Archiv der Kategorie: Horror & Unheimliches

Hill, Joe – Black Box

In 15 Kurzgeschichten plus einer Novelle präsentiert Joe Hill, der neue Stern am Horror-Himmel, ein breites Themenspektrum:

Vorwort (von Christopher Golden): S. 7-11
Danksagung: S. 12-20

– _Best New Horror_ („Best New Horror“), S. 21-55: Man sollte meinen, niemand könne die Tücken psychopathischer Irrer besser erkennen als Herausgeber harter Horrorstorys, doch auch sie sind vor Betriebsblindheit keineswegs gefeit …

– _20th Century Ghosts_ („20th Century Ghosts“), S. 45-84: Das schöne Mädchen liebte Filme über alles; es mag selbst im Tod nicht von diesem Hobby lassen, hätte aber schrecklich gern einen Partner, der ihre Einsamkeit teilt …

– _Pop Art_ („Pop Art“), S. 85-118: Freundschaft ist ein seltenes und oft vergängliches Gut; du lernst diese Lektion besser schnell, wenn dein bester Kumpel eine lebendige Gummipuppe ist …

– _Der Gesang der Heuschrecken_ („You Will Hear The Locust Sing“), S. 119-147: Ein von der Gesellschaft geächteter junger Mann verwandelt sich in ein riesiges Insekt und kann es seinen Peinigern endlich heimzahlen …

– _Abrahams Söhne_ („Abraham’s Boys“), S. 148-177: Dies ist die wahre Geschichte des Abraham van Helsing, der sich für einen großen Vampirjäger hält und doch nur ein Psychopath ist, der seine Familie terrorisiert …

– _Besser als zu Hause_ („Better Than Home“), S. 178-205: Auf dieser Welt haben Außenseiter wenig zu lachen, und so sollte man einen Ort haben, an den man vor den ‚Normalen‘ flüchten kann …

– _Das schwarze Telefon_ („The Black Phone“), S. 206-240: Serienkiller Albert entführt ein Kind zu viel – nämlich eines, das mit dem „zweiten Gesicht“ begabt ist und sich von den früheren Opfern des Kidnappers zwecks Gegenattacke beraten lassen kann …

– _Endspurt_ („In The Rundown“), S. 241-262: Kein Geld, den Job verloren und auch privat in der Sackgasse gelandet, aber Prolet Wyatt muss lernen, dass es immer noch schlimmer kommen kann …

– _Das Cape_ („The Cape“), S. 263-293: Verlierer Eric entdeckt ein Talent bei sich, das ihn zu etwas Besonderem macht – die ideale Gelegenheit, es allen zu zeigen, die ihn als Trottel behandelt haben …

– _Ein letzter Atemzug_ („Last Breath“), S. 294-307: Der alte Arzt sammelt die letzten Atemzüge von Menschen, und er hält seinen Aufzeichnungsapparat stets bereit …

– _Totholz_ („Dead-Wood“), S. 308-309: Bäume sind Lebewesen, und deshalb kommen auch sie manchmal als Geister zurück …

– _Witwenfrühstück_ („The Widow’s Breakfast“), S. 310-324: Im Jahre 1935 bringt der Tod einem Landstreicher endlich auch einmal ein wenig Glück …

– _Bobby Conroy kehrt von den Toten zurück_ („Bobby Conroy Comes Back From The Dead“), S, 325-357: Bei den Dreharbeiten zu einem Zombie-Film entdeckt Bobby die verschollene Liebe seines Lebens und ergreift die Initiative …

– _Die Maske meines Vaters_ („My Father’s Mask“), 358-392: Im Blockhaus findet ein teuflischer Handel statt, aber worum es genau geht, wird Jack nie genau erfahren …

– _Die Geretteten_ („The Saved“), S. 393-420: Der Versuch eines geschiedenen Vaters, seine Tochter zu besuchen, endet als Familiendrama …

– _Black Box_ („Voluntary Committal“), S. 421-498: Morris baut Pappkisten-Burgen, in die man hineinschlüpfen, aus denen man aber manchmal keinen Ausgang finden kann …

Anmerkungen („Story Notes“), S. 499-510

Das Leben ist ein gefährliches Abenteuer, und gleich um die Ecke kann stets das Verhängnis auf dich lauern. Eine bittere Erkenntnis ist dies, aber realistisch, wenn man Joe Hill Glauben schenken möchte, was abzulehnen schwerfällt, da er sie so überzeugend in Worte zu fassen versteht.

Die hier gesammelten 15 Storys und eine Novelle stellen einen Überblick zum noch schmalen Gesamtwerk von Joe Hill dar, der längst nicht ’nur‘ moderne Horrorgeschichten schreibt. Die „Black-Box“-Geschichten lassen sich in drei Kategorien gliedern.

„Besser als zu Hause“, „Endspurt“, „Witwenfrühstück“, „Bobby Conroy kehrt von den Toten zurück“, „Die Geretteten“ kommen ohne Elemente der Phantastik aus. Sie stellen Momentaufnahmen aus den Leben von Menschen dar, die in einer Krise stecken. Außenseiter sind Hills ‚Helden‘, die entweder gänzlich ins gesellschaftliche Aus geraten, oder die wir dabei beobachten dürfen, wie sich am Ende des Tunnels ein Licht auftut. Hill verarbeitet hier unter anderem Teile eines Romans, der in der Depressionszeit der 1930er Jahre spielen sollte, jedoch unvollendet blieb.

Diese Storys werden dem Liebhaber ‚echter‘ Literatur womöglich besser gefallen als dem Horrorfreund. Hier sind die Ereignisse emotionaler und nicht jenseitiger Natur, ohne dass sie dadurch weniger dramatisch wirken. Wie sein Vater Stephen King hat Hill ein Gespür dafür, wie der Durchschnittsmensch denkt, fühlt und handelt. Vor allem sind es keine simpel gestrickten Naturen, die er uns vorstellt, sondern komplexe Charaktere, die durch innere Spannungen und persönliche Probleme quasi vorgezeichnet sind. Ohnehin in einer Ausnahmesituation lebend, geraten sie erst recht vom Regen in die Traufe. Für das allzu Menschliche muss man sich allerdings interessieren, sonst werden diese Geschichten wohl langweilen, zumal Hill sie – es muss gesagt werden – hin und wieder mit Hilfe nur zu bekannter Klischees über die Distanz bringt.

„Pop Art“, „Der Gesang der Heuschrecken“ und „Die Maske meines Vaters“ sind eher groteske als gruselige Geschichten. Vor allem „Pop Art“ ist im doppelten Sinn fabelhaft: Dass Art im wahrsten Sinn des Wortes eine Gummipuppe ist, wird von Hill als absolut normal dargestellt. Niemand fühlt sich in seiner kleinen, aber gar nicht heilen Kleinstadtwelt durch diese Tatsache irritiert. Art, die Puppe, ist der perfekte Außenseiter. Hill projiziert bekannte Formen menschlicher Diskriminierungen auf ihn. Letztlich erteilt er eine Lektion in Toleranz, aber wenigstens ohne erhobenen Zeigefinger auf Gutmenschen-Art.

„Der Gesang der Heuschrecken“ ist eine eigenwillige, man ist geneigt zu sagen ‚amerikanische‘ Interpretation von Franz Kafkas Kurzgeschichte [„Die Verwandlung“. 2395 Wieso sollte die Tatsache, dass man sich in ein menschengroßes Insekt verwandelt, zwangsläufig als entsetzlich empfunden werden? Der Held dieser Geschichte lernt die Vorteile zu schätzen. Er weiß um die Chancenlosigkeit seines Lebens und setzt – ebenfalls sehr amerikanisch – zu einem Amoklauf an, um es erstens seinen Peinigern und zweitens der ganzen Welt heimzuzahlen. Große Macht mag nach Spider-Man große Verantwortung mit sich bringen, aber wer sagt, dass dem automatisch entsprochen wird?

„Die Maske meines Vaters“ ist ein Story ohne nachvollziehbaren Plot. Hill ist stolz darauf, dass ihm genau das gelungen ist, wie er in seinen „Story Notes“ erläutert. Wie so oft teilt sich die Begeisterung eines Verfassers den Lesern nur bedingt oder gar nicht mit. „Was soll das?“ ist eine Frage, die angeblich nur der literarische Prolet stellt, der zu dumm ist, das Gelesene zu ‚hinterfragen‘ und zu ‚entschlüsseln‘. Was ist aber, wenn da zwischen den Zeilen gar nichts steht, sondern einfach nur eine möglichst bizarre und unterhaltsame Geschichte erzählt werden soll? Deshalb ist in diesem Fall eine Anklage wegen forcierten Mythentümeltums und Effekthascherei ebenfalls möglich …

Die verbleibenden Storys der „Black-Box“-Kollektion fallen eindeutiger in die Gattung Horror. Sie erfinden das Genre niemals neu, bringen jedoch einigen frischen Wind durch interessante Ideen sowie eine täuschend kunstlose Umsetzung hinein. Erneut wirken jene Geschichten besonders stark, in denen das ‚Monster‘ nicht aus einem Grab steigt, sondern im Menschenhirn beheimatet ist. „Abrahams Söhne“ nicht nur eine folgerichtige Deutung der Figur des besessenen Vampirhetzers Abraham Van Helsing, sondern noch mehr eine schauerliche Studie des Wahnsinns, der vom Vater auf die Söhne übergeht. Auch in „Best New Horror“ oder „Das schwarze Telefon“ sind die ‚Geister‘ menschlich: Psychopathen und Kindermörder, die wahren Schrecken der Gegenwart!

Weil inzwischen bekannt ist, dass Joe Hill der Sohn von Stephen King ist, kann die Frage nicht ausbleiben, ob sich zwischen Vater und Sohn Verbindungen finden lassen. Die Antwort ist ja – allerdings im positiven Sinn. Hill kann sich wie schon gesagt hervorragend in den durchschnittlichen Zeitgenossen versetzen – in Menschen ohne besondere Eigenschaften, die in der Masse, die sie selbst bilden, normalerweise untergehen, und die im Roman wie im Film über sich hinauswachsen müssen, um ‚interessant‘ zu wirken. Die Fähigkeit zu vermitteln, dass das Schicksal von Joe und Jane Doe auch ohne derartige ‚Nachhilfe‘ faszinieren kann, ist eine seltene Gabe. Für Schriftsteller, die darüber verfügen, ist auf dieser Welt Platz genug, selbst wenn sie verwandt sind.

Wenn es in „Black Box“ eine Geschichte gibt, die auch Stephen King hätte schreiben können, so ist es sicherlich die Titelnovelle. Die seltsame Magie, die sich mit Grausamkeit mischt und „Kindheit“ genannt wird, ist sogar noch schwieriger zu beschwören als ein durchschnittliches Erwachsenenleben. Hier konnte Stephen King seit jeher punkten; ’seine‘ Kinder waren und sind keine Disney-Nervensägen aus der Klischee-Stanze. Hill hat auch diese Fähigkeit geerbt. Deshalb kann er sich ohne Probleme ins Revier seines Vaters wagen, mit dem er doppelt mithalten kann, denn „Black Box“ ist auch vom Plot eine faszinierende Geschichte, die spannend umgesetzt wurde.

Leider hegen Hill und King einen Hang zum Sentimentalen. Das Tragisch-Schreckliche der jeweiligen Handlung wird oft auf den Effekt hin getrimmt. Solche „Oh-je!“-Attitüde wird vor allem dem Zyniker aufstoßen. Zumindest in Hills vom Horror befreiten Storys lässt sie sich auch vom gewogenen Leser nicht durchweg ignorieren. „Black Box“ ist eben doch nicht „die Zukunft der phantastischen Literatur“, wie es auf dem Backcover zu lesen ist, sondern ihre prosaische Gegenwart. Damit kann er sich in einer Szene, die zunehmend von trivialem Reißbrett-Horror und Grusel-Erotik für pubertierende Mädchen bestimmt wird, allerdings leicht und prächtig behaupten.

Joe Hill (eigentlich: Joseph Hillstrom King) wurde 1972 als zweiter Sohn der Schriftsteller Stephen und Tabitha King in Bangor (US-Staat Maine) geboren. Ende der 1990 Jahre begann er selbst zu schreiben. Sein ‚Pseudonym‘ wurde spätestens dann publicitywirksam enthüllt, als er 2007 mit „Heart-Shaped Box“ [(dt. „Blind“) 3842 seinen ersten Roman veröffentlichte, der solche flankierende Werbung durchaus gebrauchen konnte.

Dass Hill über eine eigene Stimme verfügen und ideenreich plotten kann, wenn er möchte, belegte er schon zwei Jahre früher mit der Storysammlung „20th Century Ghosts“ (dt. „Black Box“), für die er diverse Preise gewann (die allerdings im Literaturbetrieb nicht nur in der Phantastik recht inflationär ins Leben gerufen werden).

Über sein Werk berichtet Joe Hill, der mit seiner Familie in New Hamphire lebt, auf seiner Website: http://joehillfiction.com. Dort findet man unter anderem ein neckisches Online-Game namens „The Museum of Silence“, das auf der „Black Box“-Story „Ein letzter Atemzug“ basiert und zur Zuordnung terminaler Schnaufer prominenter Persönlichkeiten auffordert.

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Shocker, Dan – Grauen, Das (Larry Brent, Band 1)

_Das Grauen schleicht durch Bonnards Haus_

Einige wirklich seltsame Vorgänge in der Gegend um den Kanton Maurs (Frankreich) beschäftigten Kommissar Pierre Sarget, den Leiter der örtlichen Polizei. Immer wieder erreichen ihn Berichte über angebliche Vampire, welche in der Nacht die Bewohner anfallen, beißen und ihnen das Blut abzapfen. Doch Sarget will diesen Geschichten nicht so wirklich Glauben schenken, selbst als immer mehr Betroffene über Mattigkeit und seltsame Verletzungen am Hals klagen.

Dann gibt es den ersten Toten mit eindeutigen Wunden, und der Kommissar muss seine Zweifel neu überdenken. Er bittet in seiner Verzweiflung um Unterstützung aus Paris. Was er nicht ahnt, ist, dass bereits ein gewisser Henry Parker in Maurs weilt. Parker alias X-RAY-18 ist Geheimagent einer Organisation, die sich die Psychoanalytische Spezialabteilung (PSA) nennt, und wurde nach Frankreich gesandt, um den rätselhaften Attacken auf den Grund zu gehen.

In dem Biologen Simon Canol glaubt er einen potenziellen Verdächtigen ausgemacht zu haben und beobachtet regelmäßig dessen nächtliches Treiben. Eine weitere Spur führt zu dem Anwesen des ominösen Archäologen Professor Bonnard. Bevor der PSA-Agent jedoch tiefer in die Geschichte einsteigen kann, wird er das Opfer einiger riesiger Fledermäuse.

Doch Parker ist nicht der einzige Agent in dem französischen Städtchen. Larry Brent, ein FBI-Agent auf Urlaub, hat sich ebenfalls in Maurs eingefunden und entdeckt eines Nachts die Leiche von X-RAY-18 auf der Landstraße. Aufgrund der seltsamen Umstände und auch einiger Ungereimtheiten – der Tote trägt z. B. einen außergewöhnlichen Ring mit der Gravur „Im Dienste der Menschheit“ am Finger, der sich urplötzlich auflöst – führt Brent die Nachforschungen weiter.

Dabei geraten ihm Canol und Bonnard ebenfalls ins Fadenkreuz. In den Gewölben unter Bonnards Anwesen macht er schließlich eine unglaubliche Entdeckung und wird mit den wissenschaftlichen Abgründen eines tödlichen Experiments konfrontiert …

_Das ist er also_ – der allererste „Larry Brent“ und der erste deutsche Horror-Heftroman überhaupt! Und unser späterer PSA-Agent steht hier noch ganz im Dienste des klassischen FBI. Erst auf den letzten Zeilen dieser Geschichte wird Larry aufgrund seiner bemerkenswerten Fähigkeiten von der Geheimorganisation abgeworben. Aufgrund dieser Umstände macht es richtig Laune, dem guten Brent bei seiner Spurensuche beizuwohnen, wie er versucht, hinter die Identität des verstorbenen Henry Parker alias X-RAY-18 zu kommen und die Hinweise zur PSA entschlüsselt.

Dazu kommt, dass die Ereignisse in Maurs dermaßen umfangreich und durchstrukturiert sind, dass man sich ernsthaft fragt, wie Dan Shocker es geschafft hat, so viel Handlung auf so wenige Seiten geschaufelt zu bekommen. Aber diesen Kunstgriff vollführt er in seinen späteren Werken schließlich noch einige Male.

Ein weiterer Aspekt ist die Shocker-typische pseudowissenschaftliche Auflösung dieses Grusel-Krimis. Dan Shocker alias Jürgen Grasmück (1940 – 2007) verzichtet auf schwarzmagischen Hokuspokus, sondern präsentiert ein wirklich nett durchdachtes und gleichzeitig innovatives Motiv: Zwei durchgeknallte Wissenschaftler züchten eine sehr spezielle Art Fledermäuse, um mit deren Hilfe eine Mumie mit Blut zu versorgen und so diese vertrocknete Leiche zu neuem Leben zu erwecken. Huh, da können sich die Herren, die jegliche Gruselei permanent mit lieblosem und unkreativem schwarzmagischen Schnickschnack abhaken, mal ein dickes Scheibchen von abschneiden.

Larrys Premiere in einer wirklich ganz außergewöhnlichen Vampirgeschichte ist und bleibt jedenfalls ein ungebrochener Meilenstein der damals so genannten ‚Groschenromane‘ …

_Die Angst erwacht im Todesschloss_

Englische Spukschlösser sind weltweit bekannt und beliebt, und solch ein schauriges Gemäuer scheint die Behausung des Duke of Huntingdon zu sein. Allerdings sorgt der dortige Spuk nicht nur für den wohligen Schauer, sondern ihm fallen auch mehrere Menschenleben zum Opfer. Zehn Besucher des Schlosses haben bereits den Tod gefunden, doch die örtliche Polizei konnte in den zahlreichen alten Räumen keine Spur des unheimlichen Mörders finden.

Der Duke und seine beiden Töchter wissen augenscheinlich mehr über die schrecklichen Ereignisse, doch sie schweigen beharrlich. Als eines Nachts Harry Banning – der Verlobte der Nichte des Dukes Ellen Shalling – vom Geist des längst verstorbenen Edward of Huntingdon ermordet wird und die junge Frau selbst spurlos verschwindet, kommen einige Dinge ins Rollen.

Larry Brent ist mittlerweile durch die harte Schule der PSA-Ausbildung gegangen und sieht sich plötzlich mit einer lebensgefährlichen Situation konfrontiert. Man will aus ihm das Geheimnis seines neuen Arbeitgebers herauspressen. Dazu sind den unbekannten Hintermännern alle Mittel recht, von Folter bis zum eiskalten Mord. Larry kann in letzter Minute sein Leben retten und muss überrascht feststellen, dass er damit seine finale und entscheidende Abschlussprüfung bestanden hat. Er bekommt seinen neuen Titel, X-RAY-3, erhält seine PSA-Ausrüstung und ein eigenes Büro in der PSA-Zentrale unter dem Lokal „Tavern on the Green“. Gleichzeitig lernt auch seinen späteren Busenfreund und Kampfgefährten Iwan Kunaritschew kennen.

X-RAY-3 wird umgehend auf seinen ersten Fall angesetzt: die seltsamen Ereignisse in dem englischen Todesschloss. Scotland Yard hat mittlerweile ein Amulett der verschwundenen Ellen Shalling gefunden, welches einen eindeutigen Hinweis darauf gibt, dass die entscheidende Lösung in dem geheimnisumwitterten Gemäuer zu finden sein muss.

