Archiv der Kategorie: Sachbuch

Radke, Reinhard – Krokodile. Expeditionen zu den Erben der Dinosaurier

Sie sind beileibe nicht nur die Erben der Dinosaurier, sondern bereits deren Zeitgenossen. „Schauplatz Mara“ beschreibt in einer Momentaufnahme, wieso Krokodile so erfolgreich in der Evolution waren und sind. Eindrucksvolle Bilder informieren über eine Stelle am Mara, einem afrikanischen Fluss, wo die Panzerechsen ihre Fähigkeiten als Jäger unter Beweis stellen.

„Komplexe Echsen“ zeigt dann Tiere, die weitaus mehr als Furcht erregende Tötungsmaschinen sind, sondern über ein komplexes „Gesellschaftsleben“ verfügen und durchaus gewisse soziale Kompetenzen unter Beweis stellen. Dazu gehört auch die Sorge um den Nachwuchs, wie die Kapitel „Wiegen im Sand“ und „Mutterpflichten“ belegen.

In „Saurier gegen Säuger“ kehren wir an den Mara zurück. Nun ist der Blick bereits geschärft, was uns Lesern hilft zu verstehen, dass auch Krokodile mit bestimmten Schwierigkeiten zu kämpfen haben, für die ihre besondere Physis verantwortlich ist – sie sind halt „Archaische Jäger“, die aber aus dem, was die Natur ihnen zur Verfügung stellte, das Beste gemacht haben. Insofern sind sie tatsächlich die „Erben der Dinosaurier“, weil sie mehr als 60 Millionen Jahre Zeit hatten, bei aller Urtümlichkeit auf dem aktuellen evolutionären Stand zu bleiben und beileibe nicht identisch mit den Krokodilen der Erdfrühzeit sind.

Das größte Problem entsteht diesen Tieren ohnehin von anderer Seite. „Der Fänger der Echsen“ beschreibt die Jagd auf Krokodile, die trotz ihrer wundersamen Lebenstauglichkeit dem Menschen nicht wirklich etwas entgegenzusetzen haben. Dies vertieft Verfasser Radke später im Kapitel „Mensch und Krokodil“, wo wir erfahren, dass hier und da Echsen doch den Spieß umdrehen und für ihre menschlichen Opfer wahrlich Albträume wahr werden – böse Überraschungen inklusive, denn wie Radke in „Tödliche Tümpel“ zeigt, sind Panzerechsen auch an Land beweglicher, als man ihnen zugestehen möchte, wenn man sie gemächlich an Flussufern watscheln sieht.

Dennoch sind es primär die Krokodile, für die es hier und heute und in Zukunft um „Sein oder Nichtsein“ gehen wird, denn eines ist sicher: Eine enge Nachbarschaft zwischen Mensch und Krokodil ist ganz sicher nicht möglich, da Letzteres als Hausgast oder gar -tier absolut untauglich ist.

Das Werk schließt mit einer kurzen, aber erschöpfenden Systematik aller Krokodilarten, die es auf dieser Erde gibt. Die erstaunliche Vielfalt überrascht; weder Salzwasser noch Frost oder wüstenhafte Trockenheit können Krokodile dauerhaft aufhalten. Wir erfahren von Siebenmeter-Monstern, die wie Delfine aus dem Wasser springen – keine Erfahrung, die man als Passagier auf einem flachbordigen Boot machen möchte – oder bizarren Fischfängern mit Pinzettenkiefern.

Noch heute sieht man sie im B-Movie baumstammgleich und scheinheilig unauffällig vorzugsweise in afrikanischen Flussläufen treiben, bis sie urplötzlich unter den Nebendarstellern aufzuräumen beginnen: Krokodile, hässlich, unheimlich und folgerichtig heimtückisch und böse, wenn auch als Ledermantel oder -tasche wohl gelitten in der Damenwelt. Beides war und ist gar nicht bekömmlich für die großen Panzerechsen, die tatsächlich nur wollen, was wir alle uns wünschen – in Ruhe gelassen zu werden.

