Alle Beiträge von Michael Drewniok

MacDonald, William Colt – Trommeln des Teufels, Die

_Das geschieht:_

Texas um 1885: Im Clarin County unweit der Grenze zu Mexiko stoppt auf offener Strecke ein Zug der „Texas Northern & Arizona Southern Railroad Company“. Auf Anweisung des Direktors wird ein Teil der Ladung gelöscht. Wenig später ist die Fracht geraubt, die Fuhrleute sind erschossen. Die Beute: Früchte und Marmelade in Dosen.

In El Paso macht sich Eisenbahn-Detektiv Gregory Quist auf den Weg nach Clarion City, um für seine Gesellschaft dieses Rätsel zu lösen. In der kleinen Stadt gärt es; Wyatt Thornton und Judd Lombardy, die beiden reichsten Rancher im Clarin County liegen im erbitterten Streit, der auch die Bürgerschaft von Clarion City einbezieht und spaltet. Gerade wurde Lloyd Porter, Gatte von Thorntons Tochter Kate, mit zerschossenem Schädel aufgefunden; man munkelt, die ob seiner ständigen Fremdtändeleien erzürnte Kate habe persönlich zur Schrotflinte gegriffen. Aber die Zahl der Verdächtigen ohne Alibi wächst dank der allgemeinen Unbeliebtheit des Verblichenen schnell; selbst der Sheriff muss sich hier einreihen.

Quist muss ohne Rückhalt ermitteln, da er nicht weiß, wem er trauen kann. Die Gefahr für Leib und Leben steigt, als er herausfindet, was tatsächlich aus dem Zug gestohlen wurde. Während er Indizien sammelt und Zeugen verhört, hält er den Revolver stets griffbereit; eine Vorsichtsmaßnahme, die sich schon bald und dann immer wieder bewährt …

_Krimi-Western oder Western-Krimi?_

Ein Kriminalroman spielt im Wilden Westen! Das klingt zunächst ungewöhnlich, was sich allerdings schon nach kurzem Nachdenken ändert: Wieso sollte gerade der US-amerikanische Mittelwesten des 19. Jahrhunderts vom Verbrechen ausgeschlossen bleiben? Gestohlen und gemordet wurde dort auch ohne die Überspitzung durch Film- und Fernseh-Western reichlich.

Was den Zweifler tatsächlich irritiert, ist ein Mann wie Gregory Quist in einer Welt, der aus heutiger Sicht das Gesetz und seine Durchsetzung im Rahmen einer organisierten Verbrechensbekämpfung weitgehend abgingen. Der Westen galt auch deshalb als wild, weil er sich als rechtsfreier Raum darstellte. „Law West of the Pecos“, stand auf dem Schild, das Richter Roy Bean (1825-1903) auf dem Dach einer schäbigen Hütte befestigte, die gleichzeitig Saloon und Gerichtsgebäude darstellte. Faktisch vertrat Bean das Recht im texanischen Pecos County und damit in einem Umkreis von mehr als 300 Kilometern. Marshals und Sheriffs waren keine ausgebildeten Kriminologen, sondern primär Ordnungshüter. Wo auch sie nicht zur Stelle waren, nahmen die Bewohner des Westens das Recht mit blanker Waffe und festem Strick selbst in die Hand.

Aber den Pionieren folgte so schnell wie möglich das Recht. Bis es so weit war, beschäftigten die Eisenbahngesellschaften eigene Detektive. Ab 1850 konnte man die Detektive der Pinkerton-Agentur anheuern und in Texas in der Strafverfolgung ab 1823 auf die Texas Ranger zurückgreifen. Mit einem Fragezeichen muss das Fachwissen dieser Männer markiert werden, doch das war im 19. Jahrhundert nicht nur im Wilden Westen so.

_Erfahrung und gesunder Menschenverstand_

Folgerichtig ist Gregory Quist als Kriminologe vor allem Autodidakt. Was er über Sichtung und Auswertung von Indizien weiß, hat er sich selbst beigebracht. Grundsätzlich beherrscht Quist sein Handwerk, auch wenn er es auf eine rustikale, der rauen Umgebung angepassten Weise ausübt. Im Mittelwesten geht die Suche nach Spuren immer mit einem anstrengenden Pferderitt durch ein weites und gefährliches Land einher. Quist kann nicht wie sein Zeitgenosse Sherlock Holmes nach dem Frühstück einen Fall lösen und rechtzeitig zum gemütlichen Abendmahl zurück im trauten Heim sein. Er ist Detektiv und Westmann, was einen besonderen Charakter hervorbrachte: Quist ist kein weltfremder Kopfmensch; das kann er sich in seinem Umfeld nicht leisten. Seine Fähigkeit, mit einem Colt umzugehen, ist ebenso ausgeprägt wie sein Verstand.

Das ist doppelt wichtig in einem Land, dessen raue Bewohner Zeugenvernehmungen verabscheuen. Der Westerner lässt sich ungern ausfragen, und er reagiert erst recht aufbrausend, wenn er der Lüge bezichtigt wird. Wie damit aus kriminologischer Sicht produktiv umzugehen ist, belegt Quist auf recht gefährliche Weise: Er reizt unwillige Zeugen, bis sie zum Colt greifen, aber gleichzeitig ihre Zurückhaltung vergessen und redselig werden.

_Guter Wein im neuen Schlauch_

Die alten bzw. bewährten Spannungselemente des Krimis im exotischen Ambiente des Westerns zu erleben macht Freude, wenn die Elemente so geschickt und gleichzeitig unauffällig wie hier gemischt werden. Autor MacDonald sitzt fest in den Sätteln beider Genres, wenn man es – dem Anlass angemessen – ein wenig bildhaft ausdrücken möchte. ‚Sein‘ Texas gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeichnet er mit exakt so vielen Strichen wie nötig, um der gut geplotteten und routiniert aber unterhaltsam entwickelten Handlung ihren Rahmen zu geben. Mit Fakten geizt MacDonald; sie sind einerseits nicht notwendig, während er andererseits durchaus Realität ins Geschehen einfließen lässt. So ist die Feindschaft zwischen großen Ranches, die sich in blutigen „Weidekriegen“ entladen konnte, historisch verbürgt. Stimmungsvolle Landschaftsbeschreibungen runden das positive Urteil über einen sicherlich nicht anspruchsvollen aber spannenden ‚Western-Krimi‘ ab.

_Autor_

Allan William Colt MacDonald (1891-1968), geboren in Detroit (US-Staat Michigan), war ein bekannter Autor von Western-Romanen, der außerdem zahlreiche Drehbücher für Hollywood schrieb. Berühmt wurde er mit seinen „Three Mesquiteers“, drei verwegenen Haudegen, die im Stil der berühmten „Drei Musketiere“ von Alexandre Dumas in allerlei aufregende und actionbetonte Abenteuer verwickelt werden, was die Serie auch für das Kino interessant machte. 1933 entstand eine 12-teilige „Three Mesquiteers“-Serie, in der ein junger, noch unbekannter John Wayne die D’Artagnan-Rolle übernahm.

1954 begann MacDonald eine letztlich siebenteilige Serie um den Eisenbahn-Detektiv Gregory Quist, der im Geiste eines Sherlock Holmes Kriminalfälle im Western-Milieu löst und die unterhaltsam und nicht besonders anspruchsvoll aber gekonnt historische Fakten, Western-Ambiente und Elemente des klassischen Krimis mischt.

Die Gregory-Quist-Serie:

(1954) Mascarada Pass
(1955) Destination Danger (dt. „Der Mann aus El Paso“) – GATB* A 22
(1955) The Comanche Scalp (dt. „Der Skalp des Comanchen“) – GATB A 14
(1956) The Devil’s Drum / Hellgate (dt. „Die Trommeln des Teufels“) – GATB A 17
(1958) Action at Arcanum
(1961) Tombstone for a Troublemaker
(1964) The Osage Bow / Incident at Horcado City

* Goldmann Abenteuer-Taschenbuch

_Impressum_

Originaltitel: The Devil’s Drum (Philadelphia : J. B. Lippincott Company 1956)
Übersetzung: Hans-Ulrich Nichau
Deutsche Erstausgabe: 1968 (Wilhelm Goldmann Verlag/Goldmann Abenteuer-TB A 17)
189 Seiten
[keine ISBN]
http://www.goldmann-verlag.de

Lindqvist, John Ajvide – Menschenhafen

_Das geschieht_

Die Insel Domarö liegt in der schwedischen Ostsee. Früher lebten hier vor allem Fischer, aber inzwischen bringen die Sommerurlauber vom Festland das meiste Geld. Die Einheimischen lieben sie nicht und bleiben am liebsten unter sich, zumal sie ein düsteres Geheimnis hüten.

Zwischen den Lagern steht Anders Ivarsson. Sein Vater stammt von Domarö, und seine Großmutter lebt noch immer hier. Bis zum Februar 2004 war Anders ein glücklicher Mann – verheiratet mit seiner Jugendliebe Cecilia und Vater der sechsjährigen Maja. Bei einem Winterspaziergang über das Meereseis zum Leuchtturm von Gåvasten verschwand das Kind spurlos vor den Augen der entsetzten Eltern.

Den Verlust von Maja hat vor allem Anders nie verwunden. Er begann zu trinken, und Cecilia trennte sich von ihm. In seiner Not kehrt Anders auf die Insel zurück, um seiner toten Tochter nahe zu sein. Großmutter Anna-Greta und ihr Lebensgefährte, der Zauberkünstler Simon, nehmen ihn herzlich auf.

Doch Anders findet keinen Frieden. Seltsame Träume und Visionen suchen ihn heim. Er beginnt zu glauben, dass Maja noch lebt und um Rettung fleht. Auf Domarö ereignen sich seltsame Vorfälle. Seltsame Akte sinnloser Gewalt verstören die Inselbevölkerung, die durchaus ahnt, was da vorgeht, wie Anders herausfindet. Vor vielen Jahren wurde ein Pakt mit einer mysteriösen Macht im Meer geschlossen. Auch Maja fiel ihr zum Opfer; für Anders ein Grund, der Kreatur den Kampf anzusagen. Die Herausforderung wird angenommen und stürzt die Menschen von Domarö ins Grauen: Die Toten kehren aus dem Meer zurück, und sie sind unbarmherzig in ihrem Zorn …

_Schöne Insel mit hässlicher Geschichte_

Wer Schubladen liebt, sortiert auch seine Lektüre gern entsprechend. „Phantastik“ klingt vielversprechend und kündigt Überraschungen an, die buchstäblich jenseits unserer Realexistenz beheimatet sind. Leider zeigt genau dieser Aspekt im Horror der Gegenwart gewaltige Defizite. In der Regel werden alte und viel zu gut bekannte Pfade eingeschlagen. Wir kennen die Kreaturen der Nacht und wissen, wie sie sich verhalten werden. Auch das kann spannend sein, ist es aber meist nicht, weil sich gleich ein Heer weder talentierter noch inspirierter Autoren auf die Ausbeutung längst ausgelaugter Ideen-Minen beschränkt.

John Ajvide Lindqvist ist an sich kein Neuerer des Genres. Auch er bedient sich klassischer Gruselfiguren. In „So finster die Nacht“ war es der Vampir, in „So ruhet in Frieden“ der Zombie. In „Menschenhafen“ ist es das namenlose Grauen aus dem Meer. Allerdings bringt Lindqvist frischen Wind in nur scheinbar erstarrte Konventionen. Die Schrecken der Vergangenheit sind durchaus noch gegenwartstauglich. Lindqvist bringt sie ins 21. Jahrhundert. Das gelingt ihm mit „Menschenhafen“ besser denn je.

_Schrecken sickert in die Welt ein_

Er bedient sich dabei einer Methode, die unter anderem Stephen King meisterhaft beherrscht, an der dessen Epigonen jedoch in der Regel scheitern: Das Grauen benötigt Zeit, bekannte Gesichter sowie jenes (trügerische) Gefühl von Sicherheit, das sich aus alltäglicher Routine speist. Zunächst werden Schauplatz und vor allem Figurenpersonal geschildert und entwickelt. Als die Finsternis über Domarö kommt, haben wir die Insel und ihre Bewohner trotz oder gerade wegen ihrer Eigenheiten liebgewonnen. Wenn sie das Verhängnis einholt, nehmen wir Anteil. Solche Emotionen lassen sich keinesfalls einfach wecken. Ein Schriftsteller muss sein Handwerk beherrschen, um diesen Effekt zu erreichen. Lindqvists dimmt in „Menschenhafen“ den Horror auf einen eher diffusen Schauer und legt das Schwergewicht auf Figurenzeichnung, Atmosphäre und Landschaftsbeschreibungen.

In diesen drei Punkten leistet Lindqvist Bemerkenswertes. Selbst dem auf Monster und Blutspritzereien geeichten Horrorfreund dürfte „Menschenhafen“ gefallen. Domarö wird im Guten wie im Bösen ein Ort, der vor dem inneren Auge Gestalt annimmt. Lindqvist gönnt sich den Luxus, die (scheinbare) Zentralgeschichte immer wieder auszusetzen. Stattdessen erzählt er vom Alltag auf einer kleinen Insel und den Erlebnissen ihrer Bewohner. Historische Rückblicke und naturwissenschaftliche Einschübe mischen sich mit Anekdoten, wobei der chronologische Zusammenhang nicht gewahrt bleibt. Mit fortschreitender Handlung wird der Leser zwischen diesen Zeilen unheilvolle Ankündigungen und Hinweise auf zukünftiges Unheil erkennen.