Larry macht sich sofort auf den Weg nach England, um dort gleich mit einem Anschlag auf sein Leben konfrontiert zu werden. Sein Einsatz ist anscheinend nicht unbemerkt geblieben. Als der frischgebackene PSA-Agent endlich durch die Gänge des Spukschlosses schleicht und dabei Stück für Stück das Rätsel um die Geistererscheinungen und die Morde aufdeckt, haben die gewissenlosen Dunkelmänner bereits seinen Tod beschlossen – und sie sind dem Eindringling immer einen Schritt voraus …

_Als Konsequenz seiner Bekanntschaft mit der PSA_ nach den Ereignissen in Frankreich bekommt Larry nun den letzten Schliff zum PSA-Agenten und tritt als X-RAY-3 seinen Dienst an. Sein erster wirklicher Fall ist eine klassische Gruselmär – eine unheimliche Geisterjagd in einem düsteren englischen Spukschloss. Großartige Atmosphäre und die gelungenen typischen Gruselelemente, eingebettet in eine passende Umgebung, bieten dem Leser alles, was eine gute Spukgeschichte ausmacht. Da haben wir ein nebelgeschwängertes Moor, den ruhelosen mordenden Geist eines adligen Urahnen, beklemmende staubige Gemächer, angefüllt mit alten Ritterrüstungen, Gemälden, Geheimgängen und seltsamen Geräuschen.

In dieser Szenerie bettet sich eine verzwickte Kriminalgeschichte mit einigen wirklich bösen Buben, wie man sie stellenweise vom guten alten Edgar Wallace kennt. Der arme Larry wird wirklich bis zur Schmerzgrenze in Mitleidenschaft gezogen, während er verzweifelt versucht, seine unsichtbaren Gegner zu fassen zu bekommen. Hinter jeder Mauernische scheint der Nächste zu stecken, der dem Agenten ans Leben will. Zum Glück tritt auch sein neuer Freund Iwan Kunaritschew auf den Plan, um seinen Kampfgenossen tatkräftig zu unterstützen.

Insgesamt liegt also wieder mal ein absolutes Highlight der gesamten Serie vor, an dem einfach alles stimmt …

_Der Beginn einer großen Ära_ des deutschen Heftromans wird hier in einem Band zusammengefasst und eingeläutet: die beiden ersten Abenteuer mit dem legendären PSA-Agenten Larry Brent alias X-RAY-3. Angefangen bei seiner Funktion als gewöhnlicher FBI-Agent über seinen zufälligen Erstkontakt mit der Psychoanalytischen Spezialabteilung und seine anschließende Ausbildung zum Spezialagenten bis hin zu seinem allerersten Fall als X-RAY-3.

Jeder, der damals vor nun bald 40 Jahren nicht das Glück hatte, diesen Startschuss im damaligen „Silber-Krimi“ mitzuerleben, dem wird mit diesem schönen Band die Möglichkeit geboten, die Anfänge dieser faszinierenden Serie nachzuholen. Verpackt in zwei wirklich klassische Themen – eine dennoch recht untypische Vampirgeschichte und eine schaurige Geisterjagd in einem Spukschloss -, erweckt Dan Shocker den deutschen Grusel-Groschenroman zum Leben.

In einer ansprechenden Aufmachung mit dem Originalbild des ersten Brent-Romans von Lonati bietet der |BLITZ|-Verlag allen Fans den idealen Einstieg in diese Serie. Der Zeichner Pat Hachfeld hat den beiden Geschichten seinen ganz eigenen Stempel aufgedrückt – seine düsteren Illustrationen mit einer angreifenden Fledermaus sowie einem Enthaupteten projizieren die absolut passende Stimmung auf den Betrachter. Am Ende jeder Geschichte werden die jeweiligen Protagonisten in ihrer Entwicklung zusammengefasst, so dass man abschließend über das Gelesene nachsinnen kann. Ein netter Bonus!

|DAS GRAUEN ist erwacht …|

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Tierney, Richard L. – Im Haus der Kröte

James Kerrick ist zwar noch jung an Jahren, denkt aber trotzdem über den Ruhestand nach. Mit seiner geistigen Gesundheit steht es schon seit längerem nicht zum Besten; Kerrick hat Albträume, die ihn immer wieder mit der Vision eines blutigen Menschenopfers foltern. Auch sein Job ist recht riskant: Er ‚arbeitet‘ als Raubgräber, der archäologische Fundstätten plündert und seine Beute an reiche Privatsammler verkauft. Sein letzter Kunde soll der geheimnisvolle J. Cornelius Wassermann werden, der in seiner riesigen, einsam gelegenen Villa am Rande des Städtchens Riverton im ländlichen Illinois residiert. Für Wassermann hat er in Mexiko in einer vorzeitlichen Tempelanlage einige uralte Artefakte gestohlen und unter großen Schwierigkeiten in die USA geschmuggelt.

Der Auftraggeber ist zufrieden und möchte Kerrick gern für weitere Aufträge heuern. Dieser fühlt sich jedoch abgestoßen von dem geheimnisvollen Mann, dessen Gestalt an eine riesige Kröte erinnert. Dass Wassermann eine Ablehnung nicht zulassen wird, merkt Kerrick schnell: Dessen froschköpfige ‚Neffen‘ halten ihn unter strenger Beobachtung, des Nachts scheinen Eulen und Fledermäuse als Wach- und Horchposten zu dienen.

Kerricks Träume verschlimmern sich. Er glaubt seine Ex-Geliebte Susan, die er vor zwei Jahrzehnten verlassen hat, als willenloses Opfer zu sehen. Deshalb mag er nicht an einen Zufall glauben, als ihm plötzlich Karyn, Susanns Tochter, über den Weg läuft. Die junge Frau stellt Nachforschungen über ihre Mutter an, die vor einem Jahr spurlos in der Nähe von Wassermanns Anwesen verschwunden ist. Über Karyn lernt Kerrick Mitglieder eines geheimen Zirkels kennen, der Wassermanns Plan durchkreuzen will: Dieser bereitet die Rückkehr Ghantas auf die Erde vor. Das urzeitliche Wesen gehört zu den „Großen Alten“, die einst das Universum schufen. Die Erde dient ihnen als Weide, deren menschliches Vieh in regelmäßigen Abständen von Ghanta und dessen Brut abgeschlachtet wird.

Diese Apokalypse wollen Kerricks neue Verbündete verhindern, wobei dieser eine unbehagliche Hauptrolle übernehmen und in Wassermanns Haus eindringen soll, als dieser zu einer Party der besonderen Art einlädt. Obwohl er genau weiß, dass er sich in die Höhle des Löwen wagt, schlägt Kerrick ein, denn inzwischen steht fest, was Wassermann als Höhepunkt des Abends plant: die Opferung von Karyn …

Er hat es zwar zu Lebzeiten selbst angeregt, es jedoch stets als amüsantes literarisches Spiel betrachtet: Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) erhob nie einen Alleinanspruch auf seine größte Schöpfung, den |Cthulhu|-Zyklus. Zwar hat er ihn erschaffen und entwickelt, aber ihn nicht festgeschrieben: Lovecrafts alternative Geschichte der Welt blieb stets Fragment, weil ihr kluger Erfinder sich der Tatsache bewusst war, dass allzu große Klarheit die Faszination der Saga schmälern oder sogar vernichten könnte. Stattdessen entstand aus einer Reihe lose miteinander verknüpfter Novellen und Kurzgeschichten nach Lovecrafts Tod ein Mythos – das vage Bild eines Universums, das von unfasslichen Wesenheiten erschaffen und regiert wird. In dieser unendlich fremden Welt spielen die Erde und ihre menschlichen Bewohner eine wichtige, letztlich jedoch nie geklärte Rolle.

„Vage“ ist ein Zustand, welcher vor allem die dem rationalen Denken verhafteten Zeitgenossen gar nicht schätzen. Auch Schriftsteller gehören dieser Gruppe an. Lovecrafts Cthulhu-Kosmos reizt sie – positiv, denn sie spüren den Drang, ihn durch eigene Beiträge zu erweitern, aber auch negativ, weil sie die Gelegenheit nutzen, um zu ‚erklären‘ und zu ‚ordnen‘, was nach dem Willen Lovecrafts höchstens zipfelhaft erfassbares Chaos bleiben sollte.

Auch Richard Tierney kann der Versuchung nicht widerstehen. Er kennt ’seinen‘ Lovecraft, er weiß, aus welchen literarischen Quellen dieser schöpfte, ihm sind Lovecrafts Epigonen wohlbekannt. Wieso die Cthulhu-Saga so erfolgreich geworden ist, hat er andererseits entweder nicht verstanden oder es war ihm egal. Tierney wäre nicht der erste Autor, den der Ehrgeiz trieb, Lovecraft zu ‚korrigieren‘. „Das Haus der Kröte“ belegt, wie dies glücken und doch schiefgehen kann.

Beginnen wir mit dem Geglückten: Tierney hat verstanden, dass die Wiederkehr eines Gottes eines enormen logistischen Aufwands bedarf. Lovecraft hat diesen Aspekt stets ignoriert; er ließ die Anhänger der Großen Alten möglichst isoliert vom Rest der Welt schauerlichen Riten nachgehen. Dagegen stehen Ghantas Diener bei Tierney durchaus im Hier und Jetzt. Die Präparierung der Erde als gigantisches Büffet für außerirdische Ungeheuer ist ein Projekt, das nur mit viel Geld realisiert werden kann. Also haben Janus Wassermann und seine Schergen ihre Krötenfinger eng am Puls der Weltgeschichte. Sie schmieren Politiker, leiten Revolutionen ein, lenken Kriege, überschwemmen ganze Länder mit Drogen, sind immer dort zur Stelle, wo es Ordnung und Menschenrechte zu destabilisieren gilt: Die Heimat der Großen Alten ist das entropische Chaos, das hat Tierney begriffen. Nur: Ist es notwendig, diesen Aspekt so aufwändig zu erläutern? Interessiert das den Leser?

Nein. „Das Haus der Kröte“ ist wie so viele Pastiches ein Werk, das die Lovecraft-Storys als Steinbruch betrachtet, der nach Belieben geplündert werden darf. Lovecraft schrieb in einer Zeit, als sein Publikum in dieser Hinsicht weniger anspruchsvoll war. Oder war der Meister einfach souverän genug, sein Publikum vor den Kopf zu stoßen? Jedenfalls fällt auf, dass Tierneys Story vor allem dort zu lahmen beginnt, wo er ausführlich über die Hintergründe des Geschehens referiert. Da nützt es ihm wenig, allerlei literarische Insiderspäßchen einzubauen, die sogar über das Lovecraft-Universum hinausgreifen und sich bei Edgar Allan Poe, Robert W. Chambers und anderen klassischen Phantastik-Autoren bedienen.

Ich möchte es den fanatischen Fans des Meisters überlassen, die unzähligen Anspielungen oder Zitate zu enträtseln, und es bei einer persönlichen Bemerkung belassen: Die Kenntnis des Lovecraftschen Werkes und das womöglich sogar witzige Spiel damit ersetzt keinesfalls einen spannenden Plot und dessen gelungene Umsetzung! Tierney misslingt es, sich die Vorlage zu Eigen und etwas Neues daraus zu machen, wie es ungleich talentierteren Schriftstellern wie Ramsey Campbell, T. E. D. Klein oder Thomas Ligotti (Tierney nennt sie auf S. 169 übrigens selbst) gelungen ist. Daran ändert der Aufwand, mit dem der Verfasser sich müht, die Krisen dieser Welt zu einem Panorama Wassermannschen Machenschaften zu verleimen, herzlich wenig: Der Mensch der Jetztzeit weiß (hoffentlich) zu genau, dass er keiner außerirdischen Infiltration bedarf, sich sein Leben zu Hölle zu machen und seinen Planeten in eine Müllhalde zu verwandeln.

„Das Haus der Kröte“ ist also keine phantastische Offenbarung. Macht man sich als Leser frei von entsprechenden Erwartungen, darf man sich auf einen flott geschriebenen, mit pulpig-vordergründigen Horroreffekten gespickten und im positiven Sinne trivialen Roman freuen.

Die Figurenzeichnung ist der Story adäquat. James Kerrick ist ganz im Lovecraftschen Sinn ein Mann, der zunächst zufällig in den Bann unheiliger Umtriebe zu geraten scheint. Erst als die Handlung fortschreitet, stellt sich heraus, dass unser Held nicht ohne Grund in den Bann des Bösen geraten ist: Kerrick gehört zu einer ganzen Anzahl gleichaltriger Männer und Frauen, die bereits in ihrer Jugend sorgfältig von Wassermann so manipuliert wurden, dass sie ihm und seiner Sache als bessere Sklaven dienlich waren.

Ohne diese Vorgeschichte ist Kerrick ein reichlich unbedarfter Charakter, dessen Schicksal den Leser ziemlich kaltlässt. Er trägt die Handlung, prägt sie aber nicht. Dummerweise trifft dies auf die Mehrheit der anderen Figuren ebenfalls zu. „Das Haus der Kröte“ ist kein Roman, der durch seine Protagonisten in Schwung gehalten wird. Diese spielen sämtlich nur allzu bekannte Rollen. So würde man auf den uralten Twist von der Rettung der verfolgten Schönheit nur allzu gern verzichten. Auch sonst stützt sich Tierney gern auf Klischees, lässt beispielsweise plötzlich eine Anti-Ghanta-Truppe auftreten, deren Mitglieder viel erzählen und wenig sagen.

Ein Pluspunkt für den Verfasser: Er hat das Problem gelöst, wie sich die froschköpfigen Jünger der Großen Alten in die moderne Welt integrieren können. Lovecraft siedelte sie in streng isolierten Orten wie Innsmouth an, wo sie Fremdlinge zwar schnell vertrieben, aber auch ziemlich abgeschieden für sich konspirieren mussten. Tierney betont indes die menschliche Seite der Froschmänner. Sie zeigen sich in der Öffentlichkeit, steigen den Menschmädchen hinterher, kleiden sich modisch und sind auch sonst recht angepasst. Von sklavischer Gefolgstreue zur Oberkröte Wassermann ist wenig zu spüren; einige Mischmenschen fragen sich sogar, ob sie die große Apokalypse, auf die sie so fleißig hinarbeiten, als Erfüllung ihrer Wünsche betrachten sollen: Sie fühlen sich inzwischen recht wohl in der Menschenwelt.

Janus Wassermann selbst ist natürlich ein Bösewicht, wie er im Buche steht. Schon der Name signalisiert grell die verborgene Seite des Schurken: „Janus“ ist der Name eines doppelgesichtigen Gottes der römischen Mythologie, der Ein- oder Ausgänge bewachte. „Wassermann“ deutet auf die aquatische Herkunft hin. Keine Ahnung, wieso ein im Geheimen operierender Schurke sich einen so sprechenden Namen wählt, aber schließlich scheint Wassermann auch sonst ein gewisser Drang zum Größenwahn innezuwohnen. Leider tritt er so theatralisch auf, dass sich der filmhistorisch kundige Leser sogleich den späten Orson Welles in seiner Rolle vorstellen kann (die heute vermutlich Anthony Hopkins übernehmen würde). Das reale Vorbild für Wassermann ist nach Tierneys eigener Auskunft übrigens der „Magicker“, Okkultist und Schriftsteller Aleister Crowley (1875-1947).

Letztlich unterstreicht die Figurenzeichnung das zur Handlung Gesagte: „Das Haus der Kröte“ ist kein schlechter Roman. Verfasser Tierney unterhält, er treibt seine Spielchen mit dem Mythos, er spart nicht mit gruseligen Effekten. Dennoch gehört sein Buch zu jenen, die gelesen & vergessen werden, fast noch bevor man die letzte Zeile erreicht hat.

Richard Louis Tierney (geb. 1936) gehört eindeutig zu den Randgestalten des phantastischen Genres. Eine gewisse Bekanntheit verdankt er einem weiterem Pastiche-Projekt: Gemeinsam mit David C. Smith verfasste Tierney eine Serie neuer Abenteuer der „Red Sonja“, jener schwertschwingenden Amazone, die sich in den 1930er Jahren Robert E. Howard (1906-1936) einfallen ließ.

Als Lovecraft-Kenner zeigte sich Tierney in seinem Essay „The Derleth Mythos“ (1973). Hier schlüsselte er auf, wie stark sich Lovecrafts Sicht des Cthulhu-Universums unter seinem ‚Erben‘ und ‚Nachlassverwalter“ August Derleth (1909-1971) in einen simplen Kampf zwischen Gut und Böse verwandelte. Das Erstaunliche daran ist, dass Tierney sich in „Das Haus der Kröte“ eher an Derleth als an Lovecraft hielt und seine eigene Argumentation ad absurdum führte.

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Simmons, Dan – Kinder der Nacht

|Rumänien 1989:|

Nachdem die Diktatur des Staatsmannes Ceausescu beendet wurde, können nun auch Politiker und Wissenschaftler aus dem Westen in das Land einreisen, welches sich in einem desolaten Zustand befindet. Die Waisenhäuser sind zum Bersten voll und die Kinder vegetieren unter ärmlichen Verhältnissen vor sich hin.

Die amerikanische Ärztin und Hämatologin Kate Neuman nimmt sich des kleinen Joshua an, der mit Blutinjektionen am Leben erhalten wird. Gemeinsam mit ihrem Assistenten, dem Medizinstudenten Lucian, diagnostiziert sie eine seltene Form eines Mangelsyndroms, welche diese ungewöhnliche Therapie erforderlich macht. In Amerika könnte dem Kind allerdings besser geholfen und seine Lebenserwartung verlängert werden. So adoptiert sie das Baby kurzerhand und bringt es in die Staaten. Dabei ist ihr vor allem der Priester und Kriegsveteran Michael O’Rourke behilflich, der in den Waisenhäusern und Hospitälern Rumäniens gemeinnützige Arbeit verrichtet.

Im Forschungsinstitut in Amerika, wo Kate eigentlich arbeitet, finden die Ärzte und Wissenschaftler im Magen des Kindes ein schattenhaftes Organ, welches offensichtlich in der Lage ist, Blut zu absorbieren. Kate und ihren Kollegen gelingt es, ein synthetisches Substitut herzustellen, so dass der kleine Joshua kein Blut zu sich nehmen muss. Doch bevor es zu weiteren Untersuchungen kommen kann, wird das Kind von einer Gruppe Fremder entführt, die über unheimliche Kräfte und eine enorme Regenerationsfähigkeit verfügen. Die Spur der Kidnapper führt Kate und ihren Begleiter Pater O’Rourke wieder nach Rumänien. Dort werden die beiden mit einer Wahrheit konfrontiert, die nur schwer zu akzeptieren ist.

Die Entführer des Kindes sind Vampire, und Joshua soll ihr neuer Anführer, ihr neuer Vlad werden …

|Meinung:|

Der |Heyne|-Verlag hat den Liebhabern der Vampir-Literatur einen großen Gefallen getan, als er diesen grandiosen Roman wieder neu auflegte. Auch wenn die Kritiken unter dem Klappentext wieder einmal weit über das Ziel hinausschießen, so ist das Buch doch eine durch und durch spannende und gehaltvolle Unterhaltungslektüre.

Zu Beginn wird eine Gruppe westlicher Wissenschaftler, Geschäftsmänner und Priester gezeigt, die von einem Ortskundigen durchs gerade befreite Rumänien geführt werden. Hier zeigt der Autor erstmals, wie eindringlich er zu schreiben weiß. Unterstützt durch hervorragend recherchierte Fakten, zeigt er dem Leser ein realistisches Bild von Rumänien, wie es vor mittlerweile fast zwanzig Jahren ausgesehen haben mag. Armut und Elend, so weit das Auge reicht, und eine Bevölkerung, die dennoch stolz und unbeugsam geblieben ist. Insbesondere die erbärmlichen Verhältnisse in den Waisenhäusern gehen unter die Haut und beinhalten eine gesunde Portion Gesellschaftskritik, ohne dass der Autor mit dem imaginär erhobenen Zeigefinger mahnt.

Sehr real und aufwühlend wird auch die Bürokratie beschrieben, mit der sich Kate Neuman herumplagen muss, um den kleinen Joshua in die USA zu bringen. Dabei steht ihr noch nicht einmal die rumänische Regierung im Wege, sondern ihre eigene. Nachdem die Handlung sich zunächst in die Vereinigten Staaten von Amerika verlagert, wird der Roman mehr und mehr zum Wissenschaftsthriller, in dem Simmons seine profunden medizinischen Kenntnisse einfließen lässt. Wer keine Vorbildung in diesen Bereichen hat, sollte sich ein Medizin-Lexikon bereitlegen, denn der Verfasser scheut sich nicht, Fachbegriffe zu verwenden, die nicht immer für den Laien verständlich erklärt werden. Das wäre auf die Dauer auch unglaubwürdig, wenn hochdekorierte Ärzte und Wissenschaftler sich für Normalsterbliche verständlich unterhalten würden.

