Alle Beiträge von Michael Drewniok

Barclay, Linwood – Ohne ein Wort

Im Mai 1982 endet für die 14-jährige Cynthia die Kindheit. Als sie nach einem verbotenen Partybesuch ins Elternhaus schleicht, findet sie es verlassen. Nichts wurde gestohlen oder verwüstet, nur die Eltern und der ältere Bruder Todd sind spurlos und ohne Gepäck verschwunden. Die Polizei steht vor einem Rätsel, das nie gelöst werden kann. Die Akten werden geschlossen, Cynthia wächst bei Tess Berman, der Schwester ihrer Mutter auf.

25 Jahre später hat Cynthia das Trauma nicht überwunden, obwohl sie inzwischen selbst verheiratet und Mutter einer Tochter ist. Zum Jahrestag des Verschwindens möchte ein TV-Sender den alten Fall aufgreifen. Cynthia ist einverstanden, denn sie hofft auf Hinweise aus dem Zuschauerkreis. Als diese zunächst ausbleiben, engagiert sie den Privatdetektiv Denton Abagnale.

Zunehmend besorgt verfolgt Gatte Terrence Archer, ein Highschool-Lehrer, die Aktivitäten seiner Frau. Ohnehin psychisch labil und in entsprechender Behandlung, wirkt sie zunehmend nervöser. Angeblich verfolgt ein unbekannter Mann sie und Tochter Grace mit einem braunen Auto. Die Präsenz der Eltern will sie ’spüren‘. Doch Terrence unterstützt Cynthia, denn inzwischen hat ihm Tante Tess gestanden, dass ihr einst anonym große Geldsummen zugingen, die sie für Cynthias Studium verwenden sollte.

Woher kam das Geld? Terrence muss erleben, dass sich die mysteriösen Geschehnisse in der Gegenwart fortsetzen. Ein fremder Mann beschattet das Haus der Archers. Auf dem Küchentisch liegt plötzlich der alte Hut von Cynthias Vater. Die Polizei, die zunächst abwiegelt, wird sehr aktiv, als Terrence und Cynthia Tess Berman erstochen in deren Küche finden. Dann verschwindet Detektiv Abagnale.

Eine anonyme Nachricht verspricht die Lösung aller Rätsel auf dem Grund eines aufgelassenen Baggersees. Cynthia verspricht sich viel davon, doch Terrence erkennt, dass der Brief auf seiner eigenen alten Schreibmaschine getippt wurde. Hat seine Frau dies selbst getan? Das würde bedeuten, dass sie sehr wohl weiß, was 1982 geschah, und womöglich selbst dafür verantwortlich ist …

Kein in der Thriller-Geschichte neuer und doch ein starker Auftakt: Eine Familie verschwindet und lässt die Tochter allein zurück, die zu diesem Zeitpunkt sogar im Haus ist. Wie konnte dies geschehen, und was war der Grund? Um genau diese beiden Fragen geht es in den ersten beiden Dritteln von „Ohne ein Wort“. Das eindrucksvolle Prolog-Kapitel sorgt dafür, dass wir nach Antworten gieren und deshalb bei der Stange bleiben.

Das ist wichtig, denn zwischenzeitlich wird der rote Faden verflixt dünn bzw. gerät außer Sicht. Die wichtigen Elemente sind natürlich da: Nach 25-jähriger Rätselei mehren sich die Hinweise auf die Geschehnisse von einst, was selbstverständlich mit ungeahnten Gefahren verbunden ist. Menschen sterben, die Polizei ist misstrauisch, aber nicht besonders helle und verdächtigt prompt die Falschen usw. usf. Trotzdem hat der Verfasser seinen Stoff im Griff.

Der lockert sich, wenn ihn literarischer Ehrgeiz zu reiten beginnt. Weit holt Barcley immer wieder aus, schildert Ereignisse und charakterisiert Figuren, die für das eigentliche Geschehen nebensächlich oder gar unwichtig sind. Die Archers und ihr Leben sollen plastisch wirken, nur sind sie bei nüchterner Betrachtung ziemlich langweilige Gesellen, die sich entweder genau so verhalten, wie wir es uns dachten, oder unseren Langmut durch höchst unlogische Entscheidungen traktieren. (Verzweifelter Ehemann & Vater tut sich mit gutherzigem Mafioso zusammen – also bitte!)

Irgendwann muss die Katze aus dem Sack – für Mystery-Krimis stets ein kniffliger Moment. Die Auflösung ist dem Rätsel nie gewachsen – kann sie auch gar nicht, denn bleibt die Geschichte auf dem Boden der Tatsachen (und vermeidet den Einsatz von Außerirdischen oder Gespenstern), ist die Palette möglicher Erklärungen ziemlich schmal. Barclay weiß das selbstverständlich und versucht dies zu überspielen, indem er das letzte Drittel der Geschichte in ein Action-Drama verwandelt. In dieser Beziehung ist er hoffentlich noch lernfähig, denn was er uns an Deus-ex-Machina-Effekten präsentiert, ist des Schlechten eindeutig zu viel und reizt eher zum Grinsen als zum Mitfiebern.

Eine üble Sünde der Thriller-Gegenwart verdanken wir Jeffery Deaver, dem Erfinder des Doppel- & Dreifach-Twists: Die Geschichte ist eigentlich schon beendet, da springt wie ein Kastenteufel der wahre Unhold aus dem Off und konfrontiert uns mit dem Ätsch-Effekt: Alles war ganz anders! Ob dabei die Logik zum Teufel geht, ist offenkundig unwichtig. Auch in „Ohne ein Wort“ ist der Twist so an den Haaren herbeigezogen, dass es ärgert.

Kleine Ursachen können eine große Wirkung haben. Die Entscheidung, ob dieses Sprichwort greift, muss aktuell getroffen werden, was manchmal nicht leichtfällt. Cynthia hat mit 14 Jahren nicht nur ihre Familie verloren. Viel stärker macht ihr viele Jahre später zu schaffen, dass ihre letzten Worte zu den Eltern „Ich wollte, ihr wärt tot!“ waren. Sie fielen in einem Moment des Zorns, weil besagte Eltern ihr nach allzu exzessiven Partygängen weitere nächtliche Ausgänge gestrichen hatten. So etwas geschieht in diesem Alter fast zwangsläufig und wird deshalb auch von beiden Seiten wieder vergeben und vergessen.

Doch dieses Mal scheint es, als sei Cynthias Wunsch in Erfüllung gegangen. Diese Überzeugung wird prägender für ihr Wesen als das mysteriöse Verschwinden: Cynthia fühlt sich verantwortlich – und das ist der Schlüssel zu ihrem Denken und Handeln. Dass sie nichts mit dem Vorgefallenen zu tun hat und natürlich unschuldig ist, weiß die ‚rationale‘ Cynthia. Doch die Cynthia von 1982 ist quasi lebendig geblieben und zum imaginären Alter Ego geworden, das weiterhin Vorwürfe äußert.

Cynthia ist deshalb psychisch labil und besonders leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, als sich die Zeichen mehren, dass ihre Familie noch irgendwo existiert. Autor Barclay wärmt dazu leider nur Bekanntes auf: Der eigene Gatte, der ihr doch Stütze sein sollte, zweifelt an ihr, und dann steht Cynthia mit dem Töchterlein allein den Schurken gegenüber, denen sie nur Muttertiergebrüll entgegenschleudern kann, bis endlich Terrence und der verlorene Vater auf der Bildfläche erscheinen und im Bund mit dem Schicksal die Sache klären.

Was Barclay wollte, war die Konfrontation von Durchschnittsmenschen mit einer Krise, die sie zunächst überfordert, um sie dann zu innerer Stärke (und äußerlicher Gewalt) finden zu lassen. Vielleicht sind ihm die Archers allzu ’normal‘ geraten, denn sie nimmt man als Leser bloß in Kauf, während man auf die Lösung des Rätsels wartet.

Auch den Lumpen dieser Geschichte sollte man mit Nachsicht begegnen. Hier liefern sich Bosheit, Dämlichkeit und Lächerlichkeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das unentschieden ausgeht. Die Verschwörung, die Barclay konstruiert, kann zudem nur funktionieren, wenn ihre Opfer in entscheidenden Momenten Bretter vor den Köpfen haben, denn eigentlich müsste sie platzen wie Sommerfliegen auf einer Windschutzscheibe.

Nein, das Beste ist wohl, dieses Buch zu lesen, es spannend zu finden und schleunigst zu vergessen, denn Nachdenken lässt nicht nur den wackeligen Unterbau, sondern auch das Flickwerk erkennen, das den Plot zusammenhält. Wie schon gesagt, schade, aber solche Erfahrungen gehören zum harten Alltag des erfahrenen Krimi-Fans …

Linwood Barclay wurde (in einem sorgfältig geheim gehaltenen Jahr) in den USA geboren. Der Vater, ein Werbegrafiker, ging mit der Familie nach Kanada, als Linwood vier Jahre alt war. In diesem Land, genauer an der Trent University in Peterborough (Provinz Ontario), studierte er Englisch. Hier arbeitete er nach dem Abschluss als Journalist für den „Peterborough Examiner“. 1981 wechselte er zum „Toronto Star“, der auflagenstärksten Zeitung Kanadas und besetzte verschiedene Stellen, bis er 1993 eine Kolumne übernahm, die dreimal pro Woche erschien (und weiterhin erscheint) & in welcher er sich über die seltsamen Seiten des menschlichen Alltags äußert.

1996 veröffentlichte Barclay ein erstes Buch („Father Knows Zilch: A Guide for Dumbfounded Dads“), das auf seinen Kolumnen basierte. In den nächsten Jahren erschienen weitere harmlos-satirische Bücher, bis Barclay 2004 einen ersten (Mystery-)Roman („Bad Move“) um den überdrehten Über-Vater Zack Walker schrieb, dem weitere folgten. „No Time for Goodbye“ (dt. „Ohne ein Wort“) ist sein erstes ‚ernsthaftes‘ Buch.

Humor ist auch auf der Bühne Barclays Geschäft. Er wird gern und oft engagiert, um seine Alltagsgeschichten selbst zu erzählen. Er lebt mit seiner Familie in Burlington, Ontario. Womit er gerade wo auftritt oder worüber er schreibt, meldet Barclay auf seiner Website: http://www.linwoodbarcley.com.

http://www.ohne-ein-wort.de
http://www.ullstein-taschenbuch.de

Lansdale, Joe R. – Wilder Winter

Hap Collins und Leonard Pine stehen auf der untersten Sprosse der Leiter, die im US-Staat Texas die gesellschaftliche Rangordnung symbolisiert. Pine ist nicht nur schwarz, sondern auch schwul, Collins gehört zum „White Trash“. Normalerweise müssten sie einander spinnefeind sein, doch sie sind seit Jahren dicke Freunde.

Ihr Leben in Armut fristen sie als schwer arbeitende und schlecht bezahlte Tagelöhner auf staubigen Feldern. Das Leben als soziale Außenseiter hat sie geprägt. Offensichtliche Kriminalität ist ihnen zwar fremd, doch in den Grauzonen des Gesetzes bewegen sie sich ungezwungen.

Deshalb horchen sie interessiert auf, als Trudy, Haps Ex-Frau, ihnen die Geschichte eines Bankräubers erzählt, der seine reiche Beute in der texanischen Wildnis verstecken konnte, bevor ihn die Polizei erwischte. Kürzlich ist er in der Gefängniszelle gestorben, die er mit Trudys aktuellem Lebensgefährten Howard teilte. Zuvor hatte er die dürftigen Erinnerungen an den Platz geteilt, wo er das Geld versteckt hat. Diesen Schatz wollen Trudy und Howard gemeinsam mit ihren Komplizen Chub und Paco nun heben.

Trudy weiß, dass Hap die Gegend, in der das Versteck liegen muss, sehr genau kennt. Mehr als eine ausgiebige Suche im sumpfigen Wald scheint unseren Schatzsuchern nicht bevorzustehen. Freilich verschweigt die durchtriebene Trudy mit Bedacht, dass sie und ihre Spießgesellen keineswegs daran denken zu teilen. Vom Regen geraten unsere beiden Pechvögel allerdings erst recht in die Traufe, als die unbedarften Möchtegern-Revolutionäre an einen echten Gangster geraten, für den Folter und Mord zum Tagesalltag gehören. Mitgefangen – mitgehangen: Die hässliche Wahrheit dieses alten Sprichworts müssen Hap und Leonard buchstäblich am eigenen Leib erfahren …

„Funny Crimes“ nennt sich die Reihe, die der |Shayol|-Verlag 2006 ins Leben rief. Das ist keine wirklich glückliche Namenswahl, denn spaßig im eigentlichen Sinn ist zumindest „Wilder Winter“ nicht. Gemeint ist stattdessen wohl eine gewisse Unorthodoxie in Handlung, Figurenzeichnung und Stil, die Romane wie diesen aus dem Einerlei des ‚klassischen‘ Krimis herausheben.

Diese Dreifaltigkeit lässt sich hier in der Tat rasch feststellen. Autor Lansdale verstößt genussvoll vorsätzlich gegen die üblichen Konventionen des Genres. Der große Coup, der hier versucht wird, ist ein unausgegorenes Projekt, das von denkbar untauglichen Zeitgenossen möglichst ungeschickt angegangen wird.

Helden oder wenigstens attraktive Schurken sucht man in dieser Geschichte vergeblich. Verzweifelte Außenseiter tun sich zusammen, um endlich ihren Zipfel der Wurst zu schnappen, den ihnen das Schicksal bisher vorenthalten hat. Die Turbulenzen innerhalb dieser Gruppe sind mindestens so spannend wie die Jagd nach dem verlorenen Geldschatz, weshalb Lansdale ihnen die erste Hälfte des Romans widmet. Der Verfasser weiß meist genau, was er macht; er stellt die Weichen für ein Geschehen, das zwangsläufig zum Scheitern des Unternehmens führen muss – wobei sehr deutlich wird, dass dieses Scheitern nicht ohne Überraschungen und Gewalt stattfinden wird. Nur manchmal gehen ihm die Pferde durch; so wirkt die Lebensbeichte des Ex-Terroristen Paco unnötig ausführlich und singt allzu laut das Klagelied vom Hippie, der seinen Weg verlor. (Die 1960er Jahre bzw. ihre Folgen und ihr Scheitern liegen dem Verfasser am Herzen, wie er in einem aufschlussreichen Interview erläutert, das diesem Roman angehängt ist.)

