Alle Beiträge von Michael Drewniok

Indriðason, Arnaldur – Todesrosen

Ausgerechnet auf dem Grab des isländischen Nationalhelden Jón Sigurdsson wird die Leiche einer jungen Frau gefunden – nackt, mit Spuren körperlicher Misshandlung übersät und erstickt. Sigurdsson starb 1879; wollte der Mörder etwas mit seiner Tat aussagen?

Kommissar Erlendur Sveinsson, der mit seinem Team die Ermittlungen aufnimmt, ist davon überzeugt, dass die Leiche nicht grundlos dort platziert wurde. Zunächst gilt es jedoch, die Identität des Opfers festzustellen, was sich als erstaunlich schwierig erweist. In seiner Not zieht Erlendur sogar seine Tochter Eva Lind zu Rate, die als Junkie und Gelegenheitsprostituierte die Unterwelt der Hauptstadt Reykjavík kennt.

Endlich bekommt die Leiche einen Namen: Birta gehörte zu den Drogenschmugglern des örtlichen Gangsterbosses Herbert Baldursson, der sie auch an Freier ‚vermittelte‘, denen gern die Hand ausrutscht. Offenbar lief Birtas letzte Party schrecklich aus dem Ruder. Oder hat die junge Frau den Unwillen des brutalen und jähzornigen Herbert erregt?

Erlendur will an so profane Erklärungen nicht glauben. Birta stammt wie Jón Sigurdsson aus den Westfjorden. Mit seinem wenig begeisterten Kollegen Sigurður Óli begibt er sich auf die lange Fahrt zur zerklüfteten Nordwestküste Islands. Er kommt in eine von Rezession und Landflucht gezeichnete Region – ein Niedergang, hinter dem Erlendur allmählich Methode zu erkennen glaubt.

In Reykjavík wird Herbert entführt und bleibt verschwunden. Offenbar gibt es jemanden, der um Birta trauert und ihren Tod rächen will. Ein angesehenen ‚Geschäftsmann‘ wird sehr nervös, denn Herbert erledigt allerlei Drecksarbeit für ihn, die tunlichst unbekannt bleiben sollten. Der ist in seinem Gefängnis inzwischen über die Hintergründe im Bilde und wird zu Erlendurs wichtigstem Zeugen – sollte er überleben …

_Kleine Insel auf krimineller Aufholjagd_

|“Morde werden hier im Affekt verübt. Meistens im Suff. Sie haben nie irgendwas Symbolisches an sich oder irgendeine tiefere Wahrheit. Morde sind hier schäbig, scheußlich und ganz und gar zufällig.“| (S. 97/98)

So spricht Polizist Sigurður Óli und gibt damit eine Grundsatzerklärung ab. Doch er irrt, während sein Kollege Erlendur gedanklich schon weiter ist: An der Wende zum 21. Jahrhundert beginnt sich auf der kleinen Insel hoch im Nordatlantik das Verbrechen zu wandeln. Die Globalisierung sorgt für einen Quantensprung. Verbrechen und Big Business beginnen sich zu vermischen, die Grenzen verwischen dabei. Der Tod wird zum Geschäftsrisiko – ein Faktor, den das organisierte Verbrechen kühl einkalkuliert.

Herbert und vor allem sein unsichtbarer Auftraggeber haben die modernen Regeln verinnerlicht. Das Spektrum ihrer kriminellen Aktivitäten ist breit: Für die Kneipen Reykjavíks importieren sie Prostituierte aus Osteuropa, die regelmäßig gegen ‚frische Ware‘ ausgetauscht werden. Gleichzeitig schmuggeln sie Drogen im großen Stil. Noch lukrativer ist die Aneignung und Ausbeutung politischen und wirtschaftlichen Insiderwissens. Wer gut schmiert und weiß, wann und wo Großprojekte geplant sind, kann früh einsteigen und absahnen; das ist nicht einmal illegal, sondern höchstens moralisch bedenklich – eine Einschränkung, die aus Sicht der „global players“ freilich nur für Schwächlinge von Belang ist.

_Nicht jeder Wurm mag ewig kriechen_

Selbstverständlich bleibt der ‚klassische‘ Mord dem modernen Island erhalten. Weiterhin bringen sich die Menschen aus Hass und Gier und auf denkbar hässliche Arten um. Im Fall der „Todesrosen“ irrt Sigurður Óli trotzdem ein weiteres Mal: Die hier beschriebenen Morde und Mordversuche sind zwar schäbig, aber dennoch von enormer Symbolkraft.

Wie Erlendur Sveinsson mag sich der lange unsichtbar bleibende, weil aufgrund seiner Unauffälligkeit in der Menge verschwindende Kidnapper Herberts nicht damit abfinden, dass nur die kleinen Fische für ihre Taten büßen müssen, während sich die Großen hinter einer Wand aus Geld, Macht und Verbindungen verschanzen. Ihm geht es dabei zwar um Gerechtigkeit, aber nicht um gerechte Strafe. Die Polizei bleibt deshalb außen vor. Selbstjustiz tritt an ihre Stelle.

Doch das Schicksal ist tückisch. Das Blatt wendet sich, die ‚Bösen‘ gewinnen die Oberhand und schlagen zurück. Als sie dennoch fallen, bleibt der Rächer als Opfer zurück. An die Stelle des verbrecherischen Spekulanten wird ein neuer ‚Geschäftsmann‘ treten, der die Beutelschneiderei seines Vorgängers genau studieren und verfeinern wird.

_Der Kommissar und die Last der Welt_

Zu dieser Erkenntnis ist Erlendur längst gelangt. Sein daraus resultierender Schwermut ist verständlich: Was in wirtschaftskriminellen Kreisen Allgemeinwissen ist, kann er, der doch eigentlich Gesetz und Ordnung repräsentiert, nur mühsam und ihm Rahmen einer anstrengenden Recherche in den Westfjorden in Erfahrung bringen. Was er dort entdeckt, hilft ihm wenig, denn während sein Gegner sich aller Regeln enthoben fühlt, muss sich Erlendur daran halten. Er kämpft quasi mit einem auf den Arm gebundenen Rücken.

Ausgeglichen wird dieses Handicap durch Erlendurs ausgeprägten Hang zur intensiven Fahndung und einer Abneigung gegen alles, was sich ihm dabei in den Weg stellt. Wieder einmal lässt Autor Indriðason seinen ohnehin gebeutelten Helden (dazu weiter unten mehr) beruflich ausgiebig gegen geschlossene Türen laufen, hinter denen sich seine Verdächtigen über ihn lustig machen oder sicher wähnen. Sie irren sich, denn Erlendur ist an einem Punkt seines Leben angekommen, an dem er an berufliche Stromlinienform als Voraussetzung einer Karriere keinen Gedanken mehr verschwendet. Solche Menschen sind gefährlich, wie Erlendur beweist, als er sich langsam aber buchstäblich hartnäckig der Lösung entgegenarbeitet. Die hat es in sich und ist mit einem hübschen, weil sehr ironischen Finaltwist verknüpft, der zur Abwechslung einmal funktioniert.

Wie es sich für einen skandinavischen Kriminalisten gehört, ist Erlendur auch privat keine Frohnatur, was noch vorsichtig ausgedrückt ist. Er lebt allein und ist einsam, seine Familienverhältnisse sind desaströs; seine Ex-Gattin hasst ihn viele Jahre nach der Scheidung noch immer aus tiefster Seele, sein Sohn ist Alkoholiker, seine Tochter drogensüchtige Prostituierte. Mit den daraus resultierende Problemen füllt Indriðason manche Buchseite. Erfreulicherweise übertreibt er es nie damit; „Todesrosen“ bleibt Kriminalroman. Hilfreich ist auch ein ausgeprägter Sinn für Humor, der eher schottisch als skandinavisch anmutet. Den hat Erlendur auch nötig, denn die Zukunft hält für ihn noch manche Prüfung bereit.

_Durcheinander als Veröffentlichungsprogramm_

Das weiß der Indriðason-Leser womöglich schon, denn obwohl „Todesrosen“ als siebter Band der Erlendur-Serie in Deutschland erscheint, steht er chronologisch an zweiter Stelle. Der Verlag begann nicht mit Nummer eins, sondern griff sich einfach einen Band aus dem Mittelfeld heraus. Die entstandenen Lücken wurden erst nachträglich gefüllt, als sich herausstellte, dass die deutschen Leser Indriðason-Romane schätzen und wohl auch ältere Titel nicht verschmähen würden. Diese rüde Behandlung sind besagte Leser freilich gewöhnt. Immerhin ist die Reihe inzwischen vollständig und sie wird sogar fortgesetzt, während viele andere lesenswerte Serien rüde gekappt (weil nicht schnell genug einträglich) wurden und werden.

_Der Autor_

Arnaldur Indriðason wurde am 8. Januar 1961 in Reykjavik geboren. Er wuchs hier auf, ging zur Schule, studierte Geschichte an der University of Iceland. 1981/82 arbeitete als Journalist für das |Morgunblaðið|, dann wurde er freiberuflicher Drehbuchautor. Für seinen alten Arbeitgeber schrieb er noch bis 2001 Filmkritiken. Auch heute noch lebt der Schriftsteller mit Frau und drei Kindern in Reykjavik.

1995 begann Arnaldur Romane zu schreiben. „Synir duftsins“ – gleichzeitig der erste Erlendur-Roman – markierte 1997 sein Debüt. Jährlich legt der Autor mindestens einen neuen Titel vor. Inzwischen gilt er – auch im Ausland – als einer der führenden Kriminalschriftsteller Islands. Gleich zweimal in Folge wurde ihm der „Glass Key Prize“ der Skandinaviska Kriminalselskapet (Crime Writers of Scandinavia) verliehen (2002 für „Nordermoor“, 2003 für „Todeshauch“).

Drei seiner Romane hat Arnaldur selbst in Hörspiele für den Icelandic Broadcasting Service verwandelt. Darüber hinaus bereiten die isländischen Regisseure Baltasar Kormákur bzw Snorri Thórisson Verfilmungen von „Nordermoor“ bzw. den Thriller „Napóleonsskjölin“ (Operation Napoleon), den Arnaldur 1999 schrieb, vor.

Die Erlendur-Romane erscheinen gebunden und als Taschenbücher im (Bastei-)Lübbe-Verlag:

(1997) [Menschensöhne 1217 („Synir duftsins“) – TB Nr. 15530
(1998) Todesrosen („Dauðarósir“)
(2000) [Nordermoor 402 („Mýrin“) – TB Nr. 14857
(2001) [Todeshauch 856 („Grafarþögn“) TB Nr. 15103
(2002) [Engelsstimme 2505 („Röddin“) – TB Nr. 15440
(2004) [Kältezone 2274 („Kleifarvatn“) – TB Nr. 15728
(2005) [Frostnacht 3989 („Vetraborgin“) – TB Nr. 15980 (erscheint März 2009)
(2007) „Harðskafi“ (noch nicht in Deutschland erschienen)

_Impressum_

Originaltitel: Dauðarósir (Reykjavík: Vaka-Helgafell 1998)
Übersetzung: Coletta Bürling
Deutsche Erstausgabe: Juni 2008 (|Lübbe|-Verlag/|editionLübbe|)
301 Seiten
EUR 18,95
ISBN-13: 978-3-7857-1612-0
http://www.luebbe.de

Als Hörbuch: Juni 2008 (|Lübbe Audio|)
4 CDs, gelesen von Frank Glaubrecht
340 min
EUR 19,95
ISBN 978-3-7857-3561-9

Jim Kelly – Kalt wie Blut

Während einer Kältewelle sterben zwei Männer auf bizarre Weise. Ein misstrauischer Reporter glaubt nicht an Zufall und enthüllt nicht nur eine mörderische Intrige, sondern muss auch noch feststellen, dass er selbst darin verwickelt ist … – Sehr britischer Krimi der modernen Art, d. h. unter Einsatz diverser ablenkender „red herrings“ geplottet, mit gesellschaftskritischen Untertönen ausgestattet und mit zwar intensiven Seifenoper-Elementen versehen, die aber durch trockenen Humor und einen gesunden Sinn fürs Absurde angenehm gemildert werden; anders ausgedrückt: Lektürevergnügen für den leicht gehobenen aber nie behaupteten Anspruch.
Jim Kelly – Kalt wie Blut weiterlesen

Tim Powers – Declare. Auf dem Berg der Engel

Der Kalte Krieg zwischen den Geheimdiensten der irdischen Großmächte wird unter ‚Rekrutierung‘ der von Gott abgefallenen und aus dem Himmel gestürzten Engel geführt. Ein sorgfältig geschulter Agent soll ihnen auf dem Gipfel des Berges Ararat den Garaus machen, aber selbst gefallene Engel sind mächtige Kreaturen … – Ungemein dichte, vielleicht überambitionierte, weil die Spannung manchmal in einer Flut unnötiger Details ertränkende aber spannende, eindrucksvolle und sogar geniale Mischung aus Historien- und Spionage-Thriller, Phantastik und Love-Story.
Tim Powers – Declare. Auf dem Berg der Engel weiterlesen

Catherine Aird – Skelett mit Folgen

aird-skelett-cover-kleinIn einer Kellerruine wird die skelettierte Leiche einer jungen Frau gefunden, die vor Jahrzehnten einem Mord zum Opfer fiel. Der Täter wird erneut aktiv, um im Wettlauf mit der Polizei mögliche Spuren zu verwischen … – Gediegene britische Krimi-Kunst, die mörderischen Ernst mit beachtlichem Witz zu einem exakt ausbalancierten Lesevergnügen mischt.
Catherine Aird – Skelett mit Folgen weiterlesen

Donn Cortez – CSI Miami: Der Preis der Freiheit

Bizarr und peinlich ist der Tod des Kellners Phillip Mulrooney, der auf der Toilette des vegetarischen Restaurants „Earthly Garden“ sitzend vom Blitz erschlagen wurde. Da das CSI-Team um Lieutenant Horatio Caine diesen Fall untersucht, dauert es nur kurze Zeit, bis Zweifel aufkommen. Die Toilette wurde anscheinend zur Todesfalle umgebaut, der Blitz durch eine kunstreiche Vorrichtung zum Pechvogel Mulrooney geleitet.

Die Ermittlungen ergeben, dass „Earthly Garden“ ein Unternehmen der „Vitality Method“-Klinik ist, die vom charismatischen Dr. Sinhurma geleitet wird. Der hat sich einen Namen als neuer Guru gemacht, der seinen meist prominenten und gut betuchten ‚Patienten‘ seine Lebensphilosophie verkauft. Für Caine ist „Vitality Method“ eine Sekte, die ihre Mitglieder per Gehirnwäsche und Drogen kontrolliert.