Gönnt man ihnen dies und beobachtet sie womöglich dabei, erschließt sich dem interessierten Betrachter die fremde, aber faszinierende Welt einer Lebensform, die seit stolzen 230 Jahrmillionen auf dieser Erde weilt und noch alles überstand, was diese in Form herabstürzender Riesenmeteore oder Sintfluten traf und immer wieder für |tabula rasa| sorgte. Wieso schafften die Krokodile, woran die ungleich weiter entwickelten Dinosaurier scheiterten? So „primitiv“ (weil doch so alt) können sie wohl nicht sein. Aber wie passen sie ins Darwinsche Evolutionskonzept, nach dem bekanntlich nur die Harten in den Garten kommen, d. h. die Schnellsten, Klügsten, sich ständig fortentwickelnden Lebewesen überdauern?

Solchen und vielen anderen Fragen (auf die man meist nicht kommen würde, die einen aber trotzdem interessieren) geht der Biologe und TV-Tierfilmer Reinhard Radke in diesem beispielhaften Sachbuch nach. Es liest sich wie ein Roman, obwohl es sich an die Fakten hält. Da diese nicht gerade allgemein bekannt sind – wer wusste denn beispielsweise, dass Krokodile sich wie Wale oder Elefanten per Infraschall verständigen können? -, faszinieren sie auch den biologischen Laien, der (oder die) wenigstens ein wenig Interesse für die Umwelt aufzubringen in der Lage ist. Krokodile sind (wie wir schließlich wissen) gut zu Fuß und gar nicht blöd, sie kennen und respektieren gesellschaftliche Regeln und dort, wo man ihnen wenigstens ein bisschen kugelfreien Raum belässt, praktisch so unverwüstlich, dass wie wahrscheinlich auch die Menschen überleben werden.

„Krokodile“ ist in der Präsentation ein sehr modernes Sachbuch. Reinhard Radke versucht das eigentlich Unmögliche: Er verbindet Information mit Unterhaltung. Anders als im Privat-TV ist das Ergebnis nicht „Infotainment“ (= vergnügliches Pseudo-Wissen für die Dummen & Denkfaulen), sondern – welches Risiko in heutiger Zeit! – eine sorgfältig aufeinander abgestimmte Kette lehrreicher Lektionen, die ohne vorsätzliche Infantilisierung, aber auch ohne erhobenen pädagogischen Zeigefinger ihr Thema zum Leben erwecken.

Fazit: Ein nicht ganz preisgünstiger Bild-/Textband mit (über 100) sensationellen Farbfotos, der umfassend über die „Zeugen der Urzeit“ (wie das einleitende Kapitel überschrieben ist) informiert und jeden Cent wert ist.

Dash, Mike – Tulpenwahn. Die verrückteste Spekulation der Welt

Eine kleine Blume, hübsch anzusehen, als Bote des Frühlings geschätzt und selbst ohne grünen Daumen leicht zum Erblühen zu bringen: Das ist die Tulpe, die in ihrer farbenprächtigen Unschuld vergessen macht, dass sie vor knapp drei Jahrhunderten eine ganze Nation in den Ruin zu reißen drohte.

So verzaubert waren die Niederländer einst von der noch seltenen Blume, dass in den Jahren 1633 bis 1637 ein regelrechter Tulpenwahn ausbrach, der Reich und Arm, Bürger, Bauer, Kauf- und Edelmann in den Handel mit Blumenzwiebeln investieren und spekulieren ließ, bis schließlich Preise von umgerechnet bis zu 1,5 Mio. Euro pro Knolle erzielt werden konnten!

Noch spektakulärer war der anschließende Zusammenbruch des Zwiebel- und Schwindel-Imperiums. Wie eine Seifenblase zerplatzte der Traum vom schnellen Geld ohne Arbeit und Risiko und hinterließ nicht nur Katzenjammer, sondern eine Gesellschaft, die vor dem Ruin stand.