Hart ist das Leben dort, wo kein soziales Netz dich abfängt, solltest du ins Stolpern geraten. Hap Collins kann ein Lied davon singen. Er hatte vergessen, dass die Wörter „Idealist“ und „Idiot“ nicht nur ähnlich klingen, als er in den 1960er Jahren versuchte, die Welt zu retten. Während die meisten anderen Blumenkinder den Absprung rechtzeitig schafften, glaubte Hap tatsächlich an seine Ideale und geriet in die Mühlen des Establishments, das sich keineswegs bezwingen ließ. Als Hap das endlich begriffen hatte, war er ein Ex-Sträfling ohne Ausbildung, geschieden und pleite. Für ihn gab es keinen „Amerikanischen Traum“ mehr.

Leonard Pines hat nie ähnliche Anwandlungen gespürt; einem schwarzen und schwulen Mann bleibt in Texas keine Zeit dafür. Mögliche weiche Stellen sind seit seinem Vietnam-Einsatz endgültig verschwunden; Pines ist ein eisenharter Kerl, an den sich die Rednecks nicht einmal im Rudel zu vergreifen wagen. Deutlich intelligenter als Hap Collins, hat Pines die Rolle des ‚großen Bruders‘ übernommen, der seinen Freund und „Buddy“ stützt, wenn Ärger, Liebeskummer oder andere Nackenschläge des Lebens diesen wieder einmal taumeln lassen. Trotz seines abweisenden Äußeren hat Pines ein großes Herz. Wider besseres Wissen lässt er sich deshalb auch in das aktuelle Abenteuer verwickeln, obwohl er von Anfang ahnt, dass an der Sache etwas faul ist.

Trudy manipuliert die Männer meisterlich und ohne Skrupel; es ist ihre Methode, sich aus dem Dreck zu ziehen. Bisher hat es nicht geklappt, da sie sich stets an Schwächlinge und Versager gehängt hat. Dieses Mal geht Trudy aufs Ganze; sie spürt, dass ihre große Zeit als Verführerin sich dem Ende zuneigt, und will einen Neuanfang erzwingen. Dafür muss sie gleich mehreren, durchaus misstrauischen Männern Sand in die Augen streuen, aber das traut sie sich zu, bis sie sich letztlich verkalkuliert.

Der beste Plan kann scheitern, weil er die menschliche Natur nicht berücksichtigt. Leonard stichelt gegen Trudy, die wiederum mit Haps und Howards Eifersucht zu kämpfen hat. Chub ist ein weichhirniger Schwächling, der vielleicht ein wenig zu oft getreten wurde und sich nicht mehr krümmen will. Hinter Paco verbirgt sich ein als Staatsfeind gesuchter Terrorist, der womöglich der Gewalt nicht so sehr abgeschworen hat, wie er vorgibt.

Da auf dieser holprigen ‚Schatzsuche‘ ohnehin schiefgeht, was schiefgehen kann, kochen die Emotionen bald gefährlich hoch. Weder die Kälte des Winters, der Fluss oder der Sumpfwald können es an Brisanz mit den Konflikten aufnehmen, die zwischen den ‚Gefährten‘ auflodern. Man streitet meisterlich, während die kriminellen Instinkte eher unterentwickelt sind. Als mit „Soldier“ und seiner Partnerin „Angel“ zwei ‚richtige‘ Schwerkriminelle die Szene betreten, ist Schluss mit lustig.

Vor allem Soldier ist eine interessante Figur, die Quentin Tarentino erfunden (oder wiederentdeckt) haben könnte – ein Drogendealer, Mörder und Wahnsinniger, der sich jovial gibt und Vorträge über Lebensart oder menschliche Werte hält, um dir im nächsten Augenblick einen Stahlnagel durch die Hand jagen zu lassen. Soldier ist unberechenbar und scheint übermächtig zu sein. Als Hap und Leonard sich gegen ihn stellen, mutieren sie nicht plötzlich zu unüberwindlichen Kampfmaschinen. Der finale Kampf ist brutal, dreckig, und auch sein Ausgang ignoriert die bekannten Hollywood-Routinen. Autor Lansdale geht seinen eigenen Weg – unbeirrt bis zum letzten Satz. Als Leser schließt man ein Buch, das erfrischend ‚anders‘ ist als der künstlich bestsellererisierte Einheitsbrei, mit dem einen die Werbung und die Buchhandelsketten anschmieren möchten.

Joe Richard Harold Lansdale wurde 1951 in Gladewater im US-Staat Texas geboren. Als Romanautor trat er bereits 1972 in Erscheinung. Mitte der 1970er Jahre begann er sich verstärkt der Kurzgeschichte zu widmen. Auch hier stellte sich der Erfolg bald ein. Lansdale wurde ein Meister der kurzen, knappen Form.

Texas, sein Heimatstaat, war und ist die Quelle seiner Inspiration – ein weites Land mit einer farbigen Geschichte, erfüllt von Mythen und Legenden. Lansdale ist fasziniert davon und lässt die reale mit der imaginären Welt immer wieder in Kontakt treten. Deshalb kann es durchaus geschehen, dass dessen Bewohner Besuch vom Teufel und seinen Spießgesellen bekommen. Es könnten auch Außerirdische landen: Generell liebt es Lansdale, mit den Genres zu spielen.

Stilistisch beeindruckt Lansdale durch die absolute Beherrschung seines Handwerks. Mit nüchternen Worten vermag er zu zaubern, seine Leser träumen, sich fürchten oder traurig sein zu lassen. Unmittelbar kann einer Tragödie eine groteske Episode folgen, die der Verfasser mit knochentrockenem Humor und rabenschwarzem Witz zum Besten gibt: Dies nennt der Verfasser „Mojo-Storytelling“ – die Kunst, es auf die Spitze zu treiben.

Der Effekt ist unwiderstehlich, spaltet aber auch das Publikum: Lansdale-Geschichten liebt man oder hasst sie. Dazwischen scheint es nichts zu geben, was durchaus eine Form von Anerkennung ist. Ein Durchschnittsschreiber für Leser, die vor allem die Variation des Bekannten suchen und das Spektakuläre meiden, ist Lansdale sicherlich nicht. Dies wurde mit einer langen Reihe begehrter Literaturpreise honoriert. Allein der „Bram Stoker Horror Award“ wurde Lansdale fünfmal verliehen.

Nach zwei Lansdale-Kurzgeschichten entstanden Kurzfilme („Drive-In Date“, „The Job“). Kultstatus erreichte Don Coscarellis Verfilmung (2002) der Story [„Bubba Ho-Tep“:]http://www.powermetal.de/video/review-1152.html Ein alter Elvis Presley und ein farbiger John F. Kennedy jagen eine mordlustige Dämonenmumie. Lansdale schrieb außerdem Drehbücher für diverse Folgen der Serien „Batman: The Animated Series“ und „Superman: The Animated Series“.

Der private Joe R. Lansdale lebt mit seiner Frau Karen und den Kindern heute in Nacogdoches, gelegen selbstverständlich in Texas. Er schreibt fleißig weiter und ist auch als Herausgeber von Kurzgeschichtenanthologien sehr aktiv. Außerdem gehören Lansdale einige Kampfsportschulen, in denen diverse Künste der Selbstverteidigung gelehrt werden. In diesen ist Lansdale ein anerkannter Meister, der mehrere Titel hält.

http://www.shayol.de/

|Siehe ergänzend dazu auch die Rezension zu [„Sturmwarnung“. 2107 |

Poitier, Sidney – Mein Vermächtnis. Eine Art Autobiografie

Wenn Menschen in die Jahre kommen, geschieht es recht häufig, dass es ihnen Schwierigkeiten bereitet, sich abends daran zu erinnern, was sie morgens gegessen haben. Offenbar als eine Art Ausgleich aktiviert Mutter Natur gleichzeitig das Langzeitgedächtnis. Plötzlich erinnert sich der oder die so Bedachte glasklar an Zeiten, die fünfzig und mehr Jahre zurückliegen und längst vergessen schienen. Mit den Erfahrungen und den daraus gezogenen Lehren geht ein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis einher, und beides zusammen addiert sich zur oft und gern beschworenen „Weisheit des Alters“, deren Schicksal es bekanntlich ist, dass sie jene, die es angeht, in der Regel nicht hören wollen, worauf seltsamerweise das Ende der Welt trotzdem ausbleibt.

Ist man aber alt und berühmt (oder wenigstens berühmt gewesen), hat man bessere Karten, denn in diesem Fall schreibt man seine Autobiografie (oder lässt sie schreiben), kann die oben angesprochenen Weisheiten einer breiten Öffentlichkeit nahebringen und damit sogar noch Geld verdienen! In den USA funktioniert das jedenfalls in der Regel prächtig, wenn es der Autor versteht, das dargestellte Leben gemäß den dramaturgischen Regeln Hollywoods unterhaltsam zu inszenieren, unschöne Aspekte stets mit einem Zückerchen zu servieren, dem HERRN dezent demütig für die erwiesenen Dienste zu danken (Halleluja!) und ansonsten die Mär vom Amerikanischen Traum fortzuspinnen.

Wer wäre unter den beschriebenen Umständen ein besserer Kandidat für die oberen Ränge der spät berufenen Prediger als Sidney Poitier, der schwarze Prinz von Hollywood? Er verkörpert inzwischen mehr als ein halbes Jahrhundert Filmgeschichte. Gleichzeitig ist er ein wichtiger Zeitzeuge, der in der ersten Reihe stand, als Geschichte geschrieben wurde; die Geschichte der Rassendiskriminierung und ihrer allmählichen bzw. scheinbaren Überwindung nämlich.

Sie steht für Poitier, den Schriftsteller, dieses Mal im Vordergrund, während er seine Hollywood-Jahre bereits früher in Wort und Bild Revue passieren ließ. Doch während Poitier, der Schauspieler und Regisseur, allgemein gepriesen (und 2002 mit einem Ehren-Oscar bedacht) wurde, sah sich Poitier, der Mensch, stets im Kreuzfeuer der Kritik. Als „Onkel Tom“ der Filmindustrie wurde er gescholten, der sich vereinnahmen und in Rollen pressen lasse, die eine Annäherung der Rassen demonstrierten, wie sie die Weißen gern hätten, die auf diese Weise gleich noch ihr schlechtes Gewissen beschwichtigten. Diese Argumente sind durchaus nicht von der Hand zu weisen, wenn man sich z. B. „Lilien auf dem Felde“ betrachtet, jenen Film, für den Poitier 1964 mit dem „Oscar“ als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde. Hier spielt er keinen Menschen aus Fleisch und Blut, sondern einen Engel auf Erden, den man einfach lieben muss, auch wenn er zufällig schwarz ist …

Nicht ganz von ungefähr lautet daher der Titel eines provokanten Artikels, der Anfang der 70er Jahre in der renommierten „New York Times“ erschien, „Warum die Weißen Sidney Poitier so sehr lieben“. Dieser ist verständlicherweise recht unglücklich über das Bild, das Medien und Bürgerrechtsbewegungen von ihm zeichneten und zeichnen. „Mein Vermächtnis“ ist deshalb auch der Versuch, den Schleier des Gutmenschen zu zerreißen, um dahinter den wahren Sidney Poitier zum Vorschein zu bringen. Das ist eine diffizile Aufgabe, die wohl auch einem erfahrenen Autoren nicht gerade leicht gefallen wäre. Poitier reüssiert und scheitert gleichzeitig.

Am besten gelingt ihm die Autobiografie dort, wo er sich als Historiker in eigener Sache versucht. Die schwarze Welt der dreißiger bis späten sechziger Jahre brachte eben nicht zwangsläufig nur Martin Luther Kings oder Malcolm Xes hervor, wie dies die mit der Gnade der späteren Geburt gesegneten Bürgerrechtler zu fordern scheinen. Sidney Poitier schildert seine Kindheit und Jugendjahre als Versuch, der Armut zu entrinnen, ohne aber als Kind und Jugendlicher permanent unglücklich gewesen zu sein. Dasselbe gilt für die Diskriminierung, die er recht spät, aber durchaus heftig zu spüren bekam, ohne dass daraus der Wille erwuchs, den weißen Betonköpfen die Gleichberechtigung der Rassen buchstäblich einzuprügeln. Stattdessen trat Poitier den Marsch durch die Institutionen an, wenn man es so ausdrücken möchte, wurde nicht nur Rädchen, sondern Schwungrad der Filmindustrie und aus dieser Position als Aktivist tätig. Dass er gleichzeitig berühmt, beliebt und reich wurde und ihm das sichtlich gefiel, hat ihn in den Augen puristischer Gerechtigkeitskrieger, die es gleichzeitig ärgerte, dass sich der prominente Künstler nicht willig vor jeden politischen Karren spannen ließ, unglaubwürdig wirken lassen.

Schlimmer noch: Poitier ist brennend ehrgeizig und eitel, was er in „Mein Vermächtnis“ offen zugibt. Wieso denn auch nicht, denn hätte er es anderenfalls weiter gebracht als bis zum Betreiber jener Frittenschmiede, die er vor fünf Jahrzehnten in New York kurzzeitig führte? Doch der Prophet gilt nichts im eigenen Land, wenn er in Samt und Seide vor die Leute tritt, und so ist Poitier als angeblicher Vorzeige-Neger (Achtung, pc hunters: Ironie!) in die Filmgeschichte eingegangen, obwohl er Rollen, die sich so deuten ließen, schon seit dreißig Jahren nicht mehr spielt.

Während diese Ambivalenz von Schein und Wirklichkeit sehr deutlich wird, leidet „Mein Vermächtnis“ auf der anderen Seite unter Poitiers Hang zum Predigen. Früher war das Leben zwar nicht einfacher, aber eben doch besser, weil man des Abends mit der Familie zusammen saß und im flackernden Lichte einer Kerze alte Volkslieder sang, statt fernzusehen oder sich den flüchtigen Zerstreuungen hinzugeben, die heute hoffnungsvolle junge Menschen in verwirrte Internet-Zombies verwandeln. Wieso Poitier dann allerdings als noch nicht 16-Jähriger dieses Paradies ausgerechnet gen Sündenbabel New York verließ (wo es ihm ausgezeichnet gefiel), kann er nicht wirklich schlüssig erklären; müsste er auch gar nicht, wenn er nicht als alter Mann plötzlich den Drang verspürte, sich wehmütig-wehleidig der kostbaren Lehren zu erinnern, die ihm das einfache Leben der frühen Jahre bescherte, und seine Leser darauf einzuschwören. Solche spirituellen Wiedergeburten mögen in den USA hoch im Kurs stehen; hierzulande wirken sie naiv bis peinlich, ohne dass man sich ob dieses Urteils vorwerfen lassen müsste, ein zynisch-verderbter Europäer zu sein.

