Weit im Norden“ spielt weit abseits aller politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Zentren. Schon vor der Katastrophe war Sibirien ein hartes Land, das entweder von denen besiedelt wurden, die mehr oder weniger zwangsweise dorthin geschickt wurden, oder genügsamen, den rauen Verhältnissen angepassten Ureinwohnern eine Heimat bot, die den fremden Siedlern skeptisch bis feindlich gegenüberstanden. Theroux hat kleine Zellen der US-Kultur nach Sibirien verpflanzt, die wie in einer Petrischale im Kleinen nachbildet, was sich in Nordamerika ereignet hat.

Die Geschichte wird auf diese Weise schlank gehalten bzw. auf ihre wichtigsten Elemente reduziert. Der Mensch beginnt nicht sofort mit der Anpassung an die neuen Bedingungen. Makepeace Hatfield symbolisiert ebenso wie die Jäger, Sklavenhändler, Schrottsammler etc. einen Menschentyp, dem die Adaption nicht gelingt, weil er zu sehr der Vergangenheit verhaftet ist. Immer wieder stößt Makepeace auf Menschen, die ihre Kraft in die Bewahrung oder Neubelebung vergangener Lebensverhältnisse investieren. Sie muss schließlich lernen, dass sie trotz ihrer Unabhängigkeit auch zu ihnen gehört. Erst die nächsten Generationen, die sich an die alte Zivilisation nicht mehr erinnern können, werden sie nicht mehr vermissen und – vielleicht – einen echten Neustart schaffen.

Bis es soweit ist, bleibt der Blick nach rückwärts gerichtet, fällt der Mensch in nie bewährte aber allzu tradierte Verhaltensformen zurück. Feudale Strukturen werden in eine Sklavenhaltergesellschaft eingekreuzt, deren ‚Stabilität‘ auf Furcht und Gewalt basiert. Technische Errungenschaften entstammen einer Vergangenheit, die schon jetzt kaum mehr verstanden wird. Abgerundet wird diese gar nicht schöne, neue Welt durch religiösen Fanatismus, der für realpolitische Zwecken missbraucht wird (und Theroux zum einzigen echten Klischee gerinnt).

|Keinen Schritt vor, zwei Schritte zurück|

Mit Makepeace Hatfield schuf Theroux die ideale Hauptfigur für seine traurige Zukunftsmär. Schon ihr Vorname demonstriert die Verbindung zu einer Vergangenheit, die mit ihren Idealen gestorben ist. Makepeace hat auf die harte Tour lernen müssen, wie die Gegenwart funktioniert. Im Gegensatz zu ihrer Familie war sie willens und fähig, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Dies hat sie allerdings tief traumatisiert und vereinsamen lassen.

Unter dem Schutzpanzer steckt ein vielschichtiger Charakter, der nur allmählich zum Vorschein kommt. Ein großer Moment gelingt Theroux, wenn er Makepeace schließlich Bilanz ziehen lässt. Sie muss sich eingestehen, dass sie nicht lebt, sondern nur überlebt hat. Ihre Entdeckungsreise in einen von der Apokalypse verschonten Teil der Welt führt sie nur im Kreis. Nach entbehrungsreichen Jahren landet sie wieder dort, wo sie ihre Reise begonnen hat. Für Makepeace Hatfield gibt es kein Entrinnen. Sie ergibt sich schließlich in ihr Schicksal. Ihrer Tochter Ping bleibt es überlassen, eine echte neue Welt zu finden.

|Anmerkung|

Zum Thema „Ressourcenvergeudung“ leistet der Heyne Verlag mit der Erstausgabe von „Weit im Norden“ seinen eigenen Beitrag: Was hier mit aller Gewalt zum ‚mehrwertigen‘ Paperback aufgeblasen wird, fällt eigentlich in die Kategorie „Großdruck für Sehbehinderte“. Kümmerliche 27 Zeilen ‚füllen‘ jede Seite, und „Großbuchstaben“ tragen ihren Namen zu Recht, weil sie sich stolze 4 mm in die Höhe recken. Der Rezensent freut sich immerhin über breite Ränder, auf denen er sich schon während der Lektüre fleißig Notizen machen kann. Doch ist dies (Achtung: rhetorische Frage!) den stolzen Mehrpreis wert? „Weit im Norden“ ist ein gutes Buch mit einem unerwarteten Subtext: Beutelschneider gibt es nicht nur in Makepeace Hatfields zukünftigen Sibirien …

_Autor_

Marcel Raymond Theroux wurde am 13. Juni 1968 in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, geboren. Er wuchs in Wandsworth, einem Stadtbezirk von London, auf, besuchte das Royal College of St. Peter in Westminster und studierte Englische Literatur am Clare College in Cambridge sowie Internationale Beziehungen in Yale, wobei er sich auf die Region Osteuropa und Russland konzentrierte.

Wie sein Vater, der (Reise-) Schriftsteller Paul, ist Marcel Theroux Autor. Ein erster Roman erschien 1998. Für „The Paperchase”/“The Confessions of Mycroft Holmes” (dt. „Wer war Patrick March?“) gewann Theroux 2002 den „Somerset Maugham Award”. Darüber hinaus schreibt Theroux Sachbücher sowie Artikel.

Marcel Theroux arbeitet nicht nur als Autor, sondern auch als Dokumentarfilmer. Unter anderem realisierte er 2004 im Rahmen der Serie „The War on Terra“ für den britischen Channel 4 den Beitrag „The End of the World as We Know It“. Hier thematisierte er den globalen Klimawandel. Über die Probleme von Russland nach der Sowjetzeit berichtete er 2006; ein weiterer Film über Kunst in Russland folgte 2008. Im Jahr darauf bereiste Theroux Japan mit der Kamera.

Mit seiner Familie lebt Marcel Theroux in London.

|Paperback: 431 Seiten
Originaltitel: Far North (London: Faber and Faber 2009)
Übersetzung: Oliver Plaschka
ISBN-13: 978-3-453-52846-8|
[marceltheroux.com]http://marceltheroux.com
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

Miller, Wade – Mord unterm Karussell

_Das geschieht:_

Die Lösung seines letzten Falls kostete drei Menschen das Leben, bescherte ihm Albträume und eine tiefe Abscheu vor Waffen. Seither übernimmt Privatdetektiv Max Thursday im südkalifornischen San Diego nur noch kleine und ungefährliche Aufträge. Sein aktueller Klient bestellt ihn kurioserweise in den Vergnügungspark „Joyland“, wo er in der Riesenschaukel auf ihn warten soll. Von dort muss Thursday mit ansehen, wie der junge Chinese David Song aus einem fahrenden Auto erschossen wird.

Leutnant Clapp von der Mordkommission übernimmt den Fall. Bei der Leiche findet sich ein Zettel, der darauf hinweist, dass Song einen unbekannten Mann namens Leon Jagger beschattet hat. Thursday will sich heraushalten, doch noch in der Mordnacht entführt ihn Davids Schwester Nancy mit Waffengewalt zum trauernden Vater Song Lee, der den Detektiv, der allmählich neugierig wird, tatsächlich engagieren kann.

Der unglückliche David pflegte zu Lebzeiten üblen Umgang. Er war dem Glücksspiel verfallen und ist offenbar in einen Gangsterkrieg zwischen Larson und Ulaine Tarrant, die brutal über ihr kriminelles Imperium herrschen, und dem Eindringling Jagger, der sein Stück vom Kuchen fordert, geraten ist.

Zwar hofft Thursday, er könne sich aus dem Konflikt heraushalten und trotzdem Davids Namen reinwaschen, doch rasch muss er bemerken, dass die ohnehin nervösen Verbrecher auf sein vorsichtiges Stochern sehr ungehalten reagieren: Versucht der Detektiv ihnen jeweils im Auftrag der Gegenseite einen Mord unterzuschieben? Sie schicken ihre Schergen aus, die Thursday eindringlich ‚befragen‘, worauf dieser, der hartnäckig weiter ermittelt, beschließt, den Schwur auf Waffenverzicht zugunsten einer Verlängerung seines Lebens zu brechen …

|Krimi-Spannung mit lässiger Eleganz|

Viel zu viele Krimis gibt es, die von der Zeit eingeholt und unter ihr begraben wurden, ohne dieses Schicksal zu verdienen. Die Klassiker Chandler, Hammett oder MacDonald werden nicht nur hierzulande immer wieder aufgelegt. Doch was ist mit den Pechvögeln, die keine Fürsprecher und Verlage finden, obwohl sich ihre Werke durchaus sehen bzw. lesen lassen?

Die Max-Thursday-Romane wurden von der zeitgenössischen US-Kritik nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern gelobt. Auch heute genießen sie ihr Renommee, und sie müssen auch in Deutschland mindestens von den Lesern zur Kenntnis genommen worden sein, denn sie sind sämtlich hierzulande erschienen. Ihre inhaltlichen wie formalen Qualitäten lassen eine Neuauflage wünschenswert erscheinen, die indes wohl nur ein Wunsch dieses Rezensenten bleiben wird.

Was ist es nun, das dieses Buch so lesenswert macht? Da ist vor allem ein Plot, der täuschend einfach wirkt aber – so gehört es sich – in die Irre führt, sodass die leicht irrwitzige aber logische Auflösung angenehm überraschen kann. Miller weiß sein Garn zu spinnen, Langeweile kommt nie auf, auch wenn so manche detektivische Ermittlung ins Leere läuft: Das gehört zum Job.

|Stimmung und Zeitkolorit|

Ein Umstand, den Miller einst womöglich für selbstverständlich hielt, hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte wie eine Vergoldung über seinen Roman gelegt: „Mord unterm Karussell“ besticht durch seine Atmosphäre. Das Buch spielt in einem Land, das den II. Weltkrieg zwar gewonnen aber noch nicht überwunden hat. Immer wieder lässt Miller die historische Gegenwart der frühen 1950er Jahre einfließen. „Joyland“ ist ein Relikt der hektischen Kriegsjahre, als Soldaten und Arbeiter in der Kriegsindustrie sich nach hartem Kampf oder Doppelschichten im Betrieb die kurze Freizeit vertreiben wollten. Die taffe Reporterin Merle Osborn gehört zu den wenigen Frauen, die nach 1945 noch nicht wieder in die Hausarbeit entlassen wurden, nachdem sie zuvor gut genug waren die in Übersee kämpfenden Männer in allen möglichen Berufen zu vertreten. Max Thursday hat selbst an der Front gedient und seine geistige Gesundheit dabei eingebüßt (s. u.)

In den klassischen, tief ’schwarzen‘ Film-Krimis dieser Ära lässt sich die Stimmung noch erfassen, die „Mord unterm Karussell“ auszeichnet. Damals muss dieser Roman sehr modern gewirkt haben. Auch heute erfreut die Abwesenheit so mancher zeitgenössischen Klischees. Die Übersetzung konnte dies bewahren und einen uralten, nur noch auf Flohmärkten zu findenden Dutzendkrimi in ein echtes, angenehm überraschendes Lektürevergnügen verwandeln.

|Das Leben kennt keine Gewinner|

Max Thursday gehört einerseits zu den geradezu klassischen Privatdetektiven: ein harter, unbestechlicher Schnüffler, der stets der Wahrheit den Vorzug vor einem bequemen Leben gibt und folglich von einem Fall auch dann nicht lassen kann, wenn dieser ihm wenig Geld aber viel Ärger bringt.