_Realität und Verzweiflung_

„Menschenhafen“ ist ein seltsamer Buchttitel. Er wurde ausnahmsweise korrekt übersetzt, d. h. vom Original übernommen. Faktisch kündigt er an, was geschehen wird bzw. die eigentliche Geschichte darstellt. Domarö ist der Hafen. Er wird zum Kristallisationspunkt für das Grauen aus dem Meer, das sich im Kampf mit seinen Gegnern auf dessen menschliche Schwächen verlassen kann.

Dieses Grauen verblasst vor dem realen Entsetzen, das der Zerfall einer ganz normalen Familie ausstrahlt. Die Liebesgeschichte von Anders und Cecilia wird so nachdrücklich eingeführt, dass sie nach den Gesetzen des Trivialromans den Prüfungen der Zukunft standhalten müsste. Auf dieses ausgefahrene Gleis lässt sich Lindqvist glücklicherweise nicht locken. Lange besteht der Schrecken von „Menschenhafen“ darin, dass wir gezwungen werden, Anders‘ Schmerz zu teilen.

Als der Verdacht aufkeimt, dass Maja noch lebt, klingt dies höchstens dem Vater hoffnungsfroh in den Ohren. Der Leser weiß bereits, dass Majas Wiederkehr furchtbar werden könnte. Den wahren Grund weiß Lindqvist freilich geschickt zu verschleiern. Seine Enthüllung deckt gleichzeitig eine zentrale Lebenslüge von Anders auf. Dass diese nicht im Klischee versinkt, sondern tatsächlich Betroffenheit hervorruft, spricht abermals für das Talent des Verfassers.

Zu den Hauptfiguren gehören nebens Anders seine Großmutter und ihr Partner Simon. Anna-Greta wird zur ‚Kontaktperson‘ zwischen Domarös mysteriöser Vergangenheit und gestörter Gegenwart. Simon verkörpert einerseits den ‚Auswärtigen‘, während er andererseits – auch durch seine Erfahrungen als Bühnenmagier – objektiver im Umgang mit dem Unerklärlichen ist.

_Das Meer als namenlose Kraft_

Außerdem ist Simon auf seine Weise mit dem Meer als gesichtslose aber reale Wesenheit vertraut. Der „Spiritus“, eine willenlose und mächtige Teil-Verkörperung dieses Meeres, verleiht ihm die Kraft eines echten Zaubermeisters. Das scheinbare Privileg erweist sich mit den Jahren als zwiespältiges und in der Anwendung gefährliches ‚Geschenk‘, dem Simon manche unerwünschte Erkenntnis verdankt.

Das Meer als Monster bleibt dem Leser von „Menschenhafen“ erspart. Man erahnt es höchstens im übertragenen Sinn aus dem Augenwinkel. Selbst seine Verkörperungen bleiben ohne ‚logische‘ Erklärungen. Das Seltsame geschieht und wird geschildert. Die Deutung bleibt dem Leser überlassen; der Autor gibt nur Hinweise. Das steigert die Ratlosigkeit und den Schrecken, die der Leser mit den Menschen von Domarö teilt.

Erst im Finale wird Lindqvist deutlicher, aber auch jetzt meidet er allzu offensichtliche und abgedroschene Effekte. Beinahe ertappt sich der Leser bei dem Gedanken, dass „Menschenhafen“ auch ohne Horror funktionieren, unterhalten und fesseln würde. Bedenkt man, wie bravourös der Autor Emotionen wie Liebe, Trauer oder Zorn vermitteln und dabei Spannung mit knochentrockenem Humor zu mischen vermag, überrascht dies nicht. Mit „Menschenhafen“ hat Lindqvist bewiesen, dass der ‚europäische‘ Horror kein Abziehbild US-amerikanischen Grusel-Mainstreams sein muss. Für den Beweis, dass dies gelingen kann, aber noch mehr für eine außergewöhnliche Geschichte kann man ihm dankbar sein.

_Der Autor_

John Ajvide Lindqvist wurde 1968 in Blackeberg, einem Vorort der schwedischen Hauptstadt Stockholm, geboren. Nachdem er schon in jungen Jahren als Straßenmagier für Touristen auftrat, arbeitete er zwölf Jahre als professioneller Zauberer und Comedian.

Sein Debütroman „Låt den rätte komma“ (dt. „So finster die Nacht“), eine moderne Vampirgeschichte, erschien 2004. Bereits 2005 folgte „Hanteringen av odöda“ (dt. „So ruhet in Frieden“), ein Roman um Zombies, die in Stockholm für Schrecken sorgen. „Pappersväggar“ ist eine Sammlung einschlägiger Gruselgeschichten. Lindqvist schreibt auch Drehbücher für das schwedische Fernsehen. Das prädestinierte ihn dafür, das Script für die erfolgreiche Verfilmung seines Romanerstlings zu verfassen, die 2008 unter der Regie von Tomas Alfredson entstand.

Als Buchautor ist Lindqvist in kurzer Zeit über die Grenzen Schwedens hinaus bekannt geworden. Übersetzungen seiner Werke erscheinen in England, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Polen und Russland.

_Impressum_

Originaltitel: Människohamn (Stockholm : Ordfront Förlag 2008)
Übersetzung: Paul Berf
Deutsche Erstausgabe: Mai 2009 (Lübbe Verlag/Paperback)
556 Seiten
EUR 14,95
ISBN-13: 978-3-7857-6006-2
http://www.luebbe.de

Als Hörbuch: Mai 2009 (Lübbe Audio)
6 CDs, gelesen von Sascha Rotermund
439 min
EUR 19,95
ISBN-13: 978-3-7857-3828-3
http://www.luebbe-audio.de

_Mehr von John Ajvide Lindqvist auf |Buchwurm.info|:_

[„So finster die Nacht“ 5218
[„So ruhet in Frieden“ 5364

Fritz Leiber – Hexenvolk

Ausgerechnet eine Universität wird zum Stützpunkt eines Hexenclubs, der seine Privilegien mit tödlichen Flüchen zu sichern weiß. Ein junger Professor und seine Frau bekämpfen die Zauberfrauen mit ihren eigenen Mitteln … – Nach über einem halben Jahrhundert wirkt dieser phantastische Klassiker ungemein frisch. Spannend und überzeugend bringt Leiber das Thema in die Gegenwart: Qualitäts-Horror für Leser, die vom Genre mehr als scheinbrünstige Vampirchen fordern. Fritz Leiber – Hexenvolk weiterlesen

De Camp, L. Sprague / Carter, Lin / Nyberg, Björn – Conan der Schwertkämpfer

_Das geschieht:_

Sieben Geschichten schildern Episoden aus den Jugendjahren des Barbaren Conan, der sein Glück als Söldner, Pirat oder Dieb versucht und meist nur blutige Wunden und böse Erfahrungen erntet, was ihn aber nie davon abhält, sich umgehend in neue Abenteuer zu stürzen:

– |L. Sprague de Camp: Vorwort|, S. 13-22

– |Lin Carter/L. Sprague de Camp: Legion der Toten (Legions of the Dead)|, S. 23-54: Conan schließt sich im nördlichen Königreich Hyperborea einem verzweifelten Stammesfürsten an, der seine Tochter aus der Festung einer Hexenkönigin befreien will …

– |Björn Nyberg/L. Sprague de Camp: Das Volk des Gipfels (People of the Summit)|, S. 55-76: Als Söldner im Heer des Königs von Turan flüchtet Conan nach einem fatal geendeten Einsatz in die berüchtigten Nebelberge, wo er vom Regen in die Traufe, d. h. wieder einmal in den Bann unheimlicher Mächte gerät …

– |Lin Carter/L. Sprague de Camp: Schatten in der Finsternis (Shadows in the Dark)|, S. 77-118: In Begleitung eines Diebes und eines Zauberers will General Conan den Herrscher von Khoraja aus der Gefangenschaft befreien …

– |Lin Carter/L. Sprague de Camp: Der Stern von Khorala (The Star of Khorala)|, S. 119-160: Eigentlich will Conan der schönen Königin von Ophir für einen guten Finderlohn einen kostbaren Ring zurückgeben, doch er gerät stattdessen in eine Palastintrige …

– |Lin Carter/L. Sprague de Camp: Das Juwel im Turm (The Gem in the Tower)|, S. 161-198: Conan ist unter den Besatzungsmitgliedern eines Piratenschiffs, die in den Schwarzen Königreichen den Turm eines Zauberers plündern wollen, der sich solcher Eindringliche auf schreckliche Weise zu erwehren weiß …

– |Lin Carter/L. Sprague de Camp: Die Elfenbeingöttin (The Ivory Goddess)|, S. 199-232: Im Königreich Punt versucht Conan, abergläubische Gottesanbeter um ihren Tempelschatz zu betrügen, was auf gänzlich unerwartete Weise spektakulär scheitert …

– |Lin Carter/L. Sprague de Camp: Blutmond (Moon of Blood), S. 233-284|: In Aquilonien kämpft Conan gegen wilde Pikten und ihren Hexenmeister und entdeckt dabei den Verrat eines hohen Vorgesetzten …

_Hartes Leben ohne Atempausen_

Das Menschenleben währte nicht lange in vergangenen Zeiten. Wind und Wetter, Hitze oder Kälte, Krankheit und Hunger – die Palette verkürzender Faktoren war breit, und abgerundet wurde sie durch die Allgegenwart zwischenmenschlicher Gewalt. Dennoch konnten sich unsere Vorfahren noch glücklich schätzen, nicht im hyborischen Zeitalter gelebt zu haben. Vor zwölf Jahrtausenden, so postuliert Robert E. Howard (1906-1936), war diese Erde schon einmal dicht bevölkert. Archaische Königreiche erstreckten sich über Kontinente, deren Umrisse die heutige Gestalt schon erahnen ließen. Im Alltag ging es rau zu, und zu den eingangs genannten Lebensenden addierte sich der Tod durch schwarze Magie, menschenfressende Ungeheuer und geduldsarme Gottheiten.

Durch diese bunte, aber gefährliche Welt zieht unermüdlich Conan, der Barbar. Geboren im schon damals schneekalten Norden, hielt es ihn nicht im heimatlichen Cimmerien, das er ein „langweiliges Land“ nennt. Lieber verdingt und versucht sich Conan auf der Suche nach Wein, Weib und klingender Münze als Söldner, Pirat oder sogar Dieb, was gleichzeitig seine ausgeprägte Abenteuerlust stillt. Weil er es in der Regel an Diplomatie fehlen lässt, muss sich Conan darüber hinaus oftmals aus dem Staub machen, weil er die gelangweilte Gattin eines Adligen beglückt oder einen vernagelten Kommandanten verprügelt hat. Auf diese Weise bleibt er stets in Bewegung.

_Chronik mit vermutlich interessanten Lücken_

Ein solches Leben bietet den idealen Stoff für Geschichtenerzähler. Robert E. Howard hat die Conan-Saga nie als geschlossene Chronologie konzipiert. Er schilderte ereignisreiche Höhepunkte im Leben seines Helden, wobei er in der Zeit nach Belieben vor- oder zurücksprang. Bewusst ließ Howard große Lücken, in die er nach Bedarf weitere Abenteuer einbetten konnte.

Daraus wurde nichts, da Howard im Alter von nur 30 Jahren Selbstmord beging. Doch andere Autoren profitierten vom skizzenhaften Konzept. Conan wurde viele Jahre nach Howards Tod wieder populär – so populär, das die vorhandenen Geschichten den Hunger eines gierigen Publikums nicht stillen konnten. Dieser Klientel nahmen sich Schriftsteller wie Lyon Sprague de Camp, Lin Carter und Björn Nyberg an, zu denen sich nach dem Erfolg des „Conan“-Films von 1980 viele weitere Autoren gesellten.

„Conan der Schwertkämpfer“ ergänzt die zwölf Bände der sogenannten „Lancer-Reihe“, die zwischen 1966 und 1977 erschienen und in der originale Howard-Storys, ’nach Entwürfen‘ Howards vollendete Storys sowie neue Storys von de Camp, Carter und Nyberg sich zur „Saga of Conan“ mischten, die das Leben des Cimmerers vom Jungbarbaren bis zum (weiterhin kampfstarken) Greis umfasst. Den Einleitungen der sieben „Schwertkämpfer“-Erzählungen lässt sich entnehmen, wo diese zeitlich in die Saga einzupassen sind.

_Variationen einer bekannten Melodie_

„Conan der Schwertkämpfer“ bietet seinen Lesern, was sie erwarten und wünschen: Hau-Drauf-Fantasy des Kalibers „sword & sorcery“. Die hyborische Welt erleben wir aus dem Conanschen Blickwinkel, und der ist ausdrücklich ein schlichter, aber gleichzeitig unverdorbener Zeitgenosse. Von der grauen Realität, die den politischen und wirtschaftlichen Alltag auch in grauer Vorzeit beherrschte, ist in diesen Geschichten höchstens ansatzweise die Rede. Aufregende Höhepunkte bestimmen das Geschehen, und Conan ist das verbindende Element.

Über den Tellerrand seines jeweiligen Umfeldes blickt er nur selten. Conan weiß, was er meint wissen zu müssen, und das genügt ihm. Politik bedeutet Intrigen, Geldgier, Verrat, und deshalb hält sich ein Mann, der zwar Barbar ist, sich aber trotzdem (oder gerade deswegen?) einem ungeschriebenen Ehrenkodex verpflichtet sieht, lieber an der Peripherie der Macht auf.