Glücklicherweise halten solche fernsehpredigerischen Anwandlungen nie sehr lange an. Stattdessen erzählt Poitier Episoden und Anekdoten aus seinem Leben, und weil er weiß Gott einiges erlebt hat in einem Dreivierteljahrhundert, lässt man sich gern von ihm in die Vergangenheit entführen. Als Schriftsteller achtet Poitier klug die Grenzen seines Talents; sein Stil ist einfach, aber klar, was doppelte Anerkennung fordert angesichts der Tatsache, dass der Autor nur über eine rudimentäre Schulbildung verfügt und sich sein Wissen und die Fähigkeit, es anzuwenden, erst in relativ späten Jahren und autodidaktisch aneignen musste.

So lässt sich Poitiers „Vermächtnis“ fast durchweg gut lesen, wozu auch die Übersetzung ihren Teil beiträgt. Vom pompösen Titel sollte man sich nicht irreführen oder abschrecken lassen, sondern ohne übersteigerte Erwartungen oder gar Vorbehalte an die Lektüre gehen.

Bellairs, John – Geheimnis der Zauberuhr, Das

Glück im Unglück hat Luis Barnavelt, der in diesem Jahre des Herrn 1948 gerade zehn Jahre alt geworden ist und gerade seine Eltern bei einem Autounfall verloren hat: Sein Onkel Jonathan van Olden Barnavelt nimmt den Waisenknaben zu sich ins kleine Städtchen New Zebeedee im idyllisch-verschlafenen Capharnaum County, US-Staat Michigan. Dort bewohnt er an der High Street Nr. 100 ein altes Herrenhaus, in dem sich Luis zwar sogleich heimisch fühlt, das jedoch einige Besonderheiten aufweist; Spiegel, die fremde Länder in fernen Zeiten zeigen, sind nur eine davon.

Beunruhigender findet Luis allerdings das seltsame Verhalten seines Onkels, den er dabei ertappt, wie er des Nachts durch das dunkle Haus schleicht, an den Wänden horcht und diese mit Hammer und Meißel aufstemmt. Ganz offensichtlich sucht er etwas. Was es ist, erfährt Luis, als Jonathan seinen Neffen dabei entdeckt, wie er ihn beobachtet. High Street Nr. 100 wurde einst erbaut von Isaac Izard, der in New Zebeedee als Zauberer verschrien war, und das wohl zu Recht. Aus Gründen, die Jonathan und seiner Nachbarin und Freundin, der freundlichen Florence Zimmermann, unerfindlich bleiben, hat Izard irgendwo in den Mauern seines Hauses eine Uhr versteckt, deren beständiges Ticken die Bewohner zur Weißglut treibt. Sie lässt sich einfach nicht orten, obwohl Jonathan und Mrs. Zimmermann schon seit Jahren nach ihr suchen.

Die Lösung dieses Rätsels muss unbedingt gefunden werden, nachdem Luis beim Versuch, einen Freund zu beeindrucken, versehentlich den Geist der bösen Selenna Izard aus ihrem Grab befreit. Diese erweist sich als noch wesentlich unangenehmer als ihr Gatte, der die Uhr – so viel steht bald fest – mit einer magischen Weltuntergangs-Maschine gekoppelt hat. Gelingt es Selenna, die Uhr zu finden und den Mechanismus korrekt zu justieren, wird der Tag des Jüngsten Gerichts anbrechen. Genau dies versucht sie, und dabei geht sie nicht zimperlich vor, wobei sie sich auch noch als Hexe mit vielen unangenehmen Verbündeten entpuppt …

John (Anthony) Bellairs (1938-1991) gehört in den USA auch ein Jahrzehnt nach seinem frühen Tod zu den bekannten und viel gelesenen Kinderbuch-Autoren. Was hierzulande fast wie eine Abqualifizierung klingt, ist tatsächlich eine echte und schwierige Kunst: Geschichten zu erzählen, die Kinder – diese seltsame Mischung aus Mensch und Alien – einbeziehen, als zwar noch im Wachsen begriffene, aber bereits existente Persönlichkeiten ernst nehmen und vor allem nicht der fixen Idee unterliegen, ihr Publikum um jeden Preis belehren zu wollen.

Die besondere Qualität des John Bellairs wird nicht zuletzt durch sein Talent offenbar, auch ältere Kinder oder fast schon wieder kindlich gewordene Erwachsene (wie Ihren Rezensenten) zu fesseln. „Das Geheimnis der Zauberuhr“ ist nicht ’nur‘ ein Kinderbuch, sondern auch ein veritables „Weird Fantasy“-Abenteuer, das geschickt Elemente milden Horrors in eine ansonsten realistische, nur leicht verfremdete Alltagswelt bringt. Kinderängste, die sich beileibe nicht ausschließlich ums Übernatürliche drehen, sondern auch die Furcht vor dem Allein- und Fremdsein in einer leicht aus den Fugen geratenden Welt mit einschließen, werden beschworen, bewältigt und damit gebannt, und das ohne den berühmt-berüchtigten erhobenen Zeigefinger. Die Figuren sind schlicht, aber kraftvoll gezeichnet, wobei angenehm auffällt, dass die Erwachsenen weder zu Respektspersonen, vor denen Kinder stramm zu stehen haben, erhöht noch zu Trottel herabgewürdigt werden, die rein gar nichts von dem kapieren, was um sie herum vor sich geht. Die Kinder – allen voran Luis Barnavelt – sind weder tumbe Disney-Zombies noch altkluge Spielberg-Goonies, sondern stehen mit beiden Beinen fest im Leben, wobei dieses auch seine unangenehmen Seiten hat, die ebenso wie gewisse charakterliche Schwächen der Protagonisten nicht harmoniesüchtig ausgeblendet werden (auch wenn vielleicht ein wenig zu viel heißer Kakao serviert wird).

„Das Geheimnis der Zauberuhr“ bildet den Auftakt zu einem Dreiteiler um den Waisenknaben Luis Barnavelt, der in und um die archetypische US-amerikanische Kleinstadt New Zebeedee allerlei fantastische Abenteuer erlebt. Mit beachtlicher Verspätung erschienen sie ab 2000 endlich in Deutschland |(1)|. Der Blick auf das Titelbild macht deutlich, wem wir dies verdanken: Es zeigt eine Jungengestalt mit wirrer Zackenfrisur, aber immerhin ohne Brille und Nimbus 2000 und zeugt vom durchsichtigen aber verständlichen Wunsch des |Heyne|-Verlags, auch ein paar Krümel vom Harry-Potter-Kuchen abzubekommen. (Damit noch der Dümmste hört, was die Glocke geschlagen hat, wurde vorsichtshalber der Satz „Ein Muss für jeden Harry-Potter-Fan!“ auf den hinteren Umschlagdeckel gedruckt.) In diesem Fall darf der Leser das Gebrüll der Werbe-Ochsen aber gnädig überhören und sich über die unverhoffte Gelegenheit freuen, einen echten Kinder- oder Jugendbuch-Klassiker kennen zu lernen.

Die weiteren Bände der ‚echten‘ Barnavelt-Trilogie erschienen bei |Heyne| unter den Titeln „Der magische Schatten“ („The Figures in the Shadows“, 1975) und „Das Rätsel des verwunschenen Rings“ („The Letter, the Witch and the Ring“, 1976). Da niemand, der auch nur bescheidenen Ruhm auf sein Haupt häufen konnte, heutzutage in Frieden ruhen darf, wurde Luis Barnavelt nach dem Tod seines Schöpfers wieder belebt: In postumer ‚Zusammenarbeit‘ mit dem Vielschreiber Brad Strickland erschien zwischen 1993 und 1995 ein weiterer dreibändiger Romanzyklus, der inzwischen ebenfalls bei |Heyne| als „Das Gespenst im Spiegel“ („The Ghost in the Mirror“, 1993), „Der Spuk im Irrgarten“ („The Vengeance of the Witch-Finder“, 1993) und „Der Fluch der alten Oper“ („The Doom of the Haunted Opera“, 1995) auf Deutsch vorliegt.

|Anmerkung|

|(1)| Dieser erste Teil erschien bereits 1977 im |Diogenes|-Verlag unter dem Titel „Das Haus, das tickte“; durch die mehr als nur leicht morbiden Illustrationen Edward Goreys hinterlässt diese Ausgabe einen ausgesprochen düsteren Eindruck.

Hiaasen, Carl – Reinfall, Der

Dass der Plan, ihre schon im zweiten Jahr vor sich hin dümpelnde Ehe durch eine romantische Kreuzfahrt neu zu entfachen, gescheitert ist, weiß Joey Perrone spätestens dann, als Gatte Chaz sie des Nacht über Bord der „Sun Duchess“ stürzt. Wider Erwarten überlebt sie den Aufprall und macht sich schwimmend voller Zorn und Überlebenswillen auf den langen Weg zur leider gar nicht nahen Küste von Florida.

Dort wäre sie höchstens als Rest einer Haifischmahlzeit angetrieben, hätte sie nicht der mitternächtlich angelnde Ex-Cop Mick Stranahan zufällig aus dem Wasser gefischt. Er haust auf einer kleinen Insel, wo sich Joey heimisch zu machen beginnt: Sie will sich an ihrem Ehemann rächen – und das keineswegs vor Gericht, sondern persönlich.

Warum hat Chaz Perrone sie umbringen wollen? Ein Motiv gibt es eigentlich nicht, denn an Joeys beachtliches Vermögen kommt er auch im Fall ihres Todes nicht heran. Weder Joey noch Stranahan, den die Langeweile dazu treibt, sich dem Rachefeldzug seines ‚Gastes‘ anzuschließen, ahnen zunächst von der Verbindung zwischen Chaz und dem kriminellen Großgrundbesitzer Samuel Johnson Hammersnut, genannt „Red“, der in den Everglade-Sümpfen riesige Plantagen von Arbeitern bearbeiten lässt, die er wie Sklaven hält. Red leitet giftgeschwängerte Abwässer in das naturgeschützte Gelände, und Chaz, der als Biologe für den Staat arbeitet, vertuscht dies, wofür er gut bezahlt wird.

Joey und Stranahan beschließen, Chaz durch Erpressung in Angst und Schrecken zu versetzen. Leider wendet sich ihr Opfer an seinen Boss, der daraufhin den Schläger Tool zu Chaz‘ Leibwächter ernennt. Chaz selbst wird vom misstrauischen Detective Karl Roolvag beschattet, der nicht glauben mag, dass Joey ohne ‚Nachhilfe‘ über Bord ging.

Ohne voneinander zu wissen, gehen die genannten Personen ihren Plänen nach. Natürlich kommt man einander bald ins Gehege, was eine Kette fataler, gewaltreicher und bizarrer Geschehnisse auslöst, die in einem Finale münden, das nur grotesk genannt werden kann …

Seit vielen Jahren führt Carl Hiaasen seinen Kampf gegen die skrupellosen Seilschaften, die möglichst den gesamten US-Staat Florida in eine betonierte Urlaubs- und Wohnanlage verwandeln wollen. 90 Prozent der ursprünglichen Urlandschaft wurden bereits zerstört und zersiedelt, und auch den Rest wollen sich kriminelle Geschäftsleute unter den Nagel reißen, wobei sie von gut geschmierten Politikern gern unterstützt werden.

Der Kampf ist ungleich, denn die wenigen Verteidiger der ökologisch kostbaren Sumpfgebiete werden als lästige Feinde des notwendigen Fortschritts dargestellt und stehen auch sonst auf weitgehend verlorenem Posten. Hiaasen hat sich dennoch nie davon abhalten lassen, in dem Versuch, das scheinbare Unvermeidliche zu verhindern, seinen ganz persönlichen Weg zu gehen. Sehr richtig geht er von der Prämisse aus, dass den meisten Menschen von Alligatoren bevölkerte Sümpfe recht gleichgültig sind und faktenreiche Aufklärungsaktionen sie bloß langweilen. Also verpackt er seine Botschaft in spannenden, sarkastisch-witzigen und gern gelesenen Thrillern, die das Problem also unterhaltsam angehen und trotzdem nie verniedlichen.

„Der Reinfall“ gehört zu den Hiaasen-Romanen, mit denen sich der Autor weiter aus dem Fenster lehnt als sonst. Die weiterhin fortgesetzte Vernichtung Floridas scheint ihn zu beflügeln, wenn er sich als Schurken keinen Drogendealer oder den im Krimi-Genre der Gegenwart so beliebten Serienkiller wählt, sondern einen Plantagenbesitzer, der in Obst und Gemüse macht. Bei näherer Betrachtung sind freilich auch in diesem Gewerbe mafiöse Machenschaften üblich, und „Red“ Hammersnut ist deshalb als Bösewicht überaus glaubhaft.

Joey Perrone will sich an ihrem mörderischen Gatten rächen, während Mick Stranahan sie unterstützt, als er erfährt, dass dieser ein Biologe in Staatsdiensten ist, der helfen soll, die gefährdeten Sümpfe zu bewahren. Stattdessen hat sich Chaz Perrone auf die Seite des ‚Feindes‘ geschlagen und treibt auf seine Weise den Ausverkauf der Natur mit voran. Das kann und will Stranahan nicht dulden.

Das Fundament ist gelegt, als Katalysator für das Folgende fügt Hiaasen noch den verrückten Tool hinzu, und dann nimmt die Geschichte ihren höchst irrwitzigen Gang. Was schon im Plan recht unausgegoren klang, entwickelt sich zum totalen Fiasko. Sowohl Stranahan und Joey als auch Hammersnut, Charles und Tool verlieren die Kontrolle über die Ereignisse. Was schiefgehen kann, geht auch schief, und Hiaasen beschreibt das mit dem ihm eigenen Einfallsreichtum.

Die Handlung wirkt in ihrer Abgedrehtheit umso besser, als der Verfasser über einen echten Sinn für Humor verfügt (der stabil genug ist, die Übersetzung zu überstehen). Das plumpe Kalauern, mit dem uns z. B. deutsche „Comedians“ belästigen, ist Hiaasens Sache nicht. Sein Witz ist einfallsreich und knochentrocken, und er unterstreicht das Geschehen, ohne ihm die Spannung zu rauben. Die Stimmung kann schnell ins Gewalttätige umschlagen, was daran erinnert, dass Umweltzerstörung kein Kavaliersdelikt ist.