Donn Cortez – CSI Miami: Der Preis der Freiheit weiterlesen

Hamilton, Donald – Wenn alle Stricke reißen

_Das geschieht:_

Student David Young sieht sich vier Jahre nach Ablauf seines Wehrdienstes wieder einberufen. Der junge Leutnant der US-Marine muss per Anhalter zu seinem Stützpunkt reisen, nachdem er sein Reisegeld für ein alkoholgetränktes Abschiedswochenende zweckentfremdete. Unter den Nachwirkungen leidet er noch, sodass es leicht ist, ihn in eine Falle zu locken: Der Schiffskonstrukteur Lawrence Wilson ist beruflich und privat in der Krise, seit er als potenzieller ‚Kommunist‘ auf der schwarzen Liste steht. Sein Fahrgast kommt ihm gerade recht; spontan beschließt Wilson, in Youngs Haut zu schlüpfen. Er schlägt den Offizier nieder, zieht im seine Kleider an und türkt einen Unfall, bei dem sein Wagen – und Young – in Flammen aufgeht.

Aber Young kann sich retten. Mit Brandverletzungen wird er ins Krankenhaus gebracht. Als er erwacht, muss er verwirrt feststellen, dass ihn alle Welt für Lawrence Wilson hält – seine ‚Gattin‘ Elizabeth eingeschlossen, die ihn sogleich ins gemeinsame Strandhaus in Bayport transportieren lässt. Dort gesteht sie Young, in Notwehr ihren Mann erschossen zu haben, als dieser sie zwingen wollte, den Betrug zu unterstützen, und bittet den Verletzten um Hilfe, da sie nicht ins Gefängnis wandern will.

Young erklärt sich wider Erwarten bereit, die Täuschung aufrechtzuerhalten. Er hat seine Gründe, und außerdem wird er neugierig, als er Wilsons Papiere durchstöbert und dabei auf eine mysteriöse Liste mit Schiffsnamen stößt. War Wilson tatsächlich ein Spion? Das will Young feststellen, so lange ihn sein Gesichtsverband noch schützt, und Bonita Decker aushorchen, die offenbar nicht nur Wilsons Geliebte, sondern auch seine Komplizin war. Dieses Doppelspiel ist freilich gefährlich, denn Elizabeth gedenkt nicht, ihren ‚Ehemann‘ ziehen zu lassen. Dass es noch weitere Beteiligte gibt, die nicht lange fackeln, erkennt Young, als in der Nacht auf ihn geschossen wird …

_Kleiner Krimi mit großen Rätseln_

Ein Krimi-Kammerspiel, das in einem einsamen Strandhaus spielt. Es gibt nur wenige Mitspieler, und mindestens ein Verbrechen ist begangen worden. Dennoch ist „Wenn alle Stricke reißen“ (für den blöden deutschen Titel kann der Autor nichts) kein „Whodunit?“, denn nicht nur der Täter, sondern überhaupt bleibt unklar, was eigentlich vorgeht. Es gibt nur Andeutungen, die sich immer wieder als nicht zutreffend oder relevant erweisen. Gemeinsam mit dem Helden irren wir durch das Geschehen – einem ‚Helden‘ allerdings, der selbst recht suspekt wirkt.

Warum macht er das? Gemeint ist David Young, der den Leser verblüfft, als er die seltsame Scharade, in die er sich verwickelt sieht, erst einmal mitspielt, statt sich sofort als Unfall- und Fast-Mordopfer zu offenbaren. Verfasser Hamilton lässt uns einige Zeit im Ungewissen, doch als Young dann spricht, zeigt sich umgehend, dass er sehr gut in den Kreis seiner ‚Kidnapper‘ passt: Der Seemann hat kein Bedürfnis, auf ein Schiff zurückzukehren. Seit er im Krieg einen Untergang knapp überlebte, leidet er unter einer Psychose und befürchtet zu versagen, sollte er seinen Dienst wieder antreten müssen.

Als er sich besinnt und sich seiner Verantwortung stellen möchte, ist es zu spät: Für alle Welt ist er Larry Wilson, und damit das so bleibt, wird dem nunmehr in seiner Rolle gefangenen Young mit dem Tod gedroht; schließlich ist er offiziell gestorben, und es wäre hilfreich, ihn noch einmal und dieses Mal endgültig von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Das Spiel mit der Identität ist riskant, denn man kann in eine Person schlüpfen, die man erst recht nicht sein möchte – und ein Zurück ist manchmal nicht möglich!

_Frauen sind undurchsichtige Geschöpfe_

Zwar schwört Elizabeth Stein & Bein, genau dies nicht zu planen, doch Young bleibt verständlicherweise misstrauisch. Das Verhalten seiner ‚Gattin‘ ist in der Tat merkwürdig: Sie wirft sich ihm in die Arme und lügt doch wie gedruckt. Als Young sie zur Rede stellt, zeigt sie deutliche Anzeichen einer psychischen Störung.

Young ist in Bayport ein Außenseiter. Das ermöglicht ihm den klaren Blick hinter die Kulissen. Larry Wilson gehört zum alten Maryland-‚Adel‘, ist per Geburt wohlhabend und doch ein Gefangener seiner Herkunft. Mit seiner Frau bewohnt er ein Haus, das kein Heim, sondern Museum ist. Jedes Möbelstück ist Zeuge der Familiengeschichte und ist als solches zu behandeln. Elizabeth hatte nie eine Chance, dem Haus ihren Stempel aufzudrücken. Nur die Küche ‚gehört‘ ihr, und deshalb hält sie sich am liebsten hier auf.

Bonita Decker ist die zweite weibliche Schönheit, der mit Vorsicht zu begegnen ist. Sie weiß offensichtlich mehr über Wilsons Treiben, und sie lässt sich auch nicht durch Young täuschen. Auf welcher Seite sie steht, bleibt eine offene Frage. Andererseits ist Young ohnehin im Nachteil, weil er keine Ahnung hat, was es bedeutet, sich auf eine Seite zu schlagen …

_Das hässliche Gesicht einer Demokratie_

Die erste Hälfte der 1950er Jahre standen in den USA politisch im Zeichen eines rigiden, hysterischen und hässlichen Antikommunismus‘, dem der korrupte Senator Joseph McCarthy das passende Gesicht verlieh. „Wenn alle Stricke reißen“ spielt in dieser Zeit und wird von ihr geprägt, was dem heutigen Leser wahrscheinlich nicht auffällt, auch wenn er sich manchmal über das wundert, was er liest.

So kann man sich (glücklicherweise) kaum mehr vorstellen, dass bereits der Verdacht, mit ‚unerwünschten‘ Ansichten zu liebäugeln und entsprechenden Institutionen nahe zu stehen, einen Menschen beruflich und privat zerstören konnte. Gnadenlos wurde auf mutmaßliche Mitglieder der „Fünften Kolonne“ Jagd gemacht; sie wurden bespitzelt, auf schwarze Listen gesetzt, vor Ausschüsse und Gerichte gezerrt, ihre staatsbürgerlichen Rechte mit Füßen getreten. Unter diesem Aspekt wirkt Lawrence Wilsons Verhalten plötzlich verständlich; ihm kann die Aufmerksamkeit, die er, der ‚Kommunist‘, erregt hat, nur schaden bei dem, was er tatsächlich vorhat.

Auf der anderen Seite steht David Young, der plötzlich den Patrioten in sich entdeckt und eine Anklage als Deserteur oder den Tod riskiert, um das Geheimnis zu lüften, hinter dem sich womöglich eine sowjetische Schliche verbirgt. Er muss sich entscheiden und tut es – ein scharfer Schnitt, der ihn vom Fahnenflüchtling zum patriotischen Bürger aufwertet, was in dieser naiven Radikalität heute kaum mehr funktionieren würde. Aber letztlich erweist sich das Motiv des Landesverrats als „MacGuffin“, d. h. als für die eigentliche Handlung im Grunde nebensächliches oder unwichtiges Element. Im Vordergrund steht stattdessen der klassische Kampf zwischen Gut & Böse, den Autor Hamilton mit erfreulichem Hang zum Verwischen der Grenze in Szene zu setzen weiß. Wer welche Rolle übernimmt, ist entweder unklar oder wechselt unvermittelt: So bleibt das an sich kammerspielähnliche Geschehen bis zum Schluss spannend.

_Autor_

Donald Bengtsson Hamilton wurde am 24. März 1916 im schwedischen Uppsala geboren. Als Achtjähriger emigrierte er 1924 mit seinen Eltern in die Vereinigten Staaten. Ab 1942 leistete Hamilton Kriegsdienst in der Navy. Er brachte es bis zum Offizier, kam aber nicht zum aktiven Einsatz, sondern blieb in Annapolis stationiert, wo er in Marineakademie der Vereinigten Staaten tätig war. Zwei erste Romane entstanden in dieser Zeit, die allerdings unveröffentlicht blieben. Hamilton hielt die Erinnerung an seine Militärzeit wach; immer wieder wurden ehemalige oder noch aktive Marine-Offiziere seine Helden, die in lebensbedrohliche, meist durch Mord eingeleitete Krisen gerieten, in denen sie auf ihre militärischen Erfahrungen zurückgreifen konnten.

Hamilton schrieb Kriminalgeschichten. 1946 gelang ihm ein erster Verkauf an „Collier’s Magazine“. In den nächsten Jahren verkaufte er zahlreiche Storys an ähnliche Publikationen. Hamiltons Romandebüt „Date with Darkness“ von 1947 war ebenfalls ein Krimi – ein klassischer, d. h. düsterer „Noir“-Thriller mit Figuren, die sämtlich gefährliche Geheimnisse hüteten. Moralische Ambivalenz, aber ein persönlicher Ehrenkodex zeichneten zukünftig den typischen Hamilton-‚Helden‘ aus.

1960 suchte der Verlag Fawcett für seine „Gold Medal“-Reihe einen neuen Serienhelden im Stil des zu diesem Zeitpunkt in den USA allerdings noch fast unbekannten James Bond. In „Death of a Citizen“ beginnt Matt Helm seine literarische Karriere. Zwischen 1960 und 1993 veröffentlichte Hamilton 27 Romane der Reihe. Ihr Erfolg war phänomenal; die Auflagenhöhe durchbrach bereits Anfang der 1980er Jahre die 20-Millionen-Grenze.

Nachdem Hamilton die meiste Zeit seines Lebens in Santa Fé, New Mexico, verbracht hatte, kehrte er nach dem Tod seiner Ehefrau in den 1990er Jahren in seine schwedische Heimat zurück, wo er sich in Visby auf der Ostseeinsel Gotland niederließ. Dort ist er am 20. November 2006 im Alter von 90 Jahren gestorben.

Richard Montanari – Lunatic

Der übliche genial-verrückte Serienkiller treibt bizarren Schabernack mit Frauenleichen. Im Wettlauf mit dem Täter ermittelt ein männlich-weibliches Polizisten-Duo. Zusätzlich erschwert wird die Fahndung durch zwei weitere Mörder, die sich ebenfalls gewaltsam in das Geschehen einbringen … – Trotz vieler Klischees und galoppierender Unlogik überaus einfallreich gestrickter, temporeicher und mit schwarzem Humor abgerundeter Thriller, der einfach(en) Spaß verbreiten soll und kann.
Richard Montanari – Lunatic weiterlesen

Weiner, Tim – CIA – Die ganze Geschichte

„Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, sprach der Philosoph Heraklit schon im 6. Jahrhundert vor Christus, aber er fuhr so fort: „Die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien.“ Dieser Teil wird im Zitat gern unterschlagen. Damit wollte Heraklit auf die Ambivalenz der Dinge hinweisen, die ein Krieg hervorbringen kann.

Man könnte meinen, der weise Mann habe bereits vor 2500 Jahren die Gründung der „Central Intelligence Agency“ und ihr Scheitern vorausgesehen. Denn ein Kind des Krieges, des II. Weltkriegs sogar, ist diese CIA, die ursprünglich Nachrichten aus aller Welt sammeln, sichten und auswerten sollte, die für die politische Alltagsarbeit des US-Präsidenten von Relevanz sein konnten.

In sechs Kapiteln berichtet der Journalist Tim Weiner, wie einer an sich guten Idee ein Monster entsprang, das die Weltgeschichte auf kriminelle Weise veränderte und entscheidende Mitschuld daran trägt, dass die heute stärkste Großmacht auf Erden Instrumente wie Mord und Folter in ihre Politik aufgenommen hat.

„Anfangs wussten wir nichts“, überschreibt Weiner das erste Kapitel, das die Gründerjahre der CIA unter Präsident Truman (1945-1953) beschreibt. Der Kampf gegen die Nazis und die Japaner war gewonnen, der Kalte Krieg mit der Sowjetunion und China stand bevor. Um ihn nicht militärisch führen zu müssen, waren Informationen nötig, die der neue Gegner selbstverständlich sorgfältig geheimhielt. Von der Informationsbeschaffung bis zum Informationsdiebstahl war es daher nicht nur gedanklich ein kurzer Weg.

Doch Hektik, Unkenntnis und Ratlosigkeit wurden die drei grundsätzlichen Pfeiler der CIA, die ohne Wissen um die Mechanismen erfolgreichen Spitzelns den Feind hinter dem Eisernen Vorhang ausspionieren sollte. Jeder wusste, dass man eine solche Institution benötigte, doch niemand hatte eine Ahnung, wie sie aufzubauen und zu organisieren war.

Dies blieben keine Anfangsschwierigkeiten. „Die CIA unter Eisenhower, 1953 bis 1961“, lernte rein gar nichts aus ihren Fehlern, sondern ergänzte die lange Liste falsch geplanter und fehlgeschlagener Spionage-Einsätze um eine neue Todsünde: Die CIA begann politisch aktiv zu werden, indem sie missliebige Regierungen und Gruppierungen zu unterwandern und aus dem Feld zu schlagen suchte. Verbündete oft zweifelhafter Herkunft wurden mit Geld und Waffen versorgt, Sabotageakte und Attentate gefördert, die Autonomie der betroffenen Nationen und das Recht mit Füßen getreten. Korea und Kuba bildeten die Klammer für die CIA-Aktivitäten dieser Jahre, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie aufflogen, fehlschlugen und ein blutiges Ende nahmen; meist geschah dies alles gleichzeitig.

„Unter Kennedy und Johnson“ komplettierte die CIA nicht nur die außenpolitischen Debakel durch den Vietnamkrieg. Die US-Regierung begann den Geheimdienst zur Bespitzelung der eigenen Bürger zu missbrauchen. Wachsende Kritik an den Menschenrechtsverletzungen durch die und den Diskriminierungen in den USA machten dem politischen Establishment zu schaffen, das keineswegs daran dachte, sich mit der Opposition und ihren gerechtfertigten Forderungen arrangieren, sondern diese den „Commies“ gleichsetzte und als Staatsfeinde betrachtete.

