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Interview mit Chr. von Aster, B. Koch, M. Hoffmann

Vor einigen Wochen habe ich mich mit den drei Berliner Autoren Christian von Aster, Boris Koch und Markolf Hoffmann in einem Berliner Café getroffen und ihnen ein paar Antworten zu ihrer Lesereihe, dem StirnhirnHinterZimmer, und ihrem Schaffen entlocken können.

_Sven Ollermann:_
Stellt euch unseren Lesern bitte einmal vor.

_Markolf Hoffmann:_
Hier vor mir sitzt der großartige, phantastische Christian von Aster, seines Zeichens aufstrebender Jungliterat.

_Christian von Aster:_
Gleiches kann ich von meinem mir schräg gegenüber sitzenden Kollegen Boris Koch sagen, der wohl ebenso aufstrebend und jung-literarisch ist wie ich.

_Boris Koch:_
Neben mir dann Markolf Hoffmann, der jüngste und weitest gestrebteste von uns allen, mit fast einem abgeschlossenen Studium in der Tasche.

_Sven Ollermann:_
Wie hat das mit dem StirnhirnHinterZimmer eigentlich angefangen? Wer hat sich den Namen ausgedacht?

_Markolf Hoffmann:_
Ich weiß gar nicht mehr so richtig, wer war das denn eigentlich?

_Christian von Aster:_
Oh, ja, das war dann wohl meine Aufgabe. |(zu Koch)| Du machst den Newsletter, |(zu Hoffmann)| du machst die Nachbereitung, und ich habe mir den Namen ausgedacht.

_Markolf Hoffmann:_
Dann war’s wohl Christian, selbstverständlich.

_Boris Koch:_
Uns war nur klar, dass ein „Z“ drin sein muss.

_Markolf Hoffmann:_
Genau, es musste ein „Z“ drin sein, wegen der Z-Bar. Wir kannten ja schon den Ort der Lesung. Wie waren doch gleich die Alternativvorschläge? Lügenlabor?

_Sven Ollermann:_
Da ist aber kein „Z“ drin.

_Christian von Aster:_
Oh doch, da ist ein „Z“ drin, man sieht es nur nicht …

_Markolf Hoffmann:_
Weil es eben eine Lüge ist.

_Christian von Aster:_
Ein dezentes „Z“ – also ein de’entes „Z“.

_Markolf Hoffmann:_
Das waren die beiden Vorschläge, zwischen denen wir am Ende abgestimmt haben. Und da kam dann StirnhirnHinterZimmer bei raus, weil die Lesung ja auch im Hinterzimmer stattfindet – der Name liegt nahe.

_Boris Koch:_
Die Wahrheit liegt uns ja auch irgendwo am Herzen.

_Markolf Hoffmann_
Ganz genau.

_Christian von Aster:_
Den Gedanken daran fanden wir so gut und ganz schön, sich ins Hinterzimmer des Gehirns zurückzuziehen – das Unterbewusste und all diese Dinge, nicht wahr?

_Sven Ollermann:_
Und wie hat es angefangen?

_Boris Koch:_
Eigentlich zwangsweise – auf dem Odyssee-Con. Plötzlich saßen wir da zu dritt auf der Bühne, nach Mitternacht und machten …

_Christian von Aster_
Ne, Moment, Moment. Vor „plötzlich saßen wir zu dritt“ gab es noch „wo bleibt Markolf?“. Das ging ziemlich lange, wir waren schon dabei, Hohnlieder auf Hoffolf Markmann zu dichten. Aber er kam …

_Boris Koch:_
Das ist ein bisschen übertrieben. Also nur, weil wir sechs Stunden früher da waren als Markolf …

_Christian von Aster:_
… und eigentlich mit ihm gerechnet hatten.
Ich muss ja sagen, ich bin immer recht kritisch und ein garstiger, kleiner Mistbock; ich wollte ja schon auf Markolf Hoffmann schimpfen und alles schlecht finden, weil der ja auch bei großen Verlagen veröffentlicht – der kann ja nicht gut sein. Dann habe ich ihn gesehen und er war gut. Das fand ich so richtig scheiße. Hab ich ihm aber auch gesagt, dass ich es scheiße finde, dass er so gut war.

_Markolf Hoffmann:_
Also, nur um mal die Legende zurechtzurücken: Ich hatte die Abgabe meines zweiten Buchs. Deswegen kam ich dann wirklich erst kurz vor knapp. Aber ich kam und las. Und dann trafen wir uns am Ende zu dritt bei einer Nachtlesung, die eigentlich sehr witzig war. Da hab ich dann erstmal verbale Prügel bezogen.

_Christian von Aster:_
Haben wir die eigentlich zusätzlich gemacht?

_Boris Koch:_
Nee, die war schon geplant. Na ja, so halbwegs, wir wollten ja auch mal zusammen … „Könnt ihr auch zusammen?“ haben die Veranstalter gefragt, worauf wir: „Wir kennen zwar Markolf nicht, aber können wir.“

_Christian von Aster:_
Das war schon nett, richtig nett. Und dann haben wir festgestellt, dass wir alle in einer ähnlichen Stadt wohnen, und dann war der Schritt nicht mehr weit, zu sagen …

_Markolf Hoffmann:_
Na ja, der Zufall wollte es, dass wir die Texte der anderen gegenseitig geschätzt haben und bemerkten: „Okay, die machen keinen Scheiß.“

_Christian von Aster:_
Vor allem aber auch geil, weil wir auch gemerkt haben, dass es zwar gut ist, aber eben auch wirklich verschieden. Jeder von uns hat irgendwie einen anderen Humor, eine andere Herangehensweise, und auch andere Qualitäten in den Geschichten – und was ich halt beim StirnhirnHinterZimmer wirklich genial finde: Manchmal denk ich mir „Scheiße, ist das geil“, denn eigentlich haben wir, wie ich das Gefühl habe, in jedem StirnhirnHinterZimmer einen richtig schönen Knalleffekt drin.
Ich für meinen Teil bin auf jeden Fall fett stolz darauf, dass wir das Ding so etabliert gekriegt haben, weil hier in Berlin jeder Arsch immer liest und du irgendwie jeden Tag deine 20 Lesungen zusammenkriegst.

_Boris Koch:_
Aber nicht jeder liest auch in der Sommerpause, so wie wir – wir ziehen das durch.

|(nach einer kleinen geräuschpegelbedingten Pause)|

_Markolf Hoffmann:_
Um noch mal auf die Anfänge des Hinterzimmers zurückzukommen: Wir hatten auf der Nachtlesung vereinbart, uns „demnächst mal“ zu treffen. Aus „demnächst“ wurden dann vier oder fünf Monate, ich weiß es nicht mehr genau. Der Con war im August, und im März hatten wir die erste Lesung.

Wir haben uns also in der Zwischenzeit das Konzept überlegt; dass es immer ein Motto geben wird, das immer einer reihum auswählt. Und dann ging es los. Nachdem wir am Anfang so um die 15 Zuhörer hatten, haben wir uns dann gesteigert, und bald platzte die Z-Bar aus allen Nähten. Notsitze wurden eingerichtet, Günni |(der Wirt der Z-Bar)| hat das Hinterzimmer dann leicht vergrößert. Die Z-Bar wird immer kleiner, weil das StirnhirnHinterZimmer immer weiter in die Bar reinwuchert – bis es irgendwann nur noch die Theke und das StirnhirnHinterZimmer gibt.

_Sven Ollermann:_
Häufig ist es phantastische Literatur, ab und an mal Realsatire oder Fantasy, aber primär liegt das Augenmerk doch auf der Phantastik. Wie seid ihr darauf gekommen?
Boris, wie bist du an die Phantastik gekommen, das ist ja nun alles andere als Mainstream und nicht gerade einfach bei den Verlagen unterzubekommen, oder?

_Boris Koch:_
Ja, aber wenn du etwas schreibst, ist die erste Frage ja nicht automatisch: „Wie kriege ich das bei einem Verlag unter?“ Das wäre zu wenig, man will ja auch etwas Bestimmtes erzählen, etwas sagen, was einem im Kopf umgeht. Ich weiß nicht genau, warum Phantastik, es steckt einfach im Kopf und muss raus. Ist sozusagen die Art, wie ich denke. Gerade groteske Elemente schleichen sich immer wieder in Geschichten, die ich eigentlich „realistisch“ anlege. Wo dieses grundsätzliche Faible für die Phantastik herkommt, ist einfacher: Ich hab mit elf oder zwölf angefangen, einiges in die Richtung zu lesen, grotesken Humor immer gern gehabt, und dann bleiben halt die Symbole übrig, die man irgendwo in der Kindheit und Jugend gelesen hat. Und auch wenn ich immer viele andere Sachen gelesen habe und lese, dann weiß ich immer noch, was ein Werwolf ist, was Außerirdische sind und benutze sie gerne als Metaphern – auch weil es einfach Spaß macht.

_Sven Ollermann:_
Also ist es eher eine Form der Kunst. Autor eher im Sinne eines Künstlers, als um damit primär Geld zu verdienen?

_Boris Koch:_
Ich find die Trennung sowieso albern, also …

_Sven Ollermann:_
Schau dir unsere literarische Landschaft an, kann man die nicht genauso einteilen?

_Boris Koch:_
Nee, das find ich gar nicht, überhaupt nicht. Es gibt genug Leute, die intelligente Dinge schreiben und damit Geld verdienen und es gibt genug Leute, die Schwachsinn schreiben und damit kein Geld verdienen. Es ist zu einfach gedacht, entweder schreibe ich Niveau oder ich verdiene Geld. Ich glaube, damit tue ich Umberto Eco ziemlich unrecht, um mal ein Beispiel zu nennen, wenn nicht vielleicht das beliebteste Beispiel überhaupt.

_Sven Ollermann:_
Wie sieht es bei dir aus, Christian – ist die Phantastik dein größtes Faible oder gibt es da auch andere Dinge?

_Christian von Aster:_
Ich weiß nicht, ich denke eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte, und meine Vorbilder sind halt irgendwie allesamt Storyteller. Natürlich kennt man seine Klassiker und mag das, aber ich mag vor allem solche Leute wie Roal Dahl und Neil Gaiman, die sich keine genretechnischen Begrenzungen setzen. Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte und wenn mir was einfällt … – manchmal kommt sogar ein Brettspiel dabei heraus. Gut, will aber keiner haben.

_Boris Koch:_
Hätte vielleicht auch kein Spiel sein sollen, sondern eine Geschichte, vielleicht funktioniert es dann …

_Christian von Aster:_
Das ist eben auch genau dasselbe wie mit Kurzfilmen oder sonstwas, eine Geschichte sagt eigentlich demjenigen zu dem sie kommt, wie sie sein will. Geschichten haben ihre eigenen Gesetze, und wenn man darauf hört, dann kommt dabei auch das Richtige raus. Meistens sind es Kurzgeschichten, oftmals in der Phantastik, so denk ich das.

_Sven Ollermann:_
StirnhirnHinterZimmer sind ja Kurzgeschichten – die eine kürzer, die andere etwas länger, nech, Markolf?

_Markolf Hoffmann:_
Jetzt fängt der auch schon an.

_Christian von Aster:_
Das ist die Wahrheit, die lässt sich nicht auf Dauer unter den Teppich kehren, Markolf.

_Sven Ollermann:_
Markolf hat seine Roman-Reihe und gedenkt ja auch weiterhin immer wieder Romane zu schreiben. Boris, wie sieht das bei dir aus, Romane oder eher primär Kurzgeschichten? Bleibt überhaupt so was wie Zeit, sich Konzepte für Romane einfallen zu lassen?

_Boris Koch:_
Zeit für Konzepte bleibt immer, das Problem ist Zeit für Romane. Aber ich hab erst gerade einen geschrieben, für die Shadowrun-Reihe bei Fantasy Productions, „Der Schattenlehrling“. Romane und Kurzgeschichten sollen es sein, nicht entweder oder. Und ich hatte schon zusammen mit Jörg Kleudgen vor Jahren einen Roman geschrieben und in seiner Goblin Press veröffentlicht.

_Sven Ollermann:_
Und bei dir Christian, wie schaut es mit Romanen aus?

_Christian von Aster:_
Ich hab jetzt erstmal ’nen Kabarett-Preis gewonnen und schaue mal, ob ich jetzt bühnentechnisch mehr mache und ansonsten hab ich halt vor allem Bock auf Filme. Allerdings hab ich auch gerade einen Roman, an dem ich arbeite. Abgesehen davon hab ich sogar schon welche veröffentlicht, „Schatten der Götter“, „Armageddon TV“; nee, da gibt es auch mehr, ich bin gerade auch an meinem persönlichen Harry Potter dran, wo ich dann nach drei Seiten festgestellt hab, der wird dann doch nichts für Jugendliche, aber das ist ja nicht meine Schuld.

_Sven Ollermann:_
Bei dir liegt die Zukunft also eher auf der Bühne und hinter der Kamera?

_Christian von Aster:_
Ich hab gesagt, da hab ich Lust drauf. Natürlich würde ich auch gerne bei einem ordentlichen Verlag unterkommen. Aber Markolf sagt mir ja nicht, mit wem ich schlafen muss.

_Sven Ollermann:_
Und bei dir, Markolf?

_Markolf Hoffmann:_
Da steht jetzt der vierte Roman an, der letzte Teil des „Zeitalters der Wandlung“. Ich habe dann natürlich auch – also ich glaube, an Konzepten sind wir alle nicht arm, vor allem nicht an Romankonzepten – noch verschiedene andere Pläne. Ich würde gerne auch mal außerhalb der Fantasy und auch außerhalb der Phantastik etwas machen. Ich teile auch mit Christian das Interesse am Film. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, ein Drehbuch zu schreiben oder Regie zu führen. Der Vorteil beim Filmdrehen ist, dass man da nicht allein in seinem Kämmerchen sitzt und vor sich hin schreibt, sondern eben mit anderen zusammenarbeitet. Das ist nämlich das größte Manko der Schriftstellerei, finde ich.

_Sven Ollermann:_
Wie steht’s mit einer Gemeinschaftsproduktion mit anderen Autoren bezüglich Romanen?

_Markolf Hoffmann:_
Habe ich bisher noch nicht ausprobiert, aber stelle ich mir reizvoll vor. Und ich denke, das StirnhirnHinterZimmer ist auch der erste Schritt einer Zusammenarbeit. Da ziehe ich auch persönlich viel heraus, weil man jeden Monat halt was schreiben muss, ob kurz oder lang. Und man kriegt auch viel Input. Also ich finde es sehr interessant, wie die anderen beiden ihre Geschichten gestalten, man lernt, was beim Publikum ankommt und was nicht. Und vor allem lernt man regelmäßig zu schreiben, jeden Monat muss was da sein, das Publikum will unterhalten werden.

_Sven Ollermann:_
Boris, wie sieht bei dir die Zukunft aus?

_Boris Koch:_
Abwarten, ich hab jetzt Blut geleckt, was Romane anbelangt; hab da Lust, was zu machen, zu schreiben. Schauen, was da als Nächstes kommt. Aber ob Phantastik, realistisch, historisch oder Kinderbuch, das werden wir sehen. Das entscheide ich dann, wenn ich mit dem Roman fertig bin, also mit der Überarbeitung. Ansonsten kann ich mir auch andere Medien vorstellen. Comic oder Hörspiel würden mich beide sehr reizen. Film auch, klar – aber ich glaube, beim Hörspiel hat man mehr Freiheiten als beim Film. Es ist einfach spannender in Hinsicht auf die Umsetzung, weil das alles gleich teuer ist. Die Geräusche von einem explodierenden Hubschrauber sind genauso teuer wie die einer Fliege. Beim Film kommt dir irgendeiner mit Budget und du kannst irgendetwas nicht machen. Nicht, dass ich jetzt auf einen explodierenden Hubschrauber Wert lege, aber vom Prinzip ist es einfach so, dass man beim Hörspiel viel freier ist. Da würde ich halt gern was machen.

_Christian von Aster:_
Zumal wir da auch zu dritt was machen könnten. Die Technik haben wir, das ist beim Hörspiel ganz schön.
Ich hab meine Kinderbücher gar nicht erwähnt. Ich muss ja nur noch zwei illustrieren, dann hab ich nämlich zwei. Vergesse ich immer.

_Sven Ollermann:_
Das heißt, du illustrierst selbst?

_Christian von Aster:_
Manchmal. Ich hab ja damals Kunst und Germanistik studiert und das heißt, mich irgendwann auch mal für andere Sachen interessiert.

_Sven Ollermann:_
Wie sieht es bei euch mit Hörbüchern aus? Markolf, wir hatten das ja beim [letzten Mal]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=34 schon. Du kannst dir das vorstellen, Romane als Hörbücher freizugeben.
Wie ist das bei euch beiden? Oder doch lieber in Eigenproduktion und nicht immer die großen Synchronsprecher oder Schauspieler als Sprecher?

_Boris Koch:_
Weiß ich nicht, aber knallhart gesagt, es ist einfach eine Geldfrage. Wenn ein Verlag sagt, hör zu, hier kriegst du soundsoviel Geld für die Hörspiel-/Hörbuchrechte an dem Ding, freue ich mich. Ansonsten, wie man sich das traumhaft vorstellt, ist natürlich, dass eine möglichst große Verbreitung da ist, damit man einfach gehört wird. Und beim Sprecher: Es gibt sehr gute, die es meinetwegen gern machen könnten.

_Sven Ollermann:_
Christian, Hörbücher und Hörspiele? Oder gar nicht so deine Welt? Ein Hörbuch hast du ja schon draußen, würdest du weitermachen in der Richtung?

_Christian von Aster:_
Eins? Zwei, du Arsch.

_Sven Ollermann:_
Wie schon zwei?

_Christian von Aster:_
„Das Koboltikum“ und „Höllenherz“. Ach ja, und „House of Usher“. Ich finde Hörbücher und Hörspiele sehr geil, aber empfinde das Ding mit den prominenten Sprechern – auch wenn ich mich damit unpopulär mache – als die Pest. Du kannst den größten Scheiß machen und nimmst halt Joachim Kerzel (Synchronstimme u. a. von Jack Nicholson) und dann glänzt es auch wie Gold. Genau so funktioniert das.

_Markolf Hoffmann:_
Na ja, auf der anderen Seite kann man das auch langsam gar nicht mehr hören, ständig die Synchronstimme von Robert De Niro.

_Christian von Aster:_
Daran krampft es irgendwie ein bisschen. Aber Verlage nehmen halt lieber diese großen Stimmen, weil die eben nochmal zusätzlich Absatz versprechen. Finde ich ein bisschen unschön. Also, ich denke, alleine produzieren wäre fein, aber wie Boris schon sagte, wenn man für die Rechte Kohle geboten kriegt, dann sollte man nicht nein sagen. Denn was uns dann irgendwie, glaub ich, das Wichtigste ist, auch wenn ich da jetzt für die Kollegen spreche, ist einfach, wenn du irgendwoher mal Kohle kriegst und dir mal ein halbes Jahr keine Sorgen machen musst, um dann arbeiten zu können. Ich weiß ja nicht, ob hier irgendwer den Eindruck erwecken möchte, dass wir keine Geldprobleme haben. So ist das zumindest bei mir, und es ist einfach übelst anstrengend, wenn du jedes Wochenende auf Lesungen bist und dann unter der Woche vier Tage Zeit hast, um dein Zeug irgendwie auf die Reihe zu kriegen – und da auch immer noch den ganzen anderen Scheiß machen musst. Von daher, verkaufen ist schon immer gut, und das darf dann auch Joachim Kerzel oder wer auch immer lesen. Tja, aber ansonsten, selber machen ist nicht das Falscheste.

_Boris Koch:_
Wichtig ist halt, das der Text halbwegs so bleibt. Es gibt ja auch gekürzte Lesungen. Sinnvolle Kürzungen, ja, aber bei gekürzten oder veränderten Texte möchte ich mich nicht plötzlich wundern müssen, wie es zu einer derartig konservativen Einstellung des Protagonisten kommt und wo das Happy End plötzlich her ist.

_Sven Ollermann:_
Thema große Verlage – kleine Verlage. Markolf ist ja bei Piper. Boris, du hast mit Medusenblut mindestens einen kleinen Verlag, in dem du tätig bist. Hast du den mit aufgebaut – ist das quasi dein Baby, oder bist du da irgendwie anders zu gestoßen?

_Boris Koch:_
Ist quasi mein Baby. War es von Anfang an, mehr oder weniger. Es sollte eigentlich nur eine Reihe innerhalb eines Verlages werden. Bevor das erste Ding rausgekommen ist, hatte ich mich mit dem Verlag … na ja, sagen wir, wir hatten den Kontakt verloren. Er hat sich nicht mehr gemeldet. Lag wahrscheinlich an gewissen Differenzen, die wir hatten, was politische Ansichten anbelangt.
Und dann ergab es sich einfach, ich hatte ’nen Schwung Autoren, aber keinen Verlag mehr, und dachte dann, na gut, machen wir es halt selber. Ich hatte davor schon mal ein Fanzine herausgegeben, von daher war das nicht ganz blauäugig. Nur zwei Drittel blauäugig.

_Sven Ollermann:_
Der Verlag soll aber schon weiterhin in der literarischen Landschaft agieren, oder würdest du den einstampfen, wenn du irgendwo bei einem großen Verlag mit deinen Sachen unterkommst?

_Boris Koch:_
Nee, eingestampft auf keinen Fall. Das ist ja nicht ausschließlich ein Verlag für meine Bücher, es sind zwar welche von mir dabei, aber ein Großteil sind ja andere Autoren. Es ist ja auch eine andere Arbeit. Ich kann mir da Umstrukturierungen vorstellen, klar. Aber das hat nichts mit meinem Schreiben zu tun. Ich kann mir auch vorstellen, dass ich überhaupt nichts Phantastisches über Jahre schreibe, aber der Verlag ist halt einer, der nur Phantastik rausbringt, also das ist inhaltlich eine komplette Unterscheidung.

_Sven Ollermann:_
Das heißt, die Verlagsarbeit ist auch durchaus neben der Schreiberei wichtig für dich?

_Boris Koch:_
Ja.

_Sven Ollermann:_
Und bei dir, Christian, du hast, wie ich neulich festgestellt habe, auch einen kleinen Verlag, um so schreiben zu können, wie du das gerne möchtest.

_Christian von Aster:_
Ich hab damals … Ich bin nicht mit so viel Geduld gesegnet wie andere Autoren. Mitunter, wenn man an zehn oder zwanzig Verlage was schickt – und ich habe damals halt geschickt und keine positive Antwort bekommen. Mein Ego wollte das halt nicht so auf sich sitzen lassen und da hab ich eben angefangen, meine Sachen selber zu veröffentlichen. So ab und zu mach ich auch manchmal eine – wie heißt das – eine Anthologie. Und hab da dann manchmal seltsame Ideen, was man da so machen könnte. Aber vor allem ist es ausschlaggebend, dass ich schreiben kann, was ich will und wie ich es will. Darum veröffentliche ich eben auch von Kinderbüchern über Science-Fiction bis zu Horror, und solche Sachen, die man nirgendwo kategorisieren kann. Ähnlich wie Ubooks, aber anders. Also, es ist die Freiheit, alles so machen zu können, wie ich es will.

_Sven Ollermann:_
Auch mit der Gefahr, dass du es dann nicht absetzen kannst?

_Christian von Aster:_
Das Gros meiner Einkünfte kommt ja tatsächlich über die Lesungen. Eine Mischung aus Kabarett und Literatur. Dadurch passiert sehr viel. Auf den Lesungen setze ich halt eben auch einige Bücher ab. Ist eine Nische. Heutzutage musst du mit einem Verlag entweder groß sein oder eine Nische bedienen. Das, was Boris meines Erachtens auch macht, und was ich mache, sind kleine Verlage, aber Boris ist professioneller. Ich möchte mir nicht immer so viel Stress mit den Büchern machen, deshalb mach ich auch immer so understatement designs.

_Sven Ollermann:_
Wobei, wenn man an das Trollbuch zurückdenkt oder das Koboltikum …

_Christian von Aster:_
Solche Sachen sind was Besonderes, was zwischendurch passiert. Wenn du ein Buch mit Schieferplatten als Cover oder mit gebeiztem Holz machst, oder so …

_Markolf Hoffmann:_
Wie wär’s mal mit Wurstscheiben? |(lacht)|

_Christian von Aster:_
Brotscheiben, nicht Wurst. Wenn man die vernünftig imprägnieren kann, wäre Brot eigentlich gar nicht falsch. So Knäckebrot …
Na ja, die Trollbücher müssen jetzt verteufelt fertig werden. Wir werden in der Schweiz in einer Höhle lesen, mit Trollmusik und einer Geschichtenerzählerin und mit mir, und da muss ich natürlich einige Bücher mitnehmen. Hauptsache ist, ich kann machen, was ich will. Für mich ist es einfach ein Austoben, der Verlag ist nicht auf Expansion ausgelegt, es reicht, wenn er sich selbst trägt und mir meine Miete zahlt. Und dann darf man ja nicht vergessen, diese Lesungsdinger sind ja nicht zu unterschätzen, es gibt ja auch sehr große Aktionen, so wie zum Beispiel das WGT, wo ich dann halt vor tausend Leuten innerhalb von drei Tagen lese. Und da verkauft man dann schon zwei Bücher. Es funktioniert halt anders, es ist eine Nische und es ist anstrengender Scheiß, aber es ist gut für mich.

_Sven Ollermann:_
Markolf – großer Verlag. Wo liegen die Vorteile bzw. Nachteile gegenüber dem, was deine Herren Kollegen gerade erzählt haben?

_Markolf Hoffmann:_
Die Vorteile liegen auf der Hand: Man steht in den Buchläden, man verdient eine feste Summe, der Verlag kümmert sich natürlich um Werbung, etc. – mal mehr, mal weniger. Der Nachteil ist, es reden dir natürlich sehr viele andere mit rein. Man muss um Seitenzahlen kämpfen, man ärgert sich über Cover, die einem nicht passen, man hat Abgabetermine, die mehr oder weniger unumstößlich sind. Man ist halt nicht so frei wie die Kollegen.

_Boris Koch:_
Aber auch bei den kleinen Verlagen hast du halbwegs Abgabetermine, die du einhalten solltest, die dich fordern, weil … du hast ja auch einen Abgabetermin für deine Miete.

_Sven Ollermann:_
Du würdest also auch definitiv bei den großen Verlagen bleiben wollen und nicht in einem kleinen Verlag rumwuseln, wenn dir die großen eine Absage erteilen?

_Markolf Hoffmann:_
Also erstmal, wenn man in einem großen Verlag veröffentlicht, dann finde ich das schön und gut, hat wie gesagt auch viele Vorteile, und ich bin froh, diesen Schritt so problemlos geschafft zu haben. Gleich im ersten Anlauf, was ja schon ungewöhnlich ist. Da hab ich verdammt viel Glück gehabt. Es schließt sich ja nicht aus, auch in Kleinverlagen zu veröffentlichen. Ich hab jetzt auch schon einen Text für eine Anthologie geschrieben, die erscheint in einem kleinen Verlag, der neu gegründet wurde. In den „Arkham-Reiseführer“ hat Christian mich hineingeschmuggelt. So etwas wie Anthologien machen große Verlage ja eigentlich gar nicht, oder es läuft unter ganz obskuren Bedingungen ab. Das ist eine Nische, die kleine Verlage haben und das finde ich auch sehr wichtig. Zum Glück habe ich ja Kontakt zu meinen beiden Stirnhirn-Kollegen – ich wuchere buchstäblich aus der großen Verlagswelt in die kleine Verlagswelt hinein. Eine ganz perfide Strategie.

_Sven Ollermann:_
Schlagen wir mal eine kleine Brücke zwischen StirnhirnHinterZimmer und Verlag. Wie sieht das aus, habt ihr vor, was zu veröffentlichen?

_Boris Koch:_
Ist in Planung, wird kommen.

_Christian von Aster:_
Wird kommen. Das ist eine gute Aussage.

_Markolf Hoffmann:_
Muss kommen.

_Sven Ollermann:_
Großer Verlag oder kleiner Verlag?

_Boris Koch:_
Werden wir sehen.

_Markolf Hoffmann:_
Du siehst, wir machen den Eindruck, das Feuer unter dem Kessel zu schüren.

_Christian von Aster:_
Genau, es wird ein beeindruckendes Buch. Es wird groß, phantastisch.

_Markolf Hoffmann:_
Es wird wirklich ein „Best of“ im besten Sinne des Wortes.

_Sven Ollermann:_
So, dann ist jetzt noch ein bisschen Platz für Werbung und eigene Worte an die Leser. Christian?

_Christian von Aster:_
StirnhirnHinterZimmer rockt. Prima. Was für Kinder und Eltern. Spaß für die ganze Familie.

_Markolf Hoffmann:_
Also, mein Werbespruch wäre: StirnhirnHinterZimmer – kommt vorbei, sonst kommt es zu euch.

_Boris Koch:_
Noch mehr Werbung muss nicht sein. Aber hätte irgendwer dort draußen Lust, einmal im Monat zum Saubermachen vorbeizukommen? Die Stirnhirnbrösel treten sich sonst in den Teppich.

[Christian von Aster]http://www.vonaster.de
[Boris Koch]http://www.boriskoch.de
[Markolf Hoffmann]http://www.nebelriss.de
[StirnhirnHinterZimmer]http://www.stirnhirnhinterzimmer.de

Buchwurminfos V/2006

Die neu in Kraft getretenen _Rechtschreibregeln_ waren zumindest für den _Duden_ nun doch ein Erfolg. In nur vier Tagen brachte der Umsatz des 24., völlig neu bearbeiteten und erweiterten Regelwerks den Titel auf Platz 1 der Sachbuchbestseller-Listen. Das war in dieser Weise in den Vorjahren nicht der Fall. Scheinbar hat die Marketing-Strategie, dass man eine Gutschrift auf alte Duden – die man beim Kauf zurückgibt – erhält, nicht unerheblich dazu verholfen. Die Schulbuchverlage dagegen erleiden Umsatzeinbrüche. Cornelsen z. B. musste mehr als 100 Titel korrigieren, ohne dass das der Nachfrage nützt. Die Käufer bleiben im Grunde – abgesehen vom überraschenden Erfolg des Dudens – verunsichert und halten sich mit ihren Käufen zurück. Und der Gegenwind gegen die Reform bleibt somit unverändert bestehen.
Auch die reformkritische Sprachzeitung _“Deutsche Sprachwelt“_ setzt ihren Widerstand fort und hat ein Internetdenkmal aus Anlass der Einführung der neuesten Fassung der Rechtschreibreform zum 1. August und dem zehnten Geburtstag der Reform ins Netz gestellt: www.deutsche-sprachwelt.de/denkmal.shtml. In einer Ehrentafel, die laufend ergänzt wird, stellt sie mit charakteristischen Zitaten die Hauptverantwortlichen der Reform vor. „Möge ihr Werk nie vergessen werden und den kommenden Generationen zur Mahnung gereichen“, erklärte dazu der Schriftleiter der „Deutschen Sprachwelt“, Thomas Paulwitz. „Die deutsche Sprache wird sich von der Reform erholen. Schon jetzt bröckelt das Werk an allen Ecken und Enden. Wir werden schrittweise eine weitere Rückkehr zu den bewährten Schreibweisen erleben“. Denn 79 % der Deutschen fühlen sich nach Umfragen noch bzw. erneut durch die Einführung der neuen Regeln zum 1. August verunsichert.

Das _E-Publishing_ war nach mehreren vergeblichen Anläufen für den Massenmarkt bislang immer gefloppt. Nun kommt allerdings eine neue Generation des Musik-Players |iPod| auf den Markt, die auch als Lesegerät für E-Books dienen. Das könnte vielleicht doch den Durchbruch bringen, denn Apple hat die Geräte weltweit fast 60-Millionen-mal verkauft. Dahinter steht auch der Vertriebskanal „iTunes“, ein stark frequentierter Online-Shop, der neben Musikdateien Videos und Hörbücher zum Download anbietet und dies dann durch E-Books ergänzt. Andere Firmen versuchen sich allerdings ebenfalls noch in diesem Bereich.

Die Musik- und Filmbranche leidet seit Jahren unter den _illegalen Downloads_ von Raubkopien ihrer Produkte im Internet. Mittlerweile ist das auch bei Hörbüchern, eBooks und eingescannten Büchern der Fall. Da dies die Branche erheblich schädigt, wurde eine Arbeitsgruppe Piraterie von den Arbeitskreisen Hörbuch und elektronisches Publizieren im Börsenverein gegründet. Ebenso gibt es einen Arbeitskreis gegen Raubkopierer. Raubkopien verändern dramatisch die Kulturlandschaft. In Kopiernetzwerken, gern als „Tauschbörsen“ bezeichnet, aber auch auf elektronischen Marktplätzen wie eBay werden massenweise die Raubkopien angeboten. Gegenwärtig ist für Verlage das zivilrechtliche Vorgehen gegen die Piraterie praktisch noch nicht möglich. Problem ist die Anonymität des Internets. Die Internet-Provider, die dynamische IP-Adressen zuweisen, wissen zwar genau, welcher Rechner für den Datentausch verantwortlich ist, aber verweigern bei zivilrechtlicher Verfolgung die Herausgabe von Kundendaten. Zwar hat der europäische Gesetzgeber seine Mitgliedsstaaten verpflichtet, einen gesetzlichen Auskunftsanspruch von Rechteinhabern gegenüber Providern einzuführen, aber Deutschland hat darauf noch nicht reagiert. Ein Entwurf des Bundesjustizministeriums existiert zwar bereits, aber die Hürden für die zivilrechtlichen Auskünfte liegen in diesem Entwurf zu hoch. Für den Anspruch auf Auskunft muss ein „gewerbliches Handeln“ des Rechteverletzers vorliegen und somit entspricht der Entwurf einer Bagatell-Klausel. Die Einführung einer Bagatell-Klausel würde Rechteinhabern die Ermittlung von Urheberrechtsverletzungen in Internet-Tauschbörsen fast unmöglich machen. Der technische Aufwand für einen Nachweis ist extrem hoch. Rechteinhaber können kaum nachweisen, ob der Verletzer eine Bagetall-Klausel überschritten hat. Der wirtschaftliche Schaden entsteht nämlich vor allem durch die Vielzahl der privat handelnden Personen. Wenn der Entwurf in jetziger Form durchgesetzt wird, muss künftig jedes Auskunftsverfahren ein eigenes Zivilgerichtsverfahren durchlaufen. Das dauert sehr lange und ist zudem teuer. Pro Auskunftsverfahren zahlt der Rechteinhaber 200 Euro plus schätzungsweise mehr als 50 Euro Kostenpauschale an den Provider. Ob ein Rechtsbruch dann nachgewiesen werden kann, bleibt zudem ungewiss. Der Rechteinhaber muss den Nachweis erbringen, dass der Verletzer eine Bagatellgrenze überschritten hat. Ein nachgewiesener Einzelfall wird aber zwangsläufig zur Bagatelle. Inzwischen ist es auch schon üblich, dass Lehrer ihren Schülern den illegalen Download von kompletten Büchern im Internet empfehlen und kürzlich ermittelte die Kanzlei Waldorf innerhalb von 30 Tagen 60.000 illegale Anbieter von Audiobook-Bestsellern.

Ohnehin tobt im Internet der Preiskampf trotz der _Preisbindung_ auf Bücher in Deutschland. Die Rechtsabteilung des Börsenvereins hatte in den letzten Jahren den Wildwuchs bei _eBay_ eingedämmt und alle Verstöße der dort aktiven Händler konsequent abgemahnt. Jetzt rückt der neue _Amazon-Marketplace_ ins Blickfeld. Dort befindet sich ein ständig wachsender „Graumarkt“ von vermeintlichen Mängelexemplaren. Im August sind binnen weniger Tage 140 Online-Händler abgemahnt worden und 33 Fälle gingen ins Klageverfahren. Aber Mängelexemplare gibt es nicht nur dort: Auch sonst greifen viele Verlage zu dem unerlaubten Schritt, die zurückgehende Remittendenflut von einwandfreien verlagsneuen Titeln mit Stempeln oder Strichen zu „mängeln“ und damit die Ramschkisten zu füllen. Auch diese werden konsequent abgemahnt, denn die Preisbindung ist ein Segen für den Mittelstand. Sie hat aber – ebenso wie die ermäßigte Mehrwertsteuer – nur Bestand, wenn die Branche das Kulturgut Buch hochhält und den Ramsch nicht zur Regel werden lässt.

Die _Umsätze_ der Buchbranche gingen im Sommer, vor allem Juli – wegen der extremen Hitze – enttäuschend zurück und zwar in allen Bereichen: Sortiment, Kauf- und Warenhäuser, sogar im E-Commerce. Betroffen im Einzelnen waren alle Genrebereiche. Am schlimmsten beim Kinder- und Jugendbuch mit fast 23 %, aber es gab ja auch keinen neuen Harry Potter. Lediglich leicht zugenommen hatten Taschenbücher mit fast 2 % und immerhin auch die Hörbücher mit 5 % (allerdings waren die bislang an zweistellige Zuwächse ohne Abwärtstrends gewöhnt). Einzig herausragend gegen den Trend war die Reiseliteratur mit einem Plus von 12 %. Ab August waren die Zahlen dann wieder besser.

Die gerichtlichen Auseinandersetzungen um den Roman „Esra“ von Max Biller machen inzwischen Schule. Unter Berufung auf die _Verletzung von Persönlichkeitsrechten_ haben Anwälte Abmahnungen für drei Titel ausgesprochen: „Mond und Sterne“ von Moon Suk (Wunderlich), „Einladung zum Mord“ von Udo Schwenzfeier (Militzke) und „Der Bankier“ von Werner Rügemer (Nomen-Verlag). Der Prozess über Schadensersatzforderungen im Zusammenhang mit Billers „Esra“ ist mittlerweile um drei Monate verschoben worden. Auch der Melzer-Verlag darf den Nachdruck des Bildbandes „Mythos Romy Schneider“ vorerst nicht mehr ausliefern. Der Ehemann von Romys Mutter Magda Schneider hat gegen den Verkauf eine einstweilige Verfügung erreicht.

Die bereits mehrfach geschilderten Auseinandersetzungen um den Musiker _Hans Söllner_ reißen auch nicht ab. Am 7.J uni erzwangen Polizisten mit einem richterlichen Durchsuchungsbefehl zeitgleich Zutritt zu den Räumen des _Trikont-Verlages_, bei Hans Söllner in Bad Reichenall und zu den Privaträumen _Achim Bergmann_s. Gesucht und beschlagnahmt wurden sämtliche T-Shirts von Söllner mit der Aufschrift „Hitler Bush Blair – International“ (ein Zitat aus einem Song Hans Söllners), abgebildet sind die genannten Personen. Außerdem wurden Geschäftsunterlagen, Korrespondenz, Lieferscheine der genannten T-Shirts aus der Trikont-Mail-Order-Datei sowie ein Computer beschlagnahmt. Begründet wurde diese Aktion des Amtsgerichts Traunstein folgendermaßen: |“Strafbar ist das Verwenden von und Beihilfe zum Herstellen, Vorrätighalten und Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a Abs. 1, 27 STGB“|. Einem Beschwerdebeschluss des Trikont-Verlages, von Achim Bergmann und Hans Söllner schloss sich dann aber das Landgericht Traunstein an und stellte die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungen fest. Auszüge aus der Presseerklärung der Anwaltskanzlei Arnold & Bauer: |“…dieses T-Shirt zeigte die Präsidenten Bush und Blair neben einem Portrait Adolf Hitlers, darunter gelegt war der Refrain eines Liedes von Hans Söllner „Hitler, Bush, Blair – International“ (Der volle Wortlaut des Refrains lautet: „A Drecksau bleibt a Drecksau, ob Staatsanwalt oder Präsident, A Drecksau bleibt a Drecksau, Namen san egal, Hitler, Bush, Blair – International“). Diesmal war die Staatsanwaltschaft auf den glorreichen Gedanken gekommen, Hans Söllner sei ein Rechtsradikaler, indem er „Kennzeichen einer verfassungsfeindlichen Organisation“ in Form eines Hitlerbildes verbreite… Mit Beschwerde vom 26.6. wurde für Hans Söllner darauf hingewiesen, dass der Gutsprechende (§ 86a STGB) zu den „wichtigsten antifaschistischen Gesetzen, die nach Aufbau eines demokratischen Staates in Deutschland in das Strafgesetzbuch eingefügt sind, gehört“…. In der Beschwerde wird aufgeführt, dass selbst „die Staatsanwaltschaft nicht ernsthaft davon ausgeht, dass Hans Söllner zu einem Nazi mutiert ist“. Ihr wurde daher wörtlich vorgeworfen: „das Beschämende und Erschreckende beim streitgegenständlichen Beschluss ist, dass dieser einen zutiefst antifaschistischen Paragrafen in rechtswidriger Weise missbraucht, um einen der engagiertesten Antifaschisten im Freistaat Bayern mundtot zu machen. In einem solchen Verfahren kann beim besten Willen keine Anwendung des Rechts gesehen werden, es muss vielmehr von einer Beugung bestehenden Rechts gesprochen werden“|. In einem ausführlichen Beschluss schloss sich das Landgericht Traunstein erfreulicherweise dieser Argumentation an, hob den Beschwerdebeschluss auf und stellte die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungen fest.

Mehrfach berichteten wir in diesem Jahr an dieser Stelle über Repressalien gegen die Wochenzeitung _“Junge Freiheit“_, die nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen mit den Innenministerien nicht mehr im Verfassungsschutzbericht als „rechtsradikale“ Zeitung bezeichnet werden darf.
Die linksradikalen Kampagnen gegen deren freien Vertrieb nehmen dennoch wieder zu. Kioske erhalten Anschreiben, in denen unverändert diskriminiert wird. So verteilten in Braunschweig die örtliche „Jugend Antifa Aktion“ mit Unterstützung der PDS Flugblätter gegen den Verkauf, in Ulm und Tübingen mobilisierten die Jusos und in Kiel die örtliche Antifa. Teilweise werden Mahnwachen schwarz gekleideter „Antifa“ vor den Kiosken aufgeführt, was paradoxerweise dann doch eher an SA-Manier erinnert.

Beginn 2005 bis Sommer 2006 wurden in der _Türkei_ 49 Prozesse gegen Autoren und ihre Bücher eröffnet, im Schnitt alle 11 Tage einer. Die vielen Verfahren gegen Journalisten sind da noch gar nicht mitgerechnet. Am meisten wahrgenommen wurde in Deutschland dabei nur der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Orhan Pamuk. Über den Paragrafen über die Beleidigung von Türkentum, Armee und Republik im türkischen Strafgesetzbuch ist es recht einfach, eine falsche Gesinnung abzustrafen. Solche Ärgernisse häufen sich und es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass sich bis zu einem eventuellen EU-Beitritt viel daran ändern könnte. Interessant ist auch, dass nach den völlig überzogenen „fundamentalistisch-islamischen“ Reaktionen auf die Papst-Rede auch der türkische Ministerpräsident gleich gedroht hatte, ohne Entschuldigung des Papstes (die dann ja aber erfolgte) dessen geplante Reise in die Türkei aus politisch-religiösen Gründen abzuweisen. Und noch ein Aufreger ist zu vermelden. Westliche Kinderbücher werden dort neuerdings umgeschrieben, um einen weiteren Schritt hin zum Gottesstaat zu ermöglichen. „Gib mir etwas Brot, um Allahs Willen“ bittet Pinoccio, Tom Sawyer lernt islamische Gebete und einer der „drei Musketiere“ konvertiert zum Islam. Kinderbuchfiguren aus 100 Klassikern, die das türkische Erziehungsministerium empfiehlt, haben sich in Muslime verwandelt.

Es ist schon bemerkenswert, wie unerschütterlich sich Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ auf den vorderen Plätzen hält. Nur kurz war Günter Grass, dessen Autobiografie eigentlich eher in die Sachbuchliste sollte, auf Platz 1 und dann kehrte Kehlmann wieder zur Spitze zurück. (Mehr zu Grass weiter unten). Nach den sich nicht verändernden Bestseller-Listen im ersten halben Jahr 2006 kam es endlich im Sommer dazu, dass im belletristischen Bereich mehrere Neueinsteiger aufkamen, z.B. „Später Spagat“ von Robert Gernhardt, der erst kürzlich verstarb, und bekannten Namen wie Barbara Woods mit „Gesang der Erde“ oder eine die „Sakrileg“-Welle nutzen könnende Kathleen McGowan mit „Das Magdalena-Evangelium“ – ein Titel, der allerdings nicht als einfaches Plagiat abgetan werden kann. Die meisten anderen Neueinsteiger sind Krimis und Thriller (Tess Gerritsen „Scheintot“, Joy Fielding „Träume süß, mein Mädchen“, Martha Grimes „Karneval der Toten“). Beim Sachbuch hält die Nummer eins – wie oben geschildert – der Duden. Höchster sonstiger Neueinstieg ist der umstrittene Titel „Das Eva-Prinzip“ von Eva Herman (Pendo). Der Fantasy-Bereich ist seit den Kinofilmen von „Herr der Ringe“ ein ebenso gut laufendes Segment. Terry Pratchetts 33. Fantasy-Roman „Klonk“ kam gleich nach Erscheinen unter die ersten zehn Plätze. Tolkien, Rowling, Funke wie auch Markus Heitz mit seiner Zwergen-Trilogie sorgten für gute Verkaufszahlen. Interessant dabei ist auch der Zwischenbereich zwischen Fantasy und Jugendbuch. Comic-Buchhandlungen haben ihr Repertoire auf Fantasy erfolgreich erweitert, dagegen war in Esoterik-Buchläden, die ihr Angebot mit „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ aufstockten, Fantasy nicht gefragt.

Es gibt derzeit auch sehr viele deutsche _Fantasy-Autoren_, die auch im Ausland erfolgreich werden: Isabel Abedi, Nina Blazon, Henning Boétius, Uschi Flacke, Wolfgang Hohlbein, Kai Meyer, Antonia Michaelis, Peter Schwindt, Dieter Winkler und viele mehr. Die genannten kamen zum zweiten Fantasy-Festival im südhessischen Flörsheim-Weilbach. Bei Ueberreuter (Wolfgang Hohlbein wie auch die „Narnia“-Bücher) zählt man Fantasy zum Jugendprogramm und hat damit einen Umsatzanteil von bis zu 50 %. Bei Heyne läuft Fantasy im Kinder- wie auch Erwachsenenbereich und kommt auf einen Anteil von 15 %. Ein Drittel der Autoren im Fantasy-Programm sind Deutsche. Carlsen hat zwar nicht so viele Fantasy-Titel, liegt aber mit „Harry Potter“ oder auch den Büchern von Philip Pullmann und Lian Hearn mit ganz vorne. In der Hobbit-Presse von Klett-Cotta sind 114 Titel lieferbar und jährlich kommen etwa 8 Novitäten dazu. Bei Piper sind inzwischen mehr deutsche als ausländische Fantasy-Autoren im Programm. Und Piper ist natürlich auch völlig damit zufrieden, denn im Schatten der Großen wie Wolfgang Hohlbein haben auch die vielen Newcomer derzeit so gute Chancen wie selten, um sich durchzusetzen. Hohlbein selbst wurde 1982 ja auch erst durch einen von Ueberreuter ausgeschriebenen Fantasy-Preis entdeckt. Mittlerweile vergibt Ueberreuter diesen Preis etwa alle zwei Jahre unter dem Namen „Wolfgang Hohlbein-Preis“. Seit dem Erfolg von Cornelia Funke beobachten englische und amerikanische Verlage den deutschen Genre-Markt sehr genau. Bislang blockte man bei deutscher Fantasy ja eher ab. Aber die Zwerge-Bücher von Markus Heitz sind mittlerweile in fünf Sprachen übersetzt worden, Walter Moers hat mit „Die Stadt der träumenden Bücher“ den Sprung in die USA ebenso geschafft wie auch „Tigermond“ von Antonia Michaelis. Kai Meyer erscheint auch in England und den USA und Wolfgang Hohlbein mit bislang 25 seiner Titel sogar in China.

Durch diesen Fantasy-Trend verschwimmen die Trennlinien zwischen Kinderbuch, Jugendbuch und Erwachsenenbelletristik. Verlage stellen sich darauf ein, dass die Zielgruppen verwischen. Jugendbuchverlage stellen fest, dass ihre Titel ab zwölf oder vierzehn eigentlich schon von Zehnjährigen gelesen werden. Und Jugendliche interessieren sich nicht mehr für Bezeichnungen wie „Jugendroman“. Viele der 13- bis 15-Jährigen greifen zu Erwachsenenbelletristik. Im Grunde war das bei Horror und Thrillern schon immer der Fall, aber inzwischen erstreckt sich das auf alle Themenbereiche. Umgekehrt ist es genauso, Erwachsene lesen gerne die Fantasy-Produkte, die für den Jugendmarkt konzipiert sind. Auch wenn sie schon längst 40 Jahre und älter sind.

Die Verfilmung von Patricks Süßkinds Roman _“Das Parfum“_ läuft im Kino, und das sorgte schon im Vorfeld für einen guten Verkauf des Buches. Schon seit Juni gingen pro Woche bis zu 30.000 Exemplare der Taschenbuchausgabe bei Diogenes über den Ladentisch, und bis Jahresende dürfte die Gesamtauflage von 5 Millionen erreicht sein. Darin sind die verkauften Exemplare der Sonderausgabe gar nicht mit eingerechnet.

Im September kam der deutsche _Papst_ zum zweiten Mal nach Deutschland zum Besuch seiner Heimat Bayern. Gestartet wurde in einer groß angelegten Fernsehsendung, wo er bei ARD und ZDF zur besten Sendezeit Fragen von Journalisten beantwortete. Das erste Mal übrigens, dass ein Papst so etwas tat. Und damit war die Erwartungsstimmung des „Wir sind das Papst“-Volkes eingeleitet. Die Verlage haben sich wieder bestens gerüstet, Bücher als Begleiter gibt es in Hülle und Fülle. Mehr als 200 Titel von ihm und über ihn sind lieferbar und über 60 Novitäten kamen jetzt hinzu. Die Touristikbuchbranche setzte ebenfalls darauf – in ihren Bayern-Titeln ist in den Neuerscheinungen überall das Wort Papst mit dabei (Benediktweg, Auf den Spuren des Papstes, Wegweiser für den Geburtsort etc.). Auch DVDs sind in den bayrischen Gemeinden eigens produziert worden. Zu viel will ich gar nicht auflisten – es gibt jede Menge neuer Biografien und Portraits sowie spirituelle Texte und natürlich entsprechende Titel für Kinder.

Als vor zwei Jahren die _“SZ“_ mit ihrer Belletristik-Edition zum Preis von 4,99 Euro startete, war _dtv_ noch ein großer Kritiker solcher Editionen, die die Taschenbuchpreise noch unterboten. Nun ist dtv aber sogar Vertriebs-Partner bei der _Spiegel-Bestseller-Edition_ (20 Romane und 20 Sachbücher zum Preis von 9,99 Euro). Diese nicht mehr im Billigeditions-Bereich liegenden Preise – Ausnahme Joachim Fests „Hitler“, der hier angesichts der Dicke ein äußerst preisgünstiges Produkt darstellt – lassen auch die Backlist-Taschenbuchausgaben für den Leser noch attraktiv erscheinen. Das zeigt sich an der Brigitte-Edition, wo gleichzeitig die Nachfrage nach den Taschenbüchern mit steigt, was bei Taschenbuch-Verlagen dann keine Kritik mehr hervorruft. Eigentlich ist der Editionsmarkt (wie schon berichtet) verstopft, aber ungeachtet dessen erscheinen weitere Reihen. Die „SZ“ will bis 2008 mit insgesamt 25 Projekten auf dem Markt sein und setzt auf kleinere, zielgruppenorientierte Editionen. Von der Zeitschrift _“Absatzwirtschaft“ _hat die SZ 2006 den _Marken-Award_ verliehen bekommen für die beste Markendehnung. Durch die Billigeditionen konnte die SZ sogar ihre Auflage der „Süddeutschen Zeitung“ außerhalb Bayerns um 10 % steigern. Das „_Handelsblatt“_, nicht zur SZ gehörend, hat nach seiner Manager-Bibliothek und der Reihe „Wissen“ nun ein zwölfbändiges Wirtschaftslexikon aufgelegt. Auch der _Focus_ hat mit einer Buchedition nachgezogen. In Kooperation mit Diederichs, der längst zum Heinrich Hugendubel gehört, bringt das Nachrichtenmagazin zwölf Bände historischer Persönlichkeiten zu je 4,95 Euro heraus. Die gesamte Edition ist für 49,95 Euro zu haben. Das Frauenmagazin _“Brigitte“_ (Gruner + Jahr) bündelt alle seine Bücher künftig beim Diana-Verlag (Random House). Die Hard- und Softcover unter dem Label „Brigitte“-Buch sollen Themen des Heftes vertiefen. Geplant sind Titel zu Ratgeber-, Koch-, Unterhaltungs- und Reportagethemen. Im Herbst begann die Zusammenarbeit zwischen zwölf ostdeutschen Regionalzeitungen in Kooperation mit dem Verlag _Faber & Faber_ und der zunächst auf zwölf Bände angelegten Edition _“Unsere Kinderbuch-Klassiker“_ ostdeutscher Kinderbuchautoren zum Preis von 7 Euro. Diese Edition ist das erste konzernübergreifende Gemeinschaftsprojekt ostdeutscher Zeitungshäuser, die – von der Rostocker Ostseezeitung bis zur Leipziger Volkszeitung – eine geschätzte Gesamtauflage von rund zwei Millionen Exemplaren erreichen. Die fünfzig Bände umfassende _Junge Bibliothek_ der _Süddeutschen Zeitung_ ist abgeschlossen. Zum 125-jährigen Jubiläum der Berliner Philharmonie starten _“Die Welt“_ und _“Welt am Sonntag“_ eine zwölfteilige _Klassik-CD-Edition_, die allerdings allesamt auf einmal auf den Markt gelangten.

Bei Hörbuch-Bestsellern ist es ähnlich anderer Literatur-Editionen. Die _“Brigitte“-Hörbuch-Edition_s-Titel landen natürlich meist sogar direkt als jeweiliger Neueinstieg nach Erscheinen auf Platz 1, z. B. „Ein Ort für die Ewigkeit“ von Val McDermid. Und auch die _“Süddeutsche Zeitung“_ ist nach Filmen, Musik und Büchern nun mit einer _“SZ-Bibliothek der Erzähler“_ für je 9,95 Euro ins Hörbuch eingestiegen. Die Reihe umfasst zehn Titel mit Erzählungen der Weltliteratur zum Thema Liebe, darunter Thomas Manns „Wälsungenblut“, „Erste Liebe“ von Iwan Turgenjew und Tschingis Aitmatows „Dshamilja“.

Der Kölner Medienkonzern _DuMont Schauberg_ steigt mit 25 % bei der israelischen Tageszeitung _“Haaretz“_ ein. DuMont ist damit der erste deutsche Zeitungsverlag, der in Israel aktiv wird. „Haaretz“ gilt als linksliberal und ist eine der renommiertesten Zeitungen des Landes. Eine englischsprachige Ausgabe wird mit der „International Herald Tribune“ vertrieben.

Die im Interview der „FAZ“ mit _Günter Grass_ über seine Waffen-SS-Vergangenheit geschilderten Enthüllungen, die freilich allen Zeitungen und sonstigen Medien durch Vorabzusendungen von 4500 Leseexemplaren längst bekannt waren, führten zu einer enormen Nachfrage der jüngst erschienenen Grass-Biografie _“Beim Häuten der Zwiebel“_. Die Startauflage von 150.000 Exemplaren war mit Druckauslieferung schon abverkauft und sofort ging es in die 2. Auflage mit noch einmal 100.000 Exemplaren. Aufgrund der Enthüllungen gibt es Forderungen, dass Grass verschiedene Auszeichnungen zurückgeben solle. Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass ihm irgendeiner seiner Preise aberkannt werden wird. In der Vergangenheit war es meist der Fall, dass die Neuerscheinungen von Grass heftig diskutiert wurden. Somit ist die Nachfrage aufgrund der Enthüllungen kein Umsatzrutsch nach oben. Auch vom letzten Buch von 2003 _“Im Krebsgang“_ wurden durch seinen Verlag _Steidl_ bislang 450.000 Exemplare verkauft.

Geschäftsführer von _Walter de Gruyter_ Klaus K. Saur hat seinen alten Verlag _K. G. Saur_ zusammen mit dem _Niemeyer Verlag_ zurückgekauft. 1987 war der Saur-Verlag an den englischen Verlag Reed verkauft worden, von dort weiter zur Thomson Corporation und wurde nun preiswerter zurückerworben, obwohl er umsatzstärker geworden und zwischenzeitlich gewachsen ist. In den knapp zwanzig Jahren hatte der Saur-Verlag zahlreiche andere Verlage selbst übernommen. Mit diesen beiden Zukäufen wurde Walter de Gruyter zum größten geisteswissenschaftlichen Verlag auf dem Kontinent. Auf Platz 1 lag bislang Springer, auf Platz 2 K. G. Saur und auf Platz 3 de Gruyter. Vereint schlagen sie Springer natürlich ohne Problem. Jetzt erzielen nur noch die global operierenden Verlage Oxford University Press und Cambridge University Press höhere Umsätze.

Die _Klett-Verlagsgruppe_ baut unter Leitung der „FAZ“-Journalistin Monika Osberghaus in Leipzig ein eigenständiges Kinderbuchprogramm auf.

Die Verlagsgruppe _Lübbe_ wird vom kommenden Frühjahr an ihre Hardcover-Novitäten monatlich ausliefern und an die Taschenbuch-Lieferungen koppeln.

Mit dem _“Brockhaus Mannheim“_ bringt der Brockhaus Verlag im Oktober erstmals ein Stadtlexikon auf den Markt. Das Buch ist das Geschenk des Verlags an die Stadt Mannheim, die im nächsten Jahr ihren 400. Geburtstag feiert. Der Reinerlös aus dem Verkauf soll der Förderung sozialer Projekte in Mannheim zugute kommen.

Nun ist es geregelt, wie es mit der _Anderen Bibliothek_, bislang noch bei Eichborn, weitergehen wird. Ab Oktober 2007 wird sie von „Zeit“-Herausgeber Michael Naumann und dem früheren Fischer-Verleger Klaus Harpprecht herausgegeben. Gegründet wurde diese Reihe von Hans Magnus Enzensberger, der im Dezember 2004 den Vertrag mit Eichborn gekündigt hatte. Der letzte von ihm ausgewählte und von Franz Greno gestaltete Titel wird im September 2007 erscheinen.

Der Frankfurter Verlag und Versender _2001_ wurde an die Firma _Kinowelt_ zu 100 % verkauft. Nun wird das Filialnetz (derzeit zwölf Läden) ausgebaut, aber auch Kooperationen in Form eines „shop-in-shop“-Netzes mit Buchhandlungen sind eine Option. Kinowelt besitzt rund 10.000 Filmrechte, davon 1300 auf DVD. Bereits jetzt war 2001 der größte Anbieter der Arthaus-Filme von Kinowelt.

Die _DVA_ – Deutsche Verlagsanstalt – hat 175-jähriges Jubiläum. Angefangen hatte es 1831 in Stuttgart mit der Halberg’schen Verlagshandlung. Einer der Söhne gründete im Revolutionsjahr 1848 einen eigenen Verlag mit deutschen Klassikern, der 1873 mit dem Verlag vereint wurde. Nach dem 1. Weltkrieg war die DVA – inzwischen ein Aktienunternehmen – der führende historisch-politische Verlag in Deutschland. Ab 1921 kamen zahlreiche Erfolgsautoren durch Verlagsübernahmen mit ins Programm. In den letzten Jahren der Weimarer Republik wurde führende französische Literatur mitpubliziert. 1932 wurde der legendäre Appell „Deutscher Geist in Gefahr“ herausgegeben. Auch nach der Machtübernahme der Nazis wurden noch hitlerkritische Zeitschriften verlegt. Gustav Kilpper, der Generalsekretär des Unternehmens, das damals mehr als 1000 Mitarbeiter beschäftigte, wurde deshalb 1934 kurzzeitig inhaftiert. Ungeachtet dessen setzte er sich weiterhin für Autoren ein, die als Regimegegner galten: Friedrich Wolf oder Erich Kästner. 1942 gab man diesen Kampf gegen das System auf, die DVA musste in einen NS-Verlag eingegliedert werden. 1944 wurde das Verlagsgebäude durch einen Bombenangriff völlig zerstört. Durch den langen Widerstand in der NS-Zeit hatte man nach Kriegsende aber einen guten Start. 1952 erschien Paul Celans „Mohn und Gedächtnis“ mit der berühmten „Todesfuge“. Im Programm ging es ansonsten mit den politischen Biografien und zeitgeschichtlichen Darstellungen weiter. Am angesehensten ab Ende der 70er Jahre waren z. B. Peter Scholl-Latour oder Erich Fromm mit „Haben oder Sein“, „Die Kunst des Liebens“. Große Wirkung hatte auch die deutsche Übersetzung des Berichts vom Club of Rome „Grenzen des Wachstums“. Der letzte große Wurf war die Autobiografie „Mein Leben“ von Marcel Reich-Ranicki, der mehr als zwanzig Bücher bei DVA veröffentlicht hat. Seit letztem Jahr gehört der Verlag zu Random House.

Der jährlich vom Börsenverein vergebene _“Deutsche Buchpreis“_ für den jeweils besten Roman wird nunmehr in der Medienarbeit auch von der „Deutschen Welle“ und dem „Goethe-Institut“ unterstützt.

Die Schriftstellerin _Herta Müller_ hat für ihr Gesamtwerk den mit 20.000 Euro dotierten _Walter-Hasenclever-Literaturpreis 2006_ erhalten. Herta Müller wurde 1953 in Rumänien geboren und arbeitete dort als Übersetzerin und Deutschlehrein. Als sie sich weigerte, für den rumänischen Geheimdienst zu arbeiten, wurde sie entlassen. 1987 siedelte sie nach vielfachen Repressalien nach Berlin über. Mit dem Hasenclever-Literaturpreis werden Autoren ausgezeichnet, die sich in Form und Inhalt um die deutsche Literatur verdient gemacht haben.

Der _Deutsche Jugendliteraturpreis_ feiert 2006 sein 50-jähriges Jubiläum. Als
einziger Staatspreis für Literatur in Deutschland spiegelt er die
Entwicklungsgeschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur der letzten fünf
Jahrzehnte wider. Zahlreiche Autorinnen und Autoren arbeiten anhand des Deutschen Jugendliteraturpreises ein halbes Jahrhundert Kinderliteratur neu auf. In der 188 Seiten starken Jubiläumspublikation „Momo trifft Marsmädchen“ geht es u. a. um Kindheitsbilder und Bewertungskriterien, um die Verlagsproduktion und zunehmende Internationalität der Kinderliteratur, aber auch um Leseförderung und
Literaturvermittlung. Mehr dazu [hier.]http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/Politikbereiche/kinder-und-jugend,did=80372.html

Der _Oldenburger Kinder- und Jugendliteraturpreis_ wird in diesem Jahr nicht vergeben. Die Jury hielt einstimmig keinen der 298 eingereichten Titel für preiswürdig.

Den _Karl-Heinz-Zimmer Preis_ für „verdienstvolles verlegerisches Handeln“ erhält _Michael Zöllner_, Leiter des _Tropen_-Verlages aufgrund seiner „Subjektivität in der Programmgestaltung“.

Der Preis _“Buch des Jahres 2005″_ an rheinland-pfälzische Autoren wurde bereits vor einigen Jahren ins Rahmenprogramm der [Wormser Nibelungen-Festspiele]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=70 integriert. Der mit 1500 Euro verbundene Preis ging an _Gabriele Weingartner_ für ihren Erzählband „Die Leute aus Brody“ (Verlag Das Wunderhorn). Außerdem erhielt _Christa Estenfeld_ für ihren Erzählband „Buffalo Bills Sattel“ (Edition Artfusion) den vom verdi-Fachbereich Medien, Kunst und Industrie Rheinland-Pfalz-Saar gestifteten Sonderpreis der Jury in Höhe von 500 Euro. Den musikalischen Rahmen der Verleihung gestaltete die Bundespreisträgerin „Jugend musiziert“ Julia Panzer (11 Jahre, Cello) und Friedrich Skrabal (Kontrabass) von der Lucie-Kölsch-Musikschule der Stadt Worms. Der Preis „Buch des Jahres“ wird seit 1989 regelmäßig vergeben und durch Fördermittel des rheinland-pfälzischen Kulturministeriums und des verdi-Fachbereichs unterstützt, die Preisverleihung selbst zudem von der Nibelungenlied-Gesellschaft Worms.

Das Label _Hörbuch Hamburg_ verleiht zum dritten Mal den _Osterwold_. Der von Verlegerin Margrit Osterwold gestiftete Preis – eine Skulptur von Volker März – geht 2006 an die Schauspieler und Sprecher _Eva Mattes_ und _Heiko Deutschmann_.

Der erste Platz des _PRIX HÖRVERLAG 2006_, dotiert mit 5.000 € und einer Veröffentlichung auf CD, ging an Stefan Finke und seine kunstvolle Soundcollage _“Das Familienalbum“_. Das Hörspiel, u. a. mit Juliane Köhler, Peter Fricke und Ingo Hülsmann, erscheint am 20. Oktober im Programm des Hörverlags. Der PRIX HÖRVERLAG, der dieses Jahr zum ersten Mal ausgeschrieben wurde, ist der einzige Hörspielpreis, der von einem Verlag vergeben wird, und hat das Ziel, unabhängige Hörspielmacher zu fördern und ihren Werken zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Seit Ende August fehlt bei den „Tagesthemen“ der beliebteste Nachrichtensprecher Deutschlands _Ulrich Wickert_, der aber dafür seit September wöchentlich in der ARD das Magazin „Wickerts Bücher“ moderiert. Aufgrund der Aktualität mit dem Skandal um Günter Grass wurde die erste Sendung um einen Monat auf den 17. August vorgezogen, da Grass im September sowieso in der Planung stand.

_Joachim Fest_ ist am 11. September verstorben. Er war einer der bedeutendsten Publizisten der Nachkriegszeit, bis 1993 Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Seine „Hitler“-Monografie gilt bis heute als ein Meilenstein der Zeitgeschichte. Diese wird demnächst als Band 31 der „Spiegel-Edition“ neu aufgelegt. Seit Erscheinen 1973 wurde sie eine Million mal verkauft.

Die Tochter der Douglas-Holding, die Filialkette _Thalia_, expandiert unaufhaltsam und baut flächendeckend in Deutschland ihren Marktanteil auf. Zuletzt war Anfang des Jahres Gondrom aufgekauft worden (wir berichteten) nachdem letztes Jahr Bouvier/Gonski, Camper, Grüttefin und die Kober-Löffler-Gruppe (75-prozentige Beteiligung) eingekauft wurden. Damit hat die 1919 in Hamburg gegründete Buchhandlung jetzt 173 Läden in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Eigentlich war es immer recht ruhig geblieben. In den 70er Jahren beteiligte man sich zwar an der Montanus-Buchgruppe, aber erst 13 Jahre später übernahm man die Phoenix-Universitätsbuchläden und fusionierte in den neunziger Jahren zur Thalia Holding mit Phoenix und Montanus und kaufte in Münster und Freiburg die Herder-Buchhandlungen. Mit Beginn des neuen Jahrtausends ging es dann aber unerwartet richtig los. In der Schweiz und Österreich wurden Buchläden gekauft, der Internetshop BOL wurde durch buch.de übernommen. In Österreich sind alle Konkurrenten mittlerweile abgehängt, eine Strategie, die auch für die Schweiz verfolgt wird, wo aber noch der Filialist Orell Füssli (Hugendubel hat da 49 % Anteil) vorne liegt. In Deutschland sind weitere Läden geplant. Seit 2001 ist Thalia bei uns auch schon die Nummer 1 im Sortiment und das enorme und rasche Wachstum hat sich mittlerweile verdoppelt. Über einige der letzten Zukäufe wird noch das Kartellamt entscheiden. Aber da Thalia noch weit unter dem maximal erlaubten Marktanteil von 30 % liegt, dürften da keine Einwände kommen. Für die Verlage hat diese Expansion auch Auswirkungen. Thalia macht mehr Umsatz als der Konzern Random House und diktiert den Verlagen Konditionen mit einem Durchsetzungsvermögen, das Produzenten so bislang außer beim Barsortiment nicht kannten. (48 % Rabatt sind bei Thalia üblich.) Genauso schwierig ist es für den übrigen Buchhandel, der sich in seiner Existenz bedroht fühlt. Konzerne haben den längeren Atem: Einige örtliche Buchhandlungen schließen bereits, bevor Thalia einen neuen Laden geöffnet hat, um nicht in einen kostenintensiven Wettbewerb zu treten. Manche Sortimente verkaufen sogar ihr Geschäft direkt an Thalia, um Laden und Lager später nicht unter Wert veräußern zu müssen und ihren Mitarbeitern den Wechsel zu Thalia zu ermöglichen. Es gibt aber auch Läden, die den Kampf aufnehmen. Oder sich, wie Buchhandlung Schlapp in Darmstadt, mit dem Thalia-Konkurrent BuchHabel verbünden. Aufzuhalten sind solche Konzentrationsprozesse längst nicht mehr.

Ende August wurde der Konkurrenzkampf allerdings überraschend in großem Stil aufgenommen. _Hugendubel_ hat im Verbund mit anderen die _DBH Buch Handels GmbH & Co. KG_ gegründet (bestehend aus Hugendubel, Weltbild plus, Wohltat’sche Buchhandlung, Buch Habel und Weiland). Mit dieser GmbH soll die einzigartige Vielfalt der deutschen Buchhandelswelt gesichert werden, denn die unterschiedlichen Partner behalten ihre rechtliche Eigenständigkeit und ihre eigene Geschäftsführung und setzen dennoch auf Synergien. Hugendubel hat damit seine Unabhängigkeit aufgegeben, kann langfristig aber gerade dadurch sein Profil und die Eigenständigkeit bewahren. Der Beirat der Holding ist paritätisch besetzt. Der Verbund ist offen für weitere Partner. Mit einem Paukenschlag hat man Thalia überholt und ist mit einem Umsatz von 672 Millionen Euro, 451 Buchhandlungen und 3436 Beschäftigten zur Nr. 1 im deutschen Buchmarkt aufgestiegen. Die Genehmigung des Kartellamts steht allerdings noch aus, wo es, wie auch bei Thalia, allerdings keine Probleme geben dürfte. Trotz Skepsis atmen sowohl die kleineren Verlage wie auch kleinere Buchhandlungen erstmal auf. Irritiert ist bislang nur der Börsenverein, denn bislang zahlten Hugendubel, Schmorl, Weltbild, Wohltat’sche Buchhandlung, Habel und Weiland getrennt in die Verbandskasse ein. Entschließt sich die neue GmbH – was bislang noch alles rein theoretisch ist –, künftig gemeinsam abzurechnen, bekäme der Verband nur noch einen um mehrfach geringeren Betrag.

Der jetzige Programm-Direktor bei amazon.de wird ab 2007 Geschäftsführer der _MVB Marketing- und Verlagsservice_ der Buchhandels GmbH. Der Börsenverein ist überzeugt, dass seine Erfahrungen mit der Entwicklung des Internets von größtem Wert für die elektronischen Zukunftsprojekte der MVB – das Verzeichnis Lieferbarer Bücher und Volltextsuche online – sein werden. Das Branchenprojekt Volltextsuche online ist startbereit und ein Prototyp wurde auf der jetzigen Frankfurter Buchmesse vorgestellt.

Die _Frankfurter Buchmesse_ ist weiterhin auf Erfolgskurs. Die vermietete Fläche stieg im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um 3,5 %, was auch ein Mehr an Ausstellern – vor allem von kleineren und mittleren deutschen Verlagen – beinhaltet. Die ausländischen Aussteller sind leicht rückläufig, wobei immer mehr aus Asien dazukommen. China hat verdoppelt, Thailand und Taiwan legten um 40 % zu, Japan um 20 %. Die vor zwei Jahren noch als umstritten beurteilte _Frankfurter Antiquariatsmesse in der Buchmesse_ hat sich erfolgreich etabliert. Zur zweiten Messe unter diesem Namen haben sich 30 % mehr Antiquariate als im letzten Jahr angemeldet und damit wurde diese Messe die größte ihrer Art im deutschsprachigen Raum noch vor Stuttgart und Leipzig. Auch in anderen Bereichen gibt es Neuerungen. Zum ersten Mal sind auf der diesjährigen Buchmesse auch _Nonbook-Gemeinschaftsstände_ vertreten, die ihre Produktpaletten präsentieren. Die _Spielwarenhersteller_ sind dagegen bereits zum zweiten Mal auf der Messe vertreten.
Auch sonst gibt es neben dem jährlichen Schwerpunkt des _Gastlandes_, in diesem Jahr _Indien_, weitere Neuerungen. Unter dem Namen _Zukunft Bildung_ soll sich ein Treffpunkt der Buchwelt und eine internationale Plattform für Inhalte und kulturpolitische Diskussionen etablieren. Bausteine des Premierenprogramms Bildung sind der Trendkongress „India on the Rise“, eine „Literacy Campaign“ und ein „Lehrerkongress“. Unter „India on the Rise“ wollen indische Unternehmer und Autoren über den Aufschwung Indiens und die Anstrengung im Bildungsbereich als Voraussetzung dafür diskutieren. Die „Literacy Campaign“ soll über Ursachen von Analphabetismus aufklären und neue Netzwerke für den Austausch von Ideen schaffen. Analphabetismus wird auch ein Thema auf dem 1. Frankfurter Lehrerkongress sein. Mit diesem Angebot soll die Attraktivität der Messe auch für diese wichtige Fachbesuchergruppe gesteigert werden. Wie in jedem Jahr ist zudem die Messe auch ein kulturelles Großereignis: Rund 2500 Veranstaltungen umfasste das Messeprogramm, mehr als 1000 Autoren sowie Film- und Fernsehstars und Vertreter aus Wirtschaft und Politik kommen zur Messe. Für das Programm des Gastlandes Indien kamen 70 indische Autoren und 200 Verlage. Schon 1986 war Indien bereits Gastland der Messe. Aber viele Kritiker zeigten sich schon im Vorfeld enttäuscht vom Angebot indischer Übersetzungen in deutschen Verlagen. Das neue literarische Indien bleibt weitgehend unentdeckt, stattdessen werden die Klischees des exotischen Indiens bedient. Nächstes Jahr ist als Gastland die „katalanische Kultur“ vorgesehen und 2008 wird die Türkei Gastland sein.