Die simple, aber wirkungsvolle Dramaturgie der „heroic fantasy“ lässt ihn allerdings genau dort erst recht in Bedrängnis geraten. In unseren sieben Geschichten gerät Conan immer wieder in die Fänge der verhassten Magie. Da er buchstäblich mit offenem Visier zu kämpfen pflegt, ist er der intelligenten Hinterlist solcher Hexenmeister unterlegen. Das macht Conan wütend, und wenn das geschieht, mutiert er zu einer Art Urzeit-Hulk, der sich mit solch berserkerhafter Wucht in die Schlacht stürzt, bis der Schädel noch des mächtigsten Zauberers über den Boden rollt.

_Conan: Helm auf – Feind: Kopf ab_

Jede Story mündet in einen entsprechenden Höhepunkt. Conan killt Hexer, Zombies, mörderische Riesenaffen, steinhäutige Riesenvampire, Verräter und andere Unholde, dazu wilde Tiere aller Arten und Größen. Das wird mit Tempo und Schwung dargeboten, wirkt auf die Dauer aber ein wenig eintönig, was ein bekanntes Problem solcher Pastiches ist, die dem Original möglichst nahekommen wollen und es dabei nur imitieren.

Diesen Vorwurf muss man auch dem Autoren-Trio machen, das für „Conan der Schwertkämpfer“ verantwortlich zeichnet. Es leistet ‚Dienst nach Vorschrift‘ und liefert aktionsreiche Routine-Fantasy. Das zeichnet die Gesamtheit der Conan-Romane und Story-Sammelbände – an die 100 sind es inzwischen! – im Guten wie im Schlechten aus. Sie sind zwar farbenfroh, leiden aber bei näherer Betrachtung unter einem steifen Pinselstrich.

_Die Autoren_

Lyon Sprague de Camp wurde am 27 November 1907 in New York City geboren. Der studierte Ingenieur veröffentlichte seine erste Kurzgeschichte erschien im September 1937 in |Astounding Science Fiction|. In den nächsten sechs Jahrzehnten entstanden Storys und Romane, die immer wieder de Camps Sinn für echten Humor belegten. Seine Aktivitäten beschränkten sich nicht auf die Phantastik. De Camp interessierte sich für Geschichte, Technik oder Mythologie und verfasste populärwissenschaftliche Sachbücher. 1978 wurde de Camp mit einem „Nebula Award“ für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Nach einem langen, bis zuletzt aktiven und produktiven Leben starb Lyon Sprague de Camp wenige Tage vor seinem 93. Geburtstag am 6. November 2000.

Linwood Vrooman Carter wurde am 9. Juni 1930 in St. Petersburg (US-Staat Florida) geboren. Nach seinem Einsatz im Korea-Krieg studierte er an der Columbia University und arbeitete anderthalb Jahrzehnte für diverse Agenturen und Verlage. 1965 debütierte Carter mit „The Wizard of Lemuria“ im Phantastik-Genre. Er wurde Vollzeit-Schriftsteller, veröffentlichte zahlreiche Romane sowie Kurzgeschichten und machte sich als Herausgeber von Fantasy-Kollektionen einen Namen. Der „heroischen Fantasy“ galt Carters ganze Liebe. Er schrieb im Stil von Edgar Rice Burroughs oder Robert E. Howard. Letzterem verhalf er zur literarischen Auferstehung, indem er mit Lyon Sprague de Camp und Björn Nyberg Howards Conan-Storys sammelte, ordnete und Lücken mit eigenen Geschichten und Romanen füllte. Selbst nahm Carter, von Alkoholismus und Krebs gezeichnet, am 7. Februar 1988 ein frühes Ende.

Björn Emil Nyberg (geb. am 11. September 1929) ist ein schwedischer (Fan-)Autor, der schon in den 1950er Jahren mit L. S. de Camp einige Fragmente nachgelassener Conan-Geschichten vollendete. Darüber hinaus ist Nyberg, der heute in Frankreich lebt, als Schriftsteller nicht hervorgetreten.

_Impressum_

Originaltitel: Conan the Swordsman (New York : Bantam Books 1978)
Übersetzung: Lore Strassl
Deutsche Erstausgabe: Mai 1982 (Wilhelm Heyne Verlag/Heyne Fantasy 06/3895
284 Seiten
ISBN 10: 3-453-30818-2

Neuausgabe: November 1988 (Wilhelm Heyne Verlag/Heyne Fantasy 06/3895)
284 Seiten
ISBN 13: 978-3-453-30818-3
http://www.heyne.de

_Mehr Conan auf |Buchwurm.info|:_

[„Conan 1: Die Tochter des Frostriesen und andere Geschichten“ 2840
[„Conan 2: Der Gott in der Kugel und andere Geschichten“ 3156
[„Conan 3: Der Elefantenturm und andere Geschichten“ 4028
[„Conan 4: Die Halle der Toten und andere Geschichten“ 4044
[„Conan 5: Die Juwelen von Gwahlur & Die Tochter von Midora“ 4428
[„Conan und die Straße der Könige“ 5846

Ellery Queen – Das Haus auf halber Strecke

Das geschieht:

Auf halbem Weg zwischen New York City und Philadelphia liegt Trenton, Hauptstadt des US-Staates New Jersey. Hier trifft Privatdetektiv Ellery Queen auf der Durchreise einen alten Freund. William Angell ist ein erfolgreicher Anwalt, den derzeit privater Kummer plagt. Seine Schwester Lucy ist seit zehn Jahren mit dem Handlungsreisenden Joseph Wilson verheiratet, der seine Gattin offensichtlich vernachlässigt. Just hat Wilson seinen Schwager in ein einsam gelegenes Haus am Fluss gebeten, wo er sich mit Angell aussprechen möchte.

Ellery Queen – Das Haus auf halber Strecke weiterlesen

Child, Lee – Way Out

_Das geschieht:_

Jack Reacher, freiwillig heimatlos durch die USA vagabundierender Ex-Militärpolizist, wird in einem Café in New York City zufällig Zeuge einer Lösegeld-Übergabe. Kate, Ehefrau des millionenschweren ‚Sicherheitsberaters‘ Edward Lane, wurde zusammen mit Jade, ihrer achtjährigen Tochter aus erster Ehe, entführt. Gegen die Zahlung von einer Million Dollar sollten Gattin und Stieftochter freikommen, doch die Kidnapper hielten ihr Versprechen nicht.

Reacher bietet seine Hilfe an. Er weiß: Die Verbrecher wollen ihr Opfer weiter ‚melken‘. In der Tat wird wenig später eine weitere Geldforderung erhoben. Fünf Millionen Dollar zahlt Lane, ohne auch dieses Mal zu zögern, denn vor fünf Jahren hatte man Anne, seine erste Frau, entführt und umgebracht, als die Polizei ins Spiel kam. Dieses böse Ende sieht Reacher neuerlich nahen, denn er glaubt trotz Lösegeldzahlung nicht an ein Freikommen von Mutter und Tochter.

Patricia Joseph, Annes jüngere Schwester, hält Lane für einen Psychopathen, der seine ihm lästig gewordene Erstgattin ermorden ließ. Seitdem überwacht sie den Ex-Schwager und hofft, ihn bei einer entlarvenden Unvorsichtigkeit zu ertappen. Ohne Patricias Wissen blieb auch Lauren Pauling auf Lanes Fersen. Sie war vor fünf Jahren die im Entführungsfall Anne Lane zuständige FBI-Agentin. Den Tod des Opfers hat sie nie verwunden und ihren Abschied genommen. Jetzt werden beide Frauen Reachers Verbündete.

Der Fall ist komplizierter, als alle Beteiligten ahnen. Lane, tatsächlich Leiter einer privaten Söldnertruppe, die für Geld überall in der Welt kämpft, hat bei einem gescheiterten Einsatz zwei Männer zurückgelassen, die wider Erwarten überlebten und Rache an ihrem Dienstherrn nehmen wollen – oder ist auch dies nur eine Theorie, die sich in Luft auflöst, während die Uhr für Kate und Jade endgültig abläuft …?

_Hit the bad boys, Jack!_

Grundsätzlich bleibt alles beim Alten: Jack Reacher lässt sich durch die USA treiben, beobachtet Land und Leute, und weil er ein wenig schärfer sieht als seine Zeitgenossen, wird er wieder einmal Zeuge einer Tat, hinter der sich nicht nur ein Verbrechen, sondern – das ist wichtig – ein Unrecht verbirgt, das offiziell und durch das Gesetz nicht geahndet werden kann. So etwas bringt ihn auf, denn Reacher, der sonst „sein Leben bis ins kleinste Detail immer so ein[richtet], dass er sekundenschnell aufbrechen konnte“ (S. 6), besitzt eine Achillesferse: Er ist ein Moralist, der sich auf die Seite der Schwachen und Wehrlosen stellen muss, wenn er ihnen begegnet.

Damit beginnen harte Zeiten für die sogenannten Starken, die sich gewaltsam und hinterlistig Privilegien aneignen und diejenigen schurigeln, die sich an die Regeln halten. Einer wie Reacher ist mindestens ebenso rücksichtslos wie sie, denn „das Reue-Gen fehlte in seiner DNA. Total. Es existierte einfach nicht.“ (S. 445) Seine Gegner begreifen stets ein wenig zu langsam, dass es ihnen nun mit gleicher Münze heimgezahlt wird. Das spricht wohlig des Lesers Gerechtigkeitssinn an, in dessen Hirn ein kleiner, meist gut verborgener Winkel existiert, wo die Selbstjustiz haust.

Lee Childs Schurken sind Abschaum, und in den Reacher-Romanen bekommen sie anders als im realen Leben, was sie verdienen. Meint Child es ernst mit diesem Vigilantentum, oder ist es nur Theaterdonner, der ein Buch spannender und besser verkäuflich machen soll? Die Frage ist generell und hier besonders unwichtig, wenn es gelingt, den Gutmenschen-Reflex auszuschalten, eine spannende Geschichte als spannende Geschichte zu akzeptieren und sich unterhalten zu lassen.

Das schafft Child auch dieses Mal vorzüglich. Action-Thriller sind keineswegs so einfach zu schreiben, wie viel zu viele ‚Autoren‘ dies glauben. Auch eine rasante Geschichte will sauber konstruiert und entwickelt sein, soll sie ihre Wirkung vollständig entfalten. „Way Out“ ist keine simple Hetzjagd von Punkt A nach B und C und so weiter, die Story hält ihr Tempo ohne Durchhänger und verliert auch angesichts rasanter Wendungen den Anschluss nicht.

_Hit the road, Jack!_

Mit dem ersten Satz wird der Leser in die mit Volldampf anlaufende Handlung gerissen. Pausen wird es (bis auf die obligatorische, bei Child traditionell peinlich-lächerliche und glücklicherweise einzige Liebesszene) nicht geben: Jeder Rückblick in die Vergangenheit, jede Gefühlsäußerung steht im Dienst der Story. Wer seinen Thriller mit Seelenpein und Beziehungskisten liebt, sollte sich die Lektüre von „Way Out“ verkneifen; wer seifenoperlich verschnittene Thriller hasst und in dieser Hinsicht ein vielfach gebranntes Kind ist, kennt und schätzt Reacher längst.

Ökonomisch schreiben zu können, ist eine kostbare Gabe. Child hat ein wunderbares Gefühl für Timing. Das Geschehen schlägt immer wieder Haken in unerwartete Richtungen. Sorgfältig konstruiert der Autor Handlungsstränge, die sich als Irrwege entpuppen. Bevor man bewundern kann, wie man schon wieder elegant an der Nase herumgeführt wurde, geht es ähnlich trügerisch weiter. So mancher gefeierte Thriller-Autor mit Bestsellerlisten-Präsenz kann Child (nicht nur) in dieser Hinsicht nicht das Wasser reichen. Last-Minute-Überraschungen setzt er nicht auf, sondern integriert sie in die Handlung.

Jack Reacher ist ein Mann mit Sinn für Details. Sie zu beachten, musste er lernen, sie sich zunutze zu machen, hat er zu einer Kunst entwickelt. Auch Child schwelgt in Einzelheiten. Er beschreibt scheinbar unwichtige Alltäglichkeiten wie eine Tür oder sogar nur ein Türschloss mit einer Intensität, die deutlich macht, dass man solche Passagen im Hinterkopf behalten sollte. Viele Seiten später kann ein Detail zum Hebel werden, mit dessen Hilfe sich ein Rätsel lösen lässt, das sich über den halben Erdball erstreckt. Auch dies wirkt nie aufdringlich, sondern entspringt flüssig dem Geschehen.

_Hit the Union, Jack!_

Weite Reisen ins Ausland sind oft Element eines Reacher-Romans. Sie zeigen den Einzelkämpfer als Meister der Improvisation, der auf fremden Boden und ohne Rückendeckung erst recht zur Hochform aufläuft. Dieses Mal gönnt sich Child ein Heimspiel: Das große Finale von „Way Out“ spielt in England. Ausgerechnet Lee Child, der die USA so prägnant als Schauplatz und ihre Bewohner als Figuren seiner Romane zu schildern weiß, ist gebürtiger Brite. Trotzdem – oder gerade deswegen? – gelingt es ihm, ’sein‘ Land aus Reachers Blickwinkel und damit wie ein Fremder zu betrachten.