Pikanterweise begann der Abstieg der CIA ausgerechnet unter den Präsidenten Nixon und Ford (1968-1977) – pikanterweise deshalb, weil der paranoide Nixon, den seine Watergate-Schnüffeleien zu Fall brachten, nicht einmal den Hightech-Spitzeln der CIA traute. Die Öffentlichkeit wurde aufmerksam, die CIA einer endlosen Serie von „Reorganisationen“ unterzogen, die sämtlich torpediert wurden und die bekannten Zustände konservierten. Die CIA verwaltete sich weiterhin am liebsten selbst und agierte ohne Zustimmung der Regierung. So kam es, dass seit den 1970er Jahren afghanische Rebellen im Kampf gegen die sowjetischen Invasoren mit modernen Massenvernichtungsmitteln ausgerüstet wurden, die sie später zur Errichtung strikt antiwestlicher Gottesstaaten befähigten: Das Terror-Problem der USA ist weitgehend hausgemacht.

„Die CIA unter Carter, Reagan und George H. W. Bush“ setzte 1977 bis 1993 die Reihe der blamablen Fehlschläge fort. Der redliche Carter wollte die CIA zerschlagen, und selbst der intellektuell beschränkte Reagan bemerkte die Ahnungslosigkeit der gar nicht ‚intelligenten‘ Agenten, die vom Fall der Berliner Mauer oder vom Zusammenbruch des Ostblocks eiskalt überrascht wurden. George Bush der Ältere reihte sich ein, als er den wackligen und geschönten Berichten über einen atom- und chemiewaffengerüsteten Irak Glauben schenkte und den ersten Golfkrieg entfesselte.

„Die Abrechnung“ erfolgte 1993 bis 2007 unter Clinton und George W. Bush. Der zweite Golfkrieg wurde ebenfalls unter Vorspiegelung falscher Tatsachen geführt, die zornige Gegenreaktion im Nahen Osten vom Geheimdienst entweder falsch interpretiert oder ignoriert. Den traurigen Höhepunkt bildete die Attacke auf das World Trade Center im September 2001 – eine Terroraktion, von der sogar die CIA längst wusste, ohne entsprechende Schritte zu einzuleiten. Als Konsequenz büßte die Agency 2006 ihre Vormachtstellung ein – sie untersteht nun dem Nationalen Nachrichtendienst und wird abermals neu organisiert …

_Gut gemeint, aber mörderisch mutiert_

Tim Weiners Geschichte der CIA ist ein Buch, das sich im Grunde nur in kurzen Abschnitten lesen lässt, weil die Lektüre garantiert zu erhöhtem Blutdruck und ungesunden Wutanfällen führt. Das Schlimme ist, dass selbst Weiners Kritiker dem Verfasser zugestehen müssen, wie redlich er recherchiert und ausgewertet hat, was er in jahrzehntelangem Quellenstudium sowie im Rahmen unzähliger Interviews in Erfahrung bringen konnte.

Man wünscht sich verzweifelt eine logische Erklärung dafür, wie eine Institution, die Tod und Leid über die Welt gebracht und Unsummen für groteske und höchst kriminelle Aktionen verprasst hat – Geld, das dem Sozial- und Gesundheitswesen oder der Bildung entzogen wurde -, sich mehr als sechs Jahrzehnten nicht nur halten konnte, sondern wuchs und gedieh und ihre üblen Machenschaften weiterhin fortsetzt.

Weiner liefert diese Erklärung, aber sie befriedigt nicht, weil sie Binsenweisheiten zu einer Dimension verhilft, die schlicht atemberaubend im Sinne von niederschmetternd ist: Angst und Ahnungslosigkeit schufen eine Einrichtung, die unkontrolliert Ziele verfolgen konnte, die nicht selten von psychisch kranken oder offen kriminellen Menschen formuliert wurden und schließlich sakrosankt wirkte: ein Monster, das nach außen menschlich wirkt, während es insgeheim ganze Kontinente verwüstet und ins Unglück stürzt.

Seinen Widersachern macht es Weiner schwer. Er überzieht sie mit Daten und Fakten. Wer seiner Auswertung nicht trauen mag, kann sie ab S. 669 anhand 664 oft mehrseitiger Anmerkungen nachprüfen, die bis zur Seite 834 noch einmal ein eigenes Buch ergeben. Dabei konfrontiert Weiner Worte mit Taten. Die Diskrepanz ist deutlich und lässt sich schwerlich wegerklären.

Eine wertvolle Informationsquelle stellten die Männer und Frauen dar, die für die CIA gearbeitet haben, die Strukturen dort kennen und unglücklich über die Realität einer ebenso ineffizienten wie illegal arbeitenden Einrichtung waren. Als Achillesferse der CIA entpuppte sich stets die Unfähigkeit des Menschen, Geheimnisse zu wahren oder unter den Tisch zu kehren. „Es gibt kein Geheimnis, das die Zeit nicht enthüllt“ – mit diesem Zitat des Schriftstellers Jean Racine (1639-1699) leitet Weiner sein Mammut-Werk ein.

Ist Weiner einseitig? Ihm dies vorzuwerfen, ist schwierig, sollte auch nur teilweise zutreffen, was er ans Tageslicht befördert hat. Die „Falken“ zürnen, weil sie an der Willkür als Mittel im Kampf gegen den Terror festhalten wollen und ein Buch wie dieses, das viele heilige Kühe der politischen, wirtschaftlichen oder militärischen US-Geschichte förmlich schlachtet, als kontraproduktiv betrachten. Im Zweifelsfall sind freilich auch die Moralisten hilfesuchend zur CIA gelaufen, wenn es irgendwo brannte und die Wiederwahl in Gefahr war.

Übrigens ist Weiner nicht grundsätzlich gegen Spionage. Ein geschickter Geheimdienst kann gefährliche Pläne des Gegners offenlegen und diesem damit den Wind aus den Segeln nehmen. Weiner prangert vor allem miserable Spionage an, weil mangelhafte oder fehlende Informationen immer kontraproduktiv sind und die USA in den Vietnamkrieg und andere Desaster geführt haben.

_Kriminelle Geschichte oder Geschichte als Krimi?_

Sollte jemand bisher der Ansicht gewesen sein, dass Geschichte langweilig ist, wird ihn die Lektüre dieses Buches eines Besseren belehren. „CIA“ ist ein Werk, das jeden Thriller deklassiert, denn wieder einmal ist die Realität stärker als jede Fiktion. Weiner kann beweisen, was er schreibt, was Schilderungen ermöglicht, für die man jeden Schriftsteller mit Hohn und Spott übergießen würde. Wer würde ohne entsprechende Belege glauben, dass der US-Geheimdienst ernsthaft probte, Tokio in der Endphase des II. Weltkriegs mit Brandbömbchen zu verheeren, die man den dort beheimateten Fledermäusen umschnallen wollte …? Mit solchen und ähnlich bizarren Anekdoten lockert Weiner seinen Text immer wieder auf. Das Lachen bleibt dem Leser im Halse stecken, wenn er unmittelbar darauf informiert wird, wie viele meist unschuldige Menschenleben solcher Schwachsinn kostete.

Weiner schließt mit der Hoffnung, die ’neue‘ CIA von 2006 werde endlich ihren eigentlichen Aufgaben gerecht. Er will dies annehmen, denn er glaubt wie gesagt an das Konzept der CIA. Die unerfreuliche Realität hat er aufgedeckt, was er jedoch nicht als wütende Attacke, sondern als Warnung versteht. Die CIA ist für Weiner trotz ihrer Sünden ein Teil der US-Regierung geworden. Sie lässt sich hoffentlich umstrukturieren und zukünftig besser kontrollieren, darf aber nicht abgeschafft werden. Dieses Fazit wird vielen (deutschen) Lesern nicht schmecken, doch Weiner ist letztlich Amerikaner, der an das politische, ökonomische und moralische Primat ’seiner‘ USA glaubt.

_Wen interessiert in Deutschland die CIA?_

Die deutsche Ausgabe von „CIA – Die ganze Geschichte“ wurde von vier Übersetzern bearbeitet, um so ein zum Original möglichst zeitnahes Erscheinen zu ermöglichen. Brüche oder stilistische Unterschiede lassen sich nicht feststellen; der seitenstarke Band liest sich wie aus einem Guss.

Wer sich fragt, wieso die Übeltaten der CIA so rasch einem deutschen Publikum nahegebracht werden oder dieses interessieren sollten, wird durch ein separates „Vorwort zur deutschen Ausgabe“ aus seinem Dornröschenschlaf geweckt: Selbstverständlich arbeiten der US-amerikanische und der deutsche Geheimdienst seit 1945 eng zusammen; die CIA stützte sich in den Anfangsjahren sogar gern auf die vorzüglich ausgebildeten Fachleute der Gestapo … Deutschland hat seinen Preis für die von der CIA ‚beratene‘ und damit mitgeprägte Politik zahlen müssen und war u. a. für Jahrzehnte Pufferzone für eventuelle Atom-Attacken aus dem roten Osten, denn natürlich stationierten die USA ihre Raketen am liebsten dort, wo dies das eigene Land nicht in Gefahr brachte. Auch im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung hat sich die CIA nicht mit Ruhm bekleckert. Geheimdienstarbeit war offensichtlich schon globalisiert, als dieser Begriff noch gar nicht existierte. Frieden oder Stabilität hat sie der Welt nicht gebracht, aber Weiner macht uns klar, dass dies womöglich niemals geplant war oder ist.

_Der Verfasser_

Tim Weiner berichtet als Journalist seit mehr als zwei Jahrzehnten über die Außenpolitik der Vereinigten Staaten. Er arbeitete in Washington, dem Herz der US-Politik, sowie in Mexiko City als Auslandskorrespondent. 1988 wurde er für eine vom „Philadelphia Inquirer“ veröffentlichte Reportage, die geheime Schmiergeld-Praktiken des Pentagons und der CIA offenlegte, mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Weiner blieb dem Thema treu bzw. weitete seine Recherchen aus. Zwischen 1993 und 1999 schrieb er für die „New York Times“ mehr als 100 Berichte über die CIA. Er gilt längst als einer der besten Kenner des US-amerikanischen Geheimdienstsystems. In „Legacy of Ashes“ (dt. „CIA – Die ganze Geschichte“), seinem dritten Buch, fasste er die Ergebnisse seiner Nachforschungen 2007 zusammen. „CIA“ erklomm die Bestseller-Listen und wurde mit dem „National Book Award Non-Fiction“ 2007 ausgezeichnet.

http://www.fischerverlage.de/

Arthur C. Clarke – Rendezvous mit Rama

Das geschieht:

Im Jahre 2131 ist die Menschheit zwar vereint aber keineswegs einig. Im Rat der „United Planets“ sitzen Vertreter der Erde, des Mondes, der Planeten Merkur und Mars sowie der Monde Ganymed, Titan und Triton: Das Sonnensystem ist bis zur Umlaufbahn des Uranus‘ besiedelt.

Die sieben Mitglieder der UP stellen auch das „Rama-Komitee“, das seine Arbeit aufnimmt, nachdem ein gigantischer, offensichtlich künstlicher Himmelskörper gesichtet wird: Objekt 31/439, später benannt nach der Hindu-Göttin Rama, ist eine Raumarche von zylindrischer Form, misst stolze 50 km in der Länge und weist einen Durchmesser von 8 km auf. Seit Jahrmillionen ist dieses Schiff unterwegs, dessen Kurs direkt auf die Sonne zielt. Arthur C. Clarke – Rendezvous mit Rama weiterlesen

Jones, Henry jr. – Tagebuch von Indiana Jones, Das

Im Jahre 1908 schenkte ihm sein Vater ein in Leder gebundenes Tagebuch, in dem der junge Henry Jones, Spitzname „Indiana“ und zu diesem Zeitpunkt neun Jahre alt, seine Erlebnisse aufzeichnen sollte. Obwohl selten einer Meinung mit dem Senior, einem bedeutenden Sprachwissenschaftler, beherzigte der spätere Archäologe dessen Rat und schuf das einmalige Dokument eines Lebens, das der Wissenschaft und dem Abenteuer gewidmet war.

Schon den jungen Indiana Jones zeichnete eine unbändige Reiselust aus, die er – zunächst noch als Begleiter seines ähnlich umtriebigen Vaters – ausgiebig ausleben durfte. Er lernte diverse Prominenz seiner Ära kennen, darunter 1908 Lawrence von Arabien und 1909 den ehemaligen US-Präsidenten Teddy Roosevelt, an deren Seiten er diverse gefährliche und geheime Erlebnisse meisterte.

1916 schloss sich Jones dem mexikanischen Revolutionsführer Pancho Villa an; eine Feuerprobe, die ihm eine Rückkehr in ein ’normales‘ Leben endgültig unmöglich machte. Für den jungen Idealisten bot es sich förmlich an, in den I. Weltkrieg zu ziehen, den Jones mit viel Glück und wenigen Verletzungen, aber desillusioniert überlebte. Weitere Reisen kreuz und quer durch die Welt schlossen sich an, bis Jones 1933 eine Professur an der Universität Princeton angeboten wurde, wo er als anerkannter und beliebter Archäologie lehrte und zwischenzeitlich immer wieder neue Schatzsuchen unternahm.

1935 geriet Jones zusammen mit der Nachtclub-Sängerin Wilhelmina „Willie“ Scott und seinem chinesischen Mündel „Shorty“ in eine magische Palastintrige, die den jungen Maharadscha des nordindischen Fürstentums Pankot in die Marionette eines dämonischen Hohepriesters verwandelte. Das Trio befreite den Herrscher und holte einen der magischen Shankara-Steine zurück.

In Ägypten geriet Jones 1936 erstmals ins Visier der Nazis, die dort im Auftrag Adolf Hitlers nach der Bundeslade suchten. Weil er sie ihnen vor der Nase wegschnappte, erinnerten sie sich seiner gut, als sich ihre Wege 1938 abermals kreuzten; dieses Mal jagten Jones jr. und sr. gemeinsam dem Heiligen Gral hinterher und obsiegten. Abermals das Nachsehen hatten die Nazis im Wettlauf mit dem jüngeren Jones um die Geheimnisse des versunkenen Kontinents Atlantis (1939).

1947 wurde Jones in den Kalten Krieg verstrickt. In den Ruinen des Turms zu Babel traf er auf ein Geheimkommando der Sowjets, das hier nach antiken Wunderwaffen fahndete und eine empfindliche Niederlage einstecken musste. Seitdem wurde Jones‘ Wirken vom sowjetischen Geheimdienst genau verfolgt. 1957 kam es im südamerikanischen Kolumbien zu einer weiteren Auseinandersetzung um einen legendären Kristallschädel der Inkas, in dessen Verlauf Jones sein Tagebuch verlor, das in den Besitz der Sowjets überging.