Der Historiker Mike Dash erzählt diese seltsame Geschichte vom großen Tulpenwahn. Weil sich später sogar die Betroffenen fragten, wie es so weit hatte kommen können, holt der Verfasser weit aus. „Tulpenwahn“ ist auch eine Geschichte der Tulpe. Wer weiß schon, dass sie, die heute in jedem europäischen Frühlingsbeet zu finden ist, aus den Steppen und Hochtälern Zentralasiens kommt? Ausgerechnet die kriegerischen turkmenischen Nomaden, die zum Erobern und Plündern nach Asien kamen, fanden Gefallen an den damals noch schlichten, aber schon bunten „Ur-Tulpen“. Sie nahmen sie mit, um 1050 wurden sie schon in persischen Gärten gezogen, und dann rückten sie mit den Osmanen (oder Türken) über Kleinasien nach Nordafrika und Südeuropa vor.

Den gewickelten Turban – oder „dulbend“ – auf dem Kopf, kultivierten und veredelten türkische Gärtner die nun benamte Blume. Reisende aus dem Abendland fanden Gefallen an ihr. 1559 wuchsen Tulpen im bayrischen Augsburg. Drei Jahre später hatten sie Antwerpen in den Niederlanden erreicht – und dort beginnt unsere eigentliche Geschichte …

Die soll an dieser Stelle nicht vorab erzählt werden. Stattdessen rät Ihr Rezensent eindringlich, sie selbst nachzulesen. Sie beginnt trügerisch harmlos und entwickelt rasch eine Dynamik, der man sich schwer entziehen kann. Der Tulpenwahn ist ein Exempel, wie sich bodenständige und vernünftige Menschen in eine Lemminghorde verwandeln, die ihr Vermögen und ihre Zukunft auf Gedeih und Verderb an eine zerbrechliche Blumenzwiebel ketten, ohne die geringste Ahnung von dem zu haben, was sie da in Gang setzen.

Mike Dash gelingt das Kunststück, die scheinbar trockene Materie zum Leben zu erwecken. Geld verdient man gern, aber wenige Menschen verstehen wirklich, wie dies funktioniert, und kaum jemand interessiert sich dafür. Deshalb ist es dem Verfasser hoch anzurechnen, dass er ein Kapitel Wirtschaftsgeschichte in ein Kriminalstück verwandeln kann, ohne darüber die Fakten zu vernachlässigen. „Tulpenwahn“ ist ein rundum überzeugendes Sachbuch. Es legt die Fakten schlüssig und spannend dar, räumt mit überlieferten Irrtümern auf (Die Niederländer überwanden den Wahn schneller als dies den Moralaposteln und Sensations-Historikern lieb war), erklärt und begründet, wieso ein solcher Irrwitz beinahe unvermeidlich war, überrascht mit historischen Parallelen vom „Hyazinthenwahn“ bis zum Run auf eine eher exotische Blume, die noch im 20. Jahrhundert diverse chinesische Landstriche erfasste.

Ein Abbildungsteil hilft dem Leser, den Tulpenwahn zu verstehen. So macht der Anblick wunderschön abgemalter Tulpen deutlich, dass die Zucht damals einen Standard besaß, der heute längst nicht mehr erreicht wird. Die niederländischen Tulpen des 17. Jahrhunderts waren Meisterwerke einer vergessenen Blumenzuchtkunst.

Weitere Bilder zeichnen den Siegeszug der Tulpe durch das Osmanische Reich nach, zeigen zeitgenössische Gemälde und Stiche, die verraten, wie präsent diese Pflanze nicht nur im Alltag, sondern auch in der Kultur war. Faszinierend auch die Kommentare der Künstler, als der Tulpenwahn in sich zusammenbrach. Wer den Schaden hatte, musste schon damals für den Spott nicht sorgen – das übernahmen jene, die sich „klüger“ dünkten bzw. nicht den Mut aufgebracht hatten, sich an der Zwiebel-Spekulation zu beteiligen und nun gut Moralpredigen halten oder lachen konnten.