Ein trockener, kaum wahrnehmbarer Humor ist oft mehr zu ahnen als zu bemerken. Zu den Schauplätzen von „Way Out“ gehört unter anderem das Dakota Building in New York City, in dem Edward Lane feudal residiert. Es ist berühmt geworden als Wohnort von John Lennon, und seine Witwe lebt noch heute hier. Mehrfach stellt Reacher die Frage, ob Lane oder einer seiner Söldner „Yoko“ (Ono) gesehen haben – ein running gag, bis Reacher die berühmte Frau in einem Nebensatz schließlich trifft.

In Sachen Körpereinsatz geht Child deutlich weniger subtil vor. Reacher ist ein Profi, was seiner Meinung nach Gewalt als selbstverständliches Mittel zum Zweck einschließt. Anders als Lane ist Reacher allerdings kein Soziopath, der Vergnügen an Schmerz und Tod findet. Kühl und effizient geht er vor, und Child setzt seine Leser brutal deutlich über die Folgen ins Bild. Trotzdem gehört „Way Out“ keineswegs in einen Topf mit den heute so publikumswirksamen Killer-Thrillern, deren Verfasser sich im Ausdenken bizarrer Folter- und Todesmethoden zu übertreffen versuchen.

Deshalb hält die Spannung auch zwischen den Höhepunkten an; es gibt keine langweilige Passagen, die übersprungen werden müssen – eine Verhaltensweise, die für die Leser von Thrillern fast schon selbstverständlich geworden ist -, weil Child es nicht nötig hat, seine Geschichte mit faulen Tricks auf Länge zu bringen. Auf Seite 448 ist der Spuk vorbei. Er schleppt sich nicht mühsam mit nachträglichen ‚Überraschungen‘ dahin, sondern bringt die Handlung von „Way Out“ zu ihrem logischen Ende und stellt in zwei Schlusssätzen den status quo für Reachers elften Auftritt her. Auf den freut man sich; eine Reaktion, die mancher andere Serienheld schon nach dem zweiten oder dritten Auftritt nicht mehr hervorzurufen vermag …

_Der Autor_

Lee Child wurde 1954 im englischen Coventry geboren. Nach zwanzig Jahren Fernseh-Fron (in denen er unter anderem hochklassige Thriller-Serien wie „Prime Suspect“/“Heißer Verdacht“ oder „Cracker“/“Ein Fall für Fitz“) betreute, wurde er 1995 wie sein späterer Serienheld Reacher ‚freigestellt‘.

Seine Erfahrungen im Thriller-Gewerbe gedachte Child nun selbstständig zu nutzen. Die angestrebte Karriere als Schriftsteller ging er generalstabsmäßig an. Schreiben wollte er für ein möglichst großes Publikum, und das sitzt in den USA. Ausgedehnte Reisen hatten ihn mit Land und Leuten bekannt gemacht, sodass die Rechnung schon mit dem Erstling „Killing Floor“ (1997, dt. „Größenwahn“) aufging. 1998 ließ sich Child in seiner neuen Wahlheimat nieder und legt seither mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks in jedem Jahr ein neues Reacher-Abenteuer vor; zehn sollten es ursprünglich werden, doch zur Freude seiner Leser ließ der anhaltende Erfolg Child von diesem Plan Abstand nehmen.

Man muss die Serie übrigens nicht unbedingt in der Reihenfolge des Erscheinens lesen. Zwar gibt es einen chronologischen Faden, doch der ist von Child so konzipiert, dass er sich problemlos ignorieren lässt. Jack Reacher beginnt in jedem Roman der Serie praktisch wieder bei Null.

Aktuell und informativ präsentiert sich Lee Childs Website: http://www.leechild.com.

Die Jack-Reacher-Romane erscheinen in Deutschland im |Heyne| (Bd. 1, 2) und im |Blanvalet| Verlag (ab Bd. 3):

1. Killing Floor (1997, dt. „Größenwahn“)
2. Die Trying (1998, dt. [„Ausgeliefert“) 905
3. Tripwire (1999; dt. [„Sein wahres Gesicht“) 2984
4. Running Blind (aka „The Visitor“, 2000; dt. [„Zeit der Rache“) 906
5. Echo Burning (2001; dt. [„In letzter Sekunde“) 830
6. Without Fail (2002, dt. „Tödliche Absicht“)
7. Persuader (2003, dt. [„Der Janusmann“) 3496
8. The Enemy (2004, dt. [„Die Abschussliste“) 4692
9. One Shot (2005; dt. [„Sniper“) 5420
10. The Hard Way (2006; dt. „Way Out“)
11. Bad Luck and Trouble (2007; noch kein dt. Titel)
12. Nothing to Lose (2008; noch kein dt. Titel)
13. Gone Tomorrow (2009; noch kein dt. Titel)
14. 61 Hours (2010; noch kein dt. Titel)

_Impressum_

Originaltitel: The Hard Way (London : Bantam Press 2006/New York : Delacorte Press 2006)
Übersetzung: Wulf Bergner
Deutsche Erstausgabe (geb.): August 2009 (Blanvalet Verlag)
448 Seiten
EUR 19,95
ISBN-13: 978-3-7645-0236-6
http://www.blanvalet-verlag.de

Albert Sánchez Piñol – Pandora im Kongo

Ein naiver Schriftsteller zeichnet die unglaublichen Erlebnisse eines Afrika-Reisenden auf, der im Dschungel des Kongo auf feindselige Invasoren aus dem Inneren der Erde stößt … – Der ausführlich zitierte ‚Bericht‘ dieser Heimsuchung bildet nur einen Handlungsstrang dieses vielschichtig angelegten, oft allegorischen Romans, der die (Ohn-) Macht der Illusion einer unerbittlichen Realwelt gegenüberstellt. Die geschickt in ihr historisches Umfeld integrierte Geschichte wird ebenso drastisch wie humorvoll erzählt.
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Alan Dean Foster – Pale Rider: Der namenlose Reiter

Ein mysteriöser Fremder steht den bedrängten Bewohnern eines Goldgräber-Camps erst mit Rat und dann mit Tat zur Seite, als sie durch brutale Revolverhelden vertrieben werden sollen … – Das Buch zum Film, der eine kuriose aber eindrucksvolle Mischung aus Western und Geistergeschichte darstellt, ist mehr als ein für den Buchmarkt ‚frisiertes‘ Drehbuch, sondern ein eigenständiger Roman, der auch für sich allein unterhaltsam funktioniert. Alan Dean Foster – Pale Rider: Der namenlose Reiter weiterlesen

J. M. Walsh – Die Nebelbanditen

_Das geschieht:_

Inspektor Quaile von Scotland Yard ist gut beschäftigt: Im dichten Londoner Nebel treibt eine neue, gut organisierte Räuberbande ihr Unwesen. Die „Nebelbanditen“ schalten ihre Opfer mit Betäubungsgas aus und verschwinden spurlos mit fetter Beute. In der Unterwelt raunt man, dass eine junge Frau als Anführerin über die Halunken gebiete.

Frank Slade, der normalerweise für den Geheimdienst tätig ist und Quaile als Assistent zugeteilt wurde, wird durch private Gefühle von der Ermittlung abgelenkt. Er rettet die junge Lady Anne Sanford, als sie ihm auf der Flucht vor dem Erpresser Lanty vor den Wagen läuft, und verliebt sich in sie. Auch Lord Sanford, Annes Vater, steht unter Druck: Er hat sich an der Börse verspekuliert und wird von seinem Gläubiger, dem finsteren Mr. Ashlin, gedrängt, ihm die schöne Anne als Ehefrau auszuliefern; ein Kuhhandel, den diese energisch ablehnt. Die Situation eskaliert, als die Nebelbanditen Lord Sanford überfallen und ausrauben. Weder Ashlin noch Lanty lassen locker, und als Anne eine Verzweiflungstat unternimmt, treibt sie das noch tiefer in die Fangarme der Schurken.

Quaile und Slade nehmen inzwischen über den Hobby-Detektiv Joseph Mallah den Kontakt zur Londoner Gaunerwelt auf. Sie müssen wohl auf eine heiße Spur geraten sein, denn Slades Auto fliegt in die Luft. Der nur knapp entkommene Polizist und sein Vorgesetzter bringen den Grund für solche Nervosität in Erfahrung: Die Nebelbanditen planen einen grandiosen Coup, neben dem ihre bisherigen Raubzüge bedeutungslos wirken werden …

_London bei Nacht: ein Krimi-Klischee-Kaleidoskop_

Er ist dick und gelb und geradezu sprichwörtlich: der Londoner Nebel, der sich im Winter wie eine Glocke aus Dunst und Abgasen über die Stadt legt und eine Intensität erreicht, welche die Sichtweite auf Null reduzieren und die Lungen mit ätzenden Schwefeldünsten füllen kann. Zumindest für diejenigen Zeitgenossen, die das Tageslicht für ihre Geschäfte scheuen, ist der Nebel freilich hilfreich, wie Autor J. M. Walsh anschaulich darstellt: Räuber und Diebe treiben in seinem Schutz ihr Unwesen; sie schleichen sich unerkannt an ihre Opfer heran und flüchten anschließend erfolgreich, während die verfolgende Polizei blind durch die dichten Schwaden stolpert.

Schon 1932 war dieser Nebel freilich auch zum Klischee degeneriert, denn er wurde als Instrument und Stimmungsmittel in Literatur und Film ausgiebig strapaziert, wobei sich vor allem die Routiniers der Unterhaltungsliteratur allzu gern seiner bedienten.

_Schnell voran, damit niemand nachdenkt!_

Walsh muss zu ihnen gezählt werden: ein Vielschreiber, der nicht nur den Krimi-Markt bediente, sondern auch Abenteuer- und Science-Fiction-Storys verfasste. „Die Nebelbanditen“ ist ein typisches Produkt zeitgenössischer ‚Gebrauchs-Literatur‘. Unterhaltsam sollte die Geschichte sein, während das vernunftgemäße Fundament wacklig sein durfte. Walsh packt in die Handlung, was diese vorantreiben kann, während er sich um das Schürzen des Logik-Knotens offensichtlich erst nachträglich Gedanken macht. Nur so lässt sich das Durcheinander erklären, das zeitweilig die Handlung eher verwirrt als bewegt. Es wird verfolgt, erpresst und gedroht auf Teufel-komm-heraus, was der Übersicht gar nicht zuträglich ist, zumal der Leser sich fragt, was dies denn alles mit den Nebelbanditen zu tun hat.

Grundsätzlich wenig, muss das Urteil lauten. Die angeblich so gefährlichen Verbrecher verschwinden immer wieder für viele Seiten aus dem Geschehen. Machen sie sich bemerkbar, dann künden ihre Untaten eher vom Drang aufzufallen als Beute zu machen.

Das Spektakel ist überhaupt Walshes bevorzugtes Stil- und Stimmungselement. Wie sein Zeitgenosse Edgar Wallace geht er lieber sensationell als schlüssig zur Sache: Gangster im Nebel schleudern Gasbomben oder blenden mit flüssigem Ammoniak; eine Autobombe wird platziert, wo eine Revolverkugel wesentlich effektiver wäre; in geheimen Gängen und unterirdischen Gewölben hausen hoch im 20. Jahrhundert unerkannt Banditen. Man tarnt und täuscht mit einer Vehemenz, die man nur als reinen Spieltrieb werten kann.

Gern verlässt Walsh im Sprung eine allzu rätselhafte Szene und beginnt eine neue Verwicklung. Kehrt er später zur offenen Frage zurück, ist gewöhnlich so viel Zeit verstrichen, dass sich das Problem selbst erledigt hat oder mit einigen Sätzen nebenbei abgehandelt werden kann; die Musik spielt ohnehin wieder an anderer Stelle. Nach bewährtem Prinzip werden die losen Fäden im Finale zusammengefasst, was umständliche Erklärungen über viele Seiten erforderlich macht.

_Feine Leute sind anders_

Dass ein Kriminalroman in die Jahre gekommen ist, muss ihm bekanntlich nicht schaden, sondern kann seinen Unterhaltungswert noch steigern. Der einst normale Lebensalltag ist selbst interessant geworden und bildet eine reizvoll altmodische Kulisse, in die sich auch der viel später geborene Leser gut und gern hineindenken kann. Natürlich ist ein Roman kein dokumentarisches Abbild vergangener Wirklichkeit. Es ist nur erforderlich, dass die genannte Kulisse glaubhaft wirkt. In diesem Punkt fragt man sich, wie die zeitgenössischen Leser „Die Nebelbanditen“ beurteilt haben: Selbst mit dem Zugeständnis einer emotionalen Naivität, die viele Romane und auch Filme dieser Zeit prägt, übertreibt es Walsh maßlos. Das London von 1932 war realiter nicht mehr das London der Königin Victoria.

Lord Sanford spekuliert und gibt sich damit als moderner Zeitgenosse zu erkennen. Trotzdem setzt er seine Gesundheit und das Glück seiner Tochter bedenkenlos aufs Spiel, um den Ruf seiner Familie zu wahren. Die Hartnäckigkeit, mit der Vater und Tochter Sanford sich in diesem Punkt immer stärker in die Bredouille bringen, stört und langweilt heute, was durch Annes prompte Ohnmachtsanfälle in ‚heikler‘ Lage gefördert wird. Ein offenes Wort, und die diversen Erpressungsgespinste würden sich schneller auflösen als der Nebel, was allerdings die Handlung zu einem abrupten Ende brächte.