_Die Irrfahrt eines Tagebuchs_

Dort wurde es sorgfältig ausgewertet, kommentiert und eingelagert, bis es nach der Auflösung der UdSSR (1991) irgendwann (und gerade rechtzeitig zur Kino-Premiere des vierten „Indiana-Jones“-Films …) wieder zum Vorschein kam. So geht jedenfalls die Mär, die um dieses „Tagebuch des Indiana Jones“ gestrickt wurde. Mit dem erwähnten Film läuft die Merchandising-Maschinerie erneut auf Hochtouren. Allerlei meist überflüssige und überteuerte Mätzchen werden den Indy-Fans angeboten, die darauf wie der berühmte Pawlowsche Hund auf die Klingel zur Wurst reagieren.

Selbstverständlich gibt es einen ‚richtigen‘ Roman zum Film „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ (2008), aber das ist selbstverständlich nicht genug des Franchises. Das „Tagebuch“ ist ein halbwegs origineller Versuch, die immerhin 19-jährige Lücke zu schließen, die zum dritten Film der Serie („Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“, 1989) klafft. Zwar folgten diesem noch diverse Romane, eine TV-Serie sowie PC-Games, aber das Interesse der breiten Öffentlichkeit flaute dennoch ab.

Das „Tagebuch …“ bietet nun vor allem der jüngeren Generation die Möglichkeit, Indys Vorgeschichte zum „Königreich“ zu rekapitulieren. Jones‘ ‚offizielle‘ Biografie umspannt immerhin fünf Jahrzehnte, in denen unser Held nie untätig blieb. Tatsächlich ist der Stoff, aus dem seine Geschichte gewoben ist, so umfangreich, dass er den Rahmen eines nur 160 Seiten umfassenden Tagebuchs definitiv sprengt. Das „Tagebuch“ ist deshalb ein Kompromiss, eine Sammlung von Höhepunkten, die Jones‘ abenteuerliches Leben wenigstens skizzieren.

_Die Quellen des Tagebuchs_

Dabei versuchen die eigentlichen Autoren – nur schlichtgeistige Leser glauben an die tatsächliche Autorenschaft eines realen Indiana Jones -, sämtliche Aspekte des Franchises unter einen Hut zu bringen. (Dieses Bild bietet sich an …) Das erweitert noch die Faktenbasis und verhindert, dass vor allem die Jugendjahre sowie die Jahre zwischen 1938 und 1957 allzu fragmentarisch wirken.

Eingeflossen sind letztlich folgende Elemente der Jones-Chronik:

1908-1934: „Die Abenteuer des jungen Indiana Jones“ (TV-Serie, 1992/93), „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ („Indiana Jones and the Last Crusade“, Film, 1989)
1935: „Indiana Jones und die Legende der Kaisergruft“ („Indiana Jones and the Emperor’s Tomb“, PC-Game, 2003)
1935: „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ („Indiana Jones and the Temple of Doom“, Film, 1984)
1936: „Jäger des verlorenen Schatzes“ („Raiders of the Lost Ark“, Film, 1981)
1938: „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ („Indiana Jones and the Last Crusade“, Film, 1989)
1939: „Indiana Jones and the Fate of Atlantis“ („Indiana Jones and the Fate of Atlantis“, PC-Game, 1992)
1947: „Indiana Jones und der Turm zu Babel“ („Indiana Jones and the Infernal Machine“, PC-Game, 1999)
1957: „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ („Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull“, Film 2008)

Wenigstens die [Ereignisse der Filme]http://www.powermetal.de/video/review-372.html sollte man im Hinterkopf haben, da sich die Rekonstruktion der verschlungenen Lebenspfade des Indiana Jones sonst mühsam bis unmöglich gestaltet: Das „Tagebuch“ dient eher der Auffrischung von Erinnerungen als der Information.

_Ein feines Stück Buchhandwerk_

Das Besondere am angeblichen „Tagebuch von Indiana Jones“ ist seine scheinbare Authentizität. Jeder Leser soll und kann glauben, das Original aus den Gewölben des russischen Geheimdienstes in den Händen zu halten. Sorgfältig wurde das Werk gestaltet: als Mischung aus Arbeitskladde, in der Jones, der Archäologe, wissenschaftliche Gedanken festhält, Grundrisspläne verlorener Stätten zeichnet und mysteriöse Artefakte skizziert, und Tagebuch, in das der Privatmann Jones Einblick in sein Inneres, seine Gedanken, Ängste und Wünsche bietet sowie Fotos, Zeitungsausschnitte oder abgelaufene Tickets einklebt, die Erinnerungswert für ihn besitzen. (1953 heftete er z. B. den Prospekt für einen modernen Kühlschrank ein, der ihn sehr faszinierte; direkt darunter findet sich der Umschlag einer Einladung zur Amtseinführung von US-Präsident Eisenhower – eine Kombination, die bezüglich Indys Charakter Bände spricht!)

So ein Buch ist einerseits robust – das hat Henry Jones, der strenge Vater, selbstverständlich bedacht – und andererseits mitgenommen von weiten Reisen in engen Rücksäcken, ‚verziert‘ mit Wasser- und Stockflecken, verschmierten Fingerabdrücken und Rissen; im Mittelteil fehlen gar vier Seiten, die nur eine zackige Risskante zurückließen.

Alle genannten Schäden wurden im Replikat nachgeahmt. Schon der Tagebuchdeckel ist etwas Besonderes; er wurde wie der ‚originale‘ Ledereinband wattiert und an den Seiten vernäht. Ein oben und unten am hinteren Rücken fixiertes Gummiband dient als Lesezeichen oder hält die Seiten zusammen, die so nicht auffächern und verknicken können. Das Papier ist dick und gelb-bräunlich eingefärbt. Was Indiana Jones einklebte oder –heftete, ist anhand uralter Fotoecken und Tesafilm-Streifen erkennbar. Diese Einlagen sind nicht separat reproduziert, sondern eingedruckt: ein Zugeständnis an den Buchmarkt. Das „Tagebuch“ liegt mit seinem Preis von 19,90 €uro im oberen Bereich dessen, was ein Indy-Fan für diesen Artikel ausgeben würde. Allzu teuer durfte es in der Herstellung also nicht werden.

Das macht sich manchmal unschön bemerkbar. Während die aus den Filmen entnommenen Fotos sowie die vom Autorentrio Anthony Magnoli, Kristen Wisehart und Joanna Price geschaffenen Zeichnungen, Skizzen und Dokumente gelungen sind und als zeitgenössische Quellen überzeugen können, trifft dies auf die extra für das „Tagebuch“ angefertigten bzw. retuschierten Bilder nicht zu. Die in Fotos der Zeit projizierten Gesichter der Schauspieler sind jederzeit als solche erkennbar; ein und dasselbe Porträt des jungen Sean Connery diente sogar zweimal als Grundlage. (Nebenbei: Wenn auf zwei Steckbriefen der SS für Indiana Jones das Geburtsdatum 1899 angegeben wird, kann Vater Henry wohl kaum 1890 geboren sein!)

_Das ‚deutsche‘ Tagebuch – ein besonderes Kapitel_

Die deutsche Ausgabe des „Tagebuchs“ benötigte mehr als eine Übersetzung. Weil dies persönliche Aufzeichnungen sind, die lange vor der Erfindung des Notebooks geführt wurden, schrieb Indiana Jones selbstverständlich mit der Hand. Diese Kunst ist heute im Aussterben begriffen; auch für das „Tagebuch“ setzte sich niemand mit einem Füllhalter oder Bleistift hin: Im 21. Jahrhundert gibt es auch Handschriften als Schriftfonts. Nichtsdestotrotz wirkt das Ergebnis trotz der etwas zu klaren Schriftführung glaubhaft. Zudem musste berücksichtigt werden, dass viele Leser Handschriften womöglich gar nicht mehr entziffern können.

Im O-Ton belassen wurden die ‚eingeklebten‘ Buch- und Zeitungstexte, Speisekarten, Tickets u. a. Dokumente. Die deutsche Ausgabe enthält eine Tasche, in der sich eine separate Übersetzung findet. Damit bleiben wirklich keine Fragen offen. Weitere Hintergrundinformationen liefern eingefügte Zettel, auf denen russische Geheimdienst-Spezialisten diverse Einträge kommentieren; nicht jeder Leser weiß, wer Lawrence von Arabien oder Pancho Villa waren.

Lohnt unterm Strich die Anschaffung? Schlägt man das „Tagebuch“ erst einmal auf, ist man durchaus gefesselt. Viele Bilder und Zeichnungen kennt man aus den „Indy“-Filmen. Nun kann man sie in Ruhe betrachten. Nette Gags am Rande enthüllen sich vor allem dem Eingeweihten, wie überhaupt dieses Tagebuch nur Bekanntes aufwärmt. Für den „Indy“-Fan und Sammler ist dieses Büchlein natürlich ein Muss – dies aber wohl nur für ihn oder sie. Auch als Geschenk für den Filmfreund eignet sich das „Tagebuch“. Ansonsten kommt ein Gutteil des Erlöses für dieses Buch notleidenden Künstlern zugute: Steven Spielberg und George Lucas …

http://www.oetinger.de

Zurdo, David / Gutiérrez, Ángel – 616 – Die Hölle ist überall

Teufel, Teufel! Irgendetwas rührt sich im Jenseits, und es riecht verdächtig nach Schwefel! Definitiv gläubige Zeitgenossen, die es bei Unfällen oder auf dem OP-Tisch beinahe dahinraffte, berichten nach ihrer Rückkehr ins Leben nicht vom berühmten weißen Licht und der freundlich winkenden Oma, sondern von Feuer, Schreien und anderen Unerfreulichkeiten, die man gemeinhin mit der Hölle assoziiert.

Das klingt nach einem Fall für Jesuitenpater Albert Cloister, Mitglied der „Wölfe Gottes“, einer geheimen Geheimorganisation, die im Auftrag des HERRN (aber nicht unbedingt des Papstes) auf der ganzen Welt übernatürlichen Auffälligkeiten hinterherforscht! Cloister findet denn auch manches Indiz dafür, dass Satan energisch an einer Expansion seines Territoriums arbeitet. Wenn es nur jemanden gäbe, der im Jenseits nach dem Rechten sehen, zurückkehren und berichten könnte …

Noch kennt Pater Cloister Audrey Barrett nicht, die in New York als Therapeutin tätig ist. Zu ihren Patienten gehört neuerdings der alte Gärtner Joseph, der von wüsten Visionen geplagt wird, die sich – wäre Audrey nicht Wissenschaftlerin – als Blicke ins Jenseits deuten ließen, wo es (s. o.) merkwürdig zugeht …

Unabhängig voneinander kommt man zu den Schluss, der Sache vorsichtshalber nachzugehen. Satan, der anscheinend sonst nichts Wichtiges zu tun hat, mischt sich mit kryptischen Hinweisen ein und schickt vor allem Pater Cloister auf eine Schnitzeljagd rund um die Welt. Die endet in einer einsamen Höhle im Heiligen Land und mit dem Fund einer Schrift, die eine ganz fürchterliche Wahrheit für alle frommen Christen konserviert …

Wer weiß, was „Hölle“ bedeutet? Schenkt man dem Autorenduo Zurdo & Gutiérrez Glauben, dann sitzt an einem unbequemen Ort tatsächlich der Teufel, der die Welt in die Realversion einer fundamentalkatholischen Kinderbibel zu verwandeln sucht. Der aufgeklärte Leser weiß indessen bald, dass die wahre Verdammnis ein Ort ist, an dem man auf ewig Bücher wie „616 – Die Hölle ist überall“ lesen muss.

Als einen „gnadenlos spannenden Mysterythriller aus dem Land der Inquisition“ preist die Verlagswerbung ebenso geschmacklos wie marktschreierisch dieses Buch an, das von der zahlenden Leserschaft als x-ter Dan-Brown-Klon erkannt und beachtet werden soll. Tatsächlich gibt es ein Publikum für solche seichten Munkelmann-Mysterien, die kirchliche Ränken, unterdrückte Geheimnisse und umhertappende Schrecken bieten – je mehr & grobschlächtiger, desto besser!

Subtilität kann man dem Autorenduo wahrhaftig nicht vorwerfen. Unendlich ziehen sie ihren Teufelsspuk in die Länge, während sogar der dümmste Leser längst begriffen hat, worum es geht: Beelzebub ante portas! Irgendwie hat der Herr der Fliegen es geschafft, seine Macht über die Grenzen der Hölle hinaus zu erweitern. Jetzt ist diese überall, wie schon der deutsche Titel es herausschreit.

Na und? Das ist leider des Lesers Reaktion, denn höchstens den naiv frommen Zeitgenossen dürfte dieser Einfall erschauern lassen. Zurdo & Gutiérrez schreiben offenbar für jene, die ‚ihre‘ Bibel Wort für Wort für bare Münze nehmen. Wer dem nicht folgen kann oder mag, nimmt staunend oder gelangweilt zur Kenntnis, welch angestaubten Mummenschanzes sich das Autorenduo bedient. Verborgene Geheimnisse, Symbole und Zahlenspielereien, Unheil verkündete Bibelstellen; auch der uralte Weise gibt sich die Ehre mit dumpfen Andeutungen, statt einfach Klartext zu reden.

Und die „Wölfe Gottes“ … nein, die Existenz einer solchen Gruppe hat sogar die Kirche nicht verdient: |“In den neunziger Jahren berieten ehemalige Mitglieder der Wölfe die Produktionsgesellschaft von ‚Akte X‘, allerdings strikt privat. Mehrere Fälle der Serie waren – wenn auch nach entsprechender Bearbeitung – echten Nachforschungen der Wölfe, nicht des FBI, entnommen.“| (S. 82) Es müssen Episoden der letzten Staffeln gewesen sein, die eine einst gute Serie im traurigen Niedergang zeigten …

Nun gibt es Schriftsteller, die es verstehen, diese an sich klassischen Mystery-Elemente mit spannendem Leben zu erfüllen. Zurdo & Gutiérrez gehören nicht zu ihnen. Nicht einmal die eigene Storyline halten die Autoren fest in den Händen. Die Handlung schlägt merkwürdige und schwer verständliche Falten. Es brennt gleich mehrfach (Feuer = Teufelswerk!), ein Kinderschänder treibt sein Unwesen; zum zentralen Geschehen wollen sich diese und andere Nebengeschichten nicht fügen.

Unheilig ‚gekrönt‘ wird das Spektakel durch ein Finale, das es an Hosianna-Kitsch und Einfalt nicht fehlen lässt. Sämtliche Register ungenierten Erlösungskitsches werden gezogen, bis das Maß übervoll ist. Das Ende ist happy, der Leser ist es nicht.