Durch das turbulente Garn führt ein alter Bekannter: Mick Stranahan war schon in mehreren Hiaasen-Romanen die Hauptfigur. Er stellt das Alter Ego seines geistigen Vaters dar, das dieser dort kräftig zuschlagen lassen darf, wo er selbst sich zurückhalten muss. Stranahan ist der Stachel im Fleisch des korrupten Florida-Establishment, weshalb man ihn auch mit 39 Jahren nach dem politisch unkorrekten Feuergefecht mit einem kriminellen Richter zwangspensioniert hat. Damit hat er sich nur oberflächlich abgefunden. Finanziell leidlich abgesichert, hat er sich an den Rand der Gesellschaft zurückgezogen. Doch die Zivilisation folgt ihm so zügig, dass er nur ohnmächtig zuschauen kann, wie sich seine Zufluchtsstätten in überteuerte, uniformierte Wohnslums verwandeln.

Die Wut über den Ausverkauf treibt Stranahan regelmäßig in seltsame Abenteuer. Lässt er sich erst nur von Joey Perrone um den Finger wickeln – Stranahan kann trotz sechs gescheiterter Ehen nicht von den Frauen lassen -, steigt er voll in deren Racheplan ein, nachdem Chaz Perrones ‚Verrat‘ an der Natur offenbar wird.

Chaz schildert Hiaasen als Verkörperung des Versagens, dessen sich der Staat Florida schuldig macht. Ebenso intensiv wie ungeschickt bemüht man sich seit einigen Jahren, den kläglichen Rest der Everglade-Sümpfe zu bewahren. 8 Milliarden Dollar lässt man sich das kosten – Geld, das freilich in allerlei dunklen Kanälen versickert. Wieso das so ist, demonstrieren Zeitgenossen wie Chaz Perrone, ein miserabler Biologe, der sich seinen Doktortitel von einem Gangster kaufen ließ, dem er dafür gefälschte Gutachten liefert.

„Red“ Hammersnut darf dafür die Abwässer seiner Plantagen weiterhin ungeklärt in die Sümpfe abfließen lassen. Er ist der moderne Nachfahre jener Raubbarone, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert die USA als ihren Privatbesitz betrachteten, den sie ausbeuten und zerstören konnten, wie es ihnen beliebte. Heute sind die Gesetze scheinbar gegen sie, doch Hiaasen lässt uns durch Hammersnut vorführen, wie der Staat an der Nase herumgeführt wird. Die Zeche zahlt wie immer der brave, dumme Bürger, der sich an die Regeln hält, die für einen Hammersnut keine Gültigkeit besitzen.

Joey Perrone ist eine Frau, die endlich aufwacht. Bisher hat sie nach Mr. Right und einem Leben in traulichen Zweisamkeit getrachtet. Wie sehr sie gescheitert ist, musste sie erst der Sturz in den Ozean lehren. Nun will sie Vergeltung, ohne freilich zu ahnen, welche Aktivitäten sie damit in Gang setzt. Aber Joey ist lernfähig und in der Lage, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen. Sie bekommt sogar ihren Kick an der Seite Stranahans, der eine anarchische Seite des Daseins verkörpert, die ihr bisher verschlossen geblieben ist.

Tool reiht sich in die Schlange der bizarren Killergestalten ein, die Hiaasen seit Jahren auf seine Romanhelden loslässt. Schon der Name macht deutlich, wo Tool in der Gesellschaft steht: ganz unten – ein Werkzeug, das sich einsetzen lässt, ohne sich um Gesetze oder Moral zu kümmern. Tool ist im Grunde eine Furcht erregende Gestalt, doch Hiaasen schildert ihn als fast sympathischen Schuft, der mit diversen, recht peinlichen Problemen zu kämpfen hat und gar nichts mit den glanzvollen Hollywood-Bösewichten gemeinsam hat. In dem Chaos, das ein Leben in Florida bedeutet, wirkt ausgerechnet Tool wie ein ruhender Pol. Er tut, was man ihm sagt, und kümmert sich um die großen Dinge dieser Welt einen Dreck. Das bewahrt ihn allerdings auch nicht vor einem Schicksal, das ihm im unpassenden Moment dicke Knüppel zwischen die Beine wirft, um ihm letztlich ein absurdes Happy-End zu gönnen.

Carl Hiaasen wurde 1953 in Florida geboren, ging hier zu Schule, studierte (bis 1974) Journalistik und ging anschließend zum „Miami Herald“. Bei dieser Zeitung ist er noch heute angestellt und schreibt Kolumnen und Berichte, in denen er jene Sünden anprangert, mit denen wir auch in seinen Romanen immer wieder konfrontiert werden. Zu schaffen macht Hiaasen besonders der unentwirrbare Filz aus Politik, Wirtschaft und Verbrechen, der Florida in Sachen Korruption und Umweltzerstörung einen traurigen Spitzenplatz in den USA garantiert.

Da Hiaasen die Erfahrung machen musste, dass seine wütenden Attacken im täglichen Mediengewitter mehr oder weniger untergingen, begann er ab 1981 Romane zu schreiben, die in spannender Thrillerform und scheinbar fiktiv die genannten Missstände auch jenem Publikum nahe zu bringen versuchen, das gemeinhin nur den Sportteil einer Zeitung zur Kenntnis nimmt.

Hiaasen schrieb seine ersten drei Romane mit dem Journalisten-Kollegen William D. Montalbano, bevor er sich mit „Tourist Season“ (dt. „Miami Terror“) 1986 quasi selbstständig machte. Schon früh begann er damit, die bittere Medizin, die er verabreichen wollte, zu versüßen, indem er dazu überging, immer groteskere Plots für seine ohnehin actionbetonten Geschichten zu entwerfen. Ironie und Sarkasmus, die jederzeit in blanken Zynismus umschlagen können, demaskieren die Welt, wie Hiaasen sie in Florida vorfindet, als Tollhaus.

Die Rechnung ging auf: Weil Hiaasen sein Talent, wirklich krude Geschichten mit knochentrockenem und dadurch um so wirksamerem Witz zu entwerfen, rasch zur Perfektion entwickelte, fand er sein Publikum, das ihm – aus gutem Grund – treu geblieben ist.

http://www.manhattan-verlag.de

_Carl Hiaasen auf |Buchwurm.info|:_
[„Dicke Fische“ 1895
[„Unter die Haut“ 2455

Mark Hebden – Geisterstadt am Amazonas

Hebden Geisterstadt Cover kleinDrei Abenteurer begeben sich auf eine moderne Schatzsuche in den Norden Perus. In einer verfallenen Geisterstadt geraten sie nicht nur aneinander, sondern müssen sich auch vor der gefährlichen Natur in Acht nehmen … – ‚Kleiner‘ aber gelungener Abenteuerroman, der aus dem uralten Plot von der riskanten Suche nach dem versunkenen Schatz spannend das Beste macht.
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Jules Verne – Die geheimnisvolle Insel

Fünf Männer stranden auf einer einsamen Pazifikinsel. Sie kämpfen gegen die Elemente und hungrige Tiere. Später machen ihnen Piraten zu schaffen, und zu allem Überfluss ist die Insel Sitz einer geheimnisvollen Macht mit überirdischen Kräften … – Abenteuer, Triumphe des menschlichen Geistes & Mysterien: Dies ist ein Jules Verne in Hochform, der seine (dem heutigen Leser vermutlich zu ausschweifende) Geschichte über die gesamte Distanz fesselnd und mit immer neuen Überraschungen erzählt. Der zeitlose, oft verfilmte Klassiker ist endlich wieder greifbar, auch wenn es sich nur um eine „überarbeitete“ Uralt-Übersetzung handelt.
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Robert B. Parker – Der stille Schüler

Privatdetektiv Spenser untersucht ein Schulmassaker, das auffällig eifrig ad acta gelegt werden soll. Einem neugierigen Schnüffler, der unangenehme Fragen stellt, kann deshalb leicht etwas zustoßen … – Der 33te (!) Spenser-Thriller lässt durch seinen Plot aufhorchen, der in dem für den Verfasser typischen knappen und dialoglastigen Stil kompetent entwickelt aber etwas zu routiniert umgesetzt wird: für Spenser-Fans und Freunde des „private eye“-Thrillers im Stil des späten 20. Jahrhunderts.
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Michael Connelly – Der Mandant

Michael Haller ist der „Lincoln Lawyer“ – ein moralisch geschmeidiger Winkeladvokat, der seine Geschäfte am liebsten vom Rücksitz einer Limousine der gerade genannten Automobilmarke aus führt. Mobilität ist angesichts seiner Arbeitsmethoden keine schlechte Wahl, denn Haller pflegt seine Klienten finanziell so stark wie möglich zur Ader zur lassen und ist daher kein beliebter Zeitgenosse. Allerdings gehört er zu den besten seiner Zunft – ein mit allen Wassern gewaschener Strafverteidiger, der seinem Job bereits zwei Ehen geopfert hat.

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Harrison, M. John – Nova

Saudage ist in ihren Außenbezirken eine verfallene, von Randexistenzen und Kriminellen bewohnte Stadt auf einem erdfernen Planeten der Zukunft, die indes eine Besonderheit aufweist: Vor Jahren tat sich ein Riss im Raum-Zeit-Gefüge auf, der Saudage zur Hälfte verschlang bzw. eine Region mit fest umrissener Grenze schuf, innerhalb derer die bekannten Naturgesetze keine Gültigkeit besitzen.

Menschen können hier geraume Zeit überleben, doch sie zahlen dafür mit Krankheit und einem beschleunigten Alterungsprozess. Das Risiko gehen Glücksritter gern ein, denn die „Aureole“ birgt außerirdische Artefakte, mit denen sich viel Geld verdienen lässt. Weil das Risiko groß ist, dass sich diese als gefährlich entpuppen, steht das Betreten des Ereignisgebiets unter Strafe.

Einer dieser Abenteurer ist Vic Serotonin. Derzeit steht er unter Druck, denn er hat ausgerechnet dem mächtigen Schwarzhändler Paulie DeRaad ein Artefakt verkauft, das diesen körperlich und geistig mutieren lässt. Außerdem ist ihm der hartnäckige Ermittler Lens Aschemann auf den Fersen, der ihn angeblich überführen möchte, während er tatsächlich selbst Ungesetzliches plant. Zu allem Überfluss verliebt sich Vic in die psychisch instabile Elisabeth Kielar, die eine neue Lebensperspektive ausgerechnet im Inneren der Aureole sucht, wohin Vic sie führen soll.

Die Aureole wächst, und in ihrem Inneren geht Seltsames vor, das zunehmend auf die Außenwelt übergreift. Wie weit wird diese Ausbreitung gehen – und lässt sie sich notfalls zum Stoppen bringen? Fieberhaft studiert Vic die verworrenen Aufzeichnungen Emil Bonaventuras, seines Mentors, der angeblich bis ins Zentrum der Aureole vorgedrungen ist. Ist dort der Schlüssel zum Verständnis dieses Phänomens zu finden? Vic geht zurück, und Elisabeth will ihn auf seine Expedition begleiten. An der schwankenden Grenze zur Aureole treffen sie auf Aschemann und einen schrecklich veränderten, rachsüchtigen Paulie. Vic und Elisabeth flüchten in die Aureole, wohin Aschemann ihnen folgt …

Die Zukunft wird ein absonderlicher Ort sein. Das mag als Einleitung zur Rezension eines Science-Fiction-Romans wie eine Binsenweisheit klingen. Wer diese Lektüre liebt und sie sich nicht durch „Battletech“-Balla-Ballereien, Fließband-Epen und andere Sünden des Genres vermiesen lässt, muss freilich viel oft feststellen, dass die Welt von Morgen als mehr schlecht als recht getarntes Spiegelbild der Gegenwart daherkommt. Simpel-Action und Soap-Opera scheinen sich mit leichten futuristischen Elementen prächtig zu verkaufen, aber Science-Fiction ist das nicht.

Der Mensch wird sich voraussichtlich – oder sollte man sagen: hoffentlich? – in seinem Denken und Handeln weiterentwickeln, obwohl Grundsätzlichkeiten vermutlich bleiben werden; Liebe und Hass, Gier und Großzügigkeit, Mut und Angst prägen uns und werden uns immer prägen. Das Umfeld dieser Menschen der Zukunft wird hingegen ein deutlich anderes sein, und es wird die beschriebenen Emotionen und Denkweisen und die daraus resultierenden Handlungen beeinflussen.

Das ist das Spielfeld für ‚richtige‘ SF. Sie stellt Ansprüche an ihre Autoren, fordert sie heraus, eher zu extrapolieren als zu variieren. Auf der anderen Seite sehen sich die Leser intellektuell herausgefordert. Wenn sie sich einem ambitionierten Verfasser wie M. John Harrison anvertrauen, werden sie erfreut feststellen, dass es abseits der ausgetretenen Pfade literarisches Neuland zu entdecken gibt.

Die Expansion der „Aureole“ ist nur ein Handlungsstrang; er ist nicht einmal der wichtigste und endet noch weit vor dem Finale. „Nova“ ist ein Roman, in dem Handlung und Stimmung sich die Waage halten. Harrison beschreibt eine fremdartige, exotische Welt, die er nicht unbedingt erklärt. Er betrachtet sie durch die Augen seiner Figuren, die selbstverständlich mit ihr vertraut sind und sich die Erläuterung des Alltags sparen. Das lässt viel Raum für eigene Interpretationen, was reizvoll sein aber durchaus in Verwirrung enden kann. Davon sollte man sich nicht schrecken lassen; nur jene Leser, die partout keine ungelösten Rätsel, schwer zu deutenden Visionen oder offen bleibenden Fragen lieben, sollten besser in ihrer kleinen, klaren Welt bleiben, wie sie z. B. in der „Sendung mit der Maus“ definiert wird.

Denn das Unerklärliche ist Programm in Saudage. Nicht umsonst liegt die Stadt direkt neben einer Anomalität, die ihre Grenzen sprengt und lange Zeit unbemerkt die Realität, wie wir bzw. die Bewohner von Saudage sie kennen, nachhaltig unterminiert. Was geschieht wirklich, was beruht auf Einbildung bzw. der Fehlfunktion von Sinnesorganen; gibt es eine erschreckendere Entdeckung als die, dass man seinen eigenen Augen nicht mehr trauen kann? So ergeht es auch uns Lesern, denen der Verfasser den festen Boden unter unseren Füßen wegzieht.