Sympathie vermag keine der zahlreichen Figuren zu wecken. Inspektor Quaile bleibt farblos, Assistent Slade gibt vor allem den verliebten Gutmenschen, der die Maid in Not nicht nur rettet, sondern letztlich heiratet. ‚Normale‘ Polizisten taugen nur zur Fußarbeit. Zu ihrem Glück ist das Gros der Gauner notorisch dumm und kann deshalb regelmäßig eingefangen werden. Die „Nebelbanditen“ verheddern sich in ihrer eigenen Überschläue, hinter der sich ebenfalls jener Hang zum Scheitern verbirgt, der – so macht Walsh deutlich – dem Bösewicht per se innewohnt: Verbrechen lohnt nicht, und zumindest der geistig schlicht gestrickte Leser durfte sich mit dieser Phrase trösten, wenn er das Buch zuklappte. Das präsentieren die Klassiker des Genres wesentlich raffinierter und eleganter, und deshalb werden ihre Werke noch heute aufgelegt, während J. M. Walsh in Vergessenheit geraten ist.

_Der Autor_

James Morgan Walsh wurde am 23. Februar 1897 in Geelong, einer Kleinstadt im australischen Bundesstaat Victoria, geboren. Schon 1913 erschien eine erste Kurzgeschichte, acht Jahre später der erste Roman. 1925 wanderte Walsh nach England aus, wo er sich als Produzent populärer Trivialliteratur etablierte, dessen Romane und Kurzgeschichten vor allem in den „Pulp“-Magazinen dieser Zeit erschienen. Walsh schrieb vor allem Krimis und Spionage-Thriller, verfasste aber auch Sciencefiction. Zumindest als Fußnote ging er mit seiner Space Opera „Vandals of the Void“ (1931) ein, die ein frühes Beispiel für SF aus Australien ist.

Seine Produktivität war so hoch, dass Walsh auch als H. Haverstock Hill, Stephen Maddock und George M. White veröffentlichte. Er blieb auch nach dem II. Weltkrieg bis zu seinem frühen Tod am 29. August 1952 als Autor ungemein aktiv.

_Impressum_

Originaltitel: Lady Incognito (London : Collins 1932)
Übersetzung: Hans Herdegen
Deutsche Erstausgabe: 1935 (Wilhelm Goldmann Verlag/Goldmann’s Detektiv-Romane)
217 Seiten
[keine ISBN]
Diese Ausgabe: 1953 (Wilhelm Goldmann Verlag/Goldmanns Taschen-Krimi Nr. 17)
219 Seiten
[keine ISBN]

Joseph Wambaugh – Die Chorknaben

In Los Angeles praktizieren vom Berufs- und Alltagsstress geplagte Polizisten eine Form des nächtlichen Stressabbaus, die stetig ausartet und schließlich in einer Katastrophe gipfelt … – Mit beißendem Humor aber scharfem Blick auf reale Missstände beschreibt der Autor das Pandämonium einer aus den Fugen geratenden Welt, deren bedrängte Hüter resignieren und sich dem Wahnsinn anpassen: ein Klassiker des Kriminalromans, der an Intensität und Unterhaltungskraft keinen Deut verloren hat.
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Victor Gunn – Das Geheimnis der Borgia-Skulptur

Ein bizarres Kunstwerk soll gestohlen werden, wurde aber so gut versteckt, dass sich der Dieb – und inzwischen Mörder – an die Nichte des Eigentümers heranmacht, was zwei Polizisten zu verhindern versuchen … – Der 17. Roman der „Bill-Cromwell“-Serie ist kein „Whodunit“, sondern zeigt den nur dem Leser bekannten Täter im Wettlauf mit der zunächst ahnungslosen Polizei: grundsolide geplotteter, mörderisch gemütlicher und nostalgisch eingestaubter Krimi ohne Klassiker-Status, aber unterhaltungssicher.
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Peter Lovesey – Sein letzter Slapstick

Das geschieht:

Ohne Job und pleite ist der Varieté-Künstler Warwick Easton in Kalifornien gestrandet. Wir schreiben das Jahr 1915, und wie so viele gescheiterte Existenzen versucht auch Easton sein Glück in Hollywood. Die noch junge Film-Metropole hat freilich nicht auf ihn gewartet. Statt eine ‚ernste‘ Rolle in einem ‚richtigen‘ Film zu übernehmen, reiht sich der junge Mann in die Reihe der „Keystone Cops“ ein. Die beliebte, grotesk überzeichnete Polizisten-Truppe ist eine Schöpfung des Studiobosses Mack Sennett, der mit Slapstick-Filmen berühmt und reich geworden ist.

In diesen frühen Tagen der Filmgeschichte wird noch ohne Netz und doppelten Boden gearbeitet. Die absurden Stunts der Keystone Cops sind gefährlich. Easton kommt zu seinem Job, weil sein Vorgänger bei einem bizarren Unfall sein Leben ließ.

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Lumley, Brian – Necroscope – Auferstehung

_Das geschieht:_

In den 1970er und 80er Jahren herrscht zwischen den Supermächten USA und UdSSR der Kalte Krieg. Die zeitgenössische Paranoia ermöglicht auch bizarre Experimente, wenn sie nur Erfolg versprechen. Deshalb konnte Ex-General Gregor Borowitz mit Billigung und Finanzierung des Kremls das „Psi-Dezernat“ gründen. Dort versammelt er Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten wie den „Seher“ Igor Vlady, der in die Zukunft blickt, oder den „Nekromanten“ Boris Dragosani, der mit den Toten sprechen kann.

Auch im Westen gibt es Bestrebungen, den Gegner mit übernatürlicher Nachhilfe auszustechen. Allerdings hinkt man den Sowjets weit hinterher; es fehlt an einschlägigen Talenten. In England bleibt der junge Harry Keogh deshalb unentdeckt; er muss sich selbst mit der Kunst des „Totenhorchens“ vertraut machen: Harry kann mit den Seelen der Verstorbenen in Kontakt treten. Dieser ‚Kanal‘ ist beidseitig offen: Die Toten können sich Harry anvertrauen, und dafür schätzen und fördern sie ihn.

Der Kalte Krieg wird zur Nebensache, als Boris Dragosani sich auf eine sogar dem Genossen Borowitz unbekannte Expedition begibt: Als Kind geriet er in der Walachei in den Bann des Vampirs Thibor Ferenczy. Der wurde zwar im Mittelalter überwältigt, gepfählt und in ein einsames Felsengrab verbannt, doch gestorben ist er trotzdem nicht. Dragosani wird sein Befreier – und Sklave, denn Ferenczy hat auch ihn in einen Vampir verwandelt. Tatkräftig beginnt Dragosani, die Macht über das „Psi-Dezernat“ an sich zu reißen. Gegen die potenziellen ‚Konkurrenten‘ im Westen schickt er Killer aus. Harry Keogh ist abgelenkt, denn endlich hat er mit Hilfe seiner toten Mutter deren Mörder gefunden: seinen Stiefvater, der jedoch seinerseits übersinnlich begabt ist …

_Das ganz große Spiel beginnt_

Auch die längste Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Dieses Sprichwort ist für eine Charakterisierung dieses ersten „Necroscope“-Romans hilfreich, denn es verklammert das Wissen um eine inzwischen klassische Horror-Serie mit der Verwunderung über deren recht zähen Auftakt.

Einerseits geht es spannend und interessant los, und dieses Lektüregefühl stellt sich auch zwischenzeitlich immer wieder ein. Autor Lumley nimmt sich die Zeit, uns seine Protagonisten und ihre Welten vorzustellen. Er hat ein gutes Gespür für Atmosphäre, kann aber auch Splatter-Szenen gut, d. h. hübsch grässlich, in Szene setzen.

Andererseits geht der Geschichte viel zu oft die Puste aus. Lumley legt sie ungemein breit an. Angesichts der eindrucksvollen Zahl seitenstarker Bände, die inzwischen ein eigenes „Necroscope“-Universum mit eigener, sich über Jahrtausende erstreckender Historie bilden, wirkt „Auferstehung“ wie eine knapp 600-seitige Einleitung. Vieles geschieht, aber noch mehr wird nur angerissen, der Leser auf zukünftige Keogh-Abenteuer vertröstet.

Die episodische Struktur der Handlung soll den Sprung in ein intensives, längst in Gang gekommenes Hintergrundgeschehen suggerieren. Im schieren Umfang des Werkes verschwindet der rote Faden indes so gründlich, wie es der Verfasser kaum geplant haben dürfte. Längst nicht alle Ereignisse dienen dem „Necroscope“-Plot. Lumley legt sich keine erzählerische Disziplin auf. Viele Episoden gehen umständlich und unnötig in die Breite oder sie wiederholen gar, was bereits dargestellt wurde. „Auferstehung“ könnte mindestens um ein Drittel verschlankt werden.

Wenn es aufs Finale zugeht, gibt Lumley mächtig Gas. Das kommt der Geschichte sehr zugute. Jetzt wird nicht mehr nachgedacht oder geredet oder gehandelt, sondern nachgedacht, geredet und gehandelt, was durchaus gleichzeitig geht und in dieser Dreiheit wesentlich unterhaltsamer ist. Freilich verliert Lumley im letzten Akt jegliches Maß, poltert ungeschickt von Höhepunkt zu Höhepunkt, bis ihm die Handlung buchstäblich um die Ohren fliegt.

_Epos mit wohltemperiertem Rätselfaktor_

„Auferstehung“ ist trotz seiner vorgeblichen inhaltlichen Dichte ein einfach strukturierter Roman. ‚Epochal‘ wirkt er vor allem nachträglich und in dem Wissen um die Dimension, die das „Necroscope“-Geschehen in mehr als zwei Jahrzehnten gewonnen hat. Lumley zeigt sich vor allem als geschickter Routinier, der auch mit Klischees arbeiten kann, ohne diese allzu aufdringlich wirken zu lassen.

Die Verwurzelung der Saga in der ‚alten‘, noch zweigeteilten Welt vor dem Untergang der Sowjetunion erweist sich als erstaunlich solides Fundament. „Auferstehung“ wurde bereits 1986 veröffentlicht, liest sich aber erfreulich zeitlos. Die zeitgenössischen Bezüge unterfüttern die Ereignisse, die den Charakter einer fiktiven (und alternativen) Weltgeschichte annehmen. Die ist nicht annähernd so komplex wie die Realität, aber das muss und sollte sie zur Wahrung des Unterhaltungsfaktors auch gar nicht sein.

Die reale Geschichte wird Lumleys erzählerische Knetmasse. Er formt sie nach eigenem Gusto und mit Geschick: Nicht Vlad Dracul ersteht in Transsylvanien auf, sondern Thibor Ferenczy, ein ‚echter‘ Vampir, der für Vlad kämpfte und dessen Untaten später seinem Herrn angelastet wurden. Dieser ‚Lebenslauf‘ klingt authentisch, weil er nicht mit dem Ballast der klassischen Vampir-Geschichten befrachtet ist.

Dem entledigt sich Lumley rigoros, wobei er womöglich ein wenig zu ‚wissenschaftlich‘ wird. Natürlich ist er gut beraten, sich eigene Vampire (aus denen im späteren Verlauf der „Necroscope“-Saga die außerirdisch mutierten „Wamphyri“ werden) zu erschaffen, denn er hat viel mit ihnen vor. Schon in „Auferstehung“ wird deutlich, dass Lumley dem Übernatürlichen keine dunklen Schlupfwinkel zu gewähren gedenkt. „Necroscope“ besitzt eine deutliche (und in den späteren Bänden der Serie zunehmende) Schnittmenge mit der Science-Fiction. Ohnehin bedient sich Lumley grundsätzlich aller literarischen Genres, was mit den Reiz seiner Schöpfung ausmacht.

_Gefährten, Kampfgenossen, Gegenspieler, Verräter …_

Der Bodycount in „Auferstehung“ ist bemerkenswert hoch, und das schließt die Hauptfiguren ausdrücklich ein. Tatsächlich überlebt keine von ihnen das apokalyptische Final-Gemetzel. Allerdings ist das im „Necroscope“-Kosmos unerheblich. Sowohl Zeit und Raum als auch Leben und Tod sind hier keine fixen Konstanten. Harry Keogh lernt vom (1868 verstorbenen) deutschen Mathematiker August Ferdinand Möbius, wie man Reiseportale zu fremden Dimensionen öffnet und nach Belieben über den Zeitstrom kreuzt. Das sorgt für ein ‚logisches‘ Wiederkehren von Figuren, die eigentlich das Zeitliche gesegnet haben. Hinzu kommt Harrys ureigenes Talent – das „Totenhorchen“. Wer ins Grab gesunken ist, kann sich recht problemfrei mit ihm verständigen. Das nutzen sogar jene, die vor ihrem Ende Harry nach dem Leben trachteten. Auch tot bleiben sie der Handlung deshalb erhalten.

Schon in „Auferstehung“ ist das auf diese Weise entstehende Gemenge aus lebendigen, toten, zeitreisenden oder x-dimensionalen Figuren schwer zu durchschauen. Das wird sich deutlich steigern, denn der endlich obsiegende Harry stirbt, stürzt in den Zwischenraum und fährt als Geist in den eigenen Sohn, der zum Zeitpunkt des Finales nicht einmal geboren ist …

_“Necroscope“ im deutschen Neustart_

Man darf wohl den Erfolg des |Festa|-Verlags mit der Herausgabe der „Necroscope“-Serie verknüpfen. Ab 2000 erschienen die Abenteuer des Harry Keogh dort als Paperbacks, wobei die voluminösen Originalbände zwecks Profitmaximierung geteilt oder sogar gedrittelt wurden. Dass diese Teilbände über Jahre im Angebot blieben und immer wieder aufgelegt wurden, unterstreicht die Publikumswirksamkeit der Reihe.