Der Blick auf die Comics wird dieses Mal ans Ende gesetzt. Mit Filmstart von _“Superman Returns“_ von Brian Singer (Regisseur der ersten beiden X-Men-Filme) am 18. August hat der _Panini_-Verlag natürlich vermehrt auf den Superhelden gesetzt. Zum einen kam als Heft der Comic zum Film heraus, aber auch als Roman _“Superman Returns: Verschollen“_ die Vorgeschichte zum Film – welche erzählt, was zwischen den Filmen Superman II (1980) und Superman Returns (2006) geschehen ist. Autor des Romans ist Regisseur Brian Singer selbst. Die qualitativen Verlags-Highlights zu Superman haben dagegen mit dem Film im Grunde wenig zu tun haben. Das ist zweifellos der zweibändige Comic _“Superman – Die Rückkehr“_ (siehe Buchwurm-Infos 3/2006) von Jim Lee, der in den USA zur erfolgreichsten Superman-Story der letzten zehn Jahre avancierte. Inzwischen ist Band 2 erschienen. Jeden Monat neu im Heft laufen sowieso _“Superman-Sonderbände“_ wie auch die Reihe _“Superman & Batman“_ (die beiden Helden in einem Team). Außerdem sind unter den Heftreihen besonders hervorzuheben die neuen Reihen _“All Star Batman“_ und _“All Star Superman“_. Dieser neue Batman wird von Frank Miller geschrieben und von Jim Lee gezeichnet. Die Geschichte geht neu geschrieben von Anfang an wieder los, und es sah so aus im ersten Heft, als wäre es eigentlich eine Neufassung der Geschichte, wie Robin dazukam. Aber bereits in der 2. Ausgabe merkte man, dass dem nicht ganz so ist. Die erste Hälfte gehört ganz allein Black Canary, die sehr gewalttätig und verantwortungslos agiert, und Batman und Robin sieht man nur auf drei Seiten. In der zweiten Hälfte dagegen haben die beiden wieder die Oberhand und Batman ist weiterhin ausgesprochen fies dargestellt. Der neue Superman ist ähnlich, auch da begann es erneut noch mal ganz von vorn. Natürlich ist Louis Lane auch hier seine große Liebe und schon im zweiten Heft wird sie für einen Tag zur Superwoman, deren Superkräfte sie aber nicht behalten kann. Und auch Jimmy Olsen ist dabei, ein altbekannter Kumpel von Superman, der von den 50er Jahren bis in die 70er hinein sogar eine eigene Serie hatte. Olsens Verlobte ist übrigens Lucy, die Schwester von Lois Lane.

|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/. |

Nibelungen-Festspiele Worms 2

|Fortsetzung von [Teil 1]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=70 |

_Specials_

Wie in den ersten Aufführungen 2002 und 2003 gibt es immer wieder von Dieter Wedel gedrehte Filmsequenzen auf Großleinwand. Auf die Bühne fahren richtige Autos – ein Jeep und ein Mercedes Cabrio aus Siegfrieds Fuhrpark. Auch ein Pferd – der Schimmel „Sidestep“ aus früheren Inszenierungen – taucht im Stück auf, aber dessen Tod wird durch eine Attrappe dargestellt. Auch drei große Hunde sind mit dabei. Das imposante Eispferd der früheren Jahre wird wieder eingesetzt, 2002 noch aus wirklichem Eis, seit 2003 aber schon aus Plexiglas; es wiegt drei Tonnen und ist vier Meter hoch, 3,5 Meter lang und 1,5 Meter breit. Eingelassene Scheinwerfer geben ihm eine mystische Atmosphäre und aus seinen Nüstern bläst Dampf. Brünhild reitet darauf in den Hofstaat ihres neuen Ehemannes ein. Ein anderes großes Monument ist der Kopf Dankwarts, der ist allerdings aus Styropor. Diese Statue birst auseinander, als Siegfried untermalt von lauten, grollenden Geräuschen an den Burgunderhof kommt. Das geschieht wie bei den Rollcontainern durch Muskelkraft, innen sitzen zwei der fünfzehn Bühnentechniker. Oben auf der Statue liegt Grillkohle, eine Nebelmaschine springt an und die Techniker ziehen an einem Seil. Die Illusion ist perfekt. Nach Siegfrieds Tod brennt ein Tisch und Flammen leuchten im Dunkeln um Siegfried auf. Dies ist ein beeindruckender Trickeffekt, der zustande kommt, indem ein Mitarbeiter unterm Tisch sitzend auf Kommando eine Gasflasche aufdreht.

Auch beeindruckend sind mächtige Rollcontainer, die beim Ablauf die Bühne verändern. Gleich zu Beginn gibt es eine spektakuläre Szene, wenn am Ende der Brautwerbung des finnischen Königs Jukka Thor durch die männermordende Brünhild dieser und seine Begleiter einen grausamen Tod sterben, indem er und seine Mannen in eine sich plötzlich auftuende Gletscherspalte stürzen und auf Nimmerwiedersehen im eiskalten Nebel Islands verschwinden. Diese technische Perfektion geschieht noch durch Manneskraft, denn in den Rollcontainern, die immer wieder auf- oder zugehen, stehen jeweils sechs starke Jungs, die von Stage-Manager Detlef Hahne kommandiert werden. Diese Jungs schieben die jeweils vier Tonnen schweren, auf Schienen und Rollen dahingleitenden, 13 Meter langen Container mit erstaunlicher Präzision in die vorbestimmten Positionen. Auch sonst ist diese Eingangsszene in waberndem Nebelblau für die urzeitliche Szene auf Isenstein und das archaisch anmutende Frauenvolk ein ästhetischer Genuss. Brunhild und ihre Begleiterinnen stehen auf Plaxiglasböden, die von unten angestrahlt werden und die Szene in ein eisiges Licht tauchen.

Detlef Hahne hat zwei Bühnenmonitore zur Verfügung, mit deren Hilfe er das Geschehen auf der Bühne genauestens verfolgen kann, und einen kleineren für die Videoeinspielungen. Er orientiert sich am Textbuch, in das er seine Kommandos notiert hat, wobei er das meiste auswendig kann. Er hat zusätzlich zwei Headsets zur Verfügung, also Kopfhörer und Mikrophone, und ein Mischpult für Lichtsignale.

Eine Ton- und Lichtcrew sorgt im Hintergrund für perfekte Technik. Aus dem 16 Quadratmeter großen Tonstudio hoch oben am Ende der Tribüne wird jeder Lautsprecher verwaltet. Jede Sprechrolle hat eine eigene Taste, jedes Störsignal wird herausgefiltert. Auf Tastendruck werden auch über 400 Lichtquellen, Lampen, Leuchter und Strahler bedient. Gearbeitet wird mit computergesteuerten und programmierten Effektreihen, für den Notfall steht ein manuelles Mischpult bereit. Wichtigstes Werkzeug ist ein hochauflösender Computer. Was hier im Hintergrund gemacht wird, ist sensationell, denn alles ist „wireless“ – also drahtlos und „netzwerkfähig“ und als Technik erst seit kurzem auf dem Markt. Ein Teil der Crew steht auch bereit, um verrutschte Mikrophone wieder in Position zu bringen oder Defekte zu beheben.

Die Bühnentechnik besteht aus etwa 80 Tonnen Stahl, Holz, Licht- und Tontechnik.

Die eingespielten Filmszenen, die viele vor vier Jahren noch als Fremdkörper empfanden, fügen sich nunmehr schlüssig in das Handlungsgeschehen ein und erscheinen durchaus sinnvoll. Sie erscheinen nicht mehr als Lückenfüller, z. B. kann man die eigentliche Hochzeit im Wormser Dom nun originalgetreu von außen stilecht betrachten.

Heftig im Vorfeld der Festspiele wurde eine manchen mit 30.000 Euro zu teuer erscheinende Brücke diskutiert, die dann aber doch billiger wurde als geplant und die Bühne mit dem Heylshofpark verband. Im Vorfeld hatte die CDU diese Brücke kritisiert, sich dann aber doch überzeugen lassen, dass es die einzig praktikable Lösung sei. Aber spätestens bei der Premiere mussten auch alle anderen Kritiker eingestehen, dass diese absolut notwendig war, um möglichst schnell zweieinhalb tausend Menschen in die Pause und zurück bewegen zu können. Für die richtige Festspiel-Atmosphäre war sie unentbehrlich. Erbaut wurde sie durch Spezialisten der Tribünenbaufirma Nüssli (Roth), die auch für die eigentliche Zuschauertribüne zuständig war, deren diesjährige Höhe 13 Meter betrug. Die Firma Nüssli ist im vierten Jahr mit in Worms dabei. Eine solche Anlage wird natürlich auch TÜV-überprüft, aber die Arbeiter haben gute Erfahrungen, denn sie sind auch bei den Olympischen Spielen mit dabei. Die Bühne selbst ist 29 Meter breit, 20 Meter tief und nahe an den Zuschauern, eingebaut waren auch drei Hubpodien. Mit den schon genannten Rollcontainern konnte die Bühne zudem noch unterteilt werden. Da diese auch zusätzliche Türen hatten, konnten dadurch weitere Auftrittsorte genutzt werden. Die Überwachung der Arbeiten unterlag dem technischen Leiter Michael Rütz.

Zum Premierenabend ist das Catering-Equipment mit acht Lastwagen angerückt. 130 Servicekräfte waren im Einsatz und nochmals 40 Köche. Für die 300 Prominenten beim Bürgermeister-Empfang gab es asiatische und andere Leckereien und nach der Premierenvorstellung für die insgesamt 2100 geladene Gäste halben Hummer, verschiedene Wok-Stationen bis hin zu ländlich-edlen Speisen. Das Service-Team mit seinen unzählbaren Hostessen, die auskunftsfreudig jederzeit zur Verfügung stehen, genießt überhaupt einen sehr guten Ruf. Der Catering-Bereich wird seit zwei Jahren vom Personal der Firma „Servcat“ betreut. Für die Schauspieler steht neben vegetarischem Essen Diätkost oder auch mal was Deftiges auf dem Speiseplan. Aber darüber hinaus gibt es auch Kopfschmerztabletten, Tageszeitungen und natürlich tröstende Worte bei zu schwierigen Proben. Im Catering-Bereich trifft sich jährlich über sechs Wochen hinweg ein buntes Völkchen, bestehend aus Technikern, Künstlern, Presse und Organisation. Es stehen insgesamt 25 Container und 20 Zelte um den Dom.

Besonders geschätzt von Aufführungsbesuchern mit etwas mehr Geld wird das VIP-Arrangement. Seit vier Jahren serviert Sternekoch Wolfgang Dubs im historischen Ambiente des Andreasstiftes ein exzellentes Vier-Gänge-Menü mit besten Weinen aus der Region. Danach folgt ein Festspielbesuch mit Plätzen in der ersten Kategorie. Dieses Angebot wird immer beliebter. Seit letztem Jahr wird der komplette Innenhof des Andreasstiftes genutzt, um der stetig steigenden Nachfrage nachkommen zu können. Neu in diesem Jahr ist die Beteiligung der DaimlerChrysler AG, die die Fahrzeuge für den Fahrdienst stellt. Die Gäste werden von zehn exklusiven R-Klasse-Fahrzeugen vom Andreasstift abgeholt und zum Dom chauffiert. Neben VIP-Parkplatz, Hostessenservice und VIP-Lounge in der Pause runden weitere Extras das exklusive Angebot ab. Der Preis für diesen Rundum-Service beträgt 195 Euro.

Auch Menschen, die keine Vorstellung besuchen, können das wunderschöne, illustre Ambiente genießen. Zwar ist für Touristen tagsüber während der Festspielzeit der Park geschlossen, aber ab 18 Uhr ist er offen und es gibt Essen und Trinken zu akzeptablen Preisen. Unter dem Motto „Essen im Park“ ist das Festspielresteraunt geöffnet und offeriert Köstlichkeiten vom Team des Resteraunts „Zum Stolpereck“. Und trotz des durchgehend miesen Wetters lag die Besucherkapazität 150 Prozent über dem Vorjahr.

_Rahmenprogramm_

Die Filmaufführungen der letzten Jahre wie auch das musikalische Open-Air-Programm aufgrund des Musikwettbewerbs vom letzten Jahr fanden nicht mehr statt, wobei viele im Vorfeld damit gerechnet hatten dass die Gruppe _Weena_, welche den glanzvollsten Eindruck hinterließ, nunmehr ihre Rockoper aufführen dürfte. Immerhin spielten sie stattdessen einige Stücke während der Vernissage zur Pop-und-Kitsch-Ausstellung (siehe weiter unten). So bleibt darauf zu hoffen, dass vielleicht im nächsten Jahr die ganze Nibelungen-Oper auch in Worms einmal aufgeführt werden kann. Im gedruckten Rahmenprogramm standen vierundzwanzig Sonderveranstaltungen. Im fünften Jahr ist es zum Ereignis neben dem Ereignis geworden.

_Benefiz-Vorstellung einer kindgerechten Aufführung des Nibelungenstücks_
An einem Sonntagmittag spielte das komplette Ensemble eine Version für Kinder, deren Erlös dem Bau einer Schule in Namibia zugute kommt. Das war eine Premiere – angeregt von Dieter Wedel und Joern Hinkel – in diesem Jahr. Auch hier kostete die Karte nur fünf Euro (wie schon bei der Generalprobe oder auch beim Stück der Nibelungenhorde). Die Vier-Stunden-Version wurde auf 90 Minuten heruntergestrichen und Thilo Keiner, der im Stück schon den finnischen König und den Mundschenk Sindold spielt, trat hier noch zusätzlich als Erzähler auf, der durch die Handlung führt. Er agierte dabei auch im Publikum und stellte direkte Fragen an die zuschauenden Kinder. Gestrichen wurden vor allem die nicht kindgerechten Szenen, wie die Vergewaltigungen der Isländerinnen. Auch zeigte sich Kriemhild (Jasmin Tabatabai) gemäßigt und warf als wütende und betrogene Ehefrau der Brünhild nicht ganz so böse Worte ins Gesicht. Die Schlachtszenen oder wenn der Finnenkönig und seine Mannen auf Island ins Meer stürzen fehlten allerdings nicht. Begeistert feuerten die Kinder mit „Siegfried, Siegfried“-Rufen den Helden an und amüsierten sich sehr, als Gunther unter Gestöhne von Brunhild am Baum hochgezogen wurde. Viel Gelächter gab es auch bei den witzigen Szenendialogen zwischen dem atemlosen Boten und dem Burgwächter Eisermann. Mit Klatschen, Trampeln und Rufen dankten am Ende auch die Kinder den Schauspielern.

_Nibelungenhorde_
Dahinter verbirgt sich ein ehrgeiziges Jugendprojekt für Theaternachwuchs. Die Idee entstand unter anderem durch den Film „Rhythm is it“. Auch dort wurden die schöpferischen Kräfte der jungen Menschen durch Profis aktiviert. Jugendliche sollen ohne besondere Vorbildung animiert werden, Unbekanntes auszuprobieren. Intention des Projektes ist, Interesse an Kultur zu wecken und erlebbar zu machen, indem Parallelen zwischen der eigenen Persönlichkeitsentwicklung und literarischen Figuren gezogen werden – sowie Einblicke in die professionelle Theaterarbeit zu geben. Laut einer Umfrage des ZfKf sind zudem Jugendliche, die sich für Kultur interessieren, toleranter gegenüber fremden Kulturkreisen. Schulen in ihrer traditionellen Form können die Defizite bei der Kulturvermittlung in der Regel nicht alleine ausgleichen. Pädagogischer Ansatz ist, durch professionelle Anleitung Kreativität und Selbstbewusstsein zu fördern sowie persönliche Emotionen und Phantasie einzubringen.
Gesponsert wurde das Ganze von Seiten der Wirtschaft durch Harald Christ, Vorstand der HCI Capital AG, mit einer fünfstelligen Summe. Christ wurde in Gimbsheim geboren und hatte seine Ausbildung bei den Stadtwerken in Worms. Es folgte eine Bilderbuchkarriere. Jüngster Vertriebsdirektor bei BHW, anschließend Direktor der Deutschen Bank in Frankfurt und Berlin, übernahm er die Führung der HCI Capital AG. Noch immer ist er sehr heimatverbunden und sein besonderes Anliegen dabei ist die Förderung von Jugend, Kultur und Bildung. Das Nibelungenprojekt spricht alle drei Bereiche an und passt in seine Strategie. Zudem empfindet er die Nibelungenfestspiele als ein deutschlandweit einzigartiges Kulturereignis. In den nächsten zwei Jahren will er ca. eine Million Euro in verschiedene Projekte der Region investieren, die in eine Stiftung übergehen sollen, damit daraus ein lebenslanges Projekt werden kann. Er legt Wert auf die Feststellung, dass seine Sponsorenschaft aus seinem Privatvermögen finanziert ist.
Das Casting fand im Februar 2006 statt. Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren aus dem gesamten Rhein-Neckar-Raum wurden angesprochen. Aus rund 60 Interessenten suchte Uwe John 43 aus, die kostenlos teilnehmen konnten. Das Projekt wurde von elf zusätzlichen Jugendlichen redaktionell begleitet und später in einem Film, auf Fotos, einer Jugendkurs-Broschüre und einer Website (www.nibelungenhorde.de) dokumentiert. 40 junge Leute (drei waren wohl abgesprungen) erhielten seit dem 26. Juli vier Wochen lang intensive Theaterarbeit, während der der Stoff neu erzählt, die Rollen verteilt und eine passende Musik komponiert wurde. Zur Vorbereitung und zum Kennenlernen trafen sich alle Beteiligten aber schon am 1. April. Mit dabei waren die Teilnehmer der Jugendkurse, das Redaktions-, Dokumentations- und Websiteteam, der Regisseur, die Koordination, die künstlerischen Paten („Allee der Kosmonauten“) sowie der Musiklehrer. Davon stammt auch der zu sehende Trailer des genannten Internet-Links. Gleich mit Beginn der Proben begleitete ein Team des Südwestrundfunks das Projekt und am ersten Tag der Proben gab es schon einen Eindruck in der Sendung „Rheinland Pfalz aktuell“.
Die meisten Jugendlichen hatten sich auf Grund ihres Interesses an der Schauspielerei auf das Projekt eingelassen, aber es gab auch drei (Sissi, Swantje und Jens), die es aufgrund ihrer Mittelalter- und Rollenspielbegeisterung tun. Geprobt wurde acht bis zehn Stunden am Tag an sechs Tagen die Woche. Jeden Samstag wurde mit allen an der Textfassung des Nibelungenstücks gearbeitet. Es ging nicht um das Ergebnis, sondern um die Ausbildung. So sah man das Ergebnis auch eher als Werkschau denn als Theaterstück. Aber die Aufführung im Wormser Festhaus mit einer Länge von eineinhalb Stunden war beeindruckend, gut besucht und wurde mit stehendem Applaus belohnt.
Das Stück, das gar keinen eigenen Namen hat, handelt von Siegfried (Gianmarco Steinhauer aus Worms), dem Helden aus Xanten, der im Grunde das Gleiche erlebt wie auch in der originalen Geschichte. Er trifft Brunhild (Marie-Luise Raumland aus Flörsheim-Dalsheim), besiegt den Drachen, schlichtet den Streit der Nibelungenkönige mit dem Schwert und erhält so den Hort. Er holt, weil ihm Kriemhild dafür versprochen wird, Brunhild an den Wormser Hof – allerdings im Alleingang und rottet dabei die gesamten Isländer aus. Ulrike Schäfer von der Wormser Zeitung betont dabei als großen Unterschied zur Vorlage, dass Siegfrieds Heldentum von Anfang an problematisiert wird, Brunhild liebt ihn zwar, aber er ist ihr zu äußerlich, zu ungar. „Ich weiß, dass du zwar alles zerquetschen kannst, aber wichtiger ist mir deine Seele“. Deshalb rät sie ihm zu lernen, sich weiterzuentwickeln. Siegfried aber gelingt es nicht, aus seinen Erfahrungen Lehren zu ziehen. „Wenn du sie besitzen willst, ohne sie zu lieben, kann es dich dein Leben kosten“, rieten die Isländer dem jugendgerechten Siegfried gleich zu Beginn. In dieser Version wird Siegfried also von Brunhild abgewiesen.
Die Interpretation der Nibelungenhorde orientiert sich an den mythologischen Vorbildern, ist aber in die Gegenwart transportiert. Es sind Gangs, die das Sagen haben, die Burgunder, die Dragons, die Nibelungen, es geht um Geld, Drogen, Besitz, Macht. Auch die Nibelungen selbst sind nichts anderes als eine Hinterhofgang mit kaputten Autos, koketten Bräuten, einem abgedrehten Giselher und einem Volker, der mit Gitarre und coolen Sprüchen ständig Frauen abschleppt. Dem steht die naturverbundene Brunhild entgegen, für die innere Werte und die Bildung der Seele eine entscheidende Rolle spielen. Kriemhild dagegen ist eine bildhübsche, schmollmündige Diva mit Neigung zu Klunkern und schicken Schuhen. Der Streit der Königinnen dreht sich dann hauptsächlich um Weltanschauungen. Die durch Siegfried komplett vernichteten Isländer kriechen am Ende noch mal als Geister heran. Doch dann fällt auch schon der Schuss und das ist bereits Ende.
Das Stück ist mit sparsamen, aber effektvollen Mitteln in Szene gesetzt. Die Darstellung der Drachengang, die wie ein Riesenleib aus vielen beweglichen, stampfenden und kämpfenden Teilen erscheint, begeistert ebenso wie der Chor der Isländer, der durch präzise Koordination eine starke Wirkung erzielt. Eingeübt wurde diese Drachenchoreografie von Warren Richardson (STOMP), die an einem Wochenende zusammen mit der Choreografie von Siegfrieds Tod einstudiert wurde. Die witzige Charakteristik der Figuren überzeugt genauso wie die Umsetzung der Handlung, der Reichtum der Dialoge, die plausible Übertragung auf die heutigen Verhältnisse.
Initiatorin und Projektkoordinatorin ist Astrid Perl-Haag, Regisseur ist Uwe John, Antje Brandenburg Sprachtrainerin, Jannis Spengler Körpertrainer, Philipp Pöhlert-Brackrock Musikimprovisateur und Warren Richardson Choreograf. Täglich wurde unter der Leitung von Uwe John, dem Regieassistenten von Dieter Wedel, mit den namhaften Trainern gelernt, geprobt und einstudiert in verschiedenen Bereichen wie Improvisation oder Körper- und Sprachtraining. Auch erhielten sie Einblick in die „professionelle“ Theaterarbeit bei den Festspielen, besuchten deren Proben und sahen natürlich auch eine der Aufführungen. Auch mit Moritz Rinke wurde gearbeitet, der von seiner Dramaturgie erzählte. Und unter der Anleitung von Thomas Haaß und Karsten Rischer bekamen sie Fechtunterricht. Eine dieser Fechtstunden wurde von einem Fernsehteam des Südwestrundfunks gefilmt, das sich gerade auf Motivsuche für die Sendereihe „Fahr mal hin“ auf den Spuren der Nibelungen bewegte.
Das Projekt geht weiter. Durch diese Jugendkurse ist ein Anfang für Jugend-Kultur im Rhein-Neckar-Raum gemacht worden, der sich in Kooperation mit Schulen und Jugendorganisationen weiter fortsetzten wird. Als nächstes werden die Songs der „Nibelungenhorde“ mit der bekannten Rockband „Allee der Kosmonauten“ (Mischa Martin aus Kaiserslautern – Gesang – und Jürgen Fürwitt – Schlagzeug – waren von Anfang an schon die künstlerischen Paten und unterstützten die Jugendlichen in ihrer Arbeit) auf CD erscheinen. Die Band bietet deutschsprachige Rock- und Popmusik mit hochrangigem Songwriting. Bekannt wurden sie durch den Song „Du bist nicht allein“. Selbstgestaltete Schweineplastiken mit Signierungen der Schauspieler werden in Zusammenarbeit mit der Sparkasse versteigert, deren Erlös dem Projekt zukommt.

_Ausstellung: Die Nibelungen – Pop und Kitsch_
Während der Festspiele gab es im Historischen Museum Andreasstift eine Ausstellung der besonderen Art mit Nibelungen-Sammlungen seit den 60er Jahren. Private Leihgeber haben die Ausstellungsgegenstände zur Verfügung gestellt. Der größte Teil stammt von Andreas Grünewald aus Weimar, der auch seit 2003 Mitglied der Nibelungenlied-Gesellschaft ist. Grünewald kommt deswegen öfter zu den Sitzungen der Gesellschaft nach Worms, natürlich jedes Jahr zu den Festspielen oder auch wie im April dieses Jahres zur „Höfischen Tafel“ im Andreasstift. Zur Vernissage begrüßte Bürgermeister Georg Büttler; Werner Marx hielt eine Einführung in die Ausstellung und gab eine Definition von Kitsch. Dr. Olaf Mückain vom Nibelungenmuseum sprach die Dankesworte und die Gruppe „Weena“ begleitete musikalisch mit Ausschnitten aus ihrer Nibelungen-Oper. Für die Besucher gab es Sekt und kleine Leckereien. Unter ihnen war auch der ehemalige Kulturdezernent Gunter Heiland. Im Grunde ist diese Ausstellung ganz trivial und zeigt auf, was Comics, Sexfilme und Sammelbilder mit den Nibelungen zu tun haben. Zusätzlich wurde als Ergänzung im Nibelungenmuseum im dortig ehemaligen „Schatzraum“ und jetzigen „Mythen-Labor“ eine Kabinettausstellung mit Kinoaushangbildern und Plakaten der Nibelungenfilme der 60er Jahre („Die Nibelungen“, Teil 1 und 2 von Harald Reinl sowie „Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen“ mit Raimund Harmsdorf) gezeigt. Zusätzlich präsentierte das Nibelungenmuseum zur Ausstellung innerhalb des jährlichen Museumsprogramms einen Vortrag mit Daniel Dietrich aus Ludwigshafen, der den Einflüssen der Mythen auf moderne Filmklassiker nachging. Dazu wurden entsprechende Ausschnitte der einschlägigen Filme von George Lucas, John Boorman und Harald Reinl gezeigt. Die Beispiele machten deutlich, dass die lichten Gestalten und diabolischen Figuren von Kultstreifen wie „Star Wars“, „Excalibur“ oder „Der Fluch des Drachen“ ihre Faszinationskraft aus den Archetypen antiker und vor allem mittelalterlichen Sagenquellen beziehen. Im Worms-Verlag ist für acht Euro ein gleichnamiger Katalog zur Ausstellung erschienen. Die Ausstellung „Nibelungen – Pop und Kitsch“ war die erste städtische Nibelungenausstellung zu Kunst (wenn auch Kitsch) seit 25 Jahren. Damals wurde „Das Nibelungenlied in der deutschen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“ ausgestellt.

_Heike Makatsch: Liebeslyrik von Bob Dylan und Walter von der Vogelweide_
Zwar trennen die beiden 800 Jahre, aber sie haben viel gemein. Beide sind Außenseiter und Revolutionäre, geben in jungen Jahren ihre Heimat auf, um auf Wanderschaft zu gehen und mit ihren Liedern zu bezaubern und zu entzaubern. Bei beiden stehen die großen Themen Liebe und Gesellschaftskritik im Mittelpunkt. Sie genießen bereits zu Lebzeiten ein großes Publikum, sie singen von den Ärmsten und den Reichsten, Bob Dylan wird als einziger Songtexter sogar für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Und beide misstrauen ihrem eigenen Ruhm. Sie suchen vor allem nach einem: nach Freiheit und Unabhängigkeit vom Staat und von der Liebe. Film- und Fernsehstar Heike Makatsch hatte diese Lesung eigens für die Nibelungen-Festspiele zusammengestellt. Mitgeholfen an der Zusammenstellung hat ihr Joern Hinkel, der Regieassistent von Wedel, der das Projekt auch initiierte. Heike Makatsch hatte er 1999 eher zufällig beim Casting von Dieter Wedels „Affaire Semmeling“ kennen gelernt und seitdem hatten sie vor, etwas zusammen zu machen.
Heike Makatsch hatte 1995 in der Komödie „Männerpension“ von Detlev Buck ihren ersten Kinoauftritt. Dann folgte ein Filmhit nach dem anderen: „Aimée und der Jaguar“, „Nackt“ oder „Bin ich schön“. Im Fernsehen beeindruckte sie vor allem in Wedels Mehrteiler „Die Affaire Semmeling“ und in „Das Wunder von Lengede“. Seit 1999 ist sie auch im Ausland erfolgreich durch „Tatsächlich … Liebe“ neben Hugh Grant, Emma Thompsen und Liam Neeson.

_Ben Becker: Lesung aus „Berlin Alexanderplatz“_
Der Schauspieler Ben Becker las im Spiel- und Festhaus aus dem Roman von Alfred Döblin. Zwar gibt es keinen Bezug vom Roman oder Ben Becker zu den Nibelungenfestspielen, aber das war bislang bei der Auswahl des Rahmenprogramms auch nie entscheidend. Selbst Berliner und zudem bestens vertraut mit dem Roman durch die Inszenierung am Maxim Gorki Theater, für die Hörbuchlesung und Bühnenfassung, war er geradezu prädestiniert, dies in Worms zu tun. Die Leseszenen wurden zurückhaltend und sparsam musikalisch von Jacki Engelken und Ulrik Spies mit Geräuschtupfern untermalt. Drei Stunden las Becker kraftvoll mit tief vibrierender Stimme und dabei die Hauptfigur in authentischem Berliner Dialekt sprechend. Schon zur Pause wurde frenetisch applaudiert, da die meisten dachten, es sei schon Schluss. Am Ende wurde dann entsprechend genauso applaudiert. Anfragen, ob er im nächsten Jahr als Darsteller bei den Nibelungen-Festspielen dabei wäre, verneinte er. Er sei auf die nächsten zwei Jahre ausgebucht.

_Christian Quadflieg: Heinrich Heine_
Heine ist nach wie vor in Deutschland umstritten und wird von vielen als „Nestbeschmutzer“ kritisiert. Aber nach Johann Wolfgang von Goethe ist er sicherlich der größte Lyriker deutscher Sprache, nach Thomas Mann gar „die schönste deutsche Prosa bis Friedrich Nietzsche“. In diesem Jahr las Christian Quadflieg, der letztes Jahr Friedrich Hebbel las, aus Heines Lyrik, vor allem dessen „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Die Veranstaltung fand im ganz neu erst eröffneten Lincoln-Theater der Stadt Worms statt und war wie die meisten Veranstaltungen des Rahmenprogramms früh ausverkauft.

_John von Düffel: Das Heroische und das Meer_
Düffel betreut seit 2002 die Nibelungenfestspiele als Dramaturg und las dieses Jahr im Rahmenprogramm Wassertexte von Schwimmern und anderen Heroen des feuchten Elementes aus seinen Bestseller-Romanen „Vom Wasser“ und „Houwelandt“.

_Theaterbegegnungen_
Dieses eintägige Event gehört zum Qualitativsten des jährlichen Rahmenprogramms.
Diesmal fand es nicht mehr wie früher im Herrnsheimer Schloss statt, sondern direkt im Heylshofpark neben der Festspielbühne am Dom. Glücklicherweise in großem Zelt, denn es prasselte den ganzen Tag sintflutartig der Regen, was aber nicht davon abhielt, die Theaterbegegnungen zu besuchen. Das Zelt war gut gefüllt. Es beginnt morgens immer mit Vorträgen, die im zweiten Jahr das Selbstverständnis der Deutschen zum Thema hatte. In diesem Jahr sprach Volker Gallé über „Die Sage vom Ursprung: Selbsthass und seine Folgen“, Wolf-Gerhard Schmidt über „Kelten, Germanen und Skandinavier – deutsche Identität in der Literatur zwischen Aufklärung und Romantik“ und Christian Liedke über „Heine und die Deutschen“. Liedke hatte sogar noch eine fußballweltmeisterliche Deutschlandflagge ans Vortragspult gehängt und lobte das neu entstandene Nationalgefühl. Allerdings war dieser Bezug zur WM-Euphorie eher ironisch gemeint, denn in seinem Beitrag ging es dann auch ausdrücklich um Heines Kritik an jeder Form von Nationalismus.
Danach sang Jasmin Tabatabai Lieder von Helden und großen Lieben. Es gehört zur Tradition der Festspiele, dass Stars und Publikum sich in kleinem Rahmen begegnen und immer wieder tragen die Stars auch zur Programmgestaltung bei. Jasmin Tabatabai saß – wie sie sagte, gerade aus dem Bett gefallen und noch völlig müde von den anstrengenden Aufführungen – mit ihrer Gitarre allein auf der Bühne. Sie ist aber als Musikerin genauso erfolgreich wie als Schauspielerin. Sie war die Sängerin der Frauenband „Even Cowgirls get the Blues“, komponierte fast den ganzen Soundtrack und sang die Songs zu dem Film „Bandits“ (wofür sie 1997 mit über 700.000 verkauften CDs eine goldene Schallplatte bekam) und brachte das viel beachtete Soloalbum „Only Love“ heraus.
Danach fand die Talkrunde „Der Held meiner Träume – der Traum vom Helden“ mit Regisseur Dieter Wedel, dem Literaturkritiker Helmut Karasek (der irgendwie noch bei der ZDF-Sendung zum Brecht-Jubiläum hängen geblieben schien, anstatt schon bei den Nibelungen gelandet zu sein), dem Siegfried-Darsteller Robert Dölle, der Journalistin Heike-Melba Fendel (Cosmopolitan, Marie-Claire, SZ-Magazin), dem Chefredakteur der BUNTEN, Paul Sahner, dem Oberstabsarzt der Bundeswehr Dr. Rico Deterding (er versorgte in Pakistan Erdbebenopfer) und dem Journalisten Rüdiger Suchsland als Moderator statt. Dieser Talk war sehr vergnüglich mitzuerleben, denn die Meinungen gingen weit auseinander. Besonders als Karrasek den verstorbenen Showmaster Rudi Carrell aufgrund dessen Umgangs mit seinem Tod als Helden bezeichnete, kam es zu starken Differenzen. Paul Sahner und Dieter Wedel sahen es wie Karrasek, dass dessen letzter Auftritt bei der Verleihung der Goldenen Kamera ein höchst würdevoller Akt gewesen sei. Dr. Rici Deterling dagegen sah darin kein Heldentum, vor allem da viele „Unbekannte“ auch an dieser Krankheit „unbekannt“ sterben. Und Heike-Melba Fendel befand Karrasek gar als zu „sentimental“ und bezeichnete die Art des Sterbens von Carrell als ein in der Medienlandschaft normales PR-Projekt, um möglichst beispielsweise in die BUNTE zu kommen. Was ein Held ist, kam bei der Debatte trotz vieler angesprochener Möglichkeiten nicht heraus, im Grunde verzettelte sich das Podium dabei immer mehr. Sogar Dieter Wedel selbst kam in die Auswahl, da er es wagte, in einer Titelgeschichte der BUNTEN zu gestehen, dass er mit zwei Frauen lebt. „Das hat uns 100.000 mehr Auflage gebracht“, bemerkte dazu Paul Sahner und forderte ein Denkmal für Wedel in Worms. „Wenn der so alt wird wie Johannes Heesters, habt ihr noch 40 schöne Jahre vor euch“. Nicht nur Männer, auch Frauen wie Sophie Scholl oder Mutter Theresa kamen in die Auswahl. Aber erneut sorgte Karrasek für Unmut, als er Condoleezaa Rice nannte, und dann kamen auch noch Maggie Thatcher und Angela Merkel in die Vorschlagsliste. Obwohl Moderator Rüdiger Suchsland am Ende den Faden verlor, war die Diskussion insgesamt recht fesselnd.
Aufgrund der halbstündigen Überziehung fand die wenige Meter weiter im Heylsschlösschen stattfindende Wiederholung einer letztjährigen Aufführung unter Leitung von Dr. Ellen Bender und Petra Riha von der Nibelungenlied-Gesellschaft mit literarischen Szenen und Erläuterungen zum „Rollenspiel der Geschlechter – Höfische Liebe zur Zeit des Nibelungenliedes“ nicht das erhoffte Publikum. Dies blieb im Zelt und sah noch den Abschluss des Tages mit Stephan Krawcyk, ausgezeichnet mit dem Preis „Das unerschrockene Wort“ der Lutherstädte, der seine Version von Heldentum zu Gehör brachte. Er besang dies in poetischen Liedern, rühmte die Liebe in vielen Facetten und las erheiternde Passagen aus seiner Biografie vor.
Alle Vorträge der Theaterbegegnungen finden sich [hier.]http://www.o-ton.radio-luma.net/php/130806__vortraege__nibelungenfestspiele-worms__2006.php

_Vortragsreihe der Nibelungenlied-Gesellschaft_
Auch diese täglich morgens bei freiem Eintritt stattfindende Vortragsreihe hat Tradition. Die einzelnen Vorträge dieses Jahr waren „Rückfall in die Barbarei – Medea und Kriemhild“ von Erwin Martin, „Elemente nationalsozialistischen Gedankenguts in Werner Jansens Nibelungenroman von 1916“ von Hans Müller, [„Der Zorn der Nibelungen“ 2609 von Irmgard Gephardt, „Motive antiker Sagen im Nibelungenlied“ von Eichfelder, „Nibelungendenkmäler in Worms“ von Gernot Schnellbacher, „Die Nibelungen – Pop und Kitsch (Vortrag zur Ausstellung)“ von Olaf Mückain und „Otto Höfler und Bernhard Kummer – Nibelungenforscher im NS-System“ von Volker Gallé. In der Regel erscheinen sämtliche Vorträge auch Internet unter www.nibelungenlied-gesellschaft.de. Eine Buchpublikation sämtlicher bisheriger Vorträge ist ebenso geplant.

_“Die Zaubergans“ – eine sinfonische Dichtung für Orchester, Chor und Solisten_
André Eisermann, der bei der Nibelungenaufführung den Burgwächter spielt, las und führte durch den Abend mit der Lucie-Kölsch-Jugendmusikschule und dem Chor des Rudi-Stephan-Gymnasiums (über 100 jugendliche Mitwirkende) unter Einstudierung von Daniel Wolf. Unter der Leitung von Reinhard Volz sind die Solisten Heike Dentzer, Christina Röckelein sowie Danilo Tepser und Martin Risch angetreten. Der Komponist Jakob Vinje hat als literarische Grundlage dafür eine jiddische Erzählung aus dem „Wunderbuch“ des Wormser Synagogendieners Juspa Schammes benutzt. Die 1669 in Amsterdam erstmals gedruckte „Wundergeschichte aus Warmaisa“, dem jüdischen Worms, hat 1905 der jüdische Historiker Samson Rothschild in konzentrierter Form und in deutscher Sprache veröffentlicht. Sie handeln von Verfolgung und Errettung aus Bedrohung und Not, von wundersamen Ereignissen und geheimnisvollen menschlichen Verstrickungen. Es handelt sich um eine jüdische Sage aus dem 14. Jahrhundert, die die Koexistenz von Juden und Christen im mittelalterlichen Worms zum Thema hat. Die Geschichte gibt es auch als Buch in einer neuen Bearbeitung durch die Journalistin Ulrike Schäfer und den Historiker Dr. Fritz Reuter, ergänzt durch weitere Texte sowie einen ausführlichen Kommentar.
Nach der erfolgreichen Zusammenarbeit der Wormser Lucie-Kölsch-Jugendmusikschule und dem Hamburger Komponisten Jakob Vinje bereits bei den Nibelungenfestspielen von 2002 und 2003 erhielt dieser einen Kompositionsauftrag der Stadt Worms, aus dem die „Zaubergans“ entstand. Premiere der Aufführung war bereits im letzten Jahr zu den Festspielen. Der Handlung der Sage hat Vinje eine Reihe von Gedichtvertonungen von Lasker-Schüler, Trakl, Rilke, Brecht u. a. gegenüber gestellt, die eine Art emotionalen Handlungsfaden bilden und die Erzählung musikalisch interpretieren. Eisermann wirkte in diesem Jahr dabei erstmals mit und erzählte mit eindrücklicher Intensität von der Geschichte zur Zeit der Pest, als in Worms die Juden beschuldigt wurden, die Brunnen vergiftet und den Krankheitsausbruch damit ausgelöst zu haben. Im Grunde ist es eine blutrünstige Geschichte, bei der fast alle Juden ausgelöscht und die Überlebenden mit der „Zaubergans“ ausfindig gemacht und dann ebenso getötet werden. Erst ein Pfarrer bereitet dem Treiben ein Ende und beweist den „Gläubigen“, dass auch auf dem Kirchdach eine Gans sitze, was den Mob überzeugen kann, das Morden einzustellen.

_Das Blaue Einhorn – Chansons aus der ganzen Welt_
Die Band „Das Blaue Einhorn“ aus Dresden bot Klezmer, Lieder und Tänze der Juden und Roma, Chansons, Fado, Rembetiko und Tangolieder. Der Name der Gruppe stammt von einem Fabelwesen, von dem der kubanische Sänger Silvio Rodrigues in seinem Lied „Unicornio“ erzählt, das mit seinem Horn Gesänge aus der Nacht einfängt. Seit zwölf Jahren macht die Gruppe Furore in der deutschen Folk- und Weltmusikszene und es gibt nur wenig andere Bands, die so stilsicher und gefühlvoll eine solche Vielzahl an Kulturen mischen, stilistisch und musikalisch aber über die Originale hinausgehen, indem sie etwas durch und durch Eigenes machen, das Ursprüngliche aber trotzdem erfüllen. Eingesetzt werden Gesang, Akkordeon, Trompete, Bauchgeige, Gitarre, Kontrabass, Cello, Bouzouki und Waldzither.

_Estampie-Konzert: Mittelalter trifft auf Moderne_
Erstaunliche Parallelen zwischen der Moderne und dem Mittelalter spiegeln sich in der Musik von Estampie wieder. Ihre Wurzeln liegen in der vielgestaltigen Musik und der komplexen Gedankenwelt des Mittelalters, ihre Inspiration beziehen die Musiker aus allen Bereichen gegenwärtiger musikalischer Ausdrucksformen. Estampie geht Einflüssen aus modernen Stilrichtungen wie Minimal Music, außereuropäischer Musik bis hin zur Popmusik nicht aus dem Weg. Estampie sucht die Begegnung und Überschneidung mit anderen Stilarten, denn dieser Crossover verstärkt die einzigartige Wucht und Schönheit, die in der Musik des Mittelalters liegt. Der Band-Name stammt von einer Tanzform des Mittelalters. Das Wort ist altfranzösisch und kommt vom Ausdruck für „stampfen“. Sie spielten im Wormser Dominikanerkloster.

_Yoshi Oida: „Interrogations“_
„Interrogations“ ist Körpertheater des japanischen Schauspielers Oida, das ohne Kulisse, Dekor und optische Effekte auskommt. Es lebt vom direkten Kontakt zwischen Schauspieler, Musiker, Publikum und dessen Konzentration und Imagination. Im Mittelpunkt der Performance steht die Praxis des Zen. Der Zen-Meister stellt viele Fragen an seine Studenten und auch Yoshi Oida richtet Fragen an das Publikum. Dieses ist eingeladen, Antworten zu finden durch Betrachtung und Wahrnehmung des Spiels von Oida und das Hören der Musik von Dieter Trüstedt.
Yoshi Oida wurde in Japan geboren und studierte dort Philosophie, die Künste des Nó-Theaters und des Kabuki. Er ging 1968 nach Paris und begann seine Karriere an der Seite von Peter Brook. Eigene Regiearbeiten folgten. Als Filmschauspieler arbeitete er mit Peter Greenaway und Joào Mario Grillo zusammen. Seit 1975 unterrichtet Oida in vielen Ländern Europas. Dieter Trünstedt ist promovierter Physiker und Künstler und spielt seit 1984 die Musik zu „Interrogations“ weltweit. Yoshi Oida ist nicht nur Künstler, sondern auch begnadeter Lehrer. Neben der Performance „Interrogations“ veranstaltete er während der Festspielzeit zusätzlich einen einwöchigen Workshop für junge Schauspielschüler, basierend auf den Praktiken der japanischen Kultur und des Nó-Theaters. Didaktisch befasst sich Oida mit der Entwicklung von Stimme und Körper. Im Zentrum stehen die verschiedenen Ausdruckselemente des Selbst und die Beziehungen zwischen den Schauspielern. Ursprünglich im Spiel des japanischen Nó-Theaters ausgebildet, arbeitet er mit der Avantgarde des modernen japanischen Schauspiels zusammen und setzte seine künstlerische Entwicklung in Europa fort. Der Kurs war auf 20 Personen begrenzt, unterrichtet wurde in Englisch.

_Siegfrieds Nibelungenentzündung – Darmstädter Kikeriki-Theater_
Seit drei Jahren ist dieses Blechspektakel mit im Rahmenprogramm, immer binnen weniger Tage ausverkauft und somit ein Dauerbrenner im Kulturprogramm der Festspiele. Dieses Jahr an zwei Tagen im Spiel- und Festhaus. Das Spektakel dreht sich um Siggi, Albi und den smarten Lindwurm und erzählt die Geschichte der Nibelungen, wie sie wirklich war. Vorgetragen in breitestem Hessen-Dialekt, gewürzt mit deftigen Sprüchen und immer wieder verfeinert durch verblüffend schlagfertige Situationskomik.

_“Der letzte Drache“ – Mitmachstück für Kinder_
Hier konnte der ganz kleine Schauspielnachwuchs ab vier Jahren sein Können in der Jugendbücherei unter Beweis stellen. Und über 100 Kinder standen zur Vorführung auch mit ihren Eltern Schlange für das Einpersonenstück zum Mitmachen.

_Verleihung „Buch des Jahres 2005″_
Dieser Preis an rheinland-pfälzische Autoren wurde bereits vor einigen Jahren ins Rahmenprogramm der Festspiele integriert. Der mit 1500 Euro verbundene Preis ging an Gabriele Weingartner für ihren Erzählband „Die Leute aus Brody“ (Verlag Das Wunderhorn). Außerdem erhielt Christa Estenfeld für ihren Erzählband „Buffalo Bills Sattel“ (Edition Artfusion) den vom verdi-Fachbereich Medien, Kunst und Industrie Rheinland-Pfalz-Saar gestifteten Sonderpreis der Jury in Höhe von 500 Euro. Den musikalischen Rahmen der Verleihung gestaltete die Bundespreisträgerin „Jugend musiziert“ Julia Panzer (11 Jahre, Cello) und Friedrich Skrabal (Kontrabass) von der Lucie-Kölsch-Musikschule der Stadt Worms. Der Preis „Buch des Jahres“ wird seit 1989 regelmäßig vergeben und durch Fördermittel des rheinland-pfälzischen Kulturministeriums und des verdi-Fachbereichs unterstützt, die Preisverleihung selbst zudem von der Nibelungenlied-Gesellschaft Worms.

_Sonstiges_

Am 12. Mai war es so weit und das neue Ensemble und das Rahmenprogramm wurden im Weingut Schloss Wachenheim der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit Dieter Wedel sind neben Moritz Rinke die Kriemhild-Darstellerin Jasmin Tabatabai und die Darstellerin der neu erfundenen Figur Isolde, Sonja Kirchberger, in die Pfalz gekommen. Die Anekdoten, die sie auf dem Podium erzählten, waren so amüsant wie aufschlussreich. Wedel liebt das Unerwartete, Überraschende. So hat er die zarte, dunkelhaarige, in Teheran geborene Tabatabai nicht für die traditionell dunkle Brünhild verpflichtet, sondern eben für die urdeutsche Kriemhild. Auf sie gekommen war er durch eine Talkshow, in der sie heftig mit einem Maler gestritten hatte.
Rinke war recht überrascht gewesen, aus seinem Stück einen Zweiteiler machen zu sollen, hatte aber schnell die Chancen erkannt, die sich dadurch ihm bieten. „Ich habe dafür Wedel verflucht, jetzt könnte ich ihn küssen“. Um Brünhild – das Stück heißt ja „Siegfrieds Frauen“ – mit aufzuwerten, hat er als Gesprächspartnerin die Isolde dazuerfunden, eine höchst vitale Person, die dem ganzen Burgunderhof, einschließlich Hagen, den Kopf verdreht.
Vertreter der Politik und der Wirtschaft hatten ebenso das Wort und Ben Becker stellte das Rahmenprogramm der Festspiele vor. Das Schlusswort hatte dann Dieter Wedel selbst, und als eigentlicher Hauptstar der ganzen Sache erzählt er auch immer am längsten.

Eine Woche nach der Pressekonferenz auf Schloss Wachenheim füllte sich dann bereits die Gästeliste für die Premiere. Fast alle bekannten Prominenten, die erschienen (siehe den Anfang des Essays) standen da schon fest und den meisten, die im vergangenen Jahr bei der Premiere dabei waren, hat es so gut gefallen, dass sie die diesjährige offenbar nicht verpassen wollten.

Die Repräsentanten des öffentlichen Lebens in Worms konnten schon sehr früh im Juli mit den Nibelungen-Stars plaudern. Jährlich lädt der Oberbürgermeister diese zum Empfang ins Herrnsheimer Schloss ein. Dazu war auch Dieter Wedel mit einer ganzen Riege des Ensembles gekommen. Ganz offensichtlich war das für Jasmin Tabatabai, Valerie Niehaus oder Renate Krößner (die ihre Rolle als Ute kurz darauf wieder von Wedel gekündigt bekam) keineswegs ein „Pflichttermin“. Es gab Wein der Wormser Jungwinzer, die sich zur Gruppe „Vinovation“ zusammengeschlossen haben, außerdem viele Gespräche bis zum späten Abend. Auch Dieter Wedel hatte es nicht eilig und plauderte über seine neue Inszenierung. Solch ein Jahresempfang hat viele Programmpunkte und der Park war bis zum späten Abend bevölkert.

Das komplette Ensemble konnte dann zum ersten Mal komplett „bestaunt“ werden an dem Tag, als die Proben mit einer Leseprobe des kompletten neuen Rinke-Textes begann. Bevor diese begann, lud Dieter Wedel zum nächsten kurzen Pressetermin, ein Zeitpunkt, zu dem sich das Ensemble selber zum ersten Mal sah, aber zum Teil auch herzlich in die Arme fiel. Von der alten Besetzung waren ja nur noch Wolfgang Pregler, André Eisermann und Thilo Keiner übrig geblieben.

Erstmals begann man auch gezielter auf Messen für die Nibelungen-Festspiele zu werben. Eigentlich tritt bislang die Stadt Worms ja nur auf der Touristikmesse in Berlin auf, aber dabei nicht nur Festspiel-bezogen. Nunmehr gab es aber einen Auftritt auf der Nibelungenland-Ausstellung in Viernheim, was für viele dortige Besucher interessant war, die rege die Möglichkeit des Ticketkaufs am Stand nutzten. Dass nun mehr über Messen getan wird, liegt vor allem an den Stadtmarketing-Aktivitäten des neuen Stadtmanagers Stefan Pruschwitz.

Mit all den kurzfristigen Ideen ist es für Wormser vielfältig möglich, irgendwie an den Festspielen direkt beteiligt zu sein. Alles Mögliche, was spontan gebraucht wird, ist in der Wormser Zeitung mit entsprechender Telefonnummer ausgeschrieben. So z. B. das Hundecasting, der Saxophonist und Fanfarenbläser, aber auch ein Holzleiterwagen mit Platz für acht Personen, fahrtauglich für den Einsatz in der Sachsenschlacht, wurden auf diese Weise von der Requisitenabteilung gesucht.

Sogar die Natur unterstützte – abgesehen vom tatsächlichen Wetter während der Aufführungen – mit einem Omen die diesjährigen Festspiele. Ein Zeitungsleser schickte ein entsprechendes Bild vom Wormser Himmel an die WZ, das diese auch abdruckte. Dort sieht man im blauen Abendhimmel exakt das Kreuz des Nibelungen-Logos der Festspiele, gebildet durch zwei Kondensstreifen.

Sehr vergnüglich sind die täglich stattfindenden _öffentlichen Pressegespräche_ mit allen Schauspielern unter Moderation der Wormser Zeitung. Im letzten Jahr hat diese Veranstaltungsidee begonnen und dort kann jeder Interessierte die Schauspieler aus direkter Nähe ohne Kostüm sehen und hören. Im lockeren Gespräch erzählen die Ensemblemitglieder über sich, die Festspiele und ihre beruflichen Erlebnisse und Pläne. Der Eintritt dabei ist frei.

Zwar kam der Innenminister Wolfgang Schäuble aufgrund der versuchten Terroranschläge in London nicht zur Premiere, aber für seine Sicherheit wurde großer Aufwand betrieben. Beamte des Bundeskriminalamts sondierten den Heylshof, den Park und auch das Festivalgelände mit Bühne und Backstage-Bereich. Man achtete genau auf mögliche Verstecke für Angreifer und legte die Plätze fest, wo die Sicherheitskräfte und Bodyguards des Ministers Platz nehmen würden. Kurz vor der Vorstellung zur Premiere wurden noch einmal Polizeibeamte mit Suchhunden eingesetzt, die das Gelände nach Sprengstoff untersuchten.

Auch Angebote zu den Nibelungen, die über das ganze Jahr verteilt sowieso laufen, wurden von Festspiel-Besuchern gerne wieder angenommen. Z. B. unternahm der Wormser Nibelungen-Herold Nachtführungen durch das geheimnisvolle Worms des Mittelalters, und Kriemhilds Zofe Fredegunde unternahm tagsüber inszenierte Gästeführungen im historischen Kostüm. Mehr zum jährlichen Programm der Nibelungen-Thematik findet sich unter www.nibelungenmuseum.de, der freie Eintritt ins Museum ist zu den Festspielen immer über das Veranstaltungsticket gewährleistet.

Bereits im vierten Jahr versteigert die Wormser Hobby-Malerin _Sieglinde Schildknecht_ ihre Bilder, die von den Festspielen inspiriert sind. Signiert sind diese Bilder immer mit den Unterschriften der Schauspieler und der Erlös kommt wie in den Vorjahren dem Wormser Tierheim zu. Erstmals hatte dieses Jahr auch Intendant Dieter Wedel unterschrieben. Die Auktion endete am 29. September 2006, die Abwicklung übernimmt wie in den Vorjahren das Resteraunte „La Forchetta“ der Familie Vallone in der Wollstraße in Worms. Am 4. Oktober übergab der Landtagsabgeorndete Jens Guth (SPD) das Gemälde dann im Vereinsheim des Tierschutzvereins dem Gewinner der Versteigerung.

Außerhalb des „offiziellen“ Rahmenprogramms gab es auch in der Volksbank Worms-Wonnegau noch eine Ausstellung „_Die Kunst und das Lied_“. Ortsansässige Künstler – Horst Rettig, Anna Bludau-Harry, Petra-Marlene Gölz, Gabi Krekel und Anita Reinhard – stellten in deren Foyer ihre Werke aus. Die Werke von Horst Rettig standen zuvor schon im Mainzer Staatstheater. 29 Nibelungen-Bilder gab es in der Volksbank – die von Anfang an zu den Sponsoren der Festspiele gehört – zu bewundern. Zur Eröffnung spielte das Klarinetten-Duo der Jugendmusikschule, Christina und Mareike Hüll.

Wie in den Jahren zuvor, wurde auch ein neues Schmuckstück präsentiert. Bisher konnte man den Nibelungen-Ring, gestaltet durch den Künstler Eichfelder, in Gold und Silber erwerben. In diesem Jahr stellte Annette Kienast-Kistner einen weiteren goldenen Pax-Ring vor, den sie in Anlehnung an das Nibelungen-Denkmal auf dem Torturmplatz nach einem Entwurf von Horst Rettig gefertigt hat.

Da _Dieter Wedel_ als Workaholic seinen Ruf hat, verwunderte es nicht, dass er während der 14-tägigen Festspielzeit in den „Freiräumen“ regelmäßig stundenlang im alten Bäderhaus in Pfeddersheim mit Filmeditorin Patricia Rommel seinen neuen Fernsehfilm schnitt. Diese und ihr Assistent hatten bereits im Vorfeld einen „Rohschnitt“ erarbeitet. Alle gedrehten Einstellungen sind im Comupter in Ordner einsortiert und die Cutterin (wie dieser Beruf früher hieß) bietet Wedel „Takes“ (also Einstellungen) an, die Wedel überprüft und verändert. Gedreht wurde dieser eineinhalbstündige Film „_Mein alter Fritz_“ vom 30. März bis 6. Mai und er kommt im Januar 2007 ins ZDF. „Es ist der Versuch, einen heiteren Film zu machen über Probleme im Krankenhaus, über den Tod und was danach kommt“ (Wedel). Es spielt wie gewohnt ein Staraufgebot. Im Mittelpunkt steht Chefarzt Harry Seidel, gespielt von Ulrich Tukor, seine Gattin Lydia mimt Veronica Ferres. Außerdem mit dabei sind Maximilian Brückner, Otto Schenk, Uwe Bohm und Anna Hausburg. Und etliche aus Wedels Nibelungen-Ensemble der bisherigen Festspieljahre: Robert Dölle, Wolfgang Pregler, Valerie Niehaus, Wiebke Puls, Dominique Voland (Wedels Lebensgefährtin, die in diesem Jahr mit in Worms agierte) und sein Regie-Assistent Joern Hinkel.

Seit September letzten Jahres unterhalten die Nibelungen-Festspiele sogar zwei _Ausbildungsplätze_, deren Inhalt es ist, kulturelle Veranstaltungen zu organisieren und zum Erfolg zu bringen. Seit einem Jahr gehören dadurch Katharina Fehlinger und Lina Kolling zum Festspielteam. Bisher waren sie in den Abteilungen Marketing, Pressearbeit, Sponsoring und Buchhaltung tätig und nun war die 21-jährige Katharina Fehlinger für den reibungslosen Ablauf der Premiere mitverantwortlich und die 23-jährige Lina Kolling betreute im Betriebsbüro das künstlerische Team mit Rat und Tat. Der berufliche Begriff ihrer Ausbildungen ist „Veranstaltungskauffrau“.

Wie immer zu den Festspielen tagte unter Leitung des Vorsitzenden Peter Weck das _Kuratorium der Nibelungenfestspiele_ im Heylshof. Etwa die Hälfte der Mitglieder war anwesend. Neben den Wormsern Gernot Fischer (Ex-Oberbürgermeister) und Gunter Heiland (Ex-Kulturdezernent) waren Jürgen Kriwitz (freier Produktionsberater aus Hamburg) und Intendant Dieter Wedel dabei, Eggert Voscherau (stellvertretender Vorstandsvorsitzender der BASF) und Kultusminister Jürgen Zöllner hatten Stellvertreter entsandt. Zentrales Thema war die Suche nach potenten Sponsoren. Weitere Firmen, deren Spitzenvertreter man ansprechen werde, wurden genannt. Ziel des Oberbürgermeisters Michael Kissel ist es natürlich, den städtischen Zuschuss, der nach 800.000 Euro im letzten Jahr dieses Jahr nur noch 600.000 Euro betrug, noch weiter zu verringern. Der Gesamtzuschussbedarf liegt bei 2,3 Millionen Euro und muss über Landeszuschüsse und Sponsorengelder gedeckt werden. Bislang sieht es so aus, dass das diesjährige Gesamtbudget von 4,7 Millionen Euro eingehalten werden konnte. Dies kann aber erst nach endgültiger Abrechnung feststehen.

In der letzten Festspielwoche besuchten dann auch Vertreter der rheinland-pfälzischen Landesregierung die Aufführung, um sich doch einmal ein Bild zu machen. MdL Manfreid Geis (Vorsitzender Kulturpolitischer Ausschuss des Landtags), Staatssekretär Dr. Joachim Hoffmann-Göttig (Kultusministerium RLP) und Staatssekretär Roger Lewentz (Innenministerium RLP) waren begeistert von dem, was ihnen geboten wurde. Natürlich kam auch nach der Premiere öfters noch ganz andere Prominenz zu den Aufführungen, die sehr oft namentlich auch in den lokalen Zeitungen genannt wurde, was allerdings den Rahmen dieses Essay überziehen würde.

Auf den Straßen begegneten einem ständig auswärtige Festspielbesucher, die nach besonderen „_Nibelungen-Mitbringsel_n“ fragen; diese gibt es natürlich zur Genüge. Beispielsweise seit vielen Jahren als „Nibelungenschatz“ – ein köstliches Mandelgebäck in festen Schatztruhen – vom Konditor Theo Schmerker, Inhaber des Café Schmerker in der Wilhelm-Leuschner-Straße.

Aber fündig wird man zur Festspielzeit auch alleine, wenn man durch die Innenstadt läuft. Die Ladenbesitzer nutzen natürlich den Werbeeffekt und tragen im Gegenzug auch mit ihren Schaufenster-Gestaltungen zur Nibelungen-PR bei. Dieses Jahr waren gleich in mehreren Schaufenstern in der Innenstadt die Originalkostüme der Nibelungen aus der Theaterproduktion von Karin Beier ausgestellt. Im Erdgeschoss im Haus zur Münze war das prunkvolle Gewand von König Etzel mit der meterlangen bunten Schleife zu sehen. Bei Optik Meurer hing der Umhang von Wiebke Puls alias Brunhild, ergänzt mit vielen Fotos der Inszenierung. Die ganze Schaufensterfront des Kaufhofs war von den Nibelungen belegt und wurde nach einem Umzug auch in der Ludwigshafener Filiale des Kaufhofs präsentiert. Manuela Liebig von den Nibelungen-Festspielen betreut diese Aktionen und stellt auf Anfrage auch im nächsten Jahr Interessenten Dekorationsmaterial plus Poster und Flyer zur Verfügung.

Sonja Kirchberger, die Wurstbrötchen liebt und zu deren Kauf regelmäßig in die Metzgerei „Hasch“ mitsamt Kind, Ehemann und Hund kam, hat, weil ihr diese so gut schmeckten, an die Eingangstür ein dickes Herz gemalt und mit Autogramm hinterlassen.

Das Wormser Sportstudio Black & White sponsert die Festspiele, indem es den Schauspielern kostenlose Trainingseinheiten spendiert, was von einigen der Schauspieler auch genutzt wird, um ihre Muskeln und vor allem Kondition aufzubauen.

Was wohl niemanden wundert, ist die Tatsache, dass alle Wormser Hotels nur lobend über die Festspiele sprechen, denn alle Unterkünfte sind natürlich voll belegt.

Ilka Ivanova Becker war bei den Festspielen als Dolmetscherin für den bulgarischen Schauspieler Itzhak Fintzi, der den Etzel spielte, tätig. Sie übersetzte ihm alle Regieanweisungen und umgekehrt seine Worte für die Schauspielerkollegen, außerdem war sie Sprachlehrerin für Maria Schrader, die in ihrer Rolle als Kriemhild ebenfalls bulgarisch sprechen musste. Eine weitere Aufgabe betraf die kyrillischen Texte der Etzel-Rolle. Die versierte Dolmetscherin und Diplom-Philologin, die im Stadtteil Heppenheim lebt, wurde nun zum Dr. phil. promoviert. Für ihre Doktorarbeit erhielt sie den Jürgen-Frietzenschaft-Promotionspreis des Vereins zur Förderung des Instituts für Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Uni Heidelberg.

_Erwähnenswertes im Rückblick auf die Probenzeit_:
Die Proben dauerten täglich zehn bis zwölf Stunden und auch an Samstagen und Sonntagen von mittags ca. 15 Uhr und gingen bis zwei, drei Uhr in den Morgen (was für Anwohner natürlich eine Herausforderung an Belästigung darstellt). Das umfasste sowohl die Schauspieler wie auch die Statisten und diejenigen, die im Hintergrund arbeiten (Technik etc.). Ganz skurril war es, dass es ab der Premiere nur noch regnete und richtig kalt war, denn die ganze Probenzeit hindurch gab es eine etwa zweimonatige unerträgliche Hitze. Zwar wurde erst ab dem 8. August zur ersten offiziellen Hauptprobe in voller Montur gespielt, aber bis dahin war es auch in den Probekostümen von der Hitze her eine richtige Herausforderung. Mit am heißesten waren die Drehtermine für den Einspielfilm, in dem es um die abgewiesenen Brautwerber Kriemhilds ging. Das war bei großer Hitze ein schweißtreibender Dreh in schwerem Brokat und Rüstungen. Doch man klagte nicht über die Hitze. Aber sobald mal 15 Minuten Pause angesagt waren bei den täglichen Proben, stürmten alle Akteure ins Cateringzelt auf dem Platz der Partnerschaft, um ihre durstigen Kehlen zu kühlen. So haben in diesem Jahr die Schauspieler zwei sehr gegensätzliche Extreme durchlebt.
Eines der ungewöhnlichsten Probeereignisse waren sicherlich die Einübung der finnischen Nationalhymne und die finnischen Lektionen für die Komparserie. Neu in Rinkes Nibelungen-Interpretation war ja auch, dass finnische Bewerber bei Brunhild auf Island erscheinen. Bei ihrem Eintreffen wurde von den Komparsen die finnische Nationalhymne angestimmt. Da Finnisch auch nicht gerade zu den gängigen Sprachen gehört, wurde eine Sprachlehrerin engagiert, die alle anleitete, wie z. B. Brünhild als Königin anzusprechen ist: „kunigatterareni“. Die Betonung liegt auf der ersten Silbe und die beiden „t“s werden nicht gesprochen. Richtig schwieriges Training war das.
Die ersten Besucher, die bei Proben anwesend sein durften, waren zwölf Jungreporter, die im Rahmen der Ferienspiele der Stadt am Projekt „Mit der WZ auf Reportagetour“ teilnahmen. Sie durften auf die Bühne, in die Waffenkammer und ins Atelier der Bühnenbildnerin. Was sie recherchierten, fotografierten und schrieben, war auf einer Sonderseite der WZ zu lesen, die sie selbst erstellten.
Auf der ersten Medienprobe gab es dann eine Überraschung. Regie-Assistent Joern Hinkel spielte die Königsmutter Ute. Hintergrund war, dass die dafür verpflichtete Renate Krößner von Wedel gekündigt war, da er sie beim Umsetzen der Szenen für zu langsam empfand. Krößner ist dem Kinopublikum durch „Liebling Kreuzberg“ oder „Helden wie wir“ bekannt. Bis man dann Ute Zehlen als Ersatz fand, wurde eine ganze Zeit ohne eine weibliche Ute geprobt. Zur Medienprobe reisten zahlreiche Fernsehteams, Hörfunkreporter und schreibende Journalisten an. Vorgeführt wurden dafür zwei Szenen: die Ankunft Siegfrieds am Burgunderhof und die von Rinke neu geschriebene Szene der Ankunft der Burgunder in Brunhilds eisiger Welt. Anschließend ließen sich alle Schauspieler interviewen. Und wer wie ich regelmäßig die Probenberichte in den Zeitungen verfolgte, entdeckte auf einigen Bildern Fotos mit Szenenbeschreibungen, die in der Endfassung dann doch wieder gestrichen waren.

_Ausblick_

Der zweite Teil wird „Die letzten Tage von Burgund“ heißen und mit dem Eheleben Gunthers und Brünhilds beginnen. Das Stück setzt noch ein wenig vorm Ende des ersten Teils an, so dass auch Siegfried noch einmal seinen Auftritt haben kann. Er war ja am Ende des ersten Teils bereits ermordet worden. Im zweiten Teil kommen Siegfried und Kriemhilde noch mal am Wormser Hof zu Besuch, die einstigen Themen kochen wieder hoch und das Drama beginnt. Es ist im Grunde ein eigenständiges neues Stück, das man auch sehen kann, ohne den ersten Teil gesehen zu haben. Mehr zum Inhalt auch oben unter „Besetzung“, dort unter „Moritz Rinke“.

Dieser zweite Teil wird wieder auf der Nordseite des Domes stattfinden. Ohne Dom sind die Festspiele im Grunde undenkbar, aber es ist jedes Jahr erneut ein harter Kampf, denn das Gotteshaus wird jährlich in seinem eigentlichen Zweck sehr stark beeinträchtigt. Mit Beginn des Bühnenaufbaus war dieses Jahr wieder das Südportal – der eigentliche Haupteingang des Doms – nicht mehr zugänglich und die Besucher mussten über den normalerweise ungenutzten Eingang Nordportal in den Dom gelangen. Auch der Domplatz selbst am Südportal ist mit Bauzäunen sehr früh komplett abgesperrt. Um die Finanzen etwas zu verteilen (der Aufbau der Technik und der Bühne ist das Teuerste), soll in Zukunft die Festspielzeit länger als zwei Wochen gehen. 2008 wird wahrscheinlich drei Wochen gespielt, erneut auf der Südseite des Doms, und dabei der erste und der zweite Teil abwechselnd zur Aufführung gebracht werden. Der Wunsch Rinkes, in einer langen Aufführung beide Teile hintereinander zu spielen, wird bislang von Dieter Wedel abgelehnt, da er das für eine zu große Zumutung für die Zuschauer wie auch für die Einwohner einstuft. Und 2009 wird es wieder ein ganz neues Stück geben, wo der Schreiber bereits von Regieassistent Joern Hinkel und Dramaturg John von Düffel gesucht wird. Ob Dieter Wedel seinen Fünfjahres-Vertrag, der 2008 ausläuft, überhaupt verlängert, ist von diesem bislang nicht zu erfahren.

Alle diese Pläne – wo und wie lange – müssen allerdings erst noch vom Stadtrat und vom Aufsichtsrat entschieden werden, wobei derzeit aufgrund der Wettererfahrungen darüber nachgedacht wird, ob man nicht die Aufführungen bereits im Juli anstatt wie bislang im August durchführen sollte.

Auch für Veranstaltungen des Rahmenprogramms empfiehlt sich eine frühzeitige Kartenreservierung. Auch in diesem Jahr zeigte sich, dass fast alle Veranstaltungen sehr bald ausverkauft waren.

Seit letztem Jahr im Gespräch ist auch die Aufführung eines Nibelungen-Musicals von Dieter Wedel, das der Wormser Schauspieler Eisermann sehr unterstützt. Auch setzt sich Eisermann, der aus einer Schausteller-Familie stammt, für einen Nibelungen-Freizeitpark in Worms ein. Vermischt in diesem Projekt sind Schauspielerei und Schaustellerei. Ein prächtiges Spektakel mit Drachen, Schätzen, Waffen, Wildwasserfahrten und Achterbahnen – was die Nibelungen von ganz anderer Seite her nochmals in ganz Deutschland bekannt und berühmt machen würde. Zwei mögliche Sponsoren und der Oscar-gekrönte Filmausstatter Rolf Zehetbauer hätten schon Interesse gezeigt, sagte Eisermann in einem Interview mit der dpa. Denkbar sei das Projekt in den nächsten fünf bis sieben Jahren. Von Seiten der Stadt gibt es in beiden Fällen noch kein grünes Licht, denn beides erfordert hohes finanzielles Risiko, und gerade was den Freizeitpark angeht, braucht es einen sicheren privaten Initiator – einen solchen würde die Stadt natürlich auch unterstützen. Aus städtischen Mitteln zu finanzieren sind beide Vorschläge nicht.

Was funkende Ideen angeht, wäre man eigentlich gut beraten, die in Worms ansässige Journalistin Ulrike Schäfer zu befragen. Denn sie kennt sich als Mitglied der Nibelungenlied-Gesellschaft bestens aus und bot als Chefredakteurin des „Wormser Wochenblatts“ auch schon einige Themen an. Sie schlug vor, der frustrierten Brünhild doch mal eine Affaire mit Hagen anzudichten, um ihn für ihre Rachezwecke einzuspannen, denn er bringt ja auch schon alle Qualitäten, die sie sucht, mit. Auch einen One-Night-Stand zwischen Giselher und Brunhild fände sie gut, dann aber möglichst mit Andre Eisermann als Liebhaber. Einen schwulen Siegfried hatten zwar schon Petra Riha und Heike Feldmann aus Worms in einer Szene herausgearbeitet, aber für ausbaufähig hält sie auch dieses Thema durchaus noch. Im Stil der Zeit könnte auch Siegfrieds Mord ein einfacher Motorradunfall sein. Hagen könnte ja irgendwie ’ne Schraube lockern und bei Nierstein oder Nackenheim ist es dann so weit. Aber sie persönlich würde auch gerne in Worms mal „Die lustigen Nibelungen“ von Oskar Straus sehen.

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_Veranstalter_ des kompletten Events sind die
Nibelungen-Festspiele GmbH, Bahnhofstr. 4, 67547 Worms
_Intendant_ Dieter Wedel
_Aufsichtsratsvorsitzender_ Micheal Kissel
_Geschäftsführer_ Ulrich Mieland, Thomas Schiwek
_Künstlerischer Betriebsdirektor_ James McDowell
_Aufsichtsrat_ Ernst-Günter Brinkmann, Theodor Cronewitz, Petra Graen, Alfred Haag, Hans-Werner Kloster, Heidi Lammeyer, Kurt Lauer, Astrid Perl-Haag, Hans-Joachim Rühl, Ilse Seiler, Elke Stauch
_Kuratorium_ Prof. Hark Bohm, OB a.D. Gernot Fischer, Gunter Heiland, Prof. Dr. Hellmuth Karasek, Jürgen Kriwitz, Karl Kardinal Lehmann, Dr. Elke Leonhard, Prof. Dr. Jan-Dirk Müller, Dr. Friedhelm Plogmann, Karlheinz Röthemeier, Prof. Armin Sandig, Markus Schächter, Bundesministerin Dr. Annette Schavan, Eggert Voscherau, Prof. Peter Weck, Prof. Dr. Jürgen Zöllner

_Rahmenkulturprogramm_ Petra Simon, Volker Gallé, Joern Hinkel
_Pressesprecherin_ Simone Schofer
_Umsetzung gestalterische PR_ Thorsten Oparaugo

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_Interessante Zusatzlinks:_

Weitere Artikel und Berichte unter http://www.wormser-zeitung.de/wasnlos/nibelungenfestspiele

http://www.nibelungenmuseum.de

http://www.nibelungenfestspiele.de

http://www.nibelungenlied-gesellschaft.de

Startseite

Verweisen möchte ich auch auf den Festspielbericht von 2005 unter http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=50.

|Grundlage des Berichtes bildeten die Auswertung der Berichterstattungen in der lokalen Presse sowie die eigene Teilnahme am Geschehen.|

Nibelungen-Festspiele Worms 1

LIEBE, HASS UND EIFERSUCHT

Siegfrieds Frauen

Waren anfangs in der Bevölkerung die Festspiele wegen der hohen Kosten umstritten, identifiziert sich mittlerweile im fünften Jahr der Veranstaltung die Mehrheit der Wormser mit dem jährlichen Großereignis. Man ist erfreut, dass der Kultur in Worms endlich der Stellenwert wieder zuerkannt wird, der ihr aus der Geschichte her schon lange gebührt. In den meisten Städten stagniert die Kultur, Worms dagegen investiert gegen den Mainstream. Diesen Umstand hatte auch schon der große Konzertveranstalter Fritz Rau bei seiner Lesung im Programm des diesjährigen Wormser Jazzfestivals thematisiert, die Stadt Worms als Ausnahmeveranstalter gelobt und erklärt, dass er solches Engagement und finanzielle Unterstützung für Kultur kaum zuvor kennen gelernt habe.

„Von helden lobebaeren und großer arebeit“

Nach Karin Beiers Inszenierung von Friedrich Hebbels Nibelungen der letzten beiden Jahre war für 2006 wie auch für 2007 wieder Moritz Rinke verantwortlich, der auch schon das Stück für die Aufführungen von 2002 und 2003 schrieb. Allerdings war es keine Wiederholung, sondern Wedels Überarbeitung hat das Werk im Grunde auf zwei Teile angelegt. Die ersten Kritiker vermuteten dahinter Strategie, denn wer den ersten Teil gut fand, will auch den zweiten sehen. Im Grunde typisch für Wedels Fernseharbeiten. Der erste Teil (ein dreistündiges Spektakel um Liebe, Verrat und starke Weibsleute) „Siegfrieds Frauen“ wurde in diesem Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt. Wo Karin Beier im letzten Jahr auf die starken Hebbel-Dialoge setzen konnte, lässt Wedel die Macht der Bilder sprechen und nutzt zudem die Fläche vor dem Wormser Dom vollständig aus. Dabei schwirren bis zu fünfzig Personen gleichzeitig herum und auch die imposanten Bäume sind mit in das eigentliche Spielgeschehen einbezogen. Sehr positiv ist, dass Wedel die Kritik an der damaligen Rinke-Inszenierung sehr ernst nahm und die als störend empfundenen Gags auf ein Mindestmaß zurückgefahren hat, was bewirkt, dass das Stück insgesamt ernsthafter und weniger slapstickhaft daherkommt. Das wird besonders bei Siegfried deutlich. Dieser feierte 2006 sein Comeback als ernst zu nehmender tragischer Held. Ansonsten orientiert sich das Stück weitgehend an den Aufführungen von 2002 und 2003. Immer wieder wird auch dezent die Stadt Worms in die Handlung mit eingebaut. König Gunther trinkt Flörsheim-Dalsheimer Wein, Andre Eisermann macht köstliche stadttypische Scherze auf „wormserisch“ oder Hagen und Isolde wollen für ein „Date“ im „Wäldsche“ (dem Wormser Naherholungsgebiet) verschwinden. Mehr zum Inhaltlichen des Stückes auch weiter unten unter „Besetzung“ und dort unter „Moritz Rinke“.