Mehrdimensionalität ist ein Zustand, der Autoren wie Zurdo & Gutiérrez offensichtliches Unbehagen bereitet. In ihrem Roman streichen sie ihn deshalb ersatzlos und ersetzen ihn durch absoluten Flachsinn in Sachen Story (s. o.) sowie Figurenzeichnung. Leider ist es gar nicht so selten, dass der Leser moderner Thriller mit Klischee-Gestalten konfrontiert wird. Erneut ist es Dan Brown, der viel zu vielen Möchtegern-Autoren den Weg bereitet hat. Sie lernten aus seinen Reißbrett-Pageturnern vor allem, dass Talent und Tiefe völlig überflüssig für einen Bestseller-Produzenten des 21. Jahrhunderts sind. Tempo, ‚Geheimnisse‘ und scheinbares Hintergrundwissen ersetzen altmodisches schriftstellerisches oder wenigstens handwerkliches Können. Also kopiert man, was seine Publikumswirksamkeit bewiesen hat, und hofft auf das Beste.

Das führt zu Als-ob-Figuren wie Albert Cloister, den Fox Mulder der Katholischen Kirche. Er gehört einer jener Organisationen an, die dieser gern angedichtet werden, weil sich die traditionelle Geheimniskrämerei des Vatikans gut mit angeblichen Geheimnissen verquicken lässt, die jenseits der wissenschaftlichen begründbaren Welt die Gestalt mysteriöser Kreaturen und Dunkel-Orden annehmen, deren Existenz heute höchstens von einigen urbayrischen Dorfpfarrern offen angenommen wird. Damit Cloister so etwas wie ein Profil entwickelt, impft ihm das Autorenduo die üblichen leichten Glaubenszweifel ein, unter denen alle Exorzisten der Unterhaltungsindustrie zuverlässig leiden.

Um dem pseudo-religiösen Gaukelspiel ein wenig Weltlichkeit überzustülpen, bringen Zurdo & Gutiérrez die Psychologin Audrey Barrett ins Spiel; außerdem muss das weibliche Publikum berücksichtigt werden, und auch im Rahmen einer möglichen späteren Verfilmung ist es wichtig, eine Frau als zweite Hauptrolle in petto zu haben. Politisch korrekt ist Audrey zwar hübsch, aber auch klug und, ach, so unglücklich, denn sie hütet ein tragisches Geheimnis in ihrem Busen, das uns selbstverständlich enthüllt wird, ob wir das wollen oder nicht. Wenn die Handlung einsetzt, ist Audrey unbemannt, was ebenfalls wichtig ist, da Seifenopernschaum unbedingt zu einem gutem Rumpel-Thriller gehört!

Ganz allein muss Audrey den Kampf mit Satan freilich nicht aufnehmen – an ihrer Seite steht ein mutiger Feuerwehrmann! Ledig ist er zwar auch, aber schlicht im Geiste und daran als sogenannter „zweiter Mann“ der Handlung zu erkennen, der für Trostreden, grobe Arbeiten und dumme Fragen zuständig ist und den es meist in der zweiten Hälfte erwischt, was für Betroffenheit sorgen und die scheinbare Aussichtslosigkeit des Ringens mit dem Feind unterstreichen soll. In unserem Fall lassen ihn Zurdo & Gutiérrez einfach aus dem Geschehen verschwinden, was in Ordnung ginge, wäre es nur deutlich früher geschehen!

Luzifer ist so, wie ihn unser Autorenduo gestaltet, eine Witzfigur. Sein ‚Plan‘ zur Neuordnung von Himmel und Jenseits ist an sich monumental. In der Umsetzung kreißt der Berg jedoch und gebiert nur ein Mäuschen. Man sollte annehmen, der Teufel sei ein wenig heller in einer so wichtigen Sache! Stattdessen fädelt Luzifer ein unendlich kompliziertes und an Zufällen und Logiklöchern überreiches Komplott zusammen, das ohne die massive Hilfe von Zurdo & Gutiérrez niemals über das erste Buchkapitel hinauskäme!

Ansonsten benimmt sich Satan, als habe er zu viele schlechte Horrorfilme gesehen. Lachkrämpfe erzeugende ‚Exorzismen‘ wechseln sich mit konspirativen Treffen an geisterbahnähnlichen Orten ab; wieso hat die Hölle kein Handynetz? Mit solchem Mumpitz vollenden die Autoren ihr trauriges Werk, das in seiner deutschen Fassung als aufwändig gestaltetes Paperback veröffentlicht wird – dies kündet von der Hoffnung, einen (bzw. zwei) neue/n Star/s lancieren zu können, um sich vom Dan-Brown-Kuchen etwas abzuschneiden.

David Zurdo Saiz (geb. 1971) und Ángel Gutiérrez Tapia (geb. 1972) sind Wissenschaftsjournalisten, die sich Ende der 1990er Jahre zusammentaten, um Mystery-Thriller zu schreiben, die sich gern um mehr oder weniger rätselhafte Ereignisse der Weltgeschichte ranken. Über ihr Werk informieren sie auf ihrer [Website;]http://www.zurdo-gutierrez.com die Kenntnis der spanischen Sprache ist dabei hilfreich.

|Originaltitel: 616 – Todo es inferno
Aus dem Spanischen von Alice Jakubeit
Illustration: FinePic, München
408 Seiten Paperback
ISBN13: 978-3426663165|
http://www.knaur.de

Ellis Peters – Falsche Propheten

Das geschieht:

Das kleine Dorf Comerford in der englischen Grafschaft Shropshire gehörte nie zu den Orten, die man als ländlich-beschaulich bezeichnen würde. Hier wird seit Jahrhunderten Kohle gefördert; eine harte, gefährliche Arbeit, die im Tagebau betrieben wird, was ausgedehnte Flächen der Landschaft in Wüsteneien verwandelt hat, die an die Oberfläche des Mondes erinnern. Die Plackerei in den Kohlengruben hat einen harten, schweigsamen Menschenschlag hervorgebracht. Konflikte sind häufig und werden mit den Fäusten oder dem Messer ausgetragen. Im Jahre 1950 ist die Situation explosiver denn je. Ein halbes Jahrzehnt nach dem Ende des II. Weltkriegs sind dessen Folgen auch im siegreichen England keineswegs überwunden. Viele der jungen Männer Comerfords sind gefallen. Wer überlebte, kehrte verletzt und mit bedrückenden Erinnerungen an die Front, womöglich mit Orden geschmückt und als Held heim, um sich plötzlich wieder als gemeiner Grubenarbeiter oder Schafhirte wiederzufinden.

In Comerford gab es ein Lager für deutsche Kriegsgefangene und später für „Displaced Persons“, Vertriebene aus allen kriegsverheerten Ländern des Kontinents. Inzwischen wurde es aufgelöst, doch viele Insassen blieben in England: frei aber fremd und misstrauisch gemieden von den Einheimischen. Sergeant George Felse hat ständig im ehemaligen Lager zu tun, denn dort gibt es täglich Auseinandersetzungen. Bei einem seiner zahlreichen Besuche lernt er den Deutschen Helmut Schauffler kennen, der einen Mitbewohner attackiert hat. Der junge Mann weiß beredt die Schuld von sich zu weisen, doch Felse argwöhnt, dass zutreffen könnte, was Zeugen ihm zutragen: Schauffler war und ist noch überzeugter Nazi, der seinen Privatkrieg mit dem britischen ‚Feind‘ austrägt. Ellis Peters – Falsche Propheten weiterlesen

Goingback, Owl – Dunkler als die Nacht

_Das geschieht:_

Nach vielen Jahren kehrt Michael Anthony, ein berühmter Autor von Fantasy-Romanen, ins kleine Städtchen Braddock zurück. Hier in Hudson County, Missouri, wurde er nach dem Unfalltod der Eltern von seiner Großmutter Vivian Martin aufgezogen, bis die Behörden einschritten und der zunehmend wunderlich werdenden Frau das Sorgerecht entzogen.

Nun ist Vivian gestorben und hat ihrem Enkel ihr Haus hinterlassen. Michael, inzwischen Ehemann und Vater, nimmt das Erbe gern an, denn schon lange plant er, mit seiner Familie die Stadt zu verlassen. Während der achtjährige Tommy sich auf das Abenteuer, in dem einsam gelegenen Haus zu leben, schon freut, vermisst die 15-jährige Megan ihre Freunde und die vertraute Umgebung sehr, zumal die Bewohner von Braddock die Anthonys unfreundlich empfangen: Vivian galt als verrückte Hexe, und in ihrem Haus soll es umgehen. So spricht auch Sam Tochi vom Stamm der Hopi-Indianer, der von einem unterirdischen Höllenreich schwadroniert, aus dem fiese kleine Schreckgespenster zu entweichen suchen.

Michaels Gattin Holly ist die Erste, die bemerkt, dass in der Tat etwas nicht stimmt. Sie hört Geräusche, für die keinesfalls Mäuse oder andere Ungeziefer verantwortlich gemacht werden können. Auf dem Fußboden zeichnen sich wunderliche Muster ab. Die Manifestationen nehmen erst an Stärke und dann an Bedrohlichkeit zu. Etwas lebt in den Wänden oder im Boden unter dem Haus. Es hat sich schon Vivian Martin geholt und ist jetzt auf größere Beute aus. Die Begriffsstutzigkeit Michaels, der seine Familie und seinen Besitz notfalls mit der Schrotflinte zu schützen gedenkt, gibt ihm die Chance, sich zu formieren …

_Schema-F-Horror mit abgelaufener Haltbarkeitsdauer_

Gibt es unter uns Horrorfreunden jemanden, der die gerade skizzierte Story nicht mitsingen kann? Wie wird sie sich weiterentwickeln? Wird der indianerweise Sam dabei eine Rolle spielen? Kommt es am Ende zur großen Konfrontation zwischen Menschen und Monstern? Sind das nicht müßige Fragen, da die Antworten nur zu bekannt sind?

Leider, leider, denn man möchte die gute, alte Mär vom verfluchten Haus im einsamen Wald ja mögen. Sie ist ein unverwüstlicher Dauerbrenner des phantastischen Genres, was für die literarische Variante ebenso gilt wie für den Film. Man sollte sie freilich variieren – ein bisschen wenigstens, eine Herausforderung, die Autor Goingback jedoch meidet wie seine Spukschatten die hölzernen Schutzgeister im Haus der Anthonys.

Unbarmherzig reiht sich Klischee an Klischee. Die typische Großstadtfamilie fällt mit viel Hallo in die Provinz ein. Dort lebt einfaches Landvolk, das Misstrauen und Ablehnung als Primärtugenden pflegt. Der Sheriff ist ein Widerling, taub und blind für jeden Wink aus dem Jenseits, wobei die Hausgeister allerdings Spielverderber genug sind, jedes Mal durch Abwesenheit zu glänzen, sobald die aufgeregten Anthonys Zeugen oder Hilfe in ihr Heim einladen.

Wie üblich geht es mit schemenhaften Bewegungen und unerklärlichen Geräuschen los. Diese Vorfälle sowie die Suche nach einer ’natürlichen‘ Erklärung walzt Goingback ordentlich aus, bis er sich an der Katze vergreift, die er den Anthonys an die Seite schrieb, damit sie von den Geistern gekillt werden kann. (Vorher ist sie aber noch für einen beliebten Billig-Schock nützlich: Es tappt und schleicht durch die Flure, der ängstliche Hausherr treibt den Spuk in die Enge, reißt die Tür auf – und die fauchende Katze springt ihm ins Gesicht!)

Damit signalisiert er, dass die Handlung in den zweiten Gang schaltet. Ihren Kurs kann sie dennoch weiterhin per Autopilot halten. Jetzt kracht’s und buht’s tüchtig in dem alten Gemäuer, Kinder und Gattin werden nacheinander publikumswirksam in Gefahr gebracht, bis es endlich auch dem notorisch begriffsstutzigen Familienvorstand Michael dämmert: Hier geht es um!

_Figuren ohne Profil und Tiefe_

In Sachen Figurenzeichnung sollte Goingback noch einmal intensiv seinen Stephen King studieren. Wo dieser echte Menschen in die literarische Welt setzt, produziert Goingback nur Pappkameraden. Vor allem die Charakterisierung der Anthony-Kinder provoziert heftiges Augenrollen: Hollywood lässt grüßen. Kiddy- und Teenie-Klischees ergießen sich über den Leser, und wem dies nicht reicht, der wird auch den bigotten Pfarrer, den bodenständigen Bauersmann und andere Knalltüten im Figurenarsenal finden.

Auftritt Sam Tochi, denn natürlich wuchert Owl Goingback mit dem Pfund, das ihm seine Herkunft verleiht: Er ist ein ‚richtiger‘ Indianer, was die Beschreibungen uramerikanischer Folklore quasi zur dokumentarischen Realität erhebt: |“Man metzelte Indianer nieder und verwendete ihre Namen anschließend für Orte, Städte, Staaten. Man brachte ihre Bilder auf Geld, Tabak und Immobilien an, um Profit aus für immer verlorenen Dingen zu schlagen. So liefen die Dinge in Amerika.“| (S. 195)

Wer erschauert ob solch ernster Worte nicht in Ehrfurcht? Heben sich die Schwaden politisch korrekter Akzeptanz, wird dahinter zumindest im Rahmen dieses Buches allerdings nur Budenzauber sichtbar. Goingback selbst war die Figur Sam Tochi nicht wirklich wichtig; irgendwann lässt er sie aus dem Geschehen verschwinden, und niemand – auch nicht die Leserschaft – vermisst ihn.

_“Lang“ und „langweilig“ – das gnadenlose Duo_

Ein etwas strengeres Lektorat hätte „Dunkler als die Nacht“ womöglich um diverse Längen oder merkwürdige Exkurse erleichtert. Was soll der innere Monolog auf den Seiten 88 bis 90, als Goingback Michael Anthony endlos über die Zensur klassischer Zeichentrickserie im US-Fernsehen sinnieren lässt? Ist das ein Kommentar zur Kritik, der sich ein Schriftsteller, der vor allem Horrorgeschichten verfasst, immer wieder ausgesetzt sieht? Aber was hat der an dieser Stelle verloren? Hier gilt es eine Handlung voranzutreiben!

Abschweifungen dieser überflüssigen Art pfropft Goingback viel zu oft einer Handlung auf, die sich ohnehin recht lendenlahm dem Höhepunkt und Finale entgegenschleppt. Dem Text fehlt eine ausgewogene Struktur; die Konfrontation der Anthonys mit den Schreckgespenstern kommt abrupt, sie wird hastig und wiederum unter Einsatz ausgelaugter Spannungsklischees in Szene gesetzt und endet unbefriedigend. Der Tor zur Hölle sollte auf eine Weise geschlossen werden, die nicht gar zu viele logische Hintertürchen offen lässt.