Mit der Ärztin Kate Neuman hat der Autor einen Charakter geschaffen, den er äußerst lebendig und sympathisch beschrieben hat. Der innere Konflikt zwischen plötzlich entbrannter Mutterliebe und ihren Pflichten als Wissenschaftlerin wurden exzellent herausgearbeitet. Auch ihr männlicher Gegenpart O’Rourke ist weit davon entfernt, im typisch amerikanischen Heldenklischee seinen Platz zu finden. Er ist ein versehrter Kriegsveteran aus Vietnam, der dort nicht nur sein Bein verlor, sondern auch seinen Glauben, und eine Höllenangst vor engen dunklen Gängen besitzt. Dabei wirkt der Mann nie überzogen oder unglaubwürdig, und die wachsende Beziehung zwischen den beiden Protagonisten ist ein zentraler Bestandteil der Geschichte. Die Bedrohung durch die Vampire äußert sich nie plakativ oder vorhersehbar, ist aber dennoch vorhanden. Ein besonders gutes Händchen bewies Simmons mit den Erinnerungen des echten Vlad Dracula. Dabei griff der Autor auf historische Dokumente zurück, vorzugsweise auf die Bücher der Schriftsteller Raymond T. McNally und Radu Florescu.

Der Spannungsbogen flacht im Verlauf der Handlung nie ab, und immer wieder würzt der Verfasser seinen Roman mit überraschenden Wendungen. Gerade der zweite Part in Rumänien ist von einer düsteren, unheilschwangeren Atmosphäre durchdrungen, denn Kate kann sich nie sicher sein, wer Freund und wer Feind ist. Das Finale hingegen wurde allerdings ein wenig zu bombastisch geschildert, vermag den Leser aber trotzdem noch zu verblüffen.

Die Neuauflage von „Kinder der Nacht“ präsentiert sich dem Leser in einem düsteren Grünton. In der Mitte des Titelbildes öffnet sich eine Blende, in der ein Ausschnitt des wolkenverhangenen Nachthimmels mit Vollmond zu sehen ist, davor das kahle Gerippe eines Baumes. Das ideale Bild, um die entsprechende Atmosphäre des Romans dem Käufer zu vermitteln.

|Fazit:|

„Kinder der Nacht“ ist ein durchweg spannender Vampirroman, der weitaus mehr zu bieten hat als blutsaugende Phantome. Dan Simmons‘ Werk ist Polit- und Wissenschaftsthriller gleichermaßen. Sein vom Klischee abweichender Vampirismus ist eine vererbte Krankheit und wirkt niemals sonderlich erotisierend. Gut recherchierte Fakten und ein konstant gehaltener Spannungsbogen machen den Roman zu einem Glanzstück innerhalb der Unterhaltungsliteratur, das darüber hinaus auch zum Nachdenken anregt.

|Originaltitel: Children of the Night
Übersetzung von Joachim Körber
672 Seiten|
http://www.heyne.de
http://www.dansimmons.com

_Dan Simmons auf |Buchwurm.info|:_

[„Terror“ 4278
[„Ilium“ 346
[„Olympos“ 2255
[„Sommer der Nacht“ 2649
[„Im Auge des Winters“ 2956
[„Lovedeath“ 2212
[„Die Feuer von Eden“ 1743
[„Das Schlangenhaupt“ 1011
[„Welten und Zeit genug“ 790
[„Endymion – Pforten der Zeit“ 651
[„Fiesta in Havanna“ 359
[„Hardcase“ 789
[„Hard Freeze“ 819
[„Hard as Nails“ 823

_Florian Hilleberg_

Wellington, David – letzte Vampir, Der

Vampire sind alles andere als ein Mythos. Das muss auch Pennsylvania State Trooper Laura Caxton erkennen, als sie eines Nachts mit ihren Kollegen einen Wagen anhält, der neben einem Untoten auch drei übel zugerichtete Leichen enthält. Das Büro des Sheriffs informiert den Marshal Service, und so wird Special Deputy Arkeley in den Fall eingeschaltet, der einzige Mann, der jemals einen Vampir tötete.

Vor zwanzig Jahren vernichtete er den Blutsauger Piter Lares. Bei diesem Einsatz kam das gesamte Kommando ums Leben, bis auf Arkeley. Lares hatte mehrere alte Vampirmumien bei sich, die er mit Blut versorgte. Bei dem Feuer, das der Deputy legte, verbrannten alle Vampire. Nur einer überstand die Flammenhölle und wird seitdem in einem stillgelegten Sanatorium festgehalten, versorgt und erforscht.

Die Blutsaugerin Malvern hat es irgendwie geschafft, neue Vampire zu zeugen. Und schon bald stehen Caxton und Arkeley einem solchen gegenüber, der mehrere von Caxtons Kollegen brutal abschlachtet. Nur mit Mühe und viel Glück können sie die Bestie stellen und vernichten. Doch damit nimmt der Horror erst seinen Anfang, denn sie entdecken in einer nahegelegenen Jagdhütte menschliche Überreste und drei Särge. Arkeley weiß, dass noch mindestens zwei Blutsauger ihr Unwesen treiben und eine ganze Horde von halbtoten Hilfszombies unterwegs ist, um ihren Meistern Menschenblut zu beschaffen.

David Wellington ist in Deutschland noch ein recht unbeschriebenes Blatt, aber sein Roman „Der letzte Vampir“ wurde bereits groß angepriesen und unter anderem als „wichtigster Vampirroman der Gegenwart“ tituliert. Tatsächlich ist Wellingtons Vampir-Epos ein durch die Bank spannender und actionorientierter Horror-Trip, hart, kompromisslos und von Beginn an fesselnd. Der Autor beginnt seinen Roman nicht mit seitenfüllendem Vorgeplänkel, sondern entführt den Leser mitten ins Geschehen, wirft ihn sozusagen ins kalte Wasser.

Alles beginnt mit einer Tonbandaufnahme, auf der Arkeley seinen Kampf gegen den Untoten Piter Lares schildert, ebenso rasant und schonungslos wie der restliche Roman, der aus der Sicht von Caxton geschrieben wurde. Während sich Arkeley als ehrgeiziger, durch und durch fanatischer Jäger erweist, bleibt Caxton eine vollkommen normale Frau, die sich mit der Realität, dass es Vampire und lebende Tote gibt, arrangieren muss. Dass macht dem Leser die Identifizierung leichter, doch muss er sich den Schrecknissen ebenso stellen wie die Protagonistin selbst.

Wellingtons Vampire sind keine Schönlinge oder blassen Latino-Lover, sondern blutgierige, triebgesteuerte Monster, die ihre Opfer bisweilen buchstäblich in Stücke reißen. Übermenschliche Kräfte und die Immunität gegenüber herkömmlichen Waffen machen die Vampire zu unüberwindlichen Gegnern. Allein die vollständige Vernichtung des Herzens kann einen Blutsauger endgültig stoppen. Der fantasiebegabte Leser kann sich also ausmalen, wie es in diesem Roman zugeht, und damit spiegelt Wellingtons Buch den Zeitgeist der modernen Horror-Literatur wider. |Heyne| veröffentlicht Romane dieser härteren Gangart sogar in einer eigenen Reihe, den |Heyne Hardcore|-Büchern, und auch die meisten anderen neuen Bücher der Sparte Horror geizen nicht mit drastischen und blutigen Szenen. Dennoch liegt das Augenmerk des Romans keineswegs auf der Aneinanderreihung von Gewaltszenen. Der Autor legt vielmehr Wert auf das Verhältnis zwischen Caxton und Arkeley, und insbesondere die Verwirrung und Verzweiflung der jungen Polizistin wird anschaulich beschrieben, besonders, als sie von einem der Untoten quasi geistig vergewaltigt wird.

Wellington baut seinen eigenen Vampir-Mythos auf und spart auch nicht mit überraschenden Wendungen. Sobald man als Leser zu wissen meint, wie der Hase läuft, macht der Autor uns einen Strich durch die Rechnung, und selbst das Ende gestaltet sich vollkommen anders als erwartet. Dadurch, dass der Leser nie mehr weiß als Caxton selber, bleiben sämtliche Personen verdächtig, und man argwöhnt oft genug, ob nicht die vermeintlichen Verbündeten ebenfalls Dreck am Stecken haben.

Die Übersetzung von Andreas Decker lässt keine Mängel erkennen und auch das Lektorat des |Piper|-Verlags braucht sich nicht zu verstecken. Das Layout ist ideal gewählt worden, und auch wenn der Vampir wie ein klassischer Vertreter seiner Gattung aussieht, so passt die Cover-Illustration doch hervorragend zu Titel und Inhalt.

Fazit: Wer einen harten, schonungslosen Vampirroman mit einem überraschenden Finale sucht, der wird hier garantiert fündig. Gekonnt vermeidet Wellington gängige Klischees und überrascht den Leser immer wieder aufs Neue. „Der letzte Vampir“ ist genau richtig für all jene, die sich nicht vor drastischen Szenen fürchten und mal wieder einen richtig guten Vampirroman lesen möchten. Der Folgeband „Stadt der Untoten“ erscheint im Mai 2008.

http://www.piper-verlag.de

_Florian Hilleberg_

Hohlbein, Wolfgang – Auge des Satans, Das (Der Hexer von Salem 6)

[„Die Spur des Hexers“ 4081 (Der Hexer von Salem 1)
[„Der Seelenfresser“ 4141 (Der Hexer von Salem 2)
[„Engel des Bösen“ 4206 (Der Hexer von Salem 3)
[„Der achtarmige Tod“ 4353 (Der Hexer von Salem 4)
[„Buch der tausend Tode“ 4597 (Der Hexer von Salem 5)

„Das Auge des Satans“ nennt sich der der sechste der auf insgesamt acht Sammelbände ausgelegten „Hexer von Salem“-Reihe – inhaltlich überarbeitet und optisch neu gestaltet. Über 720 Seiten dick, umfasst der Band einmal mehr neun Einzelfolgen der Heftromanreihe um Robert Craven, die von Wolfgang Hohlbein, Frank Rehberg und weiteren Co-Autoren verfasst worden sind. In diesem Band zudem als prominenter Gastautor vertreten ist Arndt Ellmer, der sich als Perry-Rhodan-Autor einen Namen gemacht hat. Dementsprechend weichen die beiden von ihm und Hohlbein zusammen geschriebenen Folgen auch ein wenig vom typischen Hexer-Stil ab und schildern ein Nebenabenteuer, das sich nur um Cravens Gefährten Rowlf und Howard (genau, H. P. Lovecraft) dreht. Bedingt durch diese Nebenhandlung hat sich auch die Anordnung der einzelnen Episoden verändert: Der sechste Sammelband weicht damit erstmals von der Reihenfolge der Erstveröffentlichung der Heftromane ab.

Die zusammenhängenden Episoden „Das unheimliche Luftschiff“ und „Endstation Hölle“ von Hohlbein und Ellmer wurden nämlich unter den Nummern 40 und 44 veröffentlicht und demnach durch drei dazwischen geschobene Folgen auseinandergerissen worden. Was zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung nicht zu ändern war, da die Fertigstellung von „Endstation Hölle“ mehr Zeit in Anspruch nahm als beabsichtigt, ist nun revidiert worden. Die Reihenfolge liest sich wie folgt: 40, 41, 44, 42, 43 und 45. Die Anordnung nach dem Erscheinen der Heftromanfolge ist also zugunsten einer Anordnung gewichen, die eher der Chronologie innerhalb des Hexer-Universums gerecht wird. Ähnliches ist bereits mit der Vorgeschichte im ersten Band „Die Spur des Hexers“ geschehen, die zwar erst später veröffentlicht wurde, aber vor dem eigentlichen Beginn der Serie spielt und somit folgerichtig an den Anfang geschoben worden ist. Gleiches lässt sich über die Neuordnung in Sammelband sechs sagen. Was nach einer unbedeutenden Kleinigkeit anmutet, ist im Hinblick auf das Ziel dieser finalen Ausgabe nämlich mehr als sinnvoll: die Abenteuer des Hexers in der Form zu veröffentlichen, wie sie ursprünglich vorgesehen war.

_Inhalt_

Einen vollständigen inhaltlichen Überblick zu geben, ist angesichts vieler kleiner Einzelgeschichten, obwohl diese miteinander verbunden sind, auch für den sechsten Band kaum möglich. Daher erscheint die Beschränkung auf einige ausgewählte, zentralen Folgen sinnvoller.

Einen neuen Schauplatz steuert gleich die erste enthaltene Geschichte „In der Festung des Dschinn“ an. Durch ein Dimensionstor, das Robert Craven in seinem Londoner Haus aufgefunden hat, gelangt er nach Nordafrika – und dort mitten zwischen gläubige Muslime, die in dem Neuankömmling eine teuflische Bedrohung sehen. Der Hexer entkommt einmal mehr nur knapp einem Lynchmob. In Colonel Trouwne findet er einen Verbündeten, der ihn über die Lage aufklärt. Ein Magier namens Nizar kontrolliert das Gebiet und vereint immer mehr Gläubige unter seinem Banner. Sein Ziel ist die Vertreibung der europäischen Besatzer. Das geht jedoch nicht mit gewöhnlichen Dingen vonstatten, und so sieht sich Craven bald in ein Abenteuer verstrickt, bei dem er sowohl gegen fanatische Gläubige als auch Mumienkrieger bestehen muss.

Während der Hexer in der Wüste um sein Leben kämpft, bestreiten Rowlf und Howard in London ein Abenteuer, das nicht weniger gefährlich ausfällt – besagtes Nebenabenteuer von Wolfgang Hohlbein und Rhodan-Autor Arndt Ellmer. Howard erhält darin einen Hinweis, der auf einen Mann namens Phileas Fogg hindeutet (mal wieder ein Brückenschlag zu einer literarischen Figur, in diesem Fall aus Jules Vernes „In 80 Tagen um die Welt“). Fogg hat eine Wette angenommen und versucht ein zweites Mal, die Welt zu umrunden, dieses Mal jedoch in knapp zwei Monaten statt der 80 Tage. Dass es eine Falle ist und ein Großer Alter dahintersteckt, hat Fogg nicht erkennen können. So bedarf es der Unterstützung von Howard und Rowlf. Doch das gestaltet sich als schwierig, denn Fogg befindet sich bereits auf der anderen Seite der Welt. Nach mehreren Rückschlägen können Howard und Rowlf den Abenteurer in Indien schließlich doch noch einholen. Doch die Freude währt nicht lange, denn der Gegner ist der Gruppe bereits auf der Spur und befördert sie mittels eines Zaubers an einen erdenklich schlechten Ort: in die Tiefe des Erdreichs.

Da schon Jules Verne bzw. sein Roman bedacht wird, verwundert es kaum, dass mit H. G. Wells nur einige Seiten später ein weiterer Autor ins Hexer-Universum integriert wird, der wie Verne zu den großen Visionären seiner Zeit gezählt werden kann. Im Gegensatz zu Verne, der nur indirekt über sein literarisches Werk eingebaut wird, taucht Wells in Folge 41 jedoch persönlich auf. Und das nicht alleine, sondern zusammen mit seiner Zeitmaschine, die nicht ganz so funktioniert, wie sie soll, und das Zeitgefüge mächtig durcheinanderbringt.

_Bewertung_

„Das Auge des Satans“ knüpft direkt an den fünften Band an, vollzieht aber durch seine enthaltenen Episoden einen Richtungswechsel hin zu mehr Fantasy. Der Hexer will weiter überzeugen und, nach den Zyklus-Höhepunkten in vorigen Bänden, Neues bieten. Das gelingt allerdings nur bedingt. Originell sind die Auftritte der realen und literarischen Personen schon, die nun gehäuft den Helden zur Seite stehen, und sei es auch nur für kurze Gastauftritte. Weniger wäre hier allerdings mehr gewesen, denn aufeinander folgende oder gekoppelte Auftritte von Phileas Fogg, H. G. Wells oder auch eines Professor Moriarty (als Gegenspieler bekannt aus mehreren Sherlock-Holmes-Romanen) nehmen der Geschichte das Besondere. Es überrascht nicht mehr, dass eine bekannte Persönlichkeit auftaucht, vielmehr stellt man sich andersherum die Frage, welche zeitgenössische Figur noch nicht im Hexer-Universum eingebaut worden ist. Die Figuren werden nicht in die Handlung integriert, sondern dienen eher als Ausgangspunkte, um welche herum die Handlung erst aufgebaut wird. Das wirkt stellenweise arg konstruiert und kann auch nicht mehr den Lauf der Geschichte rechtfertigen, der hinsichtlich wechselnder Orte und Settings immer schneller und dadurch unübersichtlicher wird.

Prinzipiell als positiv zu bewerten ist die Tendenz, mehr Abwechslung in die Erzählung hineinzubringen. Durch die häufigen Sprünge zwischen nun parallel laufenden Abenteuern, die zudem innerhalb der Erzählung zu häufigeren Zeitsprüngen neigen, geht diese Abwechslung jedoch ebenfalls auf Kosten der Übersicht. Die Neuordnung einiger Folgen versucht sich zwar dieses Problems anzunehmen, ändert jedoch nichts an der generellen Erzählstruktur. Wie schon mehrfach darauf hingedeutet: Den größten Reiz konnte der Hexer von Salem noch zu Beginn ausmachen, als vieles im Unklaren lag und Freund und Feind sich noch belauerten. Jeder große Endkampf zwang Hohlbein und seine Mitautoren dazu, das nächste Finale noch gewaltiger auszuschmücken. Was vielleicht beim ersten Mal noch geklappt hat, hat sich irgendwann in die Unglaubwürdigkeit verabschiedet. Das mag an die Konstruktion eines Heftromans gekoppelt sein, die einen packenden Einstieg und ein ebensolches Ende verlangt und einfach schneller auf den Punkt kommen muss. Zusammengefasst in einem Band ergibt das aber eine derartige Häufung von Spannungsbögen, dass die damit zu erzeugende Spannung sich jedoch nicht immer einzustellen vermag. So besticht auch „Das Auge des Satans“ wieder mit einigen schönen Einzelfolgen, bringt den Zyklus aber allmählich vom Kurs ab und bietet nicht mehr das, was man vom Hexer kennt.

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Hohlbein, Wolfgang – Buch der tausend Tode (Der Hexer von Salem 5)

[„Die Spur des Hexers“ 4081 (Der Hexer von Salem 1)
[„Der Seelenfresser“ 4141 (Der Hexer von Salem 2)
[„Engel des Bösen“ 4206 (Der Hexer von Salem 3)
[„Der achtarmige Tod“ 4353 (Der Hexer von Salem 4)

Es geht weiter, die Hälfte ist geschafft. Mit „Buch der tausend Tode“ liegt der mittlerweile fünfte Sammelband der „Hexer von Salem“-Reihe aus der Feder von Wolfgang Hohlbein vor, neu lektoriert und nachbearbeitet. Was höchstens ein akribischer Sammler bemerkt, der die älteren Buchausgaben oder sogar die Heftromane zum Vergleich heranzieht, sind die leichten Veränderungen, die diese – finale, endgültige oder wie auch immer zu bezeichnende – Fassung erfahren hat. Alle anderen Leser werden dankenswerterweise in einem der Vorworte in diesem Sammelband darauf hingewiesen.