Andererseits kündigt sich mit Thursday schon ein neuer, zeitgemäßer Detektiv an, der nicht nur zum Gangsterjagen auf der Welt ist. Der II. Weltkrieg ließ auch die Unterhaltungsindustrie nicht unberührt. Zwar hatten die USA ‚gewonnen‘, doch der Preis war hoch gewesen, und nun schien man auf einen Krieg mit der Sowjetunion zuzusteuern, der jederzeit heiß werden konnte. Die Ideale der Vergangenheit hatten sich als Illusion erwiesen. Im Kino wurden nach 1945 die Krimis der „Schwarzen Serie“ zu einem eigenen Genre. Die Sünden und Schmerzen der Vergangenheit lasten hier schwer auf allen Protagonisten, denen das Schicksal nichts als Tod oder weitere Enttäuschung zu bieten scheint. Nichts ist mehr Schwarz oder Weiß, alles ist Grau.

|Vom Leben gebeutelt|

Max Thursday gehört zu denen, die nicht als siegreiche Helden, sondern als nervliche Wracks aus dem Krieg heimkehrten. Die Erinnerung daran, was er erleben und tun musste, hat ihn geprägt. Thursday will vor allem seine Ruhe, aber dafür hat er sich natürlich den falschen Job ausgesucht. Wieder ist da besagtes Schicksal, das ihn genretypisch stets dorthin führt, wo ihn wieder die fatale Entscheidung erwartet: Soll ich davonlaufen oder weitermachen? Selbstverständlich entscheidet sich Thursday für Nr. 2; er kann nicht anders, und Verfasser Wade Miller arbeitet heraus, dass genau dies auch Thursdays Problem ist. Er wird nie aufgeben und deshalb weiter verletzt werden. Dafür ‚belohnt‘ wird er mit Depressionen und Alkoholsucht.

Auch Merle Osborn kann so, wie sie Miller schildert, nur in ihrem Umfeld existieren. Sie hat die Grenzen einer alten gesellschaftlichen Schichtung überschritten, ist dank des Krieges in eine Männerdomäne vorgedrungen. Miller ist zu sehr Kind seiner Zeit, als dass er dies letztlich gutheißen könnte. So sehnt sich Osborn durchaus nach einer starken Schulter, an die sie sich in der Krise anlehnen kann. Bis es soweit – aber ohne Garantie eines Gelingens – ist, schlägt sie sich jedoch wacker und stellt eine echte Bereicherung des Figurenpersonals dar, das Miller auch sonst mit viel Liebe zum überzeugenden bis leicht absurden Detail zu zeichnen weiß.

_Autoren_

Wade Miller ist das Pseudonym des Autorenduos Robert Allison Bob Wade (geb. 1920) und H. Bill Miller (1920-1961). Die beiden seit Schultagen unzertrennlichen Freunde debütierten 1947 mit „Guilty Bystanders“, dem ersten Roman der Serie um den Privatdetektiv Max Thursday, die von der Kritik zu den besten ihrer Zeit gezählt wird. In den nächsten anderthalb Jahrzehnten schrieben Wade & Miller als „Wade Miller“ aber auch als „Will Daemer“, „Dale Wilmer“ und „Whit Masterton“ mehr als dreißig Romane, von denen immerhin neun verfilmt wurden. Unter diesen Filmen ragt hoch der Noir-Klassiker „Touch of Evil“ heraus, den 1958 Orson Welles mit Charlton Heston, Janet Leigh, Marlene Dietrich und sich selbst in den Hauptrollen inszenierte.

Als Miller 1961 völlig überraschend einem Herzanfall erlag, schrieb Wade im Alleingang weiter, beschränkte sich jedoch zukünftig auf das Pseudonym „Whit Masterton“. Sein bisher letzter Roman erschien 1979. Dem Krimigenre ist er jedoch als kundiger Spezialist und Autor der Kolumne „Spadework“ verbunden geblieben.

|Taschenbuch: 170 Seiten
Originaltitel: Fatal Step (New York: Signet 1948)
Übersetzung: A. B. Noack|
[www.ullsteinbuchverlage.de]http://www.ullsteinbuchverlage.de

Ellery Queen – Sherlock Holmes und Jack the Ripper

Queen Holmes Ripper 1989 Cover kleinIm Herbst des Jahres 1888 kreuzen sich in London die Wege von Meisterdetektiv Sherlock Holmes und Serienmörder Jack the Ripper. Holmes stellt seinen Mann, aber hat er wirklich den Richtigen erwischt? Fast acht Jahrzehnte später kommen dem berühmten Kriminalschriftsteller und Amateur-Ermittler Ellery Queen im fernen New York ernste Zweifel, und er rollt den Fall noch einmal auf … Eines der berühmtesten Sherlock-Holmes-Pastiches überhaupt, in Wort und Stimmung das Vorbild treffend, aber trotzdem eher mittelmäßig und vor allem mit überflüssigen Rahmenhandlung.
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Richard Ellis – Seeungeheuer. Mythen, Fabeln und Fakten

In den Tiefen der Meere existieren unglaubliche Kreaturen. Autor Ellis trennt Sagenhaftes und Reales, erzählt von einer Vergangenheit, die sich ihre Ungeheuer schuf, und stellt exemplarisch merkwürdige Wesen vor, die alles andere als ungeheuerlich sind. Ellis schreibt fabelhaft, man folgt ihm gebannt – und viele Bilder gibt es auch: ein Sachbuch der Sonderklasse!
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Bell, Alden – Nach dem Ende

_Das geschieht:_

Temple ist etwa 16 Jahre alt; genau weiß sie es nicht, denn ein Familienleben hat sie nie kennengelernt. Vor einem Vierteljahrhundert kamen die Toten aus ihren Gräbern zurück. Das anschwellende Heer nie schlafender, stets hungriger Zombies hat weltweit die Zivilisation zusammenbrechen lassen.

Auch die USA gibt es nicht mehr. Festungsgleich gesicherte Lager sind über den nordamerikanischen Kontinent verstreut und bieten den wachsamen Lebenden einen nie wirklich sicheren Unterschlupf. Die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität schwindet, denn die Zombies haben gelernt, nicht nur Menschen, sondern auch Tiere zu jagen. Selbst untote Kannibalen gibt es inzwischen, sodass ein Aushungern der lebenden Leichen unmöglich ist.

Durch diese postapokalyptische Welt zieht Temple. Sie kennt keine Welt ohne Zombies und weiß sich auch gegen marodierende Plünderer zur Wehr zu setzen. Temples aktuelles Problem heißt Moses Todd, dessen Bruder Abraham sie töten musste, als der sie vergewaltigen wollte. Moses will Rache und jagt Temple, die inzwischen nicht mehr allein reist: Unterwegs hat sie den geistig zurückgebliebenen Maury aufgelesen, den sie zu seinen Verwandten nach Texas bringen will.

Die Fahrt wird zur Odyssee. Temple lernt Menschen und Mutanten kennen, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Belagerung durch die Untoten arrangiert haben. Trotz der Zombies rührt sich Leben in den Ruinen. Temple fühlt sich trotzdem nirgendwo heimisch, denn sie kann und will sich nicht unterordnen. Also zieht sie weiter durch eine Nation, die den Untoten gehört und von der Natur zurückerobert wird. Ihrer Fährte folgt unerbittlich Moses Todd. Mehrfach kreuzen sich ihre Wege, bis sie sich eines Tages im letzten Duell gegenüberstehen …

|Alles zurück auf Start|

Die Zombies sind gekommen und haben die USA, wie man sie kannte, vernichtet. Womöglich muss man ihnen dankbar sein, haben sie doch Schluss gemacht mit einer Nation, die ihren Traum und ihr Selbstverständnis als |God’s Own Country| längst verloren hatte.

So sieht es jedenfalls Alden Bell alias Joshua Gaylord, dem deshalb der Einfall kam, die Zombies loszulassen, um die USA zurück dorthin zu führen, wo ihr Aufstieg begann. Nun herrscht Tabula rasa, es ist wieder möglich, eine neue Welt zu errichten! „Go West, Young Man!“, hieß es einst, aber jetzt sind die Voraussetzungen noch besser: Wackere US-Amerikaner mit Pionierblut in den Adern können praktisch in jede Richtung gehen und den Neubeginn versuchen.

Obwohl die Untoten weiterhin in dreistelliger Millionenzahl durch die Landschaft schlurfen, haben sich in der Tat bereits die Keimzellen eines neuen Amerika gebildet. Die Lethargie einer überzivilisierten Volksgemeinschaft wurde abgeschüttelt, wobei natürlich hilfreich war, dass die Zombies die meisten Bürger der ‚alten‘ USA abschlachteten – ein zu verschmerzender Verlust, was Bell lieber nicht ausspricht, denn es überlebten die Harten & Starken, die in die Hände spuckten und nicht einen Kampf fortsetzten, der nicht zu gewinnen ist, sondern den Wiederaufbau in Angriff nehmen.

|Die Zombies sind halt da|

Nach einem Vierteljahrhundert des Schreckens, beginnt sich das Gleichgewicht der Welt einzupendeln. Die frenetischen Versuche der US-Regierung, die Zombies mit militärischen Mitteln zu vernichten, sind fehlgeschlagen. Die Überlebenden dieser und die Angehörigen einer neuen Generation haben eine funktionierende Alternative gefunden: Sie verbarrikadieren sich in Dörfern und Stadtteilen, richten sich ein und drängen die Untoten dann allmählich zurück, wobei sie die ’sicheren‘ Regionen ausweiten. Irgendwann werden die dabei entstehenden Refugien zusammenwachsen, und noch später werden die Menschen zu einer neuen Nation zusammenfinden, die hoffentlich die Lehren aus der Apokalypse nicht vergessen und eine neuerliche Degeneration vermeiden wird.

Die Zombies sind in diesem Tableau mehr ein Ärger- als ein Hindernis: Zwar haben sie den Untergang gebracht, aber inzwischen weiß man mit ihnen umzugehen und sie sich vom Leib zu halten. Temple bewegt sich aufmerksam aber nicht ängstlich zwischen ihnen und bereist den Südwesten der USA, ohne sich beißen zu lassen.

Diese Wertung von „Nach dem Ende“ als im Kern recht konservative Lektüre mag den Leser verblüffen. Doch der Rezensent folgt darin dem Verfasser, der in einem Interview ausführlich seine Gedanken zu dieser Geschichte dargelegt hat. Bell nutzt demnach das Horror-Genre, um eine Leserschicht zu finden, die ‚richtiger‘ Literatur oft skeptisch gegenübersteht. Entstanden ist ein Roman, der zwischen trivialer aber spannender Unterhaltung und Mainstream hin und her schwankt.

|Die Kunst im Horror-Mantel|

‚Hohe‘ Literatur arbeitet gern mit Symbolen. „Nach dem Ende“ ist förmlich überladen mit Szenen, die nicht direkt, sondern durch die Entschlüsselung ihres Hintersinns wirken sollen. Dies beginnt schon mit dem sicherlich bedeutungsschwangeren Originaltitel: „Die Schnitter sind die Engel“. Bei nüchterner Betrachtung erzeugen diese Kunstgriffe freilich eher Stirnrunzeln oder Heiterkeit. Schwer lässt Bell Namen wie William Faulkner oder Corman McCarthy fallen, die ihn inspiriert haben, Realismus und Mystizismus zu verquicken, um daraus eine künstlerische Wirklichkeit zu formen.

Deshalb jagen sich Temple und Moses Todd, obwohl sie realiter die einzigen Menschen sind, die einander verstehen. Zwischenzeitlich wirft sie das Schicksal in Situationen, in denen sie sich nicht an die Gurgeln gehen, sondern nur reden können. Dies führt stets zu schwermütigen Disputen über Regeln und Ehre, die vor allem wegen der einfachen aber schönen Worte geführt zu scheinen werden. Ein tiefer Sinn verbirgt sich jedenfalls nicht hinter ihnen.