Immer wieder flicht Dash historische Anekdoten ein, die seine Darstellung meisterhaft kommentieren. Der Obergärtner am osmanischen Herrscherhof ist traditionell auch der Henker; ein hungriger Unglückswurm wird vor Gericht gezerrt, weil er eine Ladung unbezahlbarer Tulpenzwiebeln verspeist hat; vorsichtige Blumenhändler übernachten in ihren Beeten: Das sind die Randbemerkungen, die ein informatives Sachbuch zusätzlich veredeln.

Paturi, Felix R. – letzten Rätsel der Wissenschaft, Die

„Was ist überhaupt Wissenschaft?“ – dieser Frage versucht Felix R. Paturi im Vorwort seines aktuellen Buches auf den Grund zu gehen, denn wenn er schreibt, dass „tief in seinem Herzen so mancher Naturwissenschaftler bestreitet, dass die Geisteswissenschaften und die seit einiger Zeit dazugekommenen Sozialwissenschaften überhaupt einen Anspruch darauf erheben können, Wissenschaften genannt zu werden“, dann führt der Autor bereits einen aktuellen und schon lange brodelnden Konflikt an. Wissenschaft ist ein so weit gefasster Begriff, dass wir heutzutage nicht ohne Spezialisierung auskommen. Dies führt zwar zur Herausbildung zahlreicher Experten, aber auch dazu, dass die einzelnen Fachrichtungen sich immer weiter auseinander entwickeln. Doch Felix R. Paturi versucht in seinem aktuellen Wissenschaftsbuch den Brückenschlag zwischen den verschiedenen Disziplinen. Obwohl der Autor von Haus aus laut Verlagsinformation Physiker ist, öffnet er sich anderen Themen, zeigt sein weit gefächertes Interesse und wagt hier den mutigen Schritt, all diese Ideen und Rätsel in nur einem Buch aufzugreifen.

Schon der Wissenschaftsbegriff wirft unzählige Fragen auf, doch auch der Begriff des „Rätsels“ ist diskussionswürdig. Felix R. Paturi versteht darunter die ungeklärten Fragen der einzelnen Wissenschaftszweige, nicht aber die Rätsel aus Rätselzeitschriften, da diese bereits beantwortet sind und für die Wissenschaft kein Rätsel (mehr) darstellen. Den wirklichen Rätseln, für die noch kein Mensch eine Lösung gefunden hat, widmet sich der Autor im vorliegenden Buch.

Das Vorwort gibt einen guten Einstieg in die Thematik und macht bereits deutlich, welche Fragen sich in diesem Zusammenhang stellen. Paturi beantwortet sie jedoch nicht wirklich, sondern fordert seine Leser dazu auf, sich ihre eigene Meinung über den Wissenschaftsbegriff zu bilden. Ein Blick in das [Inhaltsverzeichnis]http://www.eichborn-verlag.de/s2/default.asp?SeID=&id=472&tid=1604&x=1&y=1 zeigt die Breite der vorgestellten Themen, wo so ziemlich jeder halbwegs interessierte und weltoffene Leser genug Aspekte finden dürfte, die ihn ansprechen.

Zunächst geht Paturi physikalischen Fragen auf den Grund. Obwohl in der Physik viele Rätsel gelöst werden konnten und mit der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik zwei umfassende Theorien zur Verfügung stehen, die beide für sich stimmig sind, widersprechen sie sich doch gegenseitig. Ein aktueller Lösungsansatz ist die mysteriös anmutende Stringtheorie, die sich jeder Vorstellungskraft entzieht. Dennoch schafft Paturi es ohne Formeln und auf nur wenig Raum, diese Theorie in Grundzügen vorzustellen und verschafft sich dadurch bereits meine Hochachtung. Auch die Frage nach der Dunklen Materie und woraus sie bestehen kann, wird thematisiert. Sogar die Quantenteleportation (also das „Beamen“ auf kleinster Ebene) und die merkwürdigen Folgen der Überlichtgeschwindigkeit werden uns verständlich gemacht; wobei ich mir in diesem Fall eine erläuternde Skizze gewünscht hätte, die sicherlich ohne Worte deutlicher gemacht hätte, was Paturi in einigen Sätzen zu erklären versucht.