Inhaltlich wie stilistisch lässt sich „Nova“ als Post-Cyberpunk kategorisieren. Der Cyberpunk, ein SF-Subgenre, das in den 1980er Jahren für Aufsehen sorgte, weil es der Science-Fiction eine gänzlich neue literarische Dimension zu bieten schien, hat sich längst im breiten Strom der SF aufgelöst. M. John Harrison bedient sich bekannter Cyberpunk-Klischees, erschafft eine Welt mit scharfen gesellschaftlichen Kontrasten, in der sich jede/r selbst der Nächste ist. Cyberpunks sind Außenseiter, die sich um das Gesetz nicht scheren, sondern mit mehr als einem Bein im multimedialen Datenstrom stehen, der die Gegenwart dieser Zukunft prägt. Saudage ist auf allen Ebenen vernetzt, Hightech steht auch den Armen und Ausgestoßenen zur Verfügung, hat sie aber entgegen der Prognosen futurfixierter Vordenker keineswegs aus dem Elend befreit, sondern altbekannte Missstände nur in neue Formen gegossen.

Vic Serotonin ist so ein später Cyperpunk, nur dass ihm so gar kein anarchistischer Impetus mehr innewohnt. Die digitale Revolution hat längst ihre Kinder gefressen. Vic ist kein idealistischer Gegner des Systems, sondern ein Kleinkrimineller, der sich ohne Hoffnung auf eine positive Wende durch sein trübsinniges Leben treiben lässt.

So wie ihm geht es den meisten Menschen in seinem Umfeld. Nicht einmal die Tatsache, dass Vic sich regelmäßig in die Aureole wagt, macht ihn zu einer besonderen Person. Er hat keine Ahnung, was dort geschieht, sondern sammelt ängstlich Artefakte, die er nicht versteht, und verkauft sie weit unter Wert an skrupellose und clevere Ausbeuter, ohne sich Gedanken über mögliche Folgen zu machen.

Die Gesellschaft von Saudage scheint allerdings ohnehin an einem Punkt angekommen zu sein, an dem ihr herzlich gleichgültig ist, was ihr da aus fremder Dimension ins Haus schneit. Die Grenzen zwischen Realität und Aureole sind mindestens ebenso verwischt wie die Grenzen zwischen ‚analogem‘ und ‚digitalem‘ Alltag. Die Menschen lassen sich operativ ‚umschneidern‘, verwandeln sich in bizarre Kreaturen, die eine neue Mode in noch groteskere Gestalten treiben kann; sie lassen ihr Hirn und ihre Sinne künstlich ‚aufrüsten‘ und schaffen sich Ebenbilder aus Bits & Bytes – wie sollen sie überhaupt registrieren, dass etwas wirklich Fremdes über sie kommt?

In dieser Stadt der Haltlosen wirkt Lens Aschemann als Gesetzeshüter nicht fehl am Platze. Er entscheidet, was ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ ist. Scheinbar ist er niemandem Rechenschaft schuldig. Dabei ist Aschemann ein psychisch arg aus der Bahn geworfener Zeitgenosse, der sich mit seiner toten Gattin zu unterhalten pflegt und auch sonst ein auffälliges Verhalten an den Tag legt. Seine Assistentin wirkt auf den ersten Blick systemkonformer, doch sie hegt ihre eigenen Neurosen und ist eine Sklavin ihres ‚getunten‘ Körpers.

So leben die Bewohner von Saudage, obwohl auf allen Ebenen vernetzt, im Grunde nebeneinander her. Eine traurige Zukunft ist das, von der Harrison uns erzählt. „Nova“ kennt keine Helden, keine Schurken, sondern nur durchschnittliche Menschen in einer unwirtlichen Welt.

Die wirkt zu großen Teilen wie aus einem von Ted Benoits „Ray Banana“-Comics übernommen. Harrison übertreibt es mit seinem offensiven Mix aus futuristischer Hightech im Retro-Gewand. Wieso sollten die Bewohner von Saudage eine Vorliebe ausgerechnet für die irdische Architektur, Mode, Musik etc. der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besitzen? Antwort: So lässt sich Hirnschmalz sparen, das sonst in die Darstellung einer wirklich fortschrittlichen oder wenigstens fortgeschrittenen Gesellschaft investiert werden müsste.

Aus dem „Film Noir“ ist die düstere Atmosphäre ‚entliehen‘. Alle Figuren sind quasi verdammt, wenn wir sie kennen lernen. Manche – wie Vic oder Emil – haben es erkannt und akzeptiert, manche glauben wie Fat Antoyne Messner und Irene, die Mona, noch immer an eine Chance, die sich ihnen u. a. an Bord des Raumschiffs „Nova Swing“ schließlich bieten wird.

Post, Retro, Film Noir – Eine positive aber objektive Kritik darf und muss sogar erwähnen, dass „Nova“ nicht zwangsläufig ‚Literatur‘ sein muss, nur weil der Verfasser mit den Regeln der Simpel-SF bricht. Harrison beherrscht sein schriftstellerisches Handwerk. Dennoch keimt der Verdacht auf, dass er hier weniger neu kreiert als routiniert abspult. Auch ‚anspruchsvolle‘ Literatur kann nach Autopilot entstehen – eine Tatsache, die Literaten und Literaturwissenschaftler gern abstreiten. Sie setzen dabei erfolgreich auf die heimliche Angst des Lesers, er (oder sie) sei schlicht zu dumm, den geistigen Höhenflügen des Verfassers zu folgen. Man darf sich da nicht irremachen lassen: Hinter manchem Adler versteckt sich nur eine lahme, aber schlaue Ente.

„Nova“ ist letztlich durchschnittliche SF mit Anspruch – interessant, aber simpel geplottet, was Harrison durch eine fein ziselierte Sprache (die ihre Übersetzung wohlbehalten überstanden hat) gleichzeitig zu veredeln und zu bemänteln weiß. Die Antwort auf die Frage nach der ‚Qualität‘ dieses Romans muss sich der Leser deshalb vor allem selbst beantworten. Wer dennoch Führung wünscht, mag sich an der Tatsache orientieren, dass „Nova“ mit einem „Arthur C. Clarke Award“ als bester Roman des Jahres 2006 ausgezeichnet wurde.

Michael John Harrison wurde am 26. Juli 1945 in der englischen Stadt Rugby (Warwickshire) geboren. Nach seiner Schulzeit arbeitete er zunächst in einem Reitstall, ging dann zum College, ließ sich zum Lehrer ausbilden, ging aber ohne Abschluss nach London und versuchte sich als Schriftsteller.

Schon 1966 erschien seine erste Science-Fiction-Story in Michael Moorcocks berühmten Magazin „New Worlds“. 1968 wurde Harrison hier redaktioneller Mitarbeiter; er blieb es bis 1975 und veröffentlichte in diesen Jahren nicht nur weitere Kurzgeschichten, sondern auch Essays und Rezensionen, die sich durch Genrekenntnis und Schärfe auszeichneten.

Ein erster Roman („The Pastell City“, dt. „Die Pastell-Stadt“) erschien 1971. Harrison zeigte sich schon hier und zunehmend in seinen späteren Werken als Autor, der vordergründige Action mied und stattdessen Science-Fiction schrieb, die offene Fragen und Missstände der Gegenwart auslotete. Die Schrecken einer skrupellosen Globalisierung, das Versagen der Politik oder den Zerfall von Gesellschaften bildeten und bilden die Themen, mit denen Harrison sich beschäftigt, dem deshalb die Kritik eher gewogen ist als die breite Leserschaft. Auch seine Fantasy (u. a. der „Viriconium“-Zyklus) ist fern aller Tolkien-, Williams- oder Pratchett-Tümelei.

Der Privatmann M. John Harrison ist ein passionierter Bergsteiger. Für seinen Roman „Climbers“ wurde er 1989 mit einem „Boardman Tasker Prize for Mountain Literature“ ausgezeichnet. Auch für seine SF-Romane und Kurzgeschichten verlieh man ihm diverse Preise, so 2006 einen „Arthur C. Clarke Award“ für den Roman „Nova Swing“ (dt. „Nova“).

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_M. John Harrison auf |Buchwurm.info|:_

[„Licht“ 907
[„Die Centauri-Maschine“ 2851

Arthur C. Clarke – Inseln im All

clarke-inseln-im-all-cover-1983-kleinJüngling Roy besucht eine Raumstation, lernt den schwerelosen Alltag kennen und erlebt viele lehrreiche Abenteuer … – Aus heutiger Sicht naiver „Roman für die Jugend“, der allzu didaktisch daherkommt, aber sehr interessant die längst verworfene Vision einer Zukunft beschreibt, in der Technik und Wissen für Weltfrieden und Wohlstand sorgen.
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Will Henry: Die James-Bande

Leben, ‚Laufbahn‘ und Ende des legendären Banditen Jesse James (1847-1882) werden in diesem Tatsachenroman beschrieben, wobei die Darstellung der historischen Fakten durch erzählende Einschübe aufgelockert wird. Für die Entstehungszeit sachlich und mit psychologischen Untertönen wird die Realität von der Legende getrennt: ein gelungener Versuch, der sich heute noch spannend liest.
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Durbridge, Francis – Paul Temple und der Fall Z

Eine Reise führt das Ehepaar Paul und Steve Temple nach England: Paul, der als Schriftsteller ebenso berühmt ist wie als Amateur-Detektiv, hat der berühmten Schauspielerin Iris Archer ein Theaterstück auf den schönen Leib geschrieben. Zu seinem Erstaunen sagt sie, die zunächst die Rolle der „Lady Seaton“ spielen wollte, nunmehr ohne Angabe von Gründen ab. Enttäuscht begeben sich die Temples auf einen längeren Urlaub, der sie nach Schottland in das idyllische Dörflein Inverdale führt.

Noch bevor sie ihr Ziel erreichen, werden sie von einem jungen, sehr aufgeregten Mann angehalten, der ihnen einen Brief übergibt, den sie unbedingt einem Mr. John Richmond in Inverdale übergeben sollen. Der hilfsbereite Temple schlägt ein – und wird neugierig, als ihn zwei zwielichtige Gestalten behelligen, denen er unbedingt besagten Brief aushändigen soll. Temple täuscht sie mit einem Trick und will in Inverdale Kontakt zu Richmond aufnehmen. Der entpuppt sich als Sir Graham Forbes, Chief Commissioner von Scotland Yard und ein alter Freund der Temples, der hier offenbar auf einer geheimen Mission ist. Im Gasthof „Royal Gate“ taucht darüber hinaus Iris Archer auf!

Wie der Zufall so spielt, sind die Temples genau dorthin gereist, wo ein international aktiver Spionagering sein Unwesen treibt. Die Kunde von einer angeblichen militärischen Wunderwaffe wurde ihrem Anführer – dem mysteriösen „Z.04“ – vom britischen Geheimdienst zugespielt, der sich tatsächlich aus der Reserve locken und den Erfinder nach Schottland verschleppen ließ. Dort hat er inzwischen seine Erfindung verbessert, die nunmehr funktioniert und auf keinen Fall das Land verlassen darf!

Temples Auftauchen sorgt für Nervosität unter den Spionen. Als er und Steve nur knapp einem Mordanschlag entgehen, schaltet sich der ergrimmte Detektiv in die Ermittlungen ein. Dank seiner Fähigkeiten entlarvt er allmählich die einzelnen Bandenmitglieder, zu denen auch Iris Archer zählt. Doch wenn es nicht gelingt, „Z.04“ die Maske vom Gesicht zu reißen, könnte der Coup der Spione noch gelingen …

Francis Durbridge gehört zu denjenigen Schriftstellern, die einst in Deutschland einen Ruf wie Donnerhall besaßen und deren Werke Rekordauflagen erzielten. Die heutige Generation eifriger Krimileser kennt ihn jedoch nicht mehr. Viele Jahre zurück liegt jene Ära, in der „Durbridge“ als Synonym für intelligente, sorgfältig produzierte TV-Mehrteiler – heute würde man von Mini-Serien sprechen – stand. „Das Halstuch“ oder „Melissa“ lockten in den 1960er Jahren – es gab damals nur zwei Fernsehsender – mehr als 90 Prozent der Zuschauer vor die noch schwarzweiß strahlende Röhre; kein Wunder, dass Durbridge den Deutschen als Gott seines Genres galt!

Das ist er nicht, wie sich bei nüchterner Betrachtung herausstellt. „Paul Temple und der Fall Z“ mag zwar nicht der beste Roman seines Verfassers sein, doch typisch ist er durchaus: ein Krimi, den wir heute gern „klassisch“ nennen, weil er in einer Art Operetten-Britannien spielt und sich die Figuren mit einem Spiel beschäftigen, das wir „Whodunit?“ nennen. Ein Verbrechen ist geschehen, dem sich weitere kriminelle Untaten anschließen. Im Wettlauf mit dem Bösen ermittelt in der Regel ein Detektiv – die Polizei begnügt sich mit der Rolle des Steigbügelhalters – und kann in letzter Sekunde den Fall lösen sowie den Täter oder die Täterin entlarven. Bis es so weit ist, konnten auch die Leser miträtseln; der Verfasser streute gut versteckt diverse Hinweise ein.

Die fallen hier freilich ein wenig zu deutlich aus, so dass man rasch merkt, wer sich als „Z.04“ tarnt. Ohnehin sollte man nachsichtig an die Lektüre dieses Romans gehen, um zum Schutze der Nackenmuskulatur allzu ausgiebiges Kopfschütteln zu vermeiden. „Paul Temple und der Fall Z“ wurde 1940 veröffentlicht und erzählt eine Spionagegeschichte. Eigentlich ist völlig klar, wer hinter den Spionen stecken muss: die Nazis, mit denen sich Großbritannien zu diesem Zeitpunkt bereits im Krieg befand. Doch davon lesen wir kein einziges Wort: „Paul Temple und der Fall Z“ spielt offensichtlich vor Ausbruch des II. Weltkriegs.