Dazu passt eine betont einfache, lakonische Sprache, die sich nach dem Willen des Verfassers zudem jenen Regeln entzieht, denen sich Schriftsteller im Druck in der Regel unterwerfen müssen. Wie der verehrte McCarthy setzt auch Bell keine Anführungsstriche. Wörtliche Rede geht im normalen Textfluss unter. Der Sinn bleibt unklar; soll der auf diese Weise ‚entschlackte‘ Text die vom Ballast der Vergangenheit befreite Gegenwart verdeutlichen? Eine Intensivierung des Geschehens will sich allerdings beim Leser dadurch nicht einstellen. Ob es daran liegt, dass Bell kein McCarthy oder gar Faulkner ist?

|Auch metaphorische Zombies beißen|

Am besten funktioniert „Nach dem Ende“ als simple Horror-Story. Bell hat die trivialliterarischen und filmischen Vorbilder durchaus verstanden. Stephen King und Peter Straub erweist er seinen Respekt. Die Schilderungen einer in der Katastrophe untergegangenen Hochkultur sind eindrucksvoll. Schutt und Fäulnis, aber auch die Schönheit einer sich regenerierenden Natur stellt Bell – in der deutschen Romanfassung gut unterstützt durch seinen Übersetzer – erschreckend und faszinierend dar.

Temple ist eine gelungene Figur – das Pendant zum unsteten Cowboy des Wilden Westens, für den immer hinter dem Horizont das Gras ein wenig grüner war als unter seinen Füßen. Sie will und kann sich nicht in die neu entstehenden Gemeinschaften – die ihrerseits stark den Forts und Kleinstädten des 19. Jahrhunderts ähneln – einfügen, sondern reist durch die von Bell präsentierte Gegenwart, die ihr Respekt einflößt aber keine Angst einjagt. Sie hat sich arrangiert und weiß sich ihrer Haut zu wehren. Folgerichtig werden nicht die Untoten ihr Verhängnis, sondern ihr Drang zu suchen und ihre Unfähigkeit zu finden.

Die Zombies sind Bell vor allem Mittel zum Zweck. Sie taugen dafür, denn auch Bells Untote sind geistlose, instinktgesteuerte Menschenfresser. Eine innere Tragik besitzen sie nicht, weshalb sie primär hässlich und latent gefährlich sind. Bell inszeniert sie als traurige Wiedergänger einer versunkenen Ära, deren Handlungen und Gesten sie noch immer sinnlos imitieren.

|Der Horror setzt sich durch|

Mehrfach greift Bell auf Klischees zurück, denen er nicht wie vorgesehen neues oder echtes Leben einflößen kann. Die in den erstarrten und sinnlosen Ritualen einer vornehmen Vor-Zombie-Ära gefangene Südstaaten-Familie Grierson, die den zum Untoten gewordenen Vater im Keller hält und dies als „Krankheit“ tarnt, ist in so vielen Gruselgeschichten und Filmen zum Einsatz gekommen, dass diese Szenerie längst jeden ihr innewohnenden Schrecken verloren hat.

Gänzlich aus dem literarischen Rahmen fällt die Hillbilly-Sippe, die Zombie-Hirne auspresst, um sich den Sud in die Venen zu spritzen. Die so ‚Behandelten‘ mutieren zu Mischwesen, die sogar noch scheußlicher als die ’normalen‘ Untoten sind, aber ihren Verstand behalten haben, den sie freilich nur einsetzen, um ein „sauberes“ Amerika zu gründen. Auch diese Szenen sind reiner Horror – plakativ und sogar komisch. Womöglich sollen sie es sein, um die steinzeitfundamentalistischen Gruppen der US-Gegenwart ins Lächerliche zu ziehen.

Das Finale ist dramatisch und selbstverständlich traurig. Ihm folgt noch eine letzte metaphysische Reise an die Niagara-Fälle, die einmal mehr nur den Literaten erschüttert, während der hartgesottene Horrorfreund – keineswegs grundlos – nach dem Warum fragt. Doch trotz dieser Einschränkungen liest sich „Nach dem Ende“ unterhaltsam, zumal Bell seine Geschichte nicht in die Länge zieht, die auf jeden Fall spannend ist und hoch über Dummfug à la „Stolz und Vorurteil und Zombies“ schwebt.

|Autor|

„Alden Bell“ ist das Pseudonym von Joshua Alden Gaylord, geboren in Anaheim im US-Staat Kalifornien, aufgewachsen in verschiedenen Vororten von Los Angeles und heute ansässig in New York. Gaylord studierte Englische Literatur und kreatives Schreiben an der „University of California“ in Berkeley. Seinen Abschluss machte er 2000 an der „New York University“. Seitdem lehrt er Englisch an einer High School. Seit 2002 ist er zudem außerordentlicher Professor an der „New School“, einer Hochschule in New York City.

Als Schriftsteller trat Gaylord erstmals 2009 in Erscheinung. Unter seinem Geburtsnamen veröffentlichte er den Roman „Hummingbirds“, der in einer Mädchenschule spielt. Auf Anraten seines Verlegers, der fürchtete, Gaylord-Leser könnten mit dem Horror-Szenario des Folgewerks überfordert sein, legte er sich für „The Reapers Are the Angels“ (dt. „Nach dem Ende“) sein Pseudonym zu („Bell“ ist ein historisches Gemeinschafts-Pseudonym der Brontë-Schwestern, das Gaylord adaptierte.)

|Taschenbuch: 317 Seiten
Originaltitel: The Reapers Are the Angels (New York : Henry Holt & Co. 2010)
Übersetzung: Friedrich Mader
ISBN-13: 978-3-453-52833-8

Als eBook: August 2011 (Wilhelm Heyne Verlag)
ISBN-13: 978-3-641-05722-0|
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Paretsky, Sara – Hardball

_Die |V. I. Warshawsky|-Reihe:_

(1982) „Schadenersatz (|Indemnity Only|)
(1984) „Deadlock (|Deadlock|)
(1985) „Fromme Wünsche“ (|Killing Orders|)
(1987) „Tödliche Therapie“ (|Bitter Medicine|)
(1988) „Blood Shot“ (|Blood Shot|)
(1990) „Brandstifter“ (|Burn Marks|)
(1992) „Einer für alle“ (|Guardian Angel|)
(1994) „Engel im Schacht“ (|Tunnel Vision|)
(1999) [„Die verschwundene Frau“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1727 (|Hard Time|)
(2001) „Ihr wahrer Name“ (|Total Recall|)
(2003) „Blacklist“ (|Blacklist|)
(2005) [„Feuereifer“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3868 (|Fire Sale|)
(2009) _“Hardball“_ (|Hardball|)
(2010) |Body Work| (noch kein dt. Titel)

1996 erschien unter dem Titel „Windy City Blues“ (dt. unter identischem Titel) eine Sammlung von V.-I.-Warshawsky-Kurzgeschichten

_Das geschieht:_

Privatdetektivin Victoria Iphigenia Warshawski ist von einer Europareise ins heimatliche Chicago zurückgekehrt. Sie hat sich von ihrem Freund getrennt und ist pleite, weshalb sie umgehend ihre Arbeit aufnehmen will. Stattdessen muss Vic Familienpflichten und einen denkbar ‚kalten‘ Fall übernehmen. Cousine Petra, muntere 22 Jahre jung und der Fürsorge ihrer Eltern Peter und Rachel endlich entschlüpft, ist als Praktikantin für Brian Krumas tätig, der Senator des US-Staates Illinois werden möchte. Dabei scheint sie in gefährliche Kreise abgedriftet zu sein: In Vics Büro wird eingebrochen, es wird verwüstet. Die Überwachungskamera zeigt drei vermummte Gestalten, doch Vic erkennt trotzdem ihre Cousine unter den Tätern. Zur Rede stellen kann sie Petra nicht, da diese seither spurlos verschwunden ist. Detective Bobby Mallory nimmt Vic in die Zange, und zu allem Überfluss reisen Peter und Rachel an, um ihr Vorwürfe zu machen.

Als Detektivin gerät Vic an die Schwestern Ella Gadsden und Claudia Ardenne. Beide sind alt und krank. Bevor ihr Leben endet, will vor allem Claudia Gewissheit über das Schicksal ihres Neffen Lamont Gadsden, der seit 1967 verschollen ist. Vic übernimmt den aussichtslosen Fall und fahndet nach Personen, die Lamont, einen Kleinkriminellen und wohl auch ein Bandenmitglied, einst kannten. Ihre Suche führt zurück in die schwierige Zeit der Rassenunruhen, die in den 1960er Jahren auch in Chicago für bürgerkriegsähnliche Verhältnisse gesorgt hatten. Die damals geschlagenen Wunden sind auf beiden Seiten keineswegs verheilt.

Vics Ermittlungen rücken eine Reihe damals junger Männer in ein unschönes Licht. Heute sind sie vermögend, politisch einflussreich und verfügen über Mittel und Männer, unliebsame Schnüffeleien nachdrücklich zu unterbinden. Zu ihrem Kummer scheint auch Vics verstorbener Vater 1967 in düstere Machenschaften verwickelt gewesen zu sein. Bald wird es für die Detektivin allerdings wichtig, lange genug zu überleben, bis sie ihren übermächtigen Gegnern mit handfesten Beweisen entgegentreten kann …

|Stadtgeschichte im Kriminalroman|

Seit jeher schreibt Sara Paretsky nicht ’nur‘ Kriminalromane. Sie übt auf unterhaltsame Weise Kritik an politischen und gesellschaftlichen Missständen, prangert Rassismus, Diskriminierung und verstärkt den Verlust von Menschenrechten an, die spätestens seit dem 11. September 2001 von und in den USA Stück für Stück außer Kraft gesetzt wurden.

„Hardball“ bildet eine Klammer zwischen Vergangenheit und Gegenwart. In einem ausführlichen Nachwort schildert Paretsky, wie sie 1966 als junge Frau nach Chicago kam, wo sie im Rahmen eines Sozialpraktikums mit Kindern arbeitete. Als politisch interessierter Mensch nahm sie die aufkommende Bürgerrechtsbewegung und die ihr feindlichen Gegenströmungen unmittelbar wahr – ein Sommer, den sie die prägende Zeit ihres Lebens nennt.

Viele der von der Autorin selbst erlebten Ereignisse fließen in „Hardball“ ein. Wer damals dabei war, erinnert sich gut – im Positiven wie im Negativen, da die Unruhen jenes Jahres die Menschen zwang, Stellung zu beziehen. Die Entscheidung pro oder contra Gleichberechtigung spaltete Gemeinden, Freundschaften, Familien. Die daraus resultierenden physischen Wunden sind nur oberflächlich verheilt.

Paretsky vermeidet simple Schwarz-Weiß-Zeichnungen. ‚Böse‘ weiße Rassisten kämpfen daher nicht gegen ‚edle‘ schwarze Bürgerrechtler. Eine der Gruppen, die 1967 Martin Luther King beschützten und Kinderhorte einrichtete, mutiert im Roman zur Straßengang der „Anacondas“, die ihre Drogen an Menschen aller Hautfarben verkaufen und auch in Sachen Mord ohne Vorurteile sind.

|Geschichte und Gegenwart|

1967 scheint für einen Großteil heutiger Leser in der Urzeit zu liegen. Tatsächlich stellen vier Jahrzehnte kein Menschenalter dar. Wer damals jung aber schon aktiv war, ist heute älter, kann aber immer noch aktiv sein. Paretsky geht von der Prämisse aus, dass einige damals Steine werfende, Hassparolen schreiende Männer zu prominenten Mitgliedern der Chicagoer High Society aufgestiegen und damit automatisch ehrenwert geworden sind.