_Klischee – eine Definitionsfrage?_

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle einhalten und eine Differenzierung versuchen, um diesem Buch gerecht zu werden, das keineswegs ’schlecht‘ im Sinne von langweilig oder stilistisch stumpf, sondern vor allem mittelmäßig ist: Einer jüngeren Generation, die sich noch nicht durch unzählige kongruent gestrickte Vorgänger gequält hat, mag „Dunkler als die Nacht“ besser gefallen als dem erfahrenen und von Erfahrung gezeichneten Leser. Es ist eine gute, alte Geistergeschichte, die Goingback immerhin professionell abspult. Wer es nicht besser weiß oder wem dies reicht, der wird gut bedient.

_Der Autor_

Owl Goingback (geb. 1959) begann nach einer beruflichen Orientierungsphase, die unter anderem Tätigkeiten als Flugzeugmechaniker und Eigentümer eines Restaurants einschlossen, 1987 professionell zu schreiben. Seitdem ist er als Roman- und Kinderbuchautor, aber auch als Verfasser von Kurzgeschichten und journalistischen Beiträgen aktiv. Außerdem verdingte er sich als Ghostwriter für mitteilsame, aber des Schreibens unkundige Prominenz. Für seinen Horrorroman [„Crota“ 4838 wurde Goingback 1996 mit einem |Bram Stoker Award| für den besten Debütroman ausgezeichnet.

Der Autor trägt seinen indianischen Wurzeln Rechnung, indem er über die Sitten und Bräuche der US-amerikanischen Ureinwohner Vorträge hält. Mit seiner Familie lebt Owl Goingback in Florida. Über seine Arbeit informiert er auf seiner Website:

http://www.otherworld-verlag.com
http://www.owlgoingback.com

John Dickson Carr – Der Club der Masken

In einem unheimlichen Pariser Wachsfigurenkabinett finden sich diverse Frauenleichen, deren gewaltsames Ende durch die allzu große Nähe zu einem moralisch verwerflichen Kuppel-Club verursacht wurde … – Stilisierter „Whodunit?“-Klassiker aus der großen Zeit dieses Subgenres; schamlos übertrieben, gespickt mit Elementen des Schauerromans, absolut realitätsfern und dadurch erst recht unterhaltsam: ein Spaß für Freunde des gekonnt Absurden.
John Dickson Carr – Der Club der Masken weiterlesen

Howard Berk – Das Zeichen der Lemminge

Das geschieht:

In einer zeitlich nicht definierten, aber nicht allzu fernen Zukunft ist die Welt nach einem Dritten Weltkrieg zerstört, verstrahlt und menschenleer. Die USA existiert zwar noch, hat sich aber in eine Diktatur verwandelt, die streng die wenigen noch vorhandenen Ressourcen verwaltet, die selbst für die wenigen Überlebenden kaum ausreichen.

Für zusätzliche Komplikationen sorgt die steigende Zahl von Menschen, die von einem Moment zum anderen buchstäblich den Verstand verlieren. Im Rahmen eines Regierungsprogramms wurde ein Bundeszentrum gegründet, in dem Wissenschaftler fieberhaft versuchen, der Ursache dieses kollektiven Phänomens auf die Spur zu kommen. Eine Heilung ist unmöglich, die ‚Behandlung‘ deshalb radikal: Das verwirrte Hirn des Kranken wird ‚gelöscht‘ und eine neue, vorgeprägte Persönlichkeit ‚aufgespielt‘. Noch ist das Verfahren in der Erprobungsphase und riskant, die Zahl der Fehlschläge deshalb hoch.

Der Druck auf die Forscher wächst. In der Abteilung von Dr. Korman sorgt der Patient Nr. 27 deshalb für Hoffnung: Alex Parnell hat die Neuprägung glänzend überstanden, und er zeigt auch nicht die übliche geistige Trägheit oder Verwirrung, die der Behandlung normalerweise folgt. Trotzdem entwickelt sich Parnell bald zum Störfaktor, denn er will sich der Disziplin des Zentrums, das er mit einem Gefängnis gleichsetzt, nicht beugen, sondern fordert umfassend Aufklärung über den Zustand der Welt und persönliche Freiheit.

Als man ihm beides nicht zugestehen will, entwickelt sich Parnell zum Rebellen mit einem Einfallsreichtum, der ihn selbst erstaunt, bis er die Wahrheit zu ahnen beginnt: Er erinnert sich an die Person, die er einmal war – ein Mensch, der tief in die tragische Geschichte der jüngsten Vergangenheit verstrickt ist …

_Die Realität am Ende aller Utopien_

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre kam der Welt der Optimismus abhanden – ein Optimismus, der sich indes überlebt hatte. Der kalte Krieg zwischen den Supermächten und ihren Alliierten drohte heiß zu werden; man würde ihn atomar führen und fürchtete die Folgen, ohne in den Vorbereitungen für einen gelungen Erst- oder wenigstens Gegenschlag nachzulassen. Zu den weiteren Sünden der Vergangenheit, die plötzlich relevant, weil nicht mehr durch fantastische ‚Technik der Zukunft‘ lösbar schienen, gehörte die Erkenntnis, die eigene Welt rücksichtslos ausgebeutet, zerstört, verschmutzt und überbevölkert zu haben.

Die Zukunft sah nicht mehr utopisch, sondern düster aus – ein Paradigmen-Wechsel, dem sich selbstverständlich auch die Science-Fiction nicht verschließen konnte, wollte und durfte. ‚Ökologische‘ SF hatte es schon früher gegeben, doch aus dem einsamen, gern bespöttelten Rufer in der Wüste wurde nun ein Chor, der sich nicht mehr überhören ließ und der beunruhigten Leserschaft Romane wie „Make Room! Make Room!“ von Harry Harrison (1966; dt. „New York 1999“, verfilmt 1973 als „Soylent Green“/“Jahr 2020 … die überleben wollen“) oder Filme wie „Silent Running“ (1972, dt. „Lautlos im Weltall“) präsentierte, die heute formal altertümlich, aber weiterhin erschreckend aktuell wirken.

_Des Rätsels grausame Lösung_

Howard Berk hieb 1972 mit „Das Zeichen der Lemminge“ ebenfalls in diese Kerbe. Der versierte Autor, der vor allem Drehbücher für TV-Serien schrieb, stellt sich zwar eher unauffällig in die Reihe derer, die den selbstverschuldeten Untergang der Zivilisation darstellten, legt aber eine Geschichte vor, die vor allem in ihren ersten beiden Dritteln fesseln kann (und gewisse gedankliche Assoziationen an Michael Bays „The Island“/“Die Insel“ von 2005 weckt …).

Berk springt mitten in ein Geschehen, für das er uns die Erklärung zunächst schuldig bleibt. Nur langsam enthüllt sich die Hintergrundgeschichte; unser Wissen wächst zusammen mit den Erkenntnissen, die sich Alex Parnell mühsam zusammenreimt. Natürlich ist das ein Trick, um die Spannung zu schüren; ein Trick freilich, für den es eine schockierend logische Erklärung gibt, die den Höhepunkt und Schlusspunkt dieses Romans bildet.

Etwas Schreckliches ist geschehen, das kristallisiert sich schnell heraus. Was kann es sein, und wieso wird es so sorgfältig geheimgehalten? Hier geht offenbar Böses vor, werden Menschen als Versuchskaninchen benutzt. Doch dahinter wird eine Tragödie sichtbar, die zum radikalen Umdenken zwingt. Nichts ist, wie es scheint. Selbst als es Parnell gelingt, sein ‚Gefängnis‘ zu verlassen, wähnt er sich irrtümlich in Freiheit. Die Wahrheit wartet auf ihn, und als er sie, die er so lange gesucht hat, endlich findet, kann er sie aus gutem Grund nicht verkraften.

_Diese Zukunft bleibt Vergangenheit_

„Das Zeichen der Lemminge“ hat als Roman seine Längen. Vor allem das letzte Drittel wirkt aufgesetzt. Parnell hat sein Gefängnis/Refugium verlassen und lernt die reale Außenwelt der atomaren Nachkriegszeit kennen. Natürlich beantwortet dieser ‚Ausflug‘ diverse Fragen, die sich der Leser lange gestellt hat, aber wie üblich kann die Auflösung dem Geheimnis nicht das Wasser reichen – auch wenn Berk uns wie gesagt erneut in die Irre führt: Parnells scheinbare Flucht ist schon missglückt, bevor sie beginnt. Dies zu verraten, ist kein Spoiler, denn zumindest als Leser des 21. Jahrhunderts ist man erfahren genug zu erkennen, dass da noch etwas – des Rätsels eigentliche Lösung – folgen wird. Diese wird auf jeden Fall überraschen, auch wenn mit einer Schockwirkung, wie sie Berk zu erzielen hoffte, wohl nicht mehr zu rechnen ist. Jahrzehnte später sind wir stärkeren Tobak gewöhnt, wenn man uns mit apokalyptischen Szenarien erschrecken will, und dass jeder Regierung alle möglichen Schweinereien zuzutrauen sind, haben wir ebenfalls gelernt …

1972 war der Themenkomplex, den ich hier ‚Öko-Schock‘ nennen möchte, als breitentaugliches Phänomen noch relativ neu. Gesudelt wird auf und mit dieser Erde auch heute noch, aber ein gewisser Lerneffekt lässt sich nicht leugnen: Es wird etwas getan, und es gibt Anzeichen von Besserung. (Die obligatorischen „Ja, aber …“-Gegenargumente erspare ich mir hier – bei Bedarf bitte selbst auflisten.)

_Entschlossen mit dem Rücken zur Wand_

Ein Mann gegen eine ganze Welt; später gesellt sich eine Frau an seine Seite: Die Konstellation ist klassisch und erprobt. Wie man aus ihr die besten Effekte kitzelt, ist ihm als erfahrener Drehbuchautor sichtlich bekannt. „Das Zeichen der Lemminge“ kann man sich durchaus als Film vorstellen. Ist das Buch aus einem nie verwirklichten Drehbuch hervorgegangen? Über Howard Berk ist leider wenig zu recherchieren, sodass diese Frage hier ohne Antwort bleiben muss.

Heiligt der Zweck wirklich alle Mittel? Am Beispiel seiner Figuren spielt Berk die verschiedenen Antworten durch, die sich aus dieser Frage ergeben. Daraus resultieren Reaktionen, die zunächst einmal mehr durch den Leser, der die der Frage zugrunde liegenden Ereignisse nicht kennt, als ’normale‘ Handlungsmuster erscheinen, während sie sich tatsächlich schlüssig aus der Ausgangssituation ergeben. Die Schlussfolgerung ist deshalb vielleicht nicht einmal negativ, sondern einfach nur realistisch: Der Lemming kann dem Zug in den Tod entgehen, wenn sein Ausbruchsversuch nur drastisch genug ausfällt.

„I love thee, I love but thee, / With a love that shall not die,
Till the sun grows cold, / And the stars are old,
And the leaves of the Judgement Book unfold!“

Howard Berk wählte als Romantitel ein Zitat aus dem „Bedouin Song“ (1853) des Reiseschriftstellers und Dichters Bayard Taylor (1825-1878); es wird oft William Shakespeare zugeschrieben, was es adeln soll, aber unzutreffend ist. Es spielt auf einen zweiten Handlungsstrang an, der sich um Alex Parnells Liebe zur mysteriösen Julia dreht, die so intensiv und innig ist, dass sie das Ende der Welt tatsächlich überstand.

_Der Autor_

Über Howard Berk gibt selbst das Internet kaum Informationen her. Darüber hinaus wurde seine Biografie irgendwie & irgendwann mit dem Lebenslauf eines spanischen Drehbuchautors namens José Luis Navarro verzwirbelt, der angeblich unter dem Pseudonym Howard Berk für eine lange Reihe von Spagetti-Western verantwortlich zeichnet – ein Fehler, der seither fleißig wiederholt wird.

‚Unser‘ Howard Berk (geb. 1926), der Autor von „Das Zeichen der Lemminge“, war ein US-amerikanischer Autor, der für TV-Serien wie „Columbo“ und „The Rockford Files“ sowie für Kinofilme wie „Target“ und „Robocop“ schrieb. Laut www.imdb.com ist ein Drehbuchautor Howard Berk am 29. August 1989 an den Folgen einer AIDS-Erkrankung in Los Angeles gestorben, was eine gute Erklärung dafür wäre, dass keine Berk-Drehbücher nach 1987 zu belegen sind.

Taschenbuch: 185 Seiten
Goldmann (1971)

DeLong, Candice / Petrini, Elisa – Agentin, Die. Eine Frau im Dienst des FBI

Fast fünf Jahrzehnte hatte er das von ihm mitgegründete „Federal Bureau of Investigations“ geleitet, es in seinen letzten paranoiden Jahren als politisches Instrument missbraucht, seine Mitbürger und Mitarbeiter bzw. Untergebenen terrorisiert: J. Edgar Hoover (1895-1972), Segen und Fluch des FBI, dessen Schatten noch Jahre nach seinem Tod auf dieser Behörde lastete.

Eine Folge: Noch in den 1980er Jahren, als das öffentliche Aussprechen des Wortes „Gleichberechtigung“ nicht mehr den Exorzisten auf den Plan rief, arbeiteten so gut wie keine Frauen für das FBI. Dabei gab und gibt es auch unter den weiblichen US-Bürgern viele, denen es in die Wege gelegt wurde, die Feinde von Recht, Ordnung & Demokratie möglichst lange hinter Schloss und Riegel zu bringen!

Candice DeLong gehört zu den Hütehunden, die uns Herde schafsgleich durchs Leben ziehender Zeitgenossen vor den kriminellen Wölfen dieser Welt schützen möchten. Die ehemalige Krankenschwester und alleinerziehende Mutter rückt unverdrossen in die FBI-Bastion ein. Als tapferer kleiner Soldat übersteht sie klaglos maskulinen Drill und die harte theoretische Schulung. Den plumpen Chauvinismus sowie die rauen „Scherze“ ihrer Ausbilder, Mitschüler und späteren Kollegen gibt’s gratis dazu.

Aber in God’s Own Country ist das Glück mit der Tüchtigen. Gestählt durch alle Prüfungen, vor Ehrgeiz brennend, schwer bewaffnet und ihr Markenzeichen, den schicken Hut, tief in die Stirn gezogen, zieht Agentin DeLong in den Krieg gegen das Böse. Sie führt ihn mit dem für ihre Landsleute üblichen Elan erbittert und in jeder Sekunde des Tages und der Nacht. Ja, Strolche lauern überall, und sieht man sie nicht, kann man sich immer noch der verdienstvollen Aufgabe widmen, vorsorglich jene auszutilgen, die welche werden könnten – und das sind, so das ernste FBI-Wort, im Grunde alle Menschen dieser Welt, die sich nonkonform verhalten; was das im Detail bedeutet, verrät Ihnen gern die nächste Bureau-Dienststelle.