Gespielt wurde wie in den ersten Jahren wieder auf der Südseite des Doms (die letzten beiden Jahre gab es die Festspiele auf der Nordseite). Mit 2450 Plätzen standen somit für die gesamte Dauer 13550 Sitze mehr als in den Vorjahren zur Verfügung. Anders gerechnet, gab es 2005 19000 Plätze und in diesem Jahr 32000 Plätze. Oder statt 1450 2450 pro Abend.

Schon der Vorverkauf übertraf das Vergleichsjahr 2005. Recht bald waren die Premiere wie auch alle Wochenendaufführungen inklusive der Freitage ausverkauft. Neu war auch der mögliche Besuch der Generalprobe – was in den Vorjahren nicht möglich war – zu sehr günstigem Preis (5 Euro), die einem wohltätigen Zweck zufließen: der Kinderklinik des Stadtkrankenhauses. Alle 1000 Lose waren Gewinne, wenn auch nur 750 Aufführungskarten. Die anderen 250 Karten waren 100 Karten für Führungen hinter der Kulisse, 100 Familienkarten fürs Nibelungenmuseum sowie 50 Einkaufsgutscheine der WZ. Hinter dieser Aktion standen die Wormser Zeitung, die Nibelungenfestspiel GmbH und der Wormser Oberbürgermeister Michael Kissel. Initiator der Aktion war Kissel, weil er wollte, dass diejenigen, die nie reguläre Karten kaufen, sich dennoch mal ein Bild von den Festspielen machen können. Eine sinnvolle PR-Aktion, um die Akzeptanz in der Stadt noch mehr zu steigern. Diese Karten wurden öffentlich verlost und waren innerhalb von nicht ganz einer halben Stunde ausverkauft. Schon eine Stunde zuvor waren die meisten gekommen. Allerdings gab es auch keine 2450 Plätze, sondern das Publikum blieb auf 750 beschränkt. So reichten die tausend Lose auch nicht für alle, die Lose wollten. Ausgeteilt wurden die Gewinnerkarten direkt durch OB Kissel und Pressesprecherin der Festspiele, Simone Schofer. Eine Generalprobe ist ein besonderes Ereignis. Gespielt wird wie in den kommenden zwei Wochen auch, aber Regisseur Wedel sitzt in den Zuschauerrängen und beobachtet mit seinem Assistenten noch einmal sehr genau. Es kann sein, dass er auch unterbricht und Anweisungen gibt. Es ist auch die letzte Gelegenheit, etwas vor der Premiere noch mal zu ändern. Und Dieter Wedel hat nach dieser Aufführung auch eine kleine Szene noch einmal umgestellt, da sie ihm bei der Generalprobe zu schleppend vorkam. Normalerweise kann man für eine Generalprobe keine Karten erwerben.

Überhaupt zeigte man sich dieses Jahr sozial und spendabel. Zwar vergibt die Stadt schon immer Freikarten an sozial tätige Verbände als Dankeschön für die geleistete Arbeit. Dieses Jahr wurden nun erstmals in einer Sonderaktion auch bundesweit Freikarten für junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren, die ehrenamtlich in den Bereichen Kultur, Soziales, Politik und Sport aktiv sind, zur Verfügung gestellt, um sie an die Nibelungensage heranzuführen. Auch die Inhaber von Jugendleitercards waren herzlich eingeladen. Diese Idee gab es bereits seit langem, aber bisher reichte das Platzangebot dafür nicht aus. Gruppen, die mehr als zehn Personen umfassten, konnten von zwei Begleitern betreut werden. Deren Tickets waren ebenfalls kostenlos. Günstige Übernachtungsmöglichkeiten bot die Jugendherberge Worms. Natürlich war das Kontingent dennoch begrenzt. Ob das Angebot im nächsten Jahr wieder besteht, entzieht sich meinen Informationen. Es lohnt sich vielleicht ein Blick ins Internet, wo das Anmeldeformular in diesem Jahr zu finden war unter http://www.worms.de in der Rubrik Tourismus. Oder einfach mal beim Kinder- und Jugendbüro der Stadt Worms nachfragen.

Die Prominenz läuft in Worms zum Empfang über den „roten Teppich“ und die Bürger schauen dabei neben dem Presseaufgebot zu. Bewundernswert, wie da ausgeharrt wurde, um diese zu sehen, und bei Sonnenschein wäre es sicherlich noch mehr Publikum geworden. Ich bin allerdings auch irgendwann – bevor es richtig losging – frierend und bibbernd durch den Regen wieder nach Hause gelaufen. Zu den Prominenten der diesjährigen Premiere (die dieses Jahr noch zahlreicher waren als im letzten Jahr, insgesamt fast 2100 geladene Gäste – 1470 plus 250 Medienvertreter plus den 300 Personen die über den roten Teppich liefen und eigenen Empfang erhielten, aber auch 450 Normalzahlende) gehörten Götz und Jenny Elvers-Elbertzhagen, Jessica Stockmann, Mariella Ahrens, Christian Quadflieg, Anuschka Renzi, Dagmar Berghoff, Claus Kleber (heute journal, ZDF), Wilhelm Wieben (Ex-Tagesschau-Sprecher), Konstantin Wecker, Mariella Ahrens, Roberto Cavollo, Ute Henriette Ohoven, Joachim Król, Manfred Zapatka, Karin Beier, Felicitas Woll, Inez Björg David, Janin Reinhardt, Bettina Zimmermann, Uwe Bohm, Ilja Richter, Michael Greis, Wolfgang Holzhäuser, Patrick Graf von Faber-Castell, Joy Grit Winkler, Margit Conrad, Klaus Bresser (ehemaliger Chef-Redakteur ZDF) und viele ungenannte. Innenminister Wolfgang Schäuble – für den im Vorfeld besondere Sicherheits-Maßnahmen vorbereitet werden mussten (mehr unten unter „Sonstiges“) – hatte aufgrund der vereitelten Terroranschläge tags zuvor in London kurzfristig absagen müssen. Die meisten Prominenten reihen die Nibelungenstadt inzwischen in die Riege der großen Festspielstädte ein. Vorgefahren sind die Prominenten in edlen Karossen einer Stuttgarter Nobelfirma. Allerdings kam Kurt Lauer, Fraktionsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat, zwar auch mit Chaffeur, aber in einer abgasfreien Rikscha, wofür es von den Zaungästen einen Extra-Applaus gab. Enthusiastisch wurde ansonsten nur bei Dieter Wedel und seinen Begleitdamen geklatscht. Zum Essen der Prominenten spielte die Drei-Mann-Kapelle „Farfareilo“ aus Köln. Kameramann Markus Wolfsiffer vom „Montagsmagazin“ im Offenen Kanal Worms war mitten im Pulk der Medienvertreter, die die Stars und Prominente filmten, die zur Premiere gekommen waren und dies wurde auch im lokalen Fernsehen ausgestrahlt. Genauso wie auch Ausschnitte der Aufführung, die der ehemalige ZDF-Kameramann Wilfried Saur für den Offenen Kanal vorbereitet hatte.

Ein Beweis der „Nibelungen-Treue“ zeigte ein Fax, das bei der Festspiel GmbH einging: „Wir wünschen allen Nibelungen eine tolle Zeit 2006“, unterzeichnet mit Königskrone und „Familie Król“. Fast alle Mitglieder des Ensembles vom letzten Jahr kündigten zur Premiere oder zu einer Vorführung danach zahlreich ihr Kommen an. Wibke Puls reiste von München an, Maria Schrader hat gerade ihr erstes Filmprojekt als Regisseurin beendet und kam aus Israel, Karin Beier und Michael Wittenborn stoppten kurz in Worms auf der Durchreise. Regisseurin Karin Beier ist in der Spielzeit 2007 Schauspielchefin am Kölner Schauspielhaus. Auch konnte sie von der Festspielleitung gleich noch ganz andere Glückwünsche für sich und ihren Mann Michael Wittenborn (der in ihrer Nibelungeninszenierung den Markgrafen Rüdiger von Bechelarn spielte) entgegennehmen. Sie hat eine Tochter zur Welt gebracht. Auch Joachim Nimtz, der in den ersten beiden Jahren den Burgwächter spielte, war gekommen. Und ebenso Manfred Zapatka, der zurzeit für eine ZDF-Serie als Kriminalkommissar vor der Kamera steht, die ab Oktober ausgestrahlt werden wird. Und natürlich die Königsfamilie von Joachim Król („Król“ bedeutet „König“ auf Polnisch). Diese „Nibelungentreue“ fand schon während der gesamten Proben statt. Joachim Król rief öfter an, um sich nach deren Verlauf zu erkundigen. Auch Maria Schrader rief öfter an und sprach dabei auch mit den neuen Ensemblemitgliedern.

Für die Premierengäste steht auch ein spezieller Styling-Service zur Verfügung. Top-Stylist und Prominentenfrisör Jens Dagné frischt den Gästen kostenfrei das Make-up auf und macht auch das Haarstyling wieder perfekt. Jens Dagné ist Preisträger zahlreicher Wettbewerbe. Wenn dagegen etwas mit dem edlen Gala-Outfit passieren sollte, steht Schneidermeisterin Gerlinde Schidrich mit Nadel und Faden bereit.
Im Vordergrund steht dergleichen leider immer: Was tragen die Promis an teurer Mode? Das war zur Premiere angesichts der überraschend eingebrochenen Kälte nach der wochenlangen Hitze etwas bitter. Obwohl bereits Tage zuvor klar war, welches Wetter zu erwarten ist, hatten dies nicht alle in ihrem Outfit beachtet. Bei der Premiere goss es leider nach der Pause – in der es in dem herrlichen Park-Ambiente Sekt, Wein und Bier gab – in Strömen; trotzdem hielten Schauspieler und Zuschauer bis zum Schluss tapfer durch. Es stand durchaus auf der Kippe, dass abgebrochen hätte werden müssen. Trotz des Regens ist die Premiere mit stehenden Ovationen und minutenlangem Applaus des Publikums über die Bühne gegangen. Die Amazonen Brünhild und Isolde froren klatschnass und nur leicht bekleidet. Umgekehrt kam vom Ensemble der Beifall an das Publikum, das trotz der widrigen Umständen auch nicht aufgegeben hatte. Die Promis sind fast allesamt bis in den Morgen im nassen Heylshof geblieben. Von Trübsal zeigte man keine Spur. Giselher (Christian Nickel) schnappte sich im Stil von „dancing in the rain“ eine Tanzpartnerin auf dem klatschnassen Rasen um halb drei Uhr nachts, und andere Paare schlossen sich ihnen an. Nur Autor Moritz Rinke und Intendant Dieter Wedel waren aufgrund des Wetters etwas gedrückt und keineswegs euphorisch. Natürlich wäre es bei sommerlichem Wetter viel besser gewesen, aber immerhin musste nicht abgebrochen werden. Die Technik hat gehalten, ohne dass bei strömenden Regen die Mikrophone aufgaben. Es gab nur einen kleinen Kurzschluss, weshalb eine Filmeinspielung erst etwas später losging. Keiner der Schauspieler ist auf der rutschig-nassen Bühne ausgerutscht, es gab keine Verletzungen. Nicht zuletzt sorgte der Dauerregen für ein Gemeinschaftsgefühl, das dem Publikum auch in Erinnerung bleiben dürfte.

Eine Aufführung gilt als vollständig, wenn bis zur Pause nicht abgebrochen wurde. Ob es regnen würde, konnte man nie vorher sagen. Nur bei Abbruch in der ersten Halbzeit wird für die Besucher Ersatz angeboten und dann an den sonst eigentlich spielfreien Montagen die Vorstellung nachgeholt. Kleine Regenpausen in der ersten Halbzeit, wo eventuell kurzzeitig abgebrochen würde, waren eingeplant, so dass sich die Aufführungszeit entsprechend verlängert hätte. Nur bei ganz starkem Regen kommt es zum vollständigen Abbruch. Nur eine Aufführung musste – obwohl es durchweg schlechtes Wetter während der Festspiele gab und jeden Tag regnete – kurz vor 0.30 Uhr abgebrochen werden. Es goss wieder in Strömen, aber es drohte auch die Gefahr einschlagender Blitze. Alle Schauspieler ernteten trotz aufkommender Hektik auch hier freundlichen Applaus, bevor das Unwetter völlig hereinbrach. Ich besuchte regenfrei die Vorstellung direkt nach der Premiere, aber es war ziemlich kalt und eingehüllt in Decken gerade so zu ertragen. Großen Respekt verdienen deswegen die Schauspieler, die teilweise kaum bekleidet und barfuß diese Festspielzeit durchstanden. Trotz des diesjährigen wirklich miserablen Wetters für Freilichtaufführungen hatten die Aufführungen eine Auslastung von 87 %. Die Spielstätte vorm Dom ist für eine Theateraufführung auch grandios, die Schauspieler sind allesamt hervorragend. Das Zuschauer- und Medieninteresse geht zudem jährlich nach oben.

Das Stammlokal des Nibelungenensembles ist das kleine Ristorante „La Carbonara“ im Adenauerring. Auch im fünften Festspieljahr gehört es schon zur Tradition, dass die Nibelungen nach den Proben oder Aufführungen dort einkehren. Hier hat man sich gemeinsam in diesem Jahr auch das WM-Spiel „Deutschland gegen Italien“ angesehen. Auch in der Festspielzeit war dort dieses Jahr Mario Adorf zu Gast, der seinerzeit die Nibelungenfestspiele mit aus der Taufe hob. Später war er zusammen mit dem Initiatorenteam Bettina Musall und Hans Werner Kilz im Zorn geschieden, weil das Trio mit der Berufung von Dieter Wedel als Intendant nicht einverstanden war. Da er aufgrund dieser Entwicklung keine guten Erinnerungen an die Nibelungenfestspiele hat, interessiert er sich auch nicht mehr sonderlich dafür.

Wie auch im letzten Jahr besuchten alle Schauspieler die Wäscherei der Wormser Lebenshilfe – eine Behinderteneinrichtung –, in welcher seit nunmehr drei Jahren täglich deren Wäsche gewaschen, getrocknet und gebügelt wird. Die schwierigste Reinigung ist nicht, wie man meinen könnte, das blutige Hemd von Siegfried, sondern es sind die Kostüme der Ordensschwestern. Während der Festspiele wird mehr gearbeitet als sonst, die Arbeitszeit beginnt früher und schließt auch die Wochenenden mit ein. Diese Behinderten sind mittlerweile große Fans der Nibelungen, sammelten teilweise schon vor den Festspielen Merchandising-Utensilien und gehen auch zu den Aufführungen. Der Besuch der Darsteller bei ihnen ist deswegen eine besonders nette Geste und darüber hinaus eine direkte menschliche Begegnung, die sich länger einprägt als irgendwelche städtischen Sehenswürdigkeiten. Im Gegenzug bekommen jährlich die Behinderten – „das Team der königlichen Burgunder-Wäscherei“ – auch eine Backstage-Führung geboten. Dabei beeindruckt sie vor allem die „Waffenkammer“ (ein entsprechendes Zelt und Container), über und über mit Theaterwaffen gefüllt. Mancher kam sogar in den Genuss, eine der Rüstungen anziehen zu dürfen. Die Kostüme sind wiederum in anderen Containern verstaut. Die meisten Kostüme sind doppelt bis dreifach vorhanden. Der Weg, den die Schauspieler zur Bühne zurücklegen müssen, erwies sich für die Behinderten als schwierig. Rollstühle z. B. mussten zusammengeklappt werden. Ein Rollstuhlfahrer durfte zur Entschädigung eine Fahrt mit der Hubbühne nach oben mitmachen. Die Zusammenarbeit der Festspiele mit der Lebenswerkstatt wird in den nächsten Jahren fortgeführt.

Und nachdem alles vorbei war, bekundeten wie jedes Mal alle Schauspieler, dass sie durchaus auch mit Abschiedsschmerz von Worms fortgehen.

Presseecho

2002 gaben sahen noch viele Kritiker die Aufführung vorm Wormser Dom als Eintagsfliege und attestierten kaum Überlebenschancen. Die Geschichte hat ihnen mittlerweile das Gegenteil bewiesen. Die Berichterstattung in der Boulevard-Presse zu den Festspielen war wie jedes Jahr überaus groß. Schon zur Fotoprobe vor der Premiere gab es Riesenandrang: acht Fernsehteams von ARD und ZDF bis RTL und ca. 60 Fotografen aus dem gesamten Bundesgebiet nutzten die Gelegenheit, Szenen und Bilder aufzunehmen. Während der eigentlichen Aufführungen besteht ja auch für die Medien Fotografier- und Drehverbot. Aber auch in den Wochen zuvor zur Probezeit kamen die Journalisten von überall, ob München, Hamburg oder Berlin, um bei den Proben dabei zu sein und Interviews zu machen. Vorberichte erschienen in Magazinen wie der „Gala“, in der „Bunten“, in der „Frau im Spiegel“ oder als Programmtipp im „Focus“. SAT.1 hatte in seiner „Kulturzeit“ auf die Festspiele hingewiesen, 3sat begleitete mit der Sendung „Foyer“ die Proben. Im Theaterkanal wurde Jasmin Tabatabai in der Sendung „Abgeschminkt“ portraitiert. Auch die Nachrichtenagenturen brachten bundesweit mehrere Meldungen zum Verlauf der Proben. Zeitgleich zur Wormser Premiere fand die Premiere der „Dreigroschenoper“ unter der Regie von Karl Maria Brandauer im Berliner Admiralspalast statt. „Frau im Spiegel“ schrieb dazu mit fettem Titel: „Wedel siegt, Brandauer floppt in Berlin“. Damit war der „Promi-Besucher“-Faktor gemeint, denn im Gegensatz zur Berliner Premiere kamen zur Nibelungen-Inszenierung rund 2500 Premieregäste, die in Regencapes und dicke Decken gehüllt die grandiose Schauspielerriege frenetisch feierten. Diese Promistars sind der Regenbogenpresse wichtiger als die Nibelungenschauspieler selbst – abgesehen von Fotos von Dieter Wedel im Arm mit Sonja Kirchberger und Jasmin Tabatai. Die „Bunte“ titelte „Nasse Premiere – Jubel für Wedel und Crew“, die „Revue“ „Nibelungen-Festspiele – Jessica Stockmann glücklich als Single“ und verwechselte inhaltlich das Ganze mit dem „Ring der Nibelungen“, „Gala“ brachte eine Doppelseite und war angetan, natürlich auch die „BILD“ sogar in mehrfachen Ausgaben (wenn auch wie in früherer Berichterstattung wegen des Sex). Der Tagesspiegel war voll des Lobes über das neue Stück. Nicht immer sind die Kritiken natürlich gut, strenge Theater-Puristen haben ihre Schwierigkeiten mit der modernen Inszenierung. Die „Süddeutsche Zeitung“ fand, es gehe Wedel vor allem darum, das Stück „aufzusexen“. Dabei sollte man allerdings auch wissen, dass der dortige Chefredakteur Hans Werner Kilz einer der damaligen Festspiel-Initiatoren war und im Streit geschieden ist. Die Kritik der „Süddeutschen“ war dadurch auch am schärfsten: „Der Abend wirkt, als müsste Woody Allen im Mainzer Karneval eine Büttenrede halten“. Szenen wie die Vergewaltigungen sind allerdings inhaltlich notwendig, weil sie die Verkommenheit am Burgunderhof und die latente Gewaltbereitschaft aufzeigen sollen. Der „Mannheimer Morgen“ wiederholte einfach nur die Kritik an der damaligen Inszenierung, aber fügte auch ein Lob für die Verbesserungen der neuen Version hinzu. Und die „Rheinpfalz“ vermochte auch wenig mit dem Stück anzufangen. „Die Welt“ und „Frankfurter Rundschau“ druckten lediglich die Agenturmeldungen ab. In der „FAZ“ stand nach der Premiere gar nichts. Die meisten begrüßen es allerdings, dass dem klassischen Stück, dessen Verlauf und Ausgang fast jeder in Deutschland kennt, neues Leben eingehaucht wird. Für die Liebhaber klassischen Theaters war die Hebbel-Fassung von Karin Beier besser, für die Liebhaber von Event-Theater dagegen natürlich Wedels Version der Rinke-Fassung. All dies gehört dazu, wenn Festspiele erfolgreich bleiben sollen. Und berichtet wurde im Grunde überall: Ob „Kieler Nachrichten“, „Reutlinger General-Anzeiger“ oder „Leipziger Volkszeitung“. Die meisten mittelständischen Zeitungen bedienten sich der von dpa oder ddp-Agenturjournalisten positiv geschriebenen Berichte. Die Internetsuchmaschine „yahoo“ zählt 70 Tageszeitungen auf, die freundlich über die Festspiele berichteten. Erfreulicher sind natürlich seriösere Berichte wie in „Leute heute“ (ZDF), „Brisant“ (ARD) oder „Exclusiv“ (RTL). Im Mittagsmagazin des ZDF berichtete Dieter Wedel live im Mainzer Studio über seine neue Inszenierung und zeigte auch Ausschnitte aus seinen Filmsequenzen, die er in Worms und Umgebung gedreht hat. Ein ZDF-Team hatte zuvor dafür auch die Dreharbeiten in Worms begleitet, und auch davon wurden Szenen ausgestrahlt. Einen längeren Bericht strahlte auch der SWR in seiner Sendung „Landesart“ aus, mit Interviews mit Moritz Rinke, Jasmin Tabatabai und anderen Stars sowie Eindrücken vom Statistenlager, Interviews mit Komparsen und Vorstellung der Rüstungen und Kostüme. Jasmin Tabatabai hatte auch einen eigenen Auftritt im ZDF in der Sendung „Volle Kanne“, wo sie über ihre Arbeit in Worms sprach. Im SWR4 kam der Hörfunkbeitrag in der „Radiogalerie“, wo sich Korrespondent Ralf Krause in der Wormser Innenstadt bei der Bevölkerung umhörte, um die Stimmung vor den Festspielen einzufangen. Ebenfalls im Hörfunkprogramm: ein Beitrag mit Jasmin Tabatabai (siehe unter Besetzung weiter unten). Und in der Radiosendung SWR1 „Leute“ war bei Katja Heijnen bei Sonja Kirchberger zu Gast. Während mittlerweile die Bayreuther Festspiele als staatlich subventionierte Reichenfestspiele in Verruf geraten sind, erklimmen die Nibelungenfestspiele in Worms ungeahnte Höhen in der Gunst des Publikums wie auch der Kritiker. Denn in Worms können sich auch „Otto Normalverbraucher“ eine Eintrittskarte leisten. Das Wirtschaftsmagazin „Capital“ bewertete in seiner diesjährigen Auswahl der „Top Ten“ der wichtigsten Festspiele in Europa das Wormser Kulturereignis mit Platz 1! In der Wertung sind bekannte Veranstaltungen aufgeführt, wie das Festival d`Avignon in Frankreich oder das Classic Open Air in Berlin. Eine wichtige Auszeichnung, übertitelt mit „Jenseits von Bayreuth“. Auch der SPIEGEL schrieb in Ausgabe 27/2006: „Nicht nur in Bayreuth, auch in Worms gibt es die Nibelungen – unter der Leitung von Dieter Wedel“. Aber nicht nur auf Platz 1 im „Capital“, sondern inzwischen auch in allen anderen Magazinen rangiert das hochrangige Wormser Theater unter den „Top Five“ aller deutschsprachigen Festspielstädte.

Das Publikum reagiert im Grunde genauso wie die Medienkritiker. Die einen sind enttäuscht und fanden die Erstversion viel besser, die anderen finden die neue Inszenierung bisher am besten (auch besser als die Hebbel-Aufführung von Karin Beier).

Besetzung

Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde im fünften Jahr eine komplett neue Ensemble-Besetzung eingeführt.

Moritz Rinke hat das Stück neu geschrieben. Die erste Fassung von 2002 erstreckte sich über dreieinhalb Stunden, so dass nicht viel Zeit blieb, um das ganze Epos darzustellen. In der Hebbel-Version (nicht der von Karin Beier, sondern der originalen) dauert das Stück fast neun Stunden. Durch die Verlängerung konnte Rinke sehr viel vertiefen und hat bei den Frauen damit begonnen. Er erzählt mehr über Brünhild, die im eigentlichen Nibelungenlied irgendwann einfach verschwindet. Der Beginn des Stückes spielt in ihrer eigenen Welt in Island. Nach Burgund begleitet wird sie von ihrer Amme, Freundin und Beraterin Isolde, die frei dazuerfunden wurde und im Originaltext gar nicht vorkommt. Sie steht zudem in einer besonderen Beziehung zu Hagen, dessen Herz sie gewinnt und der bei Rinke ein „Anwalt des Rechts“ und keineswegs ein grimmiger Meuchelmörder ist und sich auch verlieben darf. Mit dieser Neuschöpfung steht er durchaus in einer Tradition, in der sich das Nibelungenlied immer wieder auch verändert. Gerade die Zudichtungen und Neuinterpretationen der bisherigen Schöpfer des Stoffes haben diese Tradition im Grunde so reich gemacht. Als Beispiel dazu dient vor allem Richard Wagners Inszenierung vom „Ring der Nibelungen“, der viele Elemente aus der Edda in den Stoff hineinbrachte. Auch das Verhältnis von Siegfried zu Brünhild und Kriemhild hat mehr Raum bekommen. Schon in der ersten Rinke-Version liebt Kriemhild zwar Siegfried, ist aber genauso auch von ihm enttäuscht. Ein neuer interessanter Aspekt ist, dass Kriemhild offen zugibt, den langweiligen Siegfried irgendwie loswerden zu wollen („ich habe zehn Jahre Hirschragout gegessen“) und dieser, immer öfter zur Flasche greifend, macht Brünhild überraschende Liebesgeständnisse. Diese männermordende Königin hatte ihm ja als Einzigem schon in Island angeboten, ihn ohne Kampf als Mann zu nehmen, was Siegfried ablehnte. Gernot, einer der Brüder König Gunthers, trägt auch neue überraschende Züge in seinem Charakter. Rinke ist mit seinen modernen Inszenierungen immer auch politisch. Die Gewalt im Stoff bekam in diesem Jahr eine besondere Aktualität durch den Libanonkrieg. Kriemhilds und Giselhers politische Ambitionen sind vertieft. Von Anfang an ist bei Rilke die Figur Kriemhilds ja auch schon an Ulrike Meinhof angelehnt, wobei sie sich im Stück natürlich nicht zur Revolutionärin in Meinhof’schem Sinne entwickelt. Überhaupt bleibt das Nibelungendrama aktuell, was den Kampf der Kulturen angeht und während die Gefahr des globalen Kriegsausbruchs täglich wächst. Nicht erst im zweiten Teil mit dem Untergang am Hunnenhof zeigt Rinke dies auf, sondern schon im ersten Teil, wo die christliche Welt der Burgunder auf die der heidnischen nordischen Königin Brünhilde prallt. Durch das Gefolge Brünhilds, die isländischen Edelfrauen, die mit ihrem heidnischen Götterkult einen krassen, fremden Gegenpol zur höfischen Welt in Worms darstellen, wird ein hochaktuelles Migrationsproblem thematisiert. Auch ist in den Dialogen zwischen Boten und Burgwächter viel Politik enthalten, besonders, was Soziales und Reformfähigkeit des Landes angeht. Dieter Wedel hat massiv in die Vorlage Rinkes eingegriffen, die als Buch nächstes Jahr zusammen mit dem 1. Teil erscheinen wird. Szenen wurden umgestellt, verschachtelt und einige gestrichen, wie beispielsweise, dass Siegfried in der besagten Nacht Kriemhild nicht nur mit Brunhild betrügt, sondern auch noch mit Isolde schläft. Eigentlich ein interessanter Zug, wo zur dreifachen Göttin oder den drei Nornen Analogien hätten hergestellt werden können. Andererseits hat Wedel der Figur der Brünhild noch mehr Tiefe gegeben, als diese in Rinkes Vorlage gehabt hatte. Was das Publikum letztlich sah, war nicht Rinkes Stück. Allerdings ist das eine Normalität im Theaterbetrieb. Der Streit zwischen Drehbuchautor und Regisseur gehört einfach dazu. Aber mit Wedel streitet sich Rinke am liebsten, da dieser psychologisch denkt, was es derzeit sonst im Theaterbetrieb nicht gäbe. Zum Zeitpunkt der diesjährigen Festspiele hatte Moritz Rinke den zweiten Teil „Die letzten Tage von Burgund“ fast fertig. Dieser wird mit dem zehnten Hochzeitstag von Gunter und Brunhild am Wormser Hof beginnen, die genervt, enttäuscht und verbittert sind. Zu solch einem Jubiläumsanlass werden natürlich die alten Streitigkeiten wieder ausgekramt. Zwei Drittel dieses Teiles sind vollkommen neu. Es gibt mehr Raum für Figuren wie Dietrich von Bern, König Etzel oder Rüdiger von Bechelarn. Siegfrieds Tod wird es noch einmal geben, denn die Handlung setzt noch einmal weiter vorne an. Kriemhild und Siegfried besuchen nämlich erstmal erneut ihre Verwandtschaft. Zwei Drittel des zweiten Teils handeln davon, wie es kommt, dass Siegfried getötet wird. Denn der Untergang wird schnell erzählt werden. Spannender ist die Verdichtung zwischen den bekannten Personen; das Darsteller-Tableau bleibt auch das gleiche. Für Moritz Rinke sind die Wormser Festspiele etwas ganz Großes, mehr Zuschauer habe auch Shakespeare in seinem Globe Theatre nicht gehabt. Irgendwann sollen beide Teile auch in einer langen Nibelungennacht nacheinander aufgeführt werden. Moritz Rinke wurde 1967 in Worpswede geboren, studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und arbeitete als Redakteur beim Berliner „Tagesspiegel“.

Dieter Wedel ist Intendant und führt auch Regie. Wie Moritz Rinke könnte er eigentlich nach der Premiere gehen, denn seine Arbeit ist dann im Grunde getan. Aber als Intendant blieb er die gesamte Festspielzeit (siehe auch weiter unten unter „Sonstiges“).

Joern Hinkel ist Regie-Assistent, aber spielt sogar bei der Brautwerbung einen finnischen Gesandten und nochmals einen bayrischen Brautwerber. Hinkel ist eigentlich studierter Opern-Regisseur. Aber er wollte schon immer auch Filme drehen. In München hatte er die Verleihung des bayrischen Fernsehpreises inszenieren dürfen und kam dadurch in Kontakt zu Starregisseur Wedel. Er kam deswegen zum Casting für die „Affaire Semmeling“ und Wedel hielt ihn für den Kameramann. Hinkel hat sich das Missverständnis nicht anmerken lassen und einfach gedreht und Wedel fand, er sei ein interessanter Kameramann. Zwar hat sich natürlich das Missverständnis aufgeklärt, aber seitdem arbeiten sie zusammen. Als Wedel 2002 nach einem Assistenten für die Nibelungenfestspiele Ausschau hielt, war von ihm aber noch gar nicht die Rede. Doch die vorgesehene Kollegin wurde krank. Seitdem wurde er zur „lebenden Telefonverbindung“ von Wedel. Seit Oktober 2005 lebt Hinkel in einer Vier-Zimmer-Altbauwohnung mit seiner spanischen Frau Monica, die er genauso zufällig kennen lernte. Nach den stressigen Festspielen 2002 begab er sich auf den Jacobs-Pilgerweg und begegnete ihr. Sie sprach kein Englisch, kein Deutsch und er kein Spanisch. Mit Wörterbuch wurde kommuniziert, aber es hat „gefunkt“. Mittlerweile klappt es spanisch-deutsch querbeet. Sie haben inzwischen einen eineinhalbjährigen Sohn Romeo, den man immer von dem Papa durch Worms geschoben begutachten kann. Nach den diesjährigen Festspielen will er einen eigenen Dokumentarfilm drehen über einen Mann, einen Außenseiter, der von Berlin nach München reitet.

Jasmin Tabatabai spielt die Kriemhild und damit viele Schattierungen: Revolutionärin am Burgunderhof in Worms, eitle Königstochter, liebende Frau und Antreiberin Siegfrieds. Sie musste sich als Kriemhild gegen ihre Vorgängerin Maria Schrader behaupten und wird vor allem erst 2007, wenn sich ihre Figur langsam aber stetig bis zum Wahnsinn steigert, zeigen können, ob die Glanzleistung von Schrader getoppt werden kann. Ihr letzter Bühnenauftritt liegt schon 13 Jahre zurück. Aber es war ihr ein Herzenswunsch, wieder Theater spielen zu können. Die Menge der 2400 Leute war kein Problem, sie hat schon vor mehr Menschen gespielt, als sie in der Kieler Ostseehalle mit ihrer Band als Vorgruppe für Nena vor 10000 Leuten einheizte. Zwar hatte sie noch nie so hart arbeiten müssen wie bei den Proben in Worms, aber sie ist begeistert von allem und natürlich auch ihrer Rolle. „Das ist eine faszinierende, gebrochene Person. Kriemhild träumt von der Weltrevolution, will am erstarrten Burgunderhof eine neue Staatsform einführen und strebt nach Macht wie alle Männer. Gleichzeitig wird sie verschachert, reagiert sie, als Brünhild Siegfried einen Lehnsherrn nennt, wie eine echte Königstochter“ (im Interview mit Roland Keth von der Wormser Zeitung). Sie wurde am 8. Juni 1967 in Teheran geboren und ist in Persien aufgewachsen. Schon in ihrer Schulzeit an der Deutschen Schule in Teheran übte sie sich in Schauspielkunst. Noch vor der Machtübernahme von Revolutionsführer Khomeini kam sie nach Deutschland. Ihr Abitur machte sie 1986 im bayrischen Planegg. Danach studierte sie an der Hochschule für Musik und Kunst in Stuttgart. Ihre Karriere als Filmschauspielerin begann 1991 mit dem Kinofilm „Kinder der Landstraße“. Den ersten kommerziellen Erfolg – und auch den Durchbruch in ihrer Karriere – hatte sie 1997 in „Bandits“. Mehr dazu weiter unten auch unter „Rahmenprogramm“ und dort unter „Theaterbegegnungen“, wo sie einen Soloauftritt mit Gitarre hatte. In weiteren Filmen überzeugte sie mit „Late Show“ von Helmut Dietls oder als laszive Sängerin Billie in Xavier Kollers Tucholsky-Adaption „Gripsholm“. 2002 kam ihre Tochter Angelina Sherri Rose zur Welt, die sie auch in Worms dabeihat. 2005 wurde sie für ihre Rolle in dem Kinofilm „Fremde Haut“ – sie spielt eine junge Iranerin, die aus ihrem Heimatland fliehen muss, weil sie der Homosexualität bezichtigt wird und ihr nun die Todesstrafe droht – als beste Hauptdarstellerin für den deutschen Filmpreis 2006 nominiert. Jasmin Tabatabai erwies sich als richtig sympathische Person, was sich auch daran zeigte, dass sie sich einmal im Vorfeld mitten in den Proben zurücklehnte und über den Mond schwärmte, der sich am Himmel zeigte. Auch das SWR1 „Leute live“-Radio widmete ihr während der Festspiele eine Livesendung, zu der bei freiem Eintritt auch Publikum ins Wormser Andreasstift zugelassen war.

Sonja Kirchberger spielt Brünhilds Vertraute Isolde und überzeugte in ihrer Präsenz fast mehr als Annika Pages als Brünhild. Die Rolle der Isolde sagte ihr von Anfang an sehr zu („Sie ist der Punk, den ich immer spielen wollte“) und zudem war es vorteilhaft, eine „leere“ Rolle etablieren zu können, die noch nicht durch Vorbilder geprägt ist. Und: „Als Dieter Wedel mich fragte, bin ich im Dreieck gesprungen und habe zugesagt, ohne eine Sekunde zu zögern“. Vor den 2400 Leuten hatte auch sie keine Bedenken zu spielen, sie hatte schon mal im Berliner Dom gespielt, was zwar nicht der Größenordnung entspricht, aber dem Gefühl eines ehrfurchterbietenden Gotteshauses. Sie findet, dass in Worms sehr lebendiges Theater gespielt wird. Geboren wurde sie 1964 in Wien, nahm zehn Jahre Unterricht im klassischen Ballett und gehörte bis 1978 zum Ballett der Wiener Oper. Sie lernte den Beruf der Zahnarztassistentin und arbeitete nebenbei als Model. Bekannt wurde sie 1988 durch den Film „Venusfalle“ von Robert van Ackeren sowie u. a. auch durch Arbeiten mit Dieter Wedel. Andere sehr erfolgreiche Filme sind „Der König von St. Pauli“ (Dieter Wedel 1998, sie spielt dort die Rolle der verzweifelten Lajana) oder „Seven Servants“ (an der Seite von Anthony Quinn). Sie spielte die unterschiedlichsten Charaktere – von der warmherzigen fürsorglichen Mutter in „Die Liebende“ (von Matthias Tiefenbacher) bis hin zur eiskalten Geschäftsfrau in „Der Runner“ (von Michael Rowitz). In der Trilogie der Kommissarin Anna Göllner hatte sie die Hauptrolle. Sie stand für viele weitere nationale und internationale Produktionen vor der Kamera und feierte Theatererfolge in Stücken wie „Der Weibsteufel“, „Jedermann“ (dreimal spielte sie die Buhlschaft) oder „Effie Briest“ und „Madame Melville“. In Worms ist sie mit ihrem Sohn.

Annika Pages spielt Brünhild. Auch sie musste sich zwangsläufig an der früheren Brünhild Wiebke Puls messen lassen, aber auch sie konnte überzeugen. Vor Wiebke Puls spielte schon Judith Rosmair in Worms die Brünhild. Sie hatte auch nicht gezögert, als das Angebot von Sabine Schroth kam, die schon viele Ensembles im Auftrag Wedels zusammengestellt hat. „Wenn Dieter Wedel einem diese Rolle anbietet, sagt man nicht nein. Ich habe gar nicht überlegt“. Der eigentliche Held im neuen Nibelungenstück ist für sie auch Brünhild, denn diese sei die einzige Anständige unter allen, die nichts aus Berechnung macht wie alle anderen, die sich bis zum Schluss nicht korrumpieren lässt, nicht bestechlich ist und ihrem Herzen Ausdruck geben will. Pages spielte in diversen Kino- und Fernsehfilmen, unter anderem auch in „Die Affaire Semmeling“ von Dieter Wedel, in der sie an der Seite Robert Atzorns dessen Freundin Doris Berg spielt, oder in „Peter Strohm“, „Die Verbrechen des Professor Capellari“, „Mann sucht Frau“ und „Unser Opa ist der Beste“. Geboren wurde sie 1968, besuchte die Staatliche Hochschule für Musik in Hannover, absolvierte danach eine Gesangsausbildung in Hamburg und München sowie eine Tanzausbildung an der Royal Academy of Dancing in Hamburg und London, hatte Engagement am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg, am Staatstheater Stuttgart, Schauspielhaus Zürich sowie am Deutschen Theater Berlin. Nach einer zehnjährigen Schauspielzeit an den Kammerspielen in München wechselte sie an das Bayrische Staatstheater, wo sie bis 2004 engagiert war. Am Deutschen Theater Berlin war sie in Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ zu sehen. 1994 bis 2004 spielte sie erst an den Kammerspielen München, dann am Bayrischen Staatsschauspiel. In Worms hatte auch sie ein eigenes Haus gemietet, wo sie mit ihren beiden Kindern lebte sowie ihrer Mutter, die während der Proben und Aufführungen die Kinder betreute. Für die Rolle der starken Brünhild trainierte sie täglich ihre Muskeln an Geräten im Studio Black & White, das die Festspiele dadurch sponsert, dass es die Trainingseinheiten spendiert.

Robert Dölle spielt Siegfried und trägt wie sein Vorgänger Götz Schubert eine Glatze. Dies irritiert vor allem das ältere Publikum, weil deren Heldenprägung die eines blonden Siegfrieds noch ist. Moritz Rinke hat auf die Auswahl und das Aussehen der Schauspieler keinen Einfluss, aber gerade diese Andersartigkeit gefällt ihm – wie er öfter erwähnte – besonders gut, denn er möchte die Klischees von den Helden verändern. Robert Dölle hat dem Publikum als Nachfolger von Götz Schubert sehr gut gefallen und wurde akzeptiert. Ähnlich wie Kriemhild ist auch Siegfried in der aktuellen Wedel-Inszenierung eine vielschichtige Figur: der strahlende Held, der degenerierte Recke und der liebende Mann. Er genoss seine Rolle und auch die vielen Komplimente der Aufführungsbesucher sehr und hatte noch nie zuvor vor 2400 Zuschauern gespielt. In einer der Filmszenen auf Großleinwand sah man ihn sogar komplett nackt badend im Drachenblut. Nach der nackten Brunhild unter Karin Beier im letzten Jahr ist es also diesmal ein nackter Siegfried, der die Frauen begeistert an der Stelle, wo sonst die Männer begeistert sind. Robert Dölle wurde 1971 in Frankfurt am Main geboren. Sein Schauspielstudium absolvierte er an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Er studierte Amerikanistik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt. Von 1996 bis 1999 war er Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen, danach arbeitete er am Schauspielhaus Frankfurt von 1999 bis 2001 und spielte dort in „Don Carlos“ von Friedrich Schiller und „Das Missverständnis“ von Albert Camus, ehe er 2001 wieder zu den Münchner Kammerspielen zurückkehrte. 2001 trat er aber auch noch bei den Salzburger Festspielen als Rosse in Calixto Bieitos Inszenierung von „Macbeth“ auf. „Rosenstraße“ von Margarethe von Trotta, „Polizeiruf 110“ und Dieter Wedels neuer ZDF-Einteiler „Mein alter Freund Fritz“ sind Filme, in denen er mitspielt.

Wolfgang Pregler spielt Hagen und ist als einziger Schauspieler bereits im fünften Jahr bei den Nibelungen. 2002 und 2003 spielte er den König Gunther, 2004 und 2005 Dietrich von Bern. Seine neue Rolle als Hagen – er spielt sie, als sei er schon immer Hagen gewesen – war mit die beste Leistung von allen Mitwirkenden (ohne dabei die anderen schmälern zu wollen). 1956 wurde er in Höntrop geboren und erhielt seine Ausbildung an der Hochschule der Künste in Berlin. Engagements an den Münchner Kammerspielen, am Schillertheater in Berlin und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wo er u. a. unter der Regie von Jossi Wieler, Leander Haussmann und Karin Beier spielte. Genauso auch Fernsehproduktionen wie „Die Affaire Semmerling“ von Dieter Wedel (2001) und dem internationalen Kinofilm „Rosenstraße“ mit Maria Schrader (2003). Auch im neuen Fernsehfilm von Dieter Wedel „Mein alter Freund Fritz“ spielt er mit. Zurzeit ist er an den Münchner Kammerspielen engagiert.

Roland Renner spielt König Gunther als zaudernden Herrscher absolut überzeugend und verlieh dieser Figur ganz neue fiese Charakterzüge. Er genoss sehr die Magie des Wormser Spielortes, das Abenteuer des Live-Spielens unter freiem Himmel und fühlte sich, als sei er an die griechischen Ursprünge des Theaters zurückgekehrt. Renner machte seine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Es folgten Engagements an den großen Bühnen im deutschsprachigen Raum: Schauspielhaus Köln, Schauspielhaus Zürich, Deutsches Schauspielhaus Hamburg und bei den Salzburger Festspielen. Wilfried Minks engagierte ihn für seine Produktion von Peter Turrinis „Tod und Teufel“ sowie die Dostojewski-Adaption „Der Idiot“, beides am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Mehrfach hat er mit Johann Kresnik zusammengearbeitet: in Hamburg bei dem Projekt „Gründgens“, am Schauspiel Hannover in Büchners „Woyzeck“ und der „Antigone“ des Sophokles, bei den Salzburger Festspielen in „Peer Gynt“ nach Henrik Ibsen. Neben seiner Theaterarbeit auch Fernseh- und Kinoproduktionen, u. a. „Zwei Tickets nach Hawaii“ von Markus Imboden oder ein „Tatort“ in der Regie von Thomas Jauch. Zur Wormser Aufführung gestand er, dass er zwar seit 30 Jahren Theater spiele, „aber diese Art von Regisseur, wie Wedel einer ist, dem Theater abhanden gekommen sei – deshalb ist es ein Genuss“ und sei eine gute Entscheidung gewesen, die Rolle anzunehmen.

Robert Josef Bartl spielt Gernot und erheiterte in ähnlicher Weise wie Eisermann das Publikum. „In der Hebbel-Fassung ist Gernot nur ein Edel-Statist, aber bei Rinke hat der Königssohn eine menschliche Figur, die Freude macht zu spielen. Die Figur hat jetzt Kontur, aber keine glatte“, sagt er im Interview von Susanne Müller mit der WZ. Moritz Rinke hat Gernot eigene Szenen hinzugeschrieben, er trifft darin auf Hagen und auch auf Brünhild. Aber in einer Friedhofsszene entpuppt er sich als schmieriger Intrigant, denn er ist der ewig Zweitgeborene, der immer an die Macht will, aber den älteren Bruder vor sich hat. Bartl hat Mediävistik studiert und kennt daher die Nibelungen sehr gut, auch im „Original“. Vor Worms hat er Hochachtung, weil sie in nur fünf Jahren Festspiele von diesem Kaliber aus dem Boden gestampft haben. Ausgebildet wurde er am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Wichtige Lehrer waren für ihn Nikolaus Windisch-Spoerk und Klaus Maria Brandauer. Während seiner Ausbildung erhielt er den Darstellernachwuchspreis der deutschsprachigen Staatlichen Schauspielschule und wurde anschließend am Burgtheater übernommen. Weitere Stationen waren Schweiz, Kampnagel Hamburg und Städtische Bühnen Frankfurt/Main. 2001 wurde er Ensemble-Mitglied am Bayrischen Staatsschauspiel. Während der diesjährigen Festspielzeit hatte er am 17. August auch Premiere im Kino mit dem Film „Wer früher stirbt, ist länger tot“. Vor offiziellem Filmstart hatte der Film aber auch schon bei Festivals einige Preise bekommen. Bartl spielt darin den sanften Pfarrer Behrendt.

Christian Nickel spielt Giselher aufgrund seiner langjährigen Theaterarbeit durchaus sehr gut, aber kam seinem Vorgänger Andre Eisermann und dessen Darstellung der stürmischen Draufgängerlust nicht ganz hinterher. Eisermann zu toppen, wäre allerdings sicherlich auch jedem anderen schwer gefallen. Verantwortlich in der Auswahl war wie bei allen Schauspielern Dieter Wedel, und der mag nun mal auch Brüche in der Wahrnehmung der Figuren. Ausgebildet wurde Nickel an der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch in Berlin. 1997 spielte er an den Salzburger Festspielen, danach am Frankfurter Schauspiel. Von 1999 bis 2001 gehörte er zu Peter Steins Faust-Ensemble und spielte dort zunächst den jungen Faust, bevor er nach dem Ausscheiden von Bruno Ganz den gesamten Part der Titelfigur übernahm. Seit 2002 arbeitet er am Bayrischen Staatsschauspiel. Im September 2003 gab er sein Debüt als Regisseur mit Lessings „Emilia Galotti“ im Alten Schauspielhaus Stuttgart, weswegen ihm Wedel weitgehend in seiner Interpretation der Giselher-Rolle freien Lauf ließ. Seit 2005 ist er Ensemblemitglied am Burgtheater in Wien.

Ute Zehlen spielt Ute. Sie ist Ensemble-Mitglied am Schauspiel in Essen. Interessanterweise hat sie dort in einer Hebbel-Nibelungen-Inszenierung von Anselm Weber bereits zuvor die Ute gespielt. Vor Essen war sie u. a. am Staatstheater Kassel, Staatstheater Stuttgart, Schauspiel Frankfurt und Stadttheater Heilbronn. Zu den wichtigen Produktionen gehören „Maria Stuart“, „Onkel Wanja“ und „Der jüngste Tag“. Für ihre Rolle der Rose in Martin Shermans gleichnamigen Stück wurde sie in der Kritikerumfrage der Kulturzeitschrift „neues Rheinland“ 2000/2001 zur besten Schauspielerin gekürt. Eigentlich hätte Renate Krößner die Mutter Kriemhilds in Moritz Rinkes Stück „Die Nibelungen – Siegfrieds Frauen“ spielen sollen. Doch schon kurz nach Probenbeginn hatte Dieter Wedel sich von Regina Krößner wieder getrennt.

Marcus Calvin spielt Ortwin von Metz, den Bruder von Hagen. Er wurde an der Otto-Falckenberg-Schule in München ausgebildet. Sein erstes Engagement war am Theater der Stadt Heidelberg. Es folgten Staatstheater Kassel, Nationaltheater Mannheim und Staatstheater Stuttgart. Seit 2001 ist er Ensemblemitglied des Bayrischen Staatsschauspiels und spielte dort u. a. den Leopold Blum in „Tropfen auf heißen Steinen“ in der Inszenierung von Tina Lanik und den Ariel in „Der Kissenmann“ in der Inszenierung von Hans Ulrich Becker. Seit Juni 2006 ist er in Franz Xaver Kroetz`s Uraufführung von „Tänzerinnen und Drücker“ als einer der vier Drücker zu sehen.

Mathias Redlhammer spielt Hunold. Er absolvierte seine Ausbildung an der Westfälischen Schauspielschule Bochum. Danach arbeitete er am Schauspielhaus Bochum, Burgtheater Wien, Schillerhaus Berlin, Thalia Theater Hamburg, Schauspielhaus Düsseldorf und Zürich. In zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen war er zu sehen, u. a. im Kinofilm „Bluthochzeit“ von Dominique Derrudre, in dem TV-Sechs-Teiler „Die Affaire Semmeling“ von Dieter Wedel sowie in „Die Kommissarin“, „Ein Fall für Zwei“ oder „Tatort“.

Tilo Keiner spielt vier Rollen: Sindold, den Mundschenk, den finnischen König Jukka Thor (und wirbt darin um Brunhild gar auf finnisch, dessen Text er mit einer Sprachlehrerin lernen musste), einen Sachsenkönig und einen üblen Burgunder, der mit einem Kumpel eine Isländerin (Valerie Niehaus) erst vergewaltigt und dann tötet, sowie bei der Kinder-Vorführung sogar im Mittelpunkt als zusätzlicher Erzähler. Keiner ist 1962 geboren, stammt aus Düsseldorf und besuchte zwei Jahre die London Academy of Music and Dramatic Art. Seit 1986 spielt er Theater in Köln, Nürnberg und Trier. Neben Engagements am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg und vor dem Schauspielhaus Bochum stand er von 1993 bis 1995 am Schauspielhaus Nürnberg auf der Bühne. Seit 1995 wirkt er in deutschen und englischsprachigen Film- und Fernsehproduktionen mit. Neben zahlreichen Fernsehserien wie „SOKO 5113“ oder „Girlfriends“ verfügt er auch über Hollywood-Erfahrung, wo er mit Steven Spielberg in „Der Soldat James Ryan“ arbeiten konnte. Im deutschen Kino spielte er in „Der Ärgermacher“. In Stuttgart spielte er seit zwei Spielzeiten im „Abba“-Erfolgsmusical „Mamma Mia“. Auch bei mehreren Inszenierungen von Karin Beier, die im letzten Jahr in Worms noch die Nibelungen aufführte, hat er mitgewirkt. Im letzten Jahr war er bei den Wormser Festspielen auch schon mit dabei und spielte die Rolle des Hunnen Werbel.

Andre Eisermann spielt dieses Jahr den „wormserisch babbelnden“ Burgwächter und ist sowieso als Wormser das eigentliche Lieblingskind des Wormser Publikums. Er ist von Anfang an dabei und spielte in den vier Jahren zuvor den Giselher. Die Rolle in diesem Jahr war nicht mehr ganz so umfangreich. Wahrscheinlich wäre er auch nicht mehr im neuen Ensemble gewesen, wenn er für die Wormser nicht als Institution dazugehören würde. Deswegen geht es ihm vor allem darum, überhaupt dabei zu sein. Zur Ensemble-Vorstellung im Mai war er noch für die Rolle des Hunold vorgesehen, die jetzt Matthias Redlhammer spielt. Der Burgwächter war eigentlich für den Politiker Norbert Blüm vorgesehen, der allerdings, nachdem er dachte, er würde aufgrund seiner früheren Finanzpolitik durchs Drehbuch veralbert, und sich an einigen der „Reformsätze“ störte, von seiner Zusage zurücktrat. Eisermann wurde bekannt durch die Filme „Kaspar Hauser“ und „Schlafes Bruder“. Besonders „Kaspar Hauser“ (1993) machte ihn mit 25 Jahren überraschend quasi „über Nacht“ zum Weltstar. Dafür wurden ihm zahlreiche Preise verliehen (z. B. der Darstellerpreis des internationalen Filmfests von Locarno, der Bayrische Filmpreis und der Deutsche Filmpreis). „Schlafes Bruder“ von 1995 wurde für den Golden Globe nominiert. Ausgebildet wurde er an der Otto-Falckenberg-Schule in München, spielte u. a. an den Kammerspielen München und wurde danach von Regisseur Axel Corti ans „Theater in der Josefstadt Wien“ geholt. Mit großem Erfolg übernahm er 2005 die Rolle des Prinzen Otto im Musical „Ludwig2“ auf der Bühne des Festspielhauses Neuschwanstein in Füssen. Er trägt auch regelmäßig etwas für das Rahmenprogramm der Festspiele bei – in diesem Jahr sein Auftritt bei „Die Zaubergans“, wo er die verbindenden Texte sprach.

Andreas Bisowski spielt den witzigen radelnden Boten Hans. Er war so angetan davon, dass er nach den Aufführungen der Requisite sogar das Bühnenfahrrad abgekauft hat. Seine Schauspielausbildung absolvierte er an der Berliner Universität der Künste. Danach war er Ensemblemitglied des Maxim-Gorki-Theaters. Es folgten ein Engagement am Deutschen Theater Berlin und Inszenierungen mit Robert Wilson, Hans Neuenfels und Peter Wittenberg. Er spielte in TV-Serien und -Filmen wie „Der Landarzt“, „Balko“, „Stauffenberg“. Für die Neuköllner Oper schrieb er Theaterstücke, das Libretto für die Oper „Friendly Fire“ und die Oper „Wischen/No Vision“. Bei den Nibelungen war er schon in der ersten Inszenierung von Dieter Wedel als Hans der Bote zu sehen. Dieter Wedel hatte er durch einen Werbespot mit Mario Adorf kennen gelernt. Wie auch Thilo Keiner trat er in Worms bereits als Hunne Werbel bei Karin Baier auf.

Valerie Niehaus spielt eine Isländerin und dabei zum ersten Mal auch open-air. Sie ist 1974 geboren. 1987 wurde sie für Klaus Emmerichs TV-Film „Rote Erde“ entdeckt. Am Tag ihres Abiturs erhielt sie die Rolle der Julia in „Verbotene Liebe“ und war von 1994 bis 1996 in dieser Rolle zu sehen. 1997 zog sie nach New York und absolvierte ihre Ausbildung am Lee Strasberg Theatre Institute. Zu ihren weiteren Fernsehauftritten zählen die Krimiserie „SOKO 5113“ und Karola Zeisberg-Meeders TV-Film „Rosamunde Pilcher: Stunden der Entscheidung“. Im Kino war sie in Sönke Wortmanns Episodenfilm „St. Pauli bei Nacht“ und 2000 im Michael Karens Horrorthriller „Flashback – Mörderische Ferien“ zu sehen. Weitere Filme sind „Vera Brühne“ (2003) und „Donna Leon – Beweise, dass es böse ist“ (2005). 2006 landete sie einen großen Erfolg mit dem TV-Zweiteiler „Rose unter Dornen“ mit Heinz Hoenig. Derzeit im Fernsehen zu sehen ist sie in der ZDF-Serie „Alles über Anna“. Sie spielt auch in Wedels neuem Film „Mein alter Freund Fritz“ eine Krankenschwester, die Vanessa heißt. Bei den Arbeiten zu diesem Film wurde sie für die Nibelungenfestspiele verpflichtet. Die Erfahrungen, die sie hier machen konnte, sind eine große Bereicherung für sie und vor allem begeistert sie der Schauplatz der Bühne vor dem Dom. Sie findet es interessant, wie im diesjährigen Stück aufgezeigt wird, wie an Brünhild und den Isländerinnen eine ganze Kultur zerstört wird, und ist stolz, dass gerade mit ihrer Rolle ein Exempel statuiert wird. Sie war aber eine der wenigen, die erstmal zögerte, als sie die Rolle angeboten bekam. In Worms hatte sie für die Festspielzeit eine kleine Wohnung mit ihrem kleinen Sohn und ihrem Freund gemietet.

Weitere Isländerinnen:

Nina Kolberg debütierte nach ihrer Ausbildung für Bühnentanz der Stadt Köln am Kölner Schauspielhaus. Es folgten Engagements am Ernst-Deutsch-Theater, an den Hamburger Kammerspielen, am Altonaer Theater Hamburg und an weiteren Häusern. Im Fernsehen war sie in den Serien „Verbotene Liebe“, „Großstadtrevier“, und in Fernsehfilmen wie „Typische Sophie“ oder in „Die Rettungsflieger“ zu sehen. 2001 moderierte sie die „Ally McBeal Nacht“, im gleichen Jahr wurde sie für den Puck-Nachwuchspreis für junge Schauspieler nominiert.

Christina Dais absolvierte das Studium für Schauspiel, Gesang und Sprechausbildung bei Irene Haller in Heidelberg. Neben vielfältiger Bühnentätigkeit stand sie zum ersten Mal 1995 mit dem Episodenfilm „Der Mond scheint auch für Untermieter“ mit Heikko Deutschmann vor der Kamera. Seitdem wirkte sie in einigen TV-Produktionen mit, z. B. im „Tatort“, „Bin ich sexy?“, „Niedrig und Kuhnt“, „Zwei bei Kallwass“ und in Dieter Wedels Zweiteiler „Papa und Mama“. Neben zahlreichen Synchronarbeiten ist sie auch mit Lesungen präsent, so z. B. zu den letztjährigen Nibelungenfestspielen.

Dominique Voland ist eigentlich Tänzerin und lernte an der Palucca-Schule Dresden und an der Staatlichen Ballettschule Berlin. Sie tanzte an verschiedenen Theatern und Opernhäusern und war Mitglied der Jazzdance-Company „MM Dancers“. Bereits in den Nibelungen-Inszenierungen 2002 und 2003 in Worms spielte sie die schöne und stumme Dietlinde von Bechelaren.

Statisten und andere Mitwirkende

John von Düffel ist seit 2002 betreuender Dramaturg. Er las dieses Jahr auch aus seinen Romanen im Rahmenprogramm (siehe „Rahmenprogramm“).

James McDowell ist künstlerischer Betriebsdirektor

Thomas Schiwek und Ulrich Mieland sind die Geschäftsführer der Festspiele GmbH.

Monika Liegmann ist Pressereferentin von Dieter Wedel. Zuvor war sie VIP-Reporterin, die ihre Karriere bei der Pirmasenser Zeitung begann. Im Anschluss machte sie Praktika bei verschiedenen Zeitungen in den USA, war allerdings auch in Deutschland bei der Saarbrücker Zeitung beschäftigt. Durch ihre Starberichte hat sie Dieter Wedel kennen gelernt und sich als Pressereferentin selbstständig gemacht.

Michael Rütz ist technischer Leiter und war unter anderem dafür zuständig, dass der ganze Tribünenaufbau nach den Wünschen der Festspielleitung vonstatten ging. Er ist hauptberuflich technischer Direktor am Stadttheater Krefeld/Mönchengladbach. Der Auftrag in Worms macht ihm Spaß und er lernt hier viel dazu.

Jens Kilian: Bühnenbild

Ilse Welter-Fuchs aus Hamburg ist die Kostümbildnerin. An ihrem Arbeitsplatz stehen drei Nähmaschinen nebeneinander an einer Wand, eine große Platte auf mehreren Holzblöcken dient als Zuschneidefläche. An einer Kleiderstange hängen Kostüme. Seit 30 Jahren macht sie diesen Job. Innerhalb kürzester Zeit hat sie für das Nibelungenstück 300 Kostüme organisiert. Kriemhild, Ute, Brünhild und Hagen bekamen ein völlig neues Outfit und die Solisten benötigten 33 Anfertigungen großer, komplizierter Kostüme. Hilfe erhält sie von Gerlinde Schidrich, die wie jedes Jahr zu den Festspielen ihr Geschäft in Gundheim für sieben Wochen schließt, um hier mit ihrem schneiderischen Können zu unterstützen. Welter-Fuchs hat aber die Kostüme entworfen. Ein Brokatkleid für Kriemhild, ein Gewand mit Keulenärmeln für Ute, ein knapp bemessenes in Leder für Brünhild, einen so genannten „Gänsebauch“ über breitem Gürtel für Sindold, für Burgwächter Eisermann Anzug, Hornbrille und Seitenscheitel. Für das Ende des Stückes dann noch mal ein Businesskostüm für Kriemhild und eine Elvis-Lederjacke für Siegfried. Aber das Outfit der Charaktere ändert sich auch ein paar Mal während der Probezeit und diesen Anweisungen muss sie sich fügen und sie kreativ umsetzen. Um sich vorzubereiten, wälzte sie Bücher über die Kleidung des Mittelalters, um sie auf die heutige Zeit übertragen zu können. „Mittelalter, Renaissance, Moderne, das fließt alles zusammen“.

Gerlinde Schidrich schneidert für die Festspiele und unterstützt die Kostümbildnerin. Seit vier Jahren ist sie dabei und arbeitet zehn bis zwölf Stunden am Tag. Sie hat ihre eigenen Mitarbeiterinnen Marianne Röß und Anna Mengel. Anne Mengel ist Praktikantin. Mit den ganzen historischen Kostümen, Waffen und dem vier Meter hohen Eispferd der letzten vier Jahre Nibelungenspiele könnte man ein eigenes Museum aufmachen.

Wolfgang Siuda ist musikalischer Leiter. Er war schon bei den ersten Festspielen 2002 mit dabei und erinnert sich, dass das technisch gesehen viel stressiger war, da man noch völlig unerfahren war und es bis zum letzten Tag unklar blieb, ob man die Festspiele würde durchführen können. In letzter Not wurde er von Dieter Wedel damals noch kurz vor der Premiere direkt aus seinem Urlaub nach Worms geholt. Dieses Jahr war er zum zweiten Mal in dieser Funktion zugegen, allerdings vom ersten Tag an beteiligt. Er hatte vielfältige Aufgaben, denn in Rinkes Stück singen die Schauspieler wie die Komparsen. Er sucht die Lieder dafür aus, z. B. die finnische Nationalhymne für den Auftritt finnischer Soldaten, einiges komponiert er auch selbst und probt es mit den ‚Betroffenen‘. Zudem steuert er selbst komponierte Einspielungen bei, die die unterschiedlichen Klangwelten symbolisieren. Natürlich kümmert er sich auch um flächendeckende Klänge etwa bei Schlachten, wo die Musik die Wucht und Dramatik auf der Bühne unterstreicht. Livemusiker wie bei Karin Beiers Hebbel-Inszenierung gibt es in der neuen Wedel-Inszenierung nicht – ausgenommen von Trommlern, Fanfarenbläsern und dem Auftritt eines Saxophonisten, der kaum auffiel, da er nur für Hintergrundmusik beim Hochzeitsbankett am Burgunderhof sorgte. Es ist Jonathan van der Loo, der letztes Jahr schon als Trommler dabei war. Zusammen mit Jacob Eberhard, auch ein Trommler vom letzten Jahr, tritt er zudem wiederum als Trommler auf. Ständig fährt Siuda von Worms aus ins Hamburger Tonstudio, um die gewünschten Klänge zu komponieren und zu produzieren. Diese Klänge wurden auf Tonträger gespeichert, in den Computer übertragen, um dann vom Toningenieur abgefahren zu werden. Sein Job war also mit der Generalprobe beendet. Er hat bereits an vielen Schauspielhäusern gearbeitet, darunter das Burgtheater in Wien, die Kammerspiele in München oder das Schauspielhaus in Zürich. Er wollte gerne wieder mit Wedel zusammenarbeiten, kannte auch viele der Schauspieler und findet die Freilichtbühne vor dem Dom natürlich sehr reizvoll. Nicht zuletzt genießen die Nibelungen-Festspiele in Künstlerkreisen auch außergewöhnlichen Stellenwert.

Jacinta Walsh: Choreografie

Karsten Riecher ist der Waffenmeister, der mit seinen Helfern die Theaterwaffen herstellt und betreut (Schwerter, Hellebarden, Spieße, Schutzausrüstung, Handschuhe, Rüstung, Helm) und auch selbst im Stück mitspielt. Er ist bereits zum dritten Mal mit dabei.

Cornelia Ehrlich ist Chefin der Komparserie, die die Statisten betreut.

Klaus Figge: Kämpfe

Katharina Böhner ist Maskenbildnerin. Sie studierte in Dresden und ist seit fünf Jahren freiberuflich bei den Nibelungenfestspielen dabei. Sie stammt aus einer Theaterfamilie und hat sich dadurch aufs Schminken und Frisieren spezialisiert. Für Brünhild fertigte sie eine auch echten Haaren handgefertigte Perücke an, und da jedes Haar einzeln angepasst werden muss, benötigte sie dafür 50 Stunden. Täglich wird Brünhild von ihr zudem zwei Stunden mit Make-up am ganzen Körper geschminkt. Ihre Mitarbeiter Phil Hinze, Nicola Olbs, Nora Leibiz und Maria Reder schminken außer den Hauptdarstellern auch noch ein paar der neunzig Komparsen. Alle Schauspieler haben einen Maskenbildner, der für sie zuständig ist und sie mehrmals nachschminkt. Die Mikrophone werden an der Haut geschminkt, so dass man sie nicht mehr sieht. Sie sind an Stirn oder Wange angebracht. Im vorigen Jahr mussten die Schauspieler in einer Szene in ein Wasserbecken fallen, und damit keine Mikros beschädigt wurden, wurden diese mit Zellophanpapier abgedeckt und wieder überschminkt. Die Maske befindet sich in zwei kleinen gut ausgestatteten Containern, wo pro Raum drei Personen geschminkt und frisiert werden können. Auf einem langen Tisch stehen drei große beleuchtete Spiegel und Köpfe aus Styropor, die die Perücken tragen. Diese müssen, wie ganz normale Haare auch, gewaschen werden können.

Juliane Eckstein: Requisite

Tilo Steffens: Bühnenbildassistenz

Bastian Korff: Musikassistenz

Kerstin Matthies: Kostümassistenz

Ilona Rühl: Souffleuse

Jörg Grünsfelder ist mit seinem Team Tonmeister, Ferry Siering (fett film) ist Video-Designer und Ulrich Schneider Licht-Designer (siehe unter „Specials“).
Zum Team von Jörg Grünsfelder gehört auch der Tontechniker Christian Ruppel, der seit 18 Jahren weltweit als Tontechniker engagiert wird und bereits seit drei Jahren bei den Nibelungenspielen mit dabei ist. Er plant die Tontechnik komplett durch. Jeder Umkleide-Container für die Schauspieler verfügt auch noch über Lautsprecher, die sie über das Geschehen auf der Bühne informieren. Das meiste an Technik ist aber auf der Bühne. Die 30 Meter lange und 20 Meter tiefe Bühne wurde von 30 schwitzenden Arbeitern aufgebaut. Insgesamt sind 200 Arbeiter auf dem Gelände beschäftigt. Mehr zur Technik im Folgenden unter den „Specials“.

Detlev Hahne ist Stage Manager und kommandiert aus einem einfachen Bretterverschlag direkt hinter der Bühne. Er arbeitet seit 1977 als Inspizient am Stadttheater Heilbronn und kommt nunmehr seit fünf Jahren auch zu den Festspielen nach Worms, die er als „Abenteuer-Urlaub“ empfindet.

Shoddy ist einer der fünfzehn Bühnentechniker.

Monika Liegmann und Simone Schofer machen die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Patrick Garneur koordiniert mit zwei weiteren Kollegen den kompletten Aufbau der vielen Zelte, Rampen, Tische, Wege und Lampen. Es gibt ein großes Bewirtungszelt, weitere kleinere Zelte, einen eigenen VIP-Bereich, eine kleine Bühne für einen Pianospieler und auch Heylsschlösschen und erstmals Heylshof selber konnten mitgenutzt werden.

Stefan Lubojanski ist der Wormser Stammfahrer von Dieter Wedel, der diesen mitunter auch mit frisch gebackenem Zwetschgenkuchen seiner Mutter versorgt.

Thorsten Kublank ist einer der neunzig Statisten, für die Dieter Wedel voll des Lobes ist. Er ist einer derjenigen, die Wedel gerne als Schauspieler fördern möchte. Der 34-Jährige steht seit 17 Jahren beim Theaterkreis Bobenheim-Roxheim auf der Bühne und hat in der jetzigen Inszenierung sogar eine kleine Rolle bekommen. Er spielt einen fränkischen Bewerber an Brunhilds Hof, ein anderes Mal einen verletzten beinamputierten Burgundersoldaten, dann als ein Nibelunge und später, als sächsischer Soldat, steckt er Prügel von Siegfried ein. Aber die meisten Komparsen spielen mehrere Rollen. Wie viele seiner Kollegen spielt er bereits zum fünften Mal bei den Festspielen mit. Jeden ersten Freitag im Monat ist Statistentreffen. Man ist aus Leidenschaft dabei, denn Geld gibt es nicht viel. Für jede Probe 10 Euro, für jede Aufführung 25 Euro – für einen Zwölfstundentag, wofür man sich eigens Urlaub nimmt, ist das nicht gerade viel. Auch viele Schüler opfern dafür ihre Ferien. Die Schauspieler bedanken sich regelmäßig bei den Statisten, was eigentlich außergewöhnlich, denn im Theaterbetrieb keineswegs üblich ist.

Andreas Gaul ist Chef-Caterer. Zu seiner Arbeit siehe unten unter „Specials“, dort am Ende.

Manuela Liebig betreut das Marketing mit der lokalen Geschäftswelt und den Festspielen auf Messen.

Sidestep ist das eingesetzte Pferd auf der Bühne. Sollte man es unter Mitwirkenden erwähnen? Wohl durchaus, denn der Wallach gehört zum Stamm des Festspiel-Ensembles und ist zum dritten Mal mit dabei. In den beiden Vorjahren hatte er unter Karin Beiers Regie Otnit, Etzels Sohn, auf die Bühne getragen. In diesem Jahr darf er mit König Gunther auf dem Rücken vor die Zuschauer treten. Neben seiner Besitzerin Carmen Bonnet waren zwei weitere für ihn zuständig: die Kostümbildnerin und der Waffenmeister. Denn er musste einen imposanten Überwurf bekommen (dem König geziemend) und Waffenmeister Karsten Rischer fertigte für ihn einen Harnisch und Brustgeschirr aus Stahlblech. In der neuen Inszenierung stirbt er, wofür er zur Sicherheit von einem Papppferd gedoubelt wird. Denn eigentlich legt er sich auf Befehl auch hin und bleibt selbst länger liegen.

Die Hunde müssen dann auch ehrenhalber erwähnt werden. In den vergangenen Jahren gab es bei Karin Beiers Stück ja eine ganze Hundemeute. Diesmal blieb es auf drei Hunde des Königs Gunther beschränkt. Es gab für diese „Rollen“ ein richtiges Hunde-Casting, wo viele Hundebesitzer verschiedenster Rassen erschienen waren. Wedel war sehr ernsthaft bei der Auswahl, die wuchtige Dogge „Einstein“, die das Herz der Schauspieler sofort eroberte, war ihm zu „wuchtig“, die knuffigen Malteser waren ihm zu „süß“ und die Windhunde zu „edel“. In die engere Wahl kamen zwei Dobermänner („Attila“ und „Zora“ von Manuela Scheibs aus Biblis) und zwei Ridgebacks.(„Muffin“ und „Julius“ von Mareike Rosner-Groll aus Worms). Alle vier waren bei den Proben dabei, welche drei dann auf der Bühne letztlich standen, entzieht sich meinem Wissen. Und die Besitzer durften ihre Hunde auch auf die Bühne begleiten und als Statisten mitspielen.

Buchwurminfos IV/2006

Mit Beginn der aktuellen _Rechtschreibreform_ zum 1. August stellte der Axel Springer Verlag sämtliche Publikationen auf die Rechtschreibprogramme aus dem Hause Duden um. Im Jahr zuvor (2005) war der Duden zur Rechtschreibreform völlig gefloppt. Die Käufer boykottierten das Werk, da klar war, dass es schon bald wieder veraltet sein würde. Im Wettbewerb mit dem Wahrig-Wörterbuch wurde es schließlich verramscht. Der Gewinn des Brockhaus-Verlages brach um zwei Millionen Euro ein und die Aktionäre mussten auf ihre Dividenden verzichten. In diesem Jahr kam der Bertelsmann-Wahrig wieder schon im Juni heraus, der Duden dagegen erst Ende Juli. Erstaunlicherweise unterscheiden sich beide Werke erheblich. Es gibt zu viele fakultative Varianten. Z. B.: Warum schreibt sich „wohltuend“ zusammen, „wohl lautend“ aber nicht zwingend? Im neuen Duden befinden sich 3000 Rechtschreibempfehlungen, im neuen Wahrig dagegen nur 50 paradigmatische Fälle in Tipp-Infokästen. Auffällig dabei ist, dass der Duden tendenziell die Rechtschreibung von 2004 verteidigt, während der Wahrig eher den Vorschlägen des Rats der deutschen Rechtschreibung von 2006 folgt. Beim genauen Studium des Duden finden sich eine Menge Ungereimtheiten. Einerseits plädiert man für „gewinnbringend“ und „fleischfressend“, andererseits für „Erfolg versprechend“ und „Wasser abweisend“. Der Duden spricht von „frei laufenden“ Hühnern, der Wahrig von „freilaufenden“. Hilfreich scheint beim Wahrig immerhin eine 14-seitige Übersicht der Unterschiede zwischen 2004 und 2006. In den Rechtschreibbüchern bis zur 10. Klasse spart man deswegen noch strittige Begriffe aus, wie im „Findefix“ oder im Duden-„Grundschulwörterbuch“, wo einige Getrenntschreibungen unterschlagen bleiben (wie z. B. „allein erziehend“). Bis die Grundschulkinder alt genug sind für richtige Wörterbücher, stehen sicherlich noch genügend Korrekturen ins Haus. Derzeit tut das „richtige“ Entscheiden nach wie vor weh.

Nach den 26 Filialen von „Gondrom“, den Läden von Bouvier-Gonski und Kober-Löffler hat _Thalia_ nun auch achtzehn Buchhandlungen von „Grüttefien“ mit 50,1 % Anteil in den Konzern übernommen. Der Name Grüttefien wird zunächst noch erhalten bleiben, dann aber sukzessiv durch den neuen Namen Thalia ersetzt werden. Das Tempo, mit dem Thalia expandiert, überrascht. In den Großstädten und Einkaufszentren werden jetzt die Claims gegen die Konkurrenz wie Hugendubel, Buch & Kunst, Weltbild und Buch Habel (die auch kräftig expandieren) abgesteckt.