Folglich könnte man die „Necroscope“-Bände als |Festa|s Tafelsilber bezeichnen. Offensichtlich musste es zu Geld gemacht werden. Seit 2009 erscheint die „Necroscope“-Saga im |Heyne|-Taschenbuch – in der gediegenen |Festa|-Übersetzung, ungeteilt und erheblich kostengünstiger als zuvor. Zeitgleich gibt auch der |Festa|-Verlag die Bände neu und ungeteilt heraus; fest gebunden und dermaßen hochpreisig, dass die Prognose leichtfällt, welchem Verlag das Gros der „Necroscope“-Leser zukünftig den Vorzug geben wird …

_Der Autor_

Dem jungen Brian Lumley (geb. 1937 in England) stand ein besonderer Mentor zur Seite: August Derleth (1909-1971), der Nachlassverwalter von H. P. Lovecraft (1890-1937) und Gründer des legendären Verlags |Arkham House| in Wisconsin/USA, veröffentlichte seine ersten Storys, die ab 1967 – Lumley war Militärpolizist und in Deutschland stationiert – entstanden. Nach Derleth‘ Tod blieb Lumley dem Cthulhu-Mythos verhaftet und schrieb zwischen 1974 und 1979 fünf Bände der |Titus Crow|-Saga. (Ein abschließender Band kam 1989 hinzu). Ebenfalls „lovecraftschen“ Horror bot Lumley mit der „Primal Lands“-Trilogie um Tarra Khasch sowie mit der „Dreamland“-Saga.

Sein Durchbruch als Schriftsteller gelang Lumley – der 1980 nach 22 Dienstjahren die Armee verlassen hatte – nach gewissen Anlaufschwierigkeiten mit der „Necroscope“-Reihe (ab 1986) um den „Totenhorcher“ Harry Keogh, die auch in Deutschland mit großem Erfolg veröffentlicht wird.

Brian Lumley lebt und arbeitet heute in Devon, England. Er lässt seine Website http://www.brianlumley.com sorgfältig pflegen und regelmäßig mit Neuigkeiten bestücken.

_Impressum_

Originaltitel: Necroscope (London : Grafton 1986)
Übersetzung: Andreas Diesel u. Rainer Marquardt, überarbeitet von Marcel Häußler

Deutsche Erstausgabe (in zwei Teilen: „Das Erwachen“ bzw. „Vampirblut“): 1999 bzw. 2000 (|BLITZ|-Verlag/Necroscope 2801 bzw. 2802)
176 bzw. 176 S.
ISBN 10: 3-932171-54-3 bzw. 3-89840-021-2

Neuausgabe (geb.): Mai 2009 (Festa Verlag)
448 Seiten
EUR 28,90
ISBN-13: 978-386552-101-9
http://www.festa-verlag.de

Als Taschenbuch: Mai 2009 (Wilhelm Heyne Verlag/TB Nr. 53307)
589 Seiten
EUR 9,95
ISBN-13: 978-3-453-53307-3
http://www.heyne.de
http://www.heyne-magische-bestseller.de

_Brian Lumley auf |Buchwurm.info|:_

|Necroscope|

Band 1: [Erwachen 779
Band 2: [Vampirblut 843
Band 3: [Kreaturen der Nacht 2371
Band 4: [Untot 2963
Band 5: [Totenwache 3000
Band 6: [Das Dämonentor 4368
Band 7: [Blutlust 4459
Band 8: [Höllenbrut 4610

|Titus Crow|

Band 1: [Sie lauern in der Tiefe 893

John Buchan- Grünmantel

Das geschieht:

Im Jahr 1916 liefern sich die europäischen Großmächte auf dem Kontinent einen erbitterten Grabenkrieg. Noch ist nichts entschieden, die Deutschen halten buchstäblich ihre Stellungen. Dennoch suchen Kaiser Wilhelms Strategen nach einer Möglichkeit, vor allem die britischen Truppen der Front fernzuhalten. Im fernen Osmanischen Reich – der späteren Türkei – wird den islamischen Stämmen der Region die Ankunft eines ‚Propheten‘ vorgegaukelt, der sie zum „Heiligen Krieg“ gegen die „Ungläubigen“ aufrufen und durch Persien gen Indien schicken soll. Das Kronjuwel des britischen Empire müssten die Briten auf jeden Fall verteidigen.

John Buchan- Grünmantel weiterlesen

Hermanson, Marie – Mann unter der Treppe, Der

_Das geschieht:_

Für Fredrik Wennéus läuft das Leben beruflich und privat denkbar glatt. Als ehrgeiziger und arbeitseifriger Sekretär im Amt für Wirtschaftsförderung der kleinen schwedischen Stadt Kungsvik bei Göteborg ist er bei seinen Vorgesetzten gut angesehen. Verheiratet ist Fredrik mit der schönen Paula, einer Malerin, deren Werke allmählich das Interesse der Kunstwelt erregen. Das junge Paar hat zwei Kinder.

Fabian und Olivia sollen nicht in der Stadt, sondern auf dem Land aufwachsen. Fredrik und Paula suchen nach einem entsprechend gelegenen Haus, das sie schließlich tatsächlich finden. Der Preis, den die ins Altersheim umgezogene Vorbesitzerin fordert, ist erstaunlich niedrig. Bald sind die Verkaufsmodalitäten geregelt, und die Familie zieht in ihr neues Heim ein.

Dort muss Fredrik freilich eine unerfreuliche Entdeckung machen: Ein kleiner, verwilderter und unheimlicher Mann, der sich „Kwådd“ nennt, macht sein Wohnrecht als Untermieter geltend. Er lebe unter der Treppe und störe dort niemanden, so sein Argument, das Fredrik keineswegs gelten lassen möchte. Seine Nachforschungen ergeben, dass unter besagter Treppe ein unterirdischer Gang unter das Haus führt. Dort muss Kwådd sich verborgen halten, wenn er nicht durch Haus und Garten geistert.

Nur zu gern möchte Fredrik den ungebetenen Mitbewohner loswerden. Doch der ist schwer zu fassen. Maßlos überforderte ‚Mietgelder‘ zahlt er ohne mit der Wimper zu zucken. Als Fredrik nachdrücklich den Auszug fordert, reagiert Kwådd aggressiv. Er schießt Pfeile auf seinen Verfolger ab und zeigt ein ungutes Interesse an Paula und den Kindern. Bald eskaliert der Kampf zwischen Fredrik und Kwådd, was nicht ohne tragische Folgen – und Leichen – bleibt …

_Die Dinge sind nicht immer so, wie sie zu sein scheinen_

Das verfluchte Haus ist ein klassisches Motiv der phantastischen Literatur. Der Gedanke, dass sich das Grauen ausgerechnet dort manifestiert, wo wir Zuflucht vor den Anforderungen des Alltagslebens suchen, erschreckt uns maßlos. Wohin können wir noch gehen, wenn uns das Heim nicht gegönnt wird? Wohl oder übel müssen wir dort ausharren – wer kann es sich schon leisten, es umgehend per Umzug zu verlassen? – und uns dem Schrecken stellen. Nicht immer gelingt der Sieg, oft müssen Opfer gebracht werden. Nach dem Finale ist im besessenen Haus vielleicht wieder Ruhe eingekehrt, doch die dürfen nicht alle Bewohner genießen.

Fredriks Kampf mit dem „Mann unter der Treppe“ ist dafür ein Paradebeispiel. Die Geschichte beginnt so trügerisch harmonisch, dass nicht einmal der erfahrene Leser zweifelt, dass dies viel zu schön ist, um wahr zu sein. Wer zwischen den Zeilen liest, erkennt schon jetzt und noch vor dem ersten Auftritt Kwådds diverse Risse im scheinbar festen Gefüge der heilen Familie Wennéus.

Das wertet diesen Roman von einer Gruselgeschichte zum Psycho-Thriller um. Den liebt vor allem die Literaturkritik viel stärker als ein schnödes Grusel-Garn. Dafür gibt es (manchmal, aber nicht immer) Gründe: Der Psycho-Thriller ist anspruchsvoller; er zeigt ein Geschehen, das wie beschrieben nicht unbedingt stattfinden muss. Ins Spiel kommt stattdessen die Tatsache, dass die Welt, wie wir Menschen sie registrieren, eine Interpretation unseres Gehirns ist. Vermag dieses Organ aufgrund einer Störung nicht mehr zu entschlüsseln, was Augen, Ohren oder Nase als Input liefern, verschiebt sich der Fokus der Wahrnehmung in Bereiche, die gern mit dem Begriff „Wahn“ bezeichnet werden.

_Lautlose Lawine des Verderbens_

Womit der aufmerksame Leser dieser Zeilen vermutlich den Aha!-Effekt der Geschichte erfasst haben dürfte. (Und falls nicht, so stößt ihn der Klappentext gleich mehrfach mit der Nase darauf.) Aber gemach – so einfach ist die Sache nicht! In Sachen Kwådd hält Autorin Hermanson im Finale eine Überraschung parat. Faktisch kommt es auf den Mann unter der Treppe ohnehin nicht an. Kwådd ist vor allem Katalysator eines Prozesses, der wie schon erwähnt in Gang gekommen ist, bevor die Familie ihr neues Heim bezieht.

Parallel zum Kwådd-Strang der Handlung schildert Hermanson ebenso subtil wie routiniert den schleichenden Zerfall einer Persönlichkeit. Fast unmerklich nehmen die Indizien zu. Fredrik sieht sich zunehmend isoliert und unter steigendem Druck. Kwådd wird zu seiner fixen Idee und zum Symbol für das, was in seinem Leben schiefläuft. Sein Verhalten spiegelt sich in den Reaktionen seiner Mitmenschen wider. Der Leser beginnt zu begreifen, was da vor sich geht. War er bisher an Fredriks Seite, möchte er sich später von ihm lösen. Doch das gestattet Hermanson erst, als Fredriks Welt in Scherben liegt.

Nachträglich dechiffriert sie die rätselhaften Ereignisse. Wir erfahren, was realiter geschehen ist. Aber auch dieser Eindruck täuscht, die auf Fredriks Kosten tragisch zurückgewonnene Sicherheit wird mit dem letzten Absatz erneut und dieses Mal ohne Auflösung erschüttert.

_Unterhaltsam aber nicht originell_

„Der Mann unter der Treppe“ ist ein Roman, der sich zügig liest. Er unterhält, und Hermanson versteht ihr Handwerk. Sie bedient sich einer betont simplen Sprache und bleibt im Ton sachlich. Klassisches Spuken entfällt. Sentimentale Effekthascherei, sonst ein beliebter Bauernfänger-Trick nicht nur in der Phantastik, erspart sie uns. Fabian und Olivia werden nie vom bösen Troll gejagt oder von ihm besessen.

Diesen Kwådd charakterisiert Hermanson mit beachtlichem Geschick. Er ist an sich nicht bösartig, sondern pocht nur energisch auf sein Heimrecht. Erst Fredrik, der den Fremdkörper in seinem Vorzeige-Heim eliminieren will, weckt den Dämonen in Kwådd. Im Verlauf der einsetzenden Auseinandersetzung entzieht die Autorin sich der ‚Pflicht‘, die wahre Natur des Mannes unter der Treppe aufzudecken. Kwådd bleibt ein Mysterium, und das ist ein Pluspunkt.

Insgesamt hinterlässt „Der Mann unter der Treppe“ aber keinen nachhaltigen Lektüre-Eindruck. Zu glatt ist das Geschehen durchkonstruiert. Es läuft auf ein Ende zu, das wir in seinen Details zwar nicht kennen, aber deutlich vorahnen. Abweichungen gibt es nicht. Wem die gekonnte und elegante Variation des Bekannten genügt, wird sich unterhalten. „Aufregend“, „beunruhigend“ oder „ein richtiger Schauerroman“ (Zitate aus diversen schwedischen Rezensionen, die im Klappentext aufgelistet werden) ist „Der Mann unter Treppe“ jedoch nicht.

_Autorin_

Marie Hermanson wurde 1956 als Kind eines Lehrer-Ehepaares geboren. Sie wuchs in Sävedalen, am Rande von Göteborg auf, wo sie – inzwischen verheiratet Mutter zweier Kinder – weiterhin lebt und arbeitet.

Hermanson studierte Literaturwissenschaft und Soziologie an der Universität von Göteborg. Nebenbei arbeitete sie als Pflegekraft in einer psychiatrischen Klinik. Nach Abschuss ihres Studiums arbeitete Hermanson als Journalistin für verschiedene Tageszeitungen.

Als Erzählerin debütierte sie 1986 mit einer Sammlung von Erzählungen („Es gibt ein Loch in der Wirklichkeit“), die durch Märchen und Mythen geprägt wurden. Weitere Geschichten sowie Romane folgten, in denen sich ebenfalls Reales und Irreales unmerklich mischen.

_Impressum:_

Originaltitel: Mannen under trappan (Stockholm : Albert Bonniers Förlag 2003)
Deutsche Erstausgabe: Juli 2007 (Suhrkamp Verlag/TB Nr. 5875)
Übersetzung: Regine Elsaesser
269 Seiten
EUR 8,90
ISBN-13: 978-3-518-45875-4
http://www.suhrkamp.de

Karl Edward Wagner – Conan und die Straße der Könige

Wagner Conan Strasse der Koenige Cover 1995 kleinDas geschieht:

Conan, der Barbar aus dem eisigen Norden dieser Welt des hyborischen Zeitalters, dient im Söldnerheer König Rimanendos von Zingara. Stationiert ist er in der Haupt- und Hafenstadt Kordava. Als Conan im Zweikampf einen Vorgesetzten tötet, wird er vom General Korst zum Tode verurteilt. Unter dem Galgen trifft er Santiddio, einen der Anführer der „Weißen Rose“, einer Widerstandsbewegung, die den grausam und skrupellos herrschenden König stürzen und Zingara in eine Republik umwandeln wollen. Santiddios Zwillingsschwester Sandokazi kann den Bruder mit der Unterstützung des Banditenkönigs Mordermi in letzter Sekunde retten, und Conan schließt sich ihnen gern an.

Die Flüchtlinge schlüpfen in der „Grube“ unter: Nach einem verheerenden Erdbeben wurde Kordava auf den Trümmern der alten Stadt neu errichtet. Unterhalb des modernen Straßenniveaus blieben Keller und Gassen erhalten. In dieser Unterwelt hat sich eine kriminelle aber verschworene Parallel-Gesellschaft eingerichtet, die von der Stadtwache in Ruhe gelassen wird. Karl Edward Wagner – Conan und die Straße der Könige weiterlesen

Daly, Elizabeth – Buch des Toten, Das

_Das geschieht:_

Im Sommer des Kriegsjahrs 1943 wird Henry Gamadge, ein Experte für alte Manuskripte und Bücher, der in der Vergangenheit schon mehrfach erfolgreich als Privatdetektiv tätig wurde, von der Zahnarzthelferin Adele Fisher um Hilfe gebeten. Sie hat im Vormonat den Urlaub in ihrem Heimatort Stonehill, US-Staat Vermont, verbracht. Dabei lernte sie einen netten älteren Herrn kennen. Howard Crenshaw, nach eigener Auskunft ohne Familie und sterbenskrank, wollte die letzten Lebenstage in aller Ruhe verbringen. Über das Mitgefühl der jungen Frau freute er sich, war aber bemüht, ihre Existenz seinem Diener Perry vorzuenthalten, den er regelrecht zu fürchten schien.

Seiner Bekannten lieh Crenshaw einen Band mit Shakespeare-Dramen, der ihm lieb und teuer war. Deshalb war Adele erschrocken, als sie feststellen musste, dass Crenshaw nach New York abgereist war, wo ihn kurz darauf sein Ende ereilte. Zudem fand sie in dem Buch seltsame handschriftliche Anmerkungen, die sie als Hilferuf interpretiert. Gamadge soll das Rätsel lüften.

Die letzten Tage des Howard Crenshaw weisen in der Tat einige Merkwürdigkeiten auf. Wieso hat sich der reiche Mann als Arzt den heruntergekommenen Florian Billing ausgesucht, der eher verschwiegen als fähig zu sein scheint? Was geschieht in dem obskuren „Woods-Heim für Geisteskranke, Alkoholiker und Rauschgiftsüchtige“, in das sich nicht mehr vorzeigbare Zeitgenossen diskret abschieben lassen? Und vor allem: Wer schlug Adele Fisher auf offener Straße den Schädel ein? Gamadge hat offenbar in ein Wespennest gestochen. Die definitive Bestätigung erhält er, als der Mörder auch ihm in seinem Heim auflauert …

_Deduktion ist vor allem Arbeit_

Der klassische „Cozy“ ist allgemein nicht für seine Realitätsnähe bekannt. Im Vordergrund steht der möglichst komplizierte „Fall“, den der Detektiv, umgeben von einer Schar potenzieller Verdächtiger, auf hoffentlich geniale und unterhaltsame Weise zu lösen hat. Über dem Geschehen liegt eine eigentümliche Stimmung, die sogar dem mörderischen Anlass einen ‚gemütlichen‘ Anstrich gibt.

„Das Buch der Toten“ erfüllt alle genannten Anforderungen, weicht aber gleichzeitig davon ab und geht einige ungewöhnliche Wege. Was zunächst paradox klingt, wird von Elizabeth Daly routiniert und schlüssig umgesetzt. Bereits der Titel lässt die Freunde des „Kuschelkrimis“ hoffen: Das ominöse Buch ist der ideale „MacGuffin“ – der Anlass, der die Handlung in Gang setzt. Daly entscheidet jedoch früh, besagtes Buch an den Rand des Geschehen rutschen zu lassen. Es gibt seine Informationen preis, die in die folgenden Ereignisse einfließen und dort von neuen Fakten verdrängt werden. Das Buch ist ein Indiz, aber nicht DAS Indiz, von dem die Klärung abhängig ist.

Der Plot unserer Geschichte ist ohnehin recht komplex. Das klassische Miträtseln des Lesers ist Dalys Anliegen nicht. Schon die Einleitung macht es deutlich: Hier liest man eine Szene, die keine ‚Zeugen‘ in Gestalt horchender Personen hat, die später darüber Auskunft geben können. Der „allwissende Erzähler“ ist im klassischen „Whodunit“ eine Ausnahmeerscheinung. Üblicherweise müssen alle Geschehnisse durch Indizien oder Zeugen belegbar sein. Daly verzichtet auf diese Form der Leserbindung; sie will ihre Geschichte so erzählen, wie sie es für richtig hält.

_Mörderjagd an der Heimatfront_

Aus heutiger Sicht mag der Plot reichlich altmodisch wirken. Tatsächlich fädelt Daly das Verbrechen raffinierter ein als anfänglich vermutet. „Das Buch der Toten“ ist kein altmodischer Erbschwindel à la Edgar Wallace, sondern eine kühl und clever konstruierte Intrige mit hohem und aktivem Frauenanteil.

Die Story ist in die Gegenwart des Jahres 1944 eingebettet. Auch die USA sind inzwischen in den II. Weltkrieg eingetreten. Fern der europäischen und asiatischen Kriegsschauplätze existiert eine „Heimatfront“. Viele Güter des täglichen Bedarfs sind rationiert, nachts wird verdunkelt. Die Detektivarbeit wird immer wieder durch die Notwendigkeit erschwert, sich einen fahrbaren Untersatz zu verschaffen, denn Benzin ist knapp. Mancher Streich gelingt dem Mörder nur, weil er nicht auf den Bus warten muss.

Ohnehin kalkuliert er den Krieg ein: Die Polizei jagt in diesen Tagen eher Spione als ’normale‘ Strolche. Auch Henry Gamadge stellt sein kriminologisches Wissen inzwischen dem Kriegsministerium zur Verfügung; sein privates Labor ist verwaist, sein Assistent dient als Soldat. Gamadge ist selbstverständlich Patriot und tut, wie ihm geheißen. Als echter Detektiv und Individualist kann er indes der Herausforderung nicht widerstehen, die das „Buch der Toten“ an ihn stellt. Verdächtig rasch glänzt er im Ministerium durch Abwesenheit. Stattdessen zeigt er sich findig, als es gilt, Personal und Sachmittel zu ‚organisieren‘, was in diesem Fall eher auf Missbrauch (allerdings im Dienst der guten Sache) hinausläuft.

_Detektiv ohne Eigenschaften_

Dies hätte man einem Henry Gamadge eigentlich gar nicht zugetraut, denn die exzentrische Genialität der klassischen Krimi-Detektive geht ihm vollständig ab. Zwar geizt er mit zwischenzeitlichen Hinweisen auf den Stand der Ermittlungen genauso nachdrücklich wie seine Kollegen. Ansonsten ‚versteckt‘ Daly Gamadges durchaus überragenden Intellekt hinter einer betont farblosen Fassade. Damit gibt sie freiwillig ein cozy-typisches Element auf, denn die Schnurren eingebildeter, sprunghafter, charakterstarker Ermittler, die stets für eine Überraschung gut sind, stellen sonst ein unterhaltsames Pfund dar, mit dem Autoren oft und ausgiebig wuchern.

Gamadge verschmilzt mit dem Fall. Nicht selten zieht er im Hintergrund die Fäden und überlässt seinen Helfern das Feld. So ein Detektiv taugt nur bedingt zur Identifikationsfigur. Gamadge ist als Figur schlicht langweilig, und das beeinträchtigt den Spaß an dem sonst fein gesponnenen Kriminalroman stark. Ecken und Kanten weisen höchstens die Nebenfiguren auf, aber auch hier verkneift sich Daly allzu karikierende Typenzeichnungen. Die vermisst man wiederum nicht, sondern anerkennt die (relative) Lebensnähe der Figuren.

_Angelsachsen und Amerikaner_

Mit „Das Buch des Toten“ geht die noch junge Reihe „Fischer Crime Classic“ quasi in die zweite Staffel. Standen bisher klassische Krimis aus England auf dem Verlagsprogramm, folgt nunmehr der Sprung über den Atlantik. Um auf regionale Unterschiede aufmerksam zu machen, ist „Das Buch der Toten“ ein guter Einstieg. Auf der anderen Seite wird (unfreiwillig) deutlich, wieso Elizabeth Daly, die in Agatha Christie eine prominente Fürsprecherin besaß, hierzulande nie populär wurde: Es fehlt an Leichtig- und an Unverwechselbarkeit. Dem Literaturkritiker mag gerade dies erfreuen, aber der Leser vermisst es.

In einem ausführlichen Nachwort („Erfunden, vergessen, neu entdeckt und revolutioniert – Über den amerikanischen Kriminalroman“) erläutert „FCC“-Herausgeber Lars Schafft die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Krimi-Regionen. (Ein zweites Nachwort desselben Verfassers informiert über Leben und Werk der Elizabeth Daly.)

_Die Autorin_

Elizabeth Daly wurde am 15. Oktober 1878 in New York City als Tochter eines Richters geboren. Sie studierte Kunst, arbeitete nach ihrem Abschluss an der Columbia University (1902) jedoch als Lehrerin für Französisch und Englisch am Bryn Mawr College.

Zwar interessierte sie sich Zeit ihres Lebens für Kriminalgeschichten, doch erst in den 1930er Jahren begann Daly selbst zu schreiben. Ihre ersten Versuche blieben erfolglos. Mit der Figur des Bücher-Spezialisten und Gentleman-Detektivs Henry Gamadge änderte sich dies 1940. In rascher Folge verfasste Daly 16 Romane um Gamadge sowie einen von der Serie unabhängigen Thriller.

Bereits 1951 zog sich Daly als Autorin zurück. 1960 wurde sie für ihr Werk von den „Mystery Writers of America“ mit einem „Edgar Award” ausgezeichnet. Kurz vor ihrem 89. Lebensjahr ist Elizabeth Daly am 2. September 1967 im St. Francis Hospital in Long Island gestorben.

_Impressum_

Originaltitel: The Book of the Dead (New York – Toronto : Farrar & Rinehart 1944/London : Hammond 1946)
Dt. Erstausgabe: 1958 (AWA Verlag/AWA Welt der Abenteuer 59)
Übersetzung: Hans Friedrich Kliem
190 Seiten
[keine ISBN]

Diese Neuausgabe: Mai 2009 (Fischer Taschenbuch Verlag/Fischer Crime Classic Nr. 18466)
Übersetzung: Hans Friedrich Kliem
245 Seiten
EUR 7,95
ISBN-13: 978-3-596-18466-8
http://www.fischerverlage.de

John Cassells – Die Schwarzen Tränen

Gleich mehrere Diebe planen unabhängig voneinander den Raub kostbarer Edelsteine. Da deren eigensinniger Eigentümer sich weigert, diese in Sicherheit zu bringen, muss Scotland Yard im Wettlauf mit der Zeit die Schurken identifizieren und aufhalten … – Aufgrund seines kruden Plots und der überzogenen Figurenzeichnung ist der achte Roman der Superintendent-Flagg-Serie ein schon parodistisch wirkender „Kuschel-Krimi“, der zumindest den nostalgischen Leser mit Hang zum naiven aber soliden Krimi-Handwerk unterhalten wird.
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S. S. Van Dine – Mordakte Kasino

Mehrere Giftmorde innerhalb einer nur scheinbar ehrbaren Familie verschleiern ein  ganz anderes Verbrechen, das durch den ein wenig zu geschickt auf eine falsche Spur gelockten Detektiv Philo Vance aufgedeckt werden kann … – Der achte Vance-Krimi fällt im Vergleich zu den feiner gesponnenen früheren Bänden zwar ab, kann aber durch die handwerkliche Routine des versierten Verfassers ein solides Unterhaltungs-Niveau halten.
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Derleth, August (Hg.) – Paradies II

Sieben Kurzgeschichten dokumentieren den Status der Science-Fiction in den 1950er Jahren:

– Poul Anderson: Projekt Geistesblitz („Butch“), S. 7-39: „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“, lautet ein Sprichwort; der Unterschied der Geschlechter erweist sich als Vorteil, denn als die Erdmänner den Erstkontakt mit einer außerirdischen Intelligenz katastrophal verpfuschen, bleibt eine Alternative …

– Isaac Asimov: Im Hinterhof („The Pause“), S. 39-54: Der Atomkrieg findet dank außerirdischer Einmischung nicht statt, doch haben die Friedensstifter wirklich nur das Wohl der Menschheit im Sinn …?

– Charles Beaumont: Der große Traum („Keeper of the Dream“), S. 54-64: Gibt es für die Wissenschaft eine Verpflichtung, die Welt vor allzu ernüchternden Gewissheiten zu schützen …?

– Arthur C. Clarke: Die Gedankenbotschaft („No Morning After“), S. 64-71: Der einzige Mensch, der die telepathische Warnung der Außerirdischen empfängt, ist nicht in der Stimmung, sie zu beherzigen …

– Philip K. Dick: Das Zeitschiff („Jon’s World“), S. 71-117: Die Zukunft soll mit Hilfe aus der Vergangenheit saniert werden, doch bei der Beschaffung des dafür notwendigen Wissens kommt es zu einem zeit- und dimensionserschütternden Zwischenfall …

– Robert Sheckley: Paradies II („Paradise II“), S. 117-133: Der wunderschöne Planet wird ausgerechnet durch eine fehlprogrammierten Lebensmittelfabrik zur bizarren Todesfalle …

– Clark Ashton Smith: Prometheus („Phoenix“), S. 134-144: In ferner Zukunft soll die erloschene Sonne neu entzündet werden …

_Gestalter-Profis einer vergangenen Zukunft_

Beginnen wir mit einer Widerlegung: „Weltberühmte Science Fiction-Stories“ mache Herausgeber August Derleth einst und der |Heyne|-Verlag jetzt dem Leser zugänglich, lesen wir auf dem Cover des hier vorgestellten Taschenbuches. Das trifft so keinesfalls zu; „Paradies II“ ist stattdessen Schnappschuss einer SF, die in erster Linie unterhalten möchte, wobei die Verfasser keinen (auch faulen) Trick scheuen. Routine kündet von solidem Handwerk, und so sollte man diese Geschichten lesen, um Enttäuschungen zu vermeiden. Zwar haben Verfasser mit großen Namen zu dieser Sammlung beigetragen, was freilich nicht bedeutet, dass sie sich dafür intellektuell oder literarisch verausgabt hätten.

Oder legt der inzwischen verwöhnte Leser der Gegenwart andere bzw. strengere Maßstäbe an? Die Science-Fiction hat ihre literarischen Qualitäten längst unter Beweis gestellt. 1954 war dies einerseits anders, während andererseits durchaus angemahnte Schrecken einer möglichen Zukunft generell weniger subtil thematisiert wurden.

_Die rote Gefahr ist (welt-)allgegenwärtig_

Grundsätzlich beschreibt keiner unserer sieben Autoren eine Welt, in der zukünftig das Lamm beim Löwen liegt oder Wein und Honig fließen. Bei näherer Betrachtung gehen auch in die erdfern spielenden Geschichten sehr irdische und zeitgenössische Ängste ein. Isaac Asimov (1920-1992) bringt die ganz große Furcht der 1950er Jahre offen auf den Punkt: Nicht nur die USA, sondern auch die Sowjetunion ist im Besitz der Atombombe. Sicherlich planen die roten Russen nur Böses, sodass die Guten – die Vereinigten Staaten – notgedrungen mitrüsten müssen.

Der gefahrenreichen Sinnlosigkeit des atomaren Wettlaufs ist sich Asimov bewusst. Er sorgt sich, aber er hat sich damit abgefunden, denn das ist der Preis, der für ein Leben in Freiheit zu zahlen ist; noch größer als die Angst vor der Bombe ist die Angst, den Sowjets ausgeliefert zu sein. Diese ‚realpolitische Schizophrenie‘ finden wir auch in den Storys von Poul Anderson (1926-2001) und Philip Kindred Dick (1928-1982).

In „Projekt Geistesblitz“ lässt Anderson Butch, den Außerirdischen, quasi in die Rolle des Fremden = Nicht-Amerikaners = Sowjets schlüpfen. Recht holprig und in der Auflösung albern legt der Autor immerhin die Mechanismen des Missverständnisses offen, das vor allem für Zwist sorgt. Als die Verständigungsproblematik gelöst ist, verschwindet die Gefahr eines (galaktischen) Krieges umgehend: Wer miteinander redet, schlägt sich nicht die Schädel ein. (Was allerdings keineswegs bedeutet, dass Butches Gastgeber bereit sind, den Besucher und sein Super-Wissen mit den ‚echten‘ Sowjets zu teilen – so weit geht die Analogie doch nicht …)

Arthur Charles Clarke (1917-2008) schildert humorvoll die Kehrseite der Medaille: Wollen sich die Menschen überhaupt retten lassen? Der Mann, an den sich die kosmischen Warner wenden, ist theoretisch in der Lage, die Botschaft zu verstehen. Leider unterschätzen die Außerirdischen das allzu Menschliche im Menschen: Besagter Mann hat Ärger im Job, leidet unter Liebeskummer und ist stockbetrunken. So profan zu begründende Kommunikationsprobleme sind unter den meist ungemein ernsthaft geschilderten „First contact“-Momenten der SF selten. Clarkes Scherz mag nicht gerade raffiniert sein, aber er funktioniert (heute) wesentlich besser als Asimovs theatralischer Frageschrei nach dem Bestandswert einer vom atomaren Schrecken befreiten Erde.

_Sehnsucht nach den Sternen_

In den 1950er Jahren begann der Mensch nachdrücklich nach den Sternen zu greifen. Als „Paradies II“ erschien, lag der eigentliche Sturm ins All zwar noch einige Jahre in der Zukunft, doch er zeichnete sich bereits ab. Selbstverständlich waren die zeitgenössischen SF-Autoren für die Erforschung des Alls, und dies mit einer Inbrunst, die heute naiv oder gar sträflich erscheint. Charles Beaumont (1929-1967) fasst das sicherlich unfreiwillig in überdeutliche Worte: Als der wissenschaftliche Nachweis für die Nutzlosigkeit der bemannten Raumfahrt erbracht ist, droht die Menschheit in eine kollektive Sinnkrise zu geraten. Beaumont spitzt den Fortschrittsbegriff auf die Weltraumforschung zu, die allein dem Geist noch frische Impulse zu geben und die geistige Degeneration zu verhindern vermag.

Robert Sheckley (1928-2005) ist dagegen Realist. Seine Raumfahrer durchstreifen das All nicht auf der Suche nach Wundern und Wissen. Sie wollen sich einen von Menschen bewohnbaren Planeten sichern und möglichst gewinnbringend ausbeuten. Sollte diese Welt bevölkert sein, ziehen es die ‚Besucher‘ durchaus in Betracht, die lästigen Konkurrenten unauffällig per Waffeneinsatz zu auszuschalten. Sheckley wäre allerdings nicht Sheckley, ließe er seine ‚Helden‘ nicht gerecht, grausam und einfallsreich büßen: Gier vernebelt den Verstand, und das rächt sich stets (wenn auch nicht immer so spektakulär wie hier).

Clark Ashton Smith (1893-1961) bildet das romantische Gegengewicht zu seinen naturwissenschaftlich geprägten Schriftstellerkollegen. Astronomie und Technik sind ihm nur Mittel zum Zweck, was sich daran erkennen lässt, dass die Qualität des von ihm eingeflochtenen „Techno-Babbels“ sogar im Laien den Drang zum heftigen Kopfschütteln entfacht: „Die Generatoren entzogen dem Kosmos negative Energie, die dazu verwendet wurde, die Schwerkraft eines Planeten oder einer Sonne aufzuheben.“ (S. 141). Von keiner Sachkenntnis beleckt ist auch das Bild einer erloschenen Sonne mit fester Aschekruste, unter der vulkanisches Feuer glost.

Aber Smith interessiert nicht der Weltraum, sondern der „inner space“ des zukünftigen Menschen. Ein junger Mann nimmt an einer gefährlichen Mission teil. Was Smith daran fesselt, ist die Liebesbeziehung dieses Mannes zu einer Frau, die zurückbleiben muss. Die daraus resultierenden Gefühle haben auch in der Hightech-Zivilisation einer fernen Zukunft Bestand.

Leider können entweder Smith oder sein deutscher Übersetzer die Balance zwischen glaubwürdiger Dramatik und Klischee nicht halten. Nur zeitweise entfaltet sich die erwünschte Wirkung. Damit steht Smith freilich in diesem Band nicht allein. Wenn überhaupt, so weicht allein Dick von der Einstrang-Erzähltechnik der anderen Texte ab. Schon viele Jahre vor seinem Aufstieg zum innovativsten und radikalsten Vertreter einer ’neuen‘ SF stellt er in „Das Zeitschiff“ die Frage nach der Definition von „Realität“. Dicks Universum ist eine unsichere, nicht solide auf Naturgesetzen ruhende, sondern stets im Fluss befindliche Konstruktion. 1954 ist seine Interpretation noch tastend und unausgegoren, doch sie verleiht einer ansonsten konventionellen Zeitreise-Story einen beunruhigenden Beiklang, der den anderen hier gesammelten Geschichten abgeht.

_Anmerkung_

Wie in der ins Deutsche übersetzten Science-Fiction (aber nicht nur dort) viel zu lange üblich, wurde auch „Time to Come“ gekürzt, um diese Sammlung als „Paradies II“ auf das Norm-Maß von 144 Seiten zu bringen, für die der deutsche SF-Leser nach Verlags-Ansicht nur zu zahlen bereit war. Über solche Willkür kann man heute ausgiebig den Kopf schütteln. (Allerdings wurden auch spätere US-Ausgaben von „Time to Come“ ‚verschlankt‘.)

Der Vollständigkeit halber seien die fünf Erzählungen genannt, die unterschlagen wurden:

– Arthur Jean Cox: The Blight
– Irving Cox Jr.: Hole in the Sky
– Carl Jacobi: The White Pinnacle
– Ross Rocklynne: Winner Takes All
– Evelyn E. Smith: BAXBR/DAXBR

Selbstverständlich wurde auch das Vorwort des Herausgebers August Derleth gestrichen.

_Der Herausgeber_

August William Derleth wurde am 24. Februar 1909 in Sauk City (US-Staat Wisconsin) geboren. Schon als Schüler begann er Genre-Geschichten zu verfassen; ein erster Verkauf gelang bereits 1925. Die zeitgenössischen „Pulp“-Magazine zahlten zwar schlecht, aber sie waren regelmäßige Abnehmer. 1926 nahm Derleth ein Studium der Englischen Literatur an der „University of Wisconsin“ auf. Nach dem Abschluss (1930) arbeitete in den nächsten Jahren u. a. im Schuldienst und als Lektor. 1941 wurde er Herausgeber einer Zeitung in Madison, Wisconsin. Diese Stelle hatte Derleth 19 Jahre inne, bevor er 1960 als Herausgeber ein poetisch ausgerichtetes (und wenig einträgliches) Journal übernahm.

Obwohl August Derleth ein ungemein fleißiger Autor war, basiert sein eigentlicher Nachruhm auf der Gründung von „Arkham House“ (1939), des ersten US-Verlags, der speziell phantastische Literatur in Buchform veröffentlichte. Der junge Derleth war in den 1930er Jahren ein enger Freund des Schriftstellers H. P. Lovecraft (1890-1937). Dass dieser heute als Großmeister des Genres gilt, verdankt er auch bzw. vor allem Derleth, der (zusammen mit Donald Wandrei, 1908-1987) das Werk des zu seinen Lebzeiten fast unbekannten Lovecraft sammelte und druckte.

Lovecraft hinterließ eine Reihe unvollständiger Manuskripte und Fragmente. Derleth nahm sich ihrer an, komplettierte sie in „postumer Zusammenarbeit“ und baute den „Cthulhu“-Kosmos der „alten Götter“ eigenständig aus. Die Literaturkritik steht diesem Kollaborationen heute skeptisch gegenüber. Als Autor konnte Derleth seinem Vorbild Lovecraft ohnehin nie das Wasser reichen. Er schrieb für Geld und erlegte sich ein gewaltiges Arbeitspensum auf, unter dem die Qualität zwangsläufig litt.

Solo war Derleth mit einer langen Serie mehr oder weniger geistvoller Kriminalgeschichten um den Privatdetektiv Solar Pons erfolgreich, der deutlich als Sherlock-Holmes-Parodie angelegt war. Insgesamt veröffentlichte Derleth etwa 100 Romane und Sachbücher sowie unzählige Kurzgeschichten, Essays, Kolumnen u. a. Texte; hinzu kommen über 3000 Gedichte.

Nach längerer Krankheit erlag August Derleth am 4. Juli 1971 im Alter von 62 Jahren einem Herzanfall. Zum zweiten Mal verheiratet, lebte er inzwischen wieder in Sauk City, wo er auf dem St.-Aloysius-Friedhof bestattet wurde.

Websites:

– [derleth.org]http://www.derleth.org (The August Derleth Society)
– [waldeneast.co.uk]http://www.waldeneast.co.uk/index__ad.htm (The Only Place We Live: The August Derleth Pages)
– [arkhamhouse.com/augustderleth.htm]http://www.arkhamhouse.com/augustderleth.htm

_Impressum_

Originaltitel: Time to Come (New York : Farrar, Straus & Young 1954)
Übersetzung: Wulf H. Bergner
Deutsche Erstausgabe: 1970 (Wilhelm Heyne Verlag/SF Nr. 06/3181)
144 Seiten
[keine ISBN]
http://www.heyne.de