In diesem unseren Lande wurde besonders im Bereich der ‚leichten Lektüre‘ gern ausgeblendet, was auf die unschöne Episode des „III. Reiches“ verwies. So mancher zeitgenössische Serienheld gab den Nazis Saures, ohne dass man die womöglich darob eingeschnappten deutschen Leser damit nach 1945 konfrontiert hätte. Deshalb blieb auch dieses Buch im Gegensatz zu den meisten anderen Romanen der Temple-Serie in den 1960er und 70er Jahren ohne Eindeutschung. Erst 2006 wurde „Paul Temple und der Fall Z“ zum ersten Mal in Deutschland veröffentlicht; die deutschen Leser verkraften es nunmehr, dass ihre Landsleute einst nicht wohlgelitten waren, weil sie einen Weltkrieg entfesselt hatten …

Allerdings gibt es Indizien dafür, dass sich Durbridge selbst einer gewissen Realitätsflucht schuldig gemacht hat. Er war kein Enthüllungsschriftsteller, sondern ein „professional writer“, der sein Publikum primär unterhalten wollte. Nur so lässt sich die Naivität des Plots erklären (oder entschuldigen), den er uns in „Paul Temple und der Fall Z“ präsentiert. Seit John Buchans Geheimagent Richard Hannay 1915 in „The Thirty-Nine Steps“ (dt. „Die 39 Stufen“) Spione durch Schottland jagte, hat sich im Agentengeschäft offenbar nicht viel getan. Die Organisation des „Z.04“ besticht durch ihre vollkommene Realitätsferne; hier agieren Kino-Spione der B-Kategorie.

Ebenso kindisch gestaltet Durbridge auch sonst das ‚geheimdienstliche‘ Umfeld: Da erfindet ein Hobby-Genie in seinem Kartoffelkeller eine Superwaffe; er bietet sie dem britischen Kriegsministerium an, das ihn vor die Tür setzt, weil eine Kleinigkeit noch nicht funktionieren will; „Z.04“ schnappt sich den Erfinder und richtet ihm ein Labor in der schottischen Einöde ein, wo er sein Werk vollenden soll; die britische Regierung erfährt davon, weil der Bruder des Erfinders diesen nicht mehr besuchen darf; daraufhin schleust man einen Maulwurf ein, der zu den dümmsten seiner Branche gehört, und entsendet einen ältlichen Scotland-Yard-Beamten als Kontaktmann, der in einem geisterbahnhaften Gasthaus residiert; dieser hat wiederum keinerlei Bedenken, den Kriminalschriftsteller und Privatmann Paul Temple in die Ermittlungen zu integrieren.

Nein, diese ‚Geheimwaffe‘ und diejenigen, die sich darum balgen, sollte man als reine Mittel zum eigentlich Zweck betrachten. „Paul Temple und der Fall Z“ ist ein waschechter „Whodunit?“-Krimi, den Durbridge ein wenig ‚aufpeppen‘ wollte. Spionage ist in Kriegszeiten stets ein auch hinter der Front präsentes Thema („Feind hört mit“), so dass er sich darauf verlassen konnte, auch dann verstanden zu werden, wenn er das Thema eher abstrakt anging.

Dies bestätigt die Figurenzeichnung, die im klassischen Rätselkrimi seit jeher recht simpel und schematisch ausfällt. Das Verbrechen ist einerseits die Ausnahme von der Regel und andererseits eine sportliche Herausforderung für Menschen, die offenbar keine anderen Aufgaben und Sorgen haben. Paul Temple soll ein Schriftsteller sein, doch er findet immer die Zeit, durch die Lande zu reisen und Kriminalfälle zu lösen. Da er und Gattin Steve sich das leisten können, muss er wohl dennoch irgendwann arbeiten. Er sollte sich vielleicht stärker am Schreibtisch engagieren, lässt er sich hier doch gleich in zwei Fallen locken, auf die nicht einmal ein Krabbelkind hereingefallen wäre …

Müßige Kritik, die Figuren sollen und dürfen eindimensional wirken, denn sie spielen Rollen. Temple ist der Detektiv, der viel weiß, aber wenig sagt, Steve seine treue Gattin, die ihm den Rücken stärkt und hin & wieder gerettet werden muss, Iris Archer die große Diva in theatralischen Nöten, Sir Graham Forbes die knorrige Stütze des Empires, „Z.04“ und seine Kumpane vorbildliche Bösewichte, die nicht nur entsprechend reden und handeln, sondern auch finster aussehen – sie sind halt keine Gentlemen.

Wer sich sonst im Umkreis der Hauptfiguren tummelt, ist schlicht im Geiste und für manche proletarische Drolligkeit gut. Die Figuren – man sollte besser von ‚Darstellern‘ sprechen – müssen vor allem gut unterscheidbar sein. Hier verrät „Paul Temple und der Fall Z“ deutlich seine Herkunft: Durbridge hat diese Geschichte (übrigens gemeinsam mit Charles Hatton) ursprünglich nicht als Roman, sondern als Hörspiel erzählt, das von der BBC ausgestrahlt wurde. Dies erklärt die kammerspielähnliche Struktur oder die nur andeutenden Landschaftsbeschreibungen, die wohl erst später dort eingefügt wurden, wo der Verfasser dies für notwendig hielt. Die unerhörte Glaubwürdigkeit, die John Buchan im weiter oben genannten Thriller „Die 39 Stufen“ auch deshalb erzielte, weil er die schottische Landschaft quasi zur Hauptfigur machte, geht „Paul Temple und der Fall Z“ völlig ab – nicht unbedingt zum Nachteil dieses Buches, das als charmant-naive (und gut übersetzte) Krimi-Unterhaltung aus einer versunkenen Ära des Genres durchaus seine Meriten hat.

Francis Henry Durbridge wurde am 25. November 1912 in Hull (Yorkshire) geboren. Er studierte Englisch an der Birmingham University und arbeitete für kurze Zeit als Börsenmakler, bevor er sich als Schriftsteller etablierte. 1938 debütierte er mit „Send for Paul Temple“, dem Roman zu einer sehr erfolgreichen und auch außerhalb England gern verfolgten Hörspiel-Serie um Paul Temple, Schriftsteller und Detektiv, die von der BBC bis 1968 gesendet und von Durbridge geschrieben wurde.

Vier Paul-Temple-Filme kamen zwischen 1946 und 1952 in die Kinos, doch es waren typische B-Produktionen – billig und ohne Raffinesse hergestellt. Erfolgreicher war die für das Fernsehen konzipierte Serie um den Undercoveragenten Tim Frazer, die Durbridge in den 1960er Jahren mit diversen Co-Autoren verfasste.

Als Schriftsteller konnte Durbridge seine Arbeit als Hörspiel- und Drehbuchautor nie verhehlen. Seine Romane sind dialoglastig. Die Figuren gehören der gehobenen Mittelklasse an und haben erstaunlich viel Zeit, sich neben ihrer offenbar kaum Anforderungen stellenden Brotarbeit detektivisch zu betätigen. Gern bediente sich Durbridge auch des Plots vom unschuldig Verdächtigten, der sich in einer teuflischen Verschwörung gefangen sieht.

Auch in Deutschland konnte sich Durbridge einen Namen machen. Nach seinen Drehbüchern entstanden verschiedene TV-Mehrteiler, die aufgrund ihrer sorgfältigen Machart und Durbridges Meisterschaft, die Handlung genau dann abzubrechen, wenn es besonders spannend wurde – das Prinzip des Cliffhangers – zu sogenannten „Straßenfegern“ wurden und mehr als 90 Prozent der damaligen Fernsehzuschauer vor die Bildschirme lockte.

Mehr als dreißig Romane schrieb Durbridge, wobei er sich oft auf seine Drehbücher stützte. Wegen seiner Meriten als TV-Magnet wurden die meisten seiner Thriller in Deutschland veröffentlicht. In den späten 1970er Jahren ließen sowohl Durbridges Produktivität als auch die Anziehungskraft seiner Werke nach. Nach längerer Krankheit starb Francis Durbridge am 11. April 1998.

|Die Paul-Temple-Romane:|

(1938) Send for Paul Temple (kein dt. Titel)
(1939) Paul Temple and the Front Page Men (dt. „Paul Temple und die Schlagzeilenmänner“/“Paul Temple und der Klavierstimmer“)
(1940) News of Paul Temple (dt. „Paul Temple und der Fall Z“)
(1944) Paul Temple Intervenes (kein dt. Titel)
(1948) Send for Paul Temple Again! (dt. „Paul Temple jagt Rex“)
(1957) The Tyler Mystery (dt. „Vier mussten sterben“)
(1959) East of Algiers (dt. „Die Brille“)
(1970) Paul Temple and the Harkdale Robbery (dt. „Banküberfall in Harkdale“)
(1970) Paul Temple and the Kelby Affair (dt. „Der Fall Kelby“)
(1971) The Geneva Mystery (dt. „Zu jung zum Sterben“)
(1972) The Curzon Case (dt. „Keiner kennt Curzon“)
(1986) Paul Temple and the Margo Mystery (dt. „Der Hehler“/“Paul Temple und der Fall Margo“)
(1988) Paul Temple and the Madison Case (dt. „Paul Temple und der Fall Madison“)
(1989) Paul Temple and the Conrad Case (kein dt. Titel)

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Mick O’Hare – Wie dick muss ich werden, um kugelsicher zu sein?

Die Spitze des (Fragen-) Eisbergs

Sogar der in wissenschaftlichen Belangen absolut ahnungslose Zeitgenosse kennt jene raren Momente, in denen er (oder sie) eine alltägliche, selbstverständliche Handlung oder Beobachtung hinterfragt. Wie funktioniert das, und was wäre, wenn man die Ausgangssituation folgendermaßen variiert …? Das hier vorgestellte Buch belegt, dass solche Anwandlungen oft dann aufwallen, wenn man mit Freunden zusammensitzt und zecht.

Mick O’Hare, Redakteur der Zeitschrift „New Scientist“, der führenden englischen Wochenzeitschrift für Wissenschaft und Technik, kennt dieses Phänomen, denn weil oder wenn das Rätsel trotz versammelter Geisteskraft nicht zu knacken ist, wendet sich die Gesellschaft (die sonst vermutlich gern über die Vergeudung von Steuergeldern an nutzloses Forscherpack klagt) gern an ihn und seine Kollegen. 1994 kamen O’Hare & Co. auf den Einfall, solche Fragen in besagtem Magazin zur Diskussion zu stellen. Leser beantworten seitdem Fragen von Lesern, wobei die Redaktion des „New Scientist“ die Moderation übernimmt, d. h. Irrtümer korrigiert, Informationen ergänzt und Spinner aussortiert. Mick O’Hare – Wie dick muss ich werden, um kugelsicher zu sein? weiterlesen

Festa, Frank (Hrsg.) – Pflanzen des Dr. Cinderella, Die

25 meist kurze Geschichten geben einen Überblick, der angelsächsische und europäische Phantastik von 1830 bis 1930 umfasst. Mit großer Sachkenntnis und viel Liebe zum Genre hat Herausgeber Festa vor allem selten oder sogar noch nie in deutscher Sprache erschienene, thematisch und stilistisch breit gefächerte Storys ausgewählt und macht den Freunden des ‚historischen‘ und durchaus anspruchsvollen Grusels ein gern entgegengenommenes Geschenk:

_Ralph Adams Cram (1863-1942): Das Haus in der Rue M. le Prince_ („No. 252, Rue M. le Prince“, 1895) – Die böse Tante vermacht dem erfreuten Neffen ihr Haus, doch leider ist es verflucht und beschert dem ahnungslosen Erben und seinen Freunden eine unvergessliche Nacht …

_Robert E. Howard (1906-1936): Das Ding auf dem Dach_ („The Thing on the Roof“, 1932) – Wer sich im mittelamerikanischen Dschungel auf Schatzsuche begibt, sollte sich zuvor sorgfältig informieren, was genau in der Schatzkammer auf ihn wartet …

_Gustav Meyrink (1868-1932) – Die Pflanzen des Dr. Cinderella_ (1913) – Ein ehrgeiziger Wissenschaftler forscht ein wenig zu abseits naturgesetzlicher Pfade, was seiner geistigen Gesundheit abträglich ist …

_Oskar Panizza (1853-1921): Die Kirche von Zinsblech_ (1893) – Ein müder Wanderer sucht ein Nachtquartier in besagtem Gotteshaus, wo er in einen turbulenten Hexensabbat gerät …

_Leslie Poles Hartley (1895-1972): Der australische Gast_ („A Visitor from Down Under“, 1926) – Mr. Rumbold ist im fernen Australien auf eine Weise zu Reichtum gekommen, die eine Rückkehr ins heimische England ratsam scheinen lässt: Allerdings hat er die Rachsucht seines Opfers definitiv unterschätzt …

_Ralph Adams Cram (1863-1942): Gefangen auf Schloss Kropfsberg_ („In Kropfsberg Keep“, 1895) – Zwei allzu selbstbewusste Wanderer besuchen des Nachts ein Spukschloss in Österreich …

_Edgar Allan Poe (1809-1849): William Wilson_ („William Wilson“, 1839) – Wer ist die mysteriöse Erscheinung, die dem Wüstling und Falschspieler Wilson immer dann in den Arm fällt, wenn der eine besonders ruchlose Tat plant …?

_Ralph Adams Cram (1863-1942): Die weiße Villa_ („The White Villa“, 1895) – In Italien geraten zwei Reisende in ein nächtliches Spukdrama, das sich seit vielen Jahren unbarmherzig wiederholt …

_Leonhard Stein: Der Flötenbläser_ (1918) – Eine junge Frau verfällt dem Zauber Ägyptens – und einem stattlichen Mann aus dem Volke, der indes nicht ganz von dieser Welt ist …

_Bram Stoker (1847-1912): Im Haus des Richters_ („The Judge’s House“, 1891) – Der alte Richter ließ für sein Leben gern hängen; nach seinem Tod übernimmt er den Job selbst …

_Willy Seidel (1887-1934): Lemuren_ (1929) – Ein seelisch aus der Bahn geworfener Mann gerät bei seiner Flucht vor den Menschen an eine Stätte, an der merkwürdige Kreaturen auf ihn schon gewartet zu haben scheinen …

_Ralph Adams Cram (1863-1942): Notre Dame des Eaux_ („Notre Dame des Eaux“, 1895) – In einer uralten Kirche in einem abgelegenen Winkel Frankreichs findet sich eine junge Frau nächtens allein mit einem mörderischen Wahnsinnigen wieder …

_Max Brod (1884-1968): Wenn man des Nachts sein Spiegelbild anspricht_ (1907) – Ausgerechnet das eigene Spiegelbild hilft seinem ‚Eigentümer‘ aus einer moralischen Zwickmühle …

_Ralph Adams Cram (1863-1942): Das Tote Tal_ („The Dead Valley“, 1895) – In Schweden gibt es einen verfluchten Ort, der grausam tötet, wer in seinen Bann gerät …

_Orest M. Somow: Eine eigenartige Abendgesellschaft_ („Videnie na javu“, 1831) – Auf offener Straße wird der junge Mann zu einem Fest eingeladen; seinen Gastfreunden entkommt er nur knapp …

_Ignaz Franz Castelli (1781-1862): Tobias Guarnerius_ (1839) – Zum perfekten Klang einer Geige bedarf es des ‚Einbaus‘ einer Seele, was den genialen Instrumentenbauer jedoch schon bald reut …

_Alexander von Ungern Sternberg (1806-1860): Das gespenstische Gasthaus_ (1842) – Ein mörderischer Gastwirt muss feststellen, dass seine Opfer nicht ruhen oder ihn gar die Früchte seiner bösen Tat genießen lassen wollen …

_Jean-Marie Villiers de l’Isle-Adam (1838-1889): Das zweite Gesicht_ („L’Intersigne“, 1867) – Der Blick in die Zukunft fällt meist schrecklich unklar aus, so dass sich das Gesehene selten verhindern lässt …

_Guy de Maupassant (1850-1893): Eine Erscheinung_ („Apparition“, 1883) – Ein gar nicht guter Freund, der genau weiß, was dort umgeht, bittet den naiven Jüngling, ihm aus dem Zimmer, in dem seine Gattin tragisch starb, einige Briefe zu holen …

_Paul Leppin (1878-1945): Severins Gang in die Finsternis_ (1914) – Schritt für Schritt verfällt Severin dem Laster, doch keine Erlösung erwartet ihn, als er das Ende seines Weges erreicht …

_John Charles Dent (1841-1888): Das Geheimnis in der Gerald Street_ („The Gerrard Street Mystery“, 1886) – Der gute Onkel will vor einem smarten Betrüger warnen; leider ist sein Neffe ziemlich schwer von Begriff und begreift viel zu spät …

_Vernon Lee (1856-1935): Die verruchte Stimme_ („A Wicked Voice“, 1890) – Die Vision eines boshaften Gesangskünstlers der Vergangenheit raubt einem in Italien reisenden Komponisten erst den Seelenfrieden und dann den Verstand …

_William Hope Hodgson (1877-1918): Der Spuk auf der Jarvee_ („The Haunted Jarvee“, 1948) – Dieses Schiff ist verflucht, und ‚Geisterdetektiv‘ Carnacki reizt die Mächte von ‚drüben‘ erst richtig, sich auf Deck zu offenbaren …

_Eric Count Stenbock (1860-1895): Die andere Seite_ („The Other Side“, 1893) – Zu süß ist die Verlockung des Landes, in dem Wolfsmenschen und Menschenwölfe umgehen …

_Karl Hans Strobl (1877-1946): Der Skelett-Tänzer_ (1926) – Der Tod macht sich ein Späßchen und tritt auf die Bühne; als ihn sein Partner versetzt, reagiert er nachtragend …

|“Zum Wesen der Phantastik gehört die Erscheinung: was nicht eintreten kann und trotzdem eintritt, zu einer ganz bestimmten Zeit, an einem ganz bestimmten Ort, im Herzen einer bis ins kleinste Detail festgelegten Welt, aus der man das Geheimnisvolle für immer verbannt hatte.“| (Roger Caillois)

|Einige Anmerkungen zu dieser Sammlung|

|I.|

Sammlungen von Kurzgeschichten werden gern unter ein bestimmtes Motto gestellt, das in der Regel in einem Vor- oder Nachwort erläutert wird. Dieses vermisst man hier schmerzlich und wundert sich, da nachweislich viel Hintergrundrecherche für diesen Band betrieben wurde: Jede Story wird mit einer Biografie ihres Verfassers eingeleitet, die knapp aber informativ ausfällt und Hilfestellung bei der Einordnung der jeweiligen Geschichte ins Genreumfeld leistet.

Vielleicht gibt es gar kein Motto? Womöglich sollen nur 25 selten oder noch nie in deutscher Sprache erschienene Storys einem möglichst breitem Lesepublikum vorgestellt werden? Angesichts der Qualität des Angebots könnte man damit prima leben. Ein wenig spekulieren lässt sich dennoch. Zumindest einen ‚historischen Faden‘ findet man im Gewebe dieser Kollektion. „Die Pflanzen des Dr. Cinderella“ wurzeln in dem Jahrhundert zwischen 1831 und 1932. (Zwar wird für W. H. Hodgsons „Der Spuk auf der Jarvee“ 1918 als Entstehungsdatum angegeben, doch muss diese Story vor 1918 entstanden sein; übrigens wurde sie 1929 zum ersten Mal veröffentlicht. Das Datum „1931“ für O. M. Somows „Eine eigenartige Abendgesellschaft“ im Copyright ist ein Druckfehler.) Damit wird der Bogen zwischen dem ‚modernen‘ oder ‚psychologischen‘ Horror über die klassische, traditionell erzählte Gespenstergeschichte bis zur vom „fin-de-siecle“ und Expressionismus geprägten Phantastik geschlagen.

In diesem zugegeben etwas roh gezimmerten Rahmen machen die 25 präsentierten Storys mit typischen aber erfreulich unbekannten Vertretern ihrer unheimlichen Zunft bekannt. Wem außer dem absoluten Genrekenner sind Namen wie Ralph Adams Cram, Leslie Poles Hartley oder John Charles Dent ein Begriff? Wie wir sehen, liefern sie mindestens so guten ‚Stoff‘ wie Bram „Dracula“ Stoker (hier leider vertreten mit einer zu Tode edierten Geschichte) oder Arthur Conan Doyle; zwei Autoren aus alter Zeit, die man auch im 21. Jahrhundert noch kennt.

Es fällt auf, dass die dem angelsächsischen Sprachraum entstammenden Verfasser in Sachen Spuk wesentlich ‚handfester‘ zu Werke gehen als ihre europäischen Kollegen. Zumindest die für diese Sammlung ausgewählten Geschichten wirken quasi dokumentarisch. Der Ort des unguten Geschehens wird präzise beschrieben, und wenn das Gespenst (oder eine andere Erscheinung) auftritt, gerät es ebenfalls unter die Feder des Schriftstellers. Breit stellt Herausgeber Festa daneben eine Phantasik vor, die mit der ‚Logik‘ der Handlung bricht, stattdessen mit Symbolen arbeitet, dabei auf die zeitgenössische Realität reflektiert und auf die Erzeugung von Stimmungen zielt. Das zu goutieren, erfordert vom Leser deutlich mehr Aufmerksamkeit bzw. die Bereitschaft, sich mit der Story treiben zu lassen.

Selbstverständlich schätzt die Literaturkritik solche ‚anspruchsvolle‘ Phantastik höher als die ’naturalistischen‘ Gruselhandwerker. Das trifft einerseits keineswegs in jedem Fall zu und ist andererseits kontraproduktiv, denn solcher Hochmut schreckt womöglich diejenigen Horrorleser, die zunächst mit den fieberhaften, übersteigerten, vieldeutigen, eindrucksvollen Visionen eines Gustav Meyrinck, eines Leonard Stein oder Willy Seidel wenig anfangen können, generell davon ab, sich beispielsweise mit der faszinierenden deutschen bzw. deutschsprachigen Phantastik vor den Nazis zu beschäftigen, die einem kontinuierlich gewachsenen, reichen und vor allem eigenständigen Genre den Garaus machten. Diese Literatur mag sich ’schwierig‘ lesen, ist jedoch wert, kennengelernt zu werden. (Übrigens belegt Eric Count Stenbock mit „Die andere Seite“, dass symbolistisch überhöhte Phantastik nicht den kontinentalen Europäern vorbehalten war.)

‚Schwierig‘ ist die Annäherung nicht nur wegen der Vielschichtigkeit. Auch der Stil ist gewöhnungsbedürftig. Hier sind die ‚ausländischen‘ Autoren im Vorteil, denn ihre Werke werden oft viele Jahrzehnte nach ihrer Entstehung ins Deutsche übertragen. Auch wenn sich die Übersetzer bemühen, den Tonfall des Originals zu treffen, erfährt der Text eine gewisse Anpassung an den Tonfall der Gegenwart. Eine Geschichte wie „Im Haus des Richters“ liest sich deshalb – obwohl ziemlich zeitgleich entstanden – wesentlich ‚moderner‘ als „Die Kirche von Zinsblech“.

Ausgerechnet die Schriftsteller unserer eigenen Vergangenheit müssen den Preis dafür zahlen, dass deutsche Leser fremdsprachige Literatur paradoxerweise lieber aus zweiter Hand, d. h. übersetzt zur Kenntnis nehmen! Dabei spannen die deutschen Literaten vor 1850 ihr Garn ohne die stilistischen Experimente ihrer Nachfahren, wie „Tobias Guarnerius“ und „Das gespenstische Rasthaus“, die beiden ältesten deutschsprachigen Geschichten dieser Sammlung, belegen.

Außerdem gleicht die (es mag pompös klingen) unerhörte Virtuosität, mit der z. B. ein Leonhard Stein („Der Flötenbläser“) die deutsche Sprache einsetzt, manche inhaltliche Unzugänglichkeit aus. Ob dies den Horrorfreund überzeugt, der eher auf den actionbetonten Pulpgrusel eines Robert E. Howard („Das Ding auf dem Dach“) steht, ist freilich fraglich. In „Die Pflanzen des Dr. Cinderella“ werden jedenfalls alle Erwartungen bedient und Alternativen angeboten.

|II.|

Aufgrund der Vielzahl von Erzählungen kann an dieser Stelle nicht auf jede Story eingegangen werden. Die persönlichen Vorlieben Ihres Rezensenten bestimmen die folgende Auswahl.

Gleich fünf Geschichten des vergessenen US-amerikanischen Verfassers Ralph Adams Cram finden wir in diesem Band. Waren die Rechte billig zu bekommen? Egal, denn dies sind sauber gearbeitete, wenn auch simple Gespenstergeschichten, die durch Crams Ortskenntnisse profitieren; er reiste oft und gern durch Europa, und was er sah und erlebte, ließ er gern in seine Storys einfließen. Wunderschönen klassischen Horror mit einem rachsüchtigen Geist verbreitet auch Leslie Poles Hartley („Der australische Gast“), während sich William Hope Hodgson („Der Spuk auf der Jarvee“) in einer seiner atmosphärischen Seespuk-Geschichten letztlich ein wenig zu intensiv um eine logische Aufhellung des eigentlich keiner Erklärung bedürfenden Geschehens bemüht.

Wenn weiter oben von einer Geburt der modernen Phantastik gesprochen wurde, so muss diese natürlich eine Vorgeschichte besitzen. Zwischen Romantik und Realismus schreibt Alexander von Ungern Sternberg („Das gespenstische Gasthaus“). Selten wird man so rüde wie durch ihn aus der schön gestrickten Gruselmär vom verfluchten Haus geworfen: „Ich habe in manchem [Gasthaus] gewohnt, in dem ich Geister fand, die für mich weit widriger und schrecklicher sind …; es waren die Geister der Unreinlichkeit, der Prellerei und einer schlechten Küche.“ (S. 251) Dabei leugnet der betont rationale Erzähler (und damit der Verfasser) nicht, dass die Gewissheit einer geordneten Welt brüchig ist: „Wenn man den Naturgewalten völlig überlassen ist, so wird man gläubig. Das albernste Märchen verwandelt sich in eine Tatsache, wenn wir im Rauschen eines uralten Waldes allein sind oder allein auf dem endlosen Meere oder allein … auf dem Weg, wo wir eben sind.“ (S. 243) Das ändert jedoch nichts an der Haltlosigkeit solcher Ängste, denn sie existieren – so der Verfasser – nur im Gehirn des Menschen. Der ernüchternde Schlusssatz ist deshalb durchaus als Provokation an die Adresse romantischer, schwärmerischer oder abergläubischer Zeitgenossen gedacht, die an Geister glauben oder glauben möchten.

Edgar Allan Poe ging 1839 schon einen Schritt weiter: ‚Seine‘ Furcht ist auch oder sogar vor allem im Alltag beheimatet. William Wilson verirrt sich nicht im finsteren Wald oder gerät in eine unheimliche Ruine. Sein eigener Spiegel wird zur Quelle der Heimsuchung, wobei Poe sehr gut um die Ambivalenz dieses Motivs weiß und seine Leser ratlos mit der Frage zurücklässt, ob sich Wilsons Spiegelbild wirklich selbstständig gemacht hat oder Wilson dem Irrsinn verfallen ist. Mit vergleichbarer Meisterschaft bedient sich Vernon Lee (d. i. Violet Paget) in „Die verruchte Stimme“ eines ähnlichen Plots. Ihr gelingt zudem das Kunststück, den Schauplatz Italien nicht als pittoreske Kulisse zu missbrauchen, sondern die Story kongenial mit dem geografischen, gesellschaftlichen und historischen Hintergrund zu verschmelzen.

Auf diese Weise hat jede der hier präsentierten Geschichten ihre Position in der Literaturgeschichte der Phantastik. Noch erfreulicher ist indes die Tatsache, dass darunter der Lesespaß weder leidet noch die historischen Aspekte überhaupt Berücksichtigung finden müssen, um 25-fachen Genuss zu ermöglichen!

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Reginald Hill – Das Fremdenhaus

Das geschieht:

Illthwaite ist ein kleines Dorf in der englischen Provinz Cumbria. Seit Jahrhunderten lebt hier eine nicht unbedingt harmonische doch verschworene Gemeinschaft, die es gewohnt ist, Probleme intern zu lösen und der Außenwelt die kalte Schulter zu zeigen. Dabei ist es im Verlauf der Zeit mehrfach zu definitiv illegalen Aktivitäten gekommen, auf die man zum Teil stolz ist, während man weniger schmeichelhafte Ereignisse sorgfältig geheim zu halten sucht.

Nun kommen gleich zwei Besucher von sehr weit her nach Illthwaite, wo sie Nachforschungen über ihre Familien bzw. einen bestimmten Kirchenmann anstellen möchten. Samantha Flood, eine Mathematik-Studentin, reist aus Australien an, weil sie feststellen möchte, wieso ihre Großmutter, die hier im Ort ansässig gewesen sein soll, vor mehr als vier Jahrzehnten und noch als Kind davongejagt wurde. Reginald Hill – Das Fremdenhaus weiterlesen

Maria Hilz – Audie Murphy. Eine Bio- und Filmografie

Hilz Audie Murphy Cover kleinEin kurzes, dramatisches, tragisches Leben

Ein Leben als Kampf: 1924 wird Audie Murphy als Sohn armer Wanderarbeiter in Texas geboren. Er wächst in schwierigen Familienverhältnissen auf, muss schon früh auf eigenen Füßen stehen und dabei manchen Tiefschlag einstecken. Sobald er volljährig ist, tritt Murphy in die Armee ein. Der Zweite Weltkrieg führt ihn über Nordafrika nach Sizilien und – den zurückweichenden deutschen Truppen folgend – quer durch ganz Europa. Dabei entpuppt sich der blutjunge Mann als Paradesoldat, der immer wieder durch gewagte Erkundungsgänge, gefährliche Kommandounternehmen und tollkühne Attacken auffällt. Als der Krieg endet, ist Murphy der höchstdekorierte Angehörige der US-amerikanischen Streitkräfte und ein Nationalheld. Maria Hilz – Audie Murphy. Eine Bio- und Filmografie weiterlesen

Napier, Bill – 77. Grad, Der

Als mäßig erfolgreicher Antiquar und Fachmann für historische Karten fristet Harry Blake sein bescheidenes Einkommen. Für den reichen Sir Toby Tebbit soll er ein verschlüsseltes Tagebuch auf seine Echtheit überprüfen, das diesem angeblich ein Verwandter im fernen Jamaica vererbte. Blake schlägt ein, doch der scheinbare Routineauftrag entpuppt sich als Spießrutenlauf: Noch hat er keinen genauen Blick auf das Werk werfen können, da tritt schon eine erste Unbekannte drohend an ihn heran und fordert die Herausgabe. Blake weigert sich selbstverständlich und informiert Sir Toby, der sich etwas zu offensichtlich unwissend gibt. Weitere und immer bedrohlicher werdende Attacken erschrecken Blake, der das Tagebuch übersetzt und herausfindet, wieso es für seine Gegner von solchem Wert ist.

Es erzählt von den Erlebnissen des James Ogelvie, eines Schotten, der 1585 – zur Zeit der anglikanisch-protestantischen Königin Elisabeth I. – mit dem berühmten Seefahrer Sir Walter Raleigh auf eine Reise in die Karibik geht. Ziel ist es, den „Längengrad Gottes“ zu finden und dort eine Kolonie zu gründen. Doch der (katholische) Feind schläft nicht. Mörder gehen auf dem Schiff um und wollen das Unternehmen sabotieren. Sie führen heimlich eine christliche Reliquie von unerhörter Kraft mit sich, die besagte Kolonie im Namen von Maria Stuart, Elisabeths Erzkonkurrentin und Rivalin um den Thron, zu einem Zentrum der katholischen Bewegung umwerten soll.

In der Gegenwart wird Sir Toby umgebracht. Der entsetzte Blake setzt sich mit dessen Tochter Debbie in Kontakt und sucht die Unterstützung der Historikerin Zola Khan. Gemeinsam bemüht man sich das Rätsel der Ogelvie-Aufzeichnungen zu lüften, bevor dem mysteriösen Gegner dies gelingt. In der Vergangenheit wie in der Gegenwart hören die Gewalttaten nicht auf, sodass sowohl der junge James als auch Harry, Zola und Debbie in Lebensgefahr geraten …

Vorab ein Wort der (Ent-)Warnung: „Ein packender Mysterythriller für die Fans von Scott McBain und Dan Brown“, dröhnt die Werbetrommel auf dem Backcover. Man beachte die Reihenfolge: Dan Brown kennt und liest bekanntlich jede/r, und Scott McBain ist einer seiner (sogar noch) minderbegabteren Nachahmer, der seine Trash-Thriller hierzulande recht erfolgreich im |Knaur|-Verlag (Aha!) veröffentlicht; möge das Publikum den Hieb mit dem Zaunpfahl verstehen und auch Bill Napier durch reichliche Buchkäufe würdigen …

Aber Napier verdient den Vergleich mit gleich zwei tonfüßigen Bestseller-Fabrikanten nicht. Sein Werk kann für sich selbst stehen. Wer’s mag (oder braucht), darf die Schubladen „Literatur“ und „Unterhaltung“ aufziehen: „Der 77. Grad“ gehört in Letztere. Als solche kann dieser Roman nicht nur gut mithalten in der Flut der meist grässlichen Copy-Thriller um biblische & historische Mysterien, sondern schwimmt sogar an der Oberfläche auf.

Das Rätsel des 77. Grads wird bereits recht früh gelüftet – eine gute Entscheidung, denn vermutlich hätte es ins Finale verlegt die meisten Leser irritiert und unzufrieden aus der Geschichte entlassen. Ohne an dieser Stelle Entscheidendes zu verraten, darf immerhin erwähnt werden, dass es um den Streit zwischen katholischer und anglikanisch-protestantischer Kirche geht, der zu den prägenden Ereignissen des 16. Jahrhunderts gehört. Die Intensität dieses Kampfes, der zugleich hochpolitisch war und mehrfach in Kriege ausartete, lässt sich heute vom historischen Laien schwer nachvollziehen. Doch damals war diese Auseinandersetzung eine Grundsatzfrage, deren Entscheidung unzählige Menschen das Leben kostete.

Nur in diese Welt passt ein kompliziertes Komplott, wie es Autor Napier entwirft. Es geht um Kartografie, Kalender, Kolonien. Realpolitik und Religion finden eng miteinander verknüpft statt. Aus heutiger Sicht wirkt das wie gesagt abstrakt. Napier gleicht dies aus, indem er zusätzlich eine christliche Super-Reliquie ins Geschehen bringt, die auch im 21. Jahrhundert enorme Begehrlichkeiten wecken kann. So schafft er eine einleuchtende Verbindung zwischen den beiden im Wechsel geschilderten Handlungsebenen: Quasi parallel kommen James Ogelvie 1585 und Harry Blake & Co. in der Gegenwart dem Mysterium auf die Spur – ein geschickter Kunstgriff, der die Spannung verdoppelt – und einen „modernen“ Thriller immer wieder mit dem Historienroman kreuzt: zwei beliebte Genres in nur einem Roman!

Die rasante Handlung folgt recht ausgefahrenen Pfaden. Im Ausknobeln eines Plots ist der Verfasser eindeutig besser. Vor allem jener Strang, der im 21. Jahrhundert spielt, gleicht den Schnitzeljagden, die heute in allen Unterhaltungsmedien zum Thema „Rätsel und Schätze der Vergangenheit“ stattfinden. Napiers Jamaica ist beispielsweise eine karibisch knallige Rastafari-Insel, auf der lässige Lebensfreude und schonungslose Gewalt nahtlos ineinander übergehen.

Es ist objektiv schwer zu entscheiden, wie eine originellere Handlung aussehen könnte, da wir nie mit einer solchen konfrontiert werden. Immerhin ist Napier Routinier genug, den Spannungsbogen nicht abreißen zu lassen, während er immer wieder in die Vergangenheit zurückkehrt, die er mit Einfallsreichtum und Fachwissen zu beleben weiß.

Bill Napier mag es klassisch: Sein „Held“ ist ein Jedermann, der zwar über gewisse intellektuelle Fähigkeiten, nicht jedoch über (körperliche) Kräfte gebietet, die ihn über den Durchschnitt erheben bzw. ihm helfen, sich gegen seine skrupellosen, brutalen, schwer bewaffneten Feinde durchzusetzen. Harry Blake – schon der Namen symbolisiert Alltäglichkeit – ist ein beruflich und privat wenig erfolgreicher Antiquar, also ein weltfremder und schwächlicher Zeitgenosse, wie ihn das Klischee für Romane wie diesen fordert.

„Klischee“ ist ein wichtiges Wort, denn Blake trifft auf Böslinge, die wohl nur in der Märchenwelt des „77. Grades“ Angst und Schrecken verbreiten können, mimen sie doch so drastisch die chronischen Möchtegern-Weltherrscher, dass es schon wieder lächerlich wirkt. Da haben wir also den irrsinnig-fanatischen Superschurken, dem selbstverständlich eine ebenso schöne wie zutiefst verdorbene weibliche Schönheit (die hier auch noch auf den Namen „Cassandra“ hört) zur Seite steht. Sie und diverse vertierte Helfershelfer gieren förmlich danach zu foltern und zu morden; alle orientieren sich in Wort und Tat an den kindischen James-Bond-Thrillern der Vor-„Casino-Royale“-Ära. Wie es diesen Knallchargen gelingt, einen weltweit aktiven Geheimbund zu gründen und zu führen, ist das wahre Rätsel dieser Geschichte …

Auch im Spiegel stimmt das Bild: Wie es sich gehört, kann sich Harry auf einen kleinen Kreis ergebener Helfer stützen, zu denen erwartungsgemäß eine hübsche, tatkräftige (Reihenfolge beachten!) Frau gehört. Hier sind es derer sogar zwei, denn neben die tatkräftige Fachfrau Zola Khan (was für ein Name!) tritt – als Identifikationsfigur für jüngere Leser? – die erst süße 19 Jahre zählende Anbeißmaus Debbie; keine der guten Ideen des Verfassers.

Siehe da, irgendwann lässt Napier plötzlich durchblicken, dass Harry nicht immer ein Antiquar gewesen ist. Düster fallen Namen von Orten, die Großbritanniens Einsätze in diversen Kriegen der näheren Vergangenheit dokumentieren, an denen Harry anscheinend als Soldat teilgenommen hat. So wirkt es einleuchtender, wenn er den Schurken, die ihn ständig überfallen, Saures geben kann.

Wesentlich „lebensechter“ wirken die Figuren des Ogelvie-Handlungsstrangs. Der Verfasser profitiert hier von der Tatsache, dass er Personen schildert, deren Äußerungen und Verhalten schwer oder gar nicht nachgeprüft werden können: Wer kennt sich als Leser so genau im Jahre 1585 aus, dass ihm (oder ihr) Verstöße gegen die historische Realität bewusst werden? Dem besser mit der Materie vertrauten Kritiker fällt jedenfalls auf, dass sich auch die Bewohner der Vergangenheit primär so verhalten, wie es uns Lehrfilmen wie „Fluch der Karibik“ oder „Master and Commander“ nahebrachten. Zumindest der fiktiven Vergangenheit steht das Klischee jedoch besser als der Realität. Oder anders ausgedrückt: Dieses Garn ist dick genug, dass wir alle unser Lieblingsfädchen daraus zupfen können.

William Napier wurde 1940 im schottischen Perth geboren. Er wuchs im Städtchen Strathaven im Westen auf, studierte an der Universität zu Glasgow und verließ sie mit einem Doktortitel in Astronomie, bevor er für ein Jahr am Royal Holloway College in Surrey lehrte. Er übernahm dann einen Posten am Royal Observatory in Edinburgh, den er 25 Jahre innehatte, bis er 1992 in den vorzeitigen Ruhestand trat. Nach einem kurzen Gastspiel als Dozent in Oxford ging Napier als Astronom ans Observatorium in Armagh, wo er noch heute tätig ist.

Erst in Armagh begann Napier sich ernsthaft als Unterhaltungsschriftsteller zu versuchen. Der Science-Thriller „Nemesis“, der sich um den drohenden Einschlag eines Riesenmeteoriten auf die Erde dreht, brachte ihm auf Anhieb den Durchbruch. Den sicheren Boden der Astronomie verließ Napier 2000 mit seinem Thriller „Revelation“ (dt. [„Die Offenbarung“). 3387 Noch ein Stück weiter ging er mit „The Lure“, in dem er die Konsequenzen einer klassischen „Begegnung der Dritten Art“ beschreibt.

2003 sprang Napier auf den Dan-Brown-Express auf und trug seinen Teil zur aktuellen Bestseller-Verschwörungstheorie bei, nach der die christliche Kirche seit zwei Jahrtausenden mit Hilfe vorzeitlicher Super-Hightech, albinotischer Meuchelmörder oder maskierter Außerirdischer klammheimlich die Welt regiert & die Menschheit für dumm verkauft. „Shattered Icon“ (dt. „Der 77. Grad“) war einfalls- und erfolgreich genug, um vom Originalverlag mit einer ebenso werbeträchtigen wie marktschreierischen aber witzigen Website begleitet zu werden: http://www.splinteredicon.com.

http://www.droemer-knaur.de

Mignon G. Eberhart – Während der Kranke schlief

Im einsamen Haus lauern verfeindete Verwandte auf den Tod des reichen Familienoberhaupts, bis die Anwesenden sich gegenseitig zu dezimieren beginnen. Eine Krankenschwester betätigt sich als Privatdetektivin und kommt des Rätsels Lösung dabei zu nahe … – Atmosphärisch dichter „Whodunit“ mit wirklich allen Elementen dieses Genres, deren Autorin nach vielen falschen Fährten und Rätselraten den Täter aus dem Kreis der sämtlich verdächtigen Figuren herausfiltert.
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Fred Saberhagen – Die Geständnisse des Grafen Dracula

Das geschieht:

Er lebt zwar nicht mehr, aber das ist für ihn kein Grund, sich mit übler Nachrede abzufinden: Graf Dracula, stolzer Kriegerfürst aus Transsylvanien und im 15. Jahrhundert zum Vampir mutiert, ärgert sich hoch im 20. Jahrhundert noch immer über ein altes Buch, das als Titel seinen Namen trägt und schildert, wie er im Jahre 1891 angeblich sein düsteres Schloss verließ, um England zu terrorisieren und dort unschuldigen Bürgern meist weiblichen Geschlechts das Blut auszusaugen.

Was ein gewisser Bram Stoker einst an Aussagen von Zeitzeugen wie Abraham Van Helsing, Jonathan Harker, Mina Murray, Lucy Westenra oder John Seward zusammentrug, ist nach Draculas Ansicht eine Sammlung schamloser Verdrehungen, Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Eines Nachts im Jahre 1975 entführt er Arthur Harker, einen Nachfahren Jonathans, und seine Gattin: Endlich will Dracula die wahre Geschichte erzählen. Fred Saberhagen – Die Geständnisse des Grafen Dracula weiterlesen