Der Umsatz der _Sondereditionen der Billigbibliotheken_ aus Zeitungsverlagen wie „SZ“, „Bild“ oder „Brigitte“ ist im Sinken begriffen. Wie Random House es vor kurzem schon prognostizierte, haben diese Editionen ihren Zenit erreicht. Für Taschenbuchverlage bedeutet das, dass sie wieder aufatmen können. Das Aus für solche Editionen ist das aber natürlich noch nicht. Im Herbst startet die Zeitschrift _“Geo“_ in Zusammenarbeit mit dem Bibliografischen Institut und Brockhaus eine 20 Bände umfassende _Lexikon-Edition_. Jeder Band enthält neben einem Lexikonteil ein „Geo“-Dossier mit Reportagen und Berichten zu ausgewählten Themengebieten. Billig dagegen ist das eigentlich wie bislang aber auch nicht mehr. Ein Einzelband kostet 17,90 Euro, die komplette Reihe ist für 299 Euro zu haben. „Bild der Frau“ startet mit dem Mira-Taschenbuchverlag die _“Bild der Frau“-Bestseller-Reihe_. U. a. gibt es da auch „Wo bist du?“ von Marc Levy im Hardcover für nur 5,95 Euro. Außerdem startet _“Bild“_ mit Random House die _“Erotik-Bibliothek“_. Erotik zum Hören als Hörbuch gibt es bereits in der _“Playboy-Hörbuch-Edition“_ vom Oskar Verlag zusammen mit der Zeitschrift „Playboy“. Die Zeitschrift „Eltern“ war 2005 unter dem Namen „Abenteuer Hören“ mit Hörbüchern an den Start gegangen und erweitert das nun zur _“Eltern-Abenteuer-Edition“_, wo in Kooperation mit Beltz & Gelberg, Random House Audio und Universum Film neben Hörbüchern auch Bilderbücher und Filme versammelt werden. Literarisch am interessantesten in diesem Jahr ist aber die Edition des „Spiegels“ mit den 40 Bänden aus vierzig Jahren _Spiegel-Bestseller-Listen_. Und im Herbst ebenso interessant, da mit CD gekoppelt, eine 20-bändige _“Klassik“-Edition der „Zeit“_, die sich den Stars klassischer Musik widmet. Aufgrund der derzeitigen Markverstopfung werden perspektivisch gesehen nur zwei, drei Verlage in diesem Geschäftsfeld tätig bleiben können. Die „SZ“ ist da auf jeden Fall dabei und plant auch weitere Editionen. Ob solche Prognosen eintreffen werden, wird sich aber erst noch zeigen. Über Umsatzeinbußen durch die Editionen (vor allem im Taschenbuchgeschäft) gibt es mittlerweile auch sehr widersprüchliche Untersuchungen. Große Verlage sprechen von Einbrüchen, unabhängige Studien dagegen von einem Zuwachs, weil das Leseinteresse geweckt worden sei.

Über _Bestseller-Charts_ zu berichten, ergibt angesichts der schon ganzjährigen Unbeweglichkeit dort eigentlich wenig Sinn. Neue Titel hinein bringt vor allem Elke Heidenreich jeweils mit ihrer „Lesen!“-Sendung im TV und fast alle ihre Bände aus der „Brigitte“-Edition landen automatisch sofort auf vorderen Plätzen. Erst im Sommer kam frischer Wind in die Charts und von null auf die ersten beiden Plätze stieg Random House ein mit Elisabeth Georges neuem Krimi „Wo kein Zeuge ist“ und dem dritten Teil von Jonathan Strouds „Bartimäus“-Trilogie „Die Pforte des Magiers“.

Den größten Umsatz machte während der Fußball-Weltmeisterschaft allerdings _Panini_ mit seinen Sammelbildern fürs Album. Kalkuliert war ein Bedarf für Deutschland von 100 Millionen Tütchen à sechs Bildchen, aber es wurden schließlich 155 Millionen ausgeliefert. Weltweit druckte Panini 4,8 Milliarden WM-Sticker. Im Jahr 2005 war der Umsatz mit Klebebildern 400 Millionen Euro und 2006 dürfte sich dieser um ca. 30 % steigern.

_Weltbilds Bestseller Jokers_ bietet unter www.jokers-downloads.de jeden Monat einen Kurzkrimi als pdf-Datei zum Download an.

_S. Fischer Verlag_ startet im Herbst eine 32-bändige Sonderedition mit modernen Klassikern in aufwendig gestalteten Leinenbänden mit abgerundeten Ecken (!) zum Preis zwischen 12 und 14 Euro. Der Name der Reihe lautet „_Jahrhundertwerke_“; Fischer will damit sein eigenes Profil zeigen und seine Substanzen wie Kafka, Hemingway, Fontane und Thomas Mann neu verwerten.

Die _Deutsche Grammophon Literatur_ vertont zusammen mit der _“Zeit“_ ausgewählte _Rowohlt_-Monografien zum Preis zwischen 9,90 und 11,90 Euro. Zu den ersten Hörbüchern, die in das Leben und Werk berühmter Persönlichkeiten einführen, gehörten Clara Schumann, Andy Warhol und Albert Einstein. Im Herbst folgen u. a. Marilyn Monroe und Jesus. Auch die „_Brigitte-Hörbuch-Edition_“ wird fortgesetzt. Elke Heidenreich hat wieder 26 Titel ausgewählt. Mit einem Kinderbuchprogramm geht die Holtzbrinck-Tochter _Argon_ im Herbst mit entsprechenden Hörbüchern an den Start. Ebenso im Herbst startet der _be.bra Verlag_ mit seinem Imprint _be.bra phon_ mit Krimis und Belletristik. Der _Dioneta Hörbuchverlag_ hat ein Programm mit Fantasy- und Spannungstiteln vorgelegt. Auch der Kinderbuchverlag _Coppenrath_ ist ins Hörbuchgeschäft mit dem erzählenden Kinderbuch eingestiegen. Unter dem Namen „Auge und Ohr“ gab es bereits eine Hör-Backlist, aber nun kommt dazu ein echtes Hörbuch-Programm mit fünf Produktionen pro Halbjahr.

Die Gewinner des _Leipziger Hörspielsommers_: Das erstplatzierte Werk „Tages Todestag“ von Kristoffer Keudel überzeugte die fünf Jury-Mitglieder des Leipziger Hörspielsommers durch seinen Perspektivenreichtum und eine „sprachlich gelungene Darstellung“. Das Kriminalhörspiel „er.ich“ eroberte den zweiten Platz. Der dritte Preis wurde an „Die Sonne, ein Park geht unter“ vergeben. Außerdem sprach die Jury vier lobende Erwähnungen aus.

Neben den Kiosk-Comicreihen gibt es natürlich interessante Comic-Verlage. Beispielsweise _Reprodukt_, der vor 15 Jahren mit einem Independent-Programm startete. Im Programm erscheinen episch anspruchsvolle Alben deutscher und franko-belgischer Zeichner. Letztere finden sich auch im Programm von _Avant-Verlag, Edition Moderne_ oder der _Edition 52_. Überhaupt scheint endlich der „Manga“-Markt, der derzeit noch 80 % Anteil hält, gesättigt. _Egmont Ehapa_ baut inzwischen auch wieder seinen Stamm deutscher Illustratoren kontinuierlich auf. Diesem Trend folgen alle großen deutschen Comic-Verlage. _Panini_ dagegen bedient mit viel Engagement die Superhelden-Fans. Zuletzt wurde ein Vertrag mit den zu _DC-Comics_ gehörenden US-Labels _Vertigo_ und _Wild Storm_ abgeschlossen, so dass nun das gesamte DC-Portfolio bei Panini erscheint. Aber auch das Manga-Programm von Panini hat noch Zuwachs: In „_Trinity Blood_“ – in Japan der Renner – werden Vampire gejagt und in „_Fullmetal Alchemist_“, mit über 10 Millionen verkauften Exemplaren in Japan einer der erfolgreichsten Mangas, bestehen die Brüder Ed und Al Abenteuer mit Magie und Alchemie.
Ansonsten jüngst bei Panini: In der _Wolverine_-Heftreihe startete mit Ausgabe 31 der Fünfteiler „Anfang und Ende“, in welchem wichtige Fragen zu Wolverines Geschichte behandelt werden. Ebenfalls als Heftreihe begann _Justice_, eine auf sechs Doppelhefte angelegte Story um die „Justice League of America“ (Superman, Batman, Aquaman, Wonder Woman, Green Latern und Flash). Gemalt von Alex Ross, geschrieben von Jim Krueger, ist diese kleine Reihe ein edel gemachtes photorealistisches Abenteuer. Und wie kürzlich „Batman“ ganz neu als Comic wieder begann, kommt nun auch „_All Star Superman_“, wo jeder, ohne je Superman gelesen zu haben, ganz von Anfang an wieder mitfiebern darf. Eine weitere Sensation im Heftbereich sind sieben Ausgaben der _Infinite Crisis_, all die bekannten Superhelden in einem gigantischen Paralleluniversum. Und was bei DC geht, gibt es bei Marvel ja ähnlich. In einer vierteiligen Heftreihe _House of M_, ebenfalls einer Parallelwelt, existieren mutierte Versionen von Spider-Man, X-Men und allen anderen Superhelden. Und diese Abenteuer gibt es auch in einer großen Special-Edition _House of M-Ausgabe, Marvel Monster Edition 13_ (mit anderen Geschichten). Im _JLA-Sonderband 13_ befindet sich eine 116-seitige _Infinite Crisis_-Ausgabe. Die Superhelden-Liga ist seit der „Identity Crisis“-Heftreihe in schwerer Krise und Batman ist schwer angeschlagen, da er von seinen Freunden über Jahre betrogen wurde. In den Sonderbänden _Batman/Superman_ ist mit Nummer 2 der Themenband „_Supergirl_“ erschienen, in welchem die gemeinsamen Abenteuer der beiden Superhelden weitergesponnen werden. Batman entdeckt dieses gefährliche Mädchen von Krypton. Besonders für die Fans der klassischen Charaktere ist diese zeichnerische Neuschöpfung ein Leckerbissen. Und bei Marvel ist der Sonderband _Der ultimative Spiderman 3: Dobule Trouble_ herausgekommen. Voll mit Highlights wie z. B. dem ersten Auftritt der Gwen Stacy, der Rückkehr des Doktor Octopus oder dem Debüt von Kraven, dem Jäger. Aber es gibt nicht nur solch alte Charaktere. Endlich ist auch das letztes Jahr gestartete erotisch-magische Meisterwerk von Jim Balent fortgesetzt worden mit dem 2. Band von _Tarot – Witch of the Black Rose: Rückkehr der dunklen Hexe_. Ein richtig gut gemachter Kultcomic mit sexy Hexen und finstersten Dämonen. Und zuletzt noch ein anderes ungewöhnliches Meisterwerk aus dem Haus Marvel. Mit Band 23 der Reihe _100 % Marvel_ ist _1602 – Die neue Welt_ erschienen. 2003 hatte Neil Gaiman, Autor u. a. vom Sandman, eine Maxiserie von acht Teilen geschaffen, in welcher Captain America in einem Paralleluniversum in die Vergangenheit geschickt wurde und eine weitere Parallelwelt erschuf. Am Ende dieser Aufsehen erregenden Geschichte kam Captain America zwar wieder in der Zukunft an, aber das Leben dort ging weiter und wird von Greg Pak und Greg Tocchini nun weitererzählt, wobei es direkt an das Ende der Story von Gaiman anschließt. Marvel-Superheldenbilder, wie man sie nun mal gar nicht gewohnt ist.

_Fredering & Thaler_ wurde an den _Christian Verlag_ verkauft. Fredering und Thaler hatten den Verlag 1988 gegründet, 1998 an Random House verkauft, 2002 jedoch wieder zurückgekauft.

Der _Marix-Verlag_ startet im Herbst die Reihe „_Wissen der Welt_“, die auf 100 Bände angelegt ist. Alle Titel sind Originalausgaben und kosten fünf Euro.

_Patmos-Verlag_ startete anlässlich des 60-jährigen Jubiläums die Neuauflage der _Artemis Bibliothek_, der traditionsreichen Reihe mit Texten der Weltliteratur von der Antike bis zu Klassikern des 20. Jahrhunderts.

_Peter Meyer Verlag_ hat 30-jähriges Jubiläum. Er begann mit ökologischer Alternativ- und anderer Szeneliteratur. Der Renner dabei ist immer noch „Connexions – Adressbuch alternativer Projekte“. Verlagsleiter Peter Meyer schrieb aber auch alternative Reiseführer, fünf Jahre lang bei „Reise know how“ und ab 1991 im eigenen Verlag „Peter Meyer Reiseführerverlag“.

_Compact Verlag_ feiert ebenfalls 30-jähriges Bestehen als Anbieter nützlicher und anwenderfreundlicher Sachbuchratgeber.

Der _Mitteldeutsche Verlag_ ist 60 Jahre alt geworden, der als Verlag für sozialistische deutsche Gegenwartsliteratur begonnen hatte. Neben „Aufbau“ war er der DDR-Verlag für Erstlingswerke. 1997 musste er Insolvenz anmelden und wurde von einer Druckerei-Familie gekauft. Veronika Schneider, die neue Inhaberin, setzte auf ein breiter gefächertes Angebot, das auch Medizin- und Juratitel beinhaltete. Die Belletristik wurde abgebaut. Erst mit dem Jubiläumsjahr soll diese als tragende Säule wieder neu aufgebaut werden.

Der Katalog zur Kunstausstellung _Documenta_ vom 16. – 23.September 2007 wird nicht mehr beim _Verlag Hatje Cantz_, der den Katalog drei Jahre herausbrachte und eigentlich auch weiterhin produzieren wollte, erscheinen. Die Veranstalter haben den Auftrag an _Taschen Verlag_ vergeben, der weltweit über bessere Vertriebswege verfügt.

_Europa Verlag_ hat Insolvenz angemeldet, aber der Inhaber Arne Teutsch gründete mit Gesellschafter Sparkasse Leipzig sofort den _Neuen Europa Verlag_, dessen Herbst-Programm sich an der eigentlichen Tradition des 1933 in Zürich gegründeten Europa-Verlages orientiert, mit Krimis, historischen Romanen und Sachbüchern. Ein Teil der Rechte-Inhaber des Europa-Frühjahr-Programmes hat seine Titel auch schon wieder in den neuen Verlag eingebracht.

Der _Georg Olms Verlag_ ist Partner eines vom _Moses Mendelssohn Zentrum_ initiierten Projekts: der _“Bibliothek verbrannter Bücher“_. Rund 300 vom NS-Regime verbotene Titel sollen bei Olms neu aufgelegt werden.

Bei _Suhrkamp_ dreht sich weiterhin das Personalkarussell. Durch die Verlagsneugründungen „Verlag der Weltreligionen“ und „Edition Unseld“ wurde eine Neuorganisation der Programmzuständigkeiten notwendig. Rainer Weiss sollte die Geschäftsführung vom Insel-Verlag an die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz abgeben und wäre lediglich Programmgeschäftsführer von Suhrkamp geblieben. Diese Aufgabenverteilung wollte er nicht mittragen und hat den Verlag verlassen. Unseld-Berkéwicz hat nun auch die Programmgeschäftsführung von Suhrkamp übernommen. Der Posten von Weiss wird nicht neu besetzt werden.

Darüber, dass das _Kursbuc_h von Rowohlt im Sommer letzten Jahres zum Zeitverlag wechselte, hatten wir berichtet. Wirtschaftlich hat sich das noch nicht gelohnt, aber der neue Verlag wollte auch vor allem das Journal mit seiner lebendigen Tradition am Leben erhalten. Das Kursbuch ist nicht die Fortsetzung der „Zeit“ mit anderen Mitteln geworden, sondern völlig eigenständig geblieben. Einiges hat sich dennoch verändert: Das neue „Kursbuch“ ist mit Bildstrecken und moderner Typografie leserlicher geworden. Das alte „Kursbuch“ war zudem monothematisch aufgebaut, was aus enzyklopädischer Sicht sinnvoll war, aber Käufer, die das jeweilige Thema nicht interessierte, ausschloss. Das neue Kursbuch ist themengespreizter, wenn auch miteinander verknüpft. Zeiten wie früher, wo sich eine Kursbuch-Ausgabe mehr als 100.000-mal verkaufte, sind nicht mehr zu erwarten. Der Ursprung des Magazins lag in den politisch aufgeladenen 60er Jahren, deren Brisanz heute gesellschaftlich nicht mehr vorhanden ist.

Im letzten Jahr hatten zwei Frauen – Mutter und Tochter – in vielen Instanzen das Verbot des Romans _“Esra“_ von _Maxim Biller_ durchgesetzt und damit eine große Debatte über Kunstfreiheit ausgelöst. In den Buchwurminfos hatte ich darüber berichtet. Nun setzen die beiden nochmals nach mit einer Forderung auf Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 100.000 Euro, die sie aufgrund der richterlich attestierten Verletzung ihres Persönlichkeitsrecht stellen. Zahlen sollen dies der Kiepenheuer & Witsch Verlag sowie der Autor selbst. Verhandelt wird darüber am 9. August beim Landgericht München. Über 100 Prominente – Autoren, Verleger, Theaterleute, darunter die Nobelpreisträger Günter Grass und Elfriede Jelinek – haben sich einem Aufruf gegen das Verbot und für die Freiheit der Kunst ausgesprochen. Bei _Königshausen & Neumann_ ist derweil auch schon ein Buch erschienen, das sich mit dem gerichtlichen Verbot beschäftigt: _Bernhard von Becker – Fiktion und Wirklichkeit im Roman, Der Schlüsselprozess um das Buch „Esra“_. Dabei geht es über die Entrüstung über das genannte Buch hinaus um das generelle Verhältnis zwischen den Persönlichkeitsrechten Einzelner und der Kunstfreiheit. Verschlüsselte zeitgenössische Persönlichkeiten in Romanen zu verpacken, ist ja nichts Ungewöhnliches, und das Ganze nennt sich als Genre „Schlüsselroman“. Im Buch werden die wichtigsten solcher Fälle vorgestellt, wobei Thomas Manns „Mephisto“ neben in jüngerer Zeit Martin Walsers „Tod eines Kritikers“ wohl die bedeutendsten darstellen. Breiten Raum nehmen dabei auch die gegensätzlichen Rechtspositionen im Konflikt ein. Irgendwie bleibt der Eindruck, dass einen mit Bücherverboten generell ein mulmiges Gefühl beschleicht, vor allem weil in den letzten Jahren Bücherskandale und damit verbundene Verbote immer häufiger auftreten. Und es geht gar nicht mehr wie früher um unsittliche oder „kriminelle“ Inhalte, sondern um Inhalte im Bereich zwischen Wirklichkeit und Fiktion, durch die sich Einzelne in ihrer öffentlichen Darstellung gefährdet sehen konnten. Das Szenario lautet also nicht: Die Öffentlichkeit gegen ein Buch, sondern: Ein Einzelner gegen die durch das Buch hergestellte Öffentlichkeit. Die Auseinandersetzung selbst liest sich durchaus wie ein Krimi.

Das Buch _“Der Deutschland-Clan“_ von _Jürgen Roth_ bei _Eichborn_ bekam aufgrund von Beanstandungen des Alt-Bundeskanzlers _Gerhard Schröder_ ebenfalls Ärger. Der Verlag schwärzt nun die Textstellen, die im Zusammenhang mit Schröders Aufsichtsratsmandat beim russischen Energiekonzern Gasprom stehen und verzichtet auf gerichtliche Auseinandersetzungen. Davor wurden bereits 20.000 Exemplare verkauft und es steht auf den vorderen Plätzen der „Focus“-Bestsellerliste Sachbuch. Schon einmal hatte 2005 Schröder eine einstweilige Verfügung gegen Eichborn erwirkt. Damals ging es um das _“Schwarzbuch VW“_ von _Hans-Joachim Selenz_.

Eine ganz andere Art von Zensur erfahren derzeit Klassiker in England. Mit dem Furor der _Political Correctness_ passen die englischen Hausverlage ihre Bücher heutigen Sprach- und Lebensnormen an. Z. B. Enid Blyton („Fünf Freunde …“). Dort darf die Lehrerin keine Ohrfeigen mehr austeilen, Jungs und Mädchen teilen sich häusliche Pflichten. Aus Klassikern der Kinderliteratur werden weich gespülte Abenteuer für die Jugend von heute, die ihre Wurzeln aus vergangener Zeit leugnen.

Erwähnenswerte Nachträge zum Erscheinen der Taschenbuchausgabe und zum Filmstart von _Dan Browns „Sakrileg“_ können nicht ausbleiben. In der vorherigen Kolumne berichtete ich über die weltweite Kritik christlicher Kreise, aber erstaunlicherweise findet das sogar selbst in Deutschland statt. Viele Buchhandlungen, die ihre Schaufenster entsprechend gestalteten, bekamen Ärger mit manchen ihrer Kunden oder vorbeigehenden Bürgern. Die Regensburger Dombuchhandlung musste aufgrund solcher Meinungsmache ihr Schaufenster sofort wieder umdekorieren. Aber auch manche Kinobesitzer wurden mit Anfeindungen konfrontiert. In China ist übrigens von den Behörden die Kinoausstrahlung des „DaVinci Codes“ verboten worden, nachdem er dort bereits zehn Wochen lang lief. Spekuliert wird darüber, dass er zu gut bei den chinesischen Christen angekommen sei. Die Rechnung für die Branche ging voll auf. Das Interesse am Bestseller ist tatsächlich noch mal gestiegen und zieht auch die anderen Dan-Brown-Titel noch mal mit an. Allerdings laufen jetzt natürlicherweise vor allem die Taschenbuchausgaben. Ob als Hörbuch-CD, Buch oder Film bleiben Dan Browns Spitzentitel unangefochten in allen Medienkategorien führend. Unter den Hörbuch-Bestsellern räumt Lübbe-Audio mit „Illuminati“, „Sakrileg“ und „Meteor“ auf den ersten Plätzen ab. Dieser Erfolg wird von einer immer größer werdenden Zahl von Nachahmertiteln zum Thema natürlich ebenso genutzt. Neben dem im letzten Buchwurm-Info empfohlenen „Da Vinci-Tarot“ gibt es auch das Spielkarten-Deck „Da Vinci Code“ mit 55 Spielkarten für Skat, Rommé, Canasta, Poker etc.

Die christliche Kritik an manchem Bestseller fing allerdings nicht erst mit „Sakrileg“ an, sondern schon – was fast wieder vergessen ist – bereits mit _Harry Potter_. Der heutige Papst Benedikt XVI. hatte bereits als früherer Chef der „vatikanischen Glaubenskongregation“ – noch als Kardinal Ratzinger – mehrmals über die Gefährlichkeit der Harry-Potter-Romane für die Erziehung der Jugend lamentiert. Nach Ansicht der Kirche sind die darin geschilderten Vorgänge um Magie und Zauberei vom „Teufel“ eingegeben und würden daher die Heranwachsenden zur „Sünde“ verleiten. Nicht anders in den USA, wo unter Präsident Bush (der den Irak-Krieg als von Gott beauftragt bezeichnet und wo jede Parlamentssitzung mit Gebet eröffnet wird) die christliche Lobby besonders stark ist. Im Bundesstaat Florida haben christliche Interessengruppen eine Verordnung durchgesetzt, wonach Kinder und Jugendliche eine schriftliche Erlaubnis ihrer Eltern haben müssen, um Harry-Potter-Bücher aus Schulbibliotheken ausleihen zu dürfen. Mittlerweile gibt es in den USA sogar schon Kindergärten, in denen man den Kindern bestimmte Malfarben vorenthält, damit sie keinen Regenbogen malen können. Der religiöse Hintergrund ist, dass der Regenbogen seit langem schon als Zeichen Satans gilt, aber auch weil der Regenbogen in Homosexuellen-Kreisen als Symbol genutzt wird. Einige Eltern hatten Kindergärten mit gerichtlichen Klagen gedroht, wenn sie ihren Kindern erlauben, derart „sündige“ Bilder zu malen und sie dadurch homosexuell würden …

_Religiöse Bücher_ haben insgesamt aber Hochkonjunktur. Letztes Jahr vor allem wegen der Papstwahl, wo sich um Benedikt XVI. ja eine regelrechte Popkultur aufgebaut hat und 2005 zu einem Umsatzplus von 16 % für religiöse Bücher führte. Das hat sich aber ein Jahr später noch nicht – wie eigentlich erwartet – normalisiert. Die Nachfrage nach religiösen Büchern bleibt erhöht und das Potenzial scheint noch lange nicht ausgeschöpft.

In der letzten Buchwurminfo berichtete ich auch über die Repressalien, die _Peter Handke_ derzeit erleidet, weil er eine Rede bei der Beerdigung Milosevics gehalten und auch zuvor wegen des Balkankrieges gegen die „Mainstream“-Propaganda berichtet hatte. Nun hatte eine Jury entschieden, dass er den mit 50.000 Euro dotierten Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf erhalten sollte. Alle vier Ratsparteien im Stadtrat haben diese Preisvergabe in einer Ratssitzung wegen seiner pro-serbischen Haltung gestoppt. Aus Protest gegen die Einmischung der Politik haben inzwischen zwei Mitglieder der Jury des Heine-Preises, Sigrid Löffler und Jean-Pierre Lefebvre, ihren Rückzug aus dem Gremium erklärt. In ihrer Begründung wandten sie sich unter anderem dagegen, für „politische Ränkespiele“ instrumentalisiert zu werden. Peter Handke den Pries zu verweigern, hat vor allem auch die Auszeichnung selbst beschädigt. Handke verzichtet aufgrund der „Pöbeleien“ auf den Preis. Es hat sich aber inzwischen eine Initiative _“Berliner Heinrich Heine Preis für Peter Handke“_ gegründet, die den Autor damit doch noch ehren will. Der Suhrkamp-Verlag steht hinter seinem Autor und schaltet ganzseitige Anzeigen mit Handkes literarischen Verdiensten. Die Anmaßung, dass sich Stadtratsvertreter anmaßen, einer Fachjury in den Rücken zu fallen, löst inzwischen sogar eine überfällige Debatte über Preisvergaben und Vetternwirtschaften im Literaturbetrieb aus.

Ausgerechnet zur Feier des zwanzigjährigen Jubiläums der Wochenzeitung _“Junge Freiheit“_ Anfang Juni kam es nun noch einmal zu einem unerfreulichen Vorfall. Mitarbeiter der Zeitung verteilten in Berlin auf der Straße vor den Zentralen des Springer Verlages (Bild, B.Z., Welt, Berliner Morgenpost), des „Tagesspiegel“, der „Berliner Zeitung“ und der „taz“ kostenlose Jubiläumsausgaben. Mit Ausnahme bei der „_taz_“ verlief das überall ohne Zwischenfälle. Dort wurden sie von Mitarbeitern der linksliberalen Zeitung als „Faschisten“ beschimpft, bedroht und geschlagen. Auch Frauen der „Jungen Freiheit“ wurden angegriffen. Die Polizei musste einschreiten und die „taz“-Mitarbeiter darüber aufklären, dass es sich keineswegs um Hausfriedensbruch handelt, wie diese versuchten zu argumentieren. Im Gegenteil wird gegen die „taz“-Mitarbeiter jetzt wegen Körperverletzung ermittelt. Die „taz“ selbst distanziert sich nicht von den Ereignissen, weswegen die „Junge Freiheit“ die Journalisten- und Zeitungsverlegerverbände dazu aufgerufen hat, die „taz“ zu einer Klärung des Falles und zu einer Verurteilung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung aufzufordern.

In der Türkei wurde erneut gegen eine Autorin Anklage erhoben: _Elif Shafak_ lässt in ihrem Roman „Father and Bastard“ Erzählfiguren von „Genozid-Überlebenden“ und „türkischen Schlächtern“ reden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verunglimpfung des türkischen Staates und der Nationalversammlung. Auf Deutsch wird der Titel bei Eichborn erscheinen.

Dagegen geschehen auch positive Dinge: Die Landesregierung von Baden-Würtemberg will die Pressefreiheit besser schützen. Justizminister _Ulrich Goll_ (FDP) kündigt eine Bundesratsinitiative an, um die Strafverfolgung von Journalisten zu erschweren. Zukünftig sollen Hausdurchsuchungen in Wohnungen von Journalisten und die Beschlagnahme von Recherchematerial nur noch mit richterlichem Beschluss möglich sein. Bislang galt dies nur für Redaktionsräume. Zudem soll es erschwert werden, Fernmeldedaten von Journalisten zu erfassen.

Im Mai wurde durch den Hörverlag zum ersten Mal der _PRIX HÖRVERLAG _ vergeben. Ziel des neuen Preises ist es, die freie Hörspielszene zu stärken. Der _1. Preis_ ging an den Hörspielautor _Stefan Finke_ mit seiner assoziativen Soundcollage _“Familienalbum. Innerer Monolog für Stimmen, Musik und Geräusche“_, produziert für den Bayerischen Rundfunk. Die Jury – besetzt mit dem Autor Wiglaf Droste, Udo Kittelmann (Museum für Moderne Kunst in Frankfurt), dem Musiker und Komponisten Hans Platzgumer, der Schauspielerin Wiebke Puls, dem Literaturkritiker Wilhelm Trapp und Verlegerin Claudia Baumhöver – stellte die drei besten unter 120 Einsendungen in Wort und Klang vor. Den zweiten Preis konnte das Berliner Autoren-Duo SEROTONIN (_Marie-Luise Goerke_ und _Matthias Pusch_) für den Beitrag _“Scheitern für Fortgeschrittene“_, produziert im Auftrag des WDR, entgegennehmen. Mit _“In’ Sack haun“_, ebenfalls eine WDR-Produktion, kam der Berliner _Hermann Bohlen_ auf Platz 3. Der PRIX HÖRVERLAG, der einzige Hörspielpreis, der von einem Verlag vergeben wird, wird alle zwei Jahre ausgeschrieben und hat das Ziel, unabhängige HörspielmacherInnen zu fördern und ihren Werken zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Der Münchner Hörbuch-Marktführer will freie Kreative ermutigen, die Möglichkeiten des Formats Original-Hörspiel in alle Richtungen auszuloten. Gleichzeitig sollen die Werke den Autoren und ihrem Publikum gleichermaßen Lust auf akustische Umsetzungen machen.

_Hans Pleschinski_ erhält im Oktober den _Hannelore-Greve-Preis der Hamburger Autorenvereinigung_, einen der höchstdotierten Literaturpreise Deutschlands. Bekannt wurde der Autor 2002 mit seinem Roman „Bildnis eines Unsichtbaren“ bei dtv.

Der _Deutsche Kulturförderpreis_ ging an das _Bankhaus Metzler_ für dessen Engagement beim Wettbewerb _“Ohr liest mit“_ des Börsenvereins, bei dem Schüler literarische Vorlagen in Hörspiele und Features umsetzen. Der Preis wird vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI vergeben und zeichnet das herausragende kulturelle Engagement von kleineren, mittleren und großen Unternehmen aus.

Mit dem _Hermann-Hesse-Förderpreis_ wurde die Literaturzeitschrift _Sprache im technischen Zeitalter_ ausgezeichnet. Die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift ist seit den frühen 1990er Jahren ein führendes Forum für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Das Magazin ist eine empfehlenswerte intelligente und leserfreundliche Verbindung von Literatur, Literaturwissenschaft und Essayistik.

Das _“Goldene Buch“_ der _Stiftung Lesen_, mit der seit 2005 Persönlichkeiten geehrt werden, die sich der Leseförderung verdient gemacht haben, ging an _Ulrich Wechsler_.

Der Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat den deutschen Soziologen und früheren Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin, _Wolf Lepenies_, zum diesjährigen Träger des _Friedenspreises_ gewählt. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 8. Oktober 2006, in der Paulskirche statt und wird live im Ersten Deutschen Fernsehen übertragen. Der Friedenspreis wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert. In der Begründung des Stiftungsrats heißt es: „Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2006 Wolf Lepenies und ehrt damit den wissenschaftlichen Schriftsteller, den anschaulich schreibenden Biographen, den stilsicheren Essayisten, der durch Wort und Tat belegt, dass zwischen Verhalten und Wissen, zwischen Moral und Wissenschaft ein unauflöslicher Zusammenhang besteht. Zwischen den in Kunst und Wissenschaft verbreiteten Haltungen von Enthusiasmus und Skepsis hat sich Wolf Lepenies für eine dritte Haltung entschieden: für den intellektuellen Anstand, wie er ihn bei Diderot vorgebildet sieht. Er hat den ,handelnden Intellektuellen’ in der Geschichte gesucht und ihn als einen Typus beschrieben, der für das Gemeinwohl einsteht. In den 15 Jahren seines Rektorats wurde das ,Wissenschaftskolleg zu Berlin’ zu dem vielleicht anregendsten und freiesten Ort Europas, zu einer Begegnungsstätte von westlicher Rationalität und östlicher Weisheit, von Kunst und Wissenschaft, zu einer Heimstätte für moderne Musik und Literatur. Den Samen dieses freiheitlichen Denkens hat er nach dem Fall der Mauer mit großer Tatkraft auch in anderen Städten und Institutionen gepflanzt, in St. Petersburg und in Warschau, in Sofia, in Bukarest, in Budapest und in Mali, und dadurch Völker und Kulturen im friedlichen Gespräch zusammengeführt. An die Stelle des Drohbildes vom ,Zusammenprall der Kulturen’ hat er das Hoffnungsbild kultureller Lerngemeinschaften gesetzt und solche Gemeinschaften in seinem Umkreis beispielhaft begründet. Er hat dem Frieden unter den Völkern einen Wurzelgrund gegeben. Dafür danken wir ihm.“ Wolf Lepenies, geboren am 11. Januar 1941 im ostpreußischen Deuthen (Allenstein), schloss sein Studium der Soziologie 1967 in Münster mit der Dissertation „Melancholie und Gesellschaft“ ab, die zwei Jahre später als Buch erschien. 1971 habilitierte er an der Berliner Freien Universität, an der er bis 2006 als Professor lehrte. Nach Auslandsaufenthalten in Paris und als Mitglied der School of Science des renommierten Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey, wurde Lepenies 1986 Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin. In seiner Amtszeit bis 2001 initiierte er schon 1994 ein breit angelegtes Forschungsprogramm zum Thema Islam und intensivierte den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch vor allem mit den osteuropäischen Nachbarn durch die Einrichtung von Wissenschaftszentren. Lepenies ist weiterhin „Permanent Fellow“ des Wissenschaftskollegs; seit 2004 gehört er dem Aufsichtsrat der Axel-Springer AG an. Geehrt wurde Wolf Lepenies unter anderem mit dem Alexander-von-Humboldt-Preis für seine Verdienste um die deutsch-französische wissenschaftliche Zusammenarbeit (1984), dem Karl-Vossler-Preis (1998), dem Leibniz-Ring (1998), dem Joseph-Breitbach-Preis der Mainzer Akademie der Wissenschaften für sein Lebenswerk (1998), dem Theodor-Heuss-Preis gemeinsam mit Andrei Pleşu für ihr europa- und demokratiepolitisches Engagement (2000) sowie mit der Leibniz-Medaille der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (2003). 1994 hielt er in der Frankfurter Paulskirche die Laudatio auf den Friedenspreisträger Jorge Semprún. Mit seinen Werken „Melancholie und Gesellschaft“ (1969), „Das Ende der Naturgeschichte“ (1976) und zur Soziologie der Gesellschaft im 19. Jahrhundert lieferte Wolf Lepenies wichtige Beiträge zum modernen gesellschaftlichen Selbstverständnis. 1981 brachte er das vierbändige Werk „Geschichte der Soziologie“ mit Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität dieser Disziplin heraus. Als sein Hauptwerk gilt die Studie „Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft“ (1985) über die Etablierung der Sozialwissenschaften und ihre nationaltypischen Besonderheiten in England, Frankreich und Deutschland. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Lepenies mit seiner Biographie über den französischen Literaturkritiker „Sainte-Beuve. Auf der Schwelle zur Moderne“ (1997) bekannt. Sein neuestes Buch „Kultur und Politik. Deutsche Geschichten“ über das prekäre Verhältnis von Politik und Kultur zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert erscheint im Juli 2006. Wolf Lepenies ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Berlin.
Der rumänische Philosoph und Kunsthistoriker Andrei Pleşu, ehemaliger Außenminister seines Landes, wird die Laudatio auf Wolf Lepenies halten. Die Verleihung findet am 8. Oktober 2006 in der Frankfurter Paulskirche statt und wird ab 11 Uhr im ersten Programm der ARD live übertragen. Andrei Pleşu, geboren am 23. August 1948 in Bukarest, wurde nach seiner Promotion 1980 Dozent an der Akademie der Schönen Künste, 1982 aber aus politischen Gründen entlassen. 1989 wurde er in das Dorf Tescani verbannt, als er sich mit dem oppositionellen Dichter Mircea Dinescu solidarisierte. Nach der Revolution 1989 wurde Pleşu Kulturminister, seine Amtszeit endete 1991 mit dem Sturz der Regierung. Er lehrte fortan Religionsphilosophie in Bukarest und übernahm Gastprofessuren in Berkeley und in Berlin, wo er als Fellow im Wissenschaftskolleg forschte. Von 1997 bis 1999 war Andrei Pleşu parteiloser Außenminister. In dieser Zeit intensivierte er die Annäherung an den Westen und schuf wichtige Voraussetzungen für die mittlerweile erfolgreichen Beitrittsverhandlungen Rumäniens zur Europäischen Union. Pleşu ist Mitglied in verschiedenen wissenschaftlichen Akademien. Für seine politische und literarische Tätigkeit wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Er lebt in Bukarest, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Andrei Pleşu gehörte 1994 zu den Gründern des ‚New Europe College’, das er nach dem Vorbild des Institute for Advanced Studies in Princeton ausbaute und bis heute leitet. Zu den Unterstützern dieser und anderer Wissenschaftseinrichtungen in Osteuropa zählt der Friedenspreisträger 2006.
Für seinen Bestseller „Die Vermessung der Welt“ erhielt _Daniel Kehlmann_ den diesjährigen _Heimito von Doderer-Literaturpreis_. Ebenso ging der _Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung_ an ihn.
Den _Ingeborg-Bachmann-Preis_ erhielt _Kathrin Passig_. Bemerkenswert dabei ist, dass diese Autorin bislang nur einen einzigen literarischen Text – die Erzählung „Sie befinden sich hier“ – geschrieben hat. Nach eigener Aussage hat sie dafür „insgesamt weniger als einen Tag gebraucht“. Sie überzeugte so sehr, dass sie auch den Kelag-Publikumspreis erhielt. Bislang war sie als reine Sachbuch-Autorin bekannt, was sie auch fortführen wird.
_Wolfgang Büscher_ erhielt für sein „Deutschland, eine Reise“ (Rowohlt) den _Ludwig-Börne-Preis_.
Am 11. Juli wäre _Herbert Wehner_ 100 Jahre alt geworden. Als eine der herausragendsten, aber auch umstrittensten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte verstarb er 1990. Zum Jahrestag fand in Dresden eine Großveranstaltung des Herbert-Wehner-Bildungswerkes statt, an der u. a. Helmut Schmidt, Greta Wehner, Hans-Jochen Vogel und Franz Müntefering teilnahmen. Aktuell dazu ist bei dtv von Christoph Meyer die Biografie „Herbert Wehner“ erschienen.

_Manfred Steffen_, einer der erfolgreichsten deutschen Hörspiel- und Synchron-Sprecher, feierte am 28. Juni seinen 90. Geburtstag. Steffen hat nahezu alle Bücher von Astrid Lindgren auf Tonträger gelesen und ist damit zu DER Stimme der Autorin im deutschsprachigen Raum geworden.

50. Geburtstag feierte am 28. Juni der Illustrator _Peter Knorr_, von dem sehr viele der Titelbilder im Kinder- und Jugendbuch-Programm von Beltz & Gelberg zu finden sind.

60. Geburtstag hatte am 23. Juni _Rafik Schami_, der einer der erfolgreichsten Autoren deutscher Sprache ist. Die Gesamtauflage seiner Bücher bei dtv liegt über einer Million.

Am 18. Oktober 2006 wäre _Klaus Kinski_ 80 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass erscheint im Hörbuch-Programm der Deutschen Grammophon eine weitere Edition (4 CDs im Digipack) „Kinski spricht Deutsche Dichtung“ (Goethe, Büchner, Schiller, Hauptmann, Brecht und Nietzsche).

Am 11. Juli war der 50. Todestag von _Werner Riegel_, der 1956 mit erst 31 Jahren an Krebs starb. Von 1952 bis 1956 gab er die Literaturzeitschrift „Zwischen den Kriegen“ heraus, in der er politische Leitartikel, Gedichte und Aufsätze veröffentlichte. Dabei kritisierte er zumeist die frühe deutsche Nachkriegsliteratur der 50er Jahre. Er schätzte stattdessen vor allem George, Trakl, Benn und Brecht. Peter Rühmkopf bezeichnete Riedel als den „Revisionisten des Expressionismus schlechthin“. Auch Arno Schmidt schätzte diesen deutschen Dichter, der in der Geschichte der deutschen Literatur ansonsten wenig Bekanntheit behielt.

Aber auch einer der bedeutendsten deutschen Dichter hatte am 7. Juli den 50. Todestag: _Gottfried Benn_. Er begann bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zu schreiben, aber vor allem sein lyrisches Spätwerk wie z. B. die „Statischen Gedichte“ von 1948 machten ihn zu einem der ganz Großen in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Von Emigranten-Kollegen blieb er immer kritisiert, schrieb er doch 1933 „Der neue Staat und die Intellektuellen“, aber er bekam 1951 den Büchner-Preis und 1952 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Für die Linke zählt Benn zu den Nazis, obwohl er nicht dazugerechnet werden kann. Zwar kamen keine eindeutige Distanzierung, aber sehr wohl scharfe Kritiken von seiner Seite gegenüber dem Nationalsozialismus. Auch war er nie in der NSDAP Mitglied gewesen.

Am 1. Juni ist _Hans-Christian Kirsch alias Frederik Hetmann_ verstorben.

Im Juli ist Robert Gernhardt im Alter von 68 Jahren in Frankfurt am Main verstorben. Bekannt war er für seine satirischen Texte und Karikaturen. 1964/65 war er Redakteur der Satire-Zeitschrift „Pardon“. Zusammen mit Friedrich Karl Waechter, F.W. Bernstein, Chlodwig Poth, Eckhard Henscheid und anderen gründete er die „Neue Frankfurter Schule“, deren Publikationsorgan das Satiremagazin „Titanic“ wurde. Mit seinen zahlreichen Gedichtsbänden wurde er einer der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache und erhielt 2004 den Heinrich-Heine-Preis. Posthum erschien nun sein noch selbst fertiggestellter Gedichtband „Später Spagat“ bei S. Fischer. Im nächsten Jahr folgt noch der Erzählband „Denken wir uns“. Der umfangreiche literarische Nachlass ging an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach.

Das neue _Literaturmuseum der Moderne_ in Marbach (wir hatten schon berichtet) wurde nun am 6. Juni durch Bundespräsident Horst Köhler eröffnet. Auf mehr als 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigt es in einer Dauerausstellung die bedeutenden Bestände der Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, die im angeschlossenen Deutschen Literaturarchiv gesammelt und bewahrt werden. Im Zentralraum werden 1300 Objekte dauerpräsentiert; daneben steht ein Multimediaraum zur Verfügung; der dritte Saal dient Sonderausstellungen. Seit dem 7. Juli ist eine Ausstellung zu Gottfried Benn zu sehen, der auch zwei Tagungen angegliedert waren (Benns Modernität – 7. – 9.Juli, und Benns Nietzsche – 26. August). Das weltweit einzige Literaturmuseum verfügt über 1200 Textnachlässe, darunter 250 aus Gelehrtenhand; dazu kommt eine Spezialbibliothek von 750.000 Bänden. Der Museumsbau wurde von David Chipperfield in 21 Monaten für 11,8 Millionen Euro errichtet.
Auch im Internet hat das Literaturmuseum Neues zu bieten. Unter www.literaturportal.de finden Besucher unter anderem einen umfangreichen Literaturkalender, der das literarische Leben im deutschsprachigen Raum in all seinen Facetten dokumentiert. Das Archiv erweitert auf diese Weise seine dokumentarischen Leistungen und richtet seinen Scheinwerfer auch auf die aktuelle Gegenwart des Literaturbetriebs. Nutzer des neuen Angebots können gezielt nach Terminen von Lesungen, Vorträgen, Diskussionen und Ausstellungen mit literarischem Bezug suchen. Interessante Zusatzmodule komplettieren das Angebot.

Im Mai fand zum ersten Mal nach 20 Jahren der _72. internationale PEN-Kongress_, zu dem mehr als 450 Delegierte und Autoren aus aller Welt anreisten, wieder in Deutschland statt. Dem PEN (1921 gegründet) gehören etwa 140 Autorenverbände in 100 Ländern mit insgesamt 18 000 Mitgliedern an. Dazu gehört auch das „Writers in Prison Comitee“, das konkrete Fälle verfolgter oder inhaftierter Autoren verhandelt, Maßnahmen berät und international diplomatischen Einfluss genießt. Die Tagung in Berlin stand unter dem Motto „Schreiben in friedloser Welt“ und wurde von Bundespräsident Horst Köhler und dem Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass eröffnet, der unter starkem Applaus die Bushregierung und ihre Kriegspolitik im Irak kritisierte.

Dem _Goethe-Institut_ geht nach jahrelangen Mittelkürzungen das Geld aus, um seinen Verpflichtungen zur Pflege der deutschen Sprache im Ausland und zur Förderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit im bisherigen Umfang gerecht zu werden. Deswegen fordert es die Politiker auf, der „fortgesetzten Vernachlässigung auswärtiger Kulturarbeit ein Ende zu machen und weiteren Schaden von ihr abzuwenden“.

Nach einigen Querelen heißt von nun an die Deutsche Bibliothek doch _Deutsche Nationalbibliothek_. Neu ist außerdem, dass der Sammelauftrag auch für Netzpublikationen gilt, und im Verwaltungsrat werden auch Bundestagsabgeordnete sitzen.

Dieses Jahr ist wie bereits geschildert „Indien“ Gastland der diesjährigen _Frankfurter Buchmesse_. Erwartet werden rund 200 indische Verlage und mehr als 20 indische Autoren. Geplant wird derzeit schon für die Folgejahre. 2007 ist Katalonien zu Gast. 2008 folgt die Türkei. Ursprünglich wollte Angela Merkel, dass die USA zu diesem Zeitpunkt kommen. Aber von Amerika kam dazu das „Nein“, weil dann doch Präsidentschaftswahlen wären. Scheinbar haben die eher Angst, dass dann aufgrund der PR Bush an Stimmen verlieren würde. Für 2009 ist man mit China im Gespräch und 2010 ist Argentinien angedacht.

In der _Reform des Börsenvereins_ geht es voran. Im April hatte die Abgeordnetenversammlung, die sich nach Reformplänen selbst abschaffen müsste, mehrheitlich dieses Thema bereits zum zweiten Mal auf den Herbst vertagt. Auf den Buchhändlertagen im Mai wurde aber deutlich, dass die Mitgliederbasis die Reform will. Die Abgeordnetenversammlung wurde aufgefordert, zu einem klaren Ergebnis zu kommen (d.h. der Auftrag der Basis ist es, sich abzuschaffen), was auch Chancen auf Zustimmung hat, denn es wird künftig ein Branchenparlament geben, das alle Seiten zufrieden stellen kann.

|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/.|

Buchwurminfos III/2006

Die Änderungen der _Rechtschreibreform_ wurden von den Ministerpräsidenten der 16 Länder bei ihrer Konferenz in Berlin bestätigt. Die Korrekturen bei der Getrennt- und Zusammenschreibung sind damit wieder mehr an die Sprachpraxis angelegt bestätigt (z. B. „sitzenbleiben“). Wieder einmal zum 1. August wird das Ganze verbindlich. Der |Duden|-Verlag freut sich, denn es gibt wieder eine neue Ausgabe. Für die nun neu gültige Regelung gibt es auch wieder die einjährige Übergangsfrist, in der fehlerhafte Schreibungen nicht gewertet werden. Namhafte deutsche Schriftsteller beharren weiterhin darauf, an der ganz alten Schreibweise unverändert wie bisher festzuhalten. Verleger sehen das nicht anders, z. B. |dtv|-Verleger Wolfgang Beck: „Wie können Menschen, die ganz offensichtlich von Sprache und Literatur keine Ahnung haben, Richtlinien für eine ganze Sprachgemeinschaft vorgeben?“ Das Reformieren wird sicherlich noch lange Zeit weitergehen. Und auch das Bundesverfassungsgericht lässt – mit Ausnahme der bislang Geplagten aus Schule und staatlichen Behörden – alles beim Alten. Im Beschluss vom 2. Mai stellte es fest: „Personen außerhalb dieses Bereiches sind rechtlich nicht gehalten, die reformierte Schreibung zu verwenden; sie sind rechtlich vielmehr frei, wie bisher zu schreiben“. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Kultusministerkonferenz an alle Verlage und Publikationsorgane appelliert habe, sich an die veränderten Rechtschreibregeln zu halten.

Oldenbourg und Rowohlt Verlag haben beim Landesgericht München eine Klage gegen die Ausschüttung der _VG Wort_ eingereicht. Der Börsenverein unterstützt dieses Musterverfahren, in dem geklärt werden soll, in welchem Verhältnis die Einnahmen der VG Wort an Autoren und Verlage zu verteilen sind. Der Vorstand der VG Wort hatte beschlossen, einer aufsichtsbehördlichen Anweisung des Deutschen Patent- und Markenamtes entgegen den eigenen Verteilungsplänen zu folgen und einen Teil der Ausschüttung an die Verlage vorerst einzubehalten. Streit gibt es auch zwischen der VG Wort und den Herstellern von Kopiergeräten. Hintergrund sind in beiden Fällen die neuen Urheberrechtsgesetze, die der Gesetzgeber wegen der auftretenden Schwierigkeiten jetzt ändern will.

Die Urheberrechtsklage gegen _Dan Browns „Sakrileg“_ ist vom Obersten Gericht in London abgelehnt worden. Der Richter sah es als nicht erwiesen an, dass Browns Roman Copyright-Rechte verletze. Die beiden klagenden Autoren Michael Baigent und Richard Leigh hatten u. a. behauptet, Brown habe das zentrale Thema seines Buches aus ihrem vor 24 Jahren veröffentlichten Werk „Der heilige Gral und seine Erben“ übernommen. Eigentlich wird das auch schon im Namen des Protagonisten im Sakrileg, dem Gralsforscher Leigh Teabing, deutlich: Leigh = der Nachname von Richard Leigh, Teabing = ein Anagramm von Baigent. Ein kleiner Skandal bot dagegen die Auslieferung der 1,1-Millionen „Sakrileg“-Taschenbücher, wo es zu Verstößen gegen den Erstverkaufstag am 8. April gekommen war.
Bei der ganzen Vermarktungsangelegenheit sollte vielleicht auch auf das neu aufgelegte _“Da Vinci Tarot“_ aufmerksam gemacht werden, das bei IRIS erhältlich ist. Es sind allesamt Bilder von Da Vinci, mit denen man die Geheimnisse der Ideenwelt des Künstlers entschlüsseln kann. Da im Kinofilm Abbildungen aus diesem Deck verwendet wurden, dürfte dieses Tarotset nun Berühmtheit erlangen und könnte zu einem der weltweit erfolgreichsten Tarots werden.
Ansonsten überrascht in heutiger Zeit doch sehr, wie unerträglich die angebliche Blasphemie, dass Jesus mit Maria Magdelena sexuellen Verkehr hatte und sogar Nachkommen zeugte, für die herrschenden Kirchen noch ist. Weltweit ist wegen des Films die katholische Kirche in Aufruhr. Die griechisch-orthodoxe Kirche fordert auf, den Film nicht zu sehen und das Buch nicht zu lesen. Der Vatikan ruft gar zu organisierten Protestaktionen auf und empfiehlt den Gläubigen, den Film wegen Verunglimpfung der Religion anzuzeigen. Und natürlich ist es nicht anders im fundamentalistischen Amerika, wo die Kirchen zum Filmstart „Wahrheitskommissionen“ einsetzten. In Asien kam es beim Filmstart zu den dramatischsten Szenen. In Indien drohten hunderte entrüsteter Christen mit Hungerstreik, falls ihrem gerichtlichen Ersuchen, den Filmstart zu verhindern, nicht stattgegeben würde. Gleiches spielte sich in Korea ab. Auf den zu Dänemark gehörenden Färöern (90 % der Bevölkerung sind Protestanten) boykottieren die Inhaber der Kinos den Film, um ein Zeichen gegen Blasphemie zu setzen. Schon der Film „Das Leben des Brian“ von Monty Python aus dem Jahr 1979 wurde dort bislang aus Rücksicht auf religiöse Empfindlichkeiten nie gezeigt.
Deswegen möchte ich auch auf ein überaus teures Werk, _“Römische Inquisition und Indexkongretation – Grundlagenforschung“_, hinweisen, das in 8 Bänden im Schöningh-Verlag für ca. 650 Euro zur Subskription angeboten ist. Sechs davon sind bereits erhältlich. Dieses untersucht, wie der Vatikan jahrhundertelang die Bücher missliebiger Autoren auf den Index setzte. Gemessen an Umfang und inhaltlicher Tragweite handelt es sich um das größte theologische Forschungsprojekt im deutschen Sprachraum, das erst möglich wurde, seit sich 1998 der Zugang zu den vatikanischen Archiven öffnete. Kürzlich wurden sie dem ehemaligen Präfekt der Glaubenskongretation und jetzigen Papst Benedikt XVI. übergeben, der diese Indexgeschichte als wichtigen Meilenstein für eine neue Kirche, die Licht in die dunklen Kapitel ihrer Geschichte bringen will, bezeichnete. Man rechnet damit, dass der Film „Da Vinci Code“ der größte Blockbuster aller Zeiten werden wird, denn auch schon das Buch ist ja eines der erfolgreichsten Bücher, die je verlegt wurden. Weltweit ist Dan Brown auf den Bestsellerlisten und der Titel über 40 Millionen Mal verkauft worden. Das ist zwanzigmal mehr als bis dahin auflagenträchtige Bestsellerautoren wie etwa John Grisham absetzen konnten.

In den _Bestseller-Listen_ bewegt sich fast nichts. Es kommen nur wenige Neueinsteiger überhaupt hinzu und auf den ersten Plätzen halten sich Kehlmanns „Vermessung der Welt“ unverändert seit Januar auf Platz 1, Dan Browns „Sakrileg“, Stephen Kings „Puls“ und Cornelia Funkes „Tintenblut“. Die Kinderbuch-Autorin Funke ist sowieso die eigentliche jüngere Überraschung. In der Hardcover-Belletristik-Bestseller-Liste ist sie mit gleich fünf Titeln vertreten. Auch überraschend und endlich etwas Neues: In den vorderen Plätzen kam im Mai ausgerechnet ein schon vor 30 Jahren erschienenes Perry-Rhodan-Heft nun im Hardcover: „Die Kaiserin von Therm“, das damalige 800. Jubiläumsheft. In den Heften ist man mittlerweile bei 2330, die Leser sind zu 80 % Männer zwischen 35 und 40 Jahren, für die Buchausgaben noch älter. In den Sachbüchern halten sich unverändert Kochbücher und Diäten-Ratgeber, wobei die Umsätze leicht rückgängig sind. Die Sensationsdiät „Schlank im Schlaf“ von Gräfe und Unzer ist dabei die gegenwärtige Nr.1. Auch im Hörbuch-Bereich ist die Jubiläums-Edition von Dan Browns „Illuminati“ sofort nach Erscheinen auf die ersten Plätze geschnellt.

Die _“Stern“-Krimi-Bibliothek_ ist mit 24 Bänden abgeschlossen. Mehr als 750.000 Bücher wurden dabei verkauft. Aber auch die Kriminalbibliothek der _“SZ“_ hat die Erwartungen übertroffen. Krimis sind gefragt. Auch im sonstigen Belletristik-Umsatz liegen sie etwa bei 22 %. Eine große Anzahl der belletristischen Taschenbuchneuheiten macht in diesem Jahr das Thema Liebe und Leidenschaft aus, das für lustvolle Lesestunden sorgt. Aus den Editionen schaffen es in die Bestseller-Listen allerdings unverändert vor allem die Titel aus der _“Brigitte“-Edition_ von Elke Heidenreich. Im August startet die _“Spiegel“-Edition_, die 40 Titel aus 40 Jahren der Spiegel-Bestseller-Liste umfassen wird (20 Romane und 20 Sachbücher), mit einem Band pro Woche, Einzelpreis 9,90 Euro. Vertriebspartner ist dtv. Und im September startet die zwölfbändige _“Bild“-Wissensbibliothek_ in Zusammenarbeit mit Bertelsmann zum Preis von 9,95 Euro.

Mit Beginn des zunehmen „WM“-Vorfeld-Hypes hatte der Bundesgerichtshof (BGH) dem Fußball-Weltverband untersagt, das alleinige Copyright-Recht für den Begriff _“Fußball-WM 2006″_ innezuhalten. Die Fifa hatte den Begriff für mehr als 800 Waren- und Dienstleister eintragen lassen. Damit gab es auch bei den Verlagen ein Aufatmen, denn diese brauchten diese Bezeichnung auch auf ihren Titeln und Buchhandlungen und konnten ihre Ladenflächen und Schaufenster wieder gestalten, ohne gleich rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen.

Interessante Zahlen: Das „Potter“-2005 mit Joanne K. Rowling bescherte dem englischen Verlag _Bloomsbury_ einen Umsatz von 156 Millionen Euro und damit ein Plus von 29 %. Der Vorsteuergewinn verbesserte sich um 24 % (42 Millionen Euro), was den Aktienkurs des Verlagshauses in die Höhe schnellen ließ. Bislang wurden weltweit mehr als 300 Millionen Bücher verkauft. Über 3,5 Milliarden Dollar verdiente der Warner-Konzern bisher mit allen Filmen, eine ähnliche Summe bringt auch das Geschäft mit den Lizenzartikeln ein. Darsteller Daniel Radcliffe wird für seinen Auftritt im fünften Teil „Harry Potter und der Orden des Phoenix“ 14,4 Millionen Dollar Gage erhalten. Autorin Joanne K. Rowling ist die reichste Frau Großbritanniens mit einem geschätzten Vermögen von über einer Milliarde Dollar.

Womit ich mal wieder bei den ganz „Großen“ im Buchgeschäft wäre. Der Konzern _Random House_ wäre durch seine Marktmehrheit ja fast am Kartellrecht gescheitert, hätte er nicht „Heyne“ gezwungenermaßen verkleinert und ein paar TB-Sparten davon abgetreten. Nachdem die Integration von Heyne erfolgreich abgeschlossen war, wurde weiterhin zugekauft, zuletzt DVA, Kösel, Manesse und die Gerth-Medien. Außer den auch in Zukunft geplanten Zukäufen wurden auch ganz neue Marken gegründet, wie Pantheon und Page & Turner. Im Kinderbuch und Hörbuch wurde in den vergangenen Jahren um 85 % zugelegt. Auch bei den „billigeren“ Kiosk-Buch-Editionen war man mit dabei; die Krimi-Bibliothek des „Stern“ lief in Kooperation mit Random House. Eine eigene Bibliothek im Stil dieser Zeitungseditionen dagegen ist nicht geplant. Der Zenit sei erreicht. Zwar kämen noch in den nächsten beiden Jahren einige weitere solcher Editionen auf den Markt, aber man will nicht das eigene Taschenbuchgeschäft schädigen – was diese Editionen nachweislich verursacht hatten. Der Konzern ist die größte deutschsprachige Verlagsgruppe. Bislang blieb der Konzern überraschend dezentral strukturiert, in der Programmarbeit der übernommenen Verlage hat sich nichts grundlegend verändert. Natürlich verändern sich gegenüber früher dennoch die zugekauften Verlage. Das Misstrauen und die Kritik gegenüber Random House ist geblieben, aber natürlich sind die Buchhandlungen darauf angewiesen, die Masse der Random-House-Gruppe einzukaufen und ihren Kunden anzubieten.

Der Kinder- und Jugendbuchverlag _Oetinger_ hat unter dem Label _Atrium_ den Einstieg ins Erwachsenenbuch gestartet. Im Herbst kommen die ersten Titel aus dem Belletristik- und Biografienbereich heraus.

Die _Thieme-Verlagsgruppe_ hat den _Diomed Verlag_ übernommen und damit ihr patientenorientiertes Informationsangebot erweitert. Diomed verlegt derzeit rund 700 standardisierte Patientenbögen in bis zu 13 Sprachen, die Ärzten vor einer Operation zur Information und Aufklärung sowie als Einverständniserklärung des Patienten dienen.

Die _Kinderbuchlabels_ Aare, KBV Luzern und Dachs verschwinden aus den Regalen. Alle waren 2001 zusammen mit Sauerländer von Patmos gekauft worden. Allerdings zeigte sich nur Sauerländer als starke Marke. Ab 2007 laufen alle Programme nur noch unter dem Namen _Sauerländer_ weiter. Ausnahme bleiben die religiösen Kinderbücher, die weiter unter dem Namen _Patmos_ laufen.

Auch _Knesebeck_ setzt auf Kinder und bringt im Herbst erstmals zehn Kinderbücher in einer separaten Vorschau. Pro Jahr sollen zwanzig Titel erscheinen.

Dann arbeitet auch noch der _Gerstenberg Verlag_ künftig mit _dtv_ zusammen und bringt am Oktober bei dtv junior die Reihe „Gerstenberg bei dtv junior“ heraus, mit jährlich zehn bis zwölf Titeln.

Die Wochenzeitung _“Junge Freiheit“_ feiert im Juni ihr zwanzigjähriges Bestehen und hat ihr Image in den letzten Jahren zu verbessern gewusst. Im Mai 2005 hatte sie erfolgreich vorm Bundesverfassungsgericht gegen die Diffamierungen im Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen geklagt und erwirkt, dass dies verfassungswidrig war. Die Prozesse wegen der Erwähnung im Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg sind noch nicht abgeschlossen, aber aufgrund der Entscheidung gegen NRW wurde auch dort im neuesten Bericht die „JF“ nicht mehr erwähnt. Im Frühjahr dieses Jahres sollten sie von der Leipziger Buchmesse ausgeschlossen bleiben, was durch einen „Appell für die Pressefreiheit“ mit 1500 Unterzeichnern, vorwiegend Prominenten, ebenso rückgängig gemacht werden musste. Durch das ursprüngliche Verbot hat somit die Messeleitung Schaden erlitten, und die erwarteten Proteste durch linke Störer sind gänzlich ausgeblieben. Zum Jubiläum ist nun in limitierter Auflage sowohl ein Buch „20 Jahre Junge Freiheit“ als auch eine gleichnamige DVD erschienen, die sich sehr eignen, um sich über die umstrittene Zeitung zu informieren.

Was sich die Türkei wohl so denkt? So schnell ist der Widerstand doch hoffentlich nicht in Vergessenheit geraten. Nach heftiger internationaler Kritik war das Strafverfahren gegen den Schriftsteller _Orhan Pamuk_ im Januar eingestellt worden. Nun hat die türkische Justiz das Verfahren gegen den Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels erneut aufgenommen und es geht unverändert um den Vorwurf, dass Pamuk durch seine Äußerungen zur Verfolgung und Ermordung von Kurden und Armeniern das türkische Volk beleidigt habe. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe – wie auch anderen weniger prominenten Autoren und Journalisten, die wegen ähnlicher Vergehen vor Gericht stehen.

Für Medienfurore sorgte auch _Peter Handke_, der am 18. März an der Beerdigung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten _Slobodan Milosevic_ teilgenommen hat und auch eine Grabrede hielt. In Paris wurden deswegen die für Anfang 2007 geplanten Aufführungen des Handke-Dramas „Spiel vom Fragen oder Die Reise ins sonore Land“ vom Spielplan genommen. Zahlreiche Autoren wie Elfriede Jelinek, Patrick Modiano, Robert Menasse und Paul Nizon protestieren ebenso wie Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz gegen diese Entscheidung.

Der _Drei Eichen Verlag_ hat in diesem Jahr sein 75-jähriges Jubiläum, gegründet am 1. März 1931 von Ludwig Jordan als Verlag für schöngeistige Literatur in Dresden. 1937 wurden der Verlag von den Nazis beendet und die Bücher verbrannt. Einer der Autoren des Verlags, Hermann Kissener, gründete nach dem Krieg 1947 den Saturn Verlag in München, und dadurch kamen Jordan und Kissener wieder in Kontakt, den sie in den Kriegswirren verloren hatten. Jordan übertrug 1948 Kissener den Drei Eichen Verlag, der sich darauf spezialisierte, ein spirituelles Verlagsprogramm aufzubauen, mit Sitz in der Schweiz. 1980 übernahm Kisseners Sohn Manuel den Verlag, der nunmehr wieder in Niederbayern die Geschäfte führte. Dort war es schwer, gegen die konservative Haltung der Gemeinde und die katholische Kirche anzugehen, die den Verlag als Sekte denunzierten. Deswegen wechselte der Verlag 1994 nach Unterfranken. Nach wie vor publiziert Drei Eichen ein Programm mit spirituellen Weisheiten aus Ost und West und richtet sich nicht nach den Verkaufszahlen der Titel. Alle Bücher sind im lieferbaren Programm geblieben. Der erfolgreichste Verlagstitel ist sicherlich die „Einweihung“ von Elisabeth Haich.

100 Jahre alt geworden ist der bei München ansässige Verlag _Langewiesche-Brandt_. Kaum bekannt dennoch, da er keine Produktionen für die Masse publiziert, sondern sehr feine und äußerst niveauvolle Bücher.

Am 6. Mai war der 150.Geburtstag von _Sigmund Freud_, und in den Medien wurde dies auch sehr breit ausgeführt. Das stärkte etwas die Psychoanalyse, die längst nicht mehr ihren Stellenwert vom Anfang des letzten Jahrhunderts oder auch in den 1960er Jahren hatte. Heute ist die Psychoanalyse in der Wissenschaft doch eher sehr umstritten. Zum Jubiläum sind unzählige Titel erschienen, die sich erstmals in ihrer Breite auch an eher breiteres Publikum wenden und leichter verständlich sind als die bisherigen Schriften. Hervorzuheben an wirklich interessanten Titeln sind vor allem folgende drei: Klaus Theleweit „Absolutely Freud“ (Orange Press), Eli Zartesky „Freuds Jahrhundert. Die Geschichte der Psychoanalyse“ (Zsolnay) und Micha Brumlik „Sigmund Freud. Der Denker des 20.Jahrhunderts“. Im Letzteren geht der Autor der gewagten Frage nach, ob die Erfindung der Psychoanalyse nicht einer der bedeutendsten Beiträge des Judentums für die europäische Kultur sei. Aber auch beim Hörbuch gibt es in Kooperation des Hörverlags mit der Wochenzeitung DIE ZEIT eine interessante Höredition „Entdeckungen auf der Couch“, deren Sammlung die wichtigsten Texte des Psychoanalytikers zu Themen wie Traumdeutung, Liebesleben, das Unbewusste und den Ödipuskomplex umfasst. Gelesen von prominenten Sprechern wie Gudrun Landgrebe, Roger Willemsen, Michael Krüger, Ulrich Noethen, Hannah Schygulla und Juliane Köhler.

Der Kritiker, Publizist und Übersetzer _Walter Boehlich_ ist im Alter von 84 Jahren gestorben. Bekannt vor allem durch Übersetzungen von Tania Blixen, Hjalmar Söderberg, Herman Bang, Ramon José Sender, Lope de Vega und Virginia Woolf. Mitte der 50er Jahre arbeitete er unter Peter Suhrkamp im Suhrkamp Verlag bis hin zu den Zeiten unter Siegfried Unseld. Er war maßgeblich mitbeteiligt an dem, was man die „Suhrkamp-Kultur“ nennt. Dort wird er in der Verlagsgeschichte mittlerweile verschwiegen, denn 1968 kam es zum legendären „Aufstand“ der Lektoren, was zur Gründung des Verlags der Autoren führte.

Der _Deutsche Jugendliteraturpreis_, einziger Staatspreis für Literatur in Deutschland, feiert sein 50-jähriges Bestehen.

Und auch die _Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur_ feiert ihr dreißigjähriges Bestehen. Sie wird von der Stadt Volkach am Main finanziell unterstützt, sowie durch die Bayrische Sparkassenstiftung, die den jährlichen _Großen Preis_ für ein literarisches bzw. graphisches Gesamtwerk oder für herausragende wissenschaftliche, publizistische oder literaturpädagogische Arbeiten im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur stiftet. Monatlich prämiert die Akademie jeweils drei Neuerscheinungen aus den Bereichen Bilder-, Kinder- und Jugendbuch zum _Buch des Monats_. Außerdem werden seit 1982 verdiente Persönlichkeiten mit dem _Volkacher Taler_ ausgezeichnet. Seit ihrer Gründung finden Tagungen und Seminare für Kinder- und Jugendliteratur statt und in einer Schriftenreihe veröffentlicht. Darüber und einiges weitere mehr findet sich auch etwas im Internet unter www.akademie-volkach.de.

Der _Friedrich-Glauser-Krimipreis 2006_ der Autorenvereinigung Das Syndikat ging an _Astrid Paprotta_ für ihren Roman „Die Höhle der Löwin“ (Piper).

Den _Büchnerpreis_ der Akademie für Sprache und Dichtung erhielt kurz vor seinem 80. Geburtstag der Großmeister der experimentellen Lyrik, _Oskar Pastior_.

Die Iranerin _Shirin Ebadi_ erhielt 2003 den Friedensnobelpreis. Wie wurde als erste Frau im Iran zur Richterin ernannt und war von 1975 bis 1979 Vorsitzende des Teheraner Stadtgerichts. Mit dem Sturz des Schah-Regimes 1979 und der Ausrufung einer islamischen Republik musste sie ihr Richteramt aufgeben. Seither arbeitet sie als Anwältin und setzte sich unter anderem für politische Gefangene, benachteiligte Frauen und Kinder ein. Nun ist ihre Autobiografie _“Mein Iran“_ erschienen. Zur Vorstellung dieses Buches reiste sie nach Berlin und warnte vor einem Militärschlag: „Trotz aller Kritik, die wir an der iranischen Regierung haben, darf kein einziger amerikanischer Soldat seinen Fuß auf iranischen Boden setzen“. Das Beispiel Irak zeige, welchen Preis das Volk für den Sturz von Diktatoren bezahlen müsse. „Der Irak steht an der Schwelle eines Bürgerkriegs und der Spaltung des Landes. Das ist das Ergebnis des willkürlichen Angriffs der USA auf den Irak“. Die US-Medien verbreiteten derzeit ein Bild vom Iran, mit dem die Öffentlichkeit auf einen Angriff auf ihr Land vorbereitet werden solle. Sie fordert Washington und Teheran auf, ihre Differenzen durch Verhandlungen beizulegen. Nur mehr Demokratie könne die Nutzung der Kernenergie in ihrem Land kontrollierbarer machen.

Die Deutsche Umweltstiftung verlieh ihren _19. Umweltpreis für Journalisten_ dem _Strahlentelex_ (Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit) und würdigte eine 20-jährige unabhängige Informationsarbeit. Das monatliche Printmedium gibt es für 64 Euro im Jahresabo bei Strahlentext, Waldstr.49, 15566 Schöneiche bei Berlin. Im Internet unter www.strahlentelex.de.
Der bekannte Autor Erik Neutsch („Spur der Steine“) stellt seinen künstlerischen Nachlass zur Verfügung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung übernimmt die Treuhänderschaft. Die _“Erik-Neutsch-Stiftung“_ hat als unselbständige gemeinnützige Stiftung in der Rosa-Luxemburg-Stiftung den Zweck, politische Bildung, Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur sowie internationale Verständigung und Zusammenarbeit zu fördern. Die Stiftungsurkunde wurde am Mittwoch, dem 17. Mai 2006, von dem Stifter Erik Neutsch und dem Geschäftsführenden Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Evelin Wittich, in Halle/Saale feierlich unterzeichnet. Als Auftakt in der Arbeit der Erik-Neutsch-Stiftung wird am 21. Juni 2006 bei der RLS in Berlin ein Kolloquium zum 75. Geburtstag des Autors stattfinden.
Der Bundestag hat nun am 6. April in dritter Lesung das Gesetz verabschiedet, mit dem _Die Deutsche Bibliothek_ in _Deutsche Nationalbibliothek_ umbenannt werden soll. Der Weg durch die Gremien ist damit aber noch nicht abgeschlossen, da der Bundesrat die Entscheidung noch billigen muss – ohne zustimmungspflichtig zu sein. Vom Bundesrat war gegen die Namensänderung ja im Vorfeld erhebliche Kritik ausgegangen.

Der ehemalige Direktor der Frankfurter Buchmesse, _Volker Neumann_, (davor Marketing-Chef bei Random House) ist wieder ins direkte Buchgeschäft gegangen. Seit 1. Mai ist er Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb bei Pendo. Der gegenwärtige Pendo-Verleger Christian Strasser war früher Verleger von Ullstein Heyne List.

_Juergen Boos_, der neue Direktor der Frankfurter Buchmesse, will die Frankfurter Buchmesse als internationale Marke profilieren. Nach der Buchmesse in Kapstadt, die im Juni dieses Jahres zum ersten Mal stattfindet, hat er nun sogar eine Gegenmesse zur London Book Fair ins Leben gerufen. Der erste Auftritt der _Book Fair Earl`s Court_ in London war vom 16. – 18. April 2007 geplant und tritt gegen die _London Book Fair_ an, die vom internationalen Messeveranstalter „Reed Exhibitions“ organisiert wird und bereits vom 5. bis 7. März stattfinden sollte. Da der Frankfurter Messeableger nicht außerhalb, sondern in der Innenstadt stattfindet, hatte er bereits jetzt nicht nur deswegen die größere Rückendeckung der großen Verlage. Reed Exhibitions, die weltweit 460 Veranstaltungen organisiert, reagiert sehr verschnupft auf die Frankfurter Pläne, denn auch die Standpreise waren günstiger als bei ihnen. Reed ist ein börsenorientierter Messeveranstalter, der profitorientiert denkt. Die Frankfurter Messe dagegen will den besten Service für die Branche bieten und nicht nur den Profit. Jürgen Boos ging sehr zuversichtlich davon aus, dass im Jahr darauf die London Book Fair nicht mehr stattfinden wird. Es sei kein Bedarf für zwei Buchmessen. Ein „Krieg der Messen“ hat damit begonnen. Die Verträge für die Messehalle _EC&O_ waren bereits zur Unterschrift in Frankfurt eingegangen, als im letzten Moment die Messehalle den Partner wechselte und Reed die Hallen für den von der Frankfurter Messe geplanten April-Termin vergab. Reed hat zudem seine Standpreise um 8 % zum Vorjahr gesenkt. Die Frankfurter Buchmesse prüft nun, ob sie den Betreiber des Messezentrums juristisch auf Schadensersatz belangen kann. Man spricht aber nicht von einem Imageverlust für die Frankfurter Messe, sondern vom Gegenteil. Im Ausland habe es sogar einen Imagegewinn gegeben, da die dortigen Verlage enttäuscht sind. Für die deutsche Messe sind zwei Märkte sehr wichtig: der englischsprachige und der sich entwickelnde Markt in China. In Peking unterhält man bereits das Buchinformationszentrum, das die deutschen Verlage beim Rechtshandel unterstützt.

Der _Börsenverein_ bereitet seit Jahren eine umfangreiche Verbandsreform vor, deren Ziele mehr Transparenz, Kommunikation und Partizipation sind. Obwohl diese Ziele unumstritten sind, wurde auf der Abgeordnetenversammlung im April die Entscheidungen darüber aufs nächste Jahr vertagt. Die Finanzkontrolle z. B. soll ganz an die Hauptversammlung abgeben werden. Ein Branchenparlament sollte im Herbst bereits die Abgeordnetenversammlung ablösen. Die Abgeordneten stimmten dem jedoch nicht zu. Noch werden die Konflikte zwischen Hauptversammlung und Abgeordnetenversammlung eher heruntergespielt, aber es scheint sich ein Machtkampf im Verband anzubahnen. Ein umstrittenes und umkämpftes Thema ist auch die „Volltextsuche online“.

Zum zweiten Mal werfen wir in den regelmäßigen Buchwurm-Infos auch einen Blick auf das Comic-Geschehen. Der _Konkursbuchverlag_, dessen literarisches Programm aus fernöstlicher Literatur sowie Sex eine ganz besondere Nische bedient, ist vor einiger Zeit auch mit einer Comic-Reihe angetreten: _“Small Favors – Girly Sex Comic“_, gezeichnet von der Autorin Colleen Coover, die Sex-Comics auch für Frauen etablieren will. Tatsächlich sind die Geschichten der kleinen Annie und ihrer Freundin Nibbil recht funny wie auch anregend anzuschauen. Die niedlichen romantischen Storys stecken darüber hinaus voller Ironie.
Die eigentlichen sich gut verkaufenden Comics – vor allem an den Bahnhofsbuchhandlungen – bleiben allerdings die Superhelden. Bei DC ist der zweite Band der _Infinite Crisis Monster Edition_ erschienen, ein gigantisches Crossover, welches, wie zuletzt vor zwanzig Jahren geschehen, die Welt der Superhelden um Superman, Batman und Wonderwoman gewaltig durcheinander wirbelt. Nun haben sich auch die Superschurken unter der Leitung von Lex Luthor zusammengeschlossen. Und passend zur Rückkehr von Superman ins Kino kommt auch im Comic ein ganz neuer _Superman_ mit _“Die Rückkehr 1″_ in den Handel. Gezeichnet von dem Koreaner Jim Lee, der mit X-Men bei Marvel begann und danach seine eigene Firma gründete. Mit dem Autor Brian Azzarello erschuf er eine von Story wie Zeichnung ganz außerordentliche Superman-Episode. Im Kino waren bislang aber die „X-Men“ die eigentlich großen Renner und deswegen gibt es sie auch in vielen Variationen auf dem Comic-Markt. Sehr löblich ist es deswegen, die allerersten Folgen von Stan Lee und Jack Kirby innerhalb der Reihe _“Marvel History“_ neu aufzulegen. Gerade ist _“X-Men, Bd.1″_ mit den ersten zehn Geschichten von September 1963 bis März 1965 erschienen. Zeichnerisch ein Riesenunterschied zur aktuellen Reihe, die unter _“Die ultimativen X-Men“_ am Kiosk läuft. Gegenwärtig bekommt man dort die auf fünf Teile angelegte Story „Magnetischer Nordpol“. Star der X-Men ist seit den Filmen zweifellos Wolverine geworden und den gibt es in einem Spezialband _“Wolverine: Origin“_, der von Starzeichner Andy Kubert in einem Meilenstein der Comickunst die Ursprungsgeschichte davon, wie es mit Wolverine begann, erzählt. Auch eine neue Spiderman-Version ist im Mai am Kiosk gestartet: _“Im Netz von Spider-Man“_ mit Band 1 – Das Andere, eine auf zwölf Folgen angelegten Story „Evolution oder Tod“. Ärgerlich nur, dass man auch, um die Story zu haben, den regulären Kiosk-Spiderman kaufen muss, denn nach den ersten vier Storys im eigenen Heft folgen die nächsten vier in der Normalausgabe und die restlichen vier dann in Band 2. Interessanter sind deswegen dann schon auch hier die Sonderbände, wo Spiderman in _Marvel Exklusiv Nr. 61_ als _Spider-Man: House of M_ zelebriert wird. Im House of M existiert das „normale“ Marvel-Universum nicht mehr. In dieser Welt regieren die Mutanten unter der Schirmherrschaft von Magneto und die normalen Menschen bilden die Minderheit. Hier lebt Peter Parker mit seiner Ehefrau Gwen Stacy ein sehr luxuriöses Leben und in der Öffentlichkeit ist er der Wrestling-Star Spider-Man. Eine sehr interessante Variante.
Sehr lobenswert ist, dass Panini seit einiger Zeit auch ins DVD-Filmgeschäft eingestiegen ist und neben Zeichentrickklassikern wie „Ghost in the Shell“, „Akira“ und „Blood – The Last Vampire“ auch eine ganze Menge Mangas auf den Markt wirft, die sonst keinerlei Chance auf dem deutschen Markt hätten. Ein aktuelles Beispiel dieser _Anime-DVD-Collection_ ist _“Dead Leaves“_ aus dem Studio _Production I.G._, die ihren großen Durchbruch mit „Ghost in the Shell“ hatten, mittlerweile aber auch in amerikanischen Produktionen animierte Kapitel erarbeiten, wie in Quentin Tarantino`s „Kill Bill, Vol. 1“. „Dead Leaves“ ist eine sehr schräge Sci-Fi-Geschichte, deren Charaktere in ein überaus gewalttätiges, chaotisches und respektloses Abenteuer geraten.

Zu guter Letzt: Es tut sich viel auf dem Verkaufsmarkt. Im nächsten Jahr wird _“LIDL“_ den Bahnhöfen, Buchhandlungen und Kiosken Konkurrenz machen und ein breites Zeitungs- und Zeitschriftenangebot in seinen Läden etablieren. Die _Bahnhofskioske_ und -Buchhandlungen dagegen werden mehr auf Hörbücher, CDs, DVDs, aber auch MP3s, die man für die Reise runterladen kann, umsteigen.

|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/.|

Interview mit Alisha Bionda

|Die Autorin, Herausgeberin und Lektorin Alisha Bionda wurde in Düsseldorf geboren, lebt derzeit auf Mallorca und gehört mittlerweile fest zur deutschsprachigen Phantastik-Szene. Bekannt ist sie unseren Lesern neben ihrer Redaktionsarbeit vor allem durch ihr Wirken beim BLITZ-Verlag. Mehr über sie und ihre vielfältige Arbeit erfahrt ihr im nun folgenden Gespräch, das Gastautor Florian Hilleberg mit ihr führte.|

_Florian Hilleberg:_
Wie kam der Kontakt mit dem BLITZ-Verlag zustande?

_Alisha Bionda:_
Ich stand mit Jörg Kaegelmann schon 1999 kurz in Kontakt, der sich aber verloren hatte. Dann bot ich ihm vor vier Jahren einige meiner Manuskripte an. Da er auch eine Mitarbeiterin in einigen Bereichen des Verlages suchte und ein anderer Autor – der zu der Zeit ebenfalls im BLITZ-Verlag veröffentlichte – auch hier auf der Insel lebt, entschloss sich Jörg Kaegelmann, mir 2002 einen Besuch abzustatten. So kam unser erneuter Kontakt zustande. Unsere Zusammenarbeit ist seither stetig gewachsen und hat sich immer mehr gefestigt. Wir sind uns in den wesentlichen Dingen und Ansichten sehr ähnlich, üben aber auch gegenseitig konstruktive Kritik – alles, was zu einem guten Team gehört.

_Florian Hilleberg:_
Wie sieht ein Arbeitstag bei dir aus und wie eng sind die Termine gelegt? Hast du überhaupt einen „richtigen“ Feierabend?

_Alisha Bionda:_
Einen richtigen Feierabend in dem Sinne, dass ich zu einer bestimmten Zeit den Mac ausschalte, habe ich nicht. Aber das bleibt mir selbst überlassen. Der schönste Aspekt dieses Berufes ist es, dass man die freie Wahl hat. In allem. Ebenso, wie lange ich arbeite und welche Projekte ich durchführe. Da habe ich BLITZ einiges zu verdanken, und ich bin an Erfahrung reicher geworden. (Auch was menschliche Verhaltensweisen angeht.) Ich gebe zu, dass ich oft zu lange |wirke|. Aber das liegt vor allem daran, dass ich erstmals in meinem Leben einen Beruf ausübe, der mir richtig Spaß macht, und ich darüber hinaus ein Mensch bin, der sich ohnehin immer sehr einsetzt. Es liegt natürlich auch immer an den Zusammenarbeiten. Bei BLITZ ist z. B. eine kleine Familie entstanden, durch das Lektoratsteam (TTT), das ich vor vier Jahren gegründet habe, durch die Zusammenarbeit mit dem Setzer und den Grafikern, aber auch den Autoren. Das funktioniert alles sehr gut und auf freundschaftlicher Ebene.

Wie mein Arbeitstag aussieht, bestimmt immer meine Wochenplanung – und das, was an Projekten gerade anliegt. Das kann man so pauschal nicht sagen. Aber grob ist es so, dass ich meist tagsüber meine Verlagstätigkeiten ausübe und abends/nachts schreibe. Da muss ich sagen, dass die Termine immer enger beieinander liegen. Aber das ist natürlich. Und man kann ja froh sein, wenn die Auftragslage halbwegs stimmt. Da ich sehr diszipliniert und belastbar bin, kann ich aber mit Fug und Recht sagen, dass ich mehr schaffe, als das manch anderer kann.

_Florian Hilleberg:_
Wie entspannst du dich am besten?

_Alisha Bionda:_
Die Frage kann ich nicht so einfach beantworten. Ich entspanne mich, wenn ich beispielsweise meinen Morgen oder Abend am Meer starte/beende, mit meiner Windhunddame Jamila am Strand entlanggehe, einen Cappu und Zigarillo in meinem Stammcafé am Meer genieße und dort in einem Buch (meist Rezensionsbücher) schmökere.

Hin und wieder zieht es mich hier ins Gebirge. Natur ist für mich Entspannung.
Es kommt für mich oft auf die Intensität des Augenblicks an – das kann ich nicht pauschal beantworten.

Am besten entspanne ich mich in der Gesellschaft der wenigen Menschen, die mich erreichen. Die kann man aber an einer Hand abzählen, umso wichtiger sind sie mir. Und ich hoffe immer, sie wissen das. Darunter sind zwei Menschen, denen ich mich besonders verbunden – nein, dem einen zugehörig fühle. Sie bereichern mein Leben, und auch wenn ich an sie denke, bewirkt das in mir eine Form der Entspannung.

_Florian Hilleberg:_
Kannst du dir die Serien und Reihen, die du lektorierst, aussuchen? Wie viel Spielraum hast du in Hinsicht auf Gestaltung und Änderungen der Bücher?

_Alisha Bionda:_
Grundsätzlich kann ich das natürlich aussuchen, weil es ja reine Auftragsarbeiten sind. Ich bin keine fest bezahlte BLITZ-Kraft. Aber es besteht eine Absprache mit dem Verlag, dass möglichst einheitlich lektoriert werden soll, und so gibt es da feste Regeln. Und ich versuche, gewisse Titel selbst zu lektorieren. Nun kommt es aber vor, dass ich an der einen oder anderen Serie selbst mitschreibe, da muss ich dieses Lektorat vergeben. Was den Spielraum angeht, so liegt das in der Ethik des Berufes. So, wie man nicht in seine Kinder hinein-, sondern herauserziehen soll, sollte ein Lektorat den Text eines Autors unterstützen und nicht zu Tode lektorieren – oder nach dem eigenen Geschmack vergewaltigen. Die Autoren bei BLITZ werden in das Lektorat mit einbezogen, soweit das von Verlagsseite vertretbar ist. Die Gestaltung sprechen Jörg Kaegelmann und ich ab, wir haben uns das in etwa aufgeteilt. Das ergibt einen Sinn.

_Florian Hilleberg:_
Mit „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ ist dir ein großer Wurf gelungen; welchen Anteil hatte dabei der Namensgeber der Serie?

_Alisha Bionda:_
Einen wesentlichen insoweit, dass sie nie diese enorme Beachtung erfahren hätte. Durch die Zusammenarbeit mit Weltbild, die Jörg Kaegelmann initiiert hat, erreicht die Serie einen Zuspruch, den sie aber ohne Wolfgang Hohlbeins Herausgabe nicht erzielt hätte. Im Zuge dessen prüft er natürlich jeden Titel und ist somit nicht nur ein Namensgeber, und daher für alle, die mit der Serie zu tun haben, ein Ansporn, sie in seinem Sinne weiterzuführen.

Alles in allem bin ich ihm da zu großem Dank verpflichtet!

_Florian Hilleberg:_
Serien über weibliche Vampire sind mittlerweile keine Seltenheit mehr, ich denke da an „Vampira“ und „Vampir-Gothic“, die neue Serie von Martin Kay. Auch im Kino kann man starke Vampirinnen in Filmen wie „Underworld“ bewundern. Wieso hast du dich trotz der großen Konkurrenz entschieden, ebenfalls einer Untoten die Hauptrolle zu geben?

_Alisha Bionda:_
Wahrscheinlich, weil ich nie einen Vampira-Roman gelesen habe. Mittlerweile besitze ich zwei Vampir-Gothicbände, die ich aber aus Zeitmangel noch nicht lesen konnte.

Warum ich einer Untoten die Hauptrolle gegeben habe? Im Grunde ist sie es nicht wirklich. Ihr Gefährte Calvin hat einen ebenso großen Anteil, wie auch andere Charaktere der Serie. Es ist eine immer mehrschichtigere Vampirgesellschaft / Schattenwesenwelt, die wir schaffen. Um Dilara dreht es sich zwar, aber ich würde sie nicht als alleinige Hauptperson bezeichnen.

_Florian Hilleberg:_
Ist das Konzept der „Schattenchronik“ auf eine bestimmte Anzahl von Bänden ausgelegt, oder lasst ihr (du und die anderen Autoren) euch da überraschen?

_Alisha Bionda:_
Wir planen immer in Zweijahresabständen. So werden Jörg Kleudgen und ich in den nächsten Wochen die Bände 13 bis 20 konzipieren. Mit Jörg entwickele ich die Serie ab Band 4 zusammen weiter. Bei ihm möchte ich mich hier mal bedanken, weil er wirklich immer zur Stelle ist, wenn ich ihn zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten |nerve| und ihm mit „kannst du mal dies“ und „kannst du mal das“ oder „sollen wir nicht noch hier mal eben eine Dilara-Kurzgeschichte schreiben?“ komme. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Immerhin hat er einen stressigen Beruf mit wechselnden Arbeitszeiten, eine Frau, seine Band |The House of Usher| inklusive Auftritte, auch im Ausland. Aber er hat noch nicht einmal in den letzten Monaten zu mir gesagt: „Jetzt reicht es aber, Alisha!“ Man kann das nicht genug würdigen. Daher erwähne ich es.
Zurück zur Serienplanung: Was die Ideen angeht und die Lust am Schreiben, so sind wir alle so motiviert und voller Ideen, dass es eine Endlosserie werden könnte. Das entscheidet daher letztendlich der Leser.

_Florian Hilleberg:_
Wie viele Autoren werden an der Serie mitschreiben, und ist ein Roman von Wolfgang Hohlbein eingeplant?

_Alisha Bionda:_
Bisher war mein Wunsch immer zwei Co-Autoren, die ja vorhanden sind, aber ich habe noch die ein oder andere Idee. Da kann man sich überraschen lassen!

_Florian Hilleberg:_
Bislang haben schon Marc-Alastor E.E., Jörg Kleudgen und S.H.A. Parzzival an der Serie gearbeitet. Wie kam der Kontakt zustande? Welchen Anteil haben die anderen Autoren an der Entwicklung der Serie?

_Alisha Bionda:_
Es war so, dass ich mit der Serienidee bereits einige Jahre „schwanger“ gehe und nun die Gelegenheit erhielt, sie in Angriff zu nehmen. Da habe ich Marc-Alastor E.-E. gefragt, ob er Lust hätte, an der Serie mitzuwirken. Und er |hatte|, was mich sehr glücklich stimmte, da ich ihn für ein großes Talent halte – du selbst sagtest ja letztens, dass er eine Bereicherung für die Serie war, denn du kennst ja alle sechs Bände. Er hat auch der Serie in den Anfängen durch einige Charaktere, die er geschaffen hat, wesentlichen Atem eingehaucht.

Später kam Jörg Kleudgen dazu und hat sich wundervoll eingefunden. Die Serie hat dadurch eine etwas andere Richtung eingeschlagen, weil er Marc-Alastor nicht ersetzen konnte, sollte und wollte. Aber die neue Richtung gefällt mir, weil für jeden Leser etwas dabei ist.

Dann kam wiederum S.H.A. Parzzival dazu, der den Vampircop Mick als Idee einbrachte – gewürzt mit meiner Bitte, diesem ein Voodoo-Vampir-Zwitterwesen zu geben. Insoweit haben alle drei einen Anteil an der Entwicklung der Serie. Ich möchte da keine Gewichtung vornehmen.

_Florian Hilleberg:_
Wie sieht die Mitarbeit mit anderen Autoren aus? Gibt es eine strikte Arbeitsteilung? Schickt ihr euch einzelne Abschnitte zu, die der andere weiterentwickeln muss?

_Alisha Bionda:_
Das ist unterschiedlich. Wir sprechen uns vorher ab, teilen auch auf, das geht nicht anders. Aber es besteht eine tägliche Kommunikation, daher verzahnt sich ein großer Teil der Texte automatisch, den Rest passe ich in der nachfolgenden Überarbeitung an. Es herrscht die richtige „Chemie“ zwischen uns. Das merkt man besonders bei dieser Zusammenarbeit. Aber wir arbeiten selten gemeinsam an einer Szene.

_Florian Hilleberg:_
Habt ihr vor, auch andere Wesenheiten des Horror-Genres auftreten zu lassen, z. B. Werwölfe?

_Alisha Bionda:_
Haha … Da schweige ich wie ein Grab. Ich will dem Leser doch nicht die Spannung nehmen! Aber: Bei uns ist man nie vor Überraschungen sicher!

_Florian Hilleberg:_
In der Magic Edition ist dein Roman [„Regenbogen-Welt“ 2149 erschienen. Wie und wann kam dir die Idee dazu, und warum ausgerechnet ein Mythos der Navajo-Indianer?

_Alisha Bionda:_
Die Idee kam mir schon sehr früh. Und es hatte mehrere Gründe. Ich möchte meinen Lesern zeigen, dass ich viele Facetten habe. Aber ich greife auch immer wieder Themen für Einzelprojekte auf, die mich beschäftigen oder reizen. Die sind gänzlich unterschiedlicher Natur. Sei es nun die Mythologie der Navajo-Indianer oder ein Gen-Roman. Da ist die Bandbreite bei mir recht groß. Zu den Navajos bin ich über viele Wege gekommen. Das würde zu weit führen und ist auch zu privat, weil es mit einem dunklen Kapitel meines Lebens zu tun hat. Aber: Es hat mir persönlich sehr geholfen, mich damit zu beschäftigen. Ich bin zwar überhaupt nicht esoterisch veranlagt, doch es gibt viele Dinge, die wir von der Natur lernen können, wenn wir nur richtig hinschauen … und vieles mehr.

_Florian Hilleberg:_
Kann man mit einem ähnlichen Projekt von dir in absehbarer Zeit rechnen?

_Alisha Bionda:_
Mit einem ähnlichen nicht, aber dafür mit anderen interessanten Projekten, etwa ein mystischer Mallorcaroman „Das Grab des Poeten“ mit Jörg Kleudgen, aber auch andere Co-Projekte, auf die ich mich freue. Aber sicher auch wieder Einzelromane, die bei mir immer sehr in die Tiefe gehen und während des Entwicklungsprozesses und des Schreibens – die dann einen Teil von mir beinhalten – auch in mir Spuren hinterlassen.

_Florian Hilleberg:_
Bald erscheinen auch neue Abenteuer mit „Larry Brent“ von dir und S.H.A. Parzzival. Du hattest schon einmal gesagt, dass ihr mehrere Bände zu LB schreiben wollt. Wer wird noch zu dem neuen Autorenteam gehören?

_Alisha Bionda:_
S.H.A. Parzzival und ich haben einige Titel geplant, die wir zusammen bestreiten werden. Es sollen nun weitestgehend Zyklen erscheinen. Der erste wird sich um den Dämonensohn ranken (LB 113 bis 115), danach gibt es einen Zyklus, den ich mit Christian von Aster, S.H.A. Parzzival und der österreichischen Erfolgsautorin Barbara Büchner verfasse. Weitere Zyklen sind in Planung. Wer außer S.H.A. Parzzival und meiner Wenigkeit mitschreiben wird, steht noch nicht fest. Daher lohnt sich immer ein Blick auf unsere [Verlagsseite,]http://BLITZ-Verlag.de die wir täglich auf aktuellem Stand halten. Auch unsere Vorschau ist immer sehr pünktlich online. Da kann sich jeder informieren, aber auch über den Kontaktbutton auf der Verlagsseite täglich mit uns Kontakt aufnehmen.

_Florian Hilleberg:_
Fällt es dir schwer, mit den vorgegebenen Charakteren umzugehen?

_Alisha Bionda:_
Nein, überhaupt nicht, wenngleich man sich natürlich Projekte herauspickt, die einem als Autor auch liegen. Aber man schafft ja parallel zu den vorgegebenen Charakteren auch immer neue und baut – darüber hinaus – die vorgegebenen noch aus. Da bleibt genug Raum für die schriftstellerische Entfaltung. Für Projekte, die zu enge Vorgaben machen, würde ich nicht schreiben. Das reizt mich nicht.

_Florian Hilleberg:_
Habt ihr vor, der Serie einen neuen roten Faden zu verleihen, oder verlegt ihr euch auf einzelne Fälle?

_Alisha Bionda:_
Es wird auf jeden Fall einen roten Faden geben. Wie erwähnt, sind Zyklen geplant. Ich denke, da erwarten die Larry-Brent-Leser, aber auch die Neueinsteiger interessante Titel.

_Florian Hilleberg:_
Inwieweit sprecht ihr euch mit Dan Shocker über die Entwicklung der Serie ab?

_Alisha Bionda:_
Wir sprechen uns bei jedem Band mit ihm ab.

_Florian Hilleberg:_
Die neuen Titel versprechen zumindest ein Wiederlesen mit dem Dämonensohn des Dr. Satanas. Werden auch andere alte Feinde, wie Dr. X, Mystex oder Dr. Tschang Fu wieder mitspielen?

_Alisha Bionda:_
Wir werden mit Sicherheit immer Charaktere der Serie aufgreifen. In welcher Form und welchem Umfang, richtet sich dann nach den jeweiligen Plots. Es muss ja alles stimmig sein. Ich gehe davon aus, dass wir eine gesunde Mischung aus Althergebrachtem und Neuem anbieten werden.

_Florian Hilleberg:_
Mit der „Magic Edition“ wurde eine vielversprechende Reihe beendet, welche Einzelromane verschiedener Genres vereinte. Gibt es ein ähnliches Konzept für eine neue Reihe? Oder werden in Zukunft auch einzelne Romane außerhalb einer Serie oder Reihe veröffentlicht?

_Alisha Bionda:_
Da ist derzeit nichts geplant. Es ist sinnvoll, sich auf weniges zu konzentrieren und das dann möglichst immer weiter zu verbessern und pünktlich zu bringen. Diese Politik verfolgen wir und sie greift. Das heißt aber nicht, dass wir nicht neue Ideen entwickeln. Das sieht man gerade jetzt, in Form des [„Titan-Comic“,]http://www.blitz-verlag.de/index.php?action=serie&id=39 dessen erster Band im Juni erscheint.

Im Übrigen gibt es die „Magic Edition“ ja noch bis Ende 2006. Wer flott zugreift, kann sie sich noch sichern. Wer sie komplett erwirbt, erhält auch signierte Exemplare – und hat somit in mehrfacher Sicht schöne Sammlerstücke.

_Florian Hilleberg:_
Werden in naher Zukunft weitere Bücher von dir im BLITZ-Verlag, außerhalb der Serien „Schattenchronik“ und „Larry Brent“, erscheinen?

_Alisha Bionda:_
Ich schreibe 2007 und 2008 an jeweils zwei Bänden der Serie „Titan-Sternenabenteuer“ mit und bin ansonsten immer offen für Projekte, in die ich mich auch einbringen kann. Ich muss das Gefühl haben, dem auch gerecht zu werden. Aber ich habe schon die eine oder andere Idee an den Verlag herangetragen.

Darüber hinaus gebe ich dieses Jahr noch je eine Anthologie in der „Poe“- und „Sherlock Holmes“-Reihe heraus.

_Florian Hilleberg:_
Im Herbst dieses Jahres möchtest du eine neue Internet-Seite veröffentlichen, u. a. mit Rezensionsmöglichkeiten für Bücher. Kannst du darüber ein wenig berichten? Was unterscheidet beispielsweise deine Seite von anderen Homepages dieser Art?

_Alisha Bionda:_
Das stimmt nicht so ganz. Im Herbst soll erst einmal meine neue Autorenseite programmiert werden, die ich dann selbst täglich auf aktuellem Stand halten kann. Alles andere ist noch nicht spruchreif, da sich leider Verzögerungen ergeben haben.

_Florian Hilleberg:_
Wie bist du zum Schreiben gekommen, wann stand für dich fest, selbst schriftstellerisch tätig zu werden?

_Alisha Bionda:_
Da ich, so lange ich denken kann, lese-lese-lese, habe ich auch recht früh begonnen zu fabulieren, dann tummelte ich mich jahrelang in der Literaturzeitschriftenszene, habe einige Jahre auch selbst eine herausgegeben – nach alter Undergroundmanier, was für mich mehr Herz und Seele hatte als die heutigen Hochglanzmags. Auch wenn sie alle mit tollem Layout daherkommen. Sie lassen für mich manchmal den persönlichen Fingerabdruck vermissen.

Zurück zum Schreiben: Ich habe neben meinem erlernten Beruf immer Zusatzstudien absolviert, so auch einiges in Richtung Literatur, Journalismus, aber auch Marketing. Und das andere hat sich dann natürlich entwickelt. Es vergeht kein Tag, ohne dass ich lese und schreibe. Das gehört zu meinem Leben.

Ich bin eine, die sehr intuitiv lebt und agiert. Dennoch zielstrebig. Auch wenn sich das widersprüchlich anhört, so ist es das nicht. Ich bin immer sehr authentisch – daher auch schon mal sehr unbequem – und das, was in mir ist, muss heraus: das geschriebene Wort und die Gefühle für die wenigen Menschen, die ich liebe …

Aber bei beidem bin ich nicht inflationär. Ich schreibe nicht alles und liebe nicht jeden.

_Florian Hilleberg:_
Gibt es ein Thema, außer den Vampiren, über das du am liebsten schreibst? Was wäre dein größter Wunsch, welche Projekte würdest du gerne verwirklichen?

_Alisha Bionda:_
Auch Vampire sind nicht mein Lieblingsthema. Ich bin da nicht festgelegt. Der Plot muss mich ansprechen und gefangen nehmen. Das beste Beispiel sind meine „Schattenchronik“-Bände und die „Regenbogen-Welt“. Erstere sind ja eher düster und melancholisch und letzter ein lichter phantastischer Schöpfungsroman der etwas anderen Art. Ich sage es mal so: Außer reinen Liebesromanen reizt mich so ziemlich alles. Wie im Leben: Alles zu seiner Zeit! Das sieht man auch daran, dass es Zeiten gibt, da möchte ich auf jeden Fall alleine schreiben. Und dann wiederum fruchtet gute Zusammenarbeit, aber das kann ich nur mit ganz bestimmten Personen. Ich bin nicht der Typ, der mit jedem Co-Autor zusammenarbeiten könnte und wollte. Es gibt noch zwei Wunschkandidaten, mit denen leider bisher noch nichts in der Art zustande gekommen ist, wie ich es ab Band 4 in der „Schattenchronik“ begonnen habe.

Kommen wir zu deiner Frage, was mein größter Wunsch ist. Ich bin mal so kühn und äußere gleich zwei: Ich würde gerne eine ganz bestimmte Trilogie mit Wolfgang Hohlbein zusammen verfassen. Das ist ein sehr lange gehegter Wunsch. Und ich möchte mit Marc-Alastor E.-E. eine stilistisch schöne und |ausgereifte| düstere Novelle schreiben, die mit Muße reifen soll und mit viel Liebe zum Detail geschrieben wird. Ich hoffe, ich habe zu beidem die Gelegenheit! Die Zeit wird es zeigen!

_Florian Hilleberg:_
Welche Projekte von dir sind sonst noch geplant?

_Alisha Bionda:_
Über die BLITZ-Projekte hinaus – was nicht gerade wenige sind – möchte ich für drei meiner schon vor längerer Zeit begonnenen Anthologien eine Verlagsheimat finden, was zugegebenermaßen derzeit schwer ist. Aber dennoch bleibe ich am Ball, zumal die Anthologien sehr gut sind, sowohl inhaltlich, als auch von der Aufmachung wie Innenillus/ Grafiken. Dann werde ich zusammen mit Jörg Kleudgen noch den einen oder anderen Roman verschiedener Genres (u. a. einen Fantasy-Jugendroman) verfassen. Sonstige Co-Projekte sind auch angedacht. Aber mir schwirren auch zwei Romane im Kopf herum, für die ich mir so viel Zeit lassen möchte wie für die „Regenbogen-Welt“. Beide sind völlig gegensätzlicher Natur, was mich ja ohnehin reizt. Man muss immer alle seine Möglichkeiten ausschöpfen. Nur daran wächst man. Nichts ist schlimmer und erstickender als Stagnation. Privat und beruflich.

_Florian Hilleberg:_
Woher nimmst du deine Ideen? Gibt es auch Zeiten, in denen du eine Schreibblockade hast?

_Alisha Bionda:_
Was die Ideen angeht, so ist das sehr vielschichtig. Da sprühe ich ziemlich über, und daran mangelt es mir nicht. Ich müsste so alt wie Dilara werden, um alle umzusetzen – haha … Woher ich meine Ideen nehme? Wenn ich eine bestimmte Musik höre oder unterwegs bin, oder manchmal ist es ein Satz, den ich aufschnappe oder irgendwo lese. Und daraus entsteht etwas völlig Anderes, aber es sind Ideenlieferanten. Oder wenn es Auftragsarbeiten sind, befasst man sich mit der vorgegebenen Grundidee und recherchiert. Dank Internet ist das heutzutage immer interessanter und optimaler zu handhaben. Schreibblockaden hatte ich nie, bis vor gut einem Jahr. Da war ich während meiner Vampirserienarbeit in einer persönlich sehr emotional angespannten Situation und hatte die erste (und sofort heftige) Blockade, die furchtbar war, weil es einer inneren Gefangenschaft gleichkam – für ein ansonsten so reges Wesen wie mich doppelt schwer erträglich, und bleibt mir künftig hoffentlich erspart.

Aber es hat mir gezeigt, dass auch ich nicht davor gefeit bin. Ich bin ohnehin ein Mensch, der optimaler arbeiten kann, wenn er in sich ruht, dann explodiere ich förmlich vor Energie. Gottlob ist ein Teil meiner Wesenheit fast immer so … Ich bin emotional eine recht ausgeglichene Seeleneinheit: das Energiebündel und die stille, sanfte Melancholikerin. Ich genieße beide Seiten an und in mir und hoffe, die wenigen Menschen, die mir etwas bedeuten, auch. Weil ich in beiden Wesenheiten den wenigen, mir wichtigen Menschen sehr viel zu geben habe. Aber ich räume ein, nicht alle können damit umgehen. Der ein oder andere fühlte sich da schon überfordert und hat es vorgezogen, sich aus meiner Welt zu schleichen.

_Florian Hilleberg:_
Wer Romane schreibt, kommt unweigerlich in die Lage, seine Werke im Licht der Öffentlichkeit und im Kreuzfeuer der Kritik zu sehen. Wie gehst du damit um? Zumal Kritik leider nicht immer objektiv bleibt.

_Alisha Bionda:_
Das stimmt. Generell kann ich zur Kritik sagen: |Ich trage sie wie meine Diamanten, nämlich mit Fassung|. Besonders wenn sie erkennen lässt, dass der Rezensent nichts verstanden hat oder schon krude an das Buch heranging, wie z. B. jüngst die Rezension meines Romans „Regenbogen-Welt“ bei MEDIA MANIA. Da lache ich dann eher drüber und reagiere auch nicht, weil die Rezension dann für sich selbst steht und spricht; vor allem, wenn sich derjenige auch noch darin widerspricht. Manche denken halt, wer viel liest, kann auch rezensieren. Das ist ein Trugschluss.

Man muss es gelernt haben, Texte zu analysieren. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Der Rezensent eines Fantasy-Romanes |muss| erkennen können, dass es sich um |Fantasy| handelt, in der Insekten auch gerne mal nicht zu hundert Prozent einem Sachbuch entsprechen müssen. Vor allem!, wenn es sich um eine Schöpfungsgeschichte handelt, also eben jene Insekten bereits einen menschlichen Funken in sich haben und sich im Laufe der Handlung wandeln. Das zu erkennen, gelingt halt nicht jedem. Wenn derjenige eine hochentwickelte und mit Respekt zu behandelnde Mythologie als Esoterikkram abtut – nur weil er sie nicht verstanden hat – hat er in mehrfacher Sicht gefehlt. Da ist es verschwendete Zeit, sich darüber zu ärgern. Die kann man besser nutzen.
Darüber hinaus wusste schon MRR zu sagen: |besser schlecht besprochen, als gar nicht erwähnt|.

_Florian Hilleberg:_
Du mußt von Berufswegen schon sehr viel lesen, liest du privat auch noch Bücher, und wenn ja, welche?

_Alisha Bionda:_
Ich gestehe, dass ich kaum noch privat lesen kann, aber diese wenigen Bücher genieße ich dann besonders. Sie sind eher philosophischer Natur und beschäftigen mich daher meist auch recht lange. Was das Gros der anderen Bücher angeht, die ich lese, also Rezensionsbücher, so versuche ich nur solche zu wählen, die ich auch gerne privat lesen würde.

_Florian Hilleberg:_
Hast du einen Lieblingsort, an dem du liest?

_Alisha Bionda:_
Ich lese bevorzugt in freier Natur. Also am Strand, im Wald oder Gebirge.

_Florian Hilleberg:_
Was sind deine Hobbys?

_Alisha Bionda:_
Literatur, Kunst, Musik sind die wichtigsten Eckpfeiler meiner Hobbys. Fast alles, was damit zu tun hat, interessiert mich. Ich bin zum Beispiel eine rege Konzertgängerin. Aber es gab früher in meinem Umfeld auch kaum eine Vernissage, auf der ich nicht anzutreffen gewesen wäre. Reisen würde ich auch dort eingliedern, wenngleich ich es eher als kulturelle Horizonterweiterung ansehe.

Dann habe ich bestimmte Rituale, wie ich meinen Tag hier auf der Insel beginne und ausklingen lasse. Beides am Meer. Morgens – im Sommer schwimmend – bei Sonnenaufgang (das hat etwas Meditatives, weil ich dann mutterseelenalleine im Wasser bin) und nachts, in der Dunkelheit am Meer, an den Klippen, am Strand. Ich sitze dann da, lausche der Brandung, genieße meinen Zigarillo, und egal, was am Tag war – es fällt von mir ab. Dann wünsche ich mir eigentlich nur noch eines: den Mann, den ich liebe, an meiner Seite.

_Florian Hilleberg:_
Vielen Dank für dieses Interview, Alisha, und viel Erfolg für deine Projekte.

_Alisha Bionda:_
Ich habe zu danken!

http://www.alisha-bionda.de/
http://www.blitz-verlag.de/

Interview mit Pat Hachfeld

Pat(rick) Hachfeld, 1969 in Wolfsburg geboren, ist Illustrator und bebildert unter anderem die Serien „Larry Brent“, „Macabros“ und „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ für den |BLITZ|-Verlag. Florian Hilleberg hat sich mit dem Künstler unterhalten:

_Florian Hilleberg:_
Hallo Pat, wie bist du eigentlich zum Zeichnen gekommen?

_Pat(rick) Hachfeld:_
Also, ich bin hundertprozentig überzeugt, dass mein Onkel dafür die Verantwortung trägt! Er hat früher immer echt geile Comicfiguren gezeichnet; Silver Surfer, Spiderman, Hulk usw. Und da dachte ich mir als Fünfjähriger: Hey, was der große Mann da kann (er war 17 Jahre), das musst du auch versuchen. Tja, und so kam der erste Kontakt mit diesen „langen dünnen Dingern“ zustande. Ich malte und malte … und irgendwann, nach gefühlten 80 Jahren, sind dann die ersten erkennbaren Figuren entstanden.

_Florian Hilleberg:_
Ist das Zeichnen dein Hauptberuf?

_Pat Hachfeld:_
Mh, wenn man das, was ich mache, als Beruf bezeichnet (Beruf klingt fast immer nach ungeliebter Arbeit), kann ich sagen: „Ja“. Wobei ich das Zeichnen – ob Illustration, Portrait, Wunschportrait, oder private Auftragszeichnungen – |nicht| als Arbeit bezeichnen möchte. Dafür hat es für mich eine viel zu persönliche Bedeutung, und ich verdanke dem Zeichnen sehr, sehr viel!

_Florian Hilleberg:_
Orientierst du dich beim Zeichnen an bestimmten Stilrichtungen, hast du Vorbilder?

_Pat Hachfeld:_
Als ich die Comicfiguren „im Sack“ hatte, bekam ich die erste LP von |IRON MAIDEN| zwischen meine Finger. Ich war circa 11 Jahre „alt“, und das Cover fand ich einfach so |hammergeil| – es war der gute alte „Eddi“ – dass ich |den| auch zeichnen wollte.
Also begann ich damit und raffte alles zusammen, was diese für mich damals |härteste| Heavy-Band der Welt so hatte. Und so entdeckte ich für mich, dass mir das Zeichnen von etwas düsteren und morbiden Bildern viel mehr Spaß machte als die „schöne heile Welt“.
Später wurde ich sicherlich von H. R. Giger und Paul Booth (Tattoowierer aus den USA) inspiriert.

_Florian Hilleberg:_
Mittlerweile bist du wohl der produktivste Künstler, der für den [BLITZ-Verlag]http://www.BLITZ-Verlag.de arbeitet. Wie kam der Kontakt zustande?

_Pat Hachfeld:_
Das war eigentlich kein großes Ding. Ich habe den Suchbegriff „Fantasie und Autoren“ eingegeben, und das Suchergebnis war dann Bernd Rothe (für Bernd habe ich auch die Fantasy-Anthologie „Rattenfänger“ illustriert, sie erschien ebenfalls im BLITZ-Verlag). Ich habe seine HP angeklickt und ihm eine E-Mail mit drei meiner Zeichnungen geschickt.
Bernd hat dann Alisha Bionda angeschrieben, ob sie noch einen Illustrator sucht. Alisha schaute sich dann auf meiner HP um, und so bin ich zu meiner ersten Buchillustration „Der ewig dunkle Traum“, Band 1 von „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ gekommen, die Alisha Bionda zusammen mit Michael Borlik herausgegeben hat.

_Florian Hilleberg:_
Woher nimmst du deine Inspirationen?

_Pat Hachfeld:_
Wenn ich Bilder für meine [DUNKELKUNST]http://www.dunkelkunst.de zeichne – diese Motive werden bald im Shop als T-Shirts erhältlich sein -, kommen die Ideen ganz von selbst und aus meinem tiefen Inneren. Da die Bilder sehr „finster“, „morbid“ und „detailverliebt“ sind, und wegen der steigenden Anzahl der Aufträge, kommt es vor, dass ein Bild schon mal bis zu seiner Vollendung an die sechs Monaten braucht. Aber, wie gesagt, bedingt durch die Auftragsarbeiten habe ich |für mich| das letzte Mal vor circa zwei Jahren gezeichnet.

_Florian Hilleberg:_
Kennst du eigentlich die Romane, die du illustrierst, oder gibt dir der Verlag Vorgaben, nach denen du die Motive zeichnest?

_Pat Hachfeld:_
Das ist unterschiedlich. Bei den Anthologien, z. B. „Der ewig dunkle Traum“, „Rattenfänger“, „Wellensang“ (herausgegeben von Alisha Bionda und Michael Borlik, erschienen im |Schreiblust|-Verlag) oder aktuell eine Katzenanthologie (Hrsg. Frank W. Haubold & Alisha Bionda), bekomme ich die gesamten Geschichten zugeschickt. Ich picke mir dann eine Story raus, mache mir beim Lesen kleine Notizen, und meistens bilden sich dann schon die ersten Illus in meinem Kopf.
Bei den Dan-Shocker-Serien „Macabros“ und „Larry Brent“ oder der Fortsetzung von „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ im |BLITZ|-Verlag bekomme ich von Alisha Bionda grobe Illustrationswünsche, die ich dann versuche umzusetzen. Und damit fahren wir eigentlich sehr gut.

_Florian Hilleberg:_
Wie weit lässt dir der Verlag in der Interpretation Freiraum?

_Pat Hachfeld:_
Der Freiraum, den mir der Verlag (den ich aber auch brauche) lässt, ist nahezu grenzenlos! Ich habe festgestellt – durch die vielen Illustrationen, die ich bisher für den |BLITZ|-Verlag erstellt habe -, dass ich mit Alisha, bezogen auf die Bilder, geschmacklich sehr nahe beieinander liege. Sie muss mich manchmal sogar etwas zügeln, weil ich sehr detailverliebt bin, und hier und dort noch eine Kleinigkeit hinzeichnen möchte.

_Florian Hilleberg:_
Wie auf deiner Homepage zu lesen ist, zeichnest du auch Portraits und nimmst Auftragsarbeiten an. Dagegen wirken die Illustrationen zu „Larry Brent“ und „Macabros“ recht surreal. Welche Motive zeichnest du am liebsten?

_Pat Hachfeld:_
|Das| ist das Faszinierende an Kunst! Man kann „düster“, „morbid“ und „hart“ zeichnen, je nach Vorlage der Geschichte oder der Serien, und seiner Fantasie freien Lauf lassen. Wobei es mir sehr, sehr wichtig ist, dass die Illustrationen |nicht| „billig“ und „flach“ wirken. Ich versuche also immer, „noch einen Hauch“ Ästhetik mit einfließen zu lassen.
Und dazu steht dann das Portraitzeichnen im krassen Gegensatz – alles sehr feine Linien und sehr weiche Übergänge.
In mir ist die Frage aufgetaucht, ob ich nicht meinen Stil, also das „Düstere“, in die Weichheit des Portraitzeichnens einfließen lassen kann.
Und dadurch bin ich auf die Idee des „Wunschportraits“ gekommen.
Das heißt, wenn beispielsweise jemand Fan, egal ob Weiblein oder Männlein, des Fantasiespiels „Warhammer“ ist, und so wie eine Figur aus dem Spiel gezeichnet werden möchte, dann zeichne ich den Auftraggeber so. Aber auch als verführerische Hexe, oder als Zombie. Entscheidend dabei ist allerdings, dass der, der sich portraitieren lassen möchte, seiner Phantasie freien Lauf lässt! Da bin ich dann sogar etwas abhängig von der Vorstellungskraft meines Auftraggebers!
Daher: Ich bin immer bestrebt, mich zeichnerisch weiterzuentwickeln, so dass ich |nicht| sagen kann, welche Motive ich am liebsten zeichne.

_Florian Hilleberg:_
In welchem Umfeld arbeitest du am liebsten?

_Pat Hachfeld:_
Am liebsten zu Hause. Ich habe mir im Dachgeschoss unserer Maisonettewohnung einen kleinen Platz geschaffen, wo alles in meiner Nähe ist, was mir wichtig ist – meine Verlobte Angie, unser grüner Leguan Jabba, die Musikanlage (ohne Musik geht echt nix!, ich liebe |System of a Down|, |Slipknot|, |Rammstein| usw.) und natürlich Fernseher.

_Florian Hilleberg:_
Gibt es bestimmte Tageszeiten, zu denen du besonders kreativ und produktiv bist?

_Pat Hachfeld:_
Ich muss sagen, dass ich am produktivsten in den frühen Morgenstunden bin. Soll heißen, dass ich gegen sechs Uhr aufstehe, nach oben gehe, mir meinen frischen Guten-Morgen-Kaffee schnappe, ins Wohnzimmer wanke, mir eine Zigarette drehe (Kaffee und Zigarette gehören zusammen), den Fernseher anschalte, um Nachrichten (Euro News) zu sehen, und beginne so gegen 6 Uhr 30 mit dem Zeichnen, was ich dann zwei bis drei Stunden am Stück mache.

_Florian Hilleberg:_
Was für Projekte hast du für deine nähere Zukunft geplant?

_Pat Hachfeld:_
Neben dem Wunschportrait, was sehr gut angenommen wird, arbeite ich (hier allerdings reines Portraitzeichnen) neuerdings mit Schauspielern aus einer TV-Serie, die auf RTL im Vorabendprogramm ausgestrahlt wird, zusammen. Sie schicken mir ihre Fotos zu, welche ich dann auf DIN A3 zeichne. Bis jetzt ist das ziemlich interessant und aufregend für mich, weil es absolutes Neuland ist, bezogen auf das Zeichnen von Schauspielern aus dem TV.
Dann illustriere ich die Horroranthologie „Blutmond“ (wo ich auch Mit-Herausgeber bin) für Bernd Rothe. Die Katzenanthologie „Fenster der Seele“ mit Alisha Bionda läuft auch noch zeitgleich. Die beiden Serien „Larry Brent“ & „Macabros“ für den BLITZ-Verlag. Hier und da private Auftragszeichnungen (vor kurzen einen japanischen Drachen auf DIN A3 für ein Geburtstagsgeschenk) oder ein schönes Familienportrait. Und bald starten auch die Illustrationen für die nächsten „Schattenchronik“-Bände.

_Florian Hilleberg:_
Lebst du vom Zeichnen oder hast du noch einen Brotjob?

_Pat Hachfeld:_
Ich denke, ich kann sagen: „Ja, ich lebe davon“; zwar noch sehr wacklig, aber es geht. Es müssen halt mehrere „Zahnräder“ ineinander greifen: Portrait, Wunschportrait, Buch und Romanillustrationen, Auftragszeichnungen – z. B. Tattooflashs – entwerfen.

_Florian Hilleberg:_
Da du durch die enge Zusammenarbeit mit Alisha Bionda und dem BLITZ-Verlag ja überwiegend literarische Projekte illustrierst, drängt sich die Frage auf: Was liest du? Welche Autoren bevorzugst du?

_Pat Hachfeld:_
Also, ich lese sehr gerne John Grisham und Brad Meltzer und mag ihre Schreibweise. Ich finde es sehr gut, dass bei John Grisham ein überschaubarer Personenkreis mitwirkt und dass die Personen leicht verständliche Namen erhalten, so dass man nicht ständig sieben bis zehn Seiten zurückblättern muss, um nachzulesen, was oder wer „Mister X“ war, bzw. so gemacht hat. Ich mag sehr gerne Thriller oder Geschichten, die vor Gericht spielen („Die Jury“).
Außerdem lese ich sehr gerne historische Romane. Aktuell lese ich „Die Rächer“ von Aaron J. Klein über das Attentat auf die Israelis während der Olympischen Spiele 1972 in München. Ab und zu ziehe ich mir auch mal den guten alten |Larry Brent| rein.

_Florian Hilleberg:_
Was gibt es noch über den |Menschen| Patrick Hachfeld zu sagen? Was ist dir wichtig? Welche Wertigkeiten hast du? Welche Menschen sind dir, neben deinem direkten privaten Umfeld, über das du ja schon gesprochen hast, wichtig?

_Pat Hachfeld:_
Mh, was gibt es über mich zu sagen? Mir ist Ehrlichkeit sehr, sehr wichtig! Dass ich sehr viel Wert darauf lege, Freundschaften zu pflegen, und sei es auch nur ein kurzes Telefongespräch. Mit der Zeit hat sich auch eine freundschaftliche Beziehung mit Alisha Bionda und Bernd Rothe entwickelt, und mit Bernd habe ich mich auch schon drei-, viermal privat getroffen. Er lebt ja nun mal in meiner Lieblingsstadt Hameln, die ich schon von meinen früheren Besuchen auf der „Hameln-Tattooconvention“ her kenne und deren Ruhe und Altstadt ich sehr zu schätzen gelernt habe.

_Florian Hilleberg:_
Welche Projekte würdest du gerne noch machen? Was würdest du gerne selbst initiieren?

_Pat Hachfeld:_
Ich möchte mich noch stärker, bezogen auf das Wunschportraitzeichnen, in die Gothic-Szene einbinden lassen. So kann ich meinen Stil mit dem Portraitzeichnen verbinden. Außerdem möchte ich mit meinen Illustrationen aus der DUNKELKUNST wieder verstärkt an Ausstellungen teilnehmen. Zwar nicht hier in Wolfsburg, sondern mehr die Richtung Ruhrpott, Gelsenkirchen, Essen usw.

_Florian Hilleberg:_
Gibt es dabei Menschen/Kollegen/Verlage, mit denen du bevorzugt arbeiten würdest? Oder zählt für dich nur die „Auftragslage“?

_Pat Hachfeld:_
Abgesehen von dem BLITZ-Verlag, wo ich mich sehr wohl fühle, ist es mir eigentlich (fast) egal, mit welchen Verlagen oder Menschen ich zusammenarbeite. Ich versuche einfach, jeden Auftrag so umzusetzen, dass nach Erledigung der Zeichnung die Leute oder der Verlag sagen: „Ja, war eine prima Zusammenarbeit, hat echt Spaß gemacht“. Und so baut man(n) sich gleichzeitig wieder neue Brücken.

_Florian Hilleberg:_
Vielen Dank für das Interview.

_Pat Hachfeld:_
Ich habe zu danken für die interessanten Fragen. Ich hoffe, ich habe nicht zu umfassend geantwortet. Hat mir echt großen Spaß gemacht, und wenn jemand Interesse an einem Portrait, Wunschportrait oder Ähnlichem hat, so kann er ganz zwanglos und locker mit mir Kontakt aufnehmen. Ich freue mich sehr!
In diesem Sinne, „mit einem Segen auf den Lippen“ – alles Gute und danke!

Bye, Pat
http://www.dunkelkunst.de/

Interview mit Christoph Hardebusch

Mittlerweile bin ich richtiggehend zum Lesungsfan geworden. Daher konnte ich mir selbstverständlich die in Heidelberg stattgefundene Lesung von Christoph Hardebusch, der aus seinem Debütroman „Die Trolle“ lesen sollte, nicht entgehen lassen. Das Interessante daran war sicher auch, dass es sich um eine Deutschlandpremiere handelte, denn es war die allererste Lesung Christoph Hardebuschs überhaupt. Diese wurde diesmal vom Heidelberger Buchladen [Fun-Fiction]http://www.fun-fiction.de und der Buchhändlerklasse der Julius-Springer-Berufsschule veranstaltet. Was soll ich sagen, die Buchhändlerklasse hatte sich ordentlich ins Zeug gelegt, denn die Aula war nicht wiederzuerkennen: Abgehängte Wände, archaische Dekoration, dazu ein nettes Catering, so lasse ich mir eine Lesung noch viel lieber gefallen. Zu meiner Überraschung war die Aula auch bis auf den letzten Platz gefüllt, was man ja sonst von solchen Veranstaltungen nicht unbedingt gewöhnt ist.

Nachdem dann eine Schülerin mit ihrer Anmoderation „Christoph Hardebusch sieht nicht nur interessant aus, er schreibt auch interessante Bücher!“ die Lacher auf ihrer Seite hatte, konnte es gegen 20:15 Uhr dann mit der Lesung losgehen. Ein zu Beginn sichtlich nervöser Christoph Hardebusch fasste im Kerzenschein zuerst einmal grob die Grundhandlung seines Romans zusammen, für diejenigen Zuhörer, die den Roman noch nicht gelesen hatten. Als er dann allerdings anfing, die erste von vier von ihm ausgesuchten Szenen zu lesen, merkte man ihm die große Nervosität nicht mehr an. Die Textstellen waren gut gewählt, denn die Zuhörer hatten sichtlich ihren Spaß. Nach knapp einer Stunde war dann die eigentliche Lesung zu Ende. Nun konnten die Zuhörer natürlich noch ihre Ausgaben von „Die Trolle“ signieren lassen. Hier war Christoph Hardebusch richtig in seinem Element, plauderte mit den Leuten, und schrieb fast schon ausschweifende Widmungen. So dauerte es eine Weile, bis ich ihn mir greifen konnte, um einem merkbar gut gelaunten Lesungsdebütanten meine zahlreichen Fragen zu stellen. Doch lest selbst:

_Martin Schneider:_
Servus Christoph, stellt dich doch bitte zu Beginn einmal unseren Lesern vor.

_Christoph Hardebusch:_
Ja, ich heiße Christoph Hardebusch, habe zuerst mein Abitur gemacht, dann habe ich in Marburg sehr lange sehr verschiedene Fächer studiert. Ich habe mich dann irgendwann entschieden, dass das Studium so nichts taugt, es hingeworfen, und mich als Quereinsteiger beworben. Ich bekam ein Praktikum bei einer Werbeagentur und bin dann durch eine Bekannte, die eine Literaturagentur aufgemacht hat, zum professionellen Schreiben gekommen.

_Martin:_
Hast du vorher schon für dich privat geschrieben?

_Christoph:_
Ich schreibe schon lange und habe bereits vor und während des Studiums geschrieben. Aber das geschah nie mit dem Ziel, die Sachen auch zu veröffentlichen, sondern nur für mich und meine Freunde.

_Martin:_
Wie kam dann die Idee, „Die Trolle“ zu schreiben?

_Christoph:_
Ich habe auf Anraten meiner Agentin ein Romanmanuskript bei |Heyne| eingereicht. Die meinten dann, es gefalle ihnen recht gut, aber einen neuen Autor zu veröffentlichen sei schwierig, wegen der kleinen Auflage und der wenigen Werbung. Daher schlugen sie vor, einen Teil meines Manuskriptes – nämlich die darin enthaltenen Trolle – größer aufzuziehen, und das in der Reihe zu veröffentlichen. Das würde die Chancen auf Erfolg beträchtlich erhöhen.

_Martin:_
Damit lag der Verlag wohl auch richtig. Kannst du für unsere Leser, die die „Die Trolle“ noch nicht gelesen haben, die Handlung einmal zusammenfassen?

_Christoph:_
In dem Land, in dem der Roman spielt, herrscht seit 200 Jahren ein Bürgerkrieg, weil das dort lebende Volk, die Wlachaken, von einem anderen Volk überfallen und unterjocht wurde. Der größte Teil wird von eben diesem Volk, den Masriden, beherrscht, und es gibt nur noch wenige Wlachaken, die frei sind und gegen die Besatzung ankämpfen. Der Herrscher der Masriden heißt Zorpad; er versucht die letzen Widerständler auszumerzen. Einer der Freiheitskämpfer ist der Protagonist dieses Buches. Dieser wird gefangen genommen, in einem Käfig mitten im Wald ausgesetzt und dann von den Trollen gerettet. Wie der Mensch und die Trolle zusammenarbeiten, sich langsam vertrauen, und welche Ziele sie verfolgen, ist dann der Inhalt eines großen Teiles des Buches.

_Martin:_
Wie sind deine Trolle beschaffen, und wie hast du dich für die Erschaffung inspirieren lassen?

_Christoph:_
Da muss ich jetzt erst einmal ein bisschen weiter ausholen: Trolle in der Fantasy gibt es ja schon lange, und sehr viele. Klassisches Beispiel sind die Trolle aus J.R.R. Tolkiens „Der Hobbit“. Es gibt noch einige weitere Trolle, etwa bei Terry Pratchett oder den jeweiligen Rollenspielsystemen. Dann habe ich mir überlegt, wie ich mir selber die Trolle vorstelle und wie ich sie spannend darstellen kann. Natürlich habe ich mich hier und da inspirieren lassen. Allerdings wollte ich schon etwas Eigenständiges machen.

_Martin:_
Von der Beschreibung deiner Trolle her haben sie mich sehr an eine Mischung der Trolle aus dem Rollenspielsystem „Shadowrun“ und denen eben Tolkiens erinnert, was deren Schwäche betrifft …

_Christoph:_
Das kommt so hin. Die „Shadowrun“-Trolle fand ich immer interessant, weil sie nicht in die Böse-Wesen-Ecke gedrängt werden, denn sie sind ja eigentlich ganz normale Menschen, die sich nur verwandelt haben. Eine große Schwäche sollten sie aber auch haben. Zumal die Geschichte ja darauf basieren sollte, dass die Trolle eben auch lange Zeit verschwunden waren, da sie nicht auf der Oberfläche überleben können.

_Martin:_
Sehr interessant finde ich den ständigen Kontrast zwischen dem verständlichen Ziel der Trolle und ihrer eigentlichen Fremd- und Bösartigkeit. Wie hast du versucht, das darzustellen, und was hat dich daran motiviert?

_Christoph:_
Die Trolle anders sein zu lassen, und im eigentlichen Sinne böse, war von mir gewollt. Die Differenz zu dem Streben des Rebellen, der ja ein gutes Ziel verfolgt und dabei eine Allianz mit diesen Ungeheuern eingeht, fand ich schon sehr spannend. Das auszuloten, nämlich aus der Sicht der Menschen die Trolle zu zeigen, die so völlig anders sind, aber sehr verständliche Motive haben für das, was sie tun, hat für mich einen großen Reiz beim Schreiben ausgeübt.

_Martin:_
Wie würdest du die Charaktere der einzelnen Trolle beschreiben?

_Christoph:_
Das reicht von Druan, der intelligent ist und als Anführer die Trolle an der gefährlichen Oberfläche leitet, bis hin zu Pard, der alle Probleme zuerst mit Gewalt lösen will. Ich habe versucht, eine Hand voll eigener Trollcharaktere zu entwerfen, die keine Abziehbilder sind. Sie sollten nicht nur alle böse sein, sondern eigenständig Charaktere darstellen.

_Martin:_
Der eigentliche Protagonist ist ja der Mensch Sten. Warum hast du einen Menschen dafür ausgewählt und keinen Troll?

_Christoph:_
Weil ich mir dachte, es ist spannender, die Trolle in ihrer Andersartigkeit durch die Augen der Menschen zu betrachten. Es gibt ja einige menschliche Charaktere, die die Trolle auch alle unterschiedlich erleben. Von daher habe ich die Trolle nicht als Protagonisten ausgewählt.

_Martin:_
Wie würdest du Sten charakterisieren?

_Christoph:_
Sten ist auf jeden Fall ein Guter. Er hat hehre Ziele und will diese – teilweise auch sehr kompromisslos – erreichen. Er ist sich allerdings bewusst, dass er dabei seine Menschlichkeit aufs Spiel setzt. Dazu hat er aber auch viel Humor, zumindest hoffe ich, dass das so auch im Buch rüberkommt.

_Martin:_
Sogar einen ziemlich schwarzen Humor!

_Christoph:_
Ja, das bringt seine Lage so mit sich (lacht).

_Martin:_
Sten hat ja auch eine Zwillingsschwester, Flores. Die beiden sind ja, obwohl eben Zwillinge, völlig verschieden. Einmal natürlich unterscheiden sie sich bezüglich ihres Geschlechtes, andererseits wegen der Ziele und Denkweise.

_Christoph:_
Flores habe ich absichtlich gegensätzlich zu Sten angelegt, weil ich es spannend fand, sich mit dem Rebellen und Untergrundkämpfer zu identifizieren, der für etwas Gutes kämpft und sich ähnlich wie etwa Robin Hood gegen die Obrigkeit auflehnt. Daher habe ich Flores so angelegt, dass sie sich der Rebellion gegenüber verweigert. Da sie aber trotzdem freundschaftliche Bande zu den Rebellen hat, wird sie trotzdem immer wieder hineingezogen, obwohl sie damit gar nicht zu tun haben will.

_Martin:_
Hast du bei den Rebellen irgendwelche Vorbilder gehabt, realpolitisch oder aus der Literatur?

_Christoph:_
Ehrlich gesagt, nicht bewusst. Ich habe an ein bestimmtes Szenario gedacht. Bei der Entwicklung der Welt habe ich mich natürlich von historischen und realen Hintergründen beeinflussen lassen, aber nicht in dem Sinne, dass ich konkrete Sachen übernommen hätte.

_Martin:_
Wie würdest du den Masridenherrscher Zorpad beschreiben?

_Christoph:_
Zorpad ist auch einem höheren Ziel verpflichtet. Allerdings ist er beim Versuch, dieses Ziel zu erreichen, krasser/brutaler und kompromissloser als der Rest. Er hat keinerlei moralische Bedenken, seinen Willen durchzusetzen, weil er sich als den rechtmäßigen Herrscher sieht und das mit allen Mitteln erreichen will.

_Martin:_
Gab es für ihn irgendwelche Vorbilder?

_Christoph:_
(lacht) Nein, nicht wirklich. Ich wollte aber keinen dummen Bösen erschaffen. Zorpad hat ein Ziel und verfolgt dieses intelligent und sinnvoll.

_Martin:_
Die Zwerge kommen in deinem Buch ja nicht so gut weg. Allerdings, finde ich, sieht man hier sehr schön, inwiefern in diesem Roman der Blickwinkel eine Rolle spielt, denn in den meisten anderen Romanen wäre man wohl eher auf deren Seite und würde die Trolle als die „Bösen“ sehen.

_Christoph:_
Wenn man das Buch aus einer anderen Sicht schreiben würde, würde man das wohl tatsächlich anders sehen, weil die Zwerge natürlich gegen die Trolle kämpfen, und diese ja auch in ihrer Vorgehensweise nicht gerade nett sind. Das heißt, man hat sicherlich auch ein wenig Verständnis für die Zwerge, die versuchen ihren Willen durchzusetzen. Der für das Buch wichtigste Zwergencharakter ist sehr gefährlich und in seinen Aktionen sehr kompromisslos und bildet so ein Gegengewicht zu den Trollen. Die anderen Zwerge werden ja eigentlich nur so grob angerissen.

_Martin:_
Die Szene, in der Sargan den Trollen das Schreiben beibringt, hat mich sehr an den Film „Der 13. Krieger“ erinnert. Ist das gewollt oder zufällig?

_Christoph:_
Jetzt wo du es sagst … Ich kenne den Film natürlich, und habe auch das Buch zu Hause. Kann sein, dass ich mich davon habe unbewusst inspirieren lassen. Aber absichtlich war das nicht. Unabhängig davon gefällt mir diese Szene sehr gut, weil sie schön den Zwiespalt zwischen Menschen und Trollen aufzeigt.

_Martin:_
Wie kam dir allgemein die Idee für das Setting: „Das Land zwischen den Bergen?“

_Christoph:_
Ich habe ein gewisses Faible für Osteuropa und habe mich da grob an Rumänien orientiert, das Land jenseits der Wälder. Ich fand das sehr passend als Vorbild für ein Fantasyland. Es sollte ein sehr düsteres Land sein, mit vielen Legenden und abergläubischen Menschen, wobei hier der Aberglaube ja auf realen Begebenheiten fußt. Von dieser Ausgangsbasis aus habe ich das Setting dann langsam entwickelt.

_Martin:_
Es ist ja auch von einem „Östlichen Imperium“ die Rede, aus dem Sargan kommt. Wie stellst du dir das vor?

_Christoph:_
Das Imperium ist quasi alles, was Wlachkis (Das Land zwischen den Bergen/d. Red.) nicht ist. Nämlich ein hoch entwickeltes, relativ fortschrittliches Volk mit einem vernünftigen Staatswesen, einem stehenden Heer und all dem Fortschritt, der in Wlachkis nicht gegeben ist. Vergleiche mit realen Völkern oder Imperien sind hier schwierig, am ehesten noch Persien oder dergleichen.

_Martin:_
Das Ende lässt dir ja alle Möglichkeiten für eine Fortsetzung; auch wenn du betonst, das das nicht gewollt war, so wäre doch eine Expansion in Richtung östliches Imperium durchaus vorstellbar.

_Christoph:_
Ich habe mir logischerweise schon Gedanken gemacht, wie ich diese Welt weiterentwickle, und habe da auch schon einen Haufen Ideen. Es ist viel Material angefallen, das sich mit anderen Dingen beschäftigt, die nicht in dieses Buch gepasst haben. Ich denke, dass ich durchaus noch ein oder zwei Geschichten in dieser Welt erzählen könnte. Ob das dann was wird, ist von anderen Faktoren abhängig, aber die Möglichkeit ist auf jeden Fall gegeben.

_Martin:_
Das muss ja auch nicht zwangsläufig unter dem Banner „Die Trolle“ geschehen …

_Christoph:_
Ich denke, die Welt, so wie sie ist, macht schon Spaß, sonst hätte ich sie nicht geschrieben. Mir gefällt sie, ich mag sie, und das würde sich für andere Bücher durchaus anbieten.

_Martin:_
Wie sehen denn deine weiteren schreibtechnischen Planungen aus?

_Christoph:_
Es sind Projekte in Planung, allerdings treffe ich mich erst demnächst mit |Heyne|, wo dann über verschiedene Optionen gesprochen wird. Das heißt, dass ich noch nichts Genaues sagen kann, aber die Verhandlungen laufen.

_Martin:_
Dein Buch erschien ja bei |Heyne| in einer Art Reihe, mit „Die Orks“, „Die Zwerge“ und „Die Elfen“ etc. Wie findest du denn diese Veröffentlichungspolitik?

_Christoph:_
Offensichtlich kommt das bei den Lesern sehr gut an. Es gibt eine relativ große Fangemeinde, und die Leute kaufen die Bücher gerne und finden Gefallen daran. Man muss schon sagen, dass sich |Heyne| Mühe gegeben hat, mit der Covergestaltung, den Karten sowie der Betreuung der Autoren. Das ist durchaus sehr praktisch für mich als Autor, genauso wie für den Leser, der natürlich weiß, was ihn erwartet. Von daher finde ich die Reihe eine gute Sache, die offensichtlich auch gut angenommen wird.

_Martin:_
Wie ist es für dich, in einer Reihe mit deutschen Fantasygrößen wie Markus Heitz oder Bernhard Hennen zu erscheinen? Spornt dich das an, oder ist das eher eine Belastung?

_Christoph:_
Das wechselt immer wieder. Bevor „Die Trolle“ erschienen, war es eine große Belastung, weil ich die Angst hatte, die Fans würden denken: „Oh Mann, einen unbekannten Autoren will ich nicht lesen!“. Das hat sich mittlerweile aber zum Glück gelegt. Natürlich ist aber ein Markus Heitz mit seinem Erfolg der „Zwerge“ und seinen anderen Büchern, die in mehrere Sprachen übersetzt werden, ein Beispiel für mich. Die Leute mögen, was er schreibt, seine Welten und seine Charaktere, von daher ist er sicherlich ein gutes Vorbild. Gleiches gilt für Bernhard Hennen, der mit den Elfen ja auch sehr erfolgreich ist.

_Martin:_
Du bist ja ein bekennender Rollenspieler. Was spielst und was leitest du gerne?

_Christoph:_
Meine Rollenspielbücher füllen mittlerweile ganze Regale, das ist schon ein wenig problematisch. Momentan spielen wir „Cthulhu“, „Rolemaster“, „Shadowrun“ und „Vampire“. „Vampire“ ist auch gleichzeitig die Runde, an der wir schon am längsten spielen. Wir haben da bei „Dark Ages“ angefangen und sind inzwischen im 20. Jahrhundert, und die Spieler haben schon gehörig Angst vor Gehenna. (lacht)

_Martin:_
Hast du auch mal Lust, ein eigenes Rollenspiel zu schreiben, eventuell auf der Basis von „Die Trolle“?

_Christoph:_
Sagen wir mal so: Als Rollenspieler und „Sehrvielspielleiter“ habe ich natürlich verschiedene Systemleichen im Keller. Ich habe durchaus für viele Welten, die ich so beschrieben habe, versucht, verschiedene Regeln zu machen. Ich habe so eine Art eigenes System, das sich von „Hârnmaster“ ableitet, das ich als Hintergrund für die Troll-Welt nehmen könnte – wenig Magie, halbwegs realistisch. Aber professionell werde ich das wohl eher nicht machen.

_Martin:_
Kommen wir zur Lesung: Wie ist denn deine erste Lesung deiner Meinung nach gelaufen?

_Christoph:_
Ich war extrem nervös. Ich habe mir die ganze Woche vorher Gedanken gemacht und andauernd Leuten vorgelesen, ob sie nun wollten oder nicht! Habe geübt, was ich vorlese, was ich für Geschichten erzähle, und habe die Überleitungen und Einleitungen zu Hause gelernt, damit ich weiß, was ich sagen muss. Und dann waren noch so viele Leute da – ich dachte, es wird fürchterlich! Als ich dann allerdings angefangen habe zu lesen, hat sich die Nervosität aber Gott sei Dank gelegt.

_Martin:_
Es hat ja dann im Endeffekt auch gut geklappt.

_Christoph:_
Danke, man hat mir gesagt, dass es okay war! (lacht)

_Martin:_
Du hast ja vier Szenen vorgelesen. Welche waren das, und warum hast du sie ausgesucht?

_Christoph:_
Die Szenen sollten auf unterschiedliche Charaktere und deren Zusammentreffen oder deren Beziehung zu den Trollen ein Schlaglicht werfen. Ich hatte zuerst überlegt, ein Kapitel zu lesen, fand das dann aber zu eintönig. Ich dachte mir, Szenen mit Dialogen und Action kommen wahrscheinlich gut bei den Hörern an. Da habe ich halt eine ausgewählt, die die Trolle gut darstellt, nämlich Druan und Sten in Orvol, wie sie auf andere Menschen treffen. Als zweites habe die Szene genommen, in der Flores Natiole begegnet. Sie ist halt etwas aufbrausender als Sten, und daher sind hier die Dialoge besonders geeignet. Die dritte Szene beschreibt Sargan und die Trolle. Sargan ist definitiv auch ein wichtiger Charakter und es hat sehr viel Spaß gemacht, seinen Part zu schreiben.

Die letzte Textstelle ist einfach eine sehr wichtige im Buch, nämlich in Teremi, wo die Handlungsstränge zusammenlaufen und es so einen kleinen Höhepunkt gibt. Zufälligerweise hat es sich auch ergeben, dass dort ein gut geeigneter Satz für das Ende der Lesung ist, der die Leute dazu anregen könnte, dass sie das Buch noch kaufen und lesen. (lacht)

_Martin:_
Es waren ja auch erstaunlich viele junge Leute da, was bedeutet dir das?

_Christoph:_
Es heißt ja immer, die Leute würden nicht mehr lesen, oder das Lesen stirbt aus. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Es gibt genug Menschen, die noch oder wieder lesen. Die Lesung ist für mich auf jeden Fall eine super Möglichkeit, die Leser persönlich kennen zu lernen. Das fand ich sehr spannend. Eine Woche vorher war es bei meiner Signierstunde auf dem Mannheimer Rollenspielertreffen genauso interessant zu sehen: Wer interessiert sich für meine Bücher? Was für Leute sind das?

_Martin:_
So, Christoph, damit sind fürs Erste meine Fragen erschöpft und ich danke dir recht herzlich für dieses sehr ausführliche Interview. Jetzt allerdings hast du zum Schluss noch die Möglichkeit, einen letzten Satz an unsere Leser zu richten:

_Christoph:_
Erst einmal danke für das Interview. Ich glaube, ich möchte mit einem chinesischen Sprichwort schließen: „Hast du drei Tage kein Buch gelesen, werden deine Worte seicht“ (lacht).

|Siehe ergänzend dazu auch:|

[Rezension zu „Die Trolle“ 2408
[Teaser und Leseprobe zu „Die Trolle“]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=62

Oder die Homepage: http://www.hardebusch.net/

|Foto: © Julia Abrahams|

Berlusconi

Knapp verloren hat Silvio Berlusconi die Wahlen in Italien und zeigt sich als schlechter Verlierer, indem er das Ergebnis anzweifelt. Eine Ära scheint ihrem Ende entgegen gegangen zu sein, soweit es nicht doch noch zu Neuwahlen kommt. Ganz trauen darf man der neuen Realität noch nicht, hatte doch die Wahl selbst bis in die darauf folgenden Tage hinein noch etwas von einem Krimi, der Italien in Atem hielt und die Bevölkerung spaltete.

Grund genug, einen Rückblick auf Berlusconi und seine politische Geschichte zu unternehmen. Vor allem die Frage, ob in Italien unter Berlusconi noch von Demokratie zu sprechen war, galt während seiner Amtszeit als sehr umstritten, vor allem da unter seinem Machtmonopol die Medien die zentrale Rolle einnahmen und die Politik ihrer Logik, ihres Zeitgefühls und ihren Marktgesetzen unterwarfen. Vor allem über das Fernsehen wurde Politik sehr vereinfacht, aber auch deren Inhalte völlig im Verbogen belassen.

Berlusconi war schon Anfang der 80er Jahre Mitglied in der umstrittenen Freimaurerloge [P2,]http://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda__Due die ein Kompendium der Machtelite Italiens darstellte und alle Leiter der Geheimdienste, Offiziere, Generäle und Admirale ebenso umfasste wie auch Minister. Inhaltlich ging es vor allem um die Bekämpfung des Kommunismus, und Berlusconi hat dort wahrscheinlich vor allem seine Bekanntheit und sein Netzwerk ausgebaut und Zugang zu Finanzquellen erhalten. Berlusconi versuchte seine dortige Mitgliedschaft immer herunterzuspielen und wurde deswegen 1990 von einem Gericht in Venedig wegen Falschaussage verurteilt, was bis heute trotz all seiner Verfahren seine einzige rechtsgültige Verurteilung darstellt.

Die strategische Zielsetzung der P2 war u. a., die Unabhängigkeit der Justiz zu durchbrechen und die Schlüsselstellung in den Medien zu erobern, was, entlarvend genug, dann ja auch die zentralen Punkte in Berlusconis politischem Programm darstellte. Er baute das Privatfernsehen auf, und man könnte für italienische Verhältnisse heute sogar sagen: Fernsehen ist Berlusconi. Mit Hilfe dieses Mediums konnte er in die Politik gehen und kandidierte 1994, wobei er sich mit sehr unterschiedlichen politischen Lagern der italienischen Rechten verbündete: auf der einen Seite mit der Lega Nord, auf der anderen Seite mit dem Movimento Sociale Italia (MSI), der sich mit der faschistischen Vergangenheit des Landes identifizierte. Die MSI nannte sich später in Alleanza Nazionale um und wandelte sich zu einer straff organisierten rechten Massenpartei. Lega Nord und AN passten aber damals wie heute nicht wirklich zusammen und vertreten sehr konträre Programme.

Dennoch gelang es ihnen damals die Mitte-Links-Koalition mit Berlusconis amerikanisiertem, personalisiertem Politikspektakel völlig zu überrumpeln. Zwar kamen sie noch nicht an die Macht, aber Berlusconis eigene Partei Forza Italia war mit 21 % die stärkste politische Kraft in der zersplitterten italienischen Parteienlandschaft. Von Anfang an verhielt sich Berlusconi im Parlament nicht wie ein Parteivorsitzender, sondern trat als Boss seiner Partei auf. Bei den Europawahlen 1994 stieg sein Stimmenanteil schon auf über 30 %. Im selben Jahr begann aber auch schon die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Korruption zu ermitteln. Die Lega Nord unter Umberto Bossi realisierte, auf welches unsichere politische Abenteuer sie sich eingelassen hatte, und trat aus der Koalitionsregierung zurück. Die Regierung war gestürzt und Berlusconis erste Amtszeit nach sechs Monaten gescheitert.

Zudem ermittelte erneut die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Diesmal ging es um Korruption der Finanzpolizei, illegale Parteifinanzierung, Bilanzfälschung und Richterbestechung. In Spanien wurde wegen Steuerhinterziehung und Verstöße gegen das Kartellrecht gegen ihn ermittelt. 1995 waren die Ermittlungen abgeschlossen und 1998 wurde Berlusconi zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis schuldig verurteilt. Im italienischen Justizwesen tritt man seine Strafe aber erst an, wenn alle Instanzen durchlaufen sind. 2000 wurde vom höchsten Gericht die Strafe bestätigt. Aber da die Schuld mehr als zehn Jahre zurücklag, kamen Verjährungsbestimmungen zum Tragen. Außerdem gewann er 2001 wieder die Wahlen und wurde überraschend daraufhin gerichtlich für unschuldig erklärt.

Berlusconi war einfach nur sehr geschickt darin, Verfahren in die Länge zu ziehen und politische Termine vorzuschieben, um nicht vor Gericht erscheinen zu müssen. Solcherart die Verjährung zu erzielen, war nicht ehrenhaft, aber umso wirksamer. Auch hatte seine Medienkontrolle, wodurch er zehn Jahre gegen die Strafverfolgungsbehörden als „kommunistische Staatsanwälte und Richter“ hetzte, sicherlich auch ihren Anteil daran, dass er ohne Konsequenzen davonkam.

Das Ausland war schon immer Berlusconi-kritisch, aber 1999 gelang es ihm mit Hilfe von Helmut Kohl und José Maria Aznar, mit seiner FI tatsächlich als Nachfolgepartei der alten DC anerkannt und damit in den Kreis der Europäischen Volksparteien (EPP) aufgenommen zu werden. Dass der damalige christdemokratische Kommissionspräsident Roman Prodi darüber sehr entrüstet war, änderte nichts. In Italien gewann er wieder Land, als nach einigen Jahren Streitereien die Lega Nord Stimmen verlor und deswegen doch erneut Interesse daran bekam, vielleicht in die Koalition mit der FI und AN zu gehen. 2001 gewann er also wieder die Wahlen, wenn auch knapp – eigentlich hatte er sogar weniger Stimmen als das Mitte-Links-Bündnis, aber die Sitzverteilung im italienischen Parlament und den Senaten ist so kompliziert, dass für normale europäische Verhältnisse in recht merkwürdiger Weise Stimmen gebündelt werden.

Er kaufte mehr und mehr private Fernsehsender und im Grunde gehören ihm mittlerweile alle etwa fünfzig Programme, bei denen es nur um Einschaltquoten geht und die allesamt den gleichen verdummenden und geistlosen Quatsch senden. Privatfernsehen ist in der Hand von Superreichen, von Holdings und Unternehmensgruppen – eine Situation, die auch andernorts Schule macht. An der Spitze stehen Manager, die riesige Summen verdienen, aber die meisten Konsumenten sitzen am unteren Ende der Einkommensskala. In Italien wie auch in den USA und anderenorts ist der Fernsehkonsum bei Familien mit niedrigstem Bildungsstand und Einkommen am höchsten. Diese sozialen Schichten sind auch am wenigsten in der Zivilgesellschaft aktiv. Passivität und ein auf das Privatleben beschränkter Horizont setzen natürlich manipulativer Suggestion nichts entgegen. Statistisch sehen die Italiener mehr fern als alle anderen Westeuropäer, aber noch nicht so viel wie die Amerikaner.

Das krasse Beispiel in Italien ist aber, dass alle Programme von Berlusconi diktiert werden. Faschismusvorwürfe weist er jedoch von sich, weil er ja angeblich auch linke Wähler bediene. Entgegen dem klassischen Faschismus werden abweichende Stimmen nicht zum Schweigen gebracht. Aber ein schönes Zitat von Talkmaster Maurizio Constanze von 2001 drückt es dennoch treffend aus: „Die Macht gehört nicht dem, der im Fernsehen zu Wort kommt, sondern dem, der dir erlaubt, darin zu Wort zu kommen“. Zwar kommen also, kurz geschnitten, viele unterschiedliche Politiker zu Wort, die dann aber anschließend lange aus Regierungsmeinung heraus kommentiert werden.

Die Erfahrung zeigt auch, dass wenn Einschaltquoten sinken, Berlusconi kritische Stimmen aus seinen Programmen herauswirft. 2003 wurde z. B. auch die Berichterstattung über den Generalstreik der Gewerkschaften in den Nachrichten untersagt. Historiker sind sich beim Faschismusvergleich noch sehr uneinig, denn zwischen Mussolini und Berlusconi gibt es auch viel mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten. Darin, wie sie sich allerdings medienwirksam aufbauen und über welches Charisma sie verfügen, sind sich die beiden dennoch ähnlich.

Auch die staatliche Gewalt geht in eine faschistische Richtung, wofür die bekannt gewordenen Übergriffe der italienischen Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten wider den G8-Gipfel 2001 in Genua bestes Beispiel sind. In den Polizeikasernen wurde gefoltert und Angereiste Gipfelgegner waren in der Diaz-Schule mitten in der Nacht im Schlaf überfallen und verprügelt worden. Die Rechtfertigung für diesen Überfall waren zwei gefundene Molotowcoctails, wobei sich aber später herausstellte, dass diese von der Polizei selbst hineingeschmuggelt worden waren. Solches Vorgehen gibt es im internationalen Vergleich nur in südamerikanischen Diktaturen.

Tatsächlich feierte unter Berlusconi die faschistische Kultur fröhliche Urständ: faschistisch in ihren Losungen, faschistisch in ihrer Brutalität und faschistisch in ihrer mutwilligen Missachtung der elementarsten Rechte von Festgenommenen. In seiner Amtszeit wurde Mussolinis Faschismus neu bewertet und im offiziellen Sprachgebrauch der Mitte-Rechts-Parteien gilt der Faschismus als nicht gar so verwerflich; Mussolini sei durch Hitler vom Weg abgekommen und erst nach der Einführung der berüchtigten Rassengesetze 1938 sei das Regime entgleist. Auch die Lega Nord erklärte 1994, dass Frauen es unter dem Faschismus gut gehabt hätten. 2003 erklärte Berlusconi, Mussolini habe niemanden umgebracht, er sei ein „milder“ Diktator gewesen und habe seine Gegner anstatt ins Gefängnis auf Inseln wie Ponza und Ventotene „in die Ferien“ geschickt. Solche Behauptungen sind historisch unhaltbar. Sogar die rechtsgerichtete Presse Italiens beklagte die haltlosen Lügen Berlusconis. Unter seiner politischen Geschichte von 1994 bis 2003 wurden viele „gute“ Faschisten rehabilitiert. Die italienischen Schulbücher wurden nach „objektiven Kriterien, die die historische Wahrheit respektieren“ umgeschrieben, da sie angeblich bisher zu linkslastig waren.

Auch die Justizangelegenheiten, denen Berlusconi durch Verjährung entging, zeigen die gleichen Tendenzen. Seine Mitangeklagten bekamen ja 2003 elf Jahre Gefängnis, aber auch sie sitzen nicht ein, da noch nicht alle Instanzen durchlaufen sind. Zudem hatte Berlusconi mit einem schnell durchs Parlament gejagten Gesetz erreicht, dass den Inhabern der fünf höchsten Staatsämter für die Dauer ihrer Amtszeit Immunität zugebilligt wird. Am 20. Juni 2003 konnte er verkünden: „Mein Leidensweg ist zu Ende“. Mehr als 60 % der Italiener sprachen sich gegen dieses Immunitätsgesetz aus, und selbst unter den Wählern der Regierungskoalition waren nur 25 % für das Gesetz. Aufgrund der Medienmacht und ihrer Propaganda hatte aber auch nur noch ein Drittel der Italiener Vertrauen in die Justiz. 2004 entschied das Verfassungsgericht, dass das Immunitätsgesetz gegen die Verfassung verstößt. Berlusconi kam doch vor Gericht, wurde in drei Punkten für unschuldig erklärt, aber der Hauptanklagepunkt war verjährt. Von seinen neun Verfahren seit 1996 kam sechsmal die Verjährungsfrist zum Tragen, in den übrigen Fällen war er in der zweiten Instanz freigesprochen worden.

In der Außenpolitik verlor er an Ansehen wegen seiner liebdienerischen Beziehung zu Bush und weil er sein Land zu einem der ersten Mitglieder der „Koalition der Willigen“ beim Angriff auf den Irak machte. Das war gegen das religiöse Gefühl des katholischen Italiens und auch gegen die Meinung der Bevölkerung überhaupt. 90 % der Italiener sprachen sich gegen den Krieg aus.

Seit 2002 hat sich ein neuer unerwarteter Widerstand in Italien organisiert, der sich aus der globalen Protestbewegung der 18- bis 25-Jährigen speist und locker in den Sozialforen der meisten größeren Städte organisiert ist. Italiens Social Forum ist das mitgliederstärkste und bestorganisierte in Europa. Millionen Menschen werden für Demos aktiviert. Diese Zahlen übertrafen die kühnsten Hoffnungen der Organisatoren und gehen auch über alle vergleichbaren Zahlen der Vergangenheit hinaus, übertreffen sogar den „heißen Herbst“ der Arbeiterkämpfe 1969 – 70. Auffallend ist der Anteil der Mittelschicht, der weder mit Berlusconis Politik noch mit der Mitte-Links-Koalition zufrieden ist.

Im Frühjahr 2006 hat er die Wahl verloren und damit wurde die Gefahr gestoppt, dass er im Herzen Europas ein voll entwickeltes, durch Medien gesteuertes persönliches Regime errichtet. Aber noch reagiert er bissig und angriffsfreudig auf das Wahlergebnis und man darf seine Entschluss- und Widerstandsfähigkeit nicht unterschätzen. Was in Italien passiert, hat nach wie vor vielfältige Folgen für die Zukunft der Demokratie in der ganzen Welt.

Mehr über Berlusconi erfährt man in einem recht preisgünstigen Buch beim |Wagenbach|-Verlag:

Paul Ginsborg
[BERLUSCONI]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3803124972/powermetalde-21
Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg?
192 Seiten, Paperback, Wagenbach Verlag 2005
ISBN 3-8031-2497-2

|Infolinks:|
[Propaganda Due]http://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda__Due
[Silvio Berlusconi]http://de.wikipedia.org/wiki/Silvio__Berlusconi
[Parlamentswahlen in Italien 2006]http://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahlen__in__Italien__2006

Buchwurminfos II/2006

Unverändert gibt es Änderungen bei der _Rechtschreibreform_. Der Rat für deutsche Rechtschreibung, den die Kultusminister mit der Überprüfung der umstrittenen Reform beauftragt hatten, sprach sich im Februar nun dafür aus, auch bei der Groß- und Kleinschreibung teilweise zu den früheren Regeln zurückzukehren. Feststehende Begriffe sollen wieder großgeschrieben werden (Schwarzer Kontinent, Erste Bundesliga, Zweiter Weltkrieg), andere je nach Bedeutung im Satz entweder groß oder klein geschrieben werden (Schwarzes Brett oder Graue Maus). Auch „Du“ darf wieder großgeschrieben werden im Brief. Zusammenhängende Begriffe wie „pleitegehen“ und „fertigmachen“ werden klein und zusammengeschrieben.
Bereits vor Februar wurden Änderungsvorschläge für die Bereiche Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Silbentrennung und Zeichensetzung vorgelegt (siehe Buchwurminfos I/2006). Die Korrekturen sollten nach Bestätigung durch die Kultusministerkonferenz KMK im März zum neuen Schuljahr wirksam werden, wofür diese auch „grünes“ Licht gab. Allerdings musste dies auch noch die Ministerpräsidentenkonferenz bestätigen. Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache kritisiert aber all die vorgeschlagenen Änderungen als unzureichend. Der Rechtschreiberat habe sich lediglich bemüht, in unsystematischer Weise einige besonders eklatante Mängel zu beseitigen – und nicht einmal das sei gelungen. Die deutsche Sprache wird wohl noch auf Jahre hin eine Baustelle bleiben. Die Schulbuchverlage müssen also erneut ihre Bücher verändern und auch der Dudenverlag und der Wissen Media Verlag werden neue Bücher vor dem Inkrafttreten der modifizierten Schreibung zum 1. August herausbringen.

Wie in der vorherigen Buchwurminfo bereits berichtet, hatte die Messeleitung der Leipziger Buchmesse die „_Junge Freiheit_“ (Wochenzeitung für Politik und Kultur) mit der Begründung, ein Stand dieser Zeitung gefährde die „ordnungsgemäße Durchführung“ der Messe, ausgesperrt. Grund seien zu erwartende Proteste gegen die angekündigte Jubiläumsfeier. Gegen die Behauptung, der Ausschluss beruhe auf politischen Gründen, kündigt die Leipziger Messe rechtliche Schritte an. Zuvor kam es aber bereits zu einem „großen Appell für die Pressefreiheit“, dem sich eine außergewöhnlich große Anzahl von Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben als Unterzeichner anschlossen. Erst dadurch begannen andere Medien diesen Skandal auch aufzugreifen. Ohne diese Solidarisierung der namhaften Persönlichkeiten wäre die Angelegenheit unkommentiert geblieben. Unter dem wachsenden Druck dieser Öffentlichkeit korrigierte die Leipziger Messe, die zu je 50 % der Stadt Leipzig und dem Freistaat Sachsen gehört und damit als öffentlich-rechtliche Einrichtung den zur Neutralität verpflichteten Staat repräsentiert, ihre Entscheidung und erlaubte der „Jungen Freiheit“ wie angemeldet auch teilnehmen zu dürfen. Zwar wurde ihnen nur der abgelegenste Stand auf der ganzen Messe zugewiesen – abseits der eigentlichen Ausstellungsfläche in einer Sackgasse gleich neben einem Zuliefereingang und im offiziellen Ausstellerverzeichnis nur auf einem Nachtragszettel vermerkt –, aber da die Mitarbeiter der Zeitung auf der ganzen Messe und auch in der Stadt selbst kostenlose Zeitungen verteilten und auf den Ort des Standes hinwiesen, waren die Veranstaltungen zum Thema „Pressefreiheit“ die ganzen vier Tage lang bestens besucht. Die erwarteten Proteste und Gegendemonstrationen, wie sie die Messeleitung im Vorfeld befürchtet hatte, blieben gänzlich aus.

Auf den _Bestseller-Listen_ im Frühjahr dominieren bisher Krimis. Den größten Sprung nach vorne machte der neue Stephen King „Puls“. Erstaunlich ist, dass sich Daniel Kehlmann mit seinem Roman „Die Vermessung der Welt“ schon eine ganze Zeit auf Platz 1 vor Dan Browns „Sakrileg“ hält.

Man kann es ja versuchen und prinzipiell haben sie sogar auch Recht. Die Autoren _Michael Baigent_ und _Richard Leigh_ beschuldigen _Dan Brown_, für seinen Bestseller „_Sakrileg_“ die Grundzüge ihres bereits vor 24 Jahren erschienen Sachbuchs „_Der heilige Gral und seine Erben_“ übernommen zu haben und erstreben vor dem höchsten britischen Zivilgericht eine Entschädigung von mindestens 15 Millionen Euro von Browns US-Verlag „Random House“. Von einer Verurteilung ist nicht nur der weitere Verkauf von „Sakrileg“ betroffen, sondern auch der für Mai geplante Kinostart der Verfilmung. Kurios dabei ist allerdings, dass beide Autoren demselben Verlag angehören, der Verleger also von einem hauseigenen Autoren-Duo wegen eines anderen ebenfalls von ihm verbreiteten Titels angeklagt ist. Der Auflagenschub für beide Bücher durch den Prozess entschädigt Random House damit immerhin in den Kosten.

Nach dem Erfolg der „Jungen Bibliothek“ der _Süddeutschen Zeitung_ startet nun auch die „_Zeit_“ eine 15-bändige Kinderedition. Der Reinerlös kommt sogar der _Stiftung Lesen_ zugute. Auch die „_Cinemathek_“ der Süddeutschen Zeitung läuft mit neuen 50 DVD-Angeboten weiter.

_Random House_ hat seine drei Labels Gütersloher Verlagshaus, Kösel Verlag und Gerth Medien unter dem Namen „Lebenshilfe und Religion“ zu einem neuen Bereich zusammengeführt. Die genannten Verlage werden derzeit aber noch durch ihre Verlagsleiter eigenverantwortlich weitergeführt.

Die Domain _Literaturportal.de_ ist an das _Deutsche Literaturarchiv Marbach_ verkauft worden.

Das _Heine Geburtshaus_ in Düsseldorf wird als Literaturzentrum mit Buchhandlung und Café wiedereröffnet. Der Umbau des Dichterhauses kostete Stadt und Land 900.000 Euro.

Über _Comics_ berichte ich auf den Buch- und Literaturseiten wenig, aber einen Anlass, einmal auf dieses Genre zu schauen, bietet das _Simpsons-Jubiläum_, die in diesem Jahr Zehnjähriges in Deutschland feiern können. 1996 begann die gelbe Chaos-Familie beim Dino-Verlag, der mittlerweile zu Panini gehört. Anfangs brachte Dino mit Superhelden-Geschichten (zu günstigsten Preisen, mit denen das Preismonopol von Carlsen damals zu Fall gebracht wurde) das Comic-Genre wieder in die Bahnhöfe und Kioske zurück, aber leider wurde zugunsten von Simpsons und Mangas und aufgrund zunehmend schlechterer wirtschaftlicher Zahlen das Superhelden-Genre wieder eingestellt. Mit dem Wechsel zu Panini jedoch sind auch bei Dino die Superhelden zurückgekehrt. Im Grunde sind damit in Deutschland Marvel und DC eins geworden. Es erscheinen für Fans wirklich hervorragende Leckerbissen, wovon ich einige herausstellen möchte:
In der Reihe _Collection 100 % Marvel_ ist als Nr. 17 „Strange: Anfang und Ende“ mit seinen sechs Teilen komplett in einem Band erschienen. Dieser mächtigste Comic-Zauberer der Welt wurde 1963 von Steve Ditko und Stan Lee erschaffen. In das Marvel-Universum waren mit ihm viel Mystik und schwarze Magie eingezogen. Bis 1966 hatte Dr. Strange eine eigene Serie und danach nur noch Gastauftritte in anderen Serien des Marvel-Universums, aber zu jeder Zeit genoss er absoluten Kultstatus. Jetzt wurde er von J. Michael Straczynski („Babylon 5“), der auch den Neustart des „erstaunlichen Spiderman“ unternahm, für die heutige Generation aufpoliert, der die Wurzeln der Gestalt Dr. Strange in nie bekannter Tiefe und mit vollkommen neuem Outfit erzählt.
Ebenso ist als Band 11 ein fetter Band „Spider-Man & Friends“ in der Reihe _Marvel Monster Edition_ erschienen, der die ersten zehn US-Hefte der Reihe „Marvel Team Up“ enthält. Diese haben aber nichts mehr mit der gleichnamigen früheren Serie zu tun, sondern stammen vom aktuellen Marvel-Schreiber-Shooting-Star Robert Kirkman. In der im letzten Jahr in Amerika erschienenen Reihe geben sich Spider-Man, Moon Knight, Dr. Strange, der unglaubliche Hulk, Punisher, Blade, Wolverine, Iron Man, Luke Cage und Daredevil u. a. die Ehre. Eine geile Story, gut gezeichnet und so gestaltet, wie man Marvel von früher her kannte.
In der Reihe _Marvel Exklusiv_ ist als Band 59 „X-Men: Phoenix‘ Abgesang“ herausgekommen. Autor Greg Pak schöpfte aus der reichhaltigen Vergangenheit der X-Men eine eindringliche Geschichte über Leben und Tod, welche der Zeichner Greg Land in einen visuellen und dramatischen Leckerbissen verwandelte. Alle fünf Teile der Geschichte sind in diesem Band komplett enthalten.
Als normale zweimonatliche Heftreihe startete im März _All Star Batman_, und das Besondere hierbei ist, dass diese Serie von Frank Miller und Jim Lee stammt. Denn Frank Miller hatte bereits mit „Der dunkle Ritter kehrt zurück“ für das Batman-Universum Episches geleistet. Auch in der neuen Batman-Reihe ist dieser so dunkel und bedrohlich wie ursprünglich an die von Bob Kane und Bill Finger entwickelte Figur angelehnt, aber dank Frank Miller kommen viele völlig neue Aspekte zur Geltung. Der neue Batman nunmehr ist ein wilder Rächer, der um jeden Preis Angst erzeugen will. War Gotham City schon immer kriminell, wurde dies nun noch ins Unermessliche gesteigert – die Gewalt ist allgegenwärtig und Batmans Mittel sind dadurch auch viel drastischer als gewohnt. Noch nie war der dunkle Ritter so dynamisch und hart wie in dieser neuen Serie. Nunmehr setzt die Batman-Geschichte dort ein, wo der erste Robin (Dick Grayson) zu Batman stieß und zudem wurde die Journalistin Vicki Vale, die lange Zeit in Vergessenheit geraten war, neu belebt. Im amerikanischen Original heißt die Reihe auch „All Star Batman & Robin, the Boy Wonder“. Selbst diejenigen, denen Batman überhaupt nicht vertraut ist, können mit dieser Reihe ganz neu einsteigen. Für Fans, die die Serie kennen, ist manches dagegen anders. Die Eltern von Robin sterben auf andere Weise, als es Bill Finger und Bob Kane 1940 darstellten, und dadurch entwickelt sich die ganze Geschichte anders als ursprünglich.
Aber nicht nur Neues aus dem Marvel-Universum erscheint, sondern auch Klassiker werden nachgedruckt wie bei _Superman vs. Flash_ von DC. Es gab von 1967 bis 2002 immer mal wieder Versionen von Wettläufen zwischen Superman und dem „roten Blitz“ und diese liegen jetzt zum ersten Mal gesammelt in einem einzigen Band vor. Eigentlich war dies immer ein netter Spaß gewesen, um die Fragen der Fans, wer wohl von beiden Superhelden schneller sei, zu beantworten. Die größten Rennen der beiden sind zwar nicht auf heute gewohntem Zeichenniveau, gehören aber schon in die Sammlung wirklicher Fans.

_Marcel Reich-Ranicki_ erhielt den Ehrendoktor-Hut der Universität Tel Aviv und zudem wird für ihn ein Lehrstuhl für deutsche Literatur an der israelischen Universität eingerichtet.

Am 6. Februar verstarb in München die 1947 geborene Autorin _Karin Struck_ nach langem Krebsleiden. 1973 war sie mit ihrem Debütroman „Klassenliebe“ der aufsteigende Stern im Literaturbetrieb. Sie stand politisch links und setzte sich in ihren Romanen damit auch literarisch auseinander. Ihre Themen waren immer radikal: Identitätskonflikte, Selbstfindung, sexuelle Abhängigkeit und Frauenbewusstsein. Ihr letzter „linker“ Roman bei Suhrkamp war 1982 „Kindheitsende“, dann wechselte sie 1991 zu List mit „Blaubarts Schatten“, in dem sie sich mit Abtreibung auseinander setzte und für das Lebensrecht der Unbeborenen eintrat. In der Linken, Grünen und Frauenbewegung wurde sie seitdem nicht mehr gelesen, dafür nun aber von CDU-Anhängern und katholischen Frauengruppen entdeckt. Dafür erhielt sie den Preis der Stiftung „Ja zum Leben“. 1992 folgte ein Sachbuch zur Abtreibung („Ich sehe mein Kind im Traum“), wo sie die These vertrat, das Ziel der Emanzipation sei es, die Mutterschaft kaputt zu machen. 1993 folgten „Männertreu“ sowie noch eine Hommage an Ingeborg Bachmann. 1996 wurde sie Kritikerin an der evangelischen Kirche und konvertierte zum Katholizismus.

Auch der international bekannte polnische Science-Fiction-Autor _Stanislaw Lem_ (geb. 1921) ist im Alter von 84 Jahren in einem Krankenhaus in Krakau verstorben. Seit 1973 lehrte er als Dozent am Lehrstuhl für polnische Literatur an der Universität Krakau. Sein erste Novelle „Der Mensch vom Mars“ erschien 1946. Weltberühmt wurde er allerdings 1961 mit „Solaris“. Ebenso bekannt sind „Sterntagebücher“, „Robotermärchen“ und „Nacht und Schimmel“. Seine Bücher sind in Millionenauflagen in 41 Sprachen übersetzt und drei von ihnen auch verfilmt worden.

Auf der _Leipziger Buchmesse_ gab es dieses Jahr 1800 Veranstaltungen im Rahmen von „Leipzig liest“ an 250 Spielstätten und mit rund 1300 Mitwirkenden, wodurch der Rekord vom letzten Jahr noch mal überboten wurde. Interessant ist, dass trotz dieses scheinbaren Überangebots alle Lesungen sehr gut besucht waren. Auch der Besucherstrom war ein Rekord und lag mit 126 000 Besuchern 17 % über dem Vorjahr. So erfreulich das auch ist, so hofft dennoch jeder, dass die Leipziger Messe im Gegensatz zur „großen“ Frankfurter Messe auch in Zukunft klein und überschaubar bleibt. Dabei sind es nicht unbedingt weniger Verlage, nur halten sich die Großverlage mit viel kleineren Ständen viel mehr zurück, so dass alle Verlage gleichberechtigte Aufmerksamkeit erlangen können.
Unter dem Motto „Außenseiter? Ruhestörer ?“ präsentierte die Reihe jüdische Lebenswelten jüdische Schriftsteller.
Auf der Buchmesse wurden auch wieder Preise verliehen. Der wichtigste ist der _Preis der Leipziger Buchmesse_, der in Belletristik, Übersetzung und Sachbuch vergeben wird und damit die Lücke zum im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse verliehenen Deutschen Buchpreis schließt, der sich letztlich auf einen einzigen Roman konzentriert. Der Leipziger Buchmessenpreis ging in Belletristik an _Ilja Trojanow_ für seinen Roman „Der Weltensammler“. Ein weiterer Preis auf der Leipziger Messe ist der _Alfred-Kerr-Preis_, der diesmal an _Meike Feßmann_ ging. Sie ist freie Literaturkritikerin und studierte Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaft. Der _Verlegerpreis_ der _Kurt-Wolff-Stiftung_ ging an _Katharina Wagenbach-Wolff_ für ihre „Friedenauer Presse“. Weniger schön am Ende war lediglich, dass – Bücherklau gibt’s ja immer auf Messen – der Bücherdiebstahl auf der Leipziger Messe überdurchschnittlich hoch lag. Im Osten sind die Leute aber auch ärmer als im Westen, auf der Frankfurter Messe bewegt sich der Bücherklau im normalen Bereich.

Der Streit um die parallele Ausrichtung der Leipziger Buchmesse und der _lit.Cologne_ geht ebenfalls weiter. Das größte europäische Literaturfestival wurde von fünf auf neun Veranstaltungstage erweitert und fiel wieder mit der Leipziger Messe zusammen. Die Publikumsresonanz (56 000 Besucher) in Köln war eindrucksvoll, die meisten der 131 Veranstaltungen waren ausverkauft. In die Köln-Arena zur Lesung von Bastian Sick kamen 15 000 Besucher – eine Veranstaltung also, die reif genug für das „Guinness Buch der Rekorde“ wäre – und auch für eine Rheinschiff-Lesung musste ein zweiter Termin organisiert werden. Auch wurde auf dieser Literaturmesse der „_Deutsche Hörbuchpreis_“ vergeben: Er ging an die deutsche Fassung von Dylan Thomas` Stück „Unterm Milchwald“ (Hörverlag) und an „Wörter Sex Schnitt“ des verstorbenen Poplyrikers Rolf Dieter Brinkmann (Intermedium Records). Letzteres war bereits im Januar als „Hörbuch des Jahres 2005″ gekürt worden.

Die _Frankfurter Buchmesse_ und die _Internationalen Filmfestspiele_ haben im zweiten Jahr ihre Zusammenarbeit vertieft. Verschiedene Verlage waren in Berlin erstmals mit einem Gemeinschaftsstand vertreten. Hintergrund ist die Zusammenarbeit zwischen Verlagern und der Filmwirtschaft, vor allem, um Verfilmungspotenzial vorzustellen. Jetzt werden weitere Möglichkeiten diskutiert, wie man noch besser zusammenarbeiten kann.

Angesichts der politischen Lage zwischen Westen und Islam wird immer noch der Gastland-Auftritt _“Arabische Welt“ bei der Frankfurter Buchmesse 2004_ analysiert. Nunmehr sieht man den Versuch, dadurch den Dialog zwischen der arabischen Welt und dem Westen in Gang zu setzen, eher ernüchtert als gescheitert an. Die westlichen Verlage haben ihre Programme nicht mit arabischer Literatur angereichert (mit Ausnahme zur Buchmesse 2004), das Interesse der deutschen Verlage liegt fast bei Null. Ausgenommen sind natürlich ein paar wenige Verlage, die sich auf arabische Literatur spezialisiert haben. Deutschland war auf der Kairoer Buchmesse als Ehrengastland eingeladen, was durch die Verlage aus ägyptischer Sicht vollkommen unzureichend wahrgenommen wurde. Die arabischen Verleger sind aber auch selbstkritisch und stellen fest, dass sie selbst viel zu untätig in den Dialogsbemühungen sind. Beziehungsweise richtet sich die Kritik dabei gegen die Regierungen der Arabischen Liga und an die panarabische Kulturorganisation Alesco, die keine wirkungsvollen Initiativen für den Dialog verfolgen. Dass der Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse vor zwei Jahren nicht als Chance genutzt wurde, liegt an den verkrusteten Strukturen in vielen arabischen Ländern.

Gastland auf der Buchmesse 2006 ist _Indien_ und das ist den Verlagen auch lieber; die ersten neuen indischen Titel erschienen vermehrt schon im Frühjahrsprogramm der deutschen Verlage.

Seit Jahresbeginn ist _Gottfried Honnefelder_ Vorsteher des Börsenvereins. Er arbeitete 23 Jahre bei Suhrkamp, dann fast zehn Jahre bei DuMont, wo er jetzt als Geschäftsführer des Literatur- und Kunstverlages ausscheidet und den Verlag Berlin University Press, gegründet 2000, übernimmt. Ab 2007 erscheinen dort Bücher, die den universalen Diskurs der modernen Wissenschaften zum Gegenstand haben.
|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/.|

Die Trolle

_Teaser_

|Nach den Orks, den Zwergen und den Elfen stehen nun „Die Trolle“ im Mittelpunkt des nächsten großen Romans um die Geschöpfe der Fantasy. In der Tradition von Markus Heitz und Bernhard Hennen bieten auch „Die Trolle“ eine action- und temporeich erzählte Geschichte um Krieg, Verrat, Verlust und Liebe.

Düsterer als seine Vorgänger, schildert der Roman jedoch eine ganz eigene, zerrissene Welt. Der Autor nimmt den Leser mit auf eine spannende Reise in das vom Bürgerkrieg beherrschte Land Wlachkis, in dem Menschen und Trolle nach Jahrhunderten der Trennung wieder aufeinander treffen.

Der junge Rebell Sten ist ein Kämpfer, dem nahezu jedes Mittel recht ist, um die tyrannische Fremdherrschaft über sein Land zu beenden. Die Trolle erscheinen ihm zunächst fremdartig, grausam und gnadenlos. Dennoch findet Sten im Verlauf der Handlung heraus, dass auch sie um das Überleben ihres Volkes kämpfen. Während ihrer gemeinsamen Reise entwickelt sich ein vorsichtiges Verständnis zwischen den unfreiwilligen Verbündeten. Schon bald müssen sie gemeinsam einen Weg finden, sowohl den Tyrannen Zorpad aufzuhalten, der einen vernichtenden Feldzug plant, als auch die Sonnenmagier vom Orden des Albus Sunas, die etwas in den Tiefen der Erde geweckt haben, das weitaus mehr als nur die Trolle bedroht.|

_Der Autor_

Christoph Hardebusch, geboren 1974 in Lüdenscheid im Sauerland, studierte zunächst BWL in Marburg, wechselte dann jedoch zu Anglistik und Medienwissenschaft. In seiner Studienzeit begann der begeisterte Rollenspieler und Fantasy-Leser, selbst zu schreiben. Nach dem Studium zog er nach Heidelberg, arbeitete als Texter bei einer Werbeagentur und konzentrierte sich gleichzeitig auf seine erste Veröffentlichung.

Ab April geht der Autor auf Lesereise und wird dann auch auf verschiedenen Conventions, z. B. dem MART in Mannheim und dem Nordcon, anzutreffen sein.

http://www.hardebusch.net/

_Die Trolle – Leseprobe, Kapitel 1_

Der Wald lag in den Abendstunden ruhig da. Kaum ein Tier war zu hören, während die letzten Strahlen der Sonne durch sein Blattwerk drangen. Mächtige, moosbewachsene Bäume ragten Dutzende von Schritten in die Höhe, und zwischen ihnen bildeten Büsche und Farne ein undurchdringliches Unterholz. Als die Hufschläge des Reitertrupps schließlich verhallten, kehrten auch die alltäglichen Geräusche des Forstes zurück und erinnerten Sten an die vielfältigen Gefahren, die sein Leben bedrohten.

Vergeblich rüttelte er an den dicken Eisenstangen seines Käfigs. Natürlich gaben sie nicht nach. |Alles in allem haben meine Feinde gute Arbeit geleistet|, ging es Sten durch den Kopf.

Auch wenn er aufrecht sitzen konnte, solange er die Beine herausbaumeln ließ, war der Käfig eng und unbequem und schaukelte bei jeder Bewegung. Die kalten Stangen drückten gegen Stens nackte Haut und gruben sich schmerzhaft in sein Fleisch. Zu eng waren sie, als dass er hätte hindurchschlüpfen können, doch ohne Frage würde das Maul eines Wolfes oder die Tatze eines Bären ihn erreichen können.

Marczeg Zorpads Krieger hatten die Eisenkonstruktion sorgfältig überprüft und den schweren Bolzen mit Hammerschlägen in der Verankerung verkeilt. Ohne Werkzeug war es unmöglich, den Eisenstift zu entfernen und die kleine Tür zu öffnen. Die Kette, mit welcher der Käfig an dem dicken Ast befestigt war, war ebenso fest und zuverlässig geschmiedet. Auch der Baum war gut ausgewählt, ein altes starkes Eichengewächs, an dessen Stamm feuchtes Moos emporwuchs. Dieser Baum hatte noch viele Jahrhunderte Leben vor sich und würde noch weiter wachsen, wenn Sten schon lange in dem Käfig verrottet war. Die Freiheit war nur zwei Schritt unter ihm, und sie leuchtete im Abendlicht verlockend grün, doch Sten hätte in seinem Käfig statt der zwei Schritt auch hundert hoch hängen können, denn der Boden blieb für ihn unerreichbar.

Wenn er bedachte, dass Zorpad das Aussetzen eines Mannes in den düsteren Wäldern seiner Heimat von Stens eigenem Volk, den Wlachaken, übernommen hatte, so konnte er durchaus die Ironie seiner ausweglosen Lage erkennen. Die Idee aber, den Verurteilten in einen Metallkäfig zu stecken, stammte natürlich von den Masriden. Früher hatte man die Verbrecher einfach mit festen Stricken an die Bäume gebunden. In den alten Tagen war dies eine Art Gottesurteil gewesen, und nicht wenige Lieder seines Landes erzählten von jenen, die durch Glück oder Geschick dem sicheren Tod entkommen und zurückgekehrt waren, um Rache zu nehmen an jenen, die ihnen den Tod hatten bringen wollen.

Sten lachte bitter auf. Die neuen Herren des Landes wollten allemal sicherstellen, dass die Götter ihre Urteile im Sinne der Masriden fällten. Oder besser gesagt ihr Gott, denn sie verhöhnten die alten Geister des Landes und unterdrückten den Glauben an diese, wo immer sie auf ihn stießen.

Ohne fremde Hilfe würde Sten sich aus dieser Falle nicht befreien können, und so tief im Wald verborgen würde ihn niemand finden, bevor er starb. Das grobe Hemd, das sie ihm als einziges Kleidungsstück gelassen hatten, bot wenig Schutz vor den Elementen. Hinzu kamen die Auswirkungen der Folter, die Sten nicht gerade widerstandsfähiger gemacht hatte. Er konnte sich gut vorstellen, wie er aussah, nur mit dem schmutzigen Leinenhemd bekleidet, überall grün und blau geschlagen, das lange, dunkle Haar strähnig und verfilzt, das schmale Gesicht von Erschöpfung, Schmerz und Schlafmangel gezeichnet.

|Vermutlich sehe ich jetzt schon aus wie ein wandelnder Toter|, dachte Sten und grinste finster. Es schien tatsächlich an der Zeit zu sein, sich mit dem Gedanken an den Tod abzufinden. Schnell verdursten würde der junge Krieger nicht, dazu war es zu feucht, und vermutlich würde es in den nächsten Tagen mehr als genug regnen. Wenn er also nicht verhungerte, würde ihn eine der unzähligen Gefahren der dunklen Wälder das Leben kosten.

Auf der Flucht vor den Häschern des Marczegs der Masriden war Sten oft tief in den Wald eingedrungen, und er wusste mehr als genug über den dunklen Forst. Viele Geschichten, die man sich nachts an den Feuern erzählte, waren natürlich Ammenmärchen, aber unter all dem Aberglauben verbarg sich auch ein Körnchen Wahrheit. Es gab gute Gründe, den Wald zu meiden, und je tiefer man sich hereinwagte, desto gefährlicher wurde es. In den lichtlosen Tiefen schlichen Kreaturen durch das Unterholz, denen man besser aus dem Weg ging. Wölfe und Bären, die den Städtern und Bauern solche Angst einjagten, wirkten gegen diese geradezu harmlos. Schlimmere Dinge als Tiere, die ohnehin die Nähe der Menschen eher mieden, bedrohten den Wanderer im Herzen des Forstes. Und in der Nacht kamen diese Kreaturen aus ihren Löchern gekrochen auf der Suche nach Opfern und Beute.

Die spitzohrigen |Vînai| waren gnadenlose Jäger, die Mensch und Tier aus bloßer Freude am Töten mit ihren zielsicheren Pfeilen spickten. Sie duldeten keinerlei Eindringen in ihre Länder im Herzen des Waldes. Neben ihnen gab es die verfluchten |Zraikas|, die in eine fremde Gestalt schlüpfen konnten und mit ihren tödlichen Reißzähnen und Klauen kaum zu besiegen waren. Von anderen dämonischen Kreaturen hatte Sten nur gehört, doch auch in den geflüsterten Geschichten mochte durchaus ein Körnchen Wahrheit stecken. Vermutlich würde er es schon bald herausfinden. Er lachte freudlos, als er daran dachte, dass diese Bekanntschaft wohl eine kurze und äußerst unerfreuliche werden würde.

Inzwischen war die Sonne gänzlich hinter den Bergen verschwunden und beleuchtete nunmehr die niedrig hängenden Wolken am Himmel. Zusammen mit dem letzten Licht der Sonne schwand auch Stens letzte Hoffnung auf Rettung. Wenige würden es wagen, nachts in die Wälder einzudringen, selbst wenn sie denn überhaupt wüssten, dass Sten noch lebte.

|Immerhin ist es hier ein wenig gemütlicher als in Zorpads Kerkern|, dachte Sten grimmig und versuchte, eine bequemere Sitzposition zu finden, doch irgendwie schien er überall blaue Flecken zu haben. |Vielleicht finde ich heute Nacht ja sogar etwas Schlaf, immerhin prügeln seine Häscher nicht mehr auf mich ein.|

Aber an Schlaf war kaum zu denken, auch wenn Sten von den Entbehrungen der letzten Tage und den Verhören stark erschöpft war, denn zu unbequem war sein luftiges Gefängnis. Dazu kreisten seine Gedanken unablässig um seine Freunde und die Gefahren, die ihnen drohten.

Mit der Dunkelheit drangen mehr und mehr fremdartige Geräusche an seine Ohren, Tiere schrien, das Laub raschelte, und immer wieder erhaschte Sten aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Die einsetzende Dunkelheit verwandelte den Wald, die Bäume erhoben sich als dunkle Schatten, und zwischen ihnen herrschte schon bald Finsternis, die alle möglichen Schrecken verbergen mochte. Zunächst schien noch der Mond, doch dann türmten sich dunkle Wolken am Himmel auf. Bald schon konnte der Wlachake nur noch wenige Schritt weit sehen, was das nächtliche Spektakel der Waldtiere noch unheimlicher machte. Aber schließlich gewann die Erschöpfung Oberhand, und Sten verfiel in düstere Träume, die von einem Unwetter beendet wurden.

Eiskalter Regen weckte ihn, und der grollende Donner ließ ihn zusammenzucken. Kalte Winde zerrten an seinem Leinenhemd und trieben den Regen fast waagerecht vor sich her. Innerhalb weniger Augenblicke war Sten vollkommen durchnässt und fror erbärmlich.

Immer wieder schlugen Blitze in der Ferne ein, erhellten die Landschaft für einige Augenblicke und wurden von mächtigen Donnerschlägen gefolgt. Sten konnte sich nicht erinnern, jemals einen solch wütenden Sturm erlebt zu haben. Vielleicht lag es aber auch nur an seiner unbequemen Warte, die ihn dem Zorn der Elemente schutzlos auslieferte. Der schwere Eisenkäfig schaukelte im Wind, der Ast knarrte bedrohlich, und es kam Sten so vor, als werde er sogleich zu Boden stürzen. Doch die starke Eiche hielt und würde wohl zur letzten Ruhestätte für Sten cal Dabrân werden.

Mutlos kauerte er sich zusammen und schlang die Arme um den Oberkörper, um sich ein wenig zu wärmen. Vielleicht würde er schon in dieser Nacht erfrieren, denn zu dem Regen gesellten sich jetzt auch noch eisige Hagelkörner, die ihn schmerzhaft trafen.

Niemals seine Heimat wiedersehen, seine Familie, seine Freunde … Verzweiflung überkam ihn und raubte ihm die letzte Kraft aus den müden Gliedern. So saß er da, während das Unwetter um ihn herum tobte. Er musste an Flores’ warnende Worte bei ihrem letzten Treffen denken, die er so leichtfertig in den Wind geschlagen hatte. Seine letzten Worte seiner Schwester gegenüber waren absichtlich verletzend gewesen, und nun würde er sterben, ohne sie wieder gutmachen zu können.

Ein Knacken, das sogar das Rauschen der Bäume im Wind übertönte, ließ ihn aufschrecken. Hastig suchte er mit Blicken die kleine Lichtung ab, doch in der Dunkelheit konnte er wenig erkennen, bis ein gezackter Blitz über den Himmel zuckte und den Wald für einen Augenblick erleuchtete. Grelle Nachbilder tanzten durch Stens Blickfeld, mehrere riesige, menschenähnliche Gestalten, die auf der Lichtung standen. Es dauerte einige hämmernde Herzschläge lang, bis sich seine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, Herzschläge, in denen er sich einredete, dass er sich getäuscht habe, dass dort in der Nacht nichts gewesen sei.

Und dann sah er sie, schwarze Schatten vor der Dunkelheit des Waldes. Vier, nein fünf, fast doppelt so groß wie ein Mann, mit mächtigen Schultern und langen, muskulösen Armen. Wie von Sinnen vor Angst warf sich Sten gegen die Stangen des Käfigs, um ihnen zu entkommen. In der Finsternis sah er eines der Ungeheuer auf sich zugehen. Verzweifelt versuchte Sten von dem Wesen wegzukommen, doch es war unmöglich. Hilflos musste er zusehen, wie der Schatten sich näherte, bis die Kreatur kaum eine Armeslänge entfernt stehen blieb. Obwohl der Käfig sicherlich zwei Schritt über dem Boden hing, war es dem Monstrum ein Leichtes, hineinzuspähen. Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel, wieder war die Lichtung für einen Herzschlag in Licht getaucht.

Abgrundtiefe Furcht erfüllte Sten, als er das ebenso massige wie hässliche Haupt sah. Der Kopf war grob menschlich, doch die Linien des Gesichts verliefen nahezu gerade, und die hohen Wangenknochen und das kantige Kinn wirkten wie in Stein gemeißelt. Sein Magen zog sich zusammen, als er die Augen sah, die sich unter knochigen Brauen verbargen, während die Ohren viel zu klein für den riesigen Kopf schienen. Die Stirn war flach und seltsam gefurcht, und darüber ragten fingerdicke, hornige Auswüchse auf, die Sten in Ermangelung eines besseren Wortes als |Haare| bezeichnete. Zudem wölbten sich zwei mächtige, lange Hörner von der Stirn über den Schädel, was dem Monstrum ein dämonisches Aussehen gab. Am furchteinflößendsten jedoch war das Maul der Kreatur, breit und mit vollen Lippen, hinter denen gewaltige Hauer wie die eines Ebers zum Vorschein kamen, als es sie hämisch zurückzog.

Unfähig, sich zu rühren oder gar etwas zu sagen, starrte Sten auf die albtraumhafte Erscheinung. Sein Herz schlug schmerzhaft schnell, als das Monstrum mit einer der riesigen Pranken nach dem Käfig griff und ihm einen Stoß versetzte, der Sten durch Mark und Bein fuhr. Schließlich beugte es sich nach vorn, und Sten konnte ein Schnaufen hören, als wolle es in der Dunkelheit seine Witterung aufnehmen. Nach einer schier endlosen Zeit wandte sich das Wesen ab und stapfte zurück zu seinen Gefährten.

Der Regen dämpfte die Geräusche, die es von sich gab, aber Sten vernahm raue Laute, die tief aus der Kehle kamen. Bevor er sich einen Reim auf diese Ungeheuer machen konnte, kehrte eines zu ihm zurück, ergriff ohne viel Federlesens die Eisenstangen des Käfigs und rüttelte an ihnen. Sten wurde von einer Seite auf die andere geschleudert und schlug schmerzhaft gegen die harten Gitterstäbe. Verzweifelt klammerte er sich fest, bis das Monstrum von dem Käfig abließ und ihn musterte.

»Sprichst du?«, fragte es unvermittelt. Die Worte klangen kehlig, aber verständlich. |Bei allen Geistern, das Geschöpf
spricht meine Sprache!|

Für einen Herzschlag lang war Sten zu überrascht, um zu antworten, doch als das Wesen wieder nach dem Käfig griff, beeilte er sich zu bejahen: »Ja! Ja, ich kann sprechen.«

»Gut. Was tust du hier?«, grollte die tiefe Stimme über die Lichtung.

»Äh. Sterben? Ich bin gefangen und soll hier verrecken«, antwortete Sten.

»Gefangen? Von wem?«

»Sein Name ist Zorpad.«

»Zorpad? Wer ist Zorpad?«

»Er ist ein Mensch. So wie ich auch.«

»Wir wissen, was Menschen sind«, sagte das Wesen mit donnernder Stimme.

»Zorpad ist der Herr dieses Landes. Oder zumindest wäre er das gern«, sagte Sten rasch.

Sein Gegenüber legte misstrauisch den gewaltigen Kopf schief. »Nicht so schnell«, knurrte es. »Gibt es noch mehr Menschen hier? Oder bist du allein?«

»Ich bin allein.«

Diesmal wandte das Wesen sich an seine Begleiter und brüllte quer über die Lichtung: »Er ist allein«, was diese veranlasste, sich zu nähern und sich neugierig um den Käfig herum aufzubauen. Plötzlich war Sten von einer Hand voll gewaltiger Kreaturen umgeben, die ihn neugierig musterten. Ihre hässlichen Schädel näherten sich dem Käfig, und die dunklen Augen wanderten über Sten, als sei er ein Stück Vieh auf dem Markt. Einige von ihnen schnüffelten an dem Käfig, und Sten konnte ihren beißenden Atem riechen. Andere berührten die Eisenstangen und stupsten Sten mit ihren dicken Fingern an, deren harte Nägel wie Krallen geformt waren. Der Regen prasselte auf ihre Leiber und lief in Strömen an ihnen herab, doch die Nässe und Kälte schienen ihnen nichts auszumachen.

»Wo ist der Herr des Landes?«, erkundigte sich der bisherige Sprecher.

»In seiner Burg, bei Teremi. Was, bei allen Dunkelgeistern, seid ihr?«, entfuhr es Sten.

»Wir sind Trolle!«, entgegnete das Wesen stolz und richtete sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe auf, während Sten der Schrecken in alle Glieder fuhr. Seit vielen Jahren hatte man keine Trolle mehr gesehen, und inzwischen hieß es, dass sie ausgestorben seien – oder vielleicht sogar, dass sie niemals mehr als Legenden gewesen seien. Jetzt aber standen sie vor ihm, Kreaturen, die albtraumgleich aus finsteren Geschichten zurückgekehrt waren.

_CHRISTOPH HARDEBUSCH_
[Die Trolle]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3453532376/powermetalde-21
[pdf-Leseprobe des Verlages]http://www.randomhouse.de/content/edition/excerpts/351__53237__4088.pdf
|Heyne|, März 2006
Paperback, 704 Seiten

Karl Heinz Ohlig / Gerd R. Puin (Hg.) – Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam

Über die Zeit Mohammeds ist historisch fast überhaupt nichts bekannt. Neuere Islamforscher stoßen derzeit allerdings auf eine recht unerwartete Sicht der frühen Entwicklungsgeschichte des Islam. So gehen sie derzeit davon aus, dass es einen historischen Mohammed in der Form, wie er später im Koran festgehalten ist, überhaupt nicht gegeben haben könnte. Sie gehen stattdessen davon aus, dass „Muhammad“ die arabische Bezeichnung für Jesus war, der später durch die Verehrung eines „Ali“ („Erhabenen“) abgelöst wurde. Da Jesus nach dem Koran nicht am Kreuz gestorben ist, hat er nach seiner Entrückung die Funktion eines „Verborgenen Imams“.

Mohammed („der Bevollmächtigte“, „der Gepriesene“, „der Erwählte“) ist der Jesus, mit dessen jederzeitigem Erscheinen die Araber zu dieser Zeit noch fest gerechnet haben. Erst im 8. und 9. Jahrhundert wurde Mohammed zu einer eigenständigen Gestalt gemacht, mit Mekka und Medina verbunden, um eine arabische Identität herzustellen. Die ältere Ali-Verehrung wurde zunächst wieder zurückgedrängt, lebt aber heute noch in den schiitischen Strömungen fort. Die Weiterentwicklung des Muhammedanismus erforderte die Bildung einer Paarung, welche die Verkündigung und ihre Umsetzung repräsentiert. Dem Erwählten (muhammad) wird ein Erhabener (Ali) beigesellt, welcher der Bevollmächtigte des Propheten und Exekutor seines Willens ist.

Mit Ali sind die altsyrischen Märtyrervorstellungen verknüpft, und jeder Ali wird ebenso zum Märtyrer wie auch seinen Nachkommen das Martyrium nicht erspart bleibt, denn das Fortwirken der Vorstellungen des Kults der syrischen Märtyrer muss auch für ihn und seine Familie das Erdenleben in einer Katastrophe enden lassen. Nach dieser Erfahrung ist auch das Ende des historischen Alis und seiner männlichen Nachkommen vorhersehbar.

Der überlieferte Koran scheint wenig mit einem wirklichen Mohammed zu tun zu haben, stattdessen gab es lange vor Mohammed eine Art von Urkoran mit Hymnen aus einem arianischen Milieu. Der Koran ist in einem arabisch-syroaramäischen Sprachumfeld entstanden und seine grammatische Struktur entspricht durchweg der syrischen. In dieser Frühgeschichte waren es sogar eigentlich Christen, die im Nahen Osten lebten. Kulturell am wichtigsten waren hierbei der Iran und Syrien, wo die Staatsform immer noch der zoroastrische Feuerkult war, aber die Bevölkerung mehrheitlich als Religion bereits das Christentum angenommen hatte. In diese Zeit werden später rückführend Mohammed und Medina integriert, der 622 nach Christus einen die muslimischen und jüdischen Stämme der Oase zusammenfassenden Staatenbund errichtete, für den er die erste schriftliche Staatsverfassung der Welt erließ. Damit beginnt die islamische Zeitrechnung. Dieser Staat war revolutionär, weil er erstmals in der Weltgeschichte die Staatsangehörigkeit nicht an Kriterien wie Sippe, Rasse, Hautfarbe oder Sprache knüpfte, sondern allein an ein religiöses Bekenntnis. Medina war insofern ein ideologischer Staat.

Die Menschen sprachen allerdings noch aramäisch; wichtig war zu dieser Zeit eigentlich Syrien, wo sich in Damaskus die Heilige Stätte des Johannesgrabes befand. Das Heiligtum Johannes‘ des Täufers befand sich in einer Krypta im ehemaligen Tempelbezirk. Dort wurde in einem Korb die Reliquie des Täuferhauptes verwahrt. Johannes der Täufer stand als Prophet in hohem Ansehen bei den Arabern und seine Krypta stand als Konkurrenz zur Grabeskirche in Jerusalem. An religiösen Gegenkräften standen sich in dieser Zeit hauptsächlich auf der einen Seite die nestorianischen und arabischen Christen Irans und auf der anderen Seite die griechisch-römische Christenheit gegenüber – nicht, wie in den Geschichtsbüchern behauptet, arabisch-islamische Eroberer gegen byzantinisch-christliche Kaiser. Es handelte sich gänzlich um einen Religionskrieg zwischen den orientalischen Anhängern eines semitischen Verständnisses vom Christentum und den Vertretern der hellenistischen und römischen Sonderentwicklung.

Wie eingangs schon dargestellt, war die neue religiöse Bewegung unter der Fahne mit dem „muhammad“-Motto lediglich das Fortwirken der syrischen Theologie eines spezifischen Christentums. Der Islam, wie er als solcher dann verstanden wurde, ist das Werk von Al-Ma`mun (749). Dieser Imam traf mit Gnostikern zusammen. Selbst zu seiner Zeit bezog man den Terminus „muhammad“ noch auf Jesus: „Unser Prophet Jesus-Mohammed ist auserwählt/gepriesen“. Erst 839/840 nach dem Zerfall der Bewegung, welche für die Durchsetzung eines Verständnisses von Jesus als dem „erwählten / gepriesenen Gottesknecht“ stand, wird die Vorstellung von einem „Muhammad bn `Abd Allah / der Gepriesene, Sohn des Gottesknechtes“ als eines Gesandten Allahs im Rahmen einer neuen, staatsreligiösen Ausrichtung des Verständnisses von Islam verkankert.

Der Felsendom von Jerusalem wird als das früheste islamische Bauwerk betrachtet (694 n.Chr.), aber die Übersetzung der Inschriften richtet sich ausschließlich an Christen, die seit dem Konzil von Nizea (325) eine andere Auffassung von Christus vertreten. Es entspricht dem vornizenischen syrischen Christentum, das nicht, wie es heute meist heißt, judenchristlich war, sondern zutreffender syrisch-arabisches Christentum darstellte. Auch hier war das Gerundiv „muhammad“ kein Eigenname, sondern als Eulogie in Gebrauch: („gelobt sei“) Jesus, Sohn der Maria. Geht man aber davon aus, dass es bereits 570 bis 632 den historischen Mohammed gegeben haben sollte, so bestätigen das die Inschriften im viel späteren Felsendom nicht. Also wäre der historische Mohammed nur als Symbolfigur anzusehen.

Die Textanalyse der Inschriften zeigt außerdem sehr deutlich, dass mit dem Begriff „islam“ kein Eigenname, sondern die „Übereinstimmung“ mit der Schrift gemeint ist. Da nach dem christologischen Inhalt das Evangelium gemeint ist, und nicht der Koran, bestätigt sich erneut die Vermutung, dass der historische Islam frühestens ab Mitte des 8. Jahrhunderts entstanden ist. Der vorher schon vorhandene Koran war ein Buch des syrisch-arabischen Christentums. Und gesprochen wurde dort seit rund 1000 v. Chr. Aramäisch, das auch noch Jesus‘ Muttersprache war. 600 Jahre vor Christus entstand der Zoroastrismus (Zarathustra).

Syrien ist kein homogener ethnischer und kultureller Raum. Vor allem der Hellenismus hat seit den Eroberungen Alexanders des Großen tiefe Spuren hinterlassen, auch kommen starke Einflüsse der persischen Kultur hinzu. Westsyrien dagegen gehörte schon in vorchristlicher Zeit, dann in der römischen Kaiserzeit und bis zur Zeit des Kaisers Heraklios zum Römischen Reich. Ungeachtet all dieser Einflüsse prägten die syro-aramäische Tradition, Denkweise und Sprache die Grundströmung dieses Raumes. In Syrien konnte das Christentum schon früh Fuß fassen. Ein beträchtlicher Teil der neutestamentlichen Schriften ist in Syrien entstanden. In Antiochien, dem späteren kulturellen Zentrum Westsyriens, wurden die Anhänger Jesu erstmals als Christen bezeichnet.

In dieser frühen Zeit waren vor allem noch gnostische Richtungen beheimatet: Der Markionitismus ist ab dem Ende des 2. Jahrhunderts in Syrien sehr verbreitet. Auch die „Oden Salomos“ und das gnostische Thomasevangelium sind im 2. Jahrhundert in Syrien entstanden, ebenso das Perlenlied in den apopkryphen Thomasakten, wahrscheinlich auch das Phillipusevangelium. Auch die beiden „Bücher des Jeu“, in denen Seth eine herausragende Rolle spielt, wie überhaupt die sethianische Gnosis und die mit ihr verwandte Barbelo-Gnostik (im „Apokryphon des Johannes“ überliefert), sind diesem Raum zuzuordnen. Ganz sicher gilt das auch für die im Irak und Iran entstandenen Mandäer (von manda, Gnosis). Diese benutzten zunächst die Selbstbezeichnung Nazoräer und werden im Koran Sabier genannt. Der Manichäismus ist im 3.J ahrhundert in Persien entstanden.

In Syrien konnte also das Konzil von Nizäa nie richtig Fuß fassen. Noch im 5. Jahrhundert gab es unter den syrischen Christen weder Mönchstum noch Zölibat und sogar die Oberhäupter der syrischen Kirche waren verheiratet. Erst im 6. Jahrhundert änderte sich dies. Die Verurteilung des Nestorius auf dem Konzil von Ephesus 431 hat die syrische Kirche nicht mitgetragen.

Der wichtige Unterschied aber zum Konzil von Nizäa ist, dass in der aramäisch-syrischen Kirche Jesus zwar „Gottessohn“, aber dennoch nur Mensch ist. Der Gottessohntitel ist lediglich ein Würdename – einer unter vielen –, kein Seinsbegriff wie in Nizäa, sondern heilsgeschichtlich verstanden. Es hat sich eingebürgert die Kirche im Sassanidenreich nach dem Konzil von Ephesus als „nestorianisch“ zu bezeichnen. Jesus ist hier kein Gott, sondern Mensch, die Trinitätslehre Gott, Jesus und Maria (bzw. Heiliger Geist) wird abgelehnt. Jesus ist entrückt und seine Stellvertreter (Mohamed/Ali) übernehmen seine Rolle.

All das besagt auch der Koran. Lediglich der Kreuzestod wird im Koran bestritten; reicht das aus, um daraus ein islamisches anstatt nichtchristliches Buch zu machen? Aber selbst in der syrischen Kirche bewährte sich der Geist Gottes in Jesus |bis| hin zum Tod am Kreuz (nicht: |durch| den Tod). Von allen Christen ist gefordert, es ebenso zu tun. Die meisten theologischen Aussagen aus dem Koran – zur Gottesvorstellung, zur Christologie und Eschatologie – stammen aus syrisch-christlichen Traditionen. Aber man kann nicht sagen, der Koran sei antiochenisch oder nestorianisch, aber er ist von der syrischen Theologie geprägt. All das sind spannende Thesen und werfen ein völlig neues Licht auf den Islam.

Literaturgrundlage

Ohlig, Karl Heinz / Puin, Gerd R. (Hg.)
„Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam“
406 Seiten, Hardcover,
Verlag Hans Schiler
10/2005
ISBN 3899301285
ISBN-13: 9783899301281

Mehr Info:

http://de.wikipedia.org/wiki/Islam
http://de.wikipedia.org/wiki/Mohammed__%28Prophet%29
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte__Syriens
http://de.wikipedia.org/wiki/Koran

Buchwurminfos I/2006

Zehn Jahre dauert bereits der „Streit“ und selbst die Reform der _Reform der Rechtschreibung_ nimmt kein Ende. Nach Meinungsforschungsumfragen befürworteten 8 % der Bevölkerung die Reform, 61 % waren dagegen und 31 % unschlüssig. Niemand hält sich daran. Der Vorsitzende des Rechtschreibrates, Hans Zehetmair, nennt das treffend „kollektive Unfolgsamkeit“. Denn Lehrer schreiben weiterhin die bewährte Rechtschreibung an die Tafel, Schüler machen sich über die unsinnigen Regeln lustig und auch sonst kaum ein Bürger richtet sich nach den veränderten Regeln. Auch die Autoren und große Teile der Presse haben die Reform nicht akzeptiert und in zwei Bundesländern, Bayern und Nordrhein-Westfalen, war die am 1. August 2005 endende Übergangsfrist für das Inkrafttreten der Rechtschreibreform um ein Jahr verlängert worden. Die brandenburgische Kultusministerin Johanna Wanka, die bis zum 1. Januar Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) war und ihr Amt turnusgemäß abgab, äußerte sich nun: „Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden“. Auf der Frühjahrstagung im März wird sich die Kultusministerkonferenz (KMK) mit den Vorschlägen befassen, die der Rat für deutsche Rechtschreibung Ende November gebündelt präsentiert hatte. Die meisten im Gremium vertretenen Verbände – darunter auch der VdS Bildungsmedien und der Börsenverein – haben signalisiert, dass sie die vom Rat erarbeitete Kompromisslösung unterstützen werden. Nennenswerte Änderungen sind vor allem bei der Getrennt- und Zusammenschreibung (etwa „kennenlernen“ neben „kennen lernen“, „aufeinanderbeißen“ neben „aufeinander beißen“), der idiomatischen Adjektiv-Verb-Verbindungen („krankschreiben“ oder „freisprechen“), Zusammenschreibungen, die einen Bedeutungsunterschied markieren („kaltstellen“ statt „kalt stellen“) sowie der Zeichensetzung (zum Beispiel obligatorisches Komma vor „um zu“ oder „ohne“) zu erwarten. Die Abtrennung einzelner Vokalbuchstaben bei der Worttrennung (wie bei „a-ber“, „E-sel“) wird es künftig nicht mehr geben. Schluss ist dann endlich auch wieder mit sinnentstellenden Trennungen wie „Urin-stinkt“. Obwohl das Kapitel Groß- und Kleinschreibung von der KMK als „unstrittig“ eingestuft wird, soll eine Arbeitsgruppe des Rechtschreiberats noch einmal Detailfragen klären. Auf jeden Fall werden die Beschlüsse des Rechtschreiberates und der KMK den Schulbuchverlagen wieder Änderungen bescheren.

Seit mindestens zwanzig Jahren – mehr als diese Zeit bin ich mittlerweile in die Branche involviert – klagen bereits die Buchhandlungen über zu wenige Umsätze bzw. kontinuierlichen Umsatzrückgang und hoffen so sehr auf wirtschaftliche Änderungen. Ganz viele der kleinen Buchhandlungen sind in dieser Zeit von der Bildfläche verschwunden. Aber die _Umsatzzahlen_ des Weihnachtsgeschäftes 2005 sind die bislang drastischsten in all „meiner“ Zeit. Das Weihnachtsgeschäft ist nicht mehr das, was es einmal für den Handel war. Mit Beginn der Weihnachtszeit lag der Umsatzrückgang in den Buchhandlungen zwischen 15 % bis hin zu 40 % ! Je näher Weihnachten rückte, desto besser sahen die Zahlen aber dann aus. Ab dem dritten Advent belief sich das Minus im Schnitt noch auf 3 % zum Vorjahr. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den kleinen unabhängigen Buchläden und den großen Ketten. In den Ketten lief das Geschäft einigermaßen positiv, in den kleinen Läden dagegen schickten die Inhaber teilweise ihre Mitarbeiter aufgrund mangelnder Kundenfrequenz schon am Nachmittag nach Hause. Dauerhaft im positiven Bereich sind die Hörbücher, auch wenn der Zuwachs im Weihnachtsgeschäft 2005 erstmals deutlich unter 10 Prozent lag. Noch im Jahr davor hatten die Hörbücher ein Umsatzplus von fast 20 Prozent erreicht. Auch Kinder- und Jugendbücher verkauften sich besser – sicherlich noch eine Auswirkung von »Harry Potter und der Halbblutprinz«. Ihr Umsatz liegt bei plus 9,5 Prozent. Ein Plus gibt es auch im Bereich Schule und Lernen mit einem Wert von 4,0 Prozent. Alle anderen Büchersparten hingegen sind aber im Minus, wenn auch kurz vor Weihnachten dann Unterhaltungsliteratur, Krimis und die Toptitel der Bestseller (allesamt in höherpreisigen Hardcover-Ausgaben) nochmals zulegten. Der Sparkurs der neuen Bundesregierung trug alles andere als zur Konsumlust bei und die hohen Öl- und Gaspreise haben die meisten Menschen sicher mehr als nur erschreckt. Immerhin verschenken 60 % der Bevölkerung zu Weihnachten ein Buch und die Kunden nahmen auch in den Buchhandlungen zu, aber steigende Kundenfrequenz ist allerdings nicht gleichzusetzen mit einem Umsatzplus.

Für Aufatmen im Handel sorgte die Entscheidung des Bundeskabinetts, den reduzierten _Mehrwertsteuersatz_ von 7 % für Bücher und andere Kulturgüter beizubehalten. Besonders der Börsenverein hatte sich in Berlin immer wieder für die Erhaltung des reduzierten Steuersatzes eingesetzt.

Dagegen ist die Branche in Alarmbereitschaft wegen der hohen Zuwachsraten beim _Gebrauchsbuch-Kauf_. Der Handel nimmt vor allem im Internet problematisch zu. Amazon generiert weltweit und über alle Produktgruppen hinweg bereits 30 % aller Bestellungen über das Marketplace-Programm, das bei jeder Suchanfrage entsprechende gebrauchte Waren anzeigt. Durch die Buchpreisbindung hat das Angebot in Deutschland überdurchschnittliche Bedeutung. Gebrauchte Bücher kosten im Schnitt ein Drittel des Originalpreises, sind häufig neuwertig und werden zum Teil unmittelbar nach der Erstauslieferung angeboten. Damit höhlen sie das Preisbewusstsein beim Endkunden aus – zumal es oft die aktivsten Buchkäufer sind, die sich für ein gebrauchtes Buch entscheiden. Mittelfristig gerät dadurch die Preisbindung in Gefahr. Autoren und Verlage gehen bei schnell wachsenden Umsätzen mit Gebrauchtbüchern leer aus. Der Online-Handel mit Second-Hand-Ware kann zunehmend an die Stelle ihrer Stammumsätze treten. Der Verleger-Ausschuss des Börsenvereins hat deswegen Amazon zu Gesprächen eingeladen, um einen Meinungsaustausch zu ermöglichen. Der Handel mit Gebrauchtbüchern kann natürlich nicht verhindert werden, aber Modelle könnten entwickelt werden, die den Verlagen einen angemessenen Anteil an der Vermittlungsgebühr sichert und vielleicht auch Einfluss auf die Preisgestaltung ermöglichen.

Zum Ende des letzten Jahres gab es im Buchhandel eine Sensation. Alle 26 _Gondrom_-Filialen wurden an den nationalen Marktführer _Thalia_ verkauft. Das Kartellamt muss dem Deal aber noch zustimmen. Reinhold Gondrom bleibt für zwei Jahre Geschäftsführer, mit einer möglichen Verlängerung für weitere drei Jahre. Der Name Gondrom wird beibehalten und weitere Filialen sind geplant. Mit dem Kauf übersprang Thalia gleich zum Auftakt des Jahres die 500-Millionen-Euro-Umsatzmarke im deutschsprachigen Raum. Gondrom hatte zuletzt 60 Millionen Jahresumsatz, Thalia 461 Millionen. Ein weiterer Vergleich: Die _Weltbild Plus Medienvertriebs GmbH_ hatte 2005 in ihren Läden Weltbild plus, Weltbild! und Jokers 266 Millionen Euro umgesetzt. Das Gemeinschaftsunternehmen von Hugendubel und Weltbild betreibt in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit den drei genannten Ketten rund 310 Buchhandlungen, und Weltbild plus ist zudem zu 51 % an der Wohltat`schen Buchhandlung beteiligt (30 Millionen Euro Umsatz). Weltbild expandiert auch in diesem Jahr mit weiteren zusätzlichen Läden.

Es bleibt also bei den Konzentrationen auf große Konzerne, wie es _Random House_ vormachte. Dessen Expansion nimmt auch kein Ende. 2005 wurden DVA, Kösel, Manesse und die Gerth Medien übernommen.

_Bucheditionen_: Bereits sechs Wochen vor dem Start der _“SZ“-Krimi-Bibliothek_ brachte das Magazin „Stern“ seine Krimi-Edition in den Handel. Vertriebspartner ist das Schwester-Unternehmen Random House, und die überwiegende Zahl der Lizenzen stammt auch aus den Imprints von Random House. Die _“Stern“-Edition_ setzt auf aktuelle Krimis (und konnte in den ersten beiden Monaten – Start war 1. Dezember – 300.000 Bände verkaufen), die „SZ“-Edition dagegen auf Klassiker der letzten 60 Jahre in fünfzig Bänden. Die Süddeutsche Zeitung erwartet allerdings nicht, dass die Krimi-Edition an den Erfolg der „SZ-Bibliothek“ heranreichen kann. Interessant zu sehen ist, dass bislang jedes Buch aus der _“Brigitte“-Edition_ sofort den Sprung in die Bestseller-Verkaufslisten schaffte. Dadurch konnten von den ersten zehn erschienenen Bänden 1,5 Millionen Exemplare verkauft werden. Das Konzept – Empfehlungen von Elke Heidenreich – ist aufgegangen. Die Edition wird im August abgeschlossen und dann 26 Bände umfassen. Ob sie später fortgesetzt wird, ist noch nicht entschieden.

In den _Bestseller-Listen_ vor Weihnachten dominierte ansonsten Joanne K. Rowling mit sieben Harry-Potter-Titeln (da auch der sechste in Englisch dazugehörte). Auf Platz 2 stand Cornelia Funke mit ihrem „Tintenblut“. Natürlich ist auch der Vorgänger „Tintenherz“ hoch im Ranking. Im Januar kam sie auch mit ihrem Buch von 2000 „Herr der Diebe“ in die Charts, da das populäre Kinderbuch als Film in den Kinos angelaufen ist. Durch diese drei Titel schlägt sie die englische Bestsellerautorin, die zwar auch noch mit drei Pottern-Titeln in den Besteller-Listen ist, aber weiter hinten. Marc Levys Liebesroman „Zurück zu dir“ – die Fortsetzung des derzeitigen Kinofilms „Solange du da bist“ – ist einer der gut platzierten derzeitigen Newcomer. Durch den Weihnachtskinofilm gelangte auch C. S. Lewis‘ „Der König von Narnia“ wieder auf vordere Plätze. Auch die Buchversionen der „Perry Rhodan“-Serie gelangen bislang sofort in die Charts. Selbst Kochbücher hatten sich aufgrund ihres „Verschenkwertes“ während des Weihnachtsgeschäftes ganz gut lanciert. Aber Kochen und vor allem Diätratgeber sind seit langer Zeit die liebste Sachbuch-Lektüre der Deutschen. Langsam starten nun aufgrund der kommenden Fußball-WM die Fußball-Bücher in die Sachbuchbestseller-Listen.
In Amerika war „Harry Potter and the Half-Blood Prince“ mit 7,02 Millionen Exemplaren das meistverkaufte Buch 2005. Die Longseller von Dan Brown („Sakrileg“ und „Illuminati“) schafften es dort auf die Plätze 5 und 8.

Auf dem _Hörbuch-Markt_ beginnt neuerdings ein richtiges Preisdumping. Vor Weihnachten bot _Aldi Süd_ in seinen 1600 Fillialen zwei Hörbuchpakete mit jeweils (!) 12 CDs für gerade mal 12,95 Euro an. Diese wurden vom _Tandem Verlag_ exklusiv für den Discounter produziert – Krimis und Weltliteratur, gelesen von namhaften Sprechern wie Matthias Ponnier oder Hannelore Elsner.

Nach „Brigitte“ und „Eltern“ legt sich nun auch der „_Playboy_“ eine Audiobook-Edition zu. Vorerst sind zehn Titel für je 9,99 Euro geplant, darunter „Fanny Hill“ und „Lady Chatterly“. Die _Brigitte-Hörbuch-Edition „Starke Stimmen“_ wird fortgesetzt. Im April kommt die Nachfolgebox – wieder mit zwölf Titeln, wieder mit weiblichen Sprecherinnen, wieder mit Vertriebspartner Random House, aber auch nach Buchvorlagen von männlichen Autoren.

Im Januar wurden im Hessischen Staatstheater Wiesbaden die _Hörbücher des Jahres 2005_ gekürt. Seit 1997 geben das Börsenblatt und der Hessische Rundfunk in Zusammenarbeit mit dem „Buchjournal“ die hr2-Hörbuch-Bestenliste heraus und einmal im Jahr ermittelt die Jury das Hörbuch des Jahres. 2005 fiel die Wahl in der Kategorie Kinder- und Jugendhörbuch auf „Winn-Dixie“ von Kate DiCamillo, erschienen bei der Hörcompany. Zur besten Produktion in der Kategorie Hörbücher für Erwachsene wählte die Jury „Wörter Sex Schnitt“ mit Tondokumenten des 1975 verstorbenen Rolf Dieter Brinkmann, die im Archiv vergraben waren.

Die Finalisten für den _HörCules_ stehen nunmehr auch fest: Aus den 30 im Herbst im „HörBuch“-Magazin vorgestellten Titeln sind drei Spitzenreiter von den Lesern ausgesucht worden, aus denen bei der „ARD-Radionacht der Hörbücher“ per TED der Publikumssieger gewählt wird: „Illuminati“ von Dan Brown (Lübbe Audio), „Mein Venedig“ von Donna Leon (Diogenes) sowie „Nurejews Hund“ von Elke Heidenreich und Michael Sowa (Random House Audio).

Um den _Deutschen Hörbuchpreis_ konkurrieren 33 Hörbücher in fünf Kategorien. Die Auszeichnung des WDR wird am 12. März bei der LitCologne in Köln verliehen.
Durch den _Hörverlag_ wurde ein neuer _Hörbuch-Preis_ für das beste Original-Hörspiel initiiert, welcher alle zwei Jahre, erstmals am 18. Mai 2006 vergeben wird.

_Senioren-Zeitschrift_ jetzt auch als Hörbuch. 1200 blinde oder stark sehbehinderte Menschen in Frankfurt werden sich über ein Projekt des Diakonischen Werks freuen: Die Seniorenzeitschrift, die seit 30 Jahren vom Sozialdezernat herausgeben wird und kostenlos in Apotheken oder Seniorenanlagen ausliegt, erscheint nun auch als Hörbuchausgabe – viermal im Jahr und jeweils fünfeinhalb Stunden lang. Voraussetzung ist ein MP3-CD-Player.

Mit „_Summa Cultura_“ erweitert das Hörbuch-Downloadportal Claudio.de sein Angebot um das bislang einzige Kulturmagazin im Audio-Format. Jede Woche präsentiert die Redaktion von www.summacultura.de einen Überblick über das Wichtigste im aktuellen Kulturgeschehen.

Wie jedes Jahr stehen 2006 auch eine ganze Reihe von Verlags-Jubiläen an, auf die wir zu entsprechender Zeit näher eingehen werden. Das _Patmos-Verlagshaus_ wird 60 Jahre alt und seit der Gründung 1946 kamen eine ganze Reihe weiterer renommierter Verlage hinzu (Sauerländer, Artemis & Winkler, Walter und Dachs). Der seit seiner Gründung in Wien residierende Kinderbuchverlag Dachs mit 23 Novitäten 2005 hat Ende Januar seinen Sitz ins Mutterhaus Patmos nach Düsseldorf verlegt. Seit 2001 gehört Dachs bereits zu Patmos. Eine ausführliche Verlagsgeschichte befindet sich auf der Website www.patmos.de.

Der _Antje Kunstmann Verlag_ begeht auch bereits das 30. Jahr des Bestehens und feiert das mit einer Jubiläumsaktion neun preisgünstiger Erfolgstitel für je 10 Euro, schön gebunden und mit Leseband. Z.B. Fay Weldon „Die Teufelin“, Alice Walker „Roselily“, Veronique Olmi „Meeresrand“ u. a.
Aus der Esoterik-Bewegung des „New Age” ist nach 25 Jahren leider eine Wellness-, Selfness- und Spiritness-Geschichte geworden, die mit dem ursprünglichen Ansatz nichts oder nur wenig zu tun hat. Aber der unabhängig gebliebene _Aquamarin_- Verlag hat es dennoch geschafft bestehen zu bleiben und feiert dieses Jahr 25. Jubiläum. Verlagsleiter Dr. Peter Michel gehört selbst zu den zeitgenössischen Esoterikern und ist mit seinem Programm an der Theosophie orientiert. Gleich mit dem ersten Buch gab es seinerzeit Ärger, denn „Das Geistchristentum“ – eine kritische Analyse christlich-mystischer und christlich medialer Schriften – brachte eine hohe Schadensersatzklage seitens der „Geistigen Loge Zürich“ ein. Jahrelang wurde prozessiert und letztlich vorm Bundesgerichtshof gewonnen, der höchstrichterlich feststellte: „Geister haben kein Copyright“. Die Züricher Loge war längst geschlossen, als das Verfahren vom Verlag gewonnen wurde, und die Gerichtskosten von Seiten der verlierenden Seite sind bis heute offen geblieben. Bestseller gab es im Verlagsprogramm keine, auch wenn sich Titel von „White Eagle“ etwa 100.000-fach verkauften. Vorzeigetitel sind aber „Weltreligion“, von Peter Michel selbst verfasst, oder „Einbruch in die Freiheit“ von Krishnamurti, das, obwohl es lange Zeit als Taschenbuch bei Ullstein vorlag, bei Aquamarin wieder in schöner Hardcover-Ausgabe erhältlich ist. Bedauerlich ist, dass im Gesamtprogramm dennoch auch viel Mainstream-Titel enthalten sind, was ein wirtschaftliches Zugeständnis an den Eso-Markt und das Wegsterben der anspruchsvollen Esoterik-Buchhandlungen darstellt, denn ansonsten würde sich der Verlag nicht halten können. Aber anspruchsvolle Titel gehen nicht unter, was die jüngste „Edition Adyar“ mit wichtigen theosophischen Titeln beweist.

Und die Wochenzeitung „_Junge Freiheit_“ wird in diesem Sommer 20 Jahre alt. Anfänglich ein zweimonatiges Studentenblatt, dann eine Monatszeitung und seit 1994 wöchentlich. Dieses Jubiläum ist deswegen bemerkenswert, weil es sich um einen mediengeschichtlichen Sonder- und Ausnahmefall in Deutschland handelt. Überregionale Zeitungsneugründungen, die ihr Gründungsjahr überlebten, sind mit der Lupe zu suchen. Neugründungen zudem, die nicht von einem der fünf marktbeherrschenden Verlagsgiganten ausgingen, sind kaum festzustellen. Die „Junge Freiheit“ allerdings ist an Krisen gewachsen und ihre Verbreitung nahm stetig dabei zu. Jahrelang wurden sie vom Verfassungsschutz als „rechtsradikal“ diffamiert, bis dem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im letzten Jahr ein Ende bereitete. Seitdem ist die „Junge Freiheit“ ein lebendiges Denkmal geworden für die Presse- und Meinungsfreiheit. Dennoch gab es Ende Januar erneut eine Überraschung, da vom Direktor der Leipziger Buchmesse, Oliver Zillo, ein Stand auf der diesjährigen Leipziger Messe versagt wurde, mit der Begründung, ein solcher Messestand „gefährde die ordnungsgemäße Durchführung der Buchmesse“. Auf Nachfragen, welcher Art diese Gefährdung denn sein solle, wurde nicht geantwortet.

10 Jahre Jubiläum feiert der _Karl Blessing Verlag_ und begeht dieses mit einer zehnbändigen Jubiläumsedition für zehn Euro pro Band, u. a. Mit Autoren wie Michael Crichton, Dieter Hildebrandt oder Kathy Reichs.

Die _Verlagsgruppe Lübbe_ und der _Gong-Verlag_ haben mit Beginn des Jahres die _Deutsche Rätsel Verlag GmbH & Co. KG_ als Joint-Venture gegründet. Beide bringen ihre jeweiligen Rätselpublikationen in das neue Unternehmen ein. Lübbe hält 49 % und Gong 51 % an dem Verbund, dem das Kartellamt noch zustimmen muss. Beim Lübbe-Verlag selbst werden nun vom ehemals starken Segment (Rätsel, Comics, Romanhefte) künftig nur noch die Romanhefte betreut und dabei dem Buchbereich von Lübbe zugeordnet.

Der _Schwabenverlag_ hat den _Matthias Grünewald Verlag_ übernommen. Der Mainzer Verlag fügt sich mit Titeln zu Religion, Psychologie und Pädagogik gut in das Portfolio des Schwabenverlags ein. Zur Schwabenverlags-AG gehören unter anderem der Verlag „Jan Thorbecke“ und der „Verlag am Eschbach“.

Der Hamburger _Marebuchverlag_ publiziert die Taschenbuchausgaben seiner Titel ab Mai 2007 exklusiv bei Fischer in Frankfurt. Bisher sind die Taschenbücher seit 2004 bei Piper erschienen. Fischer will um die Mare-Titel herum ein umfangreiches Angebot zum Thema Meer aufbauen, in das auch andere Lizenzen, Titel aus den Fischer-Verlagen und Originalausgaben einfließen sollen. Unter dem Labe „Mare“ könnten dann so 15 Taschenbücher pro Jahr erscheinen, davon vier bis sechs Titel aus dem Mare-Verlag, der 2001 gegründet wurde und jährlich etwa 20 Titel veröffentlicht.

_Piper_ startet im Frühjahr ein neues Programm mit nordischer Literatur. Unter dem Label „Piper Nordiska“ erscheinen zum Auftakt fünf Romane von skandinavischen Autoren – darunter der schwedische Krimiautor Arne Dahl und der Däne Christian Jungersen. Der Verlag will sowohl seine eingeführten nordischen Autoren aus dem herkömmlichen Programm hervorheben als auch Neuentdeckungen präsentieren. Die Titel „Das Leben ein Fest“ von Elsie Johansson und „Rosenrot“ von Arne Dahl sind im Original bei Verlagen der schwedischen Mediengruppe Bonnier erschienen, zu der auch Piper seit 1994 gehört. Künftig sollen pro Halbjahr fünf bis sechs Titel erscheinen. Die Reihe „Piper Boulevard“, in der bisher Aktionstitel erschienen waren, wird zu einem eigenständigen Programm ausgebaut. Die ersten vier Titel für „freche Frauen“ zwischen 18 und 35 erscheinen Ende März, drei weitere folgen im Mai.

Der italienische _White Star Verlag_, gegründet 1984, ist einer der größten Bildband-Verlage der Welt mit einem Fundus von mehr als 5000 Titeln und arbeitet bereits seit 15 Jahren mit deutschen Koproduzenten wie Frederking & Thaler zusammen. Im Februar startete er nun auch mit einem eigenen deutschen Programm. Zwar ist der Preisverfall im Bildbandbereich durchaus groß, aber nach wie vor gibt es einen Markt für hochwertige Bildbände jeder Art. In dieser Preisgruppe findet noch keine Preisschlacht statt. Der Verfall findet nur im unteren Segment statt. White Star sieht sich programmgemäß in einer Linie mit Verlagen wie Frederking & Thaler, Knesebeck oder Rosenheimer. Bereiche sind Archäologie, Kunst, Geschichte, Kulturgeschichte, Ethnologie, Natur und Architektur. Seit 2001 arbeitet der Verlag mit National Geographic zusammen und ist in Italien der exklusive Verleger der National Geographic Society. In Deutschland werden diese Titel allerdings bereits durch Random House vertrieben und kommen nicht ins Programm von White Star. Gestartet wird im Frühjahr mit 22 Bildbänden und vier Kalendern, im Herbst folgen weitere 30 Bücher.

Hans Robert Cram, bisher Hauptgesellschafter und Beiratsmitglied des Berliner Wissenschaftsverlags Walter de Gruyter, ist selber wieder verlegerisch tätig geworden und hat von der Beteiligungsgesellschaft Valiva die Berliner Kunstbuchverlage _Dietrich Reimer_, _Gebr. Mann_ sowie den _Deutschen Verlag für Kunstwissenschaft_ übernommen. Im selben Zug hat Cram seinen Anteil an de Gruyter (33 %) an den geschäftsführenden Gesellschafter Klaus G. Saur und die übrigen Gesellschafter verkauft. Einen Teil davon reichen die neuen Eigentümer an die geplante Walter de Gruyter-Stiftung für Wissenschaft und Forschung weiter, die damit selbst an dem Unternehmen beteiligt wird. Die von Cram erworbenen Kunstbuchverlage gehörten ursprünglich zur Weltkunst-Gruppe, die Axel Springer 2003 an die Starnberger Arques-Gruppe verkauft hatte. An dem Verlagsverbund, zu dem auch der Deutsche Kunstverlag, Hirmer und Philip von Zabern gehören, beteiligte sich später auch die Valiva AG in Zürich, die nun als Wiederverkäufer auftritt und sich Zug um Zug von dem Unternehmen trennt. Anfang 2005 übernahm der Zeitverlag Zeitschriften und Buchtitel des Weltkunstverlags; Mitte 2005 ging der Philip von Zabern-Verlag an die Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Die verbliebenen Verlage wurden anschließend in der _Verlagsgruppe Kunstbücher_ mit Sitz in Berlin und München gebündelt. Die drei traditionellen Labels, die Cram nun aus dem Verbund herausgekauft hat, erzielen einen Jahresumsatz von rund einer Million Euro und verfügen über eine Backlist von 2000 Titeln. Auch unter der Führung von Cram verbleiben sie zunächst in der Berliner Bürogemeinschaft mit dem Deutschen Kunstverlag und Hirmer, die nach wie vor zu Valiva gehören. Die bisherigen Geschäftsführer der übernommenen Verlage scheiden aus.

Seit Januar besitzt der Oldernburger _Lappan Verlag_ sämtliche Anteile an der Achterbahn Verlags-GmbH in Kiel. Lappan, schon seit 2003 mit 51 % an Achterbahn beteiligt, hat nun die restlichen 49 % gekauft. Das Achterbahn-Programm soll sich künftig an die „freche Comic- und Humorbuch-Linie“ für die Zielgruppe ab 16 Jahren aufwärts positionieren. Lappan widmet sich dagegen weiterhin dem Bilderbuchsegment und den Cartoons, etwa von Uli Stein. Unter dem Label Looping sind sämtliche Kalender-Aktivitäten gebündelt.

Johannes Thiele hat den stillgelegten _Europa Verlag Wien_ gekauft, den er mit einem kleinen, feinen Programm wiederbeleben will. Er begann seine Verlagsarbeit beim Benzinger Verlag in Zürich, war dann in Stuttgart bei Kreuz tätig, danach in Hamburg bei Hoffmann und Campe, dann ging er nach München zu List und Marion von Schröder, von dort nach Bergisch Gladbach zu Lübbe und 2005 wieder an die Elbe, wo er unter dem Verleger Arne Teutsch Programmleiter des Europa Verlages wurde. Nun arbeitet er erstmals auf eigenes Risiko als Verleger.

Der Schriftsteller Habib Bektas und der Übersetzer Yüksel Pazarkaya haben den [Sardes Verlag]http://www.sardes.de gegründet. Damit hat türkische Literatur eine neue Adresse in Deutschland. Im auf sechs Titel pro Jahr angelegten Programm werden Werke deutsch-türkischer Autoren sowie zeitgenössische türkische Literatur erscheinen.

Der _Suhrkamp Verlag_ ist erneut in der Krise, nachdem das Unternehmen am 12. Januar die Trennung von Geschäftsführer Georg Rippel bekannt gab, der seit 2004 für Marketing, Vertrieb und Werbung zuständig war. Über die Gründe wird in den Feuilletons heftig debattiert, manche denken, seine Marketing-Konzepte wie beispielsweise die Fernsehspots zu Isabelle Allendes „Zorro“ seien zu teuer gewesen, andere glauben, dass die Differenzen mit Suhrkamp-Chefin Ulla Unseld-Berkéwitcz zu groß geworden waren. „Man weiß nicht mehr, wohin der Verlag steuert“, sagt aber auch Joachim Unseld, Verleger der Frankfurter Verlagsanstalt und Miteigentümer der Suhrkamp GmbH & Co. KG. „Eine erfolglose Programmpolitik, der Weggang erfolgreicher Autoren, eine erfolglose Personalpolitik, schließlich Erfolglosigkeit in ökonomischer Hinsicht – all das bestätigt meine große Sorge um die Marke Suhrkamp“. Manche sehen das aber auch ganz anders. Die Süddeutsche Zeitung schrieb, dass sie das Erbe Siegfried Unselds zu bewahren versuche, auch wenn sie dessen Erbe vielleicht völlig missverstehe. Alle deutschen Verlage hatten in den letzten Jahren eine Transformation durchlaufen: War früher das Lektorat die taktgebende Einheit, so haben diese Funktion mehr und mehr die Marketing- und Vertriebsabteilungen übernommen. Ulla Berkewicz stemmt sich gegen diesen Wandel. Sie will ihr Ausnahmehaus als Programm-, nicht als Publikumsverlag führen. Ökonomisch gibt das Programm, die berühmte Backlist eben, einen solchen Sonderweg aber nicht mehr her. Es ist schon ein Verdienst von Berkewicz wenn vielleicht auch ökonomisch ein Privatvergnügen -– dass sie jüngst anstelle von Bestsellern einen „Verlag der Weltreligionen“ aus dem Boden stampfte. Auf literarische Qualität zu setzen, ist unternehmerisches Risiko, aber das ist doch eigentlich die Tradition von Suhrkamp. Natürlich wäre es tragisch, wenn Suhrkamp durch seine Beharrungskräfte finanziell in eine Krise geräte, aber bislang gab es weder Sparkurse noch Entlassungen. Intern wurden nun die Bereiche von Georg Rippel auf zwei Mitarbeiterinnen verteilt, von denen aber keine in den Rang der Geschäftsführung kam. Auf Geschäftsführungsebene ist nun der kaufmännische Geschäftsführer Philip Roeder für Marketing und Vertrieb zuständig. Den Vorsitz hat Ulla Unseld-Berkewicz, für das Programm ist unverändert Rainer Weiss verantwortlich.

Ein Rechtsstreit aus dem letzten Jahr – das Verbot des Romans _“Esra“ von Maxim Biller_ – nimmt kein Ende. Verboten wurde er wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten, da in den Romanfiguren reale Personen erkennbar seien. Der Verlag hatte Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot eingelegt. Das Bundesverfassungsgericht hat nun den Börsenverein, das deutsche PEN-Zentrum und den Verband Deutscher Schriftsteller um Stellungnahme gebeten. Der Börsenverein bemängelt am Urteil, dass der Eigenschaft des Romans als Kunstwerk nicht genug Rechnung getragen wurde. Ein Roman ist auch über das Recht der Kunstfreiheit geschützt, was nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Bei der Prüfung der Persönlichkeitsrechtsverletzung haben die Gerichte so argumentiert, als gehörten die Romanfiguren der Wirklichkeit an. Äußerungen über Romanfiguren dürfen aber nicht mit Äußerungen über reale Personen gleichgesetzt werden. Das PEN-Zentrum hat um eine Fristverlängerung seiner Stellungnahme gebeten, und der Verband Deutscher Schriftsteller argumentiert ähnlich wie der Börsenverein. Würde das Verbot vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, wird die bereits jetzt spürbare Verunsicherung bei Autoren und Verlagen noch weiter zunehmen und manch gutes Buch vielleicht nicht mehr verlegt.

Das Gerichtsverfahren gegen den diesjährigen Friedenspreis-Träger _Orhan Pamuk_ in Istanbul wurde eröffnet und kurz danach aufgrund scharfer Kritik der Europäischen Union eingestellt. Der Autor war wegen „Herabsetzung des Türkentums“ angeklagt, weil er die Verfolgung von Armeniern und Kurden in einem Zeitungsinterview offen angesprochen hatte. Die Literaturnobelpreisträger Josè Armago, Gabriel Garcia Márquez und Günter Grass hatten gemeinsam mit anderen prominenten Autoren wie Umberto Eco und Mario Vargas Llosa eine Solidaritätserklärung unterzeichnet, die vom Prisa-Konzern, dem spanischen Verlagshaus der Autoren, publiziert wurde. Pamuk selbst, dem eine Haftstrafe bis zu drei Jahren droht, zeigte sich vor Prozessbeginn zuversichtlich: „Ich glaube nicht, dass sie mich ins Gefängnis werfen werden“. 169 türkische Intellektuelle hatten mittlerweile auch die Regierung in Ankara aufgefordert, die „Kopenhagen-Kriterien“ der EU (Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Achtung von Menschenrechten) einzuhalten und zwei bedenkliche Vorschriften aus dem türkischen Strafgesetzbuch zu streichen. Paragraf 301, auf den sich die Anklage gegen den Friedenspreisträger Orhan Pamuk stützte, stellt die „Herabwürdigung des Türkentums“ unter Strafe; Paragraf 305, der „Propaganda gegen nationale Interessen“ sanktioniert, behindert vor allem die Arbeit von Journalisten. Der Prozess gegen Pamuk war Teil einer Klagewelle, mit der Ultranationalisten, Militär und Staatsanwaltschaft derzeit Autoren, Journalisten, Hochschullehrer und Unternehmer in der Türkei überziehen. EU-Kommissar Olli Rehn begrüßte die Entscheidung, den Prozess gegen Pamuk einzustellen, als wichtigen Schritt für die Meinungsfreiheit in der Türkei. Er betonte aber, dass dort noch ein Dutzend ähnlicher Prozesse gegen Journalisten und Autoren in Vorbereitung sei. Pamuk ist nicht freigesprochen worden, zum Jubilieren besteht kein Grund.

Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ging in diesem Jahr an _Juri Andruchowytsch _ aus der Ukraine für sein Werk „Zwölf Ringe“ (Suhrkamp). 1985 gehörte er zu den Gründern der legendären Performance-Gruppe Bu-Ba-Bu und im Herbst 2004 engagierte er sich für die Orange Revolution in seiner Heimat.

Die Günter-Grass-Stiftung hat einen neuen Literaturpreis ins Leben gerufen, den „_Albatros_“ für das Werk eines Autors, das offenes Denken und die freie Auseinandersetzung mit allen Lebensbereichen befördert. Mit dem Original zusammen wird eine Übersetzung gewürdigt, die der literarischen Eigenart des Werks besonders gerecht wird, also eine Doppel-Ehrung für Autor wie Übersetzer. Es geht um die Würdigung großer literarischer Leistungen, die aus anderen Ländern zu uns kommen – zusammen mit der Würdigung der besonderen Leistung des Übersetzers. Erste Preisträgerin ist die Portugiesin _Lidia Jorge_. In ihren Romanen spürt sie den Nachwirkungen historischer Ereignisse wie den Kolonialkriegen oder der Diktatur nach – im intimen Rahmen des Familien- oder Gruppenbilds. Ihre Übersetzerin _Karin von Schweder-Schreiner_ ist es zu verdanken, dass dem Werk von Lidia Jorge auch in Deutschland – im Suhrkamp Verlag – die gebührende sprachliche Sorgfalt zukommt. Trotz des Namens der Stiftung hat Günter Grass selbst mit dem Preis nichts zu tun.

Am 24. November 2005 war nach langer Krankheit der Bestseller-Autor _Harry Thürk_ im Alter von 78 Jahren verstorben. Der in Weimar lebende Schriftsteller galt als „Konsalik des Ostens“. Zu seinen Erfolgen gehören der Antikriegsroman „Die Stunden der toten Augen“ und die in Fernost spielenden Romane „Der Tiger von Shangri-La“ und „Des Drachens grauer Atem“.

Anfang November ist _Detlef Pillat_ im Alter von 47 Jahren an einer schweren Muskelschwäche-Krankheit verstorben. Er war einer der engagierten Esoterik-Verlagsvertreter und lebte im Kulturzentrum ZEGG bei Belzig. Daneben unterstützte er viele sinnvolle politische Initiativen in seiner Heimatregion Hoher Fläming, u. a. das „Infocafe gegen Rechtsextremismus und Gewalt“, die Wiederaufforstungsaktion „Grüner Gürtel“ und eine von der Sängerin Ida Kelerova gegründete Roma-Initiative in Tschechien.

Am 15. Januar 2006 verstarb der 82-jährige anthroposophische Autor _Georg Kühlewind_, geboren am 6. März 1924. Bereits als Jugendlicher hatte er sich ausgiebig mit der Psychoanalyse beschäftigt, wobei er für sich entdeckte, dass die Probleme des Einzelnen sowie auch diejenigen der Gesellschaft primär ein Bewusstseinsproblem darstellen. Wichtig dabei war die Begegnung mit dem Kulturwissenschaftler Karl Kerenyi, der ihm die Mythologien begreiflich machte. 1944 wurde er unter den Nazis zum Arbeitsdienst verpflichtet und anschließend in mehrere Lager deportiert, darunter das KZ Buchenwald. 1945 wurde er von den Amerikanern befreit. Zur Anthroposophie stieß er erst im Jahre 1942. In seinen letzten Jahren beschäftigte er sich vor allem mit dem Phänomen sogenannter ADS-Kinder und nahm kritische Positionen zu dieser Diagnose ein.

Kurz nach seinem 75. Geburtstag verstarb am 27. Januar Altbundespräsident _Johannes Rau_ (SPD), der auch tief mit der Buchbranche verbunden war. Der gelernte Verlagsbuchhändler leitete in den 1960er Jahren den Peter Hammer Verlag in Wuppertal, der damals noch Jugenddienst-Verlag hieß, und arbeitete zwei Jahrzehnte als Verleger. Auch danach zeigte er seine Verbundenheit noch durch Taten. Er sprach zum Festakt des 175-jährigen Bestehens des Börsenvereins 2000, war Gast bei zahlreichen Börsenvereinsveranstaltungen, besichtigte die Schulen des Deutschen Buchhandels, war Schirmherr des Vorlesewettbewerbs, nahm den damaligen Vorsteher des Börsenvereins, Dieter Schormann, mit zum Staatsbesuch nach Spanien und sprach bei einer Veranstaltung in Berlin, mit der Börsenverein und PEN 2003 an den 70. Jahrestag der Bücherverbrennung erinnerten.

Im Juni eröffnet in Marbach das _Literaturmuseum der Moderne_ vom deutschen Literaturarchiv der Schillergesellschaft. Am 6. Juni wird die erste Ausstellung mit Bundespräsident Horst Köhler eröffnet. Gezeigt werden künftig Manuskripte und Dokumente aus dem literarischen Leben – Romanmanuskripte, handgeschriebene Briefe, Kladden und Notizbücher, Erstausgaben und Dokumente aus dem Leben der Schriftsteller und Dichter. Es ist der kostbare Rohstoff, den Wissenschaftler immer wieder aus den Magazinen fördern, um bisher Unveröffentlichtes zu publizieren, Werkausgaben zu revidieren oder neue Editionen zu planen. Rund 1200 Nachlässe und Vorlässe lagern im Deutschen Literaturarchiv – neben einer Reihe von Sammlungen und Verlagsarchiven: etwa von S. Fischer, Piper, Insel und Luchterhand. Das Gebäude ist treppenartig in den Hang neben dem Schiller-Nationalmuseum hineingebaut. Für Museumsleiterin Heike Gfrereis soll das „LiMo“ in erster Linie eine Brücke bauen: zwischen dem sammelnden Archiv, das seine Bestände „langsam, asketisch, esoterisch“ erweitert, und der Ausstellung, die die Betrachter unmittelbar ansprechen soll. Gfrereis will dem „flachen Papier zur Dreidimensionalität verhelfen“. In schrankhohen Vitrinen sind ab Juni in den vier unterschiedlich großen Ausstellungsräumen auf 1000 Quadratmetern Kostbarkeiten zu sehen: die Originalmanuskripte von Franz Kafkas „Prozess“, Martin Heideggers „Sein und Zeit“ und Alfred Döblins „“Berlin, Alexanderplatz“ sowie zahlreiche andere Texte und Dokumente von Jean Amery über Paul Celan bis Ernst Jünger, von Günter Grass über Sarah Kirsch bis Oskar Pastior. Neben der Dauerausstellung, die rund 600 Quadratmeter beansprucht, werden auf den übrigen 400 Quadratmetern im Wechsel Ausstellungen aus den Archivbeständen zu sehen sein. Gfrereis verfolgt beim Entwurf der Ausstellung ein ungewöhnliches didaktisches Konzept: „Dem Besucher wird keine Orientierung anhand von Schautafeln und tradierten Einteilungen der Literaturgeschichte geboten. Wir geben keine Handreichungen zu Leben und Werk von Autoren. Stattdessen gehen wir gleichsam archäologisch vor: Wir legen die Bestände des Archivs offen und stellen ihre phänomenale Seite, ihre Materialität, in den Vordergrund.“ So kann der Besucher künftig etwa Gedichte von Gottfried Benn in Augenschein nehmen, die der Dichter auf die Rückseite von Speisekarten schrieb, oder die Zettelkästen des Philosophen Hans Blumenberg. Gfrereis geht es darum zu „zeigen, wie Literatur aussieht, wenn sie ins Leben kommt, wenn sie geschrieben und gelesen wird“. Eine Navigationshilfe wird in Gestalt des Multimedia-Readers
„M 3“ gegeben, der Kurzführungen abspielt, Manuskripte transkribiert und Stimmen der Dichter zu Gehör bringt. Das Motto des ersten Jahresprogramms lautet „Zeigen“, unter der das Deutsche Literaturarchiv und das „LiMo“ zahlreiche Lesungen, Ausstellungen und Podien stellen – unter anderem zu Carl Schmitt, Arno Schmidt und Gottfried Benn. Im Literaturmuseum der Moderne werden also nicht nur Dichter Thema sein, sondern auch Wissenschaftler und Gelehrte. Zum Thema Carl Schmitt wird eine Editorentagung stattfinden, in die die beteiligten Wissenschaftsverlage einbezogen werden. Für Verlage wird das „LiMo“ künftig ein wichtiger Referenzpunkt sein; zeigt es doch die Literatur in ihrem Materialstadium und macht den Zusammenhang plastisch sichtbar, in dem die moderne deutschsprachige Literatur steht. Bereits vor der Eröffnung findet in Worms am Donnerstag, den 27. April, um 20 Uhr im Heylsschlösschen (Eingang Schlossplatz) bei freiem Eintritt, veranstaltet vom Nibelungenmuseum, ein Vortrag der Leiterin des „LiMo“ Dr. Heike Gfrereis „Museale Präsentation von Literatur“ statt, wo sie ihr Museumskonzept zwischen Tradition und Innovation vorstellt.
http://www.dla-marbach.de und http://www.nibelungen-museum.de

Wie im letzten Jahr berichtet, wollte der Bundestag die _Deutsche Bibliothek_ in _Deutsche Nationalbibliothek_ umbenennen. Dies ist nunmehr vom Bundesrat abgelehnt worden. Bayern und Berlin hatten eingewandt, dass die Bayrische Nationalbibliothek und die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz gleichrangige Funktionen hätten. Kulturstaatsminister Bernd Neumann verteidigt aber weiterhin die Umbenennung gegen die Kritik aus den Ländern: „Die Deutsche Bibliothek erfülle aufgrund ihres Sammel- und Archivauftrags seit über 90 Jahren die Kernaufgaben einer Nationalbibliothek“.

Wie schon in der vorherigen Buchwurminfo berichtet, ist _Gottfried Honnefelder_ vom Kölner Verlag Dumont Literatur und Kunst ab Januar 2006 neuer Vorsteher des Börsenvereins, zunächst bis zur Hauptversammlung im Mai. Sein Stellvertreter ist _Olte Schultheis_ (Bücherjolle Starnberg). Honnefelder war bislang Stellvertreter und rückte nach Ausscheiden von _Dieter Schormann_ nach. Mit dem neuen Vorstand beginnt eine Debatte um die Konzern-Marktkonzentrationen. Aggressives Marktverhalten soll im Licht der eigenen Regeln der Buchbranche bewertet und geprüft werden, wie weit Marktteilnehmer in ihrer Politik gegenüber Branchenkollegen gehen dürfen. Der Börsenverein sucht nicht die Konfrontation mit einzelnen Mitgliedern, sondern will gemeinsam mit ihnen die Marktentwicklung auf breitem Konsens bewerten und gegebenenfalls Branchenregeln überdenken. Zu prüfen, ob die Spielregeln, die sich die Branche selbst gegeben hat, von allen eingehalten werden und ob sie tauglich sind, bleibt Aufgabe des Verbandes. Da sich der Markt rasant verändert, will man auch künftig rascher zu Ergebnissen kommen. Das zeigt sich auch beim Thema Volltextsuche. Amazon und Google treiben ihre Projekte mit Hochdruck voran. Damit die Verlage die Hoheit über ihre Daten nicht aus der Hand geben müssen, feilt der Börsenverein an einer Branchenlösung zur „Volltextsuche online“.

Frankfurt ist um ein Schmuckstück reicher geworden. Korea hat sich als Dank für seinen Gastlandauftritt auf der _Frankfurter Buchmesse_ mit einem ganz besonderen Geschenk bedankt. Im Frankfurter Grünewaldpark befindet sich nun eine fernöstliche Anlage, die Korea gestiftet hat.
Bundeskanzlerin Angela Merkel warb beim amerikanischen Präsidenten dafür, dass die USA 2008 Gastland der Frankfurter Buchmesse werden. Als Buchliebhaberin hat sie sich zuvor nicht unbedingt präsentiert. 2003 besuchte sie zum ersten Mal die Frankfurter Buchmesse. Zumindest Laura Bush, die Gattin des amerikanischen Präsidenten, steht der Präsentation ihres Landes bei der Frankfurter Buchmesse wohlwollend gegenüber. Sie ist in den USA auch sehr engagiert, was das Thema Leseförderung anbelangt, und verfügt über gute Kontakte in der US-Verlagsszene.

|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/. |

Interview mit Thomas Finn

_Martin Schneider:_
Servus Tom, herzlichen Glückwunsch zu deinem gelungenen Roman [„Der Funke des Chronos“! 2239

_Thomas Finn:_
Dank dir. In dieses Buch ist auch sehr viel Herzblut hineingeflossen.

_Martin:_
Vielleicht stellst du dich jenen Lesern kurz vor, die dich bislang noch nicht kennen.

_Thomas Finn:_
Nun, ich bin 38 Jahre alt, Hamburger und mit Leib und Seele Schriftsteller und Autor. Angefangen mit dem Schreiben habe ich noch während meiner Schulzeit mit Fantasyrollenspiel-Publikationen, was sich dann während Ausbildung und Studium mehr und mehr hin zu Romanen, Drehbüchern und Theaterstücken entwickelt hat. Nach dem Studium habe ich einige Jahre lang als kommissarischer Chefredakteur bei dem Phantastik-Magazin |Nautilus| gearbeitet sowie als Lektor und Dramaturg in einem Drehbuch- und Theaterverlag. Seit 2001 lebe ich hauptberuflich vom der Schriftstellerei. Wer noch mehr über mich wissen möchte, dem empfehle ich einen Blick auf meine Webseite unter www.thomas-finn.de, »denn da wird Ihnen geholfen«.

_Martin:_
Wie kamst du auf die Idee, a) über eine Zeitreise, und b) im alten Hamburg zur Zeit des Großen Brandes zu schreiben?

_Thomas Finn:_
Die Grundidee zu dem „Funken“ kam mir bereits vor über zehn Jahren. Ich erfuhr damals, dass bis heute nicht geklärt ist, warum in einem Speicher an der Deichstraße ein Feuer ausbrach, das dann den Großen Brand von 1842 entfachte, der ein Drittel der damaligen Stadtfläche verwüstete. Rätsel dieser Art liebe ich, denn hier beginnt die Vorstellungskraft. Dies alles mit einer phantastischen Zeitreise zu verknüpfen, lag insofern nahe, als dass ich mich schon damals fragte, wie wohl das Leben um 1840 ausgesehen hat und ob ein heutiger Hamburger die Stadt überhaupt wiedererkennen würde. Ich habe diese Frage einfach sehr wörtlich genommen. Nebenbei sprechen wir hier von jener Epoche, die praktisch alle heute bekannten Hamburger Stadtoriginale hervorgebracht hat. Zum Beispiel den Wasserträger Hummel, der noch heute Pate steht für den vertrauten Hamburger Schlachtruf: „Hummel Hummel, Mors Mors!“ Hinzu kam, dass sich während und nach dem Brand auch entwicklungstechnisch ein Quantensprung in Hamburg vollzog: Die Eisenbahn hielt Einzug in die Hansestadt, außerdem ebnete der Große Brand im wahrsten Sinne des Wortes den Weg für zahlreiche Neubauten, die noch heute das vertraute Stadtbild Hamburgs prägen. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass mit 1842 die Moderne in Hamburg Einzug hielt.

_Martin:_
Wie würdest du diesen Roman beschreiben?

_Thomas:_
Als phantastischen Historien-Thriller – also fast so, wie auch der |Piper|-Verlag den Roman bewirbt. Denn trotz des Phantastik-Anteils dieses Romans war es ein großes Anliegen, das alte Hamburg so korrekt wie nur irgend möglich zu beschreiben. Das fängt bei Kleinigkeiten wie dem Aussehen einer Straßenlaterne an, reicht über Darstellungen des damaligen Polizeiwesens, der detailgetreuen Beschreibung einzelner Straßenzüge bis hin zur verwendeten Sprache der Protagonisten und Antagonisten. Trotz alledem standen beim Schreiben natürlich vor allem Story und spannender Handlungsaufbau im Vordergrund.

_Martin:_
Das Recherchieren der Fakten muss eine ganze Menge Zeit in Anspruch genommen haben, wie lange hast du dafür gebraucht?

_Thomas Finn:_
In dem Roman stecken gut und gerne zehn Jahre Recherchearbeit. Während des Schreibens griff ich auf etwa 60 zum Teil geerbte und heute schon lange nicht mehr erhältliche Bücher sowie noch einmal 80 weitere Artikel zurück, die ich in der Hamburgensien-Sammlung der Hamburger Staatsbibliothek gefunden oder schlicht in Zeitschriften oder im Internet erjagt habe. Manches zufällig, vieles aber auch sehr gezielt.

_Martin:_
Sind die durchaus skurrilen Szenen, die sich während des Brandes ereignen, wirklich so passiert?

_Thomas:_
Ja, fast alle. Ich konnte es anfänglich selbst nicht glauben, als ich zum ersten Mal davon las. Sei es die Sache mit der Familie, die den Sarg eines gerade verstorbenen Verwandten zu retten versuchte, sei es die Episode mit dem brennenden Zucker, der sich lawinenartig aus den Speichern in die Fleete ergoss, oder sei es die Begebenheit mit dem Kostümverleiher, der sich im Napoleonskostüm in Sicherheit brachte. Überhaupt habe ich in dem Roman derart viele Originalschilderungen der damaligen Zeit eingearbeitet, dass sie alle aufzuzählen den Rahmen dieses Interviews sprengen würde. So haben sich auch die beschriebenen Ereignisse im Elysium-Theater fast detailgetreu so zugetragen, wie ich es im Roman geschildert habe – sieht man mal davon ab, dass vielleicht nicht alles an genau einem Tag passiert ist. Die historischen Rechercheergebnisse mit der eigentlichen Handlung zu verbinden, hat aber gerade den Spaß beim Schreiben ausgemacht.

_Martin:_
Du bezeichnest deinen Roman als Hommage an H.G. Wells‘ [„Die Zeitmaschine“; 1414 warum war es dir ein Anliegen, dies zu tun?

_Thomas Finn:_
Weil mich die 50er-Jahre-Romanverfilmung der »Zeitmaschine« schon als Kind nachhaltig beeindruckt hat. Wann immer die Morlocks auftauchten, tauchte ich hinter den Fernsehsessel ab. Nach zehn- bis zwölfjähriger Pause habe ich den Film dann erstmals mit 21 Jahren zur Gänze gesehen. Kein Wunder also, dass mein Protagonist mit keiner geringeren Maschine in die Vergangenheit reist als mit DER Zeitmaschine. Auch das sicher überraschende Ende des Romans stand bereits seit zehn Jahren fest.

_Martin:_
Warum hast du ausgerechnet Heinrich Heine für dein Buch ausgewählt?

_Thomas:_
Auf Heinrich Heine bin ich vor vier Jahren eher durch einen Zufall gestoßen. Während meiner Brandrecherchen stieß ich auf einen Eintrag, in dem fälschlicherweise behauptet wurde, dass sich Heine während der Katastrophe in Hamburg aufhielt. So bin ich aber immerhin auf seine familiären Verflechtungen zur Hansestadt und auch auf sein besonderes Verhältnis zu seinem Hamburger Onkel Salomon Heine aufmerksam geworden. Und je mehr ich über Heine las, desto mehr zeichnete sich ab, dass er als eine meiner Hauptfiguren Einzug in die Handlung halten würde.

_Martin:_
Wie sieht es mit deinem Verständnis der deutschen Dialekte aus, als gebürtiger Amerikaner? Schließlich verwendest du neben dem nicht ganz einfachen Hamburger Plattdeutsch auch noch Jiddisch und Hessisch in deinem Roman.

_Thomas:_
Ach Gott, du spielst auf meinen Geburtsort Chicago an? Ich gestehe, im Klappentext eines Buches macht sich der recht gut. Gut, dass kaum einer weiß, dass meine Eltern – übrigens beide Hamburger – nach einem zweijährigen USA-Aufenthalt und nur ein halbes Jahr nach meiner Geburt wieder zurück nach Deutschland gezogen sind …

Was die verwendeten Dialekte im „Funken“ betrifft, die habe ich speziell von versierten Fachleuten aus dem Hochdeutschen übersetzen lassen. Aber damit kommen wir zum Bereich der Tricks, über die weder Zauberkünstler noch Autoren gerne sprechen. Offiziell beherrsche ich neben dem Hochdeutschen natürlich auch Plattdeutsch, Hessisch, Jiddisch und mindestens acht weitere deutsche Mundarten fließend. Was denkst du denn …?

_Martin:_
Du verwendest noch die alte Rechtschreibung. Bequemlichkeit, Überzeugung oder Verlagsdogma?

_Thomas:_
Eine Vorgabe des |Piper|-Verlags. Die Verlage haben da ganz unterschiedliche Richtlinien. Als ich einem Monat nach dem „Funken“ an meinem nächsten Buch saß, musste ich wieder auf die neue Rechtschreibung umschwenken. Da freut man sich, dass es Lektoren gibt.

_Martin:_
Die Figuren, die du verwendest, wie Caroline Lewald oder Polizeiaktuar Kettenburg, sind alles andere als Stereotypen. Hast du darauf besonderen Wert gelegt?

_Thomas:_
Na klar. Eigentlich sollte man sich immer darum bemühen, Stereotypen zu vermeiden. Schön, dass es mir hier gelungen zu sein scheint. Wichtig scheint mir, dass man jede Figur seiner Geschichte liebt. Und das muss der Leser am Ende auch merken.

_Martin:_
Besonders hat mir die Figur des Uhlen (althamburgisch für Nachtwächter) Borchert gefallen. Wie kamst du auf die Idee, diesen Typ so zu gestalten? Vor allem ist die Wandlung des Charakters interessant, von Kettenburgs Sidekick zum Alleskönner.

_Thomas:_
Es ist witzig, manche sehen in Borchert sogar die heimliche Hauptfigur des Romans. Ursprünglich war der dicke Uhle nicht einmal eingeplant, doch als die Rolle von Polizeiaktuar Kettenburg feststand, entwickelte sich mit ihm auch der Nachtwächter. Und damit auch der Gag mit Borcherts weit verzweigter Verwandtschaft. Bei alledem schwingt natürlich ein Hauch von Sherlock Holmes und Watson mit, nur eben unter völlig anderen Vorzeichen. Ich denke, es ist die grundehrliche Haltung dieses Mannes, gepaart mit seiner anrührenden Art, mit der er erst mein Herz und damit einhergehend dann auch die der Leser erobert hat. Es hat beim Schreiben ein oder zwei Stellen gegeben, wo Borchert mich ernsthaft zu Tränen gerührt hat. Erstaunlich, dass ich das als Autor so sagen kann. Vielleicht ist es ja doch so, dass gute Geschichten nicht erschaffen werden, sondern sich nur des Autors als Medium bedienen.

_Martin:_
Dann lege doch bitte hier, exklusiv für unsere Leser, die Familienverhältnisse von Borchert offen!

_Thomas:_
Pah, so weit kommt es noch. Selbst ist der Mann oder die Frau!

_Martin:_
Du hast ja auch noch einige Gezeitenwelt-Romane geschrieben. Da ich gestehen muss, dass ich noch nichts von der Gezeitenwelt gelesen habe, bitte ich dich, mir eine kurze Einführung in diese Romanreihe zu gewähren.

_Thomas:_
Bei der Gezeitenwelt handelt es sich um eine epische Romansaga, die ich gemeinsam mit meinen Kollegen Bernhard Hennen, Hadmar von Wieser und Karl-Heinz Witzko unter dem Gruppen-Pseudonym „Magus Magellan“ erschaffen habe. Bei dieser Saga geht es um eine Welt, die nach dem Einschlag eines großen Meteoriten von einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes heimgesucht wird. Und als wäre das noch nicht genug, hält nach dem Einschlag eine wundersame Magie Einzug in die Gezeitenwelt, die Träume aber auch Albträume wahr werden lässt. Wer mehr zu alledem wissen möchte, ist herzlich dazu eingeladen, einen Blick auf unsere Webseite unter http://www.gezeitenwelt.de zu werfen.

_Martin:_
Einige unserer Leser werden dich hauptsächlich als Autor im Rollenspiel-Genre kennen. Wann gibt’s neuen Lesestoff von dir für die „Das Schwarze Auge“-Fans oder das Rollenspiel allgemein?

_Thomas:_
Eigentlich immer wieder, sobald ich Zeit dazu finde. Im März 2006 erscheint die Hörbuchversion meines DSA-Romans [»Das Greifenopfer«, 1849 der vom |Horchposten|-Verlag wirklich großartig vertont wurde. Und erst Ende letzten Jahres habe ich dem Hexer-Regelband von |Pegasus| ein ausführliches Cthulhu-Abenteuer beigesteuert. Auch dieses Jahr wird sicher noch das eine oder andere von mir zu erwarten sein.

_Martin:_
Bleibt dir überhaupt noch Zeit, selber Rollenspiele zu spielen?

_Thomas:_
Ja. Die nehme ich mir einfach. Für mich sind Fantasy-Rollenspiele selbst nach 20 Jahren nicht nur ein fantastisch-schöner Zeitvertreib, sie sind nebenbei auch ein hervorragendes Testgelände für neue Ideen. Solange ich mich für spannende Geschichten begeistern kann, werden die fantastischen Rollenspiele ganz sicher einen festen Platz in meiner Freizeitgestaltung einnehmen.

_Martin:_
Sowohl in [„Das Greifenopfer“ 1849 (Orklandschildkröte) als auch in „Der Funke des Chronos“ (tote Katze) wird sofort zu Beginn etwas überfahren. Irgendwelche schlechten Erfahrungen im Hamburger Feierabendverkehr gemacht?

_Thomas:_
Diese Frage ringt mir ein Schmunzeln ab. Die beschriebenen Ähnlichkeiten sind mir nämlich erst durch deine Anmerkung bewusst geworden. Nein, mit dem Hamburger Feierabendverkehr hat das ganz sicher nichts zu tun. Den erlebe ich bei meinem Job nur sehr selten als unmittelbar Beteiligter. Mein Feierabend, wenn du so willst, endet nämlich regelmäßig erst so gegen 3 Uhr morgens.

_Martin:_
Was ist in nächster Zeit von dir zu erwarten? Wie sieht es mit weiteren Projekten aus?

_Thomas:_
Bereits im Juli erscheint bei Ravensburger mein neuer Roman „Das unendliche Licht“. Darin verschlägt es einen jugendlichen Irrlichtsammler in eine Stadt namens Hammaburg, wo er als Zauberlehrling ausgebildet wird. Dieses Hammaburg ist aber eingebettet in eine sehr fantastische Welt, die von der besetzten Insel Albion im Norden bis hinunter zum Alptraumgebirge im Süden reicht. Und natürlich wird diese Welt von einer großen Bedrohung heimgesucht. Ich verspreche schon jetzt spannende Unterhaltung.

Der Roman bildet übrigens den Auftakt zu einer Trilogie, was die Frage nach den nächsten Romanen beantwortet, an denen ich schon in Kürze sitzen werde. Weitere Romanideen liegen bereits in der Schublade.

Desweiteren bin ich seit 2005 Mitgesellschafter der Historia Hanseatica GmbH, eine Theaterproduktionsgesellschaft, deren Ziel es ist, 2007 die Geschichte des bekannten Piraten »Störtebeker« als großes Theaterspektakel in Hamburg aufführen – und gleich auch noch ein großes Theater dazu zu bauen. Aktuell arbeiten mein Partner Volker Ullmann und ich am Ende der ersten Stückfassung. Wer noch dieses Jahr ein Theaterstück aus unserer Feder miterleben will, dem empfehle ich ab dem 10. Juni einen Besuch der Freilichtspiele in Breisach bei Freiburg. Denn dort wird nach dem großen Erfolg der Uraufführung 2005 im Alten Schauspielhaus in Stuttgart unser Theaterstück „D’Artagnans Tochter & die drei Musketiere“ ein weiteres Mal aufgeführt werden. Außerdem liegt hier auf meinem Schreibtisch die ziemlich konkrete Anfrage nach einem Hörspiel. Du merkst, das Jahr wird sehr arbeitsreich.

_Martin:_
Dann bedanke ich mich für dieses Interview und werde dich nicht länger von der Arbeit abhalten. Letzte Worte?

_Thomas:_
Nun denn: Lest mehr Bücher!

http://www.thomas-finn.de

Rezensionen zu:
[„Das Greifenopfer“ 1849
[„Der Funke des Chronos“ 2239

Krieg der Religionen

Ein beachtliches Werk, das die beiden Autoren dem interessierten Leser hier vorlegen. Führten die beiden Vorgänger-Bücher „Der Schatten des Dalai Lama“ (1999) zu einem Aufschrei in der Esoterik-Szene und „Hitler – Buddha – Krishna“ (2002) etwas abgemildert zu ähnlichen Turbulenzen, weil entgegen gängiger Forschung die Nazi-Diktatur auf Religionsebene betrachtet wurde, ergibt sich mit dem neuesten Werk ein differenzierteres Bild. Keinesfalls ist der Kurs ein anderer geworden und die vorgelegten Recherchen – nunmehr zu Judentum, Christentum und Islam – werden nicht weniger Wellen schlagen. Aber alle drei Bände im Zusammenhang eines Gesamtwerkes betrachten zu können, ermöglicht einen völlig anderen Blickwinkel auf die Intention der Autoren und führt in der Beurteilung der einzelnen Titel dadurch ebenso zu vollkommen anderen Ergebnissen. Als Gesamtbild ergibt sich keine Diffamierung mehr gegenüber einer speziellen Religion, sondern der Blick auf ein zeitgenössisches umfangreiches Forschungsgebiet zur notwendigen Kritik an den gefährlichen Schatten der gegenwärtigen Religionen wird eröffnet, und dies ist ein durchaus wichtiger Beitrag aktueller Kultur- und Politikreflektion.

Der Titel „Krieg der Religionen“ meint nicht explizit, dass Religionen in Krieg miteinander getreten wären, sondern bezieht sich auf die fundamentalistischen Kräfte innerhalb der Religionen, die sehr wohl mehr denn je im Krieg miteinander stehen; dass dies möglich werden konnte, ist allerdings in den Grundformen der religiösen Texte bereits implantiert. Allenorts setzen sich heutzutage wieder die Glaubensvorstellungen durch, wir befänden uns in der Zeit der nahenden Apokalypse. Dieses Wort ist ursprünglich ein Begriff der monotheistischen abrahamitischen Religionen und tauchte erstmals im Christentum als „Apokalypse des Johannes“ auf. Eigentlich hanelt es sich um ein griechisches Wort für „Offenbarung“ oder „Enthüllung“, weswegen zu Recht der entsprechende Text des Johannes auch „Johannes-Offenbarung“ genannt wird. Aber durch das, was in diesem Text enthalten ist, hat sich der heute allgemein benutzte Apokalypse-Begriff als Verständnis für den absoluten chaotischen Umbruch durchgesetzt und wird nunmehr auch in anderen als christlichen Religionen im selben Sinne verwandt. Im Vordergrund des apokalyptischen Krieges der Religionen stehen derzeit auf politischer Weltebene lediglich die drei genannten „Weltreligionen“ im Mittelpunkt der Ereignisse. Alle sind sie vom Kampf „Gut“ gegen „Böse“ besessen, und die Aussagen eines Osama Bin Laden unterscheiden sich in ihrer frommen Maske nicht von denen eines George Bush oder anderer christlichen Fundamentalisten. Die beiden Autoren zeigen auf, wie austauschbar das scheinbar „Gute“ ist und wie es von jedem beliebig benutzt werden kann – selbst von den extremsten Gewalttätern.

In Deutschland werden die Bezüge auf Religion in der Politik glücklicherweise noch nicht geteilt, aber dadurch auch viel zu wenig beachtet. Dabei kann sich all dies schneller ändern, als viele in Unkenntnis der gegenwärtigen Realität vermuten würden. Nach neuesten Statistiken vom April 2005 glauben 63 % der Amerikaner, dass die Bibel das „Wort Gottes“ ist und wörtlich zu verstehen sei und nur 24 % glauben dies nicht. Ihnen geht es darum, ob Satan oder Gott die Oberhand behält, und das „Böse“ sind nicht nur die berüchtigten Diktatoren, sondern vor allem Liberale, Sozialisten, Kommunisten, Homosexuelle und Feministinnen. „Die feministische Agenda kümmert sich nicht um Frauenrechte. Es handelt sich hierbei um eine sozialistische, antifamiliäre Bewegung, die Frauen dazu auffordert, ihre Ehegatten zu verlassen, ihre Kinder zu töten, Hexerei zu betreiben, den Kapitalismus zu zerstören und Lesben zu werden“. Sie sind fest davon überzeugt, dass der Anti-Christ eine neue Religion gründet, und machen dies an der aus der Hippie- und Protestbewegung der in den 60er Jahren entstandenen New-Age-Szene fest. Dieser werden Häresie, Paganismus, Okkultismus, Dämonenglaube und Teufelsdienst vorgeworfen. Tatsächlich ist es ja auch so, dass aus dem New Age mittels Anleihen bei den etablierten Glaubensrichtungen Judentum, Christentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus gepaart mit Astrologie, Spiritismus, Magie, Tiefenpsychologie, Naturheilkunde und Drogenexperimenten eine neuer „synkretistischer Religionsmix“ entstanden ist. Aus dem religiösen Feminismus vor allem, der sich offen zur Hexentradition bekennt und seine eigenen Riten praktiziert, ist spätestens zur Jahrtausendwende die aufblühendste „neue“ Religionsform erstanden, die fast als einzige der derzeitigen Religionen täglich Zuwächse statt der Austrittswellen verbuchen kann.

Fast ganz Amerika schaut zudem argwöhnisch bis verachtend auf Europa, denn die hiesigen Werte, wo kaum noch jemand in die Kirchen geht, sind vollkommen andere. Eine Mehrheit der Amerikaner glaubt, dass hier der Anti-Christ geboren wird, und leitet diese Ansicht aus der „Offenbarung“ ab. Dieser hat als „Tier“ zehn Hörner und zehn Könige, die noch nicht zur Herrschaft gelangt sind, und jene stehen für das „Alte Europa“, das vor der Erweiterung zehn Mitgliedsstaaten hatte. Die zwölf Sterne in der europäischen Flagge sind die |corona stellarum duodecim| (die Zwölf-Sternen-Krone) des apokalyptischen Weibes. Wo in der herkömmlichen Kirche diese Kirche die Braut Gottes ist, ist das satanische Gegenstück die Hure Satans. Diese ist von der Sonne bekleidet und schwanger, sie steht mit den Füßen auf dem Mond und trägt den Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Europa hat seinen Namen von der kretanischen Zeusgeliebten Europa, und da in der EU-Ästhetik diese auch auf dem Stier abgebildet wird, sei das der Beweis aus der Offenbarung: „Dort sah ich eine Frau auf einem scharlachroten Tier sitzen, das über und über mit gotteslästerlichen Namen beschrieben war“. Das alles habe Tradition: Schon in der Hymne Europas, Friedrich Schillers „Ode an die Freude“, vertont von Beethoven in seiner 9. Symphonie, wird die heidnische Göttin besungen, die durch magische Mittel alle Menschen zu einer anti-christlichen Bruderschaft vereinigen wolle. Da diese als Hure Babylons bezeichnet wird, sieht man die Sprachenvielfalt Europas auch als Zeichen der in der Bibel verwendeten Sprachverwirrung zu Babel.

Linke Christen machen – müsste ich in diesem austauschbaren Chaos eine Realität wählen, wäre mir diese Sichtweise viel sympathischer – dagegen all das in den USA selber aus. Sie sehen im globalen amerikanischen Kapitalismus die große Hure und setzen in der Offenbarung für die Bezeichnung „Babylon“ das Wort „Amerika“ ein: Die Nation Babylon (Amerika) ist von Wassern umgeben. Die Völker der Welt müssen das Meer überqueren, um mit ihr Handel zu treiben. Sie wird von Menschen verschiedener Rassen bewohnt, einem Völkergemisch, das dem amerikanischen |melting pot| entspricht. Sie ist militärisch äußerst mächtig, sie ist arrogant, stolz und überheblich. Die anderen Nationen der Erde werden von ihr beherrscht. Sie ist die größte ökonomische Macht, so dass die Kaufleute der Erde um sie weinen, als ihr Untergang bevorsteht, weil niemand mehr ihre Waren kauft. Durch ihre ökonomische Macht kontrolliert sie die Welt. Ihre Einwohner leben in Überfluss und Luxus, und so fort – alles Bibelverweise.

Einig ist man sich aber darüber, dass die Schlacht der Apokalypse im Nahen Osten stattfinden wird, und diese Ansicht wird von den Juden, den Christen wie den Mohammedanern geteilt. Begonnen – in der Wahrnehmung dieser Art – habe alles mit dem Attentat auf das World Trade Center am 11.9.2001, obwohl das in diesem Zusammenhang recht eigentümlich anmutet: Angegriffen wurden ja keine Symbole des Christentums, sondern solche des Kapitalismus und der profanen westlichen Gesellschaft. Wenn es um einen religiösen Angriff ging, dann höchstens gegen das System der Gottlosigkeit, wie es alle fundamentalistischen Vertreter des Islam bis dahin auch vertreten hatten. Interessant war die Reaktion US-Amerikas, das sich sofort auf den Iran und Saddam Hussein einschoss, obwohl der mit den Attentaten nachweislich wohl am wenigsten in Zusammenhang zu bringen war. Dass dies dennoch in solcher Weise geschah, hat aus religiöser Betrachtung mit der ältesten überlieferten „apokalyptischen“ Geschichte des Kampfes Gut gegen Böse zu tun – dem babylonischen „Enuma Elish“, wo Marduk (das Gute geordnete Männliche) gegen seine Großmutter Tiamat (das Böse chaotische Weibliche) antrat. Die späte „Hure Babylon“ aus der Johannes-Offenbarung ist noch diese Tiamat. Der babylonische König Nebukadnezar II. (604 – 561 v. Chr.) erbaute einen Marduk-Tempel und eroberte Jerusalem. Als dessen Wiedergeburt und Nachfahre sah sich Saddam Hussein, der, wie auch schon Alexander der Große, Babylon (Bagdad) wieder zum Großreich aufbauen wollte und auch als Eroberer von Jerusalem in die Geschichte einzugehen gedachte. Er setzte alles ein, um die enorme kulturelle Erbschaft der ältesten Zivilisation wiederaufleben zu lassen, und veranstaltete ritualisierte Feste, auf denen man die archaischen Zivilisationen des Zweistromlandes feierte. Stein für Stein ließ er das berühmte Tor der Ischtar wieder aufbauen, versehen mit der Inschrift „Ischtar – die Überwinderin der Feinde“. Ischtar war die babylonische Kriegsgöttin, stand aber im kultischen Dienst des Marduk. Hussein war als Inkarnation Nebukadnezars gleichzeitig auch Gott Marduk selbst. Sein Slogan „Mutter aller Schlachten“ aus dem ersten Golfkrieg war eine Metapher aus den „Hymnen an die Ischtar“. Die Amerikaner sprachen danach von der „Mutter aller Bomben“, die sie einzusetzen drohten, was glücklicherweise nicht geschah. Mit dem Bezug auf die alten Traditionen suchte Hussein nach einem Mythos, der die Spaltung des Landes zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden überwinden konnte. Mit seiner „Babylonisierung“ des Landes wollte er eine irakische Identität jenseits aller ethnischen Unterschiede, jenseits des Islams und jenseits der sozialistischen Baath-Partei erreichen, die sich von der übrigen arabischen Welt unterschied.

Für die christlichen amerikanischen Fundamentalisten war aber genau das das Schreckensbild. Babylon und Nebukadnezar verkörpert für sie den Anti-Christen. Nebukadnezar war der Weltherrscher und Satan bezeichnet man ja auch als „Fürsten der Welt“. Schon für Bush sen. war Saddam Hussein deswegen die Inkarnation des leibhaftigen Teufels. Und dessen Festnahme 2003, als man ihn aus seinem Bunkerversteck holte, war für Bush jun. eine höchst religiöse Angelegenheit. Durch ihre Bibelinterpretationen ist das Wichtigste im gegenwärtigen „heiligen Krieg“ die Auseinandersetzung mit Jerusalem als gutem und Babylon (Irak) als bösem Sinnbild – alles andere Islamische steht weit hinten an.

Sie erwarten die Wiederkehr des Messias, und nur durch solche Mythen konnte auch ein Arnold Schwarzenegger überhaupt seine Wahlen zum Gouverneur von Kalifornien gewinnen, denn er spielte in mehreren Filmen einen apokalyptisch-messianischen Helden, der mit übermenschlicher Kraft und brutalster Gerechtigkeit das Böse vernichtet und dem Guten zum Sieg verhilft. Die Mehrheit der Amerikaner wartet auf den „Christus mit der Knarre“. Für das hiesige christliche Denken ist das sehr entfernt vom Pazifismus des Neuen Testaments, aber in den Evangelien gibt es genügend Stellen, die Derartiges anklingen lassen; spätestens in der Johannes-Offenbarung hat der dort prophezeite blutrünstige Messias nichts mehr zu tun mit dem leidenden, sich selbst aufopfernden und auferstandenen Christus der Evangelien. Die ganze Propaganda für die im Krieg befindlichen Soldaten ist auf den wirklichen Kampf gegen den Teufel ausgerichtet. Selbst die bekannt gewordenen Folterungen stehen in diesem Zusammenhang, die von fundamentalistischen christlichen Generälen angeordnet waren. Was die islamische Welt so sehr in Aufregung versetzte, war genau das, was auch bezweckt war. Es waren religiöse Demütigungspraktiken an den Gefangenen, die gezwungen wurden, dem Islam und Allah abzuschwören, Schweinefleisch zu essen, Alkohol zu trinken (was nach dem Koran verboten ist) und Jesus Christus dafür zu danken, dass sie nicht noch mehr gefoltert werden. Im Grunde geht es dem amerikanischen Militär im ganzen Krieg und der Praxis an den Gefangenen um einen Exorzismus. Die christlichen Gebete der Amerikaner sind auch nicht mit unseren stillen privaten Gebeten vergleichbar. Dort sind es inszenierte Massengebete mit zunehmend aggressiven Inhalten. Die Soldaten der Marines im Irak-Krieg haben ein Mini-Gebetbuch in der Tasche („Die Pflicht des Christen“), worin es Seiten zum Herausreißen gibt, die an das Weiße Haus geschickt werden und in denen vorgedruckt vermerkt ist, dass der Soldat für George W. Bush bete. „Ich habe mich verpflichtet für Sie zu beten, für Ihre Familie etc.“. Christliche Fundamentalisten sind auch der Ansicht, dass Bush nicht durch Wahlen an die Macht kam, sondern direkt durch das Eingreifen Gottes.

Der Islam kämpfte stets gegen „Satan Amerika“ als Symbol der Gottlosigkeit. Erst nach 2001 erkannten die Impulsgeber, dass sie es mit einem religiös geleiteten christlichen Gegner zu tun haben, der offensiv einen Krieg gegen den Islam begonnen hat. Da es offensichtlich im Zentrum im Grunde noch immer um den Kampf um die heilige Stadt Jerusalem geht, wurde ein realer Krieg der Religionen offenbar perfekt. Nunmehr wird in den islamischen Ländern lauthals und ohne Hemmung zum Krieg der Religionen aufgerufen, und Amerika ist noch vor Israel der gemeinsame Feind Nr. 1. Und dem fundamentalchristlichen Amerika ist das nur recht so. Allah ist für sie sowieso nur ein Mondgott von Mekka, was das Emblem der islamischen Mondsichel zeigt. Er ist ein anderer Gott als Jehova, und Mohammed war aus ihrer Sicht ohnehin nur ein von Dämonen besessener Pädophiler, der zwölf Frauen hatte, und was er lehrte, sei keine friedliche Religion. Mohammed gilt als erster Terrorist. Entsprechende christlich-fundamentalistische Internetseiten rufen genau wie Araber inzwischen zur Tötung jedes Mohammedaners auf, mit den schändlichsten, abscheulichsten Beschreibungen, wie dabei vorzugehen sei. Araber seien Abschaum und die Moscheen sollten niedergebrannt werden. Auf Mekka und Medina sollen Atombomben fallen, und sogar der US-Senator Guy W. Glodis verteilte 2003 Flugblätter, in denen stand, muslimische Extremisten sollten mit den Innereien getöteter Schweine begraben werden.

Amerika führt keine Befreiungskriege im arabischen Raum, sondern missionarische Kreuzzüge, um die Mohammedaner zum Christentum zu bekehren. Leidtragende im Irak sind dann allerdings auch die dortigen einheimischen christlichen Kirchen, die unter Sadam Hussein Religionsfreiheit genossen und keine Konflikte mit der muslimischen Mehrheit hatten. Seit dem Einmarsch der amerikanischen Soldaten werden aber auch diese nunmehr von den Untergrundorganisationen attackiert – ihre Kirchen werden in die Luft gesprengt und einheimische Christen werden wegen ihres Glaubens ermordet. Die armenischen, assyrischen und chaldäischen Religionsgemeinschaften stehen im Visier der islamischen Fundamentalisten und sind auf der Flucht ins Ausland. Dabei waren alle einheimischen Christengemeinschaften aus dem Nahen und Mittleren Osten gegen den Präventivschlag der Amerikaner. Die orthodoxe Kirche im Heiligen Land gab feierlich bekannt, George Bush, Donald Rumsfeld, Tony Blair und dem britischen Außenminister Jack Straw sei es verboten, die Geburtskirche in Bethlehem zu betreten. Die irakischen Christen verglichen nach dem Fall von Sadam Hussein die US-Besetzung ihres Landes mit der Kreuzigung Christi. Vor allem die katholische Kirche aber machte unter Papst Johannes Paul II. Front gegen den Irak-Krieg. Bei Demonstrationen vor dem Weißen Haus wurden hochrangige Religionsvertreter wie der römisch-katholische Bischof Thomas Gumbleton festgenommen. Ausschlag für die Wut in der islamischen Welt ist das offensichtliche Verhalten der Amerikaner, die im berüchtigten Folterknast Guantamano Koranausgaben vor den Augen der Inhaftierten die Toiletten herunterspülen. Nach der Scharia werden solche Religionsverbrechen mit der Todesstrafe geahndet, da Gott selbst wegen solcher Verunglimpfung höchstpersönlich attackiert werde. Diese Respektlosigkeiten führen zu mehr Unmut in der arabischen Welt als die Demütigungen der Folterskandale von Abu Ghraib. Entschuldigungen der US-Regierung werden für Lügen gehalten, was auch wahrscheinlich so ist, denn die Verantwortlichen an der Spitze der Befehlskette – wie Drei-Sterne-General William Boykin (Gotteskrieger, Islamhasser und Teufelsaustreiber) und Donald Rumsfeld – bleiben in ihren Machtpositionen. Aber auch der Präsident George Bush selbst teilt deren Ansichten, dass es ein Kampf gegen das Böse – den Islam – sei. Der US-Psychiater und Gewaltforscher Robert Jay Lifton hält dessen Strategie, die Welt in Gut und Böse einzuteilen, in Kombination mit der fundamentalistischen Religiösität als wiedererweckter Christ und dem Supermacht-Syndrom für eine der gefährlichsten Kombinationen, denen die Welt gegenübersteht. Seit 2001 benutzt Bush den Begriff Kreuzzug, was für die islamische Welt Osama Bin Laden bestätigt, der bereits in seinem Statement zum 9/11 vom „neuen jüdischen Kreuzzug, der von dem großen Kreuzzügler Bush unter der Flagge des Kreuzes geführt wird“ sprach.

Die Gründung Groß-Israels mit Jerusalem als Hauptstadt geht nach Ansicht der fundamentalistischen Christen wie auch der Juden dem zweiten Kommen Christi bzw. dem Messias voraus. Das schweißt die Christen mit der radikalen zionistischen Siedlerbewegung für ein Zweckbündnis zusammen. Sie wollen dafür ein Israel, das sich von der Sinai-Wüste bis zum Euphrat-Fluss erstreckt und das heutige Israel, den Libanon, die Westbank von Jordanien, wesentliche Teile von Syrien, Irak und Saudi-Arabien umfasst. Die Nazis unter Hitler, welche das auserwählte Volk in das auserwählte Land zurücktrieben und somit halfen, die bedeutendste Prophezeiung zu erfüllen, werden deswegen auch als ein Instrument in der Hand Gottes gewertet. Auch im Islam sei man der Ansicht, dass der Holocaust – das Abschlachten der Juden durch Nazis – eine der bösen Taten der Juden selbst war, denn es sei von jüdischen Führern geplant und Teil der eigenen Politik gewesen. Unter den Christen wird nun ein zweiter Holocaust unter den Juden erwartet, dem zwei Drittel zum Opfer fallen sollen; das restliche Drittel würde dann zum Christentum bekehrt. Das gegenwärtige freundschaftliche Bündnis zwischen Christen und Juden sei nur ein Zwischenschritt, bevor die Christen in gewohnt antisemitischer Weise brutal gegen die Juden vorgehen wollen.

Es geht nicht darum, dass alle Juden Zionisten wären – was ja die israelische Friedensbewegung unter Beweis stellt, ebenso wie manche orthodoxe Rabbis, die eine Auflösung Israels wollen und einen gesamtpalästinensischen Staat unterstützen, weil sie den atheistischen Zionismus ablehnen. Sie erwarten nicht die Ankunft Israels, sondern die Ankunft des Messias. Den Unabhängigkeitstag Israels begehen sie als Trauertag und arbeiten eng mit der palästinensischen PLO zusammen. Die erneut die Macht übernehmenden radikalen Siedler in Israel aber berufen sich auf die Geschichte, wie man sie auch in der Bibel nachlesen kann, und dort kann jeder die Abscheulichkeiten der Juden unter Gottes Befehl an nichtjüdischen Stämmen und Volksgruppen nachlesen. Es ist widerwärtig und ohne jegliche Moral, in welcher Weise da „geschlachtet“ wurde. Josua, der damals Jericho stürmte, 31 Stammesführer verstümmelte und bei der Eroberung der Stadt Ai zwölftausend Frauen und Männer abschlachtete, ist heute das Vorbild der israelischen Armee. Ihr Gott Jahwe geht aber auch genauso gegen das eigene Volk vor, wie das Massakrieren der dreitausend Anbeter des Goldenen Kalbes, welche die Führerschaft Moses in Frage stellten, aufzeigt.

Die Propaganda westlicher „Krieg gegen den Terror“-Akteure wie Bush und Blair ist ähnlich wie früher jene gegen den Kommunismus. Es gibt auch tatsächlich viele Ähnlichkeiten zwischen Kommunismus und dem neuzeitlichen Islamismus. Beide haben den westlichen Kapitalismus und internationalen Wirtschaftsimperialismus als Gegner, beide zielen auf eine Weltrevolution, beide sind international und nicht nationalistisch ausgerichtet, beide berufen sich auf die Massen (die einen auf das Proletariat, die anderen auf die „Umma“, die Gemeinschaft der Muslime). Der Unterschied ist, dass sich der Kommunismus an einer politischen Theorie orientiert, der Islamismus aber an einer politischen Theologie. Der Islamismus hat aber bei seiner Herausbildung Anleihen bei der kommunistischen Ideologie gemacht, hat sich einen dialektischen Denkstil zugelegt und eine internationale Revolutionstheorie entwickelt. Gegenwärtig verfügt er über eine effektive Agitprop-Erfahrung und hat viel von den kommunistisch gefärbten Guerillabewegungen der Dritten Welt gelernt. Trotz dieser Modernisierung leitet sich die Theorie aber dogmatisch aus der Tradition des Islam ab. Ihre Theoretiker konnten religiöse, archaische und mythisch-mystische Gesellschaftsentwürfe in einer modernen, rationalistischen Sprache darstellen. Waren es im letzten Jahrhundert noch Vertreter von Bruderschaften, die nach der Scharia lebten, geht es seit den Achtzigerjahren um den Heiligen Krieg für eine islamische Weltherrschaft. Vom Kommunismus unterscheidet sich dies darin, dass der Islamismus nicht in einer internationalen Partei organisiert ist; die vielen Gruppen werden nicht in einer „Islamistischen Internationale“ präsentiert. Dennoch ist daraus mittlerweile eine weltweite Kulturströmung innerhalb des Islam geworden.

Al Qaida ist die einzige Organisation, die an eine Islamistische Internationale erinnern könnte, ist aber mit der Rolle der Kommunistischen Internationale dennoch nicht vergleichbar. Die gefährlichen Selbstmordattentate waren früher im Islam verboten, jedenfalls bei den Sunniten, der Mehrheit der Mohammedaner. Heutzutage werden solche Attentate viel häufiger durch Sunniten begangen als durch traditionelle Märtyrer-Operationen der Schiiten. Zu dieser Entwicklung haben die Israelis beigetragen, als sie in den 80er Jahren palästinensische Aufständige und Fatah-Kämpfer, die alle Sunniten waren, in den Libanon deportierten, wo diese in Kontakt zu der schiitischen Hisbollah traten. Aus dieser Begegnung entstand eine explosive Waffenbrüderschaft und Gesinnungsgemeinschaft, so dass der israelische Premier Yithak Rabin bekannte: „Wir haben den Schia-Geist aus der Flasche entlassen“. Die Hamas und der Islamische Djihad exportierten in kürzester Zeit die Märtyrerideologie der Hisbollah. Seitdem gilt der Selbstmord auch bei Sunniten als ein religiöses Urereignis und Erfüllung der heiligen Schriften. Das Shabad (Martyrium) ist in allen islamischen Ländern zu einem umfassenden und aufregenden Kulturphänomen geworden. Psychologen bestätigen ein umfassendes Glücksgefühl, das entsteht, wenn es die Attentäter zerfetzt. Der Gesichtsausdruck kurz vor der Explosion zeigt das bassamat al-farah, das Lächeln der Freude. Wie Jesus „erscheinen“ die Attentäter danach aus dem Jenseits ihren Verwandten und versichern, dass sie noch am Leben sind, weswegen das Ereignis auch nicht betrauert sondern gefeiert wird. Mütter brechen in Freudengeschrei aus. Die Attentäter seien ja jetzt für ewig im Himmel und könnten siebzig Familienmitglieder auswählen, die das Paradies ebenso betreten dürfen.

Das erste große Ereignis, das den Islam nach zweihundertjähriger Ohnmacht aufwachen ließ, war die iranische Revolution durch Sayyed Ruhollah Khomeni, der sich auch Ayatollah („Zeichen Gottes“) nennen durfte. Dieser bekämpfte im Iran-Irak-Krieg Saddam Hussein, der für ihn ein Handlanger der Amerikaner und Israelis war. Die Geschichte wird erst noch zeigen, wie verheerend und falsch für die Weltpolitik der Sturz Saddams durch die USA gewesen war. Khomeni war für Millionen von Muslimen die Erlöserfigur und der islamische Staat die Prophezeiung für das Erscheinen des Mahdi, des verborgenen Imam. Er war der Erste, der von den USA als „Satan USA“ sprach. Es war das erste islamische Land, das den Islamismus internationalisieren wollte, mit dem Ziel einer einzigen Welt-Ordnung (Ommat) innerhalb eines andauernden Kampfes, um die entrechteten und unterdrückten Nationen der Welt zu befreien. Diese iranische Revolution hatte für den gesamten Islam den Charakter eines mythischen Primärereignisses. Sie war eines der bedeutendsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts und gab dem Islam sein Selbstbewusstsein zurück. Das Erscheinen des Mahdi ist in den Prophezeiungen allerdings auch mit der vollständigen Vernichtung der Juden verknüpft, die diesem Ereignis vorausgeht. Der Nahost-Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis wird deswegen zur Schicksalsfrage des gesamten Islams und der ganzen Welt hochstilisiert. In diesem Punkt treffen sich die islamischen Fundamentalisten mit den jüdischen und christlichen.

Damalige Staatstheorien im Iran wurden selbst von Philosophen wie Jean Paul Sartre als beste zeitgenössische Religionsmodelle verteidigt. Und der geistige Mentor von Osama Bin Laden, der saudische Scheich Safar al-Hawali, hat auch eine fundierte Kulturkritik des Westens vorgelegt, in der er ein kriegerisches und dekadentes Bild der westlichen Kultur und Historie zeichnet. Als barbarisch deklariert er unter anderem: den Kolonialismus und den Imperialismus, den Sklavenhandel, die Vernichtung der Indianer in Amerika, die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki, die Tötung von Frauen und Kindern in Afghanistan und im Irak. Angesichts dieser grausamen Geschichte und Gegenwart habe der Westen nicht das Recht, der übrigen Welt sein angebliches Wertesystem aufzupropfen, an das er sich selber nicht halte. Dagegen sei das muslimische Wertesystem das wahre Band, das die gesamte Menschheit umschließen könne und der allgemeine Nenner der positiven Facetten aller Kulturen. Die Menschenrechte, die Freiheit der Religionsausübung, Friedfertigkeit und Gerechtigkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Würde der Persönlichkeit, Recht auf Meinungsäußerung sei im Islam besser garantiert als in der westlichen Kultur. Denker wie Giordano Bruno und Galileo Galilei wären in einer muslimischen Gesellschaft niemals mundtot gemacht worden. Selbst die Juden hätten immer mehr Rechte in der islamischen Gesellschaft genossen als in der abendländischen. al-Hawali nimmt die Position eines an humanpolitischen Werten orientierten Kulturkritikers in Anspruch. Er sieht den Westen als religiöses System und kämpft gegen „Christen und Kreuzzügler“, die das zweite Kommen Christi mit Atomwaffen herbeibomben wollen.

Der Irak-Krieg ist daher zweifelsfrei ein Religionskrieg. Sein Schüler Bin Laden und dessen al Qaida kämpfen daher auch zuerst gegen „Christen und Juden“ und dann erst gegen westlichen Kapitalismus und die liberale Mediengesellschaft. Das Banner, unter dem Bush und Blair kämpfen, ist das Kreuz. Osama Bin Laden fordert aber auch die Aufrüstung der arabischen Welt mit Atombomben. Der zweite Mann in der al Qaida, der Ägypter Ayman al-Zawahri, sagt offen, dass seine Organisation bereits über Atomwaffen verfüge. Wenn man über dreißig Millionen Dollar verfügt, geht man einfach auf den schwarzen Markt in Zentralasien, kontaktiert dort irgendeinen der enttäuschten sowjetischen Wissenschaftler und erhält eine ganze Menge von Angeboten an smarten Aktentaschenbomben. Solche atomare Kofferbomben seien längst erworben.

Osama Bin Laden gilt im Westen als losgelassener Teufel, als Instrument des Bösen. Das begrüßen die Mohammedaner, denn dadurch wird er in den Augen der Unterdrückten und Verdammten in der Welt umso mehr zum Helden. Im gegenwärtigen Spektrum der islamischen Führer gibt es niemand Vergleichbaren. Er ist der Einzige, der eine wirklich internationale Organisation aufgebaut hat, die überall in der Welt zuschlagen kann, und verfügt über große Gefolgschaft in der islamischen Welt bis hin zu den Immigranten-Generationen in Nordamerika, Europa und Australien. Obwohl er der Mastermind der schlimmsten Terrorattacke in der Geschichte war, ist seine Popularität in keiner Weise zurückgegangen. Für die Muslime hat er die Rolle eines Erlösers, eines mystischen Heiligen. Sein bisher nicht entdeckter Aufenthaltsort ist der mystische Ort der Verborgenheit, von wo aus er demnächst entweder selbst als Mahdi aufbricht oder von wo er zumindest das Kommen des muslimischen Mahdis vorbereitet. In ausgestrahlten Videoclips sieht man ihn vor einer Schrift in arabischer Sprache, die übersetzt besagt: „Der erwartete Erleuchtete“. Seit 2001 lässt er sich zusätzlich Mohammed nennen, denn eines der Kennzeichen des Mahdi ist, dass dieser den Namen des Propheten trägt. Als Anti-Amerikaner ist er selbst für Nicht-Muslime der Dritten Welt zu einem charismatischen Sozialrebellen in der Nachfolge Che Guevaras geworden. Er ist eine internationale Kultfigur. Alle „Terror-Experten“ sind sich einig, dass al-Qaida als zentrale und logistisch handelnde Organisation kaum noch existiert. Aber um so mehr wirkt sie als Ideologie, als Bewegung, als Mythos, als Symbol. Al Qaida ist zum islamischen Urbild geworden, mit bin Laden als optischem Mittelpunkt. Diesem neuen Archetyp gelingt es, immer neue Terrorgruppen aus sich heraus zu gebären, ohne diese selber organisieren und finanzieren zu müssen. Al Qaida selbst ist durch Waffen gar nicht angreifbar. Sie ist eine realitätsträchtige Imagination. Würde bin Laden getötet, täte dies dem Mythos keinen Abbruch, sondern würde diesen nur noch mehr steigern.

Was sich in der politischen Welt in den letzten Jahren vollzieht, entspricht schon zum Großteil den islamischen Endzeit-Prophezeiungen. Der Afghanistan-Krieg und der darauf folgende Irak-Krieg wurden in den traditionellen Khurasan-Prophezeiungen vorhergesagt. Dort wird das Erscheinen des Mahdi aus den Grenzgebieten zwischen Iran und Afghanistan vorhergesagt, die früher den Namen Khurasan trugen. „Schwarze Banner werden aus Khurasan kommen. Keine Macht wird sie stoppen können, bis sie schließlich Jerusalem erreichen, wo sie ihre Flaggen hissen. Wenn du die schwarzen Banner siehst, die aus Richtung Khurasan kommen, dann schließ dich ihnen an, selbst wenn du kriechen musst, denn unter ihnen wird Allahs Kalif, der Mahdi, sein“. Da Khurasan der Name für das heutige Afghanistan war, wurden die Taliban, die schwarze Turbane, weiße Gewänder und schwarze Fahnen trugen, von den Muslimen der Welt als Mahdi-Armee klassifiziert. Nach der Khurasan-Prophezeiung wird es dem muslimischen Messias gelingen, den Streit zwischen Sunniten und Schiiten zu beenden und „Millionen Mujaheddin, die schwarze Banner tragen, werden vom Iran und den unabhängigen islamischen Staaten der kollabierten Sowjetunion in die arabische Insel in Kolonnen von Fahrzeugen hinabfahren, mit keinerlei anderer Absicht, als dem Mahdi persönlich Gefolgschaft zu schwören, Hand in Hand und ohne Vermittler.“

Tatsächlich hat die Festnahme Saddam Husseins durch die Amerikaner, die von allen islamischen Fundamentalisten begrüßt wird, es ermöglicht, dass sich jetzt al-Qaida und ehemalige Taliban-Anhänger in Bagdad treffen und dort neu gruppieren, um die Endzeit-Armee aufzubauen. Der Irak ist ein integraler Bestandteil der Mahdi-Prophezeiung. Hätte Saddam Hussein seine Herrschaft fortgesetzt, wäre er zu einem Widersacher des Mahdi geworden. Im Irak sind gegenwärtig zwei bedeutende Fundamentalisten-Führer am Wirken. Dies ist einen der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi, der mit den Palästinensern gegen das jordanische Königshaus agierte und am Krieg gegen die Sowjetbesatzer in Afghanistan teilnahm. In Pakistan baute er seine eigene Djihad-Organisation auf, die auch in Europa über ein großes Netzwerk verfügt. Kurz hielt er sich dann im Iran auf, organisierte die Ermordung des amerikanischen Botschafters Laurence Foley in Jordanien und ging dann in den Irak, wo er vor allem durch die schockierenden Videos seiner Organisation Aufmerksamkeit erlangt, in denen Geiseln um ihr Leben bitten, bevor sie enthauptet werden. Zuerst agierte er unter eigenem Namen, aber 2004 schloss er sich der al-Qaida an und wurde von bin Laden als militärischer Führer für das Land der beiden Flüsse, Irak, bestätigt. Er gehört zu den Sunniten und sieht in den Schiiten seine traditionellen Erbfeinde, die er ebenso bekämpft wie die Kreuzzügler. Der zweite gefährliche Mann im Irak ist Muqtada al-Sadr, allerdings ist dieser radikaler Schiitenführer. Seine Miliz trägt den Namen Mahdi-Armee und diese tragen wie die afghanische Taliban entsprechend der Khurasan-Prophezeiung schwarze Turbane und schwenken schwarze Fahnen. Er will Befreiung, Friede und Gerechtigkeit für sein Volk und gilt auch bei engagierten Muslimen im Westen als eine Figur wie Jeanne d`Arc, ebenso wie sie ist er Soldat und Heiliger. Nach den Kämpfen mit den Amerikanern, wo er als Terrorist galt, versucht er derzeit auf legale Weise in der irakischen Politik mitzumischen. Durch die politischen Änderungen im Iran kann sich das alles aber auch ganz schnell wieder ändern. Entgegen den Prophezeiungen ist es bislang aber nicht gelungen, dass der kommende Mahdi Sunniten und Schiiten vereinigen würde. Zumindest im Irak und in Pakistan sind die alten Konflikte zwischen beiden Gruppierungen wieder voll ausgebrochen.

Die von Scheich Achmed Yassin gegründete palästinensische Hammas, ein Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft, gilt ebenso als Endzeit-Armee des Mahdi. Sie war schon immer die militant-islamische Alternative zur PLO und hat diese in den jüngsten Wahlen (Januar 2006) der Macht beraubt. Im Gegensatz zur PLO sieht sie den Israel-Konflikt nicht als politisches, sondern als religiöses Phänomen. Sie treten für die theokratische Staatsform (Scharia) mit dem Koran als eigentlicher Verfassung ein und für den Djihad als religiöse Pflicht für jeden Muslim. Das edelste Mittel dabei sind die Märtyrer-Operationen. Die Hamas-Charta fordert die Absage an alle internationalen Konferenzen und Verhandlungen, die sich kompromissbereit mit der Landfrage in Palästina auseinander setzen. Sie wollen die vollkommene Vernichtung Israels. Ihre Statements sind der Spiegel zur radikalen israelischen Siedler-Position – keine Kompromisse im Kampf der Endzeit-Apokalypse. Mit ihrem Machtantritt sehen sie das Auferstehen des Mahdi näher gerückt.

Als im Sommer 2005 Mohammed Ahmadinejad überraschenderweise zum neuen Staatschef des Irans gewählt wurde, jubelte ebenso der fundamentalistische Islam. Sein Wille, sein Land Atommacht werden zu lassen, und die Zeichen dafür, dass er eventuell schon über Atombomben verfügt – jedenfalls verfügt er bereits über Langstreckenraketen, die Städte Mitteleuropas erreichen können –, liegen ganz im Sinne der islamischen Weltrevolution. Auch dass die Schiiten im benachbarten Irak die Mehrheit der Bevölkerung stellen, macht das Ende des Iran-Irak-Konfliktes möglich; die Verteidigungsminister der beiden Länder (Iran und Irak) haben sich auch schon unter misstrauischen Blicken des Westens getroffen, um über eine robuste militärische Kooperation zu verhandeln. Ahmadinejad will die Ungerechtigkeiten in der Welt ausrotten und eine Welle islamischer Revolutionen in der ganzen Welt entfachen.

Sofort nach seiner Wahl als Präsident empfing er den Generalssekretär der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah. Die Hisbollah ist die bekannteste schiitische Widerstandsorganisation, deren Hauptziel die Bekämpfung Israels ist. Die Hisbollah, wurde obwohl aus Libanesen bestehend, 1982 durch den Iran gegründet und proklamiert eine islamische Republik nach dem Vorbild Irans. Trainiert wurde sie von den Revolutionären Garden Khomenis. Als Partei Allahs (Hisbollah) kämpfen sie gegen die Partei Satans. Sie haben in ihrer ganzen Geschichte keinen eigenständigen Kurs verfolgt, sondern befolgen vollkommen die Anweisungen aus dem Iran. Sie waren die ersten, die das Konzept der Märtyrer-Operationen in den radikalen Islam verankerten. Sie sind derzeit zwar friedlicher aufgetreten, aber sie warten auf die Direktiven aus Teheran.

In Europa bleibt die von Bassam Tibi konzipierte Vision des „Euro-Islams“ zwischen Tradition und europäischer Aufklärung leider aus, sie stößt bei den Immigranten auf wenig Zustimmung. Stattdessen entwickelt sich eine Symbiose des radikalen Islam mit den totalitären und nihilistischen Kulturströmungen des alten Europa. Der radikale Islam hatte sich ursprünglich ja auch sehr von den erstmals in Europa formulierten Revolutionstheorien stark beeinflussen lassen. Die Euro-Djhads machen Anleihen bei der revolutionären Linken. Das radikalisierte Jugendmilieu ist vergleichbar mit der 68er Revolte. Diese Jugendlichen sind keine vom Nahen Osten gesteuerte Gruppe mehr, sondern junge Muslime, die im Westen geboren, aufgewachsen und mit der westlichen Denkart vertraut sind. Sie nehmen denselben Platz ein, den die Proletarische Linke vor 30 Jahren inne hatte und die Direkte Aktion vor 20 Jahren. Sie leben in einer militanten Realität, die von der extremen Linken verlassen wurde, und wollen das System zerstören. Dass theoretische Kombinationen zwischen europäischem Existenzialismus und Islamismus möglich sind, zeigte sich schon, als Jean Paul Sartre bestimmte iranische Theoretiker wie Ali Schariati als den Höhepunkt einer modernen, revolutionären Religionsphilosophie lobte. Aufgrund der „Judenfrage“ ist eine Symbiose aber genauso auch mit der radikalen Rechten möglich. Bei beiden steht die Vernichtung der Juden ganz oben auf dem Programm. Weitere Berührungspunkte sind apokalyptisch orientiertes Krieger-Ethos, dessen Grundlage von Julius Evola geschaffen wurde, der sich dabei an den indogermanischen Kriegertraditionen der Kshatriya-Kaste und den japanischen Samurai orientierte. Der Heilige Krieg und der Heilige Krieger stehen im Zentrum dieser wie auch der islamischen Philosophie.

Ob die Apokalypse abläuft wie von allen drei abrahamitischen Religionen vorhergesagt, wird nun das Verhalten der in Palästina an die Macht gekommenen Hamas ausmachen, mit denen unbedingt Verhandlungen geführt werden müssten. Dass sie sich ansonsten mit der libanesischen Hisbollah vereinigen wird, liegt auf der Hand; ebenso, dass dann der Iran zuschlagen will, um Israel zu vernichten, dass dann in Ägypten die Muslimbruderschaften die Regierung stürzen werden, dass dies Nachahmer in anderen arabischen Ländern nach sich zieht. Die politische Lage ist wie über Nacht derzeit tatsächlich zu einem religiösen Krieg mutiert, wie die nicht mehr zu kontrollierenden Massenunruhen in der gesamten arabischen Welt (aufgrund den Islam verunglimpfender Karikaturen in europäischen Zeitungen, Februar 2006) deutlich zeigen. Dabei sind die Guten und die Bösen in der aktuellen Weltpolitik lediglich einander bekämpfende Brüder einer kranken monotheistischen abrahamitischen Religion, denen es ums Gleiche geht, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Alarmierend ist, dass sich dabei eine zunehmende Eigendynamik entwickelt, in der sich die verschiedenen islamischen, christlichen und jüdischen Fraktionen gegenseitig hochschaukeln. Die biblischen Prophezeiungen könnten sich aus sich selbst heraus erfüllen. Eiferer jeder der drei monotheistischen Religionen sind dabei, eine Reaktion von Schlag, Gegenschlag und Massenvernichtung auszulösen. Der apokalyptische Wahn kann unseren Planeten in Schutt und Asche bomben.

Aus dieser gefährlichen Perspektive heraus gesehen, stellen die Bücher von Victor und Victoria Trimondi – um an den Anfang der Inhaltsbeschreibung zurückzukehren – eine unverzichtbare Analyse und Bewertung von Endzeit-Apokalypsen in bestehenden Religionsformen dar. Das neueste Werk ist dabei der aktuellen Realität am entsprechendsten. Aber im Zusammenhang erscheint es dann durchaus notwendig, alle Religionen dahingehend zu untersuchen, denn es ist eine vordringliche Aufgabe der Aufklärung und des Humanismus, die Menschen vor der Destruktion des religiösen Wahns zu schützen. Aus dieser Perspektive heraus ergeben nunmehr alle drei Bände Sinn, wenn man sie im Zusammenhang dieser Forschung betrachtet.

_Victor und Victoria Trimondi
Krieg der Religionen
Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse
597 Seiten, Hardcover, Wilhelm Fink Verlag, Dezember 2005_
[ISBN 3-7705-4188-X]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/377054188X/powermetalde-21

http://www.trimondi.de

Links zu meinen themenverwandten Rezensionen und Artikeln:

Yassir Arafat
http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2215

Geschichte Palästinas
http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=15

Mit dem Konflikt leben – Palästina / Israel
http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=419

Der Konflikt zwischen Israel und Palästina
http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=18

Von Mesopotamien zum Irak
http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=36

Kriegsverbrechen der Amerikaner gegen den Irak
http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=101

Die Kriege der Familie Bush – Die wahren Hintergründe des Irak-Krieges
http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=37

Krieg gegen den Terror? Al-Qaida, Afghanistan und der Kreuzzug der USA
http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=100

Gottesstaat Iran
http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=40

Die satanische Ferse – Zur Psychopathologie des Islamfaschismus
http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=732

Feindbild Christentum im Islam
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Neue Welt-Krieg-Ordnung
http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=21

StirnhirnhinterZimmer

All jenen geneigten Lesern, die sich nun verwundert fragen, was dieses StirnhirnhinterZimmer sein mag, möchte ich anfangs ein paar einleitende Zeilen aus der gleichnamigen Präsentation in den Weiten des Netzes an die Hand geben:

|“Das StirnhirnhinterZimmer ist eine regelmäßige Lesereihe, die sich der phantastischen Literatur in ihren verschiedenen Ausprägungen widmet. Im Zentrum der Veranstaltung stehen Fantasy, Science Fiction, Märchen, Unheimliches und Groteske gleichberechtigt nebeneinander, um an jedem zweiten Donnerstag des Monats unter einem bestimmten Thema zum Vortrag gebracht zu werden.(…)“

„Ein Raum jenseits der tristen Korridore des Alltags. Ein Raum voller Fabelwesen, furchtsamer Weltraumpioniere, machttrunkener Dämonenfürsten (…) Ein Raum der Phantastik in all ihren Spielarten, präsentiert und imaginiert von drei jungen Berliner Autoren.“|

http://www.stirnhirnhinterzimmer.de

Bei meinem letzten Berlinbesuch kam ich nun endlich in den Genuss einer Visite im StirnhirnhinterZimmer, in dem sich die drei Berliner Autoren _Markolf Hoffmann_, _Christian von Aster_ und _Boris Koch_ das erste Stelldichein des Jahres 2006 gaben. In überschwänglicher Vorfreude kamen wir viel zu früh an der Z-Bar (Bergstraße 2, Berlin-Mitte) an. Nach kurzer Wartezeit, die wir uns mit einem kleinen Gaumenschmeichler vertrieben, öffneten dann auch gegen 20:30 die Tore des StirnhirnhinterZimmers, welches an diesem Abend bis auf den letzten Platz gefüllt war.

Getreu dem Abendmotto „Hinab ins Dunkle“ kamen die drei Protagonisten und Gastgeber polternd und fluchend aus den dunklen Kellergewölben der Z-Bar, in denen sie nach eigenen Angaben die letzten Tage des Schaffens verbrachten. Markolf Hoffmannn eröffnete den Abend mit seiner Geschichte „Ego Shooter“, in der er sich in die trostlose und verwinkelte Welt eines solchen Computerspiels versetzte und dem Auditorium einige interessante Gedanken des bedauernswerten Protagonisten offenbarte, der bar jeder Erinnerung an sein früheres Leben erwacht und sich in einer todbringenden Umgebung wiederfindet. Schon bald wurde klar, dass er dieses Labyrinth am liebsten wieder verließe, in das ihn der menschliche Spieler, einer Marionette gleich, eingesperrt hatte. Christian von Aster konterte mit dem „Schattenbastard“ und Boris Koch eröffnete den Gästen tiefe Einblicke in den „Keller“, der einem trauernden Witwer zur Zuflucht und seinem Sohn zu einem Ort unbeschreiblichen Grauens wurde. Von Aster ließ den ersten Teil dieses schaurigen Abends mit seinen „Schrankaffen“ ausklingen, einer Kriminalgeschichte, in der sich ein englischer Kleinkrimineller mit den Machenschaften eines irren Wissenschaftlers konfrontiert sieht, die ihn in ein moralisches Dilemma stürzen.

In der nun folgenden kurzen Pause ergab sich die Möglichkeit, mit den Autoren ein kleines Schwätzchen zu halten, sich mit neuen Getränken zu versorgen oder einfach nur das soeben Gehörte sacken zu lassen.

Den zweiten Teil des Abends eröffnete Koch mit zwei neuen |urban legends|, „Jäger mit Promille“ und „Die Waffen einer Frau“. In „Jäger mit Promille“ berichtete er von den grotesken Versuchen eines alkoholisierten Waidmanns, sich eines unliebsamen Nagers zu entledigen. Die Stimmung im Saal war ausgesprochen heiter und ausgelassen, so dass auch die folgenden Geschichten, die sich eher der Groteske zuwandten, als dass sie wirklich schauriger Natur waren, beim Auditorium auf freudige Zustimmung trafen. Als nächstes geleitete Boris Koch uns in das literarische B-Movie „Giftangriff aus dem All“, in dem bösartige Aliens die Menschheit mittels vergammelter Imbissspeisen zu vernichten drohen. Markolf Hoffmann gab seinen „Brandbrief“ zum Besten und eröffnete den Zuhörern Einblicke in die obskuren Folgen eines Partyflirts. Christian von Aster erläuterte den Anwesenden die Vorteile einer Zwangssiamesierung mit seinem „Informationsblatt der Überlingen-Stiftung“ und schloss den Abend mit einer gelungenen Darbietung von „Sexuelle Identität: Krise, Konsequenz und Kompromiss“ in deren Verlauf er der Zuhörerschaft anhand einiger archetypischer Beispiele die sexuelle Psyche des Menschen erklärte. Zu guter Letzt wurde noch das Thema des nächsten StirnhirnhinterZimmers bestimmt, wobei sich Boris Koch eigenmächtig der Meinung des Auditoriums bediente. Am 09.02.2006 heißt es dann „Schweinekalt“.

Und so entließen die drei Gastgeber ihre Gäste dann aus den Fängen des StirnhirnhinterZimmers und wünschten uns noch einen angenehmen Abend. Natürlich standen sie auch noch für Gespräche, Anregungen und Feedback zur Verfügung und erfreuten sich ebenso des gelungenen Abends wie ihr Publikum.

Wer Spaß an experimentierfreudiger, junger Literatur hat und einen Besuch in Berlin einrichten kann, dem sei das StirnhirnhinterZimmer wärmstens ans Herz gelegt. Der frische Vortragsstil der drei Autoren wie auch ihr Ideenreichtum lassen einen Abend in ihrer Obhut zu einem ganz besonderen Ereignis werden. Und auch, wenn die Bestuhlung eigentlich nur ca. 30 Leute vorsieht, so lassen sich sicherlich noch einige Stühle organisieren, wenn der eine oder andere Gast mehr an die Tore des StirnhirnhinterZimmers klopft. Wenn ich euer Interesse geweckt habe und ihr mehr über das StirnhirnhinterZimmer und seine Gastgeber erfahren wollt, dann schaut doch einfach mal auf der [Website]http://www.stirnhirnhinterzimmer.de vorbei.

|© Foto: Nadja Ritter|

Interview mit Markus Heitz

Am 16. Dezember 2005 fanden sich um 20 Uhr knapp dreißig Gäste in der Julius-Springer-Schule in Heidelberg ein, um einer Lesung von Markus Heitz, dem Autor von „Die Zwerge“, beizuwohnen. Die Lesung, organisiert und präsentiert vom Buchladen [Fun-Fiction,]http://www.fun-fiction.de stand unter dem Titel „Die Rache der Zwerge“ des gleichnamigen dritten Teils der Zwergen-Saga um den Zwerg Tungdil. Ein sichtlich gut gelaunter Markus Heitz führte die Hörer durch fünf sehr passend ausgesuchte Textstellen, die er aber zum Schluss, natürlich an der spannendsten Stelle, mit den Worten beendete: „Hier kann ich aus dramaturgischen Gründen leider nicht weiterlesen!“ Das war allerdings nicht weiter schlimm, denn durch die vertretenen Textauschnitte kam jeder auf seine Kosten, denn sowohl lustige Szenen als auch Schlachtensequenzen kamen nicht zu kurz, so dass eigentlich nur entsprechend gut gelaunte Besucher zu sehen waren.

Die Möglichkeit zum anschließenden Plausch mit dem Erfolgsautor und die Chance, ihre Bücher signieren zu lassen, nahmen dann so viele Besucher ausführlich war, dass wir uns entschlossen, das geplante Interview zunächst zu verschieben und es zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. Da es bereits zahlreiche Interviews gab, in denen es um die „Ulldart-Saga“ ging, beschäftigten wir uns ausführlicher mit den Zwergen und den daraus entsprungenen Publikationen. Doch lest selbst:

_Martin Schneider_:
Servus Markus, wie fühlt man sich so, wenn man momentan als der „Shootingstar“ des Fantasy-Genres bezeichnet wird?

_Markus Heitz_:
Viele Leute schreiben, ich wäre der „Shootingstar“. Ich bin aber immer noch der gleiche Autor wie zu meinen Anfängen bei „Ulldart“ und fühle mich auch nicht als ein Star. Ich tue das Gleiche wie vor einigen Jahren, nur dass jetzt glücklicherweise mehr Menschen meine Romane lesen. Das freut mich dann schon.

_Martin_:
Wie kam es dazu, dass „Die Zwerge“ entstanden sind?

_Markus_:
Es gab einen anderen Band, der hieß [„Die Orks“, 624 von einem Engländer namens Stan Nicholls. Der hat in Deutschland ordentlich eingeschlagen.

Und als ich dann gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, über ein klassisches Fantasyvolk zu schreiben, habe ich mir die Zwerge ausgesucht, weil ich mich mit den Zwergen besser identifizieren kann; weil sie Ecken und Kanten haben – im Gegensatz zu den Elfen.

_Martin_:
Wie findest du die Darstellung von Gimli in den „Herr der Ringe“-Filmen?

_Markus_:
Vorweg: Jackson hat gute Arbeit geleistet. Aber Gimli bekam die Rolle des Clowns, der zu viele Lacher auf seine eigenen Kosten fabrizieren musste.

Es gibt einige Stellen davon im Film (der Sturz vom Pferd, Unterliegen beim Wetttrinken mit dem Elben uvm.), aber den Hammer fand ich die Schlacht bei Helms Klamm. Man erinnere sich an die Kamerafahrt: Millionen von Orks auf der einen Seite, Schwenk rüber, vorbei an unrasierten Menschen, gestylten Elben und dann … eine Helmspitze hinter einer Zinne. Klar, wieder der lustig-naive Zwerg!

Jetzt mal ehrlich: Würde sich ein Zwerg vor einer Schlacht an eine Stelle der Mauer begeben, wo er nichts, aber auch gar nichts von dem sieht, was auf ihn zukommt?

Nein, würde er nicht!!!

Spätestens da war mir klar: Die Zwerge haben dringend ein eigenes Buch verdient, in dem sie so dargestellt werden, dass sie immer noch Humor, aber mehr Grips und Würde besitzen.

_Martin_:
War die Reihe von Anfang an auf mehrere Bände ausgelegt?

_Markus_:
Im ersten Band habe ich mir ein kleines Hintertürchen offen gelassen, aber nicht damit gerechnet, dass der Zuspruch so hoch ausfallen würde. Als ich den zweiten Band anging, habe ich ihn so angelegt, dass es einen dritten geben könnte.

Tja, und irgendwann wird es auch einen vierten geben. Aber das wird noch ein bisschen dauern, da ich den Zwergen und mir ein bisschen Zeit geben will.

_Martin_:
Beschreibe den Lesern, die noch nicht mit diesem Zyklus vertraut sind, doch bitte einmal kurz die drei Teile („Die Zwerge“, „Der Krieg der Zwerge“ und „Die Rache der Zwerge“).

_Markus_:
Grob zusammengefasst, ist der erste Teil Zwerge für Einsteiger. Für Leute, die die Zwerge aus dem „Herr der Ringe“ kennen – und hiermit meine ich in erster Linie die Filme. Sie wissen nicht sehr viel über dieses Volk, und daher nehme ich sie bei der Hand und führe sie mit der Hilfe von Tungdil in mein Zwergenreich. Tungdil ist ein Zwerg, der bei Menschen aufwuchs und nach und nach in die fünf Zwergenreiche des Geborgenen Landes hineinschnuppert. Man kriegt mit seinen Augen mit, wie die verschiedenen Zwerge sind und was er alles erlebt. Vom Anfängerzwerg wird er dabei zum Heldenzwerg.

Und mit diesem Heldenzwerg Tungdil gehen wir dann in den zweiten Band „Der Krieg der Zwerge“. Der erste Band war Zwerge für Einsteiger, der zweite Band ist Zwerge für Fortgeschrittene. Da wird beleuchtet, wie vielschichtig die Zwergenkultur ist, und wo auch die Reibungspunkte zwischen den verschiedenen Zwergenvölkern und Stämmen liegen.

Im dritten Band öffnen wir dann die Tür für ganz neue Zwerge und ganz neue Herausforderungen, indem wir einen Schritt über die Landesgrenzen hinaus gehen, und einen Blick in das „Jenseitige Land“ werfen, das eben außerhalb des „Geborgenen Landes“ liegt. Dort treffen wir völlig andere Zwerge, die wenig mit denen gemeinsam haben, die im Geborgenen Land leben. Das reicht vom Aussehen bis zur Kultur.

_Martin_:
Im dritten Teil bist du auch ein Risiko eingegangen, indem du Magie und Technik verbunden hast. Was hast du dir von diesem Schritt erwartet?

_Markus_:
Mir war von Anfang an klar, dass der klassische Fantasyleser das kritisch sehen wird. Viele dieser Leute möchten ausschließlich das ihnen Bekannte. Das ist nicht schlimm, vergleichbar mit einem eingefahrenen Musikgeschmack. Jeder hat seine Vorlieben, und das akzeptiere ich.

Fantasy lebt aber auch davon, dass man immer wieder neue Sachen erfindet und kombiniert, sonst wäre es für mich auch als Autor sehr langweilig, immer das Gleiche zu schreiben.

Deswegen kombiniere ich Dinge, die es bisher so – auf jeden Fall in meinen Romanen – nicht gab und biete dem Leser völlig neue Betrachtungsweisen.

Das fasziniert die einen, und ein anderer Teil sagt: „Nee, das ist wohl Fantasy, aber für mich zu viel davon.“ Mir war das Risiko aber von Anfang an klar, und ich habe es in Kauf genommen. Ich bleibe dabei: Das Fantasy-Genre braucht neue Impulse.

_Martin:_
Wie kamst du auf die Idee, Hybridwesen aus Albae, Orks und Maschinen zu erschaffen?

_Markus_:
Die kam einfach so. Ich überlegte mir, was wohl das Schlimmste wäre, was den Helden passieren kann. Das musste ein Gegner sein, der verschiedene Eigenschaften beinhaltet. Er sollte einigermaßen gewitzt sein, Magie beherrschen oder mit ihr aufgeladen worden sein und auch noch die Technik zur Verfügung haben. Und das macht die Hybriden zu Gegnern, die das „Geborgene Land“ so noch nicht gesehen hat.

_Martin_:
Denkst du, es kann im „Geborgenen Land“ überhaupt noch weitergehen? Oder wirst du eher ins „Jenseitige Land“ expandieren?

_Markus_:
Es kann sehr wohl noch im „Geborgenen Land“ weitergehen. Und ich weiß auch schon, wie … (lacht)

_Martin_:
Gehe ich richtig in der Annahme, dass du uns nicht erzählen willst, was am Ende von „Die Rache der Zwerge“ mit Tungdil passiert ist?

_Markus_:
Nein, das ist zu gefährlich. Aus dramaturgischen Gründen kann ich an dieser Stelle, wie es so schön heißt, nichts sagen.

_Martin_:
Wie kam dir die Idee, Tassia als Gegenstück zum Unglaublichen Rodario einzubauen?

_Markus_:
Rodario war ja als Schauspieler immer der Weiberheld, und jede Frau war für ihn eine Trophäe, eine Beute sozusagen. Wie wäre es denn, wenn er ein Gegenstück kriegt? Und zwar eine Frau, die genauso ausgebufft ist wie er!

Das hat schon sehr, sehr viel Spaß gemacht, ihm eine Frauenfigur gegenüberzustellen, die genauso denkt wie er und ihm sogar ein Stück weit überlegen ist.

_Martin_:
Leider ist sie dann auf einmal verschwunden und taucht auch nicht mehr auf.

_Markus_:
Das war gewollt, sonst wären es am Ende des Buches zu viele Personen gewesen, und sie spielt ja nicht die tragende Rolle. Sie sollte auftauchen und zeigen: Jawohl, es gibt Frauen, die es mit Rodario aufnehmen können. Sie wird im vierten Band wieder dabei sein.

_Martin_:
Wie war das mit der Reaktivierung des Magus Lot-Ionnan, war sie von Anfang an geplant?

_Markus_:
Ja. Ich war mir nur nicht ganz im Klaren darüber, wann ich sie einsetzen kann. Im zweiten Band war mir noch nicht so ganz wohl dabei, aber im dritten wusste ich dann: Es wird Zeit!

_Martin_:
Dein „Heldenausschuss“ ist relativ hoch, welche Überlegungen führen dich zu dieser hohen Sterberate?

_Markus_:
Auch Helden sterben. Es gibt Bücher, in denen Helden alles überleben, das finde ich ein bisschen schade. Gut, der Leser will natürlich, dass seine Sympathieträger überleben, aber ich finde, es macht nichts, wenn auch mal ein paar Helden fallen. Das zeigt auch, dass sie schlichtweg erstens sterblich sind und zweitens auch nicht jeden Kampf überleben.

_Martin_:
Was hältst du von dem Vermarktungsprinzip von |Heyne| & |Piper|, dass die Verlage viele neue Fantasybücher pauschal „Die Zwerge“, „Die Elfen“ oder „Die Drachen“ etc. nennen?

_Markus_:
Es zeigt dem Leser plakativ, was er von dem Buch zu erwarten hat. Wenn vorne „Die Orks“ draufsteht, sind auch Orks drin, wenn „Die Zwerge“ draufsteht, sind Zwerge drin. Das ist eine klare Ansage. Aus Marketingsicht ist das sicher nicht schlecht.

_Martin_:
Besteht aber nicht auch die Gefahr, dass der Leser denkt a) die Bücher gehören zusammen und b) sie haben auch alle den gleichen Stil?

_Markus_:
Das kann passieren, aber als Autor hat man wenig Einfluss. Die Mitarbeiter des Verlages werden dafür bezahlt, dass sie sich diese Gedanken im Vorfeld machen. Und wenn sie der Meinung sind, das das alles so funktioniert, kann ich nichts dagegen sagen.

Ab und zu sagen mir dann auch Leute, was sie von „Die Orks“ oder „Die Elfen“ halten. Stan Nicholls kenne ich nicht persönlich, aber Bernhard Hennen kenne ich und daher richte ich ihm das Lob aus. Das macht man unter Kollegen.

_Martin_:
Kommen wir zu „Die dritte Expedition“. Wie kam die Idee zu diesem Solospielbuch?

_Markus_:
Diese Solospielbücher gab es in der Mitte der 80er. Die kamen damals aus England, waren in Deutschland sehr erfolgreich, und sehr viele ältere Rollenspieler werden sich noch ziemlich genau daran erinnern. Mir haben die damals sehr gut gefallen

_Martin_:
Wie sieht es mit Fortsetzungen aus?

_Markus_:
Es werden nach und nach neue Solospielbücher kommen, immer abwechselnd eines von den Zwergen und eines aus „Ulldart“.

_Martin_:
Planst du auch, das in ein richtiges Rollenspiel einzubetten?

_Markus_:
Ich bin damals zur Spielemesse in Essen an den |Pegasus|-Stand gegangen und habe gefragt: „Wie sieht’s mit einem Ulldart-Rollenspiel oder einem Zwerge-Rollenspiel aus?“

Und die Profis von |Pegasus| meinten, dass es momentan auf dem Pen&Paper-Rollenspielmarkt nicht ganz so gut aussieht, aber man könnte es mit Solospielbüchern versuchen, um das Interesse zu testen. Die Idee: die jüngere Generation, die momentan nichts mit Rollenspielen am Hut hat, über die Solospielbücher langsam wieder an die klassischen Rollenspiele heranführen.

Das wird nicht leicht. Im Gegensatz zu früher ist das sonstige elektronische Unterhaltungsangebot wesentlich höher als Mitte der 80er. Das Rollenspiel hatte damals einen viel stärkeren Reiz auf die Jugendlichen und Kinder.

Wir versuchen es, die Leute über diese Plattform wieder zum Rollenspiel hinzuführen, um ihnen zu zeigen, dass die Solospielbücher für die Anfänger gedacht sind und es auch noch eine Steigerung dazu gibt. Na ja, wir werden sehen, was daraus wird.

_Martin_:
Bei deiner Lesung waren auch einige jüngere Leute, freust du dich besonders, wenn du die Kids erreichst?

_Markus_:
Ich finde das sehr gut! „Die Zwerge“ ist zwar nicht als Kinder- und Jugendbuch konzipiert gewesen, aber ich bekomme häufig E-Mails von jungen Lesern, der Spitzenreiter hatte gerade elf Jahre auf dem Buckel. Ist doch klasse, wenn Kinder sagen: Okay, wir nehmen uns diese 800 Seiten vor, und danach lesen wir das nächste und noch eines.

Es geht mir nicht darum, dass sie unbedingt meine Bücher lesen, sondern dass sie überhaupt lesen. Dass sie dann gleich richtig dicke Bücher anpacken, freut mich umso mehr.

_Martin_:
Kommen wir zum neuen Jahr. Im April 2006 erscheint dein neuer Roman „Ritus“. Die Verlagsinfo zu diesem Roman erinnert sehr an den Film „Packt der Wölfe“. Zufall oder gewollt?

_Markus_:
Das liegt daran, dass die Geschichte aus „Ritus“ auf einer in Frankreich sehr bekannten Geschichte basiert. Was in England Jack the Ripper ist, ist in Frankreich die Bestie von Gévaudan. Diese Geschichte kommt, glaube ich, in jedem Schulbuch vor, wenn es um Heimatkunde geht.
Das Ganze basiert eben auf historisch belegbaren Fakten. Fakt ist, dass 1764-1767 in Südfrankreich in besagtem Gebiet Gévaudan irgendetwas unterwegs war, das Leute angefallen und grausig zerfetzt und verstümmelt hat.

Bis heute weiß man eben nicht genau, was es war. Der „Pakt der Wölfe“ nimmt diese populäre Geschichte zum Anlass und baut seine Theorie auf.

Da das Geheimnis bis heute nicht geklärt ist, ist es der perfekte Anlass für einen Schriftsteller, eine eigene Erklärung zu liefern. Ich habe mich mit der Materie auseinandergesetzt und einige Bücher darüber gelesen: Welche Meinungen es gibt, welche Personen beteiligt waren und so weiter. Das war furchtbar spannend, und heraus kam „Ritus“.

_Martin_:
Nächstes Jahr erscheint auch noch ein Buch namens „Sanctum“ von dir …

_Markus_:
Das ist die Fortsetzung. „Ritus“ macht den Anfang und „Sanctum“ führt das fort, was in „Ritus“ offen geblieben ist.

_Martin_:
Was ist noch für 2006 zu erwarten?

_Markus_:
Abgesehen von verschiedenen kleinen Solospielbüchern, wird es im Sommer „Ulldart – Zeit des Neuen: Brennende Kontinente“ geben.

Und zur Buchmesse wird wieder ein neues Fantasyprojekt erscheinen. Aber das ist alles noch geheim, darüber kann ich noch nichts sagen.

_Martin_:
Bei Amazon stand ein „Shadowrun“-Roman namens „Schattenjäger“ im Sortiment, von dem du, laut einer Anmerkung auf deiner Homepage, nichts wusstest.

_Markus_:
Das hat sich mittlerweile geklärt. Der |Heyne|-Verlag bringt meine insgesamt sechs „Shadowrun“-Romane in zwei Sammelbänden neu heraus. Also dieser „Schattenjäger“ ist kein neuer Roman, sondern enthalten sind die ersten drei Romane von mir.

_Martin_:
Dann bedanke ich mich ganz herzlich für das nette Interview, wünsche dir schöne Weihnachten und einen gute Rutsch. Möchtest du noch ein Abschlusswort an unsere Leser richten?

_Markus_: Seid kreativ!

Autorenwebsites:

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http://www.ulldart.de/

_Rezensionen zu Titeln von Markus Heitz bei |Buchwurm.info|:_
[„Schatten über Ulldart“ 381 (Die Dunkle Zeit 1)
[„Trügerischer Friede“ 1732 (Ulldart – Zeit des Neuen 1)
[„05:58“ 1056 (Shadowrun)
[„Die Zwerge“ 2941 (Lesung)
[„Die Zwerge“ 2823
[„Der Krieg der Zwerge“ 3074
[„Die Rache der Zwerge“ 1958
[„Die dritte Expedition“ 2098
[„Ritus“ 2351
[„Ritus“ 3245 (Lesung)
[„Sanctum“ 2875

Buchwurminfos VI/2005

In der Herbstausgabe der vierteljährlichen Zeitung „Deutsche Sprachwelt“ kritisiert der Sprachwissenschaftler Horst Haider Munske den Stand der deutschen _Rechtschreibung_ seit Inkrafttreten vom 1. August als „verordnetes Durcheinander“. Denn die wenigsten kennen sich noch aus und wissen, welche Regel gerade gilt. Der seit 2004 emeritierte Professor für Germanische und Deutsche Sprachwissenschaft und Mundartkunde an der Universität Erlangen-Nürnberg trat 1997 unter Protest gegen die Reformbestrebungen aus der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung aus und hat seither in einer Vielzahl von Publikationen gegen die unsinnige Schreibreform der Kultusminister Stellung bezogen.
Der Rat zur deutschen Rechtschreibung hat Ende Oktober nun weitere Empfehlungen zu Silbentrennung und Zeichensetzung beschlossen. Die Abtrennung von Einzelbuchstaben („E-sel“) sowie sinnentstellende Trennungen („Urin-stinkt“) sollten rückgängig gemacht werden. Beibehalten wird die reformierte Trennung bei „ck“.

Mit der neuen Regierung kommen die Steuererhöhungen und der Börsenverein muss um die Beibehaltung des _reduzierten Mehrwertsteuersatzes auf Bücher_ kämpfen. Seit der Frankfurter Buchmesse wird das bei jedem Treffen mit Politikern zur Sprache gebracht. Aber schon vor der Bundestagswahl hatten sich alle politischen Parteien für eine Beibehaltung des reduzierten Steuersatzes ausgesprochen. Dennoch hatten für die Sanierung der Staatsfinanzen der hessische Ministerpräsident Roland Koch und der designierte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) eine generelle Anhebung des reduzierten Steuersatzes um einen Prozentpunkt auf acht Prozent gefordert. Bei den Koalitionsverhandlungen war durchaus im Gespräch gewesen, nur noch Lebensmittel zu privilegieren und alle anderen Güter – also auch Bücher – der vollen Mehrwertsteuer zu unterziehen. Zwar blieb nun alles bei den 7 %, was laut Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, als „Signal für die herausgehobene kulturpolitische Wertschätzung“ gewertet werden darf, aber in vielen anderen Ländern liegt der Steuersatz auf Bücher noch niedriger. Im Verhältnis von reduziertem Mehrwertsteuersatz zu dem generell geltenden Mehrwertsteuersatz in den einzelnen Ländern belegt Deutschland nach Dänemark und Österreich den drittletzten Platz im EU-Vergleich. Ziel müsse deswegen – so Skipis – letztlich eine gänzliche Steuerbefreiung sein.

Mittlerweile etwas verspätet, aber der Verkaufstag des _[Harry Potter VI 1932 _in deutscher Sprache zum 1. Oktober darf in der regelmäßigen Branchenkolumne nicht fehlen. Wieder war dieser ein bundesweites Ereignis und die Geschäfte liefen für den Handel bestens. In der Nacht noch lieferte Weltbild in Kooperation mit der Deutschen Post 100.000 Bände direkt in die Wohnungen aus. Mit 200.000 Exemplaren war er auch bei Amazon das bisher erfolgreichste Buch in den Vorbestellungen der Firmengeschichte. Carlsen Verlag hat zum Start insgesamt zwei Millionen Exemplare ausliefern lassen und davon allein am 1. Verkaufstag eine Million auch verkauft, eine Herausforderung für die KNO Verlagsauslieferung. Frankreich hatte auch zwei Millionen Startauflage drucken lassen, lag aber mit 800.000 verkauften Exemplaren am Starttag hinter Deutschland zurück. Der 6. Potter-Band brach noch einmal alle bisherigen Rekorde und wurde übersetzt in 62 Sprachen mit einer derzeitigen Gesamtauflage von rund 258 Millionen Exemplaren. Carlsen durfte auch schon wieder nachdrucken. Beim Erstverkaufstag fanden bundesweit überall erneut große Events statt. Mittlerweile lesen aber fast alle potenziellen Fans das Buch natürlich sofort bei Erscheinen, nach diesem Tag gehen wie bereits im Vorjahr die Verkaufszahlen drastisch zurück. Das Interesse wird allerdings durch den neuen Film „Harry Potter und der Feuerkelch“ noch mal geweckt, auch laufen die älteren Filme nunmehr im Fernsehen.

Vom Potter-Fieber profitieren natürlich auch ähnliche Fantasy-Autoren. Cornelia Funke läuft mit ihrer „Tinten“-Trilogie, deren zweiter Teil „Tintenblut“ erschienen ist, bereits in Deutschland Kopf an Kopf mit Joanne K. Rowling, dicht gefolgt von „Eragon“ (Christopher Paolini) und „Bartimäus“ (Jonathan Stroud). Das Kinder- und Jugendbuch nimmt in den Bestseller-Listen mehr und mehr an Bedeutung zu.

Dachte man noch, das Interesse an _Papst-Büchern_ – ausgelöst durch den Tod von Johannes Paul II. und die Wahl von Benedikt XVI. – sei eine kurzlebige Sache, so erstaunt eine gegenteilige Entwicklung. Der Run auf die Bücher nimmt nicht ab, allein bei Herder Verlag sind inzwischen 14 Titel über den neuen Papst im Programm, ständig vergriffen und werden nachgedruckt. Eine parallele Eintrittswelle in die katholische Kirche bleibt allerdings aus. Unverändert kündigt die Bevölkerung stetig ihre Mitgliedschaft in beiden christlichen Lagern. Die Anzahl der Nichtchristen ist inzwischen genauso hoch wie die der beiden großen Kirchen. Allerdings hat die Evangelische Kirche in Deutschland mittlerweile ihre Mehrheit verloren, da sie von einer größerer Austrittswelle betroffen war, und die Katholiken stellen momentan die Mehrheit der deutschen Christen.

Die _Editionen der Zeitungen_ boomen unverändert. Die Jugendbibliotheken der „Süddeutschen Zeitung“ und von „Geolino“ (Gruner + Jahr) finden reißenden Absatz. Von den ersten fünf Bänden der „SZ“-Edition wurden mehr als 400.000 Exemplare verkauft und sie wurde von 13.000 Kunden abonniert, knapp dahinter liegt „Geolino“ mit 380.000 Exemplaren. Allein über den Bertelsmann-Club sind davon 160.000 Exemplare weggegangen, weswegen im Frühjahr die nächste Reihe „Zeit-Kinder“-Edition – die schönsten Bücher zum Vorlesen – startet. Auch die Comic-Editionen liefen bestens. Die zwölfbändige Reihe von „Bild“ und „Weltbild“ übertrafen die Erwartungen und ging pro Titel im sechsstelligen Bereich über den Ladentisch, allein die erste Ausgabe „Asterix“ verkaufte sich mehr als 200.000-mal. Auch die „FAZ“ zeigte sich mit ihrer Comicreihe zufrieden: 800.000 Vorbestellungen. Comics gelten mittlerweile nicht mehr als Schund, sondern als Mittel zur Leseförderung. Die eigentlichen Comic-Verlage versprachen sich von beiden Editionen eigentlich auch Zulauf, aber dies führte nicht zu erkennbaren Verkaufsausschlägen nach oben. Als mit der „SZ“-Bibliothek die erste deutsche Zeitungs-Buchedition auf den Markt kam, hielt man das für ein einmaliges Ereignis. Doch mittlerweile sind 15 Editionen im Markt und weitere 10 für 2006 geplant. Vorreiter war Italien, dort erschienen allein 2004 mehr als 100 Zeitungs-Editionen und ein Ende des Booms ist nicht in Sicht. Im ersten Quartal 2006 startet die „Süddeutsche Zeitung“ eine 50-bändige Krimibibliothek. Schon im Dezember startete der „Stern“ eine 24-bändige Krimibibliothek mit Random House als Vertriebspartner. Nach dem „Handelsblatt“ ist auch „Financial Times Deutschland“ in das Editionsgeschäft eingestiegen: zwölf Bücher zur Globalisierung im Wochentakt. Und die „SZ“ startet zum WM-Fieber mit Bänden zu Turnieren früherer Weltmeisterschaften. Die „Zeit“ startete in Zusammenarbeit mit „Brockhaus“ eine 20-bändige Welt- und Kulturgeschichte und hatte bereits nach einer Woche 20.000 Komplettpakete der Reihe verkauft. Vom ersten Band wurden 660.000 Exemplare über die „Zeit“-Ausgabe kostenlos verschenkt. Auch die DVD-Reihen werden fortgesetzt: Die „FAZ“ macht weiter mit ihrer „Faszinierende Natur“-Edition; „Welt“ und „Welt am Sonntag“ machen weiter mit der „Biografie der Weltgeschichte“ und die zweite Staffel der „SZ“-Cinemathek mit weiteren 50 Filmen kommt auch im nächsten Jahr. Auch der „Spiegel“ wird nun mit einer eigenen Buchreihe starten.

Das _politische Sachbuch_ dagegen hält nicht die Verkaufserwartungen, vor allem die Bücher zur Bundestagswahl waren nicht wirklich gefragt. Schröder und Merkel in Buchform haben offenbar nicht interessiert. Nur Oscar Lafontaines „Politik für alle“ kletterte auf den Bestseller-Listen nach oben. Nach dem unübersichtlichen Wahlergebnis waren die Leser das Thema leid, sie sind einfach übersättigt. Schon während der Wahlen war die Resonanz schlecht. Auch berichtenswert: Das Landgericht Hamburg hat gegen den Eichborn-Verlag eine einstweilige Verfügung ausgesprochen. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte sich dagegen gewehrt, dass Textstellen in Hans-Joachim Selenz` „Schwarzbuch VW“ suggerieren könnten, er habe im Jahr 1992 Sexdienste in Anspruch genommen. Der Verlag ändert nun diese Passagen in den nächsten Auflagen.

Auch die Erfolgsstory des _Hörbuchs_ geht weiter; in den ersten neun Monaten 2005 stieg der Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 20 %. Als „Hörbücher des Jahres“ gewählt wurden „Wörter Sex Schnitt“ von Intermedium Records – Tonaufzeichnungen von Rolf Dieter Brinkmann in einer fünf CDs umfassenden Box – und als Kinder- und Jugendhörbuch „Winn-Dixie“ von Kate DiCamillo, erschienen bei der Hörcompany. Die Preisverleihung findet am Sonntag, den 22. Januar 2006 um 11 Uhr im Staatstheater Wiesbaden statt. Auch auf der Leipziger Buchmesse wird die Erfolgsgeschichte des Hörbuchs seine Fortsetzung finden. Mit über 100 Hörbuch-Ausstellern, rund 100 Veranstaltungen, zahlreichen Prominenten und einer Präsentation aller ARD-Hörfunkanstalten ist die Leipziger Buchmesse noch vor der Frankfurter Messe die wichtigste und größte Hörbuch-Veranstaltung in Deutschland. Im letzten Jahr noch umstritten, scheint nun aber die Zeit für eine Hörbuch-Zeitschrift langsam reif zu sein. Gleich zwei herausgebende Verlage platzieren je ein eigenes Magazin auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt. Das _“HörBuch Magazin“_ erscheint alle acht Wochen zum Preis von stolzen 9,90 Euro (10,90 Euro in Österreich, 19,80 Franken in der Schweiz), beinhaltet eine Audio-CD mit kurzen Hörbüchern (bisher die kostenlosen Märchen von Vorleser.net) und wird gestaltet vom Pressebüro Typemania, das seinen eigentlichen Schwerpunkt im Computerbereich hat. Allerdings erscheint dieses Magazin zu dünn für seinen durchaus respektablen Preis.
Das zweite Magazin hat noch keinen Namen: Die „_Goodlife Media Group_“ plant ein Print-Magazin über Hörbücher (zunächst 3000, später 12.000 Exemplare) und sucht dafür zurzeit ehrenamtliche (!) Mitarbeiter, die Lust haben, Rezensionen zu schreiben und Interviews zu führen.
Der Deutsche Literaturfonds und die Bundesakademie Wolfenbüttel laden junge Autoren, die für das Hörspiel professionell schreiben möchten, zu einem _Workshop für Hörspielautoren_ nach Wolfenbüttel und Hamburg ein. Der Kurs vom 7. bis 16. Juni 2006 richtet sich an deutschsprachige Autoren, die bereits mindestens einen literarischen Text veröffentlicht haben (keine Publikationen im Selbstverlag oder als Book-on-Demand). Bewerbungsschluss ist der 31. März 2006, weitere Infos gibt es auf http://www.deutscher-literaturfonds.de.
Claudio.de und Abebooks.de starten den Wettbewerb „_Rote Feder 2006_“ für Liebhaber von Klassiker-Geschichten. Wer diese in moderner Form umsetzt und als MP3-Datei aufnimmt, hat die Chance, sein Werk auf zwei großen Internetplattformen zu präsentieren. Unter allen Einsendungen, die bis zum 31. Januar eingegangen sind, wird von den Redaktionen eine Vorauswahl getroffen – diese Beiträge werden bei Claudio.de und Abebooks.de veröffentlicht. Dann haben die User das Wort: Ihr trefft per Voting eine Vorauswahl und bestimmt eure Favoriten für die Endausscheidung. Eine Jury aus Autoren, Sprechern, Hörbuchproduzenten und Feuilleton-Redakteuren wird schließlich aus den beliebtesten Beiträgen die Gewinner des 1. bis 3. Preises auswählen. Der Gewinner der „Roten Feder 2006“ wird zur offiziellen Preisvergabe am 16. März auf der Leipziger Buchmesse 2006 eingeladen und darf dort seinen Beitrag persönlich vorstellen. Außerdem wird sein Wettbewerbsbeitrag in einem Tonstudio professionell produziert. Alle weiteren Informationen: http://www.claudio.de/cms.do?cms=/opencms/sites/Claudio/rfeder.html.

_Die Andere Bibliothek_, von Hans Magnus Enzensberger im Eichborn-Verlag herausgegeben, wird bis Ende 2007 fortgesetzt. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte Hans Magnus Enzensberger verpflichtet, seinen Vertrag mit Eichborn zu erfüllen (über die Hintergründe berichteten wir schon, siehe Archiv früherer Buchbranchen-Kolumnen).

_Suhrkamp_ expandiert kräftig. Nachdem das Projekt _Deutscher Klassiker Verlag_ im Taschenbuch gut startete, folgt im Herbst 2007 der _Verlag der Weltreligionen_. Zum wissenschaftlichen Beirat gehören u. a. der Ägyptologe Jan Assmann und der Soziologe Ulrich Beck. Zudem ist eine neue Taschenbuchedition innerhalb des Suhrkamp-Programms vorgesehen, die _Edition Unseld_. Diese neue Reihe ist interdisziplinär angelegt und soll Erkenntnisse der Naturwissenschaften mit denen der Geistes- und Kulturwissenschaften verbinden.

_Neclak Kelek_, Türkin mit deutschem Pass und Autorin „Die fremde Braut“ (Kiepenheuer & Witsch), schildert in ihrem Buch die Folgen der türkischen Zwangsheirat in Deutschland. Zuweilen, meint sie, verstellt das besondere Schuldgefühl der Deutschen „den klaren Blick auf die heutigen Realitäten von Unterdrückung und Ausgrenzung“. Für ihr Engagement erhielt sie am 14. November vom Landesverband Bayern des Börsenvereins und der Stadt München den Geschwister-Scholl-Preis, der mit 10.000 Euro dotiert ist. Heribert Prantl, der Preisträger von 1994, verglich ihr Buch in seiner Rede mit einem „Faustschlag auf den Schädel“, der dem Leser die Augen öffnen solle für die jungen türkischen Frauen, „die das Wort Gleichberechtigung nicht sprechen, nicht schreiben, nicht leben können“.

_Marcel Reich-Ranicki_ sagte in der „Bunten“ über _Martin Walser_: „Er verübelt Juden, dass sie überlebt haben. Das ist durchaus kein Antisemitismus. Das ist Bestialität“. Martin Walser reichte daraufhin Unterlassungsklage gegen Reich-Ranicki ein. Um den gerichtlichen Streit abzuwenden, unterzeichnete Reich-Ranicki eine Unterlassungserklärung.

_Indizierung_: Das im Bohmeier Verlag erschienene Buch „Das Buch Noctemeron – Vom Wesen des Vampirismus“ von Frater Mordor ist von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften auf den Index gesetzt worden. Die Indizierung wurde im „Bundesanzeiger“ Nr. 206 veröffentlicht.

Ganz interessant bei der _Frankfurter Buchmesse_ ist seit letztem Jahr zu beobachten, wie sich Film und Literatur aufeinander zu bewegen. Bereits seit 2003 ist neben dem „Deutschen Buchpreis“ und dem „Friedenspreis“ das „Forum Film & TV“ ein weiterer Höhepunkt. Seit dem Frühjahr 2005 besteht nun auch eine Kooperation mit der „Berlinale“. Die drei Branchen Buch, Musik und Film beginnen im deutschen Sprachraum eng zusammenzuarbeiten. Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse fanden nun erstmals so genannte „Speed Dating Sessions“ statt, bei denen sich Produzenten und Redakteure, Agenten und Autoren näher kamen, für die auch ein Verfilmungsrechtekatalog vorbereitet wurde. In noch größerem Rahmen wird diese Kontaktpflege zwischen Autoren, Verlagen und Produzenten auf der Berlinale 2006 fortgesetzt.

Auch in diesem Jahr war die Messe sehr erfolgreich und hatte mit 284 838 Besuchern ein Plus von 6,3 % im Vergleich zum Vorjahr auf mehr Ausstellungsfläche und auch mit mehr Ausstellern.

Dieses Jahr war Korea Gastland, 2006 folgt Indien und 2007 die „Katalanische Kultur“. Für 2009 wird China anvisiert, da Deutschland 2007 auch Gastland auf der chinesischen Buchmesse in Peking sein wird. Allerdings sollten dann auch kritische Diskussionen möglich sein und auch Hongkong und Taiwan einbezogen werden.

Auf Hinweis der Frankfurter Buchmesse klärt nun die Frankfurter Staatsanwaltschaft Vorwürfe gegen iranische Aussteller, an deren Gemeinschaftsstand Bücher und Broschüren mit antisemitischem und gewaltverherrlichendem Inhalt ausgestellt waren.

Wie wir schon berichteten, ging der diesjährige _Friedenspreis_ an den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk, der in der Türkei angeklagt wird wegen Äußerungen über getötete Kurden und Armenier. Im türkischen Fernsehen sagte er jetzt: „Ich will der erste Schriftsteller der Türkei sein, der nicht ins Gefängnis geht“. Wie Nazim Hikmet und Yasar Kemal saßen bisher praktisch alle bedeutenden Schriftsteller des Landes wegen unbequemer Äußerungen hinter Gittern. Pamuk sieht seinen Prozess als Testfall dafür, inwieweit die in den vergangenen Jahren wegen der türkischen EU-Bewerbung beschlossenen Reformen in der Türkei umgesetzt werden. In einem Land, das in die Europäische Union will, sollten die Bürger das Recht haben, auch unbequeme Meinungen zu äußern. Seine Auszeichnung in Deutschland durch den Börsenverein hat allerdings die türkische Öffentlichkeit gespalten. Liberale Zeitungen wie „Radikal“ druckten den gesamten Text seiner Dankesrede ab, andere Blätter beschränkten sich auf kleine, unkommentierte Meldungen. Die auflagenstärkste Zeitung „Hürriyet“ kritisierte, dass in der Pauluskirche seine Äußerungen zur dunklen Geschichte der Türkei Beifall hervorrief. Aufgrund seines Interviews, das Pamuk anlässlich der Preisverleihung der „Welt“ gab, ermittelt erneut die Istanbuler Staatsanwaltschaft wegen angeblicher Verunglimpfung des türkischen Militärs. Im Interview hatte er gesagt, die türkische Armee behindere manchmal die demokratische Entwicklung. In Deutschland hat Pamhuks jüngster Roman „Schnee“ inzwischen die Bestseller-Listen erreicht.

Wenige Tage vor der Frankfurter Buchmesse hatte _Dieter Schormann_ bekannt gegeben, dass er sein Amt als Vorsteher des Börsenvereins zum Jahresende niederlegt. Aufgrund seines Wechsels von einer traditionsreichen inhabergeführten Buchhandlung zur expandierenden Buchhandelskette Thalia sah er das Vertrauen in ihn durch die Mitglieder auch kleiner Unternehmen nicht mehr gegeben. Aber zuvor war auch entsprechende Kritik der Mitglieder erfolgt. Schormann war vier Jahre lang als Vorsitzender fast ununterbrochen täglich für den Börsenverein unterwegs: Umbau zum Gesamtverein, Preisbindungsgesetz, Urheberrechtsnovelle, Lobbyarbeit im In- und Ausland. Am 1. Januar übernimmt der stellvertretende Vorsitzende _Gottfried Honnefelder_ (DuMont Literatur- und Kunstverlag) diese Aufgaben. Bei der Hauptversammlung im Mai wird aber ein neuer Vorsteher gewählt.

|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/.|

Interview mit Andreas Brandhorst

Tobias Schäfer:
Hallo Andreas, ich bin hocherfreut, dich in unserem Magazin begrüßen zu dürfen! Für alle, die Andreas Brandhorst etwas näher kennen lernen wollen: Wer bist du und was treibst du so?

Andreas Brandhorst:
Ich bin 1956 in Norddeutschland geboren und schreibe, seit ich schreiben gelernt habe. Inzwischen lebe ich seit über zwanzig Jahren in meiner Wahlheimat Italien, wo ich nach dem Ende meiner zweiten Ehe (mit einer Italienerin) geblieben bin, weil ich dieses Land, seine Leute und Kultur sehr liebe. Lange Zeit habe ich vor allem übersetzt, aber seit einigen Jahren schreibe ich auch wieder selbst.

Tobias Schäfer:
Was sagst du zu dem »Vorwurf«, neuer Shooting-Star der deutschen Science-Fiction zu sein?

Andreas Brandhorst:
Zum Glück bezeichnet man mich nicht als Nachwuchsautor, denn immerhin werde ich nächstes Jahr 50! 🙂 Shooting-Star … Na ja, ich mag diesen Ausdruck nicht sehr, denn immerhin bin ich seit fast dreißig Jahren als Profi in der deutschen SF tätig und habe schon damals Romane geschrieben und an den legendären Terranauten mitgewirkt. Aber: In gewisser Weise hat er durchaus seine Berechtigung, denn ich sehe einen klaren Unterschied zwischen meinem heutigen Werk und der damaligen Arbeit. Heute bin ich einfach reifer, viel reicher an Lebenserfahrung, und ich gehe mit einem ganz anderen Anspruch an die Schriftstellerei heran. Der Andreas Brandhorst von heute ist ein anderer als der von damals. Als »Star« sehe ich mich allerdings nicht. 🙂

Tobias Schäfer:
Durch das Kantaki-Universum hast du die deutschen Science-Fiction-Leser auf dich aufmerksam gemacht. Seit »Diamant« im Mai ’04 auf den Markt kam, kann man dich zu den produktivsten Schriftstellern des Genres rechnen. In den Jahren reiner Übersetzertätigkeit hat sich deine Kreativität anscheinend stark gestaut?

Andreas Brandhorst:
»Diamant« im Mai ’04, es folgte »Der Metamorph« im Januar ’05 und »Der Zeitkrieg« im Oktober ’05. Wenn man berücksichtigt, dass ich vor dem Erscheinen von »Diamant« ca. ein Jahr an dem Roman gearbeitet habe, so sind das drei Romane in 29 Monaten (ohne »Exodus der Generationen«). Das ist eigentlich nicht übermäßig produktiv, oder? An Kreativität hat es mir nie gemangelt (die braucht man auch fürs Übersetzen), aber ich schreibe heute sehr langsam und sehr, sehr sorgfältig, etwa drei Seiten pro Tag, aber jeden Tag – das sind etwa tausend Seiten im Jahr, also anderthalb dicke Romane. Es geht mir heute vor allem um die Qualität und nicht um die Quantität. Ich hoffe, das merkt man den Romanen an.

Tobias Schäfer:
Da kann ich dich beruhigen 😉 Der umfassend ausgearbeitete Hintergrund zu den Romanen um Valdorian und Lidia bietet Raum für unzählige noch unerzählte Geschichten. Die fremden Völker des Universums üben einen besonders großen Reiz aus. Jedes von ihnen hat eine spannende Geschichte, die anfangs ziemlich schwarz-weiße Weltsicht hat sich schließlich im »Zeitkrieg« verwischt. Was passiert nun mit den Temporalen, Kantaki, Feyn? Und vor allem: Was ist mit den Xurr? In dieser Hinsicht lässt du den Leser sehr erwartungsvoll zurück.

Andreas Brandhorst:
Ich habe sehr viel Zeit und Mühe in die Ausarbeitung des Hintergrunds für das Kantaki-Universum investiert, denn so etwas lohnt sich: Als Autor bekommt man dadurch eine große Bühne mit vielen Kulissen, um Geschichten zu erzählen. Natürlich kann ich hier nicht verraten, was aus den bisher geschilderten Völkern wird, obwohl mein Computer viele entsprechende historische und chronologische Daten enthält. (Hoffentlich fordere ich mit diesem Hinweis keine Hacker-Angriffe heraus …) Es ist wie mit einem Eisberg: Nur ein kleiner Teil zeigt sich über Wasser, der Rest bleibt darunter verborgen. Bisher kennen die Leser nur einen winzig kleinen Teil des Kantaki-Universums. In den nächsten Büchern wird es bestimmt die eine oder andere Überraschung geben …

Tobias Schäfer:
Vor allem im letzten Band »Der Zeitkrieg« drängen sich die hintergründigen Informationen. Hättest du die Geschichte lieber noch ein wenig ausgedehnt?

Andreas Brandhorst:
Nein, eigentlich nicht. »Der Zeitkrieg« beantwortet viele Fragen, die in »Diamant« und »Der Metamorph« offen blieben. Der große Kreis schließt sich zu Recht in diesem Band; ein vierter Roman hätte alles nur gedehnt und langatmig gemacht. Aber es bleibt auch das eine oder andere offen, was mir Gelegenheit gibt, vielleicht noch einmal darauf zurückzukommen: auf Olkin und das Flix, oder auf die Xurr … 🙂

Tobias Schäfer:
Rückblickend kann man sagen, dass dir der Charakter »Valdorian« am stärksten am Herzen lag. Über ihn hast du die Suche nach dem ewigen Leben neu erzählt. Was macht für dich die Faszination dieser Figur und/oder dieses Themas aus?

Andreas Brandhorst:
Ich glaube, dass in jedem Bösen etwas Gutes steckt, und dass jeder Gute auch einmal böse werden kann. Die Komplexität des menschlichen Wesens fasziniert mich, und ich glaube, die kommt im Valdorian gut zum Ausdruck, wenn man seine Entwicklung vom Saulus zum Paulus über die drei Romane hinweg verfolgt. Außerdem beschäftige ich mich immer mehr mit dem Leben an sich und dem Tod, einem Thema, dem sich keiner von uns entziehen kann. Der Tod, welch eine Verschwendung: Man verbringt das ganze Leben damit, Wissen zu sammeln und Erfahrungen zu machen, klüger zu werden, und dann, in einem Augenblick, geht das alles verloren. Und die verschiedenen Straßen des Lebens, die Diamant und Valdorian beschreiten: Oftmals gibt es nach einer getroffenen Entscheidung kein Zurück mehr. Wir alle müssen versuchen, das Beste aus unserem Leben zu machen, und genau dieser Gedanke hat ja zunächst die verschiedenen Lebensentscheidungen von Diamant und Valdorian bestimmt.

Tobias Schäfer:
Für manche Leser mag die Wandlung Valdorians zu plötzlich erfolgen. Wie antwortest du auf Vorwürfe der Unglaubwürdigkeit? Kommt so was überhaupt vor?

Andreas Brandhorst:
Nein, bisher sind solche Vorwürfe noch nicht aufgetaucht, oder mir zumindest nicht bekannt. Valdorian ist, wenn man genau hinsieht und aufmerksam liest, eine sehr komplexe Person, zuerst mit einem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater, der dann aber sogar zu seinem Idol wird. Es gibt in allen drei Romanen Stellen, die seinen inneren Zwist zeigen, seine Zerrissenheit – er ist nie schwarz oder weiß, sondern grau. Die Konfrontation mit Diamants Einstellungen zum Leben verändert ihn nach und nach, und ein wichtiges Schlüsselerlebnis in diesem Zusammenhang ist die Begegnung mit seiner Mutter in »Der Zeitkrieg«. Er beginnt zu verstehen, dass Dinge, die er für unwichtig gehalten hat, tiefe Bedeutung haben, und er denkt darüber nach. Er fängt an, Verantwortung zu übernehmen, für sich selbst und auch die Welt (das Universum), in der er lebt. All diese subtilen Veränderungen schlagen schließlich als Quantität in Qualität um. Ein neuer Valdorian wird geboren, und damit schließt sich für ihn ein eigener Kreis: Er, der am Ende seines Lebens nach neuer Jugend strebte, erneuert sich im Tod.

Tobias Schäfer:
Wo wir gerade bei den Lesern waren: Wir leben ja im Zeitalter der ungehemmten Kommunikation. Stehst du in engem Kontakt mit Menschen, die erst durch deine Geschichten an dich herangetreten sind? Kannst du dich vor Leserpost kaum retten oder traut sich niemand an dich heran?

Andreas Brandhorst:
Es ist nicht so, dass ich jeden Tag zwei Säcke Post bekäme … 🙂 Für die Leser gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Da wäre zum Beispiel das Forum der Kantaki-Site [down, Anm. d. R.] wo ich mich bemühe, jeden Beitrag zu beantworten. Abgesehen davon bekomme ich erstaunlich viele E-Mails und frage mich manchmal, woher die Schreiber meine E-Mail-Adresse kennen. Auch in diesem Fall versuche ich, jede Mail zu beantworten.

Tobias Schäfer:
In dem Zusammenhang erinnere ich mich an eine Anekdote aus dem Perry-Rhodan-Werkstattband, wo William Voltz ständig unangemeldeten Besuch seiner Leser bekommt. Wirst du manchmal persönlich behelligt oder beschränkt sich diese Art Kontakt auf Cons?

Andreas Brandhorst:
Da ich in Italien wohne, kommt es (fast) gar nicht zu solchen Überraschungsbesuchen. Es gab nur eine Ausnahme, vor zwei Jahren … 🙂 Vor etwa 25 Jahren, als ich noch in Deutschland wohnte und Romane für die Terranauten schrieb, kam es öfter vor, dass plötzlich Leute vor meiner Wohnungstür standen, in einem Fall eine Gruppe von sieben oder acht Jugendlichen. Wir haben uns dann zusammengesetzt und gemütlich miteinander geplaudert …

Tobias Schäfer:
Dein erster Beitrag zum sogenannten »Perryversum« war erstens eine Überraschung und stellt zweitens einen unbestrittenen Höhepunkt der Serie dar. Wie bist du dazu gekommen? Ist nach deinem Roman »Die Trümmersphäre« weiteres Engagement in der Serie geplant?

Andreas Brandhorst:
Dazu gekommen ist es durch ein Gespräch im Heyne Verlag, im Oktober 2003, glaube ich, wo Sascha Mamczak, der mit Klaus Frick in Verbindung stand, das Lemuria-Projekt ansprach. Ich hatte gerade »Diamant« fertig gestellt, und mich reizte die Vorstellung, einen Beitrag für das Perryversum zu schreiben, das für mich als 12/13-Jähriger praktisch der Einstieg in die SF war – ich habe die Romane damals regelrecht verschlungen. »Die Trümmersphäre« habe ich nach dem »Zeitkrieg« geschrieben, und dieser zweite Beitrag für das Perryversum war aus mehreren Gründen extrem harte Arbeit. Nach der Fertigstellung dieses Romans dachte ich mir: Jetzt nimmst du dir erst einmal eine Auszeit und widmest dich ganz deinen eigenen Projekten. Damit ist die Frage praktisch schon beantwortet: Eine weitere Mitarbeit meinerseits bei PR ist derzeit nicht konkret geplant, was sie aber mittel- oder gar langfristig nicht ausschließt.

Tobias Schäfer:
Was erwartet die Leser in deinen nächsten eigenständigen Romanen? Kannst du dazu zu diesem Zeitpunkt schon etwas verraten?

Andreas Brandhorst:
Ja, ich denke, ich kann hier ein kleines Geheimnis lüften. Derzeit arbeite ich an »Feuervögel«, einem Roman, der im Oktober 2006 bei Heyne erscheinen wird, aller Voraussicht nach als erster Band einer neuen Trilogie; die Arbeitstitel für den zweiten und dritten Band lauten »Feuerstürme« und »Feuerträume«. Und: Diese neuen Romane sind im Kantaki-Universum angesiedelt, allerdings in einer aus Valdorians und Diamants Sicht fernen Zukunft. Vom Umfang her werden die neuen Romane den ersten drei Kantaki-Romanen ähneln. Was den Inhalt betrifft … (Schnitt)

Tobias Schäfer:
Als Schriftsteller scheinst du ziemlich ausgebucht zu sein. Da wirkt es erstaunlich, deinen Namen noch regelmäßig bei Übersetzungen vorzufinden, derzeit vor allem bei Terry-Pratchet-Romanen – und ganz aktuell bei David Brins »Copy«. Wie bringst du das alles unter einen Hut?

Andreas Brandhorst:
Indem ich knallhart arbeite. Der Brin zum Beispiel hat wirklich meine ganze Kreativität gefordert; ich glaube, es war eine der schwierigsten Übersetzungen, die ich jemals gemacht habe. Mit Pratchett bin ich nach circa 30 Romanen gut »synchronisiert« … Eigentlich gefällt mir die Mischung aus eigenem Schreiben und Übersetzen. Ich möchte sie nur noch etwas mehr zugunsten der eigenen Werke verändern.

Tobias Schäfer:
Was ist das für ein Stoff, den Pratchet schreibt? Seine Romane sind ja regalfüllend in diversen Buchhandlungen zu finden. Was macht den Reiz dieser Geschichten aus?

Der besondere Reiz von Pratchetts Geschichten besteht aus der genialen Mischung von Intelligenz und Humor. Ich halte Terry Pratchett für einen der besten Schriftsteller überhaupt. Ihm gelingt es, Personen mit ein oder zwei Sätzen zu charakterisieren, und seine Schilderungen zeichnen sich immer durch große Tiefe aus. Man kann seine Romane auf zwei Arten lesen: als lustige, leicht verdauliche Unterhaltung, und als tiefsinnige Romane, bei denen einem manchmal das Lachen im Halse stecken bleibt.

Tobias Schäfer:
Wir haben jetzt viel über den offiziellen Brandhorst gesprochen. Danke sehr für die interessanten Antworten! Aber was macht der Mensch Andreas, wenn er ein bisschen Zeit für sich findet?

Andreas Brandhorst:
Nach all der Zeit am Computer lege ich großen Wert darauf, mich körperlich fit zu halten. Ich laufe fast jeden Tag mindestens eine Stunde, egal ob es stürmt, regnet oder schneit. Wenn ich nicht laufe, stemme ich Gewichte. Manchmal schnappe ich mir Notebook und Auto, reise durch Italien – ich liebe dieses Land! –, und bleibe eine Zeit lang, wo es mir gefällt. Ich bin nach zwei Ehen wieder Single, Sohn und Tochter sind erwachsen … Ich genieße meine Freiheit, laufe im Winter an menschenleeren Stränden, schreibe an einem warmen Kaminfeuer, denke über das Leben nach … 🙂

Tobias Schäfer:
Dann wünsche ich dir, dass diese Zeit nicht zu kurz kommt – obwohl ich natürlich vor allem auf viele spannende Romane von dir hoffe. 🙂 Alles Gute weiterhin!