Zum Verständnis und Lesefluss nicht notwendig sind die Anekdoten über die Entstehungsgeschichte des Hexers, in diesem Fall einmal mehr von Frank Rehberg, aber sehr aufschlussreich und unterhaltsam. So gibt er etwa in diesem Band Einblicke in die Arbeit um die Neuausgabe, die sich nah an den Originalmanuskripten zu halten versuchte, um die später eingefügten Änderungen nicht einfach zu übernehmen. In vielen Fällen sei dies jedoch nicht möglich gewesen, so Rehberg, durch das damalige, sehr anfällige Speichermedium Diskette. Viele der Disketten seien im Laufe der Zeit nicht mehr lesbar gewesen, das Originalmanuskript für immer dahin. Dennoch, spätere Änderungen seien, soweit dies möglich war, noch einmal unter die Lupe genommen, abgesegnet oder revidiert worden. Das erkläre die Tatsache, dass einige Episoden in „Buch der tausend Tode“ und den übrigen Neuausgaben sogar um einige Zeilen kürzer ausgefallen seien, da Hohlbein die später von Lektoren oder Redakteuren hinzugefügten Passagen zum Teil wieder gestrichen habe.

Wie weit man diesem, für den normalen Leser im Grunde kaum noch nachvollziehbaren Entwicklungsprozess einzelner Hexer-Abenteuer auch folgen möchte, der Blick hinter die Kulissen bietet zumindest einen guten Einstieg in die insgesamt neun Einzelepisoden, die sich in diesem Sammelband finden. Und auflockern können die Vorworte allemal, da auch der fünfte Sammelband mit über 730 Seiten wieder ein dicker Wälzer geworden ist. Eines der darin enthaltenen Kapitel stellt dabei „Necron – Legende des Bösen“ dar und lässt die Auseinandersetzung zwischen dem Hexer und seinem Erzrivalen auf einen vorläufigen Höhepunkt zusammenlaufen.

_Inhalt_

Es hat lange gedauert, doch Robert Craven hat es endlich geschafft, die legendäre Drachenburg zu finden: jenen Ort, an dem sich sein Rivale Necron verschanzt haben soll. Sein Ziel so nah vor Augen, gerät der Hexer jedoch in eine Falle. Das Schutzschild, das die Burg vor feindlichen Eindringlingen bewahren soll, gaukelt Craven eine unheilvolle Vision vor und raubt ihm kurzzeitig die Orientierung. Glücklicherweise können ihn seine Begleiter Shadow und der Indianer Sitting Bull retten – Letzterer ist im Übrigen eine weitere Person, die real existiert hat und der Hexer-Serie trotz der starken Fiktionalität einen realistischen Bezug verschafft.

Endlich wieder bei klarem Verstand, steht Craven nun so kurz davor, Necron endlich gegenüberzutreten. Der Schutzschild mutet jedoch unüberwindbar an. Eher zufällig findet der Hexer dann aber doch noch eine Möglichkeit, in das Anwesen einzudringen. Denn die Templer, die durch eine Täuschung in Craven einen Feind sehen und eine kurzfristige Allianz mit Necron eingehen, können problemlos in die Burg gelangen: über eine unsichtbare Brücke, die nur hält, sofern man an sie glaubt. Einer der Templer verliert diesen Glauben, stürzt in den Abgrund und zeigt Craven, der diesen Sturz mitverfolgt, wie die Drachenburg zu erreichen ist.

Obwohl es dem Hexer zusammen mit Shadow und Sitting Bull gelingt, bis in den Innenhof vorzudringen, scheitert die Stürmung ein weiteres Mal. Die kleine Gruppe wird von Necron bereits erwartet, der sie, wie auch die Templer, die nicht so recht wissen, auf welcher Seite sie nun stehen, mit mächtigen Zaubern in den Wahnsinn treibt. Die Templer, die nunmehr Craven wie auch Necron als Feind gegenüberstehen, werden kurzerhand vernichtet. Craven, geschwächt und ausgelaugt, wird hingegen verschont und als Gefangener in die Burg gebracht. Anstatt den Hexer zu töten, hat Necron jedoch einen perfideren Plan ausgeheckt. Er will seinen Rivalen auf seine Seite ziehen und ihn dazu bewegen, den Großen Alten zu dienen. Zusammen wären sie mächtiger als jeder Feind, der sich ihnen in den Weg stellen würde. Craven hat kaum eine Wahl zwischen der Option zu sterben oder sich seinen Feinden unterzuordnen, doch mit einer letzten verzweifelten Aktion setzt er alles auf eine Karte und riskiert dabei nicht nur sein eigenes Leben.

Nach einer großen Schlacht kehrt in den folgenden Episoden wieder etwas mehr Ruhe ein. Das Böse findet jedoch immer einen Weg und versucht mit neuen Mitteln, den Hexer zu vernichten. Besondern hervor stechen dabei die Folgen „Der Koloss von New York“, in dem mit Herman Melville, dem Autor von [„Moby Dick“, 1144 eine weitere reale Person einen kurzen Gastauftritt erhält.

Noch einen Schritt weiter geht die letzte Geschichte in diesem Sammelband. „Das Hirn von London“ wartet mit einer Hommage an Sir Arthur Conan Doyle auf, denn Craven wird in Ereignisse verwickelt, die direkten Bezug auf den heute als Klassiker zu bezeichnenden Krimi [„Der Hund der Baskervilles“ 1896 nehmen.

_Bewertung_

Auch der Sammelband „Buch der tausend Tode“ wartet wieder mit einigen Höhepunkten, aber auch einigen schwächeren Einzelfolgen auf. Wer Wert legt auf die Vollständigkeit der gesamten Reihe – und darauf ist diese Neuauflage ja ausgerichtet -, wird sich darum eh weniger scheren. Alle anderen dürften bereits vorher abgesprungen sein, denn der Zenit der Serie ist bereits überschritten. Obwohl kurze Gastauftritte zeitgenössischer Persönlichkeiten immer wieder überraschen und zum Schmunzeln anregen, eben weil sich der Hexer nicht ganz so ernst nimmt, wirkt die Handlung mittlerweile arg konstruiert und mehr und mehr konfus. Da jede einzelne Kurzgeschichte in einen großen Zyklus eingebettet ist, leidet zwangsläufig die Übersicht darunter. Zentrale Folgen wie das titelgebende „Buch der tausend Tode“, in dem sich Craven und Necron endlich gegenüberstehen, räumen zwar bei Freund und Feind kräftig auf, die Neuordnung der Verhältnisse geht aber nicht tief genug. Die vielen Verweise auf frühere Geschichten oder auf früher eingeführte Charaktere bringen die alte Komplexität zurück. Die immer häufigeren Zeitsprünge tun ihr Übriges, dass man als Leser schon einmal den Faden verliert.

An der literarischen Qualität hat sich natürlich nichts geändert. Man merkt dem Hexer stets an, dass die Vorlage eine Heftroman-Reihe gewesen ist, daran ändert auch die Überarbeitung nichts. Dies sollte aber nicht als grundlegende Kritik verstanden werden, denn das Ziel des Sammelbandes ergibt sich bereits aus dessen Namen. Hier geht es nicht um neue Hexer-Abenteuer, sondern um die alten im neuen Gewand, und dies ist wie bei allen vier vorherigen Bänden auch mit diesem fünften hervorragend gelungen. Dazu trägt neben den leicht revidierten Texten und den interessanten Vorwörtern auch die einheitliche Buchgestaltung bei. Beginnend in einem blauen Farbton, hat sich jeder Teil im Vergleich zum vorigen farblich leicht verändert (dieser Band ist bräunlich-rot), was im Bücherregal schon jetzt, trotz der Paperback-Ausgabe, einen hübschen Gesamteindruck ergibt.

Man kann den Hexer lieben oder hassen, die Sammelausgabe ist für echte Fans eine wahre Fundgrube. Darauf zielt diese Ausgabe ab, und damit kann sie eindeutig punkten.

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Heitz, Markus – Kinder des Judas

|Serbien, 17. Jahrhundert|

Jitka ist noch ein Kind als ihr die Mutter von einem türkischen Elitekrieger, einem Janitscharen, genommen wird. Ein Großbauer nimmt das Mädchen, welches eine unglaubliche Auffassungsgabe besitzt, in seine Obhut, bis sein Vater Karol eines Tages unvermittelt vor der Tür steht. Er nimmt Jitka mit sich in seine Mühle, in der schon lange kein Korn mehr gemahlen wird. Stattdessen hat sich Karol eine umfangreiche Bibliothek sowie ein Laboratorium in dem Gebäude geschaffen. Der charismatische Mann ist ein Forscher, der seine Tochter schnell an seinem Wissen teilhaben lässt, und Jitka ist äußerst wissbegierig.

Bald schon erkennt sie, wonach Karol forscht. Er untersucht das Wesen der Vampire und Untoten. Auch Jitka ist von diesem Thema fasziniert und bald schon legt sie ihren alten Namen ab und wird fortan nur noch Scylla genannt. Über die Jahre hinweg erlangt Scylla ein enormes Wissen und wird darüber hinaus von ihrem Vater im Kampf, vorrangig mit dem Dolch, unterrichtet. Eines Abends belauscht Scylla unerlaubt eine Zusammenkunft mehrerer Adliger in der Scheune neben der Mühle. Ihr Vater, Karol, ist der Gastgeber, und so erfährt Scylla viel früher als beabsichtigt von der geheimnisumwitterten |Cognatio|, einem Bund von Wissenschaftlern, die zum Wohle der Menschen forschen. Insgesamt gibt es zwölf Mitglieder, an deren Spitze der Ischariot steht, denn die Cognatio ist der festen Überzeugung, von Judas Ischariot abzustammen, den sie nicht als Verräter an Jesus ansehen, sondern als den eigentlichen Begründer des Christentums, denn ohne Judas wäre Jesus nicht in der Lage gewesen, die Bürde des Todes für die Menschheit auf sich zu nehmen und wieder aufzuerstehen.

Jedes Mitglied der Cognatio muss im Laufe seines Lebens einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin ausbilden. Diese müssen umfangreiche Tests bestehen, bevor sie aufgenommen werden. Karol hat aber viele Gegner in der Cognatio, und so wird Scylla zunächst ausgestoßen. Doch Scylla besitzt weitaus mehr Wissen als die restlichen Eleven und Elevinnen und wäre ein unschätzbares Mitglied. Aber die Cognatio ist der unumstößlichen Meinung, Karol könnte seine Tochter nicht ausreichend lenken. So übernimmt seine beste Freundin in der Cognatio, Baronin Lydia Metunova, die Fürsorge für die junge Frau.

Diese hat aber innerlich bereits mit der Cognatio gebrochen. Schließlich kommt es sogar zu Katastrophe, denn die Bewohner der umliegenden Dörfer sind der Ansicht, dass Karol und seine Tochter selber Blutsauger sind, auch wenn sie diese zu bekämpfen vorgeben. Und sie haben Recht, denn die Mitglieder der Cognatio sind Kinder des Judas. Mächtige Vampire, die ihren Blutdurst zwar zügeln können, aber wenn er durchbricht, gibt es fürchterliche Massaker. Karol kommt im Kampf mit den Dörflern um, und auch Scylla stirbt. Doch während ihr Vater seine untote Existenz aushaucht, stirbt Scylla als Mensch und wird als Vampirin, als Tochter des Judas, wiedergeboren. Rastlos lebt sie fortan in der Welt der Menschen und trinkt ungezügelt Menschenblut, vermählt sich mit reichen Geschäftsmännern und kommt zu einem nicht unbeträchtlichen Vermögen. Bis sie die Bekanntschaft mit ihrem Halbbruder Marek macht, der ebenfalls ein Judaskind ist und seine Schwester zurück in den Reigen der Cogantio führt. Doch Marek hat seine eigenen Pläne, für deren Ausführung er auch über Leichen gehen würde. Insbesondere über die Leiche von Scyllas großer Liebe Viktor, dem Vampirforscher aus Deutschland …

|Leipzig, 2007|

Als Theresia Sarkowitz lebt Scylla immer noch unter den Menschen. Hat aber dem Blut der Menschen abgeschworen, auf welches die Judaskinder nicht angewiesen sind, und arbeitet als Sterbebegleiterin in einem Krankenhaus, während sie nachts gefährliche Käfigkämpfe im Untergrund führt. Eines Abends holt sie ihre Vergangenheit wieder ein, als Marek erneut die Partnerschaft seiner Schwester einfordert. Da weiß Scylla, dass sie erst ihren Bruder endgültig vernichten muss, um Frieden zu finden …

_Meinung:_

|“Der zweibändige Ausflug in das Genre Dunkle Spannung wird nicht der letzte sein. Es gibt noch einiges zu erzählen. Und viele andere Wesen, die sowohl im Dunkel als auch im Licht lauern.“| So hieß es am Ende von „Sanctum“, dem zweiten Band des großen Werwolf-Zweiteilers aus der Feder von Markus Heitz. Nun ist es so weit und der Leser hält mit „Kinder des Judas“ wieder einen Horror-Action-Thriller der Superlative in Händen.

Dieses Mal nimmt sich Heitz |der| klassischen Gruselfiguren an: der Vampire. Der Klappentext gibt dabei nur die Spitze des Eisberges preis. Der Plot und zugleich der Reiz des gesamten Buches liegen in der zweiten Handlungsebene. Denn wie schon in „Ritus“ und „Sanctum“, hat Heitz auch dieses Buch in zwei Storylines aufgegliedert, die sich in unregelmäßigen Abständen ablösen. Der Großteil der Geschichte spielt zwischen den Jahren 1670 und 1732, und hier wird der Löwenanteil der Handlung in Serbien bestritten. Im Laufe der Geschichte treten die Geschehnisse der Gegenwart immer mehr in den Hintergrund, um am Ende wieder mit Macht in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken und den Leser mit einem dramatischen Finale zu bannen.

Wie schon in seinen Werwolf-Thrillern, hat Heitz auch hier für seinen historischen Part auf reale Ereignisse zurückgegriffen. Im Mittelpunkt stehen der osteuropäische Vampirglaube und diverse Exhumierungen, bei denen die unterschiedlichsten Arten der blutsaugenden Untoten gefunden wurden. In „Kinder des Judas“ sind Vampire nicht gleich Vampire, und abgesehen von den Judaskindern greift der Verfasser auf ‚reale‘ Mythen zurück. In seinem Roman wimmelt es von Upiren, Tenjacs (Aufhockern), Muronys, Nachzehrern und vielen anderen Untoten mehr.

Leider ist aber nicht alles Gold, was glänzt: Heitz‘ Protagonisten wirken leider häufig sehr distanziert und gefühllos. Scylla ist eine wunderschöne Frau, die nicht nur hochintelligent ist, sondern darüber hinaus auch eine perfekte Kämpferin – eine Charakterisierung wie aus einem Trivial-Roman. Dabei agiert sie teilweise so spröde und humorlos, dass sie geradezu depressiv wirkt. Gerade die Passagen in der Gegenwart, die von Scylla alias Theresia Sarkowitz aus der Ich-Perspektive geschildert werden, sind gefärbt von einer dunklen Melancholie. Bisweilen sind Scyllas Gedankengänge zu melodramatisch, so als ob sie das gesamte Leid der Menschheit auf sich nehmen müsste. Ihrer Figur fehlen der Schuss Ironie und eine Portion Humor, um wirklich überzeugen zu können. Umso authentischer und liebenswerter wirkt dagegen Viktor, der erst im Jahr 1731 in das Leben der Vampirin tritt und erstmals auf Seite 400 erwähnt wird. Eigentlich will der junge Deutsche nur in den Osten Europas, um die Erinnerungen an seine gestorbene Geliebte zu verwinden und Pelze zu erwerben, als ihm die Geschichten von den lebenden Toten zu Ohren kommen. Von da an ist er dem Bann der Blutsauger erlegen und forscht an der Seite einer Sippe von Zingaros (Zigeunern) nach den Vampiren. Nachdem er Scylla kennen und lieben gelernt hat, gerät er schneller, als ihm lieb ist, in das Visier der Judaskinder.

Viktor ist eindeutig der Sympathieträger in der zweiten Hälfte des Buches und dient, aufgrund seiner Liebenswürdigkeit und Schwächen, eher als Identifikationsfigur als Scylla selbst.
Seine Reisen mit den Zingaros durch Serbien gehören zu den spannendsten Abschnitten des Buches und hätten ruhig noch ausführlicher sein dürfen. Rückblickend betrachtet, hat die Zeitlinie in der Gegenwart auch eher gestört, lief sie doch nur auf das entscheidende Duell zwischen Scylla und Marek beziehungsweise den Kindern des Judas und den restlichen Vampiren hinaus. Dafür geht der Autor mit den Fakten der Vergangenheit sehr souverän um und entwickelt eine überaus interessante Storyline, die man mit sehr viel Freude lesen kann.

Die äußere Gestaltung des Buches ist ähnlich gehalten wie bei „Ritus“ und „Sanctum“, wirkt allerdings nicht ganz so edel. Dennoch hebt sich das Buch im Regal deutlich von anderen Publikationen sehr schön ab.

_Fazit:_

Markus Heitz‘ Ausflug in die Welt der Vampire ist nicht ganz so fesselnd und dramatisch wie sein Werwolf-Zweiteiler, aber immer noch ein literarisches Erlebnis, das einige Stunden Einsamkeit durchaus kurzweilig zu gestalten vermag. Die einseitige Charakterisierung der Heldin macht die Lektüre bisweilen jedoch ein wenig zäh. Auch die Handlungsebene in der Gegenwart wirkt gelegentlich zu konstruiert; die Geschichte hätte als rein historischer Gruselroman viel besser funktioniert. Gerade die Fakten und Recherchen des Autors kommen dem Buch zugute, und die Exhumierungen und Hinrichtungen der Untoten sind nichts für schwache Gemüter. Ein Buch, welches trotz seiner Mängel jedem Vampir-Interessierten wärmstens empfohlen sei.

|702 Seiten|
http://www.pakt-der-dunkelheit.de
http://www.knaur.de

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|Markus Heitz auf Buchwurm.info:|

[Interview mit Markus Heitz]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=56
[„Schatten über Ulldart“ 381 (Die Dunkle Zeit 1)
[„Trügerischer Friede“ 1732 (Ulldart – Zeit des Neuen 1)
[„05:58“ 1056 (Shadowrun)
[„Die Zwerge“ 2823
[„Die Zwerge“ 2941 (Hörbuch)
[„Die Rache der Zwerge“ 1958
[„Der Krieg der Zwerge“ 3074
[„Die dritte Expedition“ 2098
[„Ritus“ 2351 (Buch)
[„Ritus“ 3245 (Hörbuch)
[„Sanctum“ 2875 (Buch)
[„Sanctum“ 4143 (Hörbuch)
[„Die Mächte des Feuers“ 2997

_Florian Hilleberg_

Wilson, F. Paul – Gruft, Die (Handyman Jack 1)

Wenn dir Unrecht geschah und weder die Polizei noch ein Privatdektektiv oder sonst jemand dir mehr helfen kann, holst du dir „Handyman Jack“, den Handwerker für alle Fälle. Er regelt die Sache, ohne sich um die Einschränkungen zu kümmern, die das Gesetz dem Normalbürger auferlegt – körperliche Beeinträchtigungen deines Widersachers eingeschlossen.

Zur Zeit bearbeitet Jack zwei ‚Fälle‘. Nummer eins scheint schnell gelöst: Der Inder Kusum Bakhti beauftragt ihn mit der Wiederbeschaffung einer Halskette, die seiner ‚Großmutter‘ gestohlen wurde. Jack hat Glück, erwischt den Täter und händigt Bakhti die erstaunlich wertlos wirkende Kette aus. Leider ist er abgelenkt, sonst hätte er sich ein wenig intensiver um einige Ungereimtheiten gekümmert.

Doch Jack hat sich vor zwei Monaten von Gia DiLauro, der Liebe seines Lebens, getrennt, die nun wieder Kontakt zu ihm sucht: Grace Westphalen, eine Tante ihres untergetauchten Ex-Gatten, ist vor einige Tagen spurlos verschwunden. Jack sucht zwar normalerweise nicht nach vermissten Personen, will Gia aber nicht abweisen.

Unter Graces persönlicher Habe findet er ein Fläschchen mit verdächtigem Inhalt. Es enthält eine Art Lockstoff, mit dem der uns bereits bekannte Kusum Bakhti Personen markiert, um die sich seine ‚Diener‘, die dämonischen Rakoshi, kümmern sollen. Als Priester des „Tempels-in-den-Bergen“ dient Bakhti der indischen Todesgöttin Kali. Im Jahre 1857 hatte der skrupellose Sir Albert Westphalen, Captain der Königlich Bengalischen Füsiliere, den besagten Tempel beraubt und geschändet, wofür Kalis Priester ihm und seinen Nachfahren ewige Rache schworen. Bakhti und seine Rakoshi sollen sie nun erfüllen.

Kusum wird von seiner jüngeren Schwester Kolabati begleitet. Nachdem Jack die Kette ihrer Großmutter beschaffen konnte, hat sie mit ihm angebändelt. Sie fragt sich, ob Jack ihr helfen kann. Längst empfindet sie den Racheauftrag als Fluch. Kolabati will frei sein, doch für Kusum ist dies Verrat, der mit dem Tod zu ahnden ist. Er setzt Kolabati auf seine Liste, an deren Ende die Letzte der Westphalens vermerkt ist: Vicky, Gia DiLauros kleine Tochter, für die Jack wie ein Vater empfindet. Keinesfalls wird er ihren Tod dulden, doch zwischen ihm und dem bald entführten Kind stehen Bakhti und geifernde Rakoshi in unerwartet großer Zahl …

Das Unheimliche sucht die Vereinigten Staaten wieder einmal aus der Fremde heim, die der US-Bürger bekanntlich gern mit dem „Reich des Bösen“ gleichsetzt. Dabei trifft es dieses Mal Unschuldige; die eigentlichen Schurken stammen aus dem alten Europa. Sie sind aber längst tot bzw. ihre Nachfahren in die Neue Welt aufgebrochen. Also muss sich Kusum Bakhti mit seinen Rakoshi auf den weiten Weg dorthin machen.

Der Gedanke daran, wie er dabei logistisch vorgeht und welche Motive ihn treiben, bringt den Leser auf gefährlich dünnes Eis: „Logik“ ist ein Wort, das in der „Gruft“ lieber nicht fallen sollte. Die ungewöhnlich sorgfältige Charakterisierung, die Wilson seinen Figuren angedeihen lässt, weckt falsche Erwartungen: Dies ist kein ‚literarischer‘ Roman, sondern ein triviales, handwerklich sauber gesponnenes Gruselgarn, dem sein Verfasser ein wenig zu aufdringlich Bedeutsamkeit einblasen will.

Schade, denn die Story kann sich lesen lassen. Indischer Teufelspriester mit Cäsarenwahn und der Möglichkeit, diesem mit dämonischer Nachhilfe Taten folgen zu lassen, begibt sich auf eine mörderische Rachemission. Sein wackerer Gegenspieler gerät zufällig in den Strudel der Ereignisse, die er nur langsam, aber angenehm überzeugend zum erschreckenden Gesamtbild zusammensetzen kann. Wie Jack Bakhti auf die Schliche kommt, ist spannend und überraschend, ohne dass Wilson den Zufall bemühen muss. Hier ist ein Verfasser am Werk, der seinen Job versteht. Als Leser erkennt man das sogleich, fühlt sich wohl und verzeiht gewisse Längen, die womöglich auf die komplexe Genese dieses Romans zurückgehen.

Denn dieser erste Auftritt von Handyman Jack ist eine verwirrende Angelegenheit. Als F. Paul Wilson ihn 1984 schuf, geschah dies im Rahmen einer ganz anderen Serie, und es sollte bei diesem einen Auftritt bleiben. Die Serie trägt den Titel „Adversary“ und schildert das Wirken einer bösen Macht, die es in diversen Masken danach drängt, die Menschheit zu unterjochen sowie die ihr vor Urzeiten streitig gemachte Weltherrschaft zurückzuerobern. „The Tomb“ war der zweite Teil der insgesamt sechsbändigen Serie und erschien sechs Jahre später als „Die Gruft“ auch in Deutschland.

Schon damals gab der Titel Rätsel auf, da eine Gruft sich zwar während eines kurzen Flashbacks auftut, für die eigentliche Handlung jedoch unerheblich bleibt. Problematischer wurden für Wilson allerdings seine Leser, die energisch eine Rückkehr des ihnen lieb gewordenen Jack forderten. Das geschah freilich erst 1998, und dieses Mal plante Wilson eine eigene „Handyman Jack“-Serie, in die sich „Die Gruft“ jedoch nicht so einfach einpassen ließ, zumal Wilson keine 14 Jahre zwischen Jacks erstem und zweiten Auftreten ‚aufarbeiten‘ wollte. Also nahm er sich „Die Gruft“ noch einmal vor und verlegte das Geschehen in die Gegenwart der 1990er Jahre, wobei er gleichzeitig diverse Fehler und Anachronismen des Originals tilgte.

„Handyman Jack“ wurde berühmt und erfolgreich und „The Tomb“ mehrfach neu aufgelegt. Zum 20-jährigen Jubiläum bearbeitete Wilson den Roman ein weiteres Mal und gab ihm einen neuen Titel: „Rakoshi“. Um die Verwirrung komplett zu machen, erscheinen aktuelle Neuauflagen wieder als „The Tomb“.

„Handyman Jack“ trägt nur in Deutschland diesen ‚Namen‘, auf den man ihn einst im |Goldmann|-Verlag getauft hat, obwohl ihn F. Paul Wilson als „Repairman Jack“ in die populärliterarische Welt brachte. Bei |Festa| behielt man dies wohl bei, um Jacks deutsche Fans nicht zu verwirren.

Ungeachtet der Irritation um seinen ohnehin gefälschten Namen zählt Jack zu den faszinierenden Gestalten der Phantastik. Er, der so große Sorgfalt darin investiert, keinerlei Alltagsspuren zu hinterlassen, gehört zu den Helden des Genres, die mit einem reichen Innenleben gesegnet – oder geschlagen – sind. Für einen Mann, der so viel Wert auf seine staatsbürgerliche Unsichtbarkeit legt, ist Jack sozial erstaunlich stark eingebunden. Dieser Zwiespalt macht ihn sympathisch und interessant, denn Jack erwachsen aus seiner Treue zu Familie und Freunden ständig Probleme. Sein geheimes Leben lässt sich – Spiderman würde da zustimmen – schwer mit dem Privaten in Einklang bringen. Die Regeln des ’normalen‘ Lebens hat Jack gegen die eines selbst geschaffenen Kodex getauscht. Paradoxerweise ist dieser in vielen Punkten sogar strenger formuliert. Das muss so sein, denn nur so kann Jack die Kontrolle behalten.

Denn es gibt da eine andere, dunkle Seite in Jacks Wesen. Das Lösen heikler Aufgaben ist ihm genauso Job wie Sucht, denn sein ‚Handwerk‘ dient als Ventil für die ihm innewohnende Brutalität. Jack schlägt gern zu, auch wenn er sorgfältig darauf achtet, dass es nur diejenigen trifft, die es ‚verdienen‘. Das zu entscheiden, obliegt jedoch ihm, und in Momenten der Muße – die Jack nicht grundlos schwer erträglich findet – weiß er durchaus, dass er sich etwas vormacht. Das hat ihm zuletzt Gia sehr deutlich gesagt, nachdem sie hinter sein Doppelleben gekommen war.

Für einen Horrorroman erstaunlich ausführlich und ernsthaft beschäftigt sich „Die Gruft“ mit Jack und Gia, den beiden Königskindern, die einander nicht finden können, obwohl sie es doch so sehr wollen. In der Tat übertreibt es Wilson mit diesem beinahe seifenoperlichen Konflikt, dem sogar ein zweites Problemverhältnis – das von Jack und seinem Vater – folgt. Diese Passagen lassen sich überspringen, ohne dass die eigentliche Handlung davon beeinträchtigt wird – kein gutes Zeichen und ein Indiz dafür, dass ihr hier etwas übergestülpt werden soll, das nicht mit ihr harmoniert.

Wenn’s in diesem Bereich sogar faulig süßelt, so liegt es daran, dass Gias Töchterlein Victoria des Dreiecks letzte Seite bildet, deren offensiv kulleräugige Unschuld fürchterlich nervt. „Kleinkind in Gefahr“ – da schrillen bei jedem echten Gruselfreund die Alarmglocken, denn Kinder und Hunde, so lautet eine alte und kluge Hollywood-Weisheit, reißen die Aufmerksamkeit stets an sich. Das ist im Buch so wie im Film und wird als mechanisch zuverlässiges Handlungselement gern von faulen Autoren eingesetzt. Wilson möchte man solches Kalkül nicht unterstellen, weil er sich mit der Figurenzeichnung sonst große Mühe gibt. Dennoch würde niemand Vicky vermissen, wenn zwischen den Zeilen ein Rakosh sie sich greifen würde …

Gia DiLauro ist als „love interest“ ein Objekt der Begierde, das nicht wechselhaft umworben und gerettet werden will bzw. muss, sondern eine erwachsene Frau mit dem Problem, dass der Mann ihres Herzens alles andere als eine ’sichere Partie‘ ist. Mit den daraus resultierenden Fragen plagt sich Gia viele Seiten, was sie aber keineswegs daran hindert, sich aktiv in die finale Rauferei mit den Rakoshi einzumischen. Ohne Gia wäre Jack besser dran, so mag mancher Leser insgeheim denken, doch ihre Existenz prägt diesen Jack entscheidend.

Das ist auch deshalb wichtig, weil es Jacks Beziehung zu Kolabati bestimmt. Diese ist – damit verrate ich sicherlich kein Geheimnis – nicht diejenige, die zu sein sie Jack vorgibt. Er vermag sich trotz des ehrlichen Versuches nie vollständig auf sie einlassen und ahnt nicht, dass ihm das letztlich sein Leben als Individuum rettet.

Als wir Jack verlassen, sitzt er verlassen und schwer verletzt in seiner Wohnung. Er braucht dringend Hilfe, und 1984 blieb offen, ob er sie erhalten wird. Dieses offene Ende behielt Verfasser Wilson trotz zweimaliger Bearbeitung des Romans bei, weil es dramatisch und wirkungsvoll ist. Es verliert allerdings erheblich an Wirkung, wenn man um die lange Reihe der „Handyman-Jack“-Abenteuer weiß, die der „Gruft“ inzwischen gefolgt sind und noch folgen werden …

http://www.festa-verlag.de

_F. Paul Wilson auf |Buchwurm.info|:_
[„Das Kastell“ 795
[„Tollwütig“ 2375

Alec Covin – Die Augen der Angst

Das geschieht:

Tusitala, ein kleines Städtchen im US-Staat Louisiana, soll für das gebeutelte Ehepaar Baldwin zur Stätte ihres beruflichen und privaten Neuanfangs werden. John hat gerade einen Schlussstrich unter seine gescheiterte Hollywood-Karriere gezogen und will das alte Fortier-Anwesen in ein Ferienhotel verwandeln. Deutlich weniger enthusiastisch ist ihm Gattin Laureen in die Provinz gefolgt. Ihr fehlt die Großstadt, und sie sorgt sich um Scotty, den fünfjährigen Sohn, den sie nach Ansicht des Vaters zu sehr verhätschelt.

Das Hotel der Baldwins wird zur Goldgrube. Scotty durchstreift die naturbelassene Wildnis der Umgebung. Dabei stößt er auf einen Spielkameraden, den er als Gespenst identifizieren könnte, hätten ihn seine Eltern über die unheimliche Vorgeschichte des Fortier-Hauses informiert: In den 1930er Jahren erhob sich hier die Villa der reichen und mächtigen Familie McNeice, bis es während eines glanzvolles Festes mit allen Gästen in Flammen aufging. Alec Covin – Die Augen der Angst weiterlesen

Hill, Joe – Black Box

_“Best New Horror“_: Eddie Carroll ist Herausgeber der Buch-Reihe „Best New Horror“ und auf der Suche nach originellen Geschichten. Dabei wird ihm die Geschichte „Buttonboy“ empfohlen, die aufgrund ihrer schonungslosen Brutalität und ihres schockierenden Ausgangs für Aufruhr sorgte. Carroll beschließt, die Geschichte in seinem neuen Band abzudrucken, und macht sich auf die Suche nach dem exzentrischen Autor …

_“20th Century Ghosts“_: Im nostalgischen Kino „Rosebud“ spukt der Geist eines jungen Mädchens. Als Fünzehnjähriger begegnet Alec der verstorbenen Imogene zum ersten Mal. Jahre später ist er selber der Besitzer des Kinos, und immer noch erzählen verstörte Besucher von ihrer Begegnung mit der Gestalt, die sich neben einen setzt und ihre Lieblingsfilme anschaut …

_“Pop Art“_: Arthur Roth ist kein gewöhnlicher zwölfjähriger Junge. Geboren mit einem Gendefekt, besteht er aus aufblasbarem Gummi, ohne innere Organe und immer in Gefahr, zu zerplatzen. Da er stumm ist, kommuniziert er über Zettelbotschaften. Nur bei seinem besten und einzigen Freund kann er kurzzeitig ein normaler Junge sein, der gerne Astronaut wäre, alberne Scherze macht und sich fragt, wie das Leben nach dem Tod aussieht …

_“Der Gesang der Heuschrecken“_: In der Schule ist Francis ein Außenseiter, zuhause liefert er sich Streitereien mit seinem Vater und der ungeliebten Stiefmutter. Als Kind erwarb er sich bei Spielkameraden Aufmerksamkeit, indem er Insekten aß, heute trägt er dafür den verächtlichen Spitznamen „Mistkäfer“. Eines Morgens erwacht Francis im Körper eines riesigen Ungeziefers …

_“Abrahams Söhne“_: Max und Rudolf sind die kleinen Söhne des Vampirjägers Dr. van Helsing, der einst Jagd auf Graf Dracula machte. Heute lebt van Helsing mit seinen Söhnen in zweiter Ehe in Amerika. Die beiden Jungen wissen nicht viel vom Vorleben ihres strengen Vaters, doch sie leiden unter seiner beständigen Furcht vor Vampiren …

_“Besser als zu Hause“_: Der kleine Homer leidet unter Zwangsstörungen. Sein Essen muss er vor dem Verzehr erst genau prüfen und auseinander nehmen, störende Geräusche von Klimaanlagen oder Videorecordern können ihn in den Wahnsinn treiben und Familienstreits enden oft mit hysterischen Ausbrüchen. Nur sein Vater, ein Baseballtrainer, den Homer tief bewundert, versteht es, mit ihm richtig umzugehen …

_“Das schwarze Telefon“_: Der dreizehnjährige Finney wird von einem dicken Mann entführt. Als er in einem fremden Zimmer wieder zu sich kommt, ahnt er, dass er in die Fänge eines langgesuchten Kindermörders geraten ist …

_“Endspurt“_: In der Highschool war Wyatt ein erfolgreicher Baseballspieler, doch seine schlechten Noten bedeuteten das Aus in der Mannschaft. Zu allem Ärger verliert er auch noch den Job in der Videothek. Als er sich frustriert auf den Heimweg macht, begegnet er Mrs. Prezar, der er früher den Rasen mähte. Die völlig verstörte Frau bittet ihn um Hilfe …

_“Das Cape“_: Als Kind hat Eric eine Lieblingsdecke, die er überallhin mit sich trägt. Beim Spielen auf einem Baum wird er vom Cape in der Luft getragen, ehe der Wind ihn stürzen lässt. Die Decke verschwindet und Erics Leben nimmt einen normalen Lauf. Zehn Jahre später findet er das Cape im Keller seiner Mutter wieder – und schafft es erneut zu fliegen …

_“Ein letzter Atemzug“_: Eine Familie besucht das ominöse Atemmuseum von Dr. Alinger. Hier bewahrt der Leiter die letzten Atemzüge verstorbener Menschen, darunter auch vieler Prominenter, auf, die sich Besucher anhören können. Während Vater und Sohn von der makaberen Ausstellung begeistert sind, hält die Mutter die Sammlung für pervers …

„_Totholz“_: Nicht nur Menschen können zu Geistern werden, sondern auch Bäume …

_“Witwenfrühstück“_: Die Freunde Kilian und Gage ziehen als Landstreicher umher, bis Gage ums Leben kommt. Nach einem Sommer zielloser Herumreiserei landet Kilian beim Haus einer Witwe und ihren Töchtern, die ihm ein Frühstück anbietet …

_“Bobby Conroy kehrt von den Toten zurück“_: Nachdem seine Karriere als Komiker in New York gescheitert ist, kehrt Bobby als Schauspieler nach Pennsylvania zurück. Am Set für einen Zombiefilm von George A. Romero trifft er auf seine alte Jugendliebe Harriet …

_“Die Maske meines Vaters“_: Der dreizehnjährige Luke fährt mit seinen Eltern in die Hütte seines verstorbenen Großvaters. Seine Mutter erklärt ihm, es sei ein Spiel, bei dem sie auf der Flucht vor Spielkartenleuten seien. In der Hütte hängen seltsame Masken, die Luke beängstigen, und auf dem Waldpfad hat er eine seltsame Begegnung …

_“Die Geretteten“_: Jubal Scott macht sich mit seinem neuen Truck auf den Weg nach Norden, um nach drei Jahren seine Ex-Frau und endlich seine kleine Tochter Kelly wieder zu besuchen. Auf der verschneiten Fahrt nimmt Jubal einen Anhalter mit, der ein religiöser Fanatiker zu sein scheint …

_“Black Box“_: Nolans jüngerer Bruder Morris ist autistisch veranlagt. Mit aller Leidenschaft baut er im Keller des Hauses ganze Burgen und Irrgärten aus Pappkartons. Es erscheint wie ein harmloser Spleen, doch Nolan ahnt eines Tages, dass mehr dahintersteckt …

Mit seinem Debütroman [„Blind“ 3842 hat Joe Hill bewiesen, dass er mehr ist als nur der Sohn des berühmten Stephen King, sondern auch selbst durchaus respektablen Horror zu schreiben vermag. Mit seiner ersten Kurzgeschichtensammlung „Black Box“ unterstreicht Hill die Vermutung erst recht, denn während „Blind“ ein solider Roman war, wartet diese Sammlung gar mit einigen Juwelen auf.

Die Startgeschichte _“Best New Horror“_ spielt im Schriftstellermilieu, und allein schon die Wiedergabe der dort thematisierten Kurzgeschichte „Buttonboy“ versteht es, den Leser zu verstören. Hin- und hergerissen zwischen Faszination und Ablehnung, verfolgt man die Kontaktaufnahme zwischen Eddie Carroll und dem Autor. Über der ganzen Handlung liegt eine unheilvolle Atmosphäre, obwohl man diese lange nicht begründen kann, bis zum harten und unerbittlichen Ende. In _“20th Century Ghosts“_ erlebt man den Geist einer jungen Frau, die einst in ihrem Lieblingskino verstarb und sich auch nach dem Tod nicht davon trennen kann. Die Geschichte ist eher melancholisch als unheimlich und vor allem, aber nicht nur, für Cineasten interessant. _“Pop Art“_ ist Joe Hills eigene Lieblingsgeschichte und tatsächlich ein absolutes Glanzlicht, in dem Tragik und Komik in beeindruckener Manier miteinander verschmelzen, sodass sich berührende Momente und amüsante Szenen die Klinke in die Hand geben. In selbstverständlichem Tonfall erzählt der Ich-Erzähler rückblickend von seiner komplizierten und zugleich erfüllenden Freundschaft mit dem eigenartigen Gummijungen, einem verträumten Außenseiter mit liebenswertem Charakter, der auf seine Zettelchen mal trocken-ironische Bemerkungen und mal schlichte Weisheiten kritzelt. Ein origineller, bewegender Text, den man mit Sicherheit nicht mehr vergisst.

_“Der Gesang der Heuschrecken“_ ist unverkennbar eine Kafka-Hommage, doch anders als Gregor Samsa begnügt sich Francis nicht damit, im Bett liegen zu bleiben. Stattdessen fühlt er sich endlich von seinem alten Ich befreit und macht sich auf, sein neues Leben voll auszukosten … Eine brutale, dabei aber schon wieder amüsant-parodistisch anmutende Geschichte, die in vielen Momenten an die Monsterfilme der fünfziger Jahre erinnert. In _“Abrahams Söhne“_ bedient sich Joe Hill an Bram Stokers literarischer Figur Dr. van Helsing, ohne ihn jedoch in den Mittelpunkt zu stellen. Stattdessen konzentriert er sich auf das Schicksal seiner beiden Söhne, die unter der rigorosen Erziehung leiden und von klein auf zu Vampirjägern geschult werden sollen. Den Dracula-Bezwinger als brutal-düstere Vaterfigur darzustellen, ist eine originelle Idee und nicht nur für Dracula-Kenner faszinierend.

_“Besser als zu Hause“_ ist weit von Horror entfernt. Vielmehr präsentiert sie sich als Rückblick auf eine schwierige Kindheit, die mit einzelnen Glücksmomenten durchsetzt ist. Der Leser braucht kein Baseballfan sein, um mit dem Ich-Erzähler zu fühlen und die Verbundenheit mit seinem Vater, dem Trainer, zu spüren. Eine leise Vater-Sohn-Geschichte, wehmütig und nachdenklich. _“Das schwarze Telefon“_ bietet die Besonderheit zweier Enden, da Joe Hill einst die gekürzte Version veröffentlichte und hier eine Variante mit Anhang anbietet, auf dass der Leser selber entscheiden möge, welche Form ihm besser gefällt. In jedem Fall ist es eine gelungene, sehr spannende Geschichte über einen Jungen, der verzweifelt hofft, dem Schicksal als Mordopfer zu entkommen. Die beklemmend realistische Schilderung eines Entführungsopfers erhält durch das seltsame schwarze Telefon, das sich in seiner Zelle befindet, einen mystischen Beiklang. Die kürzere Version übertrifft die längere Variante, da der Anhang nichts wesentlich Neues mehr beitragen kann.

_“Endspurt“_ beginnt mit dem unrühmlichen Leben eines zornigen jungen Mannes und endet in einem Thrillerfinale mit recht offenem Ausgang. Eine gemäß dem Titel temporeiche Geschichte, die aber zu den schwächeren Beiträgen gehört, was auch am blassen Protagonisten liegt. _“Das Cape“_ ist eine herrlich böse Geschichte, die vor allem alle Freunde von Superhelden faszinieren dürfte. Lakonisch erzählt von einer unberechenbaren Hauptfigur, phantasievoll, mit einem würdigen Schluss. _“Ein letzter Atemzug“_ ist eine originelle Geschichte mit einer düsteren Romantik, die nicht zu Unrecht im Vorwort mit den Geschichten Ray Bradburys verglichen wird. Mit einer tragikomischen Selbstverständlichkeit präsentiert der Eigentümer seinen Besuchern die letzten Atemzüge von Edgar Allan Poe und Roald Dahl, aber auch ganz durchschnittliche Bürger haben hier ihr letztes Vermächtnis hinterlassen. Nur die Pointe, die etwas aufgesetzt und konstruiert wirkt, vermag den ansonsten sehr positiven Eindruck von der Geschichte zu trüben.

_“Totholz“_ umfasst nur zwei Seiten und ist daher weniger eine Geschichte als mehr eine Momentaufnahme, eine Ansammlung von Gedanken des Ich-Erzählers. Trotz der Kürze strahlt der Text eine hübsche, leicht morbide Poesie aus, kann aber nicht an die Intensität der meisten anderen Beiträge anknüpfen. _“Witwenfrühstück“_ ist ursprünglich ein Kapitel eines unfertigen Romans des Autors und setzt eine Nebenfigur daraus in den Blickpunkt der Handlung. Horror sucht man hier vergebens, stattdessen trifft man auf eine melancholisch-nachdenkliche Atmosphäre. Mindestens ebenso interessant wie die Haupthandlung sind die Andeutungen über die Vergangenheit, über den kürzlich verstorbenen Freund des Protagonisten und das Landstreicherleben während der dreißiger Jahre.

_“Bobby Conroy kehrt von den Toten zurück“_, doch es sind nur Zombiedarsteller, die hier grausig entstellt umhertorkeln. Inmitten von Dreharbeiten von George A. Romero und Tom Savini spielt sich eine humorvolle und einfühlsame Geschichte ab, als Bobby unverhofft auf seine frühere Romanze, ihren kleinen Sohn und ihren Ehemann trifft. _“Die Maske meines Vaters“_ ist eine surreale Erzählung, die Märchenmotive in eine moderne Welt einfließen lässt. Ein beklemmendes Spiel mit Phantasie und Realität voller (alb-)traumhafter Sequenzen. Nicht uninteressant, aber kein Höhepunkt der Sammlung. _“Die Geretteten“_ beginnt als alltägliches Drama eines Vaters, der einen verzweifelten Versuch unternimmt, seine alte Familie zurückzugewinnen. Die Mitnahme des seltsamen Anhalters nimmt eine unerwartete Wendung, der Horror fällt jedoch nicht so groß aus wie erwartet.

_“Black Box“_ gab der deutschen Sammlung nicht zu Unrecht ihren Namen, denn sie ist eine der besten Erzählungen des Bandes. Die Novelle vereint die berührende Geschichte zweier grundverschiedener Brüder, gewährt einen kleinen Einblick in das Leben eines Autisten sowie die Schwierigkeit der Familie, damit umzugehen, und enthält zugleich eine Prise sanften Horrors. Obwohl der Verlauf nicht wirklich überraschend ist, schafft es der Autor mühelos, eine beklemmende Atmosphäre aufzubauen, die sich immer weiter zuspitzt und in einem melancholischen Abschluss endet.

_Als Fazit_ bleibt eine überzeugende Sammlung phantastischer, unheimlicher und nachdenklicher Geschichten, die bis auf ganz wenige Ausnahmen deutlich über dem Durchschnitt angesiedelt sind. Nur hartgesottene Horrorfans könnten enttäuscht werden, da der Fokus eher auf melancholischen Stimmungen liegt. Nachdem Hills Debütroman „Blind“ schon ein sehr positives Echo fand, darf man nach der noch gelungeneren Kurzgeschichtensammlung umso gespannter auf seine nächsten Werke warten.

_Der Autor_ Joe Hill, eigentlich Joseph Hillstrom King, ist ein Sohn des bekannten Autorenehepaares Stephen & Tabitha King. 2005 erschien seine Geschichtensammlung „20th Century Ghosts“, die 2007 bei |Heyne| unter dem Titel „Black Box“ auf Deutsch veröffentlicht wurde. Er ist Träger des |Ray Bradbury Fellowship|, wurde bereits zweimal mit dem |Bram Stoker Award| sowie dem |British Fantasy Award|, dem |World Fantasy Award|, dem |A. E. Coppard Price| und dem |William L. Crawford Award| als bester neuer Fantasy-Autor 2006 ausgezeichnet. Erst im Zuge des Verkaufs der Filmrechte von [„Blind“, 3842 seinem Debütroman, wurde das Pseudonym gelüftet. Joe Hill wurde 1972 in Bangor/Maine geboren und lebt mit seiner Familie in New Hampshire.

http://www.joehillfiction.com
http://www.heyne.de

Kim Harrison – Blutspiel

Mit „Blutspur“ hat die Amerikanerin Kim Harrison den ersten Band ihrer Dark Fantasy-Reihe um die junge, freche Hexe Rachel Morgan vorgelegt. Der zweite Band, „Blutspiel“, soll die Reihe fortsetzen. Dabei begegnet man vielen bekannten Gesichtern, aber auch einigen neuen. Die Ausgangssituation ist nun allerdings eine andere. Während Rachel im ersten Band noch die Gejagte war und vor ihrem ehemaligen Boss flüchten musste, hat sie in „Blutspiel“ einen knallharten Kriminalfall zu lösen. Das ist Absicht, wie die Autorin im anhängenden Interview erklärt. Sie möchte jedem Buch eine eigene Atmosphäre verleihen, indem sie die Handlung derartig variiert. Ein guter Vorsatz, den man sich auch bei einigen anderen Autoren wünscht. Doch gelingt es der Amerikanerin auch in der Umsetzung ihrer Pläne zu begeistern?

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Schröder, Tanja – Hirudo II – Blut der Finsternis

In [„Hirudo – Dunkles Erbe“ 4449 stellte Autorin Tanja Schröder dem Leser die junge Karen vor, die sich, auf der Suche nach ihrem Vater Lucas, plötzlich in der Gesellschaft einer ganzen Familie von Vampiren wiederfand. Lucas nämlich ist das Oberhaupt der Hirudo – so heißen die Vampire in der Welt von Tanja Schröder -, und von Gewissensbissen ob seiner väterlichen Abwesenheit während Karens Kindheit geplagt, erlaubt er ihr nun, im Haus der Vampire ihr Lager aufzuschlagen.

An dieser Stelle ließen wir Karen am Ende des ersten Romans zurück. Mit „Hirudo – Blut der Finsternis“ hat Tanja Schröder eine Fortsetzung geschrieben, die direkt an die Ereignisse aus dem Erstling anknüpft. Fünf Jahre sind vergangen, seit Karen bei Lucas eingezogen ist. Als einziger Mensch zwischen einer ganzen Schar von Vampiren, muss sie sich ständig behaupten und auf ihre Dazugehörigkeit pochen. Trotzdem scheint es ihr, als würden die Vampire sie nicht als einen Teil der Familie akzeptieren. Sie ist ein Außenseiter.

Dabei haben die Vampire offensichtlich andere Probleme, als sich mit Karens angeschlagenem Stolz zu beschäftigen. Ein totgeglaubter Widersacher, Dorian Prior, taucht plötzlich wieder auf und will sich an seinen alten Feinden rächen. Dafür ersinnt er einen ausgeklügelten Plan, der die Vampire um Lucas ganz schön auf Trab hält und schlussendlich Karen die Möglichkeit gibt, ihr eigenes Potenzial auszuschöpfen und zu beweisen, dass sie doch ein vollwertiges Mitglied der Familie ist.

„Blut der Finsternis“ schafft es, viele der Schwächen des ersten Teils auszugleichen und damit den Leser auf den gut 200 Seiten angenehm zu unterhalten. War die Handlung in „Dunkles Erbe“ recht dünn, so schafft es Tanja Schröder hier nun, nicht nur einen ausgeklügelten Plot, sondern auch einen würdigen Widersacher zu präsentieren, die die Geschichte am Laufen halten. Gleich der Einstieg in den Roman zeigt dem Leser, wo es langgeht: Schröder beginnt mit dem Bösewicht Prior und seinem menschlichen Wächter, zeigt den fundamentalistischen Wahnsinn des Vampirs und den ganz normalen Irrsinn seines „Menschen“. Die beiden sollen im Laufe des Romans den Guten wieder und wieder die Schau stehlen. Prior und sein Diener Turner sind die ausgefeiltesten Charaktere des Romans und es ist ein Vergnügen, besonders Turners schrägen Gedankengängen zu folgen. Wer also Romane mag, die starke und überzeugende Widersacher aufweisen, der sollte sein Glück mit „Blut der Finsternis“ versuchen.

Dass die Bösen so stark herüberkommen, führt allerdings auch dazu, dass die Guten stellenweise reichlich blass erscheinen. Gerade Lucas, der dem Leser ja im ersten Teil als der Obervampir präsentiert wurde, ist hier unscheinbar, unentschlossen und über weite Strecken einfach nicht präsent. Stattdessen konzentriert sich Schröder auf den neu eingeführten Charakter Calman, mit dem Karen eine Art Lehrer-Schüler-Verhältnis unterhält. Während Lucas in anderen Sphären zu schweben scheint, ist Calman für Karen erreichbarer und verstehbarer.

Man muss Tanja Schröder ankreiden, dass sie sich für ihren Roman zu viele Charaktere aufgehalst hat. Schon in „Dunkles Erbe“ war das in Anfängen zu erkennen, doch hier nun rächen sich die vielen Nebenfiguren. Während Prior und Turner beim Leser wirklich „ankommen“, da auf sie viel Papier verwendet wird, stehen in der Ecke der Guten zwar viele Spieler bereit, sie kommen jedoch nicht zum Einsatz. Beryl und Eliane, die noch im ersten Teil so hübsch gruselig ihre Schwingen ausbreiten durften, sind hier dazu verdammt, am Schluss ein paar gälische Sätze in den Himmel zu schreien. Schlimmer noch erwischt es Blanche und Galina. Warum die beiden überhaupt vorkommen, bleibt unklar. Sie haben keinen (oder kaum nennenswerten) Text und treiben auch die Handlung nicht voran. Sie sind nichts weiter als Dekor, füllen sie doch keine weitere Funktion aus, als die Lebensabschnittspartner der beiden Hauptvampire zu sein (nämlich Lucas und Seamus).

Trotzdem, im Vergleich zum Erstling „Dunkles Erbe“ ist Tanja Schröders zweiter Roman eine bemerkenswerte Verbesserung. Sie hat ihre Handlung viel enger geschnürt und schreibt konsequent auf einen Schlusspunkt zu. Sie lässt ihre Charaktere in einer Art Krimiplot einen Mord aufklären, lässt sie Spuren entdecken und schließlich auf Dorian treffen. Alles in allem bietet sie dem Leser damit einen wirklich durchdachten und vor allem funktionierenden Plot, der dem Roman Bewegung gibt. Außerdem ist sie sich auch nicht zu schade, einige Anspielungen und komische Passagen einzubauen. Jarout beispielsweise, der ja durch die Spiegel reisen kann, ist unfähig, den Kölner Flughafen zu finden. Ständig kommt er an einer anderen Spiegelfläche heraus, was seine Gefährten zur Weißglut bringt. Doch natürlich würde er nie, in bester männlicher Tradition, seine Schuld eingestehen. Oder gar nach dem Weg fragen. Oder wahlweise ein Taxi nehmen. Solche Stellen zeigen, dass Schröder sich selbst und ihre Charaktere auch auf die Schippe nehmen kann. Und so etwas ist immer ungemein sympathisch.

Dem Roman ist anzusehen, dass er auf einen dritten Teil hinausläuft. Handlungsstränge werden begonnen, aber nicht weitergeführt, Gefahren werden aufgezeigt, die dann aber nicht eintreten. Und die Vampirwelt Melacar wird ein weiteres Mal vorgestellt, ohne dass sie einen direkten Einfluss auf die Handlung hätte. All diese Dinge wollen in einer weiteren Geschichte erzählt werden, denn für sich genommen wirken sie unfertig. Leider ist bisher keine weitere Fortsetzung über die Hirudo erschienen. Bleibt abzuwarten, ob Tanja Schröder weiterhin Lust hat, sich in ihrer Vampirwelt herumzutreiben.

http://www.maratos.de
http://www.asaro-verlag.de

Briggs, Patricia – Ruf des Mondes (Mercy Thompson 01)

_Mercy-Thompson-Serie:_

Band 1: _Ruf des Mondes_
Band 2: [„Bann des Blutes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5091
Band 3: Spur der Nacht
Band 4: Zeit der Jäger

Blutrote Raubtieraugen funkeln den Leser vom Cover von „Ruf des Mondes“ an, einem Mystery-Thriller von Patricia Briggs. Auch der Titel dürfte auf schwache Nerven eine beängstigende Wirkung haben, was nur gerechtfertigt ist. Immerhin geht es in diesem Roman um Werwölfe, und die sind bekannterweise nicht unbedingt angenehme Zeitgenossen.

Patricia Briggs kreiert in „Ruf des Mondes“ ein düsteres Urban-Fantasy-Szenario. Unter den normalen Menschen in Amerika leben verschiedene Werwolfrudel, jeweils vereint unter einem Alphamännchen, das aufpasst, dass sich sein Rudel so verhält, dass es nicht von den Menschen entdeckt wird. Die Werwölfe – sowie im übrigen auch andere mystische Wesen wie Vampire, Kobolde und Ähnliches – gehen ganz normalen Berufen nach und führen ein beinahe normales Leben, wenn ihre Werwolfinstinkte und -eigenschaften nicht wären. Sie sind sehr stark und leicht aus der Ruhe zu bringen. Nur das Alphamännchen kann sie mit seiner Dominanz dazu bringen, zu gehorchen und sich ordentlich zu benehmen, wobei es eine eindeutige Rangordnung innerhalb der Rudel gibt.

Mercedes Thompson wird von dieser Rangordnung nicht wirklich tangiert. Sie ist schließlich kein Werwolf, sondern eine so genannte Walkerin. Das bedeutet, dass sie sich unabhängig von Mondphasen und ohne große Probleme jederzeit in eine Kojotin verwandeln kann. Sie ist unter Werwölfen aufgewachsen und ihr nächster Nachbar Adam ist der Alpha des Rudels der Tri-Cities in Columbia, weshalb sie sich gut mit diesen Werwesen auskennt. Als eines Tages Mac in ihrer Autowerkstatt auftaucht, wittert sie Ärger. Mac ist erst seit kurzem ein Werwolf und er gehört nicht zu Adams Rudel. Das bedeutet, dass er unrechtmäßig in Adams Gebiet eingedrungen und dadurch in Gefahr ist. Zudem ist er noch nicht fähig, den Wolf in sich zu beherrschen. Dazu bedarf es der Anleitung eines Alphas.

Doch bevor Mercy Adam von Mac berichten kann, überschlagen sich die Ereignisse. Weitere Werwölfe dringen in Adams Territorium ein, töten Mac in Adams Haus, verletzen den Alpha schwer und entführen seine Tochter Jesse. Mercy, die an den Schauplatz des Geschehens eilt, beschließt zu handeln. Sie packt den verletzten Adam und Macs Leiche in ihren Bus und fährt zu dem Werwolfrudel, bei dem sie aufgewachsen ist, um um Hilfe zu bitten. Sehr schnell merkt sie, dass dies gar nicht so einfach ist und dass ihre Vergangenheit sie immer noch belastet …

Die Kulisse, die Briggs in ihrem Buch entwirft, ist wirklich keine schlechte Idee. Zumeist geht es in Mysterybüchern um Vampire, doch sie widmet sich den Werwölfen, starken und gefährlichen Tieren, die nicht unbedingt dazu gebrauchen sind, funkensprühende Erotik zwischen Buchdeckel zu pressen. Darauf legt es die Autorin allerdings auch nicht an. Stattdessen erschafft sie eine sehr interessante Blickweise auf die Werwölfe, indem sie diese in Rudel einteilt und sie einer Rangordnung verpflichtet. Dadurch wirken die Werwölfe selbst in Menschenform mehr wie Tiere, und Briggs schafft es, sie trotzdem verständlich, teilweise sogar sympathisch darzustellen. Es ist zwar negativ anzumerken, dass einige ihrer Überlegungen historisch und/oder organisatorisch noch nicht ganz ausgereift wirken, doch insgesamt kann die Welt, die Briggs erschafft, überzeugen.

Für die Handlung gilt das nicht immer. Gerade das Ende, das eine Art Verschwörung aufdecken muss, wirkt verworren und unrealistisch. An einigen Stellen bleibt unklar, worauf die Autorin hinauswill und wie sich die einzelnen Fragmente in der Geschichte zusammenfügen lassen. Die Auflösung, wieso Jesse entführt und Adam verletzt wurde, wirkt stellenweise geradezu an den Haaren herbeigezogen. Hier wäre es gut gewesen, wenn die Autorin, anstatt sich in wilde Theorien zu verstricken, die ansonsten sehr geradlinige Handlung auch so zu Ende geführt hätte. Denn der Rest des Buchs überzeugt. Es ist ein regelrechter Pageturner. Es ist spannend und mitreißend und wirft am Ende fast jeden Kapitels die Frage auf, wie es denn wohl weitergeht. Das hängt auf der einen Seite mit dem gruseligen, originellen Grundthema des Buches zusammen, das Spekulationen über den Handlungsverlauf erschwert, und mit der Erzählerin, die den Leser in ihren Bann zieht.

Mercy Thompson ist eine junge, zupackende Frau, die sich anfangs angenehm im Hintergrund hält. Dadurch wirkt sie etwas distanziert, ist dem Leser aber trotzdem sympathisch, da sie bodenständig und nicht abgehoben ist. Auch den selbstironischen Ton, den solche Bücher gerne anschlagen, lässt die Autorin beiseite. Dadurch bekommt Mercy die Möglichkeit, in klaren Worten zu erzählen. Sie drückt sich dabei nicht übertrieben gewählt, aber auch nicht sonderlich alltagssprachlich aus. Der Schreibstil sticht nicht wirklich hervor, tut aber seine Dienste. Genau wie Mercy selbst fehlt es auch ihm etwas an Originalität. Trotz ihrer liebenswerten Art fehlt es der Protagonistin nämlich ein wenig an Eigenständigkeit. Sie wirkt häufig zu banal, zu simpel, aber dies stört nicht zu sehr, sondern macht im Gegenteil Hoffnung auf mehr. Immerhin ist die Reihe um Mercy Thompson laut [Briggs‘ Website]http://www.patriciabriggs.com auf mehrere Bände angelegt.

„Ruf des Mondes“ ist jedenfalls schon mal ein gutes Einstiegsbuch. Es besitzt ein interessantes Thema, eine angenehme Hauptperson und ist sehr spannend erzählt. Es macht Lust auf mehr, verlangt aber auch nach einigen Verbesserungen in den Folgebüchern. Mercy würde es nicht schaden, noch ein wenig mehr Konturen zu erhalten, und auch die Handlung könnte ein wenig mehr Durchdachtheit, vor allem bei der Zusammenführung aller loser Fäden, gebrauchen.

http://www.heyne.de

Keene, Brian – Wurmgötter, Die

Seit mehr als 40 Tagen regnet es auf dem gesamten Erdball. Gewaltige Fluten haben die Küstenregionen sämtlicher Kontinente verwüstet. Das Wasser steigt ständig. Bis auf die bergigen Regionen ist inzwischen auch das Land überflutet und aufgeweicht. Die Zivilisation ist zusammengebrochen, die meisten Menschen sind tot oder auf der Flucht dorthin, wo das Wasser sie nicht erreicht. Wer sich den großen Evakuierungen nicht angeschloss, blieb isoliert und ohne Nachrichten zurück. So wird es auch bleiben, denn ein Kommunikationsnetz existiert nicht mehr.

Im US-Staat West Virginia gehört Teddy Garnett zu denen, die sich störrisch weigerten, ihr Heim zu verlassen. Über 80 Jahre ist er alt und mag dem Wetter nicht weichen. Da er sein Haus hoch auf einem Berg errichtet hat, blieb er von der Flut verschont. Doch Garnett ist einsam, Lebensmittel und Brennstoff für den Stromgenerator drohen ihm auszugehen. Zudem bemerkt er Seltsames im ewigen Regen: Eine aggressive Schimmelart breitet sich aus und befällt Tiere und Pflanzen. Schlimmer ist jedoch eine akute Würmerplage. Garnett führt das zunächst auf die Feuchtigkeit zurück, bekommt es aber mit der Angst zu tun, als er erlebt, wie plötzlich riesenhafte und fleischhungrige Würmer an der Erdoberfläche erscheinen.

Wie gewaltig diese wirklich werden können, weiß eine kleine Menschengruppe, die gerade aus der versunkenen Stadt Baltimore entkommen ist. Dort hatte sie sich in einem Hochhaus verbarrikadiert, denn in den Ruinen lauerten offenbar wahnsinnig gewordene Zeitgenossen, die an eine Rückkehr uralter Götter als Auslöser der neuen Sintflut glaubten und ihnen Menschenopfer brachten. Tatsächlich treiben seltsame Wesen ihr Unwesen in den Fluten, und sie dringen ins Landesinnere vor.

Der Weg der Flüchtlinge endet unweit von Garnetts Hütte, in der man sich erneut einigelt: Aus dem Boden steigen Monsterwürmer, deren Gier auf Menschenfleisch unersättlich ist …

|I.|

Der Mensch teilt diese Erde seit Jahrmillionen mit den Würmern – unzähligen Würmern, die teilweise äußerst unerfreuliche Ernährungsgewohnheiten an den Tag legen, in der Regel schleimig sind und manchmal bemerkenswerte Längen erreichen. Er mag sie nicht oder fürchtet sie, doch in der Regel bleibt die Koexistenz zwischen Mensch und Wurm friedlich, weil Letzterer tief in der Erde oder im Meer lebt und Ersterem erst zu Leibe rückt, wenn er (oder sie) in Friedhofserde ruht.

Was wäre allerdings, blieben Würmer nicht klein und ängstlich, sondern würden riesig und angriffslustig? Keine angenehme Vorstellung; obwohl auch Riesenwürmer vermutlich harmlos wären – ein Lebewesen ohne stützendes Skelett würde unter dem Eigengewicht zusammenbrechen -, lässt die Vorstellung trotzdem schaudern. Zu fremdartig wirken diese Tiere. Kein Wunder, dass Würmer in der Mythologie des Menschen keine sympathischen Rollen besetzen. Den sprichwörtlichen Wurm im Apfel kennt jede/r; er symbolisiert, dass unter einer glänzenden Oberfläche schon die Verderbnis lauern kann. Der Wurm (oder die Schlange) Ouroboros, der sich selbst in den Schwanz beißt, steht für den ewigen Kreislauf des Lebens, dessen Ende immer einen neuen Anfang beinhaltet.

In der Unterhaltungsliteratur dominiert der Wurm als schreckliche Kreatur aus der Unterwelt. Bram Stoker, der Autor von „Dracula“, schrieb 1911 kurz vor seinem Tod „Lair of the White Worm“ (dt. [„Das Schloss der Schlange“); 2987 das Untier weist gewisse Ähnlichkeit mit den „Wurmgöttern“ auf, die Brian Keene über die Menschheit herfallen lässt. Er verschmilzt den Wurm mit dem gallertigen Dämonen-Gott Cthulhu, den H. P. Lovecraft (1890-1937) einst zu ewigem literarischen Leben erweckte. (Eigentlich tritt Cthulhu ja in Tintenfisch-Gestalt auf; Brian Keene ließ sich offenbar vom Lovecraft-Epigonen Brian Lumley ‚inspirieren‘, der in seinem „Titus-Crow“-Zyklus [1974-1989] die Menschheit durch die wurmigen Chtonier terrorisieren ließ.)

|II.|

Allzu genau nimmt es Keene indes weder mit der Mythologie noch mit dem Cthulhu-Mythos. Die Herkunft seiner Wurmgötter deutet er nur an und tut gut daran, denn eine Klärung widerspräche der Intention seiner Geschichte. Der Untergang der Welt findet außerhalb der Sicht seiner Figuren statt, die nur über Ursache und Ausmaß der Katastrophe spekulieren können.

„Die Wurmgötter“ ist in doppelter Hinsicht ein episodenhafter Ausschnitt aus einem Geschehen, das auch dem Leser unklar bleibt. Keene verzichtet sogar auf einen stringenten Handlungsbogen. Sein Buch zerfällt in drei Teile – die Geschichte des alten Teddy Garnett, die Abenteuer der Baltimore-Gruppe und der Überlebenskampf der Überlebenden beider schließlich vereinter Gruppen. Die Wirksamkeit dieser Differenzierung bleibt fraglich; stattdessen sinniert der Leser über der Frage, ob Keene überfordert mit der Gestaltung einer durchgängigen Handlung war. Die beiden ersten Teile stehen im Grunde ohne logische Verbindung nebeneinander und werden für das Finale nur notdürftig zusammengeführt. Die Geschichte leidet darunter, weil sie ab Seite 119 mit Teil zwei praktisch neu beginnt. Stilistisch fällt dieser zudem ab: Während sich Keene in Teil eins Zeit für den Aufbau der Ereignisse nimmt, setzt er hier allzu simpel auf Action, Gewalt und Sex.

Viele spannende Episoden hat sich der Verfasser einfallen lassen. Grandios ist indes vor allem sein Gespür für Stimmungen. Das Grauen einer im Wasser versinkenden Welt vermag Keene ausdrucksstark zu schildern. Schlechter schneidet er ab, sobald er seine Protagonisten reden und miteinander agieren lässt. Der Mensch ist kein für die Krise geeignetes Wesen, lautet Keenes Credo; Egoismus und Irrsinn kommen zum Vorschein, wird die dünne Tünche der Zivilisation abgekratzt. Wie sich dies äußert, bleibt bei ihm freilich Klischee. Keenes schlechtester Einfall bleiben in dieser Hinsicht die ‚Satanisten‘ von Baltimore, die sich genauso (dämlich) benehmen wie die Spinner aus 1001 schlechten Hollywood-Streifen.

Das Ende bleibt offen; zumindest in dieser Hinsicht beugt sich der Verfasser nicht der „Happy-End“-Fraktion. Bis es soweit ist, legt er keine Zimperlichkeit an den Tag, wenn es darum geht, die Reihen seiner Figuren zu lichten. Niemand ist sicher, Sympathie keinesfalls eine Garantie für Überleben. Für diese Konsequenz ist man Keene dankbar, denn sie stellt ein angenehmes Gegengewicht zu den genannten Schwächen dar (zu denen sich noch ein Stützen auf plakativen Ekelszenen gesellt, die allzu offensichtlich effekthascherischer Selbstzweck sind.)

Die Zweiteilung der Handlung setzt sich in der Figurenzeichnung fort. Mit Teddy Garrett ist Keene definitiv eine Hauptperson gelungen, die im Gedächtnis bleibt: ein alter Mann aus einfachen Verhältnissen, der ausgiebig über sein Leben reflektiert und zu einer echten Persönlichkeit reift. Flach bleiben dagegen die Flüchtlinge aus Baltimore, deren Denken und Handeln oft nicht nachzuvollziehen ist und eher den Konventionen des Horrorromans als der Logik folgt.

Vor allem die Schwachen und die Bösen gerinnen zum Popanz. Bei Keene werden sie entweder wahnsinnig oder von Dämonen besessen. In beiden Fällen mutieren sie zu Massenmördern und ergehen sich in endlosen Drohreden, in denen sie düster über anstehende Apokalypsen unken und sich auch sonst lächerlich benehmen.

Auf die ‚göttliche‘ Herkunft der Würmer hätte Keene übrigens problemlos verzichten können. Er geht ohnehin nur ansatzweise darauf ein (und produziert dabei primär Kinderbibel-Horror). Letztlich bleibt absolut ungeklärt, wer oder was sich hinter den Würmern verbirgt. Sie könnten durchaus biologische Mutationen sein, die von der Flut an die Oberfläche getrieben wurden. Der große „Behemoth“-Wurm zeigt keine Anzeichen von Intelligenz. „Leviathan“, sein aquatisches Gegenstück, der angebliche Cthulhu, scheint auch keine Ahnung zu haben, was er mit der Erde, die ihm in den Schoß gefallen ist, anfangen soll. Wozu also das mythologische Fundament, wenn Keene nie wirklich auf ihm aufbaut und seine Mammut-Würmer den ganz und gar irdischen Wurmgetümen aus den „Tremors“-Filmen anpasst?

„Die Wurmgötter“ sind unterm Strich die auf dem Fernsehen bekannten „Monster der Woche“, Keenes Roman ist spannender Horror mit nur behauptetem Tiefgang, der allerdings handwerklich sauber präsentiert wird. Dass man zunächst mehr erwartet, liegt an der wirklich schönen Buchgestalt, die der |Otherworld|-Verlag der deutschen Ausgabe dieses Romans spendierte. Sie wurde fest in rotes Leinen gebunden, sauber gedruckt, mit einem handgemalten (!) Cover (von Abrar Ajmal – er lässt seinen Behemoth-Wurm wie einen Shai-Hulud aus den „Dune“-Romanen von Frank Herbert aussehen) versehen und flüssig lesbar (vom Michael Krug) übersetzt. Negativ ins Auge fallen höchstens die sich häufenden falschen Worttrennungen, die auf eine zu hastige Endredaktion hindeuten. Das eigentliche Vergnügen an diesem Werk trübt das freilich nicht.

Brian Keene (geboren 1967) wuchs in den US-Staaten Pennsylvania und West Virginia auf; viele seiner Romane und Geschichten spielen hier und profitieren von seiner Ortkenntnis. Nach der High School ging Keene zur U. S. Navy, wo er als Radiomoderator diente. Nach Ende seiner Dienstzeit versuchte er sich – keine Biografie eines Schriftstellers kommt anscheinend ohne diese Irrfahrt aus – u. a. als Truckfahrer, Dockarbeiter, Diskjockey, Handelsvertreter, Wachmann usw., bevor er als Schriftsteller im Bereich der Phantastik erfolgreich wurde.

Schon für seinen ersten Roman – [„The Rising“ 3368 (2003), eine schwungvolle Wiederbelebung des Zombie-Subgenres – wurde Keene mit einem „Bram Stoker Award“ ausgezeichnet. Ein erstes Mal hatte er diesen Preis schon zwei Jahre zuvor für das Sachbuch „Jobs In Hell“ erhalten. Für seine Romane und Kurzgeschichten ist Keene seitdem noch mehrfach prämiert worden. Sein ohnehin hoher Ausstoß nimmt immer noch zu. Darüber hinaus liefert er Scripts für Comics nach seinen Werken. Außerdem ist Keene in der Horror-Fanszene sehr aktiv. Sein Blog „Hail Saten“ gilt als bester seiner Art; die Einträge wurden in bisher drei Bänden in Buchform veröffentlicht.

Brian Keene hat natürlich eine Website, die sehr ausführlich über sein Werk und seine Auftritte auf Lesereisen informiert (www.briankeene.com). Über den Privatmann erfährt man allerdings nichts; es gibt nicht einmal die obligatorische Kurzbiografie.

http://www.otherworld-verlag.de/

Hodgson, William Hope – Carnacki der Geisterfinder

Zum ersten Mal werden in deutscher Sprache alle neun Kurzgeschichten um den „Geisterfinder“ Carnacki gesammelt, mit dem William Hope Hodgson (1877-1918) einen der ersten der heute in der Phantastik so beliebten Erforscher übernatürlicher Phänomene schuf:

– _Das Tor des Monsters_ („The Gateway of the Monster“, 1910): Um ein verfluchtes Familienerbstück hat sich aus fremddimensionaler Essenz ein groteskes Ungeheuer geformt, das auf unvorsichtige Besucher lauert – aktuell ist dies Geisterfinder Carnacki, der im entscheidenden Moment seines Kampfes einen ganz dummen Fehler macht …

– _Das Haus in den Lorbeeren_ („The House Among the Laurels“, 1910): Blut tropft von den Decken und macht deutlich, dass es in diesem Haus umgeht. Mit einigen mutigen Männern und scharfen Hunden will Carnacki das Geheimnis lüften, was ihm nach vielen Gefahren mit unerwartetem Ergebnis gelingt …

– _Das pfeifende Zimmer_ („The Whistling Room“, 1910): In einer alten irischen Burg hat sich eine dämonische Macht eingenistet. Carnacki muss sein eindrucksvolles Instrumentarium altbewährter und hochmoderner Abwehrmittel einsetzen, um dem heimtückischen und gemeingefährlichen Spuk ein Ende zu bereiten …

– _Das Pferd aus dem Unsichtbaren_ („The Horse of the Invisible“, 1910): Mary Higgins wird vom Familienfluch heimgesucht – ein unsichtbares Gespensterpferd verfolgt und peinigt sie. Carnacki eilt zur Hilfe und deckt eine sehr irdische Verschwörung auf, doch dahinter kommt ein sehr echter Spuk zum Vorschein …

– _Das letzte Haus_ („The Searcher of the End House“, 1910): Dieses Mal sucht ein Spuk das Haus von Carnackis Mutter heim. Der Vermieter gibt ungern preis, dass hier einst der Schmuggler Captain Tobias logierte. In der Nacht entdeckt Carnacki allerdings die geisterhaften Gestalten einer Frau und eines nackten Kindes, was den Ereignissen eine neue Richtung gibt …

– _Das unsichtbare Ding_ („The Thing Invisible“, 1912): In der Kapelle eines alten Landhauses sorgt ein verfluchter Dolch für nächtlichen Schrecken. Carnacki wagt sich an den Ort des Grauens und deckt ein historisches Rätsel auf …

– _Spuk auf der Jarvee_ („The Haunted ‚Jarvee'“, 1929): Dieses Schiff ist verflucht. Selbst Carnacki, den sein Freund, Kapitän Thompson, an Bord bittet, kann sein schreckliches Ende nicht verhindern, aber immerhin erklären …

– _Das Schwein_ („The Hog“, 1947): Die Schutzschicht, die unsere Welt von wahrlich fremden Dimensionen trennt, ist um den unglücklichen Mr. Bains reichlich dünn geworden. Finstere Existenzen haben es auf seine Seele abgesehen, mit denen sich der zu Hilfe gerufene Carnacki einen heroischen Kampf auf Leben und Tod liefert …

– _Der Fund_ („The Find“, 1947): Auch als Fachmann für historische Geheimnisse weiß sich Carnacki zu bewähren, als in einem Londoner Museum die mysteriöse Kopie eines berüchtigten Manuskriptes auftaucht, das einst am Hofe der Königin Elizabeth I. für gewaltiges Aufsehen sorgte …

_Einige Anmerkungen zu dieser Sammlung_

|I.|

Der „Geisterfinder“ Thomas Carnacki, ein früher Anhänger Sigmund Freuds und C. G. Jungs, geht das Übernatürliche streng wissenschaftlich bzw. deduktiv an: Carnacki ist eine Art Sherlock Holmes des Übernatürlichen. Zwar verschmäht er die alten Meister der Magie nicht, die er indes eher als Repräsentanten inzwischen vergessenen Wissens denn als Zauberer oder Alchimisten betrachtet. Als Mann des 20. Jahrhunderts zieht Carnacki nicht mehr nur mit Bannsprüchen und Amuletten, sondern auch mit Mikrofon und Fotoapparat in die Geisterschlacht. Modernstes Geisterspür-Gerät, entwickelt auf der Basis aktueller Erkenntnisse der Physik und anderer Naturwissenschaften, trägt er im Gepäck. Besonders sein mit Elektrizität beleuchtetes Pentagramm bleibt dem Leser im Gedächtnis.

Wobei das nicht so lächerlich wirkt, wie es zunächst klingen mag. Carnacki bekommt es durchaus nicht mit den Gespenstern bekannter Machart zu tun. Rächende Leichen und andere Untote erledigt er zwar auch. Eigentlich jagt er jedoch größeres Wild. Neben der Welt, wie wir sie kennen, gibt es andere Welten. Damit ist nicht zwangsläufig das Jenseits als Reich der Toten gemeint. Carnacki weiß um die Mehrdimensionalität des Universums. Dort, wo die Grenzen manchmal brüchig werden, besuchen uns fremde Wesenheiten, die unter den Menschen partout nichts zu suchen haben und vertrieben werden müssen. Das ist Carnackis Job.

Hier wildert Hodgson eigentlich auf dem Feld der Science-Fiction. Es wirkt nicht so, weil er seine ‚Außerirdischen‘ im Ambiente der klassischen englischen Gruselliteratur auftreten lässt. Zwanzig Jahre später hätte Hodgson das vermutlich viel zugänglicher im Stil der „Pulp“-Magazine gestaltet; er war ein Schriftsteller, dem der Publikumserfolg am Herzen (und an der Geldbörse) lag.

Der recht kritische H. P. Lovecraft (1890-1937) rühmte jedenfalls Hodgsons Idee des „kosmischen Schreckens“ und ließ sich für die eigene Cthulhu-Saga inspirieren. Wäre Hodgson ein längeres Leben vergönnt gewesen, hätte er vielleicht wie Lovecraft Bezüge zwischen seinen literarischen Welten hergestellt und einen Kosmos mit eigenen Regeln geschaffen. Ansätze dazu finden wir z. B. in den mysteriösen Schweinewesen, die nicht nur Carnacki zu schaffen machen. In Hodgsons eindrucksvoller Novelle [„Das Haus an der Grenze“ 416 (1908) treten sie ebenfalls als zwar bösartige aber vor allem fremde Wesen in die Handlung. Der Idee von der ‚Durchlässigkeit‘ der Realität, die Carnacki in „Spuk auf der Jarvee“ entwickelt, bediente sich Hodgson schon 1909 in seiner bemerkenswerten Novelle „Ghost Pirates“ (dt. „Geisterpiraten“).

|II.|

Dem heutigen Leser mögen die Carnacki-Storys ereignisarm und umständlich geschrieben erscheinen. Vor hundert Jahren definierte man Spannung ein wenig anders als heute. Sie stellt sich ein, wenn man dies berücksichtigt und sich auf Zeit und Stil einlässt. Dabei hilft, dass die Atmosphäre nicht gelitten hat: Hodgson war sicherlich kein Autor, der ‚Action‘-Szenen schreiben konnte. Dafür hatte er einen ausgeprägten Sinn für das Unheimliche bzw. Fremdartige, das er außerordentlich stimmungsvoll heraufbeschwören konnte.