Im Anschluss daran bringt der Autor uns Naturphänomene näher, von denen jeder schon einmal etwas gehört hat, aber über die wir oft noch nicht viel wissen. Hier erfahren wir, warum im sagenumwobenen Bermudadreieck zahlreiche Schiffe verschwunden sind, wir wundern uns über riesige Felsbrocken, die sich von ganz alleine zu bewegen scheinen, und wir grübeln darüber nach, wie die Maya einen Schädel aus Kristallstein schleifen konnten, der auch mit modernster Technik unmöglich herstellbar ist. Spätestens an dieser Stelle dürfte Paturi auch den letzten Leser fasziniert haben. Denn er schildert hier Phänomene, die leicht verständlich sind, aber doch unglaublich wirken. Niemand kennt eine plausible Lösung für den wundersamen Maya-Schädel, den es eigentlich gar nicht geben dürfte.

Etwas weniger spektakulär muten Schleifspuren in der Wüste an, deren Ursprung ebenfalls ungeklärt ist. Sensationslüsterne Möchtegernwissenschaftler sehen selbstverständlich außerirdische Besucher als Verursacher der mysteriösen Spuren, doch kritisiert Paturi derlei Spinnereien ganz offen, seiner Meinung nach sind es genau solche Populisten, die die Wissenschaft und ihre seriösen Erkenntnisse in Verruf bringen. Allerdings gibt es viele Phänomene, die völlig unglaublich sind, aber dennoch wissenschaftlich erklärt werden wollen. Wie kann beispielsweise die Homöopathie heilen, obwohl kein Wirkstoff in einem homöopathischen Mittel mehr nachweisbar ist? Oder wieso wachsen und gedeihen Pflanzen besser, wenn man mit ihnen spricht und sie liebevoll behandelt? Und was ist es, das einen Geistheiler auszeichnet? In diesen Punkten berührt Felix R. Paturi Grenzwissenschaften, denen vor allem viele Naturwissenschaftler sehr kritisch gegebenüber stehen. Die Klärung und Vorstellung dieser esoterisch anmutenden Aspekte fand ich nicht immer überzeugend, zumal sich die Frage stellt, ob Geistheilung wirklich zu den Wissenschaften gezählt werden kann.

Natürlich darf in einer populärwissenschaftlichen Abhandlung nicht die Frage nach der Schöpfung und ihrem Ursprung fehlen. Von vielen Seiten beleuchtet Paturi dieses Problem und regt erneut seine Leser dazu an, sich ebenfalls ihre Gedanken über diese Fragestellungen zu machen. Zu diesen Rätseln gibt es keine Lösungen, folglich werden uns in „Die letzten Rätsel der Wissenschaft“ auch keine angeboten, sondern lediglich Lösungsansätze, zu denen wir unsere eigenen Überlegungen anstellen können und sollen.

Im Kapitel über Religionswissenschaft widmet der Autor sich den verschiedenen Gottesbeweisen oder auch der Theodizee, also der Frage nach Gottes Allmacht und der Existenz des Bösen auf dieser Welt. Dies erscheint mir der schwächste Abschnitt des Buches zu sein, da hier nicht nur ungelöste Rätsel auftauchen, sondern Gott an sich bereits ein Rätsel darstellt, das wohl nur jeder für sich selbst lösen kann. Auch scheint das Zahlenwunder des Koran nicht viel mehr als bloße Rechnerei zu sein; wenn sich ein Mathematiker mit einem beliebigen Buch lange genug beschäftigt, wird er in diesem sicherlich eine Menge Auffälligkeiten entdecken, die dem reinen Zufall entspringen. Diesem Kapitel merkt man deutlich an, dass es schwer ist, über ein Thema wie „Gott“ wissenschaftlich zu diskutieren, wenn dessen bloße Existenz bereits ein ungelöstes Rätsel darstellt.

Am Ende macht Paturi sich an die Präsentation aktueller mathematischer Rätsel, wie den Milleniumsproblemen. Mit Hilfe weniger Formeln versucht der Autor, uns zu erklären, was es mit der jeweiligen Fragestellung auf sich hat. Doch sind diese Probleme größtenteils nur für Leser interessant und halbwegs verständlich, die sich auch über die Schule hinaus mit der Mathematik beschäftigt haben. Als Schlusskapitel erscheint mir die Mathematik mit ihren abstrakten Rätseln daher ein gewagtes Unterfangen zu sein.

Rückblickend erstaunen die Fülle an Themen, die uns Paturi präsentiert, und die große Anzahl auftauchender Fragen. Paturi versucht den Brückenschlag zwischen den verschiedenen Disziplinen, außerdem möchte er seine Leser zum eigenen Nachdenken anregen, doch kann dies nicht bei jedem Thema gelingen. Hätte der Autor sich nur auf ein einziges Gebiet konzentriert, hätte er wahrscheinlich eine kleinere Leserschaft angesprochen, doch hätte diese womöglich das ganze Buch mit gleichbleibend großem Interesse gelesen. Bei dieser Fülle von Themen tauchen zwangsläufig Rätsel auf, die nicht jeden Leser ansprechen oder die auch nicht jedem erklärbar gemacht werden können. Für dieses Buch muss man als Leser schon viel eigenes Interesse an verschiedenen Disziplinen mitbringen, sonst werden auch Paturis engagierte Versuche, uns die Wissenschaft näher zu bringen, scheitern. Der Buchtitel verspricht etwas zu viel; natürlich kann es sich hierbei nicht um die „letzten Rätsel“ handeln, denn es gibt selbstverständlich noch mehr, zumal immer wieder neue Rätsel auftauchen werden, die nach einer Lösung suchen.

Für wissenschaftlich vielfältig interessierte Leser bietet Felix R. Paturi mit diesem Buch einen breiten Überblick über die verschiedenen Disziplinen, der erfolgreich zum Nachdenken anregt, da es dem Autor gelingt, auch komplizierte Sachverhalte verständlich darzustellen, sodass selbst Leser ohne spezielle Vorkenntnisse begeistert werden können. Das umfassende Literaturverzeichnis am Ende des Buches bietet die Gelegenheit, sich noch weiter in spezielle Themen zu vertiefen. „Die letzten Rätsel der Wissenschaft“ wirft Fragen auf und kann natürlich wenige klären, dennoch schafft das Buch Verständnis in vielen Bereichen und erweitert den Horizont seiner Leser. Dies kann man wohl nicht von vielen Büchern behaupten.

Ragnar Kvam jr. – Im Schatten. Die Geschichte des Hjalmar Johansen

Biografie eines aus der Geschichte quasi getilgten Mannes, der zu den Entdecker-Pionieren der großen Nord- und Südpol-Expeditionen zählte, diesen Ruhm jedoch nicht vermitteln wollte oder konnte und ins Abseits gedrängt wurde. Die außerordentlich spannende Lebensgeschichte wirft einen objektiven Blick auf ‚Helden‘, die diese Rolle nicht selten an sich gerissen und dabei wenig Menschenfreundlichkeit bewiesen haben: Nichts ist spannender als die Realität!
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Meijer, Fik – Gladiatoren. Das Spiel um Leben und Tod

Das Kolosseum in Rom, größte Gladiatorenarena der antiken römischen Welt, bildet Dreh- und Angelpunkt der Darstellung des Niederländers Fik Meijer. Er ist bemüht, sich einem der seltsamsten und auch düstersten Kapitel der an blutigen Episoden nicht gerade armen Menschheitsgeschichte objektiv zu nähern: Mehr als ein halbes Jahrtausend ergötzten sich die Bewohner des römischen Imperiums an perfekt auf Schauwert organisierten Tierhatzen, Massenhinrichtungen und Zweikämpfen auf Leben und Tod. Sie saßen bequem in riesigen, eigens für diesen Zweck er- und eingerichteten Arenen und schauten zu, wie Mensch und Tier im Sekundentakt grausam zu Tode kamen.

Keine einfache Aufgabe, wie Meijer bereits in seiner Einleitung deutlich macht. Er erläutert dem Leser deshalb eindringlich eine grundsätzliche Prämisse der historischen Forschung: Moralische Regeln sind wandelbar. Was heute in der Rückschau abgelehnt wird, war für die Zeitgenossen womöglich rechtens und ethisch begründbar. Sie hätten unsere Abscheu gar nicht verstanden. Das menschliche Handeln muss deshalb stets vor seinem jeweiligen zeitlichen Hintergrund betrachtet und gewertet werden.

In einem ersten Kapitel geht Meijer auf „Ursprung und Entwicklung der Gladiatorenspiele …“ ein. Ersterer liegt weitgehend im Dunkel, unser Wissen ist notgedrungen lückenhaft. Dennoch steht fest, dass Theateraufführungen und Wagenrennen am Anfang der späteren Schlachtfeste standen. Sie wurden zu Ehren der Götter oder verdienter Mitglieder der oberen Stände ausgerichtet und – der Mensch liebt Spektakel – allmählich immer größer und aufwändiger. Von sportlichen Wettkämpfen bis zum Kampf Mann gegen Mann ist der Weg gar nicht weit. Meijer beschwört das Bild einer römischen Gesellschaft herauf, für die Gewalt dem Feind und Härte sich selbst gegenüber zum Alltag gehörte.

Da der Mensch des 1. nachchristlichen Jahrhunderts keinesfalls dümmer als seine Nachfahren war, standen schließlich zweihundert Arenen in allen Teilen des Reiches. Bis ins Detail ausgefeilte Kämpfe fanden hier statt, für deren Realisierung eine ausgeklügelte Logistik erforderlich war, über die uns Meijer kundig ins Bild setzt. „Die Hauptdarsteller“ nennt er zu Recht jenes Kapitel, in dem er sich mit den Gladiatoren beschäftigt. Wer waren diese Männer (sowie einige Frauen!), die sich einer solchen Tortur unterziehen mussten oder gar freiwillig unterzogen? Herkunft, gesellschaftliche Stellung, Ausbildung, „Arbeitsalltag“ und Liebesleben sind nur einige Aspekte, die hier abgehandelt werden.

Dem „Spielfaktor Mensch“ wird das Tier als unbedingt erforderliches Element des Gladiatorenkampfes gegenübergestellt. Der „Verbrauch“ an Lebewesen aller Art war enorm und trug zum Aussterben ganzer Gattungen bei. Löwen, Leoparden, Bären, Elefanten, Nilpferde, Nashörner und alles, was beißen, kratzen und töten konnte, wurde von einschlägigen Spezialisten vor Ort gefangen und zu den Arenen gekarrt. Manchmal zu Tausenden mussten die Kreaturen dort ihr Leben lassen, wurden „gejagt“, aufeinander gehetzt, als Henker für renitente Sklaven, Christen und andere Feinde des Staates missbraucht.

„Der Ort der Handlung“ bezeichnet die Arena, in der gekämpft und gestorben wurde. Meijer wählt hier das Kolosseum in Rom als Beispiel. Er berichtet von dessen Bau, erläutert die Sicherheitsmaßnahmen – das Töten sollte gefälligst die Zuschauerreihen aussparen – und deckt die bemerkenswerten Einrichtungen auf, mit denen zahlreiche „Spezialeffekte“ realisiert werden konnten: Seeschlachten in einer Stadtarena würden wohl selbst heute Aufsehen erregen.

„Ein Tag im Kolosseum“ stellt den Versuch dar, ein „typisches“ Spiel in Roms größter Arena zu rekonstruieren. Zeitgenössische Texte, Mosaiken oder Vasenmalereien bilden die Grundlage; ergänzt werden sie durch Funde, die vor allen in den Gladiatorenschulen von Pompeji gemacht wurden, welche beim Ausbruch des Vesuