Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

McGregor, Elizabeth – Eiskind, Das

Das Schicksal eines an einer Knochenmarkskrankheit leidenden Kindes ist auf vielschichtige Weise mit dem Schicksal der verhängnisvollen Expedition John Franklins verknüpft, der 1845 bis 1848 die Nordwestpassage durch die Arktis suchte. Ein spannender und sehr bewegender Roman, der Geschichtsdoku und Schicksalsdrama kombiniert.

_Die Autorin_

Elizabeth McGregor wurde in Warwickshire, Südwestengland, geboren und lebt heute mit ihrer Tochter in Dorchester. Für „Das Eiskind“ recherchierte sie u. a. am „Scott Polar Research Institute“ in Cambridge. Für ihre Kurzgeschichten und ihre psychologischen Krimis wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

_Handlung_

Der Roman besteht aus drei Erzählsträngen. In der Gegenwart stehen eine junge Journalistin, ein Archäologe und eine Eisbärin im Vordergrund. Dazwischengeschaltet sind längere Rückblenden auf die Jahre 1845 bis 1848, auf die verhängnisvolle Expedition John Franklins, die die Nordwestpassage erschließen sollte und im Eis spurlos verschwand.

Doch zunächst zur Gegenwart. Die englische Journalistin Jo Harper, 27 Jahre jung, hätte es beinahe abgelehnt, eine Reportage über einen der berühmtesten Archäologen, den Briten Douglas Marshall, zu schreiben. Er hat sich gerade in Grönland das Bein gebrochen. Auf einem Kriegsschiff, das ihn zurückbringt, begegnen sich Jo und Doug zum ersten Mal. Ihre Reportage macht ihn noch bekannter.

Er arbeitet seit Jahren an einem Forschungsprojekt über die legendäre Franklin-Expedition. In der Zeit seiner Genesung lernen sie sich näher kennen. Er steht kurz vor der Scheidung von seiner Frau Alicia, von der er schon fünf Jahre getrennt lebt. Nicht alles steht zum Besten in der Familie Marshall. Auch sein Sohn John, der sich ebenfalls für die Franklin-Expedition interessiert, lehnt Doug ab – er will ihn nämlich übertrumpfen und so dafür bestrafen, dass er ihn als Kind ständig vernächlässigte.

Als Jo von Doug ein Kind erwartet, wollen die beiden heiraten, doch bei dem Versuch, sich am Hochzeitstag auf Jos Bitte hin mit John zu versöhnen, geraten die beiden Männer auf die eisglatte Straße, auf der ein junger Autofahrer nicht mehr rechtzeitig bremsen kann.

John überlebt, doch sein Vater nicht. Jos Kind Sam wächst als Halbwaise auf. Er ist ihr Trost in ihrem Unglück, bis sich herausstellt, dass Sam unheilbar krank ist (es gab schon früh im Buch Verweise auf Leukämie). Und dass sein Halbbruder John seine einzige Rettung sein könnte.

Doch John weilt im ewigen Eis: auf den Spuren der Franklin-Expedition, denn er will um jeden Preis die ehrgeizige Mission seines Vaters erfüllen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem nicht nur Sam, sondern auch John sein Leben verlieren könnte …

Kurze Einschübe erzählen vom Leben einer bemerkenswerten Eisbärin, die von den Fotografen und Biologin schlicht „Die Schwimmerin“ genannt wird: Sie schwimmt eben gut. Aber nicht blindlings kreuz und quer durch die Arktis. Sie folgt den Spuren der Franklin-Expedition.

Und so wird die Bärin zum Bindeglied zu der dritten Erzählebene: die Schilderung des verhängnisvollen Verlaufs jener zunächst stolzen viktorianischen Expedition, die die Nordwestpassage nach Indien finden sollte, mit zwei modernen dampfgetriebenen Schiffen und 129 Männern an Bord. Wir verfolgen die Fahrt ins Ungewisse mit den Augen des jungen Matrosen Augustus Peterman und Käptn Croziers von der „Terror“.

Doch als sich im ersten Winter zu spät herausstellt, dass die Dosennahrung verdorben ist und die Männer sowohl an Tuberkulose wie auch an Bleivergiftung sterben, kommt noch eine schwere Fehlentscheidung John Franklins hinzu: Er steuert seine zwei Schiffe „Terror“ (= Schrecken) und „Erebus“ (= Dunkelheit) mitten ins dickste Packeis. Die zweite Überwinterung im ewigen Eis fordert schwere Opfer.

Nachdem Franklin an Bleivergiftung und Botulismus gestorben ist, machen sich die Überlebenden unter Käptn Crozier auf in Richtung Süden, um zu den Forts der Hudson Bay Company zu gelangen. Es wird ein Todesmarsch, von dem keiner mehr zurückkehrt.

_Mein Eindruck_

In diesem vielschichtigen Roman kombiniert die Autorin auf gewagte Weise gut recherchierte Geschichtsdokumentation mit tränenschwangerer Seifenoper. In der Ausführung dieser heftigen Mischung schrammt sie ganz knapp am Schiffbruch vorbei (ein recht passendes Bild, wie mir scheint). Ob man das menschliche Drama um Jo Harper akzeptiert und nacherlebt, hängt ganz davon ab, ob der Leser oder die Leserin selbst schon Kinder hat oder nicht.

|Ein Geflecht von Parallelen|

Es geht um nichts Geringeres, als zu zeigen, wozu Menschen – und Eisbären – in ihrem Kampf ums Überleben imstande und bereit sind. Alle Figuren sind in diesem thematischen Bezugsrahmen durch ein dichtes Geflecht von Parallelen, Querverweisen und symbolischen Analogien miteinander verbunden.

Jo Harper kämpft um ihren kleinen Sohn Sam, der an aplastischer Anämie, einer Knochenmarkskrankheit, leidet. Zehntausende Menschen teilen sein Schicksal, und die Autorin hat zwei entsprechende Familien besucht und mit ihnen gesprochen. Wie verträglich transplantiertes Knochenmark ist, hängt davon, wie eng verwandt die DNS von Spender und Empfänger ist. Sams idealer Spender ist John Marshall, der ist auf eine Selbstmordmission in die Arktis aufgebrochen. Die Erzählung schildert detailliert, kenntnisreich und sehr anrührend, wie Jos Kampf in der Realität aussieht und was John dazu getrieben hat, in die „weiße Wüste“ zu ziehen.

Jo findet ihre Entsprechung in der Eisbärin. Die Schwimmerin zieht zwei Junge auf und verteidigt sie gegen hungrige Männchen und zudringliche Menschen mit ihrem Leben. Ihr Lebens-Lauf führt sie direkt mit John Marshall zusammen, wobei er fast unter ihrer Attacke stirbt.

Der Überlebenskampf und Lebens-Lauf der Bärin findet seine Entsprechung in der unglücklichen Expedition John Franklins und dem anschließenden Todesmarsch der Überlebenden. Dabei ähnelt die geistig-moralische Haltung von Männern wie Peterman und Crozier, die gegen innere Krankheiten ebenso ankämpfen wie äußere Gefahren (Kälte, Eis, Wind), der Haltung Jo Harpers: Es ist unter anderem auch der Kampf gegen die Versuchung, einfach aufzugeben.

Das Einzige, was die Menschen von diesem Schritt abhält, ist der winzige Funke Hoffnung, der „letzte Strohhalm“, dass es noch Rettung geben könnte. Für Jo besteht dieser Strohhalm darin, den verschwundenen John Marshall zu finden, für die Männer der „Terror“ darin, überhaupt Menschen zu finden. Sie finden durchaus zweimal „Esquimaux“, doch beim ersten Mal vertreibt ein Gewehrschuss die Inuit, und beim zweiten Mal verschreckt der Anblick der unter Skorbut leidenden Überlebenden die zur Hilfe bereiten Eingeborenen.

|Anteilnahme oder lieber doch nicht?|

In dieser ungewönlichen Kombination aus Geschichtsdoku und Schicksalsdrama hat mir als Nicht-Elter eindeutig die fiktionale Dokumentation weitaus besser gefallen. Denn angesichts der herzzerreißenden Szenen, die in Sams Krankenzimmer etc. stattfinden, kann man sich nicht auf einen Beobachterposten zurückziehen. Entweder nimmt man an diesem Schicksalsdrama voll teil – und das können Eltern wohl nachvollziehen – oder man zieht sich voll Unbehagen davon zurück. Das ist natürlich leichter gesagt als getan.

In jedem Fall aber will man gegen Schluss wissen, wie die Geschichte ausgeht, und hier macht die Erzählerin ihre Sache einigermaßen gut. Lediglich das Hinundherspringen zwischen allen drei Handlungsebenen könnte etwas nerven.

|Die Karte|

Im Buch eine Landkarte abgedruckt: Sie zeigt das polare Gebiet, in dem die Franklin-Expedition strandete und wo auch fast John Marshall gestorben wäre. Der dokumentierte Weg ist ebenso eingezeichnet wie auch der von der Autorin vermutete und fiktional untermauerte Weg.

Leider weist die Karte weder einen Maßstab noch ein Längenmaß auf, noch ist eine Himmelsrichtung eingezeichnet. Wir müssen einfach mal annehmen, dass „oben“ Norden ist. Welche Ausmaße die Landmassen und Strecken haben, kann man hingegen nur aus dem Text ableiten. Eine recht amateurhafte Arbeit, diese Karte.

_Unterm Strich_

Es ist nicht einfach, einem Buch, das in der Rezeption in so hohem Maße auf die individuelle Lesererfahrung angewiesen ist, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wer für Schicksalsdramen à la „Das Lazaruskind“ oder „Lorenzos Öl“ etwas übrig hat, wird von den entsprechenden Szenen, die zuhauf vorkommen, zu Recht bewegt sein.

Wer sich lieber an historisch verbürgte Tatsachen hält, die von der Autorin fiktional weiterentwickelt wurden, der wird in der Geschichtsdoku über die Franklin-Expedition größere Befriedigung seiner Leserneugier finden. Als Bindeglied hat die Autorin einen Schuss Mystik, man könnte auch sagen: Metaphysik, eingefügt.

|Zum Titel|

Es gibt eine ganze Reihe von „Eiskindern“ in diesem Buch. Da wäre natürlich einmal Sam, der Sohn eines Grönlandforschers. Und da wäre sein Halbbruder John, der im Eis fast umkommt, als er die Mission seines Vaters zu erfüllen sucht. Und da ist Gus Peterman, der junge Matrose von der „Terror“, der – vermutlich – im Eis umkam (Peterman ist eine erfundene Gestalt). Und da gibt es die Jungen der Eisbärin. Allesamt machen sie die Bedeutung dieser polaren Region für den Rest der Welt deutlich.

Zum Abschluss des Buches kann man sich zwecks Entspannung eine deutsche New-Wave-Platte gönnen: „Ich möchte ein Eisbär sein … am kalten Polar …“

|Originaltitel: The Ice Child, 2001
Aus dem Englischen übersetzt von Gloria Ernst|

Conn Iggulden – Imperator: Das Feld der Schwerter (Imperator 3)

Julius Caesar in Gallien: Actionreiche Abenteuer

Rom im ersten Jahrhundert vor Christus: Nach seinen Siegen über Mithridates und Spartacus gilt Cäsar als der mächtigste Mann im römischen Reich! Nun beginnt der junge Heerführer von ruhmreichen Eroberungsfeldzügen zu träumen – Gallien soll dabei nicht mehr als eine erste Etappe sein.

Doch leider hat Cäsar nicht mit dem Widerstand und der Gerissenheit des Gallierkönigs Vercingetorix gerechnet. Und dann erreicht ihn auch noch eine erschreckende Nachricht aus Rom: Sein Widersacher Pompeius hat die Tyrannei ausgerufen! Wenn Cäsar die Macht wieder an sich reißen will, muss er gegen eines der ältesten Gesetze Roms verstoßen – und mit seinen Legionen den Rubikon überschreiten … (Verlagsinfo)

Dieser Bericht beruht auf der Originalausgabe in der Taschenbuch-Edition.

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Sonia Rossi – Fucking Berlin (Lesung)

Kein Schamdreieck: Zwischen Uni, Heim und Bordell

Sonia, die Mathematikstudentin, verkauft im Nebenjob ihren Körper im Bordell. Sie redet darüber, wie sie in das Rotlichtmilieu geriet, wie es dort zugeht und mit welchen Männern sie es zu tun bekommt. Und wie kommt sie mit ihrem Privatleben klar? Die freimütige Schilderung ihres Doppellebens ist ein autobiografisches Bekenntnis zur Ware Liebe.

Die Autorin

Sonia Rossi wurde 1982 in Italien geboren. Sie lebt in Berlin, arbeitet in der IT-Branche und hat einen Sohn. Ihr zweites Buch, „Dating Berlin. Auf der Suche nach Mr. Right“, ist von 2010. Von 2014: „Kinderwunsch-Tage“. epubli (E-Book).
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Georges Simenon – Maigret – Die besten Fälle

Der Mann mit der Pfeife: Nostalgisches Krimivergnügen

Diese Sonderedition enthält fünf klassische Maigret-Hörspiele, die in den Jahren 1958 und 1961 von deutschen Rundfunksendern produziert wurden. Auffällig ist die aufwändige Produktionsweise des Bayerischen Rundfunks. Der Zuhörer kann fünf Fälle des Kommissars mit der Pfeife miterleben, als säße er im Kino.

Der Autor
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Anonymus – Das Haus der Sappho (Anandria)

Ein Manifest der lesbischen Liebe

Ende des 18.Jahrhunderts erregte in Frankreich ein Buch Aufsehen, das heute zu den berühmtesten lesbisch-erotischen Werken zählt. Es berichtet, wie ein Landmädchen (ca. 1770) in die Hände einer berüchtigten Kupplerin gerät und von ihr als „Mademoiselle Sappho“ einem Kreis adliger Lesbierinnen ausgeliefert wird, die in einem eigens dazu eingerichteten Tempel seltsame Orgien feiern.

Die reizvoll sinnlichen Szenen des Buches gewinnen an sittenhistorischem Wert, wenn man weiß, dass es sich nicht etwa um freie Erfindungen handelt, sondern um beglaubigte Vorgänge, die sich um 1770 in den höchsten Kreisen der Pariser Gesellschaft ereigneten. …

Um den Leser zu verwirren, hat der Moewig-Verlag Antoine Pithons Roman „Das Quartier der Sappho“ ebenfalls „Das Haus der Sappho“ betitelt.

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Dashiell Hammett – Fliegenpapier. Detektiv-Storys

Klassische Detektiv-Stories: Vom Arsenspürhund zum Königsmacher

In dieser Auswahl ist die zweite Hälfte der in „Das große Umlegen“ gesammelten Detektiverzählungen vertreten, die Lillian Hellman, Hammetts Lebensgefährtin 1951-1966 veröffentlichte. Die Hauptfigur ist wieder der namenlose Privatdetektiv „Continental Op“, ein Mittdreißiger, den Hammett in zahlreichen Storys zwischen 1923 und 1929 auftreten ließ, bevor er mit „Der Malteser Falke“ einen unsterblichen Helden schuf: Sam Spade, den Privatdetektiv des Teufels.

Der Autor

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Raymond Chandler – Der große Schlaf. Ein Fall für Philip Marlowe

Philip Marlowe zum Ersten: Ermittlungen im Sündenpfuhl

General Sternwood wird erpresst, von einem Mann, der seine Tochter Carmen kennt. Privatdetektiv Philip Marlowe soll dem Erpresser, einem gewissen A. G. Geiger, das Handwerk legen. Aber auch Sternwoods zweite Tochter, die ebenso skrupellose wie schöne Vivian, wendet sich an Marlowe: Ihr Mann Rusty Regan, ein Schnapsschmuggler, ist seit vier Wochen verschwunden. Allerdings macht sie den Fehler, ihm kein Honorar anzubieten. Schon bald geschieht ein Mord, und Carmen Sternwood befindet sich in zwielichtiger Nähe davon …

Der Autor
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Ellen Sussman – Die Affäre. Erotischer Roman

Am Abgrund der Leidenschaft

Was als harmloser Seitensprung beginnt, wird für Jessa, verheiratet und Mutter zweier Töchter, unversehens zu einer gefährlichen Leidenschaft. Denn in kürzester Zeit gerät ihre Affäre zu einer übermächtigen Obsession, die Jessas bisher so wohlgeordnetes Leben ernsthaft aus den Fugen geraten lässt. Ob es ihr gelingen wird, sich aus den Fängen dieser Amour fou zu befreien? (Verlagsinfo)

Kann der Supermarkt Ihr Leben verändern? Sie mögen es nicht glauben, aber er kann’s (Aldi würd’s freuen). Sie müssen nur den richtigen Menschen treffen. Amour fou – Sie sind wie vom Blitz getroffen. Und ohne dass Sie sich’s versehen, ändert Ihr Leben seine Richtung um 180 Grad. Mal seh’n, was Ihre Lieben davon halten …

Die Autorin

Ellen Sussman ist eine amerikanische Autorin von Drehbüchern und Kurzgeschichten. Ellen Sussman, Verfasserin von Drehbüchern und Kurzgeschichten, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde, unterrichtet Fiction Writing in Berkeley. Nach einem fünfjährigen Paris-Aufenthalt lebt die Autorin zusammen mit ihrer Familie wieder in Kalifornien.

„Die Affäre“ ist ihr erster Roman. Kein Wunder, dass er sich ebenfalls wie ein Drehbuch liest – nur die Regieanweisungen fehlen. Das ist aber kein Nachteil, sondern trägt zu einer flüssigen Lektüre bei – ich habe das Buch in zwei Tagen verschlungen.
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Ken Follett – Die Säulen der Erde (Lesung)

Statt eines kompletten Hörspiels von überladener Ästhetik, wie es der WDR produzierte, lieferte der |Lübbe|-Verlag 2003 die aufs Wesentliche konzentrierte Lesung des eigentlichen Buchtextes, allerdings zu einem besonders günstigen Preis: knapp 20 Euro – bei Amazon nur 15 – für ein Dutzend CDs mit 13,5 Stunden Unterhaltung. Gelesen wird das Hörbuch von einem der besten Synchronsprecher hierzulande, nämlich von Joachim Kerzel.

Der Autor
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Robert A. Heinlein – Gestrandet im Sternenreich

Karriere im All: Vom Tierpfleger zum Kapitän

Dieser Roman gehört in die Reihe ausgezeichnet erzählter Jugendromane, die Heinlein für den Jugendbuchverlag |Scribner’s| verfasste. Sie gehören ohne Zweifel zum Besten, was sowohl Heinlein als auch das Genre hervorgebracht haben, und eignen sich ideal zum Einstieg in die Science-Fiction. Diese 1947 begonnene Reihe beendete Heinlein erst 1959 mit dem unsäglichen [„Starship Troopers“ (ebenfalls bei Bastei Lübbe). |Bastei Lübbe|bringt eine bearbeitete, ergänzte und zum Teil neu übersetzte Ausgabe auf den Markt.

Der Autor
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Anonymus – Komtesse Marga. Ein erotischer Roman aus der Wiener Gesellschaft

Der Teufel mit den blonden Haaren

Sie ist ein Teufel in Engelsgestalt: schön, verführerisch, skrupellos, zu allem bereit. Deshalb gelingt es ihr auch, Vitus, der überaus reich ist, jedoch über keine größeren Liebeserfahrungen verfügt, für sich einzunehmen. Der junge Mann verfällt der raffinierten Teufelin, die ihm all ihre schönen Reize offen anbietet, rettungslos. Dann erkennt er allerdings doch noch, auf welch gewagtes Spiel er sich eingelassen hat, und er verlässt die liebestolle Marga. Vitus findet danach sein Glück bei der zauberhaften Adda, aber Marga rächt sich fürchterlich an ihm und seiner neuen Geliebten.

KOMTESSE MARGA ist ein klassischer erotischer Roman, der von einem unbekannten, jedoch ausgezeichnetem Kenner der Gesellschaft Wiens und Österreichs geschrieben und zu Beginn dieses Jahrhunderts in einer einmaligen Auflage von 500 Exemplaren als Privatdruck veröffentlicht wurde. (korrigierte Verlagsinfo) Gemeint ist das 20. Jahrhundert. Das Buch erschien 1909 in Wien.

Der Autor

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Howard Phillips Lovecraft – Pickmans Modell (Gruselkabinett 58)

Die Grenze zwischen Kunst und Horror

Die Gemälde von Richard Upton Pickman schockieren die Bostoner Kunstwelt. Es sind Darstellungen abscheulicher Wesen in nicht minder grauenerregenden Situationen. Henry Thurber ist mit der einzige im eher konservativen Kunstverein, der nicht von den Bildern abgestoßen, sondern im Gegenteil sehr von ihnen fasziniert ist … (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörspiel ab 14 Jahren.

Der Autor
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Conn Iggulden – König der Sklaven (Imperator 2)

Julius Caesar unter Piraten: Actionreiche Abenteuer

Rom im ersten Jahrhundert vor Christus: Konsul Marius wird brutal ermordet, und Sullas fanatische Anhänger schreien nach Caesars Blut! Nur eine schnelle Flucht aus Rom kann das Leben des jungen Mannes jetzt noch retten. Doch bald schon verwandelt sich der einsame Flüchtling in einen strahlenden Triumphator: Nach beeindruckenden Siegen über die grausamen Seeräuber des Mittelmeers und den mächtigen Griechenkönig Mithridates kehrt Caesar schließlich in die Stadt zurück – an der Spitze einer ganzen Legion von kampferprobten Veteranen. Gerade noch rechtzeitig, um gegen den gefährlichsten Gegner anzutreten, der das Reich je bedrohte: Spartacus – der König der Sklaven … (Verlagsinfo)

Dieser Bericht beruht auf der Originalausgabe in der Taschenbuch-Edition.

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Conn Iggulden – Imperator: Die Götter des Krieges (Imperator 4)


Julius Caesar überschreitet den Rubikon

Rom im ersten Jahrhundert vor Christus: Die Nachricht, dass Julius Cäsar mit seinen Legionen den Rubikon überschritten hat, löst in Rom Panik aus. Der Diktator Pompeius weiß, dass er Cäsars Truppen nichts entgegenzusetzen hat – und setzt sich mit dem Senat nach Griechenland ab. Und so gerät der Einmarsch des jungen Feldherrn in Rom zur Machtdemonstration, seine Wahl zum Konsul zum grandiosen Triumph. Doch dass Cäsar den geschickten Politiker Markus Antonius zum zweiten Konsul macht, trifft einen bis ins Mark: seinen alten, loyalen Freund Brutus! Und so trifft der verbitterte Brutus eine einsame Entscheidung, die den Lauf der Weltgeschichte verändern soll … (Verlagsinfo)

Dieser Bericht beruht auf der Originalausgabe in der Taschenbuch-Edition.

Der Autor

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Frank Herbert – Die Kinder des Wüstenplaneten (Dune 3)

DUNE: Muad’dibs Sohn siegt!

Zehn Jahre nach seiner Veröffentlichung 1965 war DUNE ein Riesenerfolg geworden. Frank Herbert sah sich daher gedrängt, mehrere Folgebände zu schreiben. Zunächst floppte „DUNE Messiah“ wegen seines pessimistischen Schlusses, doch mit „Children of DUNE“ landete Frank Herbert einen echten Hit, den er mit „God Emperor of DUNE“ (DUNE #4) nochmals wiederholen konnte.

Das bedeutet nicht, dass „Die Kinder des Wüstenplaneten“ einfach zu lesen wäre. (Das ist auch [DUNE 1662 nicht.) Doch der Erfolg, den die beiden Titelfiguren haben, stellt die Erwartungen der Leser zufrieden. Das umfangreiche Buch mag anstrengend sein, aber die Mühe lohnt sich.

Auch dieses Buch wurde von den Machern der TV-Miniserie „Frank Herbert’s DUNE“ verfilmt. Susan Sarandon übernahm die Rolle der intriganten Lady Wensicia.
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Garry Disher – Willkür (Wyatt 04)

Bad Cops versalzen Bad Guys die Suppe

Wyatt stiehlt, und das ziemlich gut, denn er ist vorsichtig wie eh und je, effizient und erfinderisch. Wyatt hat mit dem Mesics-Clan noch eine alte Rechnung zu begleichen. Die Mesics haben einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt, der die Straßen von Melbourne für ihn zu einem gefährlichen Pflaster macht. Wyatt ist pleite, es wird Zeit zurückzuschlagen.

Über den pensionierten Berufsverbrecher Rossiter nimmt Wyatt Kontakt zu Frank Jardine auf, der einen Haufen Pläne in der Schublade hat, die das operative Geschäft des Syndikats an den empfindlichsten Stellen treffen kann. Doch als Rossiters Sohn Niall eingelocht wird, verändert sich die günstige Ausgangssituation, denn der fette Polizei-Sergeant Napper, der Niall das Leben so schwer macht, steht auf Erpressung, schnelle Ficks und lässt sich gerne Insider-Informationen versilbern…. (Verlagsinfo)
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Schüller, Maria Franziska / verschiedene Autoren – Stunde Null in Deutschland, Die

_Außen- und Innenansicht von Katastrophe und Neuanfang_

Deutschland in Trümmern, hunderttausende sind vom Hungertod bedroht, Millionen irren auf der Suche nach Heimat umher. Befreier und Befreite stehen sich gegenüber in einem Land, das sich nicht befreit, sondern besiegt fühlt, das großteils die Gräuel des Naziregimes verleugnet und Verantwortung und Demokratie erst noch lernen muss.

Das Hörbuch umfasst Augenzeugenberichte, Reportagen, Verlautbarungen und literarische Erinnerungen aus und über die Jahre 1944 bis 1948. Ein Hörbild aus der Zeit, als Deutschland auch psychisch in Trümmern lag, eine akustische Reise in eine Zeit, in der sich Wut, Erschrecken, Verdrängung und Scham mit Überlebenswillen, Hoffnung und bisweilen Galgenhumor mischte. (Verlagsinfo) Die vielfältige Musik ergänzt die Wortbeiträge.

_Die Autoren_

Heinrich Böll ist einer der wenigen deutschen Nobelpreisträger für Literatur gewesen und stets ein Mahner für Ehrlichkeit, Misstrauen gegen Mächtige und für den aufrechten Gang. Er protestierte ca. 1982 gegen den Nachrüstungsbeschluss der NATO und gegen die Stationierung von Pershing-Raketen in Mutlangen. Seine Romane „Ansichten eines Clowns“ (mit Helmut Griem) und „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (mit Angela Winkler) wurden erfolgreich verfilmt. Sein wichtiges Oeuvre ist noch wesentlich umfangreicher und gerät zunehmend in Vergessenheit.

Hans Werner Richter gründete zusammen mit Böll und Grass den literarischen Zirkel „Gruppe 47“, die für die deutsche Nachkriegsliteratur von größter Bedeutung war. In ihrem Umfeld tauchen auch die im Hörbuch repräsentierten Autoren Ilse Aichinger, Georg Stefan Troller und evtl. Dieter Forte auf. Günter Lamprecht (Sprecher, s. u.) schrieb seine Memoiren relativ spät, wohingegen Wolfgang Borchert zu den wichtigsten Nachkriegsautoren zählt. Sein Stück „Draußen vor der Tür“, das das Schicksal eines Kriegsheimkehrers erzählt, wurde sofort verfilmt.

_Die Sprecher_

Claudia Amm: arbeitete u. a. am Schauspielhaus Bochum und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit Regisseuren wie Dieter Dorn und Claus Peymann. Seit Jahren ist sie auch im TV zu sehen, so etwa im „Tatort“ und in Michael Verhoevens „Gegen die Regel“.

Sascha Icks: geboren 1967. Sie ist eine der wandlungsfähigsten Sprecherinnen für Film, Funk und Hörspiel. Zurzeit spielt Icks am Schauspiel Frankfurt/M.

Rudolf Kowalski: geboren 1948 im Ruhrgebiet. Er wurde durch Filme wie „Der Campus“ von Sönke Wortmann und „Echte Kerle“ von Rolf Silber bekannt. Bekannt wurde er vor allem als Lebensgefährte von Kommissarin „Bella Block“.

Günter Lamprecht: Geboren 1930, wurde er am Max-Reinhardt-Seminar ausgebildet und spielte am Theater in Bochum, Hamburg und Berlin. Im TV war Lamprecht u. a. als Franz Biberkopf in Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ zu sehen und als SFB-„Tatort“-Kommissar Franz Markowitz.

Josef Tratnik: Geboren 1947, studierte er Theaterwissenschaften, Philosophie und Germanistik in Köln. Nach dem Staatsexamen war er als Deutschlehrer tätig. 1977 kehrte er zum Theater zurück und ist seitdem von der Bühne, aus Film und Fernsehen und als Sprecher bei TV-Dokumentationen, Hörspielen und Hörbüchern nicht mehr wegzudenken.

Regie führte Maria Franziska Schüller, und als Tonmeister fungierte Jürgen Garbitowski. (Alle Angaben sind dem Booklet entnommen.)

|Das Booklet|

… stellt die Sprecher einzeln vor (s.o.), listet die wichtigsten (aber nicht alle) Beiträge der zwei CDs auf und schließt mit zwei Seiten „Rechtenachweise“ für die Wort- und Musikbeiträge ab. Außerdem ist eine Reihe von Interviewpartnern aufgeführt, unter denen besonders eine „Frau Wucherpfennig“ hervorsticht.

_Inhalte_

Das Hörbuch behauptet – wie so viele Dokumentationen anlässlich des 60. Jahrestags des Kriegsendes in Deutschland – dass es eine „Stunde Null in Deutschland“ gegeben habe. War das wirklich der Fall? Was hat man sich aus heutiger Sicht unter einer „Stunde Null“ vorzustellen? Gab es so etwas wie ein menschenleeres Deutschland jemals – oder eine andere Art von Vakuum, etwa des Rechts?

Die Beiträge auf dem Hörbuch sollen diesen Anspruch belegen. Wohlan denn: Stellen wir sie in den thematischen Blöcken vor, in die sie gegliedert wurden.

|“Schuld?“|

Am 8. Mai ’45 verkündeten deutsche und alliierte Sender, dass die deutschen Streitkräfte bedingungslos kapituliert hätten. Seltsamerweise bedeutete dies nicht das Ende von Kampfhandlungen. Offenbar gab es weiterhin Partisanenorganisationen („Werwölfe“), die Sabotageakte verübten und auf die eigene Bevölkerung schossen, ganz besonders dann, wenn diese sich den Alliierten mit aufgezogener weißer Fahne ergaben.

Das muss der Ich-Erzähler in Heinrich Bölls Romanauszug „Wo warst du, Adam?“ am eigenen Leib erfahren. Sein Elternhaus ist das einzige im Dorf mit einer weißen Fahne. Gerade als er aus dem Krieg heimkehrt, geht der Beschuss mit einem Granatwerfer los – es müssen deutsche Partisanen sein. Er wirft sich in Deckung und muss hilflos mit ansehen, wie die sechste Granate ins Dach seines Elternhauses einschlägt und es verwüstet. Die siebte Granate findet ihn. Die weiße Fahne bedeckt seine Leiche.

Georg M. Oswald berichtet in der kurzen Erzählung „Das Loch“, wie der frühere Blockwart „Onkel Otto“ gegen den Protest von Tante Sofie ein Loch im Garten gräbt. Wozu bloß? Nun, es ist der 8. Mai, Hitler ist den „Heldentod“ gestorben, und Otto und Sofie werfen alle Nazi- und Partei- und Blockwartabzeichen ins Loch, decken es schön wieder zu. Nur das Parteigeschenk zur Hochzeit, das will Tante Sofie unbedingt behalten …

Auch der „kleine PG“ (= Parteigenosse) im gleichnamigen Song von Heinz Gase schafft den Übergang offenbar mühelos: „Er war nur von außen braun“, ein scheinheiliger Mitläufer, aber Blockwart gewesen. Auf einmal will niemand ein Nazi gewesen sein, jeder hatte mindestens einen Juden versteckt und selbstverständlich ausländische Sender gehört. Die Redakteurin Martha Gellhorn wundert sich zunehmend über ihre Landsleute.

|“Alltag: Überleben I“|

Die Versorgungslage war für die allgemeine Bevölkerung katastrophal, Hungern an der Tagesordnung, man war von den ausgegebenen Rationen abhängig. Nicht so hingegen die reichen Vorstadtbürger, über die Robert Thompson Bell berichtet: Ihre Villen waren im April ’45 nicht einmal angekratzt, und die Vorratskeller voll – ein krasser Kontrast zu den Szenen in der „Totenstadt“ Frankfurt am Main. Margret Boveri berichtet in „Ich stehle Holz“, auf welche Weise sich das Verhalten ändern kann, wenn man auf illegale Beschaffung angewiesen ist: Man verliert sämtliche Skrupel und allenfalls noch Schicksalsgenossen können auf Rücksichtnahme hoffen. Aber auch das könnte sich ändern.

Das Stehlen erstreckt sich auf das so genannte „Ährenlesen“ bei der Ernte, und entsprechende Appelle der Behörden werden zitiert. Der Schleich- und Tauschhandel greift rasend schnell um sich, besonders als auch noch die Flüchtlingsströme aus dem Osten eintreffen. Doch wie dem Chaos Herr werden, fragt sich Pell. Seltsamerweise haben die überlebenden Deutschen den Dreh mit der Organisation des Chaos heraus. Auf dem Gelände der IG-Farben-Fabrik übernehmen die ehemaligen Direktoren wieder das Kommando, und die Amis müssen zusehen, dass sie dort wieder – oder vielmehr: noch – etwas zu sagen haben!

|“Befreite“|

Apropos Flüchtlinge. Selbst wenn es sich um Leute handelt, die von den Alliierten aus einem KZ oder Gefängnis befreit worden sind, muss das noch nicht bedeuten, dass die Befreiten auch überleben. So berichtet Martha Gellhorn aus Dachau im Mai 45, dass sich die Überlebenden vor Freude in den noch geladenen Elektrozaun geworfen hätten, um die Amis zu begrüßen, oder sie haben sich an den ersten Rationen so den Bauch vollgeschlagen, dass ihr geschwächter Körper das nicht aushalten konnte. Viele von ihnen waren Opfer medizinischer Experimente, von denen Gellhorn ein polnischer Arzt berichtet. Jedes Experiment forderte Hunderte von Todesopfern.

Andrzej Szypiorski berichtet in „Meine drei Kriegsenden“, wie es ihm nach der Befreiung aus dem KZ Sachsenhausen erging. Nur wegen einer Verletzung musste er nicht auf den Todesmarsch mit, sondern konnte die Russen begrüßen. Er wanderte nach Berlin-Köpenick, wo man ihm schnellstens aus dem Weg ging, war er doch jemand, dem man Unrecht getan hatte – wer weiß, wie er sich rächen würde?

|“Auf der Suche“|

Millionen von Menschen irren in ganz Europa umher, auf der Suche nach ihren Verwandten oder Lieben. Nach einer Vermisstenmeldung beschreiben Hans Werner Richter und Stig Dagermann, welche überragende Bedeutung auf einmal Zügen zukommt. Sie seien die sichtbaren Zeichen für die Mentalität eines Volkes, meint Richter. Erinnerungen an die Züge voller Juden auf dem Weg in die Vernichtungslager kommen auf. Und Dagermann erzählt, dass die bayerischen Behörden sogar andere Deutsche von bayerischem Staatsgebiet ausgewiesen hätten. Diese Züge landeten dann wieder auf gut Glück irgendwo im nichtbayerischen Raum. Davon erzählt der schwarzhumorige Song „Zug nach Kirchenroda“, der mit der flotten Melodie von „Chattanooga Choo Choo“ die erste CD beschließt.

|“Begegnung“|

Schwarzhäutige Menschen sehen die meisten Deutschen zum ersten Mal in ihrem Leben. Das trifft auch für die Hauptfigur in Dieter Fortes Erzählung „Der Junge mit den blutigen Schuhen“ zu. In der CD-Sektion „Hunger nach Kultur“ erfahren wir, was der Junge bei den fremden Besatzern noch alles findet: nicht nur Schokolade in Form von Hershey Bars (die lernte sogar ich noch in den Sechzigern kennen), sondern auch Zigaretten und vor allem Kinofilme und Jazz-Musik. Günter Lamprecht erzählt wehmütig von Glenn Miller und Konsorten. Neben jenem seltsamen neuen Ding namens „Frieden“ brachten die Fremden aber auch „Demokratie“.

|“Alltag: Überleben II“|

Der „Frieden“ sah zunächst so aus, dass jeder offenbar alles zu klauen versuchte, was nicht niet- und nagelfest war und sich somit zu Geld machen ließ. Dabei lief Günter Lamprecht einmal sogar einer Sowjetpatrouille in die Arme, die sich über seine amerikanischen Präservative wunderten. Er kam aber noch einmal mit einem blauen Auge davon.

Eines der düstersten Kapitel ist jedoch die weithin verbreitete Ausnutzung der schutzlosen Lage deutscher Frauen. Ihre Männer waren entweder gefallen oder in Gefangenschaft und die Kinder waren noch nicht groß genug, um sie zu verteidigen. So kam es, dass zahlreiche alliierte Soldaten die günstige Lage ausnutzten, und zwar nicht nur die Russen, sondern auch Briten, wie eine Quelle bezeugt.

Andererseits hatten die Frauen, die auf diese Weise ausgenutzt wurden, ein wenig Glück, weil sie im Ausgleich für ihre „Dienste“ Lebensmittel und zahlreiche Importartikel wie Strumpfhosen aus Nylon von den Soldaten („Fräuleins im Gelände“ von Ottmar Katz) erhielten. Ja, diese Frauen wurden sogar von ihren Familien oder Nachbarn dazu angehalten, so zum Überleben der Gemeinschaft beizutragen. Am eindrucksvollsten sind die Erzählung einer anonymen Berliner Frau, die sich in dieser Lage befindet, und Wolfgang „Draußen vor der Tür“ Borcherts Geschichte „Die drei dunklen Könige“.

|“Neuanfang?“|

Und wie steht es um die junge Demokratie? Nicht allzu gut, sollte man meinen, wenn man den Einlassungen der diversen Zeugen zuhört. Laut Hans Werner Richter verachtet man die Demokratie und fühlt sich als gedemütigter Deutscher auch noch im Recht. Demokratie steht für Bürokratie, Hunger und alles Schlechte; man kennt das ja von der Weimarer Republik. Der Begriff „Entnazifizierung“, der wichtige Prozess der Verfolgung von Kriegsverbrechern und Nazimitläufern, klingt wie „Entlausung“, also das, was einem in einem Lager widerfährt. Siehe auch den Abschnitt „Schuld?“

Diese Entnazifizierungsverfahren sind eine einzige Farce, denn die Zeugen, die für den Angeklagten eintraten, sind alle für ein paar hundert Mark pro Nase gekauft, die „kleinen Männer“ kommen alle frei. Und wie Stig Dagermanns Erzählungen bezeugen, werden allzu häufig private Fehden vor einer solchen „Spruchkammer“ ausgetragen: Denunziantentum ergänzt die Korruption. Immerhin droht einer der im Hörbuch zitierten Bürgermeister damit, Hakenkreuz-Schmierereien mit der Todesstrafe zu ahnden. Das tut er sicher nicht ohne Grund. Die Demokratie hat es schwer.

Gemäß Georg Stefan Troller schwanken die Deutschen zwischen mehrere widerstreitenden Gefühlen: Man darf keinen Stolz aufs Deutschsein zeigen, will sich aber auch nicht so richtig schämen für die Gräueltaten, die im Namen dieses Volkes begangen worden sind. Selbstmitleid greift um sich, das eine ganze Menge Arschkriechertum rechtfertigt.

Während die Amis noch vor „fanatischen Deutschen“ warnen, ruft Ilse Aichinger anno ’46 zum Misstrauen auf. Aber gegen wen oder was? Fazit: „gegen uns selbst“! Denn in den Menschen warte die Bestie, die Schlange darauf, die Oberhand zu gewinnen. Um überhaupt noch vertrauenswürdig erscheinen zu können, so Aichinger, müssten wir wachsam gegen unsere eigenen Schwächen sein.

_Mein Eindruck_

Manche Beiträge machen betroffen, andere wieder wütend – es ist das reinste Wechselbad. Aber so ist das eben mit dem Wechsel zwischen Außen- und Innenansicht. Das eine relativiert das andere, setzt es in einen anderen Zusammenhang, wirft ein anderes Licht darauf. Merkwürdigerweise verliert dadurch aber sogar das leidvolle Schicksal mancher deutschen Frau, die sich – aus welchen Gründen auch immer – prostituiert hat oder (immer wieder) vergewaltigt wird, an Gewicht und Bedeutung, weil schon das nächste Schicksal wartet, beachtet zu werden, vielleicht ein hungerndes Kind, ein verlorener Kriegsheimkehrer. Ich kann daher nur empfehlen, immer wieder mal eine Pause einzulegen, um das Gehörte in seiner Besonderheit wirken zu lassen.

Bis auf ein einziges Beispiel – Ilse Aichingers Appell – bleiben wir von Texten mit erhobenem Zeigefinger verschont, die es natürlich ebenfalls massenhaft gegeben hat. Die erzählten Schicksale und Beobachtungen sprechen für sich – mehr als beredt. Politisch gefärbte Texte sind praktisch keine zu finden – ich wüsste keinen, den ich eindeutig einem politischen Spektrum zuordnen könnte (stand Böll automatisch links, nur weil er in Mutlangen protestierte?).

Man müsste von einer apolitischen Präsentation reden, wäre nicht von vornherein klar, dass das Ganze an sich eine politische Botschaft ist. Eine politisch korrekt zusammengestellte Botschaft, die sich an das Erinnerungsvermögen der Gegenwart wendet. Ob die alten Kampfgenossen aus der Waffen-SS wohl diesen Appell vernehmen? Ich bezweifle es. Möge er zumindest die junge Generation erreichen.

Eine Präsentation wie diese ist stets eine Auswahl und als solche bis zu einem gewissen Grad subjektiv gefärbt. Um einen möglichst objektiven bzw. vollständigen Eindruck zu erhalten, was damals als „die Wirklichkeit“ und als „die Wahrheit“ galt, müsste so ein Hörbuch ja mindestens zehn CDs umfassen – man denke nur mal an Kempowskis „Echolot“-Projekt. Das ist nicht gerade eine attraktive Größe für das Hörpublikum. Eine Auswahl auf nur zwei CDs unterzubringen, ist ein wagemutiges Kunststück.

Ist es geglückt? Ich denke, ja, wenn man die Einschränkungen berücksichtigt. Und als Zeitdokument kann es die junge Generation vielleicht mehr als die Erinnerungen der wegsterbenden Kriegs- und Nachkriegsgeneration über das damalige Geschehen informieren. Wir erfahren nichts über die Einrichtung der Besatzungszonen und über die Gründung der Bundesrepublik Deutschland sowie der Deutschen Demokratischen Republik. Das steht auf einem anderen Blatt: auf dem der Stunde Eins.

_Die Sprecher / Die Inszenierung_

Die oben genannten Sprecher sind allesamt kompetente Vortragende, doch einer der Text ragt aus der Menge heraus, der von Günter Lamprecht. Er singt den „Chattanooga Choo Choo“, als hätte er gestern den Song zum ersten Mal gehört, und die Freude ist ihm anzumerken. Ein anderer Text, der mir im Gedächtnis blieb, ist „Die drei dunklen Könige“ von Wolfgang Borchert. Er wird von Kowalski oder Tratnik vorgelesen. Borchert wendet die bedrückende Lage einer deutschen Familie auf das Fest der drei Könige an, doch in diesem Winter kommen die Könige aus der Fremde nicht um zu verehren, sondern um zu vergewaltigen. Der Schrei des Kleinkindes vereitelt dieses Vorhaben.

Es gibt noch mehrere O-Töne, die wirklich zu Herzen gehen, aber man muss wohl einiges Leid selbst erlebt haben, um nachfühlen zu können, was diese Menschen damals durchgemacht haben. Dass sie es immer wieder durchgestanden haben, nötigt höchsten Respekt ab.

_Unterm Strich_

Ist das jetzt der notwendige Nachhilfeunterricht in Sachen „Stunde Null“? Oder doch nur ein kleiner illustrativer Splitter im großen Gemälde jener Zeit? In Ermangelung von Vergleichsmöglichkeiten nehme ich keine Wertung vor. Ich kann nur sagen, dass die vielfältigen Beiträge, die ich oben näher beschrieben habe, einen guten Eindruck von den Verhältnissen in der einfachen Bevölkerung vermitteln. Politik wird links liegen gelassen, dieses Feld zu beackern, ist offensichtlich Sache von Historikern.

Doch das, was viele Deutsche damals erlebten, ist heute unvorstellbar. Wenn man heute von Krieg redet, so stellt man sich Stellvertreterkriege in Irak oder Afghanistan vor, nicht irgendwo mitten im dicht besiedelten Europa. Das Hörbuch macht zumindest erahnbar, welche verheerenden Folgen ein moderner Krieg hat, nicht nur direkt im Kampfgeschehen, sondern vor allem im Nachhinein.

Und das Hörbuch macht auf die seltsamen Praktiken während der „Denazifizierung“ aufmerksam, bei denen die Verhandlungen unter anderem wie Reality-Shows genossen wurden. Ein „Neuanfang“ mit Bekenntnis zu „Schuld“ und „Demokratie“? Man wundert sich, dass die Bundesrepblik überhaupt aus der Taufe gehoben werden konnte – und vor allem, wer ihre „Paten“ waren. Wahrscheinlich gab es „Angebote, die man nicht ablehnen konnte“.

Als Zeitdokument ist das Hörbuch sehr zu empfehlen, als Unterhaltung nur bedingt, denn es ist selten spannend und nie actionreich. Dafür überwiegen die bewegenden Szenen umso mehr.

|156 Minuten auf 2 CDs|

Catherine Breillat – Pornokratie. Erotische Novelle

Eine junge Frau führt ein Experiment durch: Sie bezahlt einen Schwulen dafür, dass er sie beobachtet, nackt, im Schlaf, rund um die Uhr, um herauszufinden, ob sie ihn mit ihren weiblichen Reizen verführen kann. Wird er sie hassen oder sie lieben?

Die Autorin

Catherine Breillat, geboren 1948, ist Regisseurin, Drehbuchautorin (z. B. für Fellini und zu „Bilitis„) und hat mehrere Romane veröffentlicht. Seit ihrem Film „Romance XXX„/“Romance“ ist sie auch dem deutschen Publikum bekannt. Sie plant die Verfilmung von „Pornokratie“ (ist aber in der Wikipedia noch nicht gelistet). Die dürfte ebenso für Diskussionen sorgen wie „Romance X“.

Handlung

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John Fowles – Mantissa. Roman über Erotik

Amüsant: Der Schriftsteller im Clinch mit seiner Muse

Ein Mann erwacht unversehens in einem Krankhausbett. Nacheinander bekommt er Besuch von einer Gruppe weiblicher Gestalten, allen voran die strenge Dr. A. Delfie. Erst im Verlaufe der geschliffenen Dialoge à la Menippus stellt sich heraus, dass unser „Held“ ein Schriftsteller ist und mit den Musen seiner Schaffenskraft ringt, insbesondere mit Erato.

Der Autor

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Gordon R. Dickson – Söldner der Galaxis (Childe-Zyklus 1)

Der genetische General

Donal Graeme stammt von Dorsai, einer kleinen, abgelegenen Welt, deren Männer im Ruf stehen, die besten Soldaten der Galaxis zu sein. Wie so viele andere vor ihm verlässt Donal, der Sohn einer bekannten Offiziersfamilie, nach dem Abschluss seiner Kadettenausbildung den Heimatplaneten, um einer der galaktischen Mächte seine Dienste anzubieten. Donal unterscheidet sind von seinen Dorsai-Kameraden. Ein seltsames Fluidum geht von ihm aus. Eine unbekannte Kraft befähigt zu immer größeren Taten. Er scheint jeden Plan seiner Gegner vorauszuahnen und eilt von Sieg zu Sieg.

Und dann, eines Tages, als Donal als General an der Spitze der militärischen Hierarchie steht, erkennt er seine Bestimmung. Er ist der einzige, der der Selbstvernichtung der galaktischen Menschheit noch Einhalt gebieten kann. (Verlagsinfo)

Dieser 1960 für den HUGO Award nominierte SF-Roman erschien 1983 in ungekürzter Neuübersetzung unter dem Titel „Der General von Dorsai“ (Moewig SF 3608).

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