Doch sie haben einen Mord begangen und bei der Vertuschung weitere Kapitalverbrechen begangen, die auch das Establishment nicht dulden kann, sollte die Öffentlichkeit Wind davon bekommen. Deshalb – so Paretsky – werden die Betroffenen wie vor vierzig Jahren gewalttätig. Inzwischen hat sich die Palette ihrer Möglichkeiten freilich erweitert. Sie müssen sich nicht mehr selbst die Hände schmutzig machen. Die enge Verknüpfung von Geld und Macht ermöglicht die Instrumentalisierung von Polizei und Justiz. So genügt es, V. I. Warshawski vage die Verwicklung in terroristische Umtriebe zu unterstellen, um eine mächtige Maschinerie in Gang zu setzen, die nicht nur Paretsky an Kafka erinnert.

Auf der Strecke bleiben Gerechtigkeit und Moral. Beinahe rührend wirkt Warshawski, die sich immer wieder als Verfechterin altmodisch scheinender, dem globalisierten 21. Jahrhundert nicht zweckdienlicher Werte positioniert. Dabei ist sie weder zurückhaltend oder zimperlich nach Gutmenschen-Art, sondern provozierend deutlich und stets bereit, auch unschöne Dinge beim Namen zu nennen.

|Der Preis der Freiheit – der Job|

V. I. Warshawski ist keine einfach gestrickte oder besonders sympathische Figur. Sie ist jähzornig, ein Kontrollfreak, voreilig, widerborstig aus Prinzip. Damit erhebt Paretsky sie nicht zur Weltenretterin und rettet sie vor einer unrealistischen Idealisierung. Sie lässt Warshawski ihren Preis für die Offenheit zahlen, die diese für sich beansprucht. In „Hardball“ lässt sie die entsprechenden Sünden Revue passieren: Eine Karriere im Staatsdienst hat sie sich aufgrund ihrer Kompromisslosigkeit verbaut, der Aufbau einer einträglichen Firma gelingt ihr nicht: Ihre beachtlichen kriminologischen Fähigkeiten investiert Warshawski immer wieder in Fälle, die ihren Gerechtigkeitssinn ansprechen aber dem Kontostand schaden. Dieses Mal lässt sie sich auf das besonders aussichtslose Unterfangen einer Personenfahndung ein, deren Ziel seit Jahrzehnten verschollen ist.

Dank kann Warshawski selten erwarten; in dieser Hinsicht geht es ihr wie den klassischen Detektiven des Genre-Krimis. Selbst die Mutter des verschwundenen Lamont Gadsden honoriert Warshawskis Mühen keineswegs. Wie üblich zahlt die Detektivin buchstäblich drauf. Beschädigtes Inventar, Streit und Körperverletzung gehen auf eigene Rechnung.

|Der Preis der Freiheit – privat|

Auch privat ist V. I. Warshawskis Leben eine Dauerbaustelle. Wieder einmal ist eine Beziehung in die Brüche gegangen. Selbst enge Freunde – ihre Zahl hält sich ohnehin in Grenzen – kommen nicht umhin, Warshawkis ausgeprägte Eigenheiten und vor allem ihre Ungeduld als Ursachen anzusprechen. Das Ergebnis sind kurzfristige Depressionsphasen, aus denen Warshawski indes niemals lernt.

Deshalb lässt sie sich auch im 13. Band der Serie vom steinalten Nachbarn Mr. Contreras und von ihren beiden Hunden auf der Nase herumtanzen. Als Verstärkung kommt dieses Mal die aufreizend lebenslustige Cousine Petra hinzu, die der Detektivin den Verlust jugendlicher Unbekümmertheit besonders deutlich signalisiert.

Auf 500 eng bedruckten Buchseiten ist genug Platz für eine unheilvolle Reise in die Warshawskische Familiengeschichte. Vic vergöttert die Mutter und verehrt den Vater. An dessen Vergoldung kratzt die Realität kräftig: Die Suche nach Wissen birgt stets das Risiko, mit unerwarteten und unwillkommenen Informationen konfrontiert zu werden. Vic muss lernen, dass ihr Vater nur ein Mensch war.

|Viel Altes, ein wenig Neues|

Vor gut recherchiertem Hintergrund erzählt Paretsky eine gediegene Kriminalstory bekannten Musters. Auch Vic Warshawski führt kein so aufregendes Leben, dass 13 Bücher mit originellen Geschichten gefüllt werden könnten. Vertraute Feindbilder werden neu arrangiert, bekannte Figuren tauchen auf. Der Leser will Warshawskis Welt zwar durcheinandergewirbelt aber keinesfalls zerstört sehen. So ist Mr. Contreras inzwischen angeblich über 90 Jahre alt, zeigt aber weiterhin keinerlei Anzeichen körperlichen oder geistigen Verfalls. Offenbar besitzt diese penetrante Figur eine eigene Fangemeinde.

Der Fortbestand zwischenmenschlicher Ungerechtigkeiten und eine unkonventionelle Heldin sorgen im Bund mit soliden Plots für Kriminalromane, deren Unterhaltungswert unter einem gewissen Tiefgang nicht leidet. Auf diese bewährte Weise kann (und wird) Sara Paretsky ihre Serie problemlos fortsetzen.

_Autorin_

Sara Paretsky (geb. am 8. Juni 1947 in Ames, Iowa) wuchs in Lawrence, Kansas, auf. 1966 zog sie nach Chicago, arbeitete sie als Sekretärin und begann sich zu engagieren: Dies waren die Jahre, in denen die Jugend der USA gegen den Krieg in Vietnam, den Rassismus im eigenen Land und für die Menschenrechte protestierte. Paretsky fügte dem noch ihren Kampf für die Rechte der Frau hinzu. Konsequent verwirklichte sie diese für die eigene Person, studierte Wirtschaft und Geschichte, promovierte 1977 und arbeitete bis 1985 als Verkaufsmanagerin einer großen Versicherungsgesellschaft.

1986 beschloss Paretsky eine Laufbahn als hauptberufliche Schriftstellerin. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits drei Romane um Vic Warshawsky, eine Privatdetektivin in Chicago, verfasst, die von den beruflichen und persönlichen Erfahrungen ihrer geistigen Mutter profitierte. Sara Paretsky gehört zu den Autorinnen, die in den 1980er Jahren dem Genre wichtige Neuimpulse gaben. Der ehrwürdige Kamillentee-Lady-Thriller wurde endlich ergänzt vom modernen „Privat-Eye“-Krimi, dessen Protagonistinnen nicht als Abziehbilder ihrer hartgesottenen männlichen Vorbilder agierten, sondern überzeugend eigene Wege gingen.

Paretskys V. I. Warshawski hat inzwischen die meisten fiktiven Detektiv-Kolleginnen (und eine wahrhaft schauerliche Hollywood-Verfilmung) überlebt und hält ihre Ideale weiterhin eisern hoch. Die Autorin gründete außerdem die „Sisters in Crime“, eine Organisation, die weibliche (Nachwuchs-) Autoren fördert und deren erste Präsidentin sie war.

|Taschenbuch: 512 Seiten
Originaltitel: Hardball (New York : G. P. Putnam’s Sons 2009)
Übersetzung: Monica Bachler
ISBN-13: 978-3-8321-6160-6

Als eBook: Juli 2011
ISBN-13: 978-3-8321-8563-3|
[www.saraparetsky.com]http://www.saraparetsky.com
[www.dumont-buchverlag.de]http://www.dumont-buchverlag.de

Macken, John – Underground Killer

_Die |Reuben Maitland|-Serie:_

(2007) „Blutcode“ (|Dirty Little Lies|) – Mira TB
(2008) „Die Genspur“ (|Trial By Blood|) – Mira TB
(2009) _“Underground Killer“_ (|Breaking Point|) – Knaur TB 50878
(2010) |Control| (noch kein dt. Titel)

_Das geschieht:_

Nachdem Dr. Reuben Maitland unerlaubterweise ein von ihm entwickeltes aber noch in der Erprobung befindliches Programm zur Identifizierung psychopathisch veranlagter Krimineller zum Einsatz gebracht hatte, wurde er seines Amtes als Leiter von „GeneCrime“, einer forensischen Abteilung des „Criminal Investigation Department“ (CID) in London, enthoben und entlassen. Seitdem entwickelt Maitland „Psychopath Selection“ privat weiter. Allerdings halten ihn seine Nachfolgerin Dr. Mina Ali sowie Detective Chief Inspector Sarah Hirst, die an seine Arbeit glauben, heimlich auf dem aktuellen Wissensstand und versorgen ihn mit Genproben potenzieller Unholde.

Ali ist es, der auffällt, dass eine eigentlich längst gelöschte Datenbank im „GeneCrime“-Speicher ihren Platz gewechselt hat und mächtig angeschwollen ist. Sie enthält Namen von Personen, die im Zusammenhang mit begangenen Verbrechen befragt wurden. Offenbar hat jemand diese Daten mit kürzlich erfolgten Gesetzesverstößen abgeglichen und dabei Maitlands Software missbraucht. Das Ergebnis ist eine Liste von Männern, die als potenzielle Psychopathen gelten müssen.

Maitland, Ali und Hirst sind alarmiert, zumal derjenige, der dies anonym und illegal tat, damit begonnen hat, diese Männer unter Druck zu setzen, um den Killer in ihnen zu wecken. Der böse Plan ging anscheinend bereits auf: In der U-Bahn von London hat ein Unbekannter damit begonnen, Fahrgäste mit Hilfe heimlich im Gedränge verabreichter Giftinjektionen zu töten.

Während unter der Bevölkerung von London, die auf die „Tube“ als Transportmittel angewiesen ist, Panik ausbricht, versuchen Maitland und seine wenigen Vertrauten den unsichtbaren Gegner zu stellen. Doch wem können sie trauen? „GeneCrime“ hat eine undichte Stelle, die der Drahtzieher zur systematischen ‚Aktivierung‘ weiterer Psychopathen nutzt …

|Der Killer-Code im Reagenzglas|

Der Psychopath und der Forensiker sind ein Dream Team des modernen Kriminalromans. Was die Hannibal Lecters der literarischen Welt in diversen Unterhaltungsmedien anrichten, wird von CSI-Spezialisten unter Nutzung modernster technischer und naturwissenschaftlicher Methoden aufgedeckt.

In der Regel geschieht dies, nachdem die böse Tat bereits geschehen und der Schurke geflüchtet ist. John Macken postuliert nunmehr eine Methode, mögliche Metzelbolde bereits lange vor dem ersten Stich auszusieben. Auf diese Idee ist er natürlich weder als einziger noch als erster Autor gekommen. In der Wissenschaft wird tatsächlich in dieser Richtung geforscht; ein Erfolg käme derzeit allerdings dem Finden des Heiligen Grals gleich.

Ist ‚das Böse‘ in den Genen angelegt? Kann es erkannt und womöglich getilgt werden? Muss man sich damit bescheiden, entsprechend vorbelastete Pechvögel unter scharfe Beobachtung zu stellen? Wie sieht es mit den ethischen Aspekten einer funktionierenden Früherkennung aus? Darf man noch unbescholtene Menschen vorsichtshalber separieren? Darf man im Interesse der potenziellen Opfer darauf verzichten?

Schon diese wenigen und eher willkürlich gestellten Fragen machen deutlich, wie brisant das Thema ist – und dass es sich für eine unterhaltsame Umsetzung als Kriminalroman förmlich anbietet. John Macken alias Professor Chris McCabe verfügt zudem über das humanbiologische Wissen, um die Realität unter Einsatz plausibel klingenden Technobabbels glaubhaft zu extrapolieren.

|Kaninchen in der U-Bahn|

Während die Forschung faktisch weiterhin in den Kinderschuhen steckt, lässt Macken wenigstens in der Fiktion einen Großversuch anlaufen. Auch in seiner selbst geschaffenen Welt bildet das geschriebene Gesetz die Grenze: Entsprechende Versuche am Menschen bleiben streng verboten, zumal Macken dies zum idealen Sprungbrett für seine Geschichte wird.

Verrückte Wissenschaftler teilen mit dem gemeinen Verbrecher die Eigenschaft der Ungeduld. In unserem Fall haben jene, die Reuben Maitlands Software missbrauchen, keine Lust zu warten, ob den als mögliche Psychopathen eingestuften Personen von selbst die Hirnsicherungen herausfliegen. Sie helfen nach – und dies auf eine Weise, die des Lesers Langmut trotz der damit verbundenen Spannung auf eine harte Probe stellt, denn nur dort, wo Macken die Fäden zieht, dürfte ein so krude umgesetztes Prozedere zum gewünschten Erfolg führen.

Geniale Planmäßigkeit wird hinter dem Projekt Psychopathen-Erweckung nicht erkennbar. So wie es die heimlichen Verursacher anstellen, die ihre Zielpersonen regelmäßig verprügeln, würde sich wahrscheinlich jedes Opfer in einen Wüterich verwandeln, was den Sinn des Verfahrens schon diesseits der Frage, wie dies als Geheimnis gewahrt bleiben könnte, in Frage stellt. Diese Feststellung lässt sich nicht mit dem Hinweis auf den ‚Action-Faktor‘ parieren, der dem Prügeln & Morden innewohnt. Macken selbst bedient sich der Wissenschaft mit einer Sorgfalt, die sein Plot insgesamt vermissen lässt. Die Diskrepanz ist zu groß, um unerkannt zu bleiben.

|Das Labor als Hexenkessel|

Glaubhaft ist Macken in der Beschreibung gruppendynamischer Prozesse. Er kennt die akademische Welt aus eigener Erfahrung und weiß deshalb, wie gründlich falsch das Bild vom Elfenbeinturm ist, der sich ruhig und erhaben über die schnöde Alltagswelt erhebt. Die Realität ist eben nicht nur Forschung zur Schaffung von Wissen, sondern ein Hauen & Stechen um begrenzte finanzielle Mittel und begehrte Posten, wie es auch in der Politik oder der Industrie üblich ist. Abhängigkeiten fügen sich gefährlich zu Charakterschwächen und schaukeln sich in unserem Fall zu einer modernen Version der Frankenstein-Tragödie auf.

Macken bleibt in dieser Hinsicht erfreulich sachlich in seinen Figurenzeichnungen. Das Instrument des (schwarzen) Humors, den schreibende Kollegen wie Reginald Hill, Ian Rankin oder Stuart MacBride belebend und ablenkend in ihre Krimi-Serien einfließen lassen, ist ihm fremd. Man vermisst es nicht, dass Wissenschaftler und Polizisten sich keinen Wettlauf um das schrägste Bonmot liefern.

|Privatleben ist die Hölle|

Leider meint Macken seiner Leserschaft ausführliche Einblicke in die Privatleben seiner Hauptfiguren schuldig zu sein. Wie man sich denken kann, ist vor allem Ruben Maitland ein Mann am Rande des ständigen Nervenzusammenbruchs. Schon bevor die Handlung einsetzt – „Underground Killer“ ist der dritte Band einer Serie -, hat ihn das Schicksal gleich mehrfach niedergeknüppelt.

Um sich darüber zu informieren, ist die Kenntnis der Vorgängerbände überflüssig; Macken lässt seine Figuren ausgiebig über vergangene und gegenwärtige Seelennöte, Missverständnisse u. a. Zwischenmenschlichkeiten reden, diskutieren und streiten; kein Wunder, dass die Bände 1 und 2 hierzulande von einem Verlag veröffentlicht wurden, der sein Programm unter das Motto |“Große Gefühle und Nervenkitzel für alle“| stellt.

Macken-Thriller stellen eine kühl kalkulierte und auf den höchstmöglichen Verkaufserfolg getrimmte Mischung aus Krimi (für „ihn“?) und Seifenoper (für „sie“?) dar. Dieses Rezept ist keineswegs verwerflich, doch Macken gelingt es nicht, beide Fraktionen harmonisch unter einen Hut zu bringen. Seine emotional aufgeladenen Abschweifungen verärgern denjenigen Leser, der stärker die Elemente Science & Crime goutiert. Umgekehrt wirken die Konflikte, in die Macken seine Figuren verwickelt, wie von einer Liste abgehakt. Selbstverständlich wird die Hire-&-Fire-Beziehung zwischen Maitland und Sarah Hirst sorgfältig für die kommenden Bände konserviert. Und natürlich meint Macken mit einem ’schockierenden‘ Finaltwist schließen zu müssen, der den Eindruck unterhaltsamer Mittelmäßigkeit, den „Underground Killer“ trotz aller Einwände zu wahren wusste, beinahe noch verspielt.

_Autor_

„John Macken“ ist auch „John McCabe“, und beide sind sie Professor Chris McCabe, der 1990 seinen Abschluss in Genetik an der „University of Sheffield“ machte und 1995 in diesem Fach an der „University of Birmingham“ promovierte.

Der frischgebackene Dr. McCabe spezialisierte sich auf den Einsatz molekulargenetischer Techniken in der Humanmedizin. Er arbeitete zunächst für die „Division of Medical Sciences“ der Universität Birmingham. Einem kurzen Zwischenspiel an der „UCLA School of Medicine“ in Los Angeles folgte ein Ruf als Dozent an die „University of Birmingham“. Seit 2010 hat McCabe dort eine Professorenstelle inne.

1998 veröffentlichte McCabe unter dem Pseudonym John McCabe einen ersten Kriminalroman, dem regelmäßig weitere folgten. Für die Romane um den Forensiker Reuben Maitland, die ab 2007 erscheinen, wählte er das Pseudonym John Macken.

Obwohl er regelmäßig Krimis publiziert, ist McCabe hauptberuflicher Wissenschaftlicher und Dozent (mit einer eindrucksvoller Liste veröffentlichter Fachartikel) geblieben. Seine Romane schreibt er in der knappen Freizeit. Mit seiner Familie lebt Chris McCabe in den englischen Midlands.

|Taschenbuch: 415 Seiten
Originaltitel: Breaking Point (London, Bantam Press, 2009)
Übersetzung: Christine Gaspard
ISBN-13: 978-3-426-50878-7

Als eBook: Mai 2011 (Knaur eBook)
ISBN-13: 978-3-426-41263-3|
[www.knaur.de]http://www.knaur.de

Ronald A. Knox – Die drei Gashähne

knox-gashaehne-cover-1962-kleinHat sich Mr. Mottram selbst mit Gas umgebracht oder wurde er auf geschickte Art ermordet? Ein Versicherungsdetektiv und ein Polizist ermitteln manchmal gemeinsam, manchmal getrennt und decken einen gänzlichen unerwarteten Tathintergrund auf … – Einer der ganz großen Klassiker des britischen „Whodunit“-Krimis hat als ebenso intelligentes wie witziges Spiel mit den Regeln des Genres seinen Unterhaltungswert ungemildert bewahren können.
Ronald A. Knox – Die drei Gashähne weiterlesen

Parrish, P. J. – Knochenacker, Der

_|Louis Kincaid/Joe Frye|-Serie:_

(2000) |Dark of the Moon|
(2001) |Dead of Winter|
(2002) |Paint It Black|
(2003) |Thicker Than Water|
(2004) |Island of Bones|
(2005) |A Killing Rain|
(2006) |An Unquiet Grave|
(2007) |Das Gebeinhaus| (|A Thousand Bones|)
(2008) _|Der Knochenacker|_ (|South of Hell|)
(2010) |The Little Death|

_Das geschieht:_

Ein neuer Fall führt Privatdetektiv Louis Kinkaid aus Florida im Winter des Jahres 1989 in den Süden des US-Staates Michigan. Dort bemüht sich Detective Jake Shockey von der Mordkommission der Polizei Ann Arbor, das Schicksal von Jean Brandt aufzuklären. Sie verschwand vor neun Jahren spurlos von der einsamen Farm nahe eines Ortes mit dem vielsagenden Namen Hell, auf der sie an der Seite ihres gewalttätigen Ehemann Owen ein bitteres Dasein fristete.

Shockey, der damals ein Verhältnis mit Jean hatte, vermutet, dass Owen sie umgebracht und irgendwo auf den 25 Hektar der Farm begraben hat. Er will endlich Gewissheit und auch Rache, denn Owen, der wegen eines anderen Verbrechens im Gefängnis sitzen musste, wurde gerade entlassen und will auf seine Farm zurückkehren, wo er möglicherweise Jeans Leiche endgültig verschwinden lassen wird.

Kinkaid will helfen, zumal ihn dieser Fall in die Nähe seiner Freundin Joe Frye führt. Mit ihr führt er eine Fernbeziehung, seit sie aus Karrieregründen nach Michigan gegangen ist. Als Sheriff kann sie ihm Türen öffnen, die Kinkaid sonst verschlossen blieben.

Wie befürchtet taucht Owen auf seiner Farm auf. Dort hat Kinkaid bei einer Durchsuchung Amy, die 13-jährige Tochter der Brandts, entdeckt; Owen hatte sie schon vor Jahren bei seiner Schwester Geneva untergebracht, die nun gestorben ist. Amy kehrte auf die Farm zurück, weil sie von Erinnerungen an eine grausame Bluttat geplagt wird, deren Zeugin sie werden musste. Kinkaid, Frye und Shockey glauben, endlich eine Spur zur verschollenen Jean entdeckt zu haben, und bemühen sich, die verworrenen Erinnerungen des verstörten Mädchens zu entschlüsseln. Sie stehen unter Druck, denn Vater Owen beansprucht das Sorgerecht für seine Tochter, der nach einer Rückkehr auf die Farm womöglich ebenfalls ein gewaltsames Lebensende droht …

_Spannung von der Stange_

„South of Hell“ lautet der Titel dieses Romans, des in der Originalausgabe bereits neunten einer Serie, die auf dem deutschen Buchmarkt wieder einmal irgendwo einsetzt und den Leser daher immer wieder zwingt sich zusammenzureimen, was dem US-Publikum längst bekannt ist. Diesbezügliche Informationen betreffen in erster Linie das Dreigespann der Figuren Louis Kinkaid, Joe Frye und Mel Landete, eines Ex-Cops, der einst mit Frye zusammen war und heute mit Kinkaid zusammenarbeitet.

Womit klar ist, dass wir es hier mit einem Kriminalroman zu haben, der den privaten Gefühlsstürmen der Protagonisten mindestens ebenso breiten Raum bietet wie der Krimi-Handlung. Diesem Aspekt widmen wir uns weiter unten und bleiben zunächst beim Krimi. Der ist eher routiniert als einfallsreich geplottet und läuft problemlos auf jenem Schienenstrang, den vor allem jene Leser bereisen, die Spannungslektüre im Rahmen bekannter Lese-Erlebnisse vorziehen.

Der etwas anspruchsvollere Leser (auch „Kritiker“ oder „Querulant“ genannt) kann mit Fug & Recht einwenden, dass „Der Knochenacker“ eine handwerklich sauber und kalkuliert zusammengestellte Sammlung bewährter aber eben tausendfach präsentierter Thriller-Elemente bildet.

|Die Hölle ist manchmal tiefer als gedacht|

Freilich weiß auch das Verfasser-Duo um diese Tatsache und entwickelt einen gewissen Ehrgeiz, dem abgestandenen Gebräu trotzdem eine eigene Geschmacksnote einzurühren. Sie soll sich aus einem Quäntchen Mystery entwickeln, die jedoch – hier lässt sich Angst vor der eigenen Courage entdecken – zumindest anfänglich ‚logisch‘ begründet wird.

So scheint die labile Amy zwar einen Draht ins 19. Jahrhundert zu besitzen, doch könnte es sich auch um eine lebhafte aber fehlgeleitete Fantasie halten – ein Kunstgriff, der aufgrund der Intensität der Visionen eher Feigenblattfunktion besitzt, zumal ihre ‚Realität‘ in einem sicherlich als Überraschung geplanten Finaltwists plötzlich bestätigt wird.

Immerhin bringt der Handlungsstrang um ungerächt gebliebenes Unrecht aus der US-Sklaven-Ära wenigstens ein Moment des Unerwarteten ins Geschehen, das dieses inzwischen bitter nötig hat. Routine-Ermittlungen, Kompetenzstreitigkeiten, Indiziensuchen: Diese Aktivitäten, die doch das Salz in der Suppe eines Polizei-Thrillers bilden, werden recht lieblos abgehakt.

|Seelenqualen und Liebeskummer|

Wie Gewitterwolken schieben sich stattdessen Emotionen in den Vordergrund, wo sie sich etwa ab Seite 200 in einem Unwetter entladen, das überhaupt kein Ende mehr finden will; schließlich hat dieser Wolkenbruch eine achtbändige Vorgeschichte, die seine Wut noch anschwellen lässt. Louis Kincaid ist bereits solo ein von den Autorinnen dramatisch zerrissener Charakter: schwarz und im Süden der USA ansässig, wo die Hautfarbe gern rassistische Attacken auslöst, die ausgiebig in die Handlung einfließen. Da dies in der Darstellung sattsam bekannten Mustern folgt, will sich beim Leser das gewünschte Gefühl von Empörung und Mitleid nicht recht einstellen.

Aber die Verfasserinnen legen ordentlich nach: Just wird Kincaid mit einem bisher unbekannten Sprössling konfrontiert. Selbstverständlich hat er sich als Vater nicht mit Ruhm bekleckert, was nach dem Willen der Autorinnen peinigende Rückblenden und die erneut ausführliche Schilderung einer allmählichen Annäherung sowie der damit verbundenen Seelennöte rechtfertigt.

Weiterhin in der Schwebe ist die On/Off-Beziehung zwischen Kincaid und Joe Frye, was beim Stand Band 9 nun wirklich lächerlich ist aber vom Publikum offenbar so gewünscht wird, das weiterhin mit diesen beiden Königskindern, die einfach nicht zueinander kommen können, mitbarmen möchte.

Hinzu kommt Amy, deren Schicksal sicherlich dem letzten hartgesottenen Leser die Tränen in die Augen treibt: Mutter verschollen, vermutlich ermordet; Vater ein Säufer und Schläger; Pflegemutter wirr im Kopf & tot im Bett. Zu allem Überfluss machen sich jetzt auch noch Geister in ihrem geplagten Schädel breit, denen eine Psychologin gütig aber verschwommen hinterher forscht.

Als Dreingaben gibt’s noch den einsamen Polizisten Shockey, der ebenfalls sein Familienleben versaut hat, wie er wiederum seitenstark zu Protokoll geben darf, und Margi, derzeitige Sandsack-Freundin des fiesen Owen Brandt, die uns selbstredend auch ihre traurige Biografie erzählt. Im Hintergrund aber per Telefon präsent bleibt dieses Mal Mel Landete, obwohl in dieser Menge gepeinigter Seelen ein zusätzlicher armer Tropf gar nicht auffallen würde.

|Finales Durcheinander ersetzt Erzählstruktur|

Irgendwann merken unsere Autorinnen, dass die Seite 400 nahe und der Kriminalfall keinen Schritt weitergekommen ist. Also setzen sie diesbezüglich zu einer Art Endspurt an. Owen Brandt, bisher ein redneckiger Kretin und Maulheld, mutiert zum messerschwingenden Amokläufer, der fast sämtliche Hauptfiguren (sowie die Logik) niedersticht, was aber beim Zielpublikum dieses Romans als ‚Action‘ durchgehen mag.

Damit es mit dem Faktor Bedrohung klappt und der Erzählkreis sich schließt (bzw. übers Knie gebrochen werden kann, bis er sich irgendwie rundet), treffen sämtliche Beteiligten schließlich auf der Brandt-Farm zusammen, die abermals als Geisterhaus mit 1001 geheimen Luken und Verstecken herhalten muss. Anschließend stolpert man möglichst unüberlegt durch das Gelände, um dem schnaubenden Brandt vor die Klinge zu geraten.

Das Ende kommt gewaltreich, aber dann wird es wieder versöhnlich. Schließlich müssen noch diverse lose Fäden ’spannend‘ in das lockere Plot-Gewebe eingewoben werden. Offene Fragen bezüglich des Kriminalfalls werden immerhin beantwortet, offene Beziehungen bleiben weiterhin konserviert, denn auch in den folgenden Serien-Bänden sollen wieder Hände gerungen und Tränen zerdrückt werden. Im Zeitalter der Plattbrunst-Vampire und „Romantic Thriller“ könnte dieses Konzept auch in Deutschland funktionieren und P. J. Parrish genug Leser/innen finden, um die neuen sowie – Gott bewahre, aber der hält sich der Bestseller-Hölle schlau fern – womöglich die früheren Bände der Serien zur Erscheinung zu bringen.

_Autorinnen_

Hinter dem Pseudonym „P. J. Parrish“ verbergen sich – nicht sehr intensiv, da sie dieses ‚Geheimnis‘ u. a. auf ihrer Website lüften – die Schwestern Kristy Montee und Kelly Nichols, geboren in Detroit im US-Staat Michigan.

Kristy, die Jüngere, arbeitete zunächst in ihrer Heimatstadt für eine Vorort-Zeitschrift, wo sie die „Seiten für die Frau“ betreute. Diesem Job blieb sie treu, als sie 1972 zum „Sun-Sentinel“ nach Fort Lauderdale wechselte.

In ihrer Freizeit schrieb Kristy vier Liebesromane, die veröffentlicht wurden. Nachdem sie ihren Job verloren hatte, wechselte sie auf Anraten ihres Agenten zum Kriminalroman. Sie tat sich mit ihrer Schwester Kelly zusammen, die in der Spielcasino-Szene tätig gewesen war und sich nach ihrer Scheidung ebenfalls aber erfolg- bzw. verlegerlos als Autorin von Lovestorys versucht hatte.

Die Zusammenarbeit brachte im Jahre 2000 „Dark of the Moon“, den ersten Roman einer Serie um den Kriminalpolizisten Louis Kincaid hervor, dessen Privat- und Liebesleben – hier ließ das Verfasser-Duo mit sicherem Blick auf das weibliche Publikum die Schmalzpresse weiterlaufen – mindestens ebenso turbulent und problematisch ist wie sein Job.

Kristy Montee lebt mit ihrer Familie weiterhin in Fort Lauderdale, während Kelly Nichols nach Michigan zurückgekehrt ist, wo sie in bzw. am Houghton Lake lebt.

|Taschenbuch: 479 Seiten
Originaltitel: South of Hell (New York : Pocket Star Books/Simon & Schuster 2008)
Übersetzung: Charlotte Breuer u. Norbert Möllemann
ISBN-13: 978-3-426-50108-5|
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Agatha Christie – Alter schützt vor Scharfsinn nicht

Zwei pensionierte Geheimagenten stoßen auf eine geheime Botschaft, die ein altes Verbrechen anprangert; neugierig will das Paar dieses Rätsel lösen, doch das Stochern in der Vergangenheit macht jene nervös, die genau dies fürchten … – Dieses Spätwerk zeigt die „Queen of Crime“ nicht in Hochform; zwar ist der Plot sauber geknüpft, doch die Umsetzung fällt ungewöhnlich geschwätzig aus und bleibt ohne Höhepunkt: eher eine philosophische Reflexion als ein (spannender) Kriminalroman.
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Anderson, Kevin David/Stall, Sam – Nacht der lebenden Trekkies, Die

_Das geschieht:_

Nachdem er in Afghanistan mit seinen Männern in einen Hinterhalt geriet, ist Ex-Soldat Jim Pike mit den Nerven am Ende. Längst ist er aus dem Militärdienst ausgeschieden; nie wieder will er Verantwortung übernehmen und hat deshalb als Mädchen für alles im Botany Bay Hotel in Houston, US-Staat Texas, angeheuert, wo er wie erhofft eine ruhige Kugel schieben kann.

Aktuell geht es im Hotel freilich turbulenter als sonst zu. Es wurde für den „Golf-Con“, eine „Star-Trek“-Convention, gemietet. 3000 Wochenendgäste werden erwartet, von denen die meisten in den Kostümen und Masken ihrer Lieblings-TV-Serie/n auftauchen werden.

Während die ersten Gäste eintreffen, braut sich nicht weit entfernt Unheil zusammen: In einer geheimen Militärbasis kommen außerirdische, ungemein aggressive Parasiten frei, die Menschen befallen, töten und in Zombies verwandeln, die dem Willen einer Kollektiv-Intelligenz unterworfen sind. Ihr Primärziel ist die Schaffung neuer Wirtskörper und damit die Ausbreitung der Kreatur, die sich im infizierten Körper durch die Ausbildung eines dritten Auges bemerkbar macht. Die Untoten ‚vermehren‘ sich bzw. übertragen den Parasiten, indem sie ihre Opfer beißen.

Schnell wird Houston von Zombies überrannt. Auch im Botany Bay Hotel merkt man, dass etwas Ungewöhnliches vorgeht. Da die Besucher einer Convention sich schon normalerweise merkwürdig verhalten, dauert es eine Weile, bis sich der Verdacht zur Gewissheit verdichtet. Bald treiben Zombies auf den Gängen und in den Zimmern ihr Unwesen. Pike muss alte Soldatentugenden wiederbeleben, zumal irgendwo in dem riesigen Hotel seine jüngere Schwester Rayna steckt. Zusammen mit einigen Gefährten und bewaffnet mit klingonischen und vulkanischen Hieb- und Stichwaffen nimmt Pike den Kampf gegen die Untoten entschlossen auf …

_Der Untote als ultimativer Eindringling_

Gibt es eigentlich langweiligere Ungeheuer als Zombies? In der klassischen Romero-Version sind sie langsam und dumm, aber selbst besser zu Fuß bleiben sie hässlich, gefräßig und stur. Vor allem in der reinen Masse werden sie gefährlich, während man sie einzeln durch das gezielte Zertrümmern des Schädels ausschalten kann.

Damit sind die beiden Eckpfeiler des typischen Menschen-gegen-Zombie-Dramas definiert. Sie stehen eng zusammen, denn im Grunde dreht es sich darum, dass Partei II – die Zombies – Partei I – die Menschen – fressen will, was Partei I zu verhindern und Partei II zu dezimieren versucht. Dabei kommen Waffen jeder Art und Größe ins Spiel und zum Einsatz, was den ohnehin hohen Ekel-Faktor noch einmal nach oben treibt.

Hauptsächlich sind Zombies attraktiv, weil sie tot sind. Je nachdem, wie lange dies der Fall ist oder wie arg sie vor ihrer Wiederkehr verletzt wurden, sehen sie hübsch hässlich aus: verwesende Mumien, denen in der Regel Körperteile fehlen. Als wandelndes Memento Mori erinnert der Zombie den Menschen daran, wie es ihm nach dem Tod ergehen wird. Normalerweise schützt ein möglichst tiefes Grab vor der unmittelbaren Erkenntnis. Diese Grenze überschreitet der Untote, der sich um die Wahrung persönlicher Distanz nicht schert.

|Zombie-Dienst nach Vorschrift|

Darin erschöpft sich freilich das Potenzial der Untoten. Wer wüsste dies besser als George A. Romero, der ihnen in (bisher) sechs Filmen ein Denkmal gesetzt und ihre Untiefen ausgelotet hat? Daher steht fest, dass er spätestens in „Dawn of the Dead“ und damit bereits im zweiten Teil dieses Sextetts alles Relevante zum Thema gesagt hatte; hinzu kam nur noch die angedeutete, aber nie wirklich ausgeführte intellektuelle Wiedergeburt der Zombies.

Stattdessen torkeln, stöhnen und beißen sie sich bis auf den heutigen Tag tumb durch alle Medien der modernen Unterhaltung. Aktuell sind sie wieder ganz groß da. Ihre natürlich vorgegebenen Limitierungen – Leichen sind einfach nicht lebhaft – konnten sie nicht überwinden. Vor genau diesem Dilemma stehen auch Kevin D. Anderson und Sam Stall, die nunmehr Zombies durch Texas toben lassen. Ihnen kamen exakt zwei Einfälle, um dem daraus resultierenden Gemetzel ein wenig Würze zu verleihen.

So sind diese Zombies außerirdischer Natur. Ihre Hirne werden von einem Kollektiv-Parasiten telepathisch zusammengeschaltet, was die Untoten als Schwarm funktionieren lässt. Nach außen wird dies – wenig logisch – durch ein drittes Auge symbolisiert, das den Zombies aus der Schulter oder dem Schädel wächst. Originell ist das nicht, und die Umsetzung erregt zusätzliches Stirnrunzeln, da sich die kollektive Intelligenz mal raffiniert und dann wieder stockdämlich verhält.

|Untot aber im Kostüm|

Idee Nr. 2 besteht darin, die Welt der Zombies mit den unendlichen Weiten des „Star-Trek“-Franchises in Kontakt zu bringen. Nicht einmal auf den ersten Blick mutet diese Vereinigung originell an. Was haben Trekkies und Zombies miteinander zu tun? Überhaupt nichts, was zu beweisen Anderson & Stall sicherlich unfreiwillig gelingt.

Faktisch spielt „Star Trek“ ohnehin keine Rolle – kaum verwunderlich, da das mächtige Franchise, dem nicht Originalität, sondern ausschließlich eine ausgeglichene Bilanz am Herzen liegt, eine konsequente Paarung sicherlich nicht geduldet hätte. Folgerichtig ist der „Golf-Con“ in Houston eine Veranstaltung ohne Beteiligung von „Star-Trek“-Darstellern. Die „Panels“ mit entsprechenden Auftritten sind jedoch das Salz in der Convention-Suppe. Dort darf selbst der Statist, der in der „klassischen“ Folge Nr. XY für zwei Sekunden die dritte Leiche links neben Captain Kirk mimte, auf eine Einladung als Ehrengast hoffen.

|Was nicht passt, wird nicht passend gemacht|

Somit geht es um ganz normale Zeitgenossen, die sich gern kostümieren und dabei von Zombies überfallen werden. Durchaus kenntnisreich wirken zwar die Blicke hinter die Kulissen einer Convention. Für Anderson & Stall (sowie ihre Verlage in den USA und in Deutschland) scheint jedoch die „Star Trek“/Zombie-Kombination DIE Sensation zu sein. Sie negieren, dass die Zombies so wie hier beschrieben auch den Jahreskongress einer Versicherungsgesellschaft sprengen könnten.

Die Handlung hat jedenfalls mit dem „Star-Trek“-Ambiente kaum jemals zu tun und bedarf seiner auch gar nicht: Menschen und Untote jagen einander auf die weiter oben beschriebene Weise durch ein Hotel. Dass sie „Star-Trek“-Kostüme tragen, ist zumindest den Zombies herzlich gleichgültig, und Splatter wird nicht faszinierender, weil die Opfer die Fantasie-Uniformen bekannter Fantasie-Figuren tragen. Nicht einmal der Titel ergibt einen (witzigen) Sinn: Anders als „Die Nacht der lebenden Toten“ bedeutet „Die Nacht der lebenden Trekkies“ überhaupt nichts. „Die Nacht der untoten Trekkies“ wäre einleuchtender gewesen. (Oder gelten Trekkies per se als lebende Tote?)

|Die üblichen Verdächtigen|

Ebenso aufgesetzt ist die „Star-Trek“-Affinität der Figuren. Unter den Kostümen und Masken kommen simple Archetypen zum Vorschein: der gebrochene aber in der Krise zu sich zurückfindende Held (Pike), die schöne (und leichtbekleidete) Frau an seiner Seite (Lea), die kleine Schwester als Objekt einer gefährlichen Rettung (Rayna), der schmucke aber schurkische Feigling/Verräter (Matt), der vom Fußabtreter zum Helden mutierende Nerd (Gary) sowie eine lange Kette weiterer bekannter Klischee-Gestalten.

Jim Pike, der gleich zwei „Star-Trek“-Helden (James T. Kirk und Christopher Pike) verkörpert, soll dem simplen Hit-&-Run-Geschehen Tiefe verleihen, indem er die bunte Convention-Welt der grau(sam)en Realität – hier symbolisiert durch das Reizwort „Afghanistan“, das zumindest den US-Leser nicht kaltlässt – gegenüberstellt. Auf dem Weg zurück zu Verantwortung und Heldentum zitiert Pike hin und wieder Grundwahrheiten aus Gene Roddenberrys hinterlassenem Schatz bedeutungsarmer Binsenweisheiten: Lerne mit „Star Trek“ für das Leben, soll dies wohl suggerieren.

Um „Die Nacht der lebenden Trekkies“ zutreffend charakterisieren zu können, muss man das hohle Werbe-Getöse (|“Die ultimative Star-Trek-Parodie“|) ignorieren sowie die Handlung von ihrer Maske trennen. Es bleibt ein ganz normaler, überraschungsarmer aber – immer dies ist eine Überraschung – routiniert geschriebener Horror-Roman.

_Autoren_

Um die Frage zu beantworten, ob Sam Stall ein „Autor“ ist, müsste dieser Titel präziser definiert werden. Er schreibt jene Bücher, die auf den Sonderverkaufs- und Ramschtischen im Eingangsbereich moderner Buch-Supermärkte ausliegen. Man liest sie eigentlich nicht, da sich ihr Informationsgehalt in engen Grenzen hält, sondern kauft sie als hoffentlich witziges (und kostengünstiges) Verlegenheitsgeschenk für Kollegen, die man kaum kennt, oder Verwandte, die man nicht mag. Von dieser Einweg-Literatur (über Hunde, Katzen, weise Schimpfworte, verhasste Idole oder die Cafeteria-Kultur des US-Staates Indiana) produziert Stall mehrere Titel jährlich.

Kevin David Anderson schreibt seit 2003 phantastische, gern ‚lustige‘ Kurzgeschichten, die in diversen Magazinen sowie online erschienen sind. „Night of the Living Trekkies“ ist sein erster Roman.

|Taschenbuch: 301 Seiten
Originaltitel: Night of the Living Trekkies (Philadelphia : Quirk Books 2010)
Übersetzung: Ronald M. Hahn
ISBN-13: 978-3-453-52855-0

Als eBook: ISBN-13: 978-3-641-06522-5|
[www.samstall.com]http://www.samstall.com
[www.kevindavidanderson.com]http://www.kevindavidanderson.com
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

_“Star Trek“ bei |Buchwurm.info|:_
[„Sternendämmerung“ (Star Trek) 673
[„Sternennacht“ (Star Trek) 688
[„Star Trek Voyager – Das offizielle Logbuch“ 826
[„Star Trek V – Am Rande des Universums“ 1169
[„Jenseits von Star Trek“ 1643
[„40 Jahre STAR TREK – Dies sind die Abenteuer …“ 3025
[„Star Trek Deep Space Nine: Neuer Ärger mit den Tribbles“ 4171
[„Star Trek Voyager: Endspiel 4441
[„Star Trek – Vanguard 1: Der Vorbote“ 4867
[„Star Trek – Titan 1: Eine neue Ära“ 5483
[„Star Trek – Next Generation: Tod im Winter“ 6051
[„Star Trek – Next Generation: Widerstand“ 6141
[„Star Trek – Next Generation: Quintessenz“ 6199
[„Star Trek: Deep Space Nine – Sektion 31 – Der Abgrund“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6378
[„Star Trek: Götter der Nacht“ (Destiny 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6622

Victor Gunn – Gute Erholung, Inspektor Cromwell!

Gunn Erholung Cover kleinEher widerwillig tritt Scotland-Yard-Inspektor Cromwell eine Erholungsreise nach Venedig an, die wie bei ihm üblich mit einem Mordfall endet, in den sich zu allem Überfluss ausländische Agenten einschalten … – Der 41. Cromwell-Fall spielt zwar im Ausland und versucht ‚moderne‘ Spannungselemente, ist aber ebenso altmodisch wie die meisten Bände dieser Serie und bietet solide, aufgrund ihrer Altbackenheit oft unfreiwillig komische Krimi-Kost.
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Robert Jackson Bennett: Mr. Shivers

In den 1930er Jahren verfolgt eine Gruppe verzweifelter Landstreicher einen Serienkiller; Hunger, Unwetter und das korrupte Gesetz erschweren die Jagd auf „Mr. Shivers“, der womöglich dämonischer Herkunft ist … – Vor historischem Hintergrund zeichnet der Autor das Bild einer US-Nation im Untergang, in das sich übernatürliche Elemente unheilvoll harmonisch einfügen. Land und Leute werden einprägsam geschildert; die Intensität eines Joe Lansdale oder Jack Ketchum geht Robert J. Bennett freilich (noch) ab.
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Ben Benson – Die Partie steht unentschieden

benson-partie-cover-kleinEin alter Briefmarkenhändler wird in seinem Haus ermordet. Die Staatspolizei stößt auf ein Geflecht von privaten und geschäftlichen Verbindungen, die den Verstorbenen traulich vereint mit Betrügern, Bankrotteuren & Blondinen zeigen … – Früher „Police-Procedural“-Krimi, der den Polizisten und seine Arbeit in den Mittelpunkt stellt. Dies ist auch heute spannend zu lesen; mit Nachsicht betrachten sollte man dagegen die zeitgenössischen Seitenhiebe gegen unabhängige Frauen, allzu selbstbewusste Jugendliche und andere potenzielle Unruhestifter.
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Mosse, Kate – Wintergeister

_Das geschieht:_

Frederick Watson ist ein unglücklicher Mann, als er im Dezember 1928 eine einsame Autofahrt durch das winterliche Südfrankreich unternimmt. Seit sein geliebter Bruder zwölf Jahre zuvor im Ersten Weltkrieg fiel, leidet er an Depressionen. Die Reise soll ihn auf andere Gedanken bringen, was nur bedingt funktioniert, bis Watson aufgrund eines Schneesturms in der Berglandschaft der Pyrenäen liegen bleibt.

Auf der Suche nach Hilfe kommt er in das Bergdorf Nulle, das außerhalb der Feriensaison in einen Winterschlaf gefallen ist. Watson wird einige Tage auf die Reparatur seines Autos warten müssen. Die freundliche Wirtin der kleinen Pension, in der er unterkommt, lädt Watson ein, an der „féte de Saint-Étienne“ teilzunehmen: Verkleidet erinnern die Bürger von Nulle an die bewegte Vergangenheit ihres Dorfes, das u. a. im Mittelalter den letzten Katharern Unterschlupf auf der Flucht vor den Häschern der katholischen Inquisition bot.

Da Watson sich langweilt, sagt er zu. In der Nacht verirrt er sich im Gewirr der Straßen und gerät in eine Gesellschaft, die er irrtümlich für die Feiernden der „féte“ hält. Watson unterhält sich gut und lernt die schöne Fabrissa kennen, in die er sich augenblicklich verliebt. Das Gefühl wird womöglich erwidert, doch bevor man sich näherkommen kann, dringen altertümlich gewandete Soldaten in den Festsaal ein. Ein Massaker beginnt, dem nur Watson und Fabrissa entkommen.

Kurz darauf verschwindet die junge Frau spurlos. Am nächsten Morgen will niemand von ihr oder dem Überfall wissen. Man hält Watson für geistig verwirrt, während dieser entschlossen das Dorf und seine Umgebung abzusuchen beginnt, um das Rätsel zu lösen und vor allem Fabrissa zu finden …

_Ist die Geschichte ein Fluss?_

Falls dieses bekannte Bild zutrifft, könnte es womöglich so präzisiert werden: Ein Fluss im Naturzustand strömt durchaus nicht geradlinig durch die Landschaft. Er dreht und windet sich, und nicht selten findet man sich flussabwärts der Quelle näher als der Mündung: Der Fluss hat seine Richtung geändert.

Kate Mosse geht davon aus, dass die Zeit ähnlich ungeordnet abläuft. Nicht räumliche Nähe, sondern emotionale Ausnahmezustände lassen die Entfernung zwischen Vergangenheit und Gegenwart schrumpfen, die Grenzen dünn oder sogar durchlässig werden. Damit schreibt die Autorin dem menschlichen Geist eine Kraft zu, die von der Wissenschaft geleugnet wird, während einfallsreiche Schriftsteller sich von dieser ebenso romantischen wie unheimlichen Vorstellung inspirieren ließen und lassen.

Mosse entscheidet sich, die Handlung als klassische Geistergeschichte zu erzählen. Sie wandelt auf den Spuren großer Vorbilder, die sie erwähnt, als sie Frederick Watson in einem Antiquariat auf Bücher von M. R. James und Algernon Blackwood stoßen lässt. Vor allem Blackwood hat immer wieder unternehmungslustige Engländer in abgeschiedene Regionen Europas geschickt und sie dort in gespenstische Umtriebe verwickelt.

|An Englishman in Old France|

Ebenfalls klassisch ist das Motiv: Sein Arzt hat Watson auf den Kontinent geschickt, der offensichtlich bessere Luft oder Kost bieten kann als die britischen Inseln. Unsere Geschichte ereignet sich 1928 (mit einer Rahmenhandlung, die fünf Jahre später spielt), als Europa noch reich an Orten war, die von der Zeit offenbar vergessen waren und ein sowohl anheimelnd altmodisches als auch latent bedrohliches Ambiente boten: Hinter traulichen Kulissen verbirgt sich das Böse besonders gern.

Selbstverständlich bildet Nulle keine Ausnahme. Mit ihrem vor allem in der ersten Buchhälfte ausgeprägten Sinn für Beschreibungen und Stimmungen beschwört Mosse eine Pyrenäen-Welt herauf, in der es quasi spuken muss. Wie es sich für eine zünftige Geistergeschichte gehört, beschränkt sich die Verfasserin zunächst auf Andeutungen. Lange fragen sich Watson und der Leser, ob die seltsamen Geräusche und Schatten, die stets ein wenig außerhalb des Gesichtsfeldes ertönen und tanzen, nur Einbildungen eines ohnehin unter Hirnstress leidenden Mannes sind.

Diese Ambivalenz wird durch die Unsicherheit der Hauptfigur unterstrichen, die als Fremder und Ausländer in eine isolierte und verschworene Dorfgemeinschaft quasi eindringt. Watson spricht die Sprache schlecht, die einheimischen Sitten und Gebräuche sind ihm unbekannt. Dies erschwert es ihm zusätzlich zu begreifen, wo Reales in Einbildung übergeht. Immerhin ermöglicht der Ausnahmestatus Watson, die eigentümliche Atmosphäre ewiger Trauer zu erfassen, die über Nulle hängt.

|Gewalt ist schrecklich zeitlos|

Auf eine gewisse Weise ist Nulle verflucht. Die Einwohner erkennen jedoch den Grund nicht. Mosse lässt ihre Geschichte 1928 spielen. Nur zwölf Jahre zuvor endete der „Große Krieg“, dessen Westfront sich vom Ärmelkanal bis zur Schweizer Grenze viele Kilometer durch Frankreich zog. In erbitterten Grabenkämpfen ließen die jungen Männer aller verbündeten und verfeindeten Nationen ihr Leben; ihre Zahl ging in die Millionen. Kaum eine Familie blieb verschont, sodass zu den an der Front Gefallenen ihre trauernden Hinterbliebenen kamen. Der Schock war tief, und die Erinnerungen blieben – auch in Nulle – quälend lebendig.

Frederick Watson war zu jung für die Front. Gezeichnet wurde er vom Krieg trotzdem; der Bruder starb, die Eltern kamen nicht über den Verlust hinweg. Die Zeche zahlte der überlebende und sich dafür schuldig fühlende Sohn, der schließlich zusammenbrach. Daraus resultiert eine psychische Verfassung, die beispielhaft für zahlreiche ‚kriegsneurotische‘ Zeitgenossen war.

Mosse investiert viel Mühe in den Versuch, ihren Lesern diese Tatsache nicht nur mitzuteilen, sondern unmissverständlich zu machen. Sie benötigt diese Erkenntnis, damit sie den Bogen zu einem weiteren schrecklichen Krieg schlagen kann, der ebenfalls vor allem sinnlose Opfer forderte. Die Parallele wirkt bemüht, weil Mosse vor allem das dramatische bzw. tragische Element der „Wintergeister“-Ereignisse hervorheben möchte. Tatsächlich ist sie unnötig und in ihrem aufdringlichen Moralisieren kontraproduktiv, denn es nimmt dem historischen Handlungsteil von „Wintergeister“ viel von seiner Eindringlichkeit. Eine Schilderung jener Vergangenheit, die sich auf Fabrissa und ihre unglücklichen Leidensgefährten konzentriert, wäre zweckdienlicher.

|Memento Mori einmal anders|

Vor dem Hintergrund des Œuvres der Kate Mosse wirkt „Wintergeister“ wie ein Nebenprodukt. Parallele Ereignisse in der südfranzösischen Vergangenheit und Gegenwart dramatisierte sie bereits in ihrer „Languedoc“-Serie (seit 2005), die auch in Deutschland veröffentlicht wird. Der Roman „Wintergeister“ basiert auf der Novelle „The Cave“, die Mosse ebenfalls 2009 veröffentlichte und den Engländer Freddie Smith ins Zentrum von Ereignissen stellt, die Frederick Watson sehr vertraut dünken würden …

Lässt man diese überflüssig anmutende Doppelung beiseite, beeindruckt „Wintergeister“ in erster Linie stilistisch. Der Plot fällt dagegen ab; er wirkt melodramatisch, sogar abgedroschen. Mosses Faszination für die Kultur der katharischen „Ketzer“ und ihr bitteres, historisch belegtes und Generationen von Schriftstellern inspirierendes Schicksal ist verständlich, aber sie überfrachtet die Geschichte mit ihren Reflexionen und Grübeleien über Trauer, Schuld & Erlösung, denen sie eine Lovestory aufpfropft, die sich nicht aus dem Geschehen entwickelt, sondern von der Autorin behauptet wird. Faktisch gibt der Plot einen Roman – und sei er auch recht kurzgefasst – einfach nicht her; eine Erkenntnis, die den von Mosse genannten Grusel-Meistern James und Blackwood sehr wohl bekannt war.

In der Kürze liegt manchmal in der Tat die Würze. Wer sich für (winterliche) Stimmung begeistern und Klischees ignorieren kann, wird die „Wintergeister“ dennoch spannend finden und sogar angerührt sein. Mosse arbeitet mit bekannten und bewährten Modulen, aber darin legt sie eine Routine an den Tag, dem bereits ein beachtlicher Unterhaltungswert innewohnt.

_Autorin_

Nachdem Kate Mosse, geboren am 20. Oktober 1961 in der englischen Grafschaft Sussex, Anfang der 1990er Jahre zwei Sachbücher veröffentlicht hatte, debütierte sie 1996 mit dem Roman „Eskimo Kissing“, dem sie zwei Jahre später den Zeitreise-Thriller „Cruzifix Lane“ folgen ließ.

2005 erschien „Labyrinth“ (dt. „Das verlorene Labyrinth“), ein Roman, an dem Mosse nach eigener Auskunft zehn Jahre gearbeitet hatte. Er beschreibt auf zwei Handlungsebenen die Abenteuer der im südfranzösischen Languedoc arbeitenden Archäologin Alice Tanner, deren Existenz durch ein geheimnisvolles Buch gefährlichen Inhaltes mit dem Leben der jungen Alais verknüpft wird, die es acht Jahrhunderte zuvor hütete. „Labyrinth“ wurde in seiner gefälligen Mischung aus (gut recherchierter) Historie, Mystery und dramatischem Frauenschicksal weltweit zu einem Bestseller, der 2007 fortgesetzt und 2011 zur „Languedoc“-Trilogie ausgebaut wurde.

Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit stellt Mosse für die BBC und in einer eigenen Fernsehsendung Schriftsteller und ihre Werke vor. Sie schreibt Kolumnen und Artikel für diverse Magazine und Zeitungen. 1996 wurde Mosse Mitbegründerin des „Orange Broadband Prize for Fiction“, der jährlich für den besten in englischer Sprache von einer Frau geschriebenen Roman ausgeschrieben wird.

Mit ihrem Gatten Greg rief Kate Mosse in ihrem Heimatort 2007 das Chichester Writing Festival in West Sussex ins Leben. Beide lehren kreatives Schreiben am ebenfalls nahe Chichester gelegenen West Dean College. Wenn das umtriebige Paar nicht in Chichester aktiv ist, lebt und arbeitet es in seinem Haus im französischen Carcassonne.

|Gebundenes Buch: 221 Seiten
Originaltitel: The Winter Ghosts (London : Orion 2009)
Übersetzung: Ulrike Wasel u. Klaus Timmermann
ISBN-13: 978-3-426-19890-2|
[www.droemer.de]http://www.droemer.de
[www.katemosse.com]http://www.katemosse.com

_Kate Mosse bei |Buchwurm.info|:_
[„Das verlorene Labyrinth“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1650]
[„Das verlorene Labyrinth“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1976