Carnacki ist zwar der „Geisterfinder“, doch er ist als Wissenschaftler offen für alle Erklärungsmöglichkeiten und geht nicht zwangsläufig von ‚übernatürlichen‘ Ursachen aus. Diese Objektivität gehört zu seinem Wesen, was zumindest den deutschen Lesern bisher vorenthalten blieb, da ausschließlich diejenigen Carnacki-Storys veröffentlicht wurden, die den Ermittler tatsächlich Geister finden ließen. Wie diese Sammlung nunmehr zeigt, beobachtet man Carnacki auch dann gern bei seiner Arbeit, wenn er scheinbar Irreales als menschliches Blendwerk entlarvt.

|III.|

W. H. Hodgson gehört zu den großen Klassikern der Phantastik. Auch in Deutschland wurden seine wichtigsten Werke zwischen 1970 und 1987 gut übersetzt in drei Bänden vom |Suhrkamp|-Verlag veröffentlicht. „Das Haus an der Grenze“ ist 2004 im |Festa|-Verlag neu erschienen. Hier sollte im April 2008 auch eine Sammlung aller Carnacki-Storys auf den Buchmarkt gebracht werden. Dieser Titel wurde inzwischen aus dem Programm gestrichen, denn Martin Clauß, der seine Sammlung sowohl herausgab als auch neu übersetzte, ist dem zuvorgekommen.

„Carnacki der Geisterfinder“ ist freilich nicht als ‚richtiges‘ Buch, sondern als „book on demand“ (bod) erhältlich. Dies schränkt die Zahl der potenziellen Leser – groß dürfte ihr Kreis ohnehin nicht sein, da Hodgson anders als z. B. H. P. Lovecraft hierzulande keinerlei Kultstatus besitzt – ein. Das „bod“ hat außerdem weiterhin keinen besonders guten Ruf. Bücher wie dieses könnten dies relativieren. Diverse Fehler im Schriftbild deuten auf die Abwesenheit einer fachmännischen Endredaktion, halten sich jedoch im Rahmen. Die Übersetzung liest sich flüssig, und die Ausgabe ist zudem vollständig: Auf absehbare Zeit ist keine „Carnacki“-Sammlung mehr zu erwarten, und diese schließt eine echte Lücke in den Sammlungen derer, die für die klassische Phantastik schwärmen.

_William Hope Hodgson_ wurde am 15. November 1877 in Blackmore End, Essex, England, als eines von zwölf Kindern geboren. Sein Elternhaus verließ er früh, um zur Handelsmarine zu gehen. Zwischen 1891 und 1904 fuhr er zur See, konnte sich aber nie an die Brutalitäten und Ungerechtigkeiten an Bord, den Schmutz oder die Gefahren gewöhnen. So musterte er ab und eröffnete in Blackburn nahe Liverpool ein Studio für Bodybuilder. Das Geschäft lief schlecht, aber Hodgson schrieb viele Artikel über seine Arbeit und begann über eine Karriere als Schriftsteller nachzudenken. Seine Jahre auf den Weltmeeren lieferten ihm genug Stoff für phantastische Seespukgeschichten. Mit „A Tropical Horror“ debütierte Hodgson 1905 in „The Grand Magazine“.

1907 folgte der Episodenroman „The Boats of the ‚Glen Carrig'“ (dt. in [„Stimme in der Nacht“, 255 |Suhrkamp| Taschenbuch Nr. 749/64, neu aufgelegt als Nr. 2709/340), ein erstes längeres Werk. 1908 erschien „The House on the Borderland“ (dt. „Das Haus an der Grenze“), mit dem Hodgson bewies, dass er auch auf dem trockenen Land Angst & Schrecken zu verbreiten wusste. „Carnacki, the Ghost Finder“ betrat die literarische Bühne 1910. Zwei Jahre später erschien Hodgsons episches Hauptwerk: „The Night Land“, eine Geschichte aus fernster Zukunft, die viele brillante Stimmungsbilder aus „The House on the Borderland“ aufgreift und vertieft.

Hodgson heiratete 1913 und zog mit seiner Gattin nach Südfrankreich. Er schrieb nur noch wenig. Bei Kriegsausbruch 1914 ging er nach England zurück und wurde als Offizier der Royal Field Artillery zugeteilt. Eine schwere Kopfverletzung auf dem Schlachtfeld überlebte er knapp und kehrte an die Front zurück. Hier traf ihn am 17. April 1918 ein deutsches Artilleriegeschoss. Er war sofort tot.

Eine ausführliche Beschreibung von Leben und Werk des William Hope Hodgson gibt: http://www.creative.net/~alang/lit/horror/hodgson.sht.

Einen großartige Sammlung relevanter Fakten speziell zu Hodgsons Carnacki-Storys sowie deren vollständige E-Text-Wiedergabe in englischer Sprache liefert Marcus L. Rowland: http://www.forgottenfutures.com/game/ff4/worldbk4.htm („Forgotten Futures IV: The Carnacki Cylinders. A Role Playing Sourcebook For William Hope Hodgson’s ‚Carnacki The Ghost-Finder'“).

Richard Dalby (Hg.) – O du grausame Weihnachtszeit. Schaurige Geschichten zum Fest

16 teils klassische, teils eigens für diese Sammlung geschriebene Erzählungen erinnern an die Tradition, zu Weihnachten Geistergeschichten zu erzählen. Dabei werden gängige Festtagsbräuche hinterfragt oder grimmig konterkariert, und selbst bei Wahrung der feierlichen Harmonie bleibt Sentimentalität sorgfältig ausgeschlossen, sodass diese Storys sich trotz manchmal hohen Alters ihren Unterhaltungswert bewahren konnten.
Richard Dalby (Hg.) – O du grausame Weihnachtszeit. Schaurige Geschichten zum Fest weiterlesen

Danielewski, Mark Z. – Haus, Das. House of Leaves

Der junge, leichtlebige Kalifornier Johnny Truant gerät an die hinterlassenen Schriften eines verstorbenen alten Mannes namens Zampano, der im gleichen Haus wie Johnnys Kumpel Lude wohnte. Es handelt sich um eine riesige Blättersammlung, die sich mit Analysen und Interviewabschriften zu einem Dokumentarfilm mit unheimlichen Ereignissen befasst, dem „Navidson Report“. Je mehr sich Truant in diese Schriften vertieft, desto stärker wird er selber von der erschreckenden Geschichte gefangen genommen, die sich ihm darbietet.

Der Pulitzer-Preisträger Will Navidson, ein Fotograf, zieht mit seiner Freundin Karen und ihren beiden Kindern Chad und Daisy in ein altes Haus in Virginia. Die Familie erhofft sich in der ruhigen Gegend eine ländliche Idylle. Bald stellt sich heraus, dass mit dem Haus etwas nicht stimmt – denn seine Maße ergeben, dass es innen größer sein muss als außen. Das Haus scheint ein Eigenleben zu führen, es lässt Gegenstände verschwinden und verändert seine Räumlichkeiten. Navidson ruft seinen Zwillingsbruder Tom zu Hilfe und installiert Kameras, welche die Vorkommnisse dokumentieren sollen.

Wie aus dem Nichts erscheint plötzlich ein Flur, von dem niemand weiß, wohin er in die Dunkelheit führt. Navidson ist besessen von dem Gedanken, das Haus zu erforschen. Gemeinsam mit ein paar Höhlenforschern steigt er in die labyrinthische Tiefe des Korridors hinab, immer mit Kameras ausgestattet, die alles festhalten, was ihnen geschieht. Navidson und seinen Freunden steht ein Grauen bevor, das ihr aller Leben für immer verändern wird …

Ein Buch im Buch im Buch – das ist die äußerst komplexe Form, die Mark Danieleswki für seinen Kultroman, der sieben Jahre nach seinem Erscheinen in den USA nun auch in Deutschland veröffentlicht wurde, wählt. Auf (mindestens) drei Ebenen erzählt das Werk die Geschichte des Fotografen Will Navidson, zusammengestellt vom verstorbenen Zampano und überarbeitet von Johnny Truant.

|Außergewöhnliche Form|

Schon ein flüchtiges Durchblättern dieses Mammutwälzers, der trotz DIN-A-4-Format immer noch knapp 800 Seiten umfasst, zeigt, worin seine Besonderheit liegt. Es handelt sich um ein Sammelsurium verschiedener Schrifttypen und unkonventioneller Anordnungen, gespickt mit ausschweifenden Fußnoten, um den Charakter so authentisch wie möglich zu halten. Den äußeren Rahmen bildet Johnny Truants Geschichte aus der Ich-Perspektive. Er berichtet vom Fund der Schriften und kommentiert zwischendurch abschnittweise das Manuskript – und wird hin und wieder von den Herausgebern wiederum selber noch kurz kommentiert. Dem Leser werden Abhandlungen aus Interviews, Briefe, Zitate aus Sekundärliteratur und Zeitungsartikel präsentiert, fein säuberlich mit Angaben von Verfasser und Datum.

Hin und wieder stößt man auf Auslassungen im Text, die beispielsweise damit erklärt werden, dass durch Truants Verschulden manche Passagen durch Tinte geschwärzt und unleserlich wurden, oder Durchstreichungen und Korrekturen. Im Anhang sind Skizzen und Fotos beigefügt, um den Eindruck der Geschichte zu vervollständigen und sogar prominente Zeitgenossen wie Anne Rice, Stephen King, Stanley Kubrick oder Jacques Derrida melden sich angeblich zu Wort und kommentieren (fiktiv) den „Navidson-Report“, jeder in einem für sich typischen Tonfall. Erinnerungen werden wach an den Pseudo-Dokumentarfilm „Blair Witch Project“, der bei ahnungslosen Zuschauern den Eindruck einer echten Hexenjagd mit mörderischen Folgen erweckte und auch „Das Haus“ könnte uneingeweihten Lesern beinah als Tatsachenwerk verkauft werden.

|Subtiles Grauen|

Bücher über Spukhäuser gibt es zuhauf, allerdings nicht in dieser unkonventionellen Form. Wichtig ist vor allem, dass der Schrecken des Hauses und seine Ursachen hier bis zum Schluss kaum beleuchtet werden. Der Leser erfährt zwar, dass das Haus unheilvolle Veränderungen an den Menschen bewirkt und dass manch einer in seinen Tiefen verschollen bleibt, doch es gibt keine Monster, keinen greifbaren Schrecken. Es ist unklar, was das Haus eigentlich will und was es macht, was bleibt, sind die Resultate. Da ist der joviale Tom, den das Haus nach jahrelangem Kontaktabbruch wieder mit seinem Bruder zusammenführt und der seinen Einsatz für Will Navidson teuer bezahlen muss. Da ist Karen, die unter der Besessenheit ihres Freundes leidet und sich von ihm zurückzieht. Da ist der Expeditionstrupp mit dem Forscher Holloway Roberts, dem schüchternen Jed Leeder und dem abenteuerlustigen Bergsteiger Wax Hook, der zerstört wieder zurückkehrt, einer von ihnen dem Wahn verfallen und im Haus verschollen, ein anderer tot, der dritte verletzt.

Selbst Johnny Truant wird über das Manuskript hinweg in den Sog des Hauses hineingerissen. Zu Beginn ist er ein leicht abgewrackter Tattoo-Zeichner, dessen Alltag vorwiegend aus Drogen und Sex besteht. In schnodderigem Tonfall und mit grammatischen Fehlern durchflochten erzählt er sein halbseidenes Leben, das durch den Manuskriptfund auf den Kopf gestellt wird. Vor allem das Ende mit den angefügten Briefen von Johnnys Mutter, aber auch Johnnys seitenweise Abschweifungen, die sich hinterher als Lügengespinst entpuppen, fordern den Leser heraus, sich seine eigene Interpretation zu bilden. Wahrheit und Fiktion fließen ineinander, weder der verstorbene Zampano noch der unstete Johnny sind zuverlässige Herausgeber und es darf munter spekuliert werden, wie viele ihrer Hinterlassenschaften erlogen oder einem wirren Verstand zuzuschreiben sind.

|Schwere Lektüre|

Man ahnt es bereits beim Anblick des Buches: Hier ist Durchhaltevermögen gefragt. Ohne Frage hat Danielewski ein anspruchsvolles Werk erschaffen, das sowohl vom Umfang als auch vom Inhalt mehr als opulent geworden ist. Der Autor jongliert mit der Sprache, dass Ullysses-Fans das Herz aufgeht, bringt Mythen und visuelle Spielereien hinein, etwa Querverbindungen zur Sage von König Minos und dem Ariadnefaden oder zu geometrischen Formen angeordnete Textspalten und Rückwärtsschrift. Das Analysematerial für den Leser ist enorm, allerdings auch anstrengend zu bewältigen. Nur wenige Sequenzen sind wirklich spannend, beispielsweise wenn die Expedition im Haus in akute Gefahr gerät oder Tom sich alleine im Zelt verschanzt und tagelang nur per Funk mit seinem Bruder und Karen kommuniziert, während sein Verstand auf eine harte Probe gestellt wird. Diese Szenen können jedoch nicht die vielen Längen, die durch ausufernde Fußnoten und Johnnys Schwafeleien entstehen, ausgleichen. Will man das Buch konsequent vollständig lesen, muss man etliche Längen in Kauf nehmen, die gewiss so manchen Leser verprellen werden. „Das Haus“ ist ein Kunstwerk voller Originalität, aber alles andere als eine konsumfreudige Schöpfung. Die eigentliche Handlung lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen, und hat man sich erst einmal an die merkwürdige Form gewöhnt, verliert sich der Reiz des Buches ein wenig. Ein weiteres Manko ist das Fehlen einer durchgängigen Bezugsperson, mit der sich der Leser identifizieren kann. Weder der obsessive Navidson noch der oberflächliche, auf Sex und Drogen versessene Johnny eignen sich dazu, die restlichen Personen kommen entweder früh um oder werden nicht intensiv genug dargestellt.

_Als Fazit_ bleibt ein äußerst komplexes Werk mit mehreren Ebenen, das sich bis in ellenlange Fußnoten hinein als Dokumentation präsentiert und sich um ein Haus voller gefährlicher Mysterien dreht. Wahrheit, Lüge und Einbildung verschwimmen ineinander und öffnen den Raum für mannigfaltige Spekulationen beim Leser, zu kurz kommen allerdings Spannung und Identifizierung mit den Charakteren. Ein schwer zu konsumierendes und gleichzeitig höchst originelles Buch für geduldige Leser.

_Der Autor_ Mark Z. Danielewski, Jahrgang 1966, ist Sohn eines polnischen Filmregisseurs. Er studierte Englische Literatur in Yale und arbeitete danach im Film- und Verlagswesen. An seinem Debütwerk „Das Haus“ arbeitete er zehn Jahre lang, ehe es 2000 in den USA erschien und dort schnell zum Kultroman aufstieg. Sein zweites Buch, „Only Revolutions“, ist bisher nicht auf Deutsch erscheinen.

http://www.hobbitpresse.de
http://www.danielewski.de/

|Ergänzend dazu:|
[Bericht zur Lesung und erste Eindrücke zum Autor und seinem Werk]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=84

Feige, Marcel – Inferno – Macht der Toten

Band 1: [„Ruf der Toten“ 2112
Band 2: [„Schwester der Toten“ 2991

Berlin erstickt endgültig unter einer dichten Schneedecke. Und inmitten dieses meteorologischen Chaos steht der Fotograf Philip vor den Trümmern seines Lebens. Es ist nur eine Woche her, dass er von diversen Substanzen angefeuert in einem Techno-Club unbeschwert abzappeln konnte. Diese Unbeschwertheit ist vollkommen verflogen und einer inneren Leere gewichen. Der junge Mann ist müde, ausgelaugt, verängstigt und weiß mittlerweile, dass er bis vor kurzem das Leben eines anderen geführt hat. Ein Leben, das gegenüber seiner jetzigen Situation, die von Ungewissheit und Hilflosigkeit bestimmt wird, fast ausnahmslos Vorteile hatte.

_Beurteilung:_

Der letzte Teil der „Inferno“-Trilogie ist gleichzeitig der düsterste. Zwar waren auch „Ruf der Toten“ und „Schwester der Toten“ keine Stimmungsaufheller, aber „Macht der Toten“ lässt noch ein paar dunklere Wolken aufziehen. Vor allem das Setting des dritten Bands, das sehr plastisch beschrieben wird, trägt nicht unerheblich zur apokalyptischen Atmosphäre bei. Das unwirtliche Berlin ist der ideale Schauplatz für die Zusammenführung der Handlungsstränge und die Beantwortung der in den ersten beiden Teilen aufgeworfenen Fragen.

Anders als in den Vorgängern lässt Autor Marcel Feige seinen Hauptfiguren im Abschlusswerk immer mehr die Rolle der Agierenden zukommen. So versucht Philip, die Visionen, in denen er Kontakt mit der Totenwelt aufnehmen und das zukünftige Schicksal jeder Person, die er berührt, voraussehen kann, zu interpretieren, um ein wenig Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen, während Beatrice in der Gewalt des Vatikankillers Cato gezwungenermaßen den Weg von London nach Berlin antritt, um den Fotografen zu finden.

Im Kontext der Geschichte deplatziert wirkt die Entwicklung des Priesters Jakob Kahlscheurer, der Philip in „Macht der Toten“ endgültig als Verbündeter an die Seite gestellt wird. Dieser durchläuft eine Art Selbstfindungsprozess, an dessen Ende er seinen verloren gegangenen Glauben wiederfindet. Und obwohl der katholischen Kirche in „Inferno“ eine Rolle zugedacht wird und somit religiöse Motive naheliegend sind, wird dieses Element sehr unvermittelt eingeführt. Dem religiösen Glauben kommt zu keinem Zeitpunkt eine übergeordnete Bedeutung zu, geschweige denn dient er als Handlungsantrieb und Auslöser der Ereignisse.

_Fazit:_

„Macht der Toten“ ist unterm Strich ein würdiger und logischer Schlussabschnitt der „Inferno“-Saga, überzeugt erneut mit einer durchdachten Dramaturgie und wird noch rasanter erzählt als die Teile eins und zwei. Die Auflösungen, die nicht in Friede-Freude-Eierkuchen-Plattitüden abgleiten, sind zudem gelungen, und die letzte Szene schreit geradezu nach einer Verfilmung des Stoffs, die hoffentlich im Falle eines Falls nicht in Deutschland realisiert wird und als muffiges ProSieben-„Event-Movie“ mit C-Schauspielern endet.

Dass auch der finale Band den einzelnen Charakteren keine wirkliche Tiefe verleihen kann, ist aufgrund des gegebenen Unterhaltungswerts zu verschmerzen. Und so wartet man gespannt auf das Inferno, das eintritt – oder doch nicht?

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David Moody – Herbst: Beginn (Autumn 1)

Eine Virusinfektion streckt 95% der Weltbevölkerung nieder. Die Überlebenden versuchen den Neuanfang, als die Toten plötzlich erwachen und sich in menschenfleischhungrige Zombies verwandeln … – Die bekannte Mär vom zombiestigen Untergang der Zivilisation kleidet der Verfasser routiniert in Bilder, die sich immerhin nicht ausschließlich auf die Ausmalung des Scheußlichen und Blutigen verlassen. Fortsetzung folgt selbstverständlich, was die Mär hoffentlich zum schmerzlich vermissten roten Faden finden lässt. David Moody – Herbst: Beginn (Autumn 1) weiterlesen