DeLong schlägt nach mehreren Lehr- und Wanderjahren die Laufbahn einer FBI-Profilerin ein. Als solche spezialisiert sie sich auf Täter, die es auf Frauen und Kinder abgesehen haben – eine schwierige, auch psychisch belastende Aufgabe, die DeLong mit einigen unerfreulichen Zeitgenossen der jüngeren Kriminalgeschichte zusammenführt.

Insider-Berichte über Geschichte und Alltag des FBI sind zumindest auf dem deutschen Buchmarkt nicht gerade häufig. Gleichzeitig ist das Bureau in den Medien, noch mehr jedoch in Literatur und Film so präsent wie seit seiner Gründung. Hier wie dort tritt es jedoch im Guten wie im Bösen eher als nationaler Mythos auf. Deshalb ist es interessant, einen Blick auf den realen FBI-Alltag werfen zu können.

Dort wird zwar auf meist hohem Niveau, aber eben auch nur mit Wasser gekocht. Dies zu belegen, ist zumindest ein Verdienst, den Ex-Agentin und Autorin Candice DeLong für sich verbuchen kann. Es bleibt ihr einziger, denn ansonsten präsentiert sich ihr Werk als chronologisch locker geordnetes, aber inhaltlich wirres Sammelsurium persönlicher Erinnerungen, kriminalistischer Fallgeschichten und FBI-Anekdoten à la „Wie mir mal im Supermarkt die Dienstwaffe aus der Tasche fiel“. Krimi und Seifenoper: Im Fernsehen nennt man das eine „überlappende Erzählstruktur“; die meisten modernen Polizei-Serien folgen diesem Muster. Das ist in der Fiktion sehr unterhaltsam, als Rückblick auf die Realität aber irritierend.

Erträglicher (doch nicht besser) wird es nur, wenn DeLong sich auf ihre Tätigkeit als Profilerin konzentriert. Darauf versteht sie sich, sie kann diesen Job ihren Lesern vermitteln, die diese Passagen mit Interesse verfolgen. Nun wird außerdem deutlicher, dass die schmalztriefigen, einer schlechten TV-Show entliehenen Szenen des DeLongschen Privatlebens unterstreichen sollen, dass a) auch gestrenge FBI-Agenten nur Menschen sind und b) sich die Erlebnisse einer Profilerin nach Feierabend nicht einfach abschütteln lassen.

Weiterhin unverändert bleibt freilich der kindliche Tonfall dieser Biografie. Niemand verlangt von einer fähigen FBI-Agentin, auch eine gute Autorin zu sein. Aber wen hat man DeLong dann eigentlich zur Seite gestellt? Co-Autorin Elisa Petrini dürfte eine dieser literarischen Söldnernaturen sein, die auch hierzulande Gestalten wie Bohlen & Co. die Illusion vermieten, „Schriftsteller“ zu sein. Dieser Vergleich kommt hier nicht von ungefähr, denn er beschreibt etwa das Niveau, auf dem sich „Die Agentin“ bewegt.

Die saloppe Übertragung ins Deutsche konserviert diesen Eindruck oder verstärkt ihn womöglich, obwohl es möglich ist, dass die Übersetzerin die schlimmsten Plattheiten der Vorlage glättet und ansonsten einfach ihren Job zu Ende bringen wollte. (Allerdings kommt der Leser manchmal ins Grübeln. Was soll denn nur dieser Satz auf S. 96 – „Der Teufel ist manchmal ein Eichhörnchen“ – bedeuten?)

DeLongs offensichtliche Naivität, ihr Tunnelblick wirkt befremdlich. Eine Frau, die in einem großen Land im Laufe eines langen Berufslebens zahlreiche schauerliche Fälle bearbeitet hat, sollte darüber eigentlich zu einer etwas differenzierten Sicht der Welt und vor allem ihrer Bewohner gelangt sein. Aber für „Candy“ DeLong gab und gibt es nur Schwarz und Weiß, kein Grau. Nach ihrer Meinung, die – das ist das Erschreckende – durch ihre Ausbildung geprägt wurde, sind kriminelle Neigungen quasi angeboren und auch nicht wirklich ‚heilbar‘. Deshalb sollte man Verbrecher am besten gut wegsperren und sie von den braven Mitbürgern fernhalten. Aufgrund von DeLongs Erfahrungen als Mitglied einer Sonderkommission gegen Kindesmissbrauch mag diese Haltung verständlich erscheinen, aber das erhebt sie keinesfalls zur allein gültigen Maxime.

So hat sie es wie gesagt beim FBI gelernt. Obwohl auch für DeLong nicht alles Gold ist, das dort glänzt, fühlt sie sich dem Kodex dieser Institution (und dem unglücklichen, weil mit kapitelbreit ausgewalzter Affenliebe peinlich bloßgestellten Herzblatt-Sohn Seth) zutiefst verpflichtet. Nicht einmal die wirklich Bösen (= Dummen, Fiesen oder Chauvinistischen) unter „den Jungs“ stellt sie bloß. Pathetisch widmet sie ihr Werk „den 33 tapferen Männern und Frauen des FBI, die [zwischen 1925 und 1996] bei der Ausübung ihrer Pflicht durch direkte Angriffe des Gegners getötet wurden“, und listet sie über drei volle Seiten auf.

Zu echter Distanz ist DeLong unfähig, Objektivität gibt es nicht. Die Ironie, die daraus entsteht, ein Buch wie „Die Agentin“ mit dem Goethe-Zitat „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“ einzuleiten, ist unfreiwillig. Jedenfalls scheint sie DeLong nie bewusst geworden zu sein. Und wer sich nicht nach FBI-Norm bemühen mag oder kann, hat offenbar Pech gehabt und die Folgen zu tragen: |“Ich fand es sehr erfrischend, was [DeLongs kleiner Sohn] den Leuten über meine Aktivitäten an der Academy zu erzählen pflegte: ‚Sie lernt, wie man Leute umbringt, aber nur die bösen.'“| (S. 67)

Fazit: Vom Thema interessant und als Einblick in die Arbeit der gern mythisch verklärten, tatsächlich recht alltäglichen FBI-Organisation möglicherweise aufschlussreich; aber nicht nur als Biografie langweilig, weil gespickt mit moralisierenden Binsenweisheiten und vor allem hausbacken geschrieben und/oder übersetzt – eher ein Ärgernis als ein Erlebnis.

Sturgeon, Theodore – Milliarden-Gehirn, Das

_Das geschieht:_

„Medusa“ ist eine Kollektivintelligenz aus den Tiefen des Weltalls. Sie schickt Sporen aus, die durch den Raum treiben, bis sie einen Planeten erreichen, auf dem Leben möglich ist. Die Sporen nisten sich in den Hirnen ihrer Wirte ein und kontaktieren Medusa, die anschließend die geistige Herrschaft über diese Spezies übernimmt.

So funktionierte es jedenfalls, bis einer dieser Sporen die Erde erreicht. Nie hat die außerirdische Intelligenz eine Lebensform kennengelernt, die aus separat denkenden und handelnden Individuen besteht. Dieses Konzept ist Medusa völlig fremd, und sie hält es für einen biologischen Defekt, den sie zu beheben gedenkt.

Das ist leichter gesagt als getan, denn der Zufall will es, dass Medusas Spore sich ausgerechnet im Hirn des Säufers und Wirrkopfs Dan Gurlick festsetzt. Sie kann es nicht verlassen und muss sich mit den Verhältnissen arrangieren. Mit Zuckerbrot und Peitsche bringt Medusa den widerstrebenden Gurlick dazu, ihr erstens Informationen über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns und zweitens Rohstoffe und Gerätschaften zu beschaffen, mit denen sie eine Apparatur konstruiert, die es ihr ermöglicht, alle Menschenhirne der Erde ‚zusammenzuschalten‘. Endlich ist es soweit. Gurlick schaltet ein. Die Menschheit verschmilzt zum „Milliardenhirn“ und wird Teil des Medusa-Kollektivs …

_Mancher Plan scheint vollkommen …_

Es beginnt als übliche Geschichte von der Invasion aus dem All, die man schon oft gelesen hat und immer wieder gern liest. Theodore Sturgeon gab ihr den Titel „The Cosmic Rape“, was ja durchaus unheilvoll klingt. Allerdings stellen sich beim Leser rasch Momente der Irritation ein, denn die Story nimmt nur scheinbar den bekannten Verlauf.

Mit „Medusa“ ist Theodore Sturgeon eine besondere ‚Figur‘ gelungen. Invasoren aus dem Weltall haben die Menschheit schon in unzähligen Romanen und Filmen überfallen. Vor allem in den 1950er Jahren stand meist böse Absicht dahinter – in Vertretung der Sowjetunion oder Chinas wollten die Eindringlinge die freien Menschen der Erde (= die Bürger der USA und ihre Verbündeten) unterjochen. Das will Medusa zwar ebenfalls, doch treibt sie eine seltsame Mischung aus Unverständnis und gutem Willen.

Sturgeon konstruiert eine Galaxis, in der das Leben als Kollektiv agiert. Man muss sich das etwa wie in einem Bienenstock oder Ameisenhaufen vorstellen: Das einzelne Insekt ist nichts; erst der Schwarm bringt Gewaltiges zu Stande. Die menschliche Individualität ist in diesem Fall das Fremde. Medusa kann nicht begreifen, dass der einzelne Mensch seine eigenen Entscheidungen trifft und gleichzeitig in der Gemeinschaft lebt, ohne seinen eigenen Willen aufzugeben. Also schafft sie Abhilfe – ihre Invasion ist eher Rettungsaktion. („Star-Trek“-Kenntnisse im Borg-Bereich sind zum Verständnis des Konzepts sehr hilfreich. Übrigens hat Sturgeon 1978 eine eigenen Roman zum Franchise beigetragen.)

Ohnehin kann von einer ‚Invasion‘ nicht geredet werden. Sturgeon macht sehr deutlich, dass Medusas ‚Opfer‘ nicht absorbiert i. S. von aufgelöst, sondern eingegliedert wurden: Ein Kollektiv ging in einem noch größeren Kollektiv auf – ein völlig normaler Vorgang, der nur im Falle der Menschheit zum „cosmic rape“, zur Vergewaltigung aus dem Weltall – so der Originaltitel – wurde.

Schon der Akt der Invasion ist untypisch. Medusas Sporen treiben im ‚Blindflug‘ durch das All; von einer gezielten ‚Eroberung‘ kann also keine Rede sein. Kein Außerirdischer wird die Erde betreten, Medusas gigantischer Kollektivkörper bleibt, wo er ist – nämlich überall und nirgends. Medusa muss nicht körperlich anwesend sein, da sie ihre ‚Glieder‘ per Gedankenkraft lenkt, die sie ungeachtet der Entfernung unmittelbar erreicht.

_… um schließlich vollkommen zu scheitern_

Medusa erleidet Schiffbruch, weil sie nie wirklich versteht, wie die Mensch funktioniert. Deshalb begreift sie auch nicht die Ungunst ihrer Ausgangslage, als sie ausgerechnet Dan Gurlick als Relais verwendet, der nicht nur ein Außenseiter, sondern geradezu der Inbegriff des Einzelgängers ist. Medusa benutzt ihn, aber er reagiert kontraproduktiv. Sturgeon verdeutlicht die Vielfalt der menschlichen Individualität, indem er die Schicksale weiterer Personen schildert: Guido ist eine Kriegswaise in Italien, Mbala ein afrikanischer Ureinwohner, Sharon Brevix ein vierjähriges Mädchen, das in der Wüste verlorengeht. Sie und andere Menschen verlieren als „Milliardengehirn“ keineswegs ihre gedankliche Selbstständigkeit. Stattdessen formen sie das Kollektiv zu einem Instrument um, das die negativen Seiten des Menschseins – Einsamkeit, Missverständnisse, Eigennutz – ausfiltert und ein weltweites Über-Ich bildet, zu dem alle Menschen Zugang haben, ohne dabei ihre Individualität zu verlieren.

Das ist so, wie Sturgeon es schildert, ein erstaunlicher, fast poetischer Vorgang. Nicht einmal Medusa selbst kann sich dem entziehen; sie entwickelt sich gemeinsam mit der Menschheit weiter. Zum Schluss haben alle etwas von dieser seltsamen Invasion. Nationalitäten oder gar Grenzen sind obsolet und der Mensch nicht nur Mensch geblieben, sondern wesentlich menschlicher geworden. Das klingt besonders für den zynischen Leser der Gegenwart möglicherweise naiv oder sogar lächerlich, ist es aber nicht, denn Sturgeon ist ein wortgewandter Autor, der Schmalz und Gefühlsduselei durch starke Bilder und plastische Charaktere ersetzt. Die perfekte Mischung aus Ernst und Leichtigkeit hat sogar die Übersetzung überstanden.

_“Fiction“ ohne „Science“_

Theodore Sturgeon hat sich nie besonders um den Aspekt der technischen Möglichkeit von SF gekümmert; er zog „inner fiction“ vor, die den Menschen der Zukunft in den Mittelpunkt stellte. Folgerichtig drückt er sich um eine ‚logische‘ Erklärung der Mechanismen, mit denen Medusa ihr Invasionswerk vorantreibt. Allerdings zieht sich Sturgeon überaus elegant aus der Affäre: Er beschreibt, wie sich Alien-Technik quasi selbst kreiert, um dies ansonsten unkommentiert zu lassen. Was dort entsteht, ist sichtlich unwichtiger als die Folgen für die Menschheit. So verwundert es nicht, dass Sturgeon auf den „Hard-SF“-Ballast verzichten kann, mit dem die eher naturwissenschaftlich ausgerichteten Autoren des Genres ihre Werke aufblähen. Sturgeon kommt mit dem „Milliarden-Gehirn“ nach 160 Seiten (im Original und in der deutschen Übersetzung) zu einem plausiblen Ende. Greg Bear, der die Menschheit 1985 in „Blood Music“ (dt. „Blutmusik“) ebenfalls ‚verschmelzen‘ ließ, benötigte mehr als das doppelte Volumen, um nur halb so intensiv zu überraschen …

_Anmerkung_

„The Cosmic Rape“ basiert auf der Novelle „To Marry Medusa“, die ebenfalls 1958 in der August-Ausgabe des Magazins |Galaxy Science Fiction“| erschien. Sturgeon baute sie quasi zeitgleich zum Roman aus, der – nichts ist einfach auf dieser Welt – später neu aufgelegt den Titel der Novelle ‚übernahm‘ und seither gern mit dieser verwechselt wird.

_Der Autor_

Theodore Sturgeon wurde als Edward Hamilton Waldo am 26. February 1918 auf Staten Island, New York, geboren. 1929 übernahm er den Nachnamen seines Stiefvaters William Sturgeon und änderte seinen Vornamen vom ungeliebten Edward zu (es fällt schwer dies nachzuvollziehen) Theodore.

Der junge Theodore Sturgeon plante eine Karriere als Trapezkünstler. Parallel dazu wollte er das College besuchen, wurde von seinem Vater jedoch der Disziplin wegen auf eine Militärakademie geschickt. Dieser glücklich entkommen, versuchte sich Sturgeon in einer ganzen Reihe von Jobs und schrieb nebenbei Geschichten. Erste Storys erschienen 1938, und 1939 gelang ihm mit „Ether Breather“ der Durchbruch als Profi in |Astounding Science Fiction|. Sturgeon wurde eine der Größen des Genres, wobei er die zeitgenössischen Space-Operas weitgehend mied und sich auf die ‚menschliche Seite‘ der Zukunft konzentrierte, womit er die SF der 1950er und 60er Jahre vorwegnahm.

Sturgeon gilt als großer Stilist, dessen mehr als 200 Kurzgeschichten den Romanen vorgezogen werden. Allerdings gehört „More Than Human“ (1953; dt. „Baby ist drei“/“Die Ersten ihrer Art“) zu den Klassikern des Genres und wurde 1954 mit einem |International Fantasy Award| ausgezeichnet. Zu seinem Werk gehört auch der innovative Vampir-Roman „Some of Your Blood“ (1961; dt. „Blutige Küsse“).

Theodore Sturgeon erlag am 8. Mai 1985 einer Lungenentzündung. Posthum wurde er mit einem |World Fantasy Award| ausgezeichnet. Mehr über sein Leben und Werk lässt sich folgender Website entnehmen:

http://www.physics.emory.edu/~weeks/misc/sturgeon.html („The Theodore Sturgeon Page“)

_Theodore Sturgeon auf |Buchwurm.info|:_
[„Die Ersten ihrer Art“ 1402
[„Die goldene Helix“ 1721

MacBride, Stuart – erste Tropfen Blut, Der

Noch immer muss Logan McRae, Detective Sergeant bei der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen, sein berufliches Dasein im „Versagerclub“ des Reviers (s. „Die Stunde des Mörders“) fristen. Unter der Fuchtel seiner ebenso exzentrischen wie energischen Chefin, Detective Inspector Roberta Steel, bearbeitet McRae vor allem Routinefälle, mit denen Detective Inspector Insch, Steels schwergewichtiger Kollege, nicht behelligt werden möchte.

Aktuell sonnt sich Insch im Licht der Medien, weil es der Beamtin Jackie Watson gelang, während eines Undercover-Einsatzes einen gefürchteten Serien-Vergewaltiger zu stellen. Die Freude verflüchtigt sich, als dieser sich als Star-Spieler eines örtlichen Fußballvereins entpuppt. Robert Macintyre leugnet seine Schuld nicht nur hartnäckig, er wird auch von seinen Fans erbittert verteidigt, die ihn für seine Stürmer-Qualitäten lieben. Ausgerechnet McRae verhört im Laufe einer ganz anderen Ermittlung einen Mann, der plötzlich zugibt, eine der Frauen, die Macintyre zum Opfer gefallen sein sollen, vergewaltigt zu haben. Insch steht schlecht da, der Fußballer wird auf Bewährung freigelassen, der Fall wenig später gänzlich niedergeschlagen.

McRae ermittelt weiter im Fall Jason Fettes. Der junge Aushilfs-Pornodarsteller wurde vor einem Krankenhaus aus dem Wagen gestoßen; er verblutete an einer Verletzung, die womöglich als bizarrer ‚Arbeitsunfall‘ zu deklarieren ist. Zu DI Steels Freude führt die Untersuchung tief in das Sado-Maso-Milieu von Aberdeen. McRae kann diese Begeisterung nicht teilen. Der wütende Insch schurigelt ihn, und auch privat gibt es Probleme: Jackie Watson, mit der McRae seit einiger Zeit Tisch und Bett teilt, begibt sich des Nachts auf Streifzüge, über die sie keine Auskunft geben will. Betrügt sie ihn oder beschattet sie auf eigene Faust Macintyre, an dessen Schuld sie wie Insch fest glaubt? McRae weiß nicht, was schlimmer wäre, aber ihm bleibt ohnehin keine Zeit, sich um seine Beziehung zu kümmern: Steel und Insch belegen ihn mit Beschlag, die Ermittlungen treten auf der Stelle, es warten neue, dringende Fälle – ein Wettlauf, der nicht zu gewinnen ist …

Das wahre Glück liegt für die bekennenden Leser von Serienkrimis nicht im stetigen Wandel, sondern in der behutsamen Variation des Bekannten. Stuart MacBride hat diese Grundregel begriffen und beherzigt sie treu. Der neue Fall von Logan McRae ist eigentlich ganz der alte – eine Melange aus klassischer Kriminalstory und moderner Gesellschaftskritik.

Ebenfalls schon bewährt hat sich für MacBride die Verzwirbelung gleich mehrerer Kriminalfälle zu einer Geschichte, die dadurch als Krimi an Stringenz und Dynamik zwar verliert, aber gleichzeitig realitätsnäher wirkt, da auch im wirklichen Leben Ereignisse nicht nach der Reihenfolge sortiert geschehen, sondern sich überlappen. Hier bildet Jackie Watsons Privatfehde mit einem gewitzten und unter Prominentenschutz stehenden Triebverbrecher den ersten Sub-Plot; das düstere Geheimnis eines kindlichen Schwerverbrechers fließt etwas später in die Handlung ein.

Praktisch unverändert bleiben diverse Konstanten: Die Grampian Police ist an der ‚Front‘ überlastet und unterbesetzt; Reformbemühungen entpuppen sich regelmäßig als Augenwischerei oder blinder Aktionismus und werden für Politik und Medien inszeniert. Von allen Seiten gibt es ausschließlich Druck von unfähigen, in Machtkämpfe verwickelten Bürokraten, einer feindseligen, auf Sensationsgeilheit gepolten Presse, den unzufriedenen, sich unbeschützt fühlenden Bürgern und vielen anderen enthusiastischen, aber schlecht informierten Gegnern. Die Ausrüstung der Polizei ist museumsreif und wird von den modern ausgestatteten Gangstern verlacht, Anwälte sind rund um die Uhr damit beschäftigt, eindeutig schuldige Zeitgenossen aus den Zellen zu klagen.

Frustrierte Beamte begeben sich in die innere Emigration oder entwickeln skurrile Züge. Will man MacBride Glauben schenken, arbeiten ausschließlich karikaturhaft verzerrte Exzentriker für die Grampian Police. Ihre diversen Schnurren sorgen erneut für Erheiterung, obwohl dahinter immer wieder deutlich wird, dass hier Menschen ihre eigenen Methoden gefunden haben, um einen Alltag zu meistern, der im Grunde nur noch Chaos ist.

Ohnehin bleibt der Autor dem milde sarkastischen Tonfall treu, der den konzeptionellen Stillstand der McRae-Serie gern vergessen lässt: Diese Bücher lesen sich einfach fabelhaft, weil sie einen Sinn für echten Humor erkennen lassen. Die Übersetzung kann das – die Regel ist das nicht – bewahren und verdient eigenes Lob.

DI Steel benimmt sich weiterhin wie die Axt im Wald und lässt Logan McRae ihre Arbeit erledigen. DI Insch stopft alle möglichen Süßigkeiten in seinen Wanst und inszeniert die schlechteste Amateur-Theatertruppe der Welt. Der dicke Gary hört immer noch alle Revier-Flöhe husten. Sandy Moir-Farquharson behauptet seine Führungsposition als widerlichster Anwalt der Welt. Colin Miller ist als Enthüllungsjournalist die Zecke im Fell der Grampian Police.

Nichts Neues also auch im Bereich der Figurenzeichnung. Das gilt erst recht für Logan McRae, der als Person ohnehin kaum ein eigenes Profil aufweist. Man nennt ihn zwar „Lazarus“, seit er von einem irren Killer aufgeschlitzt wurde und trotzdem überlebte, aber das daraus resultierende Trauma ist längst fadenscheinig geworden. McRae ist vor allem deshalb wichtig, weil es wenigstens eine ’normale‘ Figur geben muss, die für die kriminalistische Arbeit verantwortlich zeichnet. Ohne ihn würde sich die Grampian Police endgültig aus der Realität verabschieden, denn es ist schwer vorstellbar, dass seltsame Gestalten wie Steel oder Insch auch nur einen Fall lösen könnten.

Inzwischen ist McRae also mit Jackie Watson zusammen, womit MacBride den obsoleten Anteil Seife in seinen Krimi einspritzt. Die private Situation in Serie tätiger Polizisten oder Detektive ist heutzutage ebenso wichtig wie die Darstellung eines Verbrechens. MacBride hält sich erfreulich zurück; vor allem weibliche Seriendetektive agieren hart an der Grenze zur „chick-lit“, und die Grenze ist viel zu durchlässig geworden.

Die Beziehung wird in den folgenden Bänden der Serie noch ernsthaft auf die Probe gestellt werden, denn Jackie Watson hat eine unsichtbare Grenze überschritten: die vom Ordnungshüter zum Richter und Vollstrecker. Die Gefahr ist allgegenwärtig in MacBrides Polizeiwelt, die von Frustration gekennzeichnet ist. Wenn die Justiz die Arbeit der Polizisten aushebelt, fühlen sich diese womöglich nicht mehr an ein Gesetz gebunden, von dem sie sich vernachlässigt und verhöhnt wähnen. Schlimmer noch: Ihr Gefühl für Toleranz und Verhältnismäßigkeit hat sich verflüchtigt. Sogar Logan McRae lässt sich in einem Moment der Selbstjustiz dazu hinreißen, einem bereits gefangenen Vergewaltiger Pfefferspray in die Augen zu sprühen.

Denn der Alltag, obwohl von MacBride so humorvoll in Szene gesetzt, hinterlässt seine Spuren: DI Insch frisst sich zu Tode, DI Steel eifert ihm per Zigarette nach. Die Zahl der kollektiven Besäufnisse nach Feierabend ist in „Der erste Tropfen Blut“ beachtlich, die Folgen werden drastisch beschrieben. Ein Privatleben, das als Ausgleich dienen könnte, bleibt auf der Strecke. In McRaes und Watsons gemeinsamer Wohnung stapelt sich der Dreck – ein Alarmsignal, denn der Stress gestattet nicht einmal die Einhaltung simpler hygienischer Standards. Der dicke Gary bringt es auf den Punkt, als er anmerkt, er könne von McRae eigentlich Miete fordern, denn er lebe ja ohnehin auf dem Revier.

Die Maschine frisst auch die jungen Beamten mit Haut und Haaren. Mit Constable Rickards führt MacBride ein neues Gesicht ein. Rickards ist – noch – ein Idealist mit einem privaten Geheimnis, das er – so dumm ist er nicht – gern vor seinen Kollegen gewahrt hätte. Es kommt ans Tageslicht und verwandelt Rickards in ein willkommenes Opfer für Hohn und Spott: Die abgestumpften Polizisten geben nicht einmal einander moralischen Rückhalt, sie zerfleischen sich selbst. Rickards einzige Chance ist es, auf das Erscheinen eines neuen Pechvogels zu warten und sich dann unter denen einzureihen, die ihn bittere Mores lehren. Wir lachen, wenn wir lesen, wie Rickards wieder einmal veräppelt wird – und ertappen uns dabei, Komplizen geworden zu sein. Die Heiterkeit bleibt uns im Hals stecken. Diese Reaktion werden wir oft erleben, denn Stuart McRae ist ein böser Meister, der sie kunstvoll auszulösen versteht. Es sind halt nicht nur Kugeln oder Messer, die durch die Haut gehen – „Broken Skin“ heißt dieser Roman im Original -; auch böse Taten und Worte dringen durch und richten nicht selten größere Schäden an als jede Waffe.

Stuart MacBride wurde (in einem Jahr, das sich nicht ermitteln ließ) im schottischen Dumbarton geboren. Die Familie zog wenig später nach Aberdeen um, wo Stuart aufwuchs und zur Schule ging. Studiert hat er an der University in Edinburgh, die er indes verließ, um sich in verschiedenen Jobs (Designer, Schauspieler, Sprecher usw.) zu versuchen. Nach seiner Heirat begann MacBride Websites zu erstellen, stieg bis zum Webmanager auf, stieg in die Programmierung ein und betätigte sich in weiteren Bereichen der Neuen Medien.

Stuart MacBride lebt heute wieder in Aberdeen. Über Leben und Werk informiert er auf seiner Website [www.stuartmacbride.com,]http://www.stuartmacbride.com die er um einen Autorenblog sowie eigene Kurzgeschichten erweitert hat.

_Stuart MacBride auf |Buchwurm.info|:_

[„Die dunklen Wasser von Aberdeen“ 2917
[„Die Stunde des Mörders“ 3739

http://www.goldmann-verlag.de

John Connolly – Der brennende Engel [Charlie Parker 5]

Die Suche nach einer vermissten Frau wird für den Privatdetektiv Charlie Parker zum Krieg mit einem gefallenen Erzengel und seinen höllischen Helfershelfern … – Der fünfte Band der Parker-Serie verzichtet nicht auf die ‚realistischen‘ Elemente des Thrillers, erzählt aber eine gänzlich phantastische Geschichte, die zwar die üblichen Strickmuster moderner „Mystery“ bemüht, jedoch aufgrund der erzählerischen Qualitäten des Verfassers und einer Flut bizarrer Einfälle außerordentlich spannend ist.
John Connolly – Der brennende Engel [Charlie Parker 5] weiterlesen

Brian Keene – Der lange Weg nach Hause

Das geschieht:

Was wie eine normale Heimfahrt nach einem langen Büroarbeitstag aussah, endet für die Freunde Steve, Charlie, Hector und Craig aus dem Städtchen Shrewsburg im US-Staat Pennsylvania als Katastrophe. Ein greller Trompetenton schallt über den Erdball, Millionen Menschen lösen sich in Luft auf, Flugzeuge fallen ohne Piloten vom Himmel, Atomkraftwerke explodieren, auf den Straßen rammen sich fahrerlose Kraftwagen in endlosen Massenkarambolagen.

Auch unserem Quartett ergeht es übel; nach einem Unfall ist Craig spurlos verschwunden, Pechvogel Hector tot. Benommen finden sich Steve und Charlie unter den verwirrten Überlebenden eines in seinem Ausmaß unbekannten Desasters wieder. Haben Terroristen zugeschlagen? Das Telefonnetz ist zusammengebrochen. Keine Polizei erscheint, Krankenwagen fahren nicht. Das Chaos regiert und verstärkt sich, als den Menschen dämmert, dass Hilfe ausbleiben wird. Brian Keene – Der lange Weg nach Hause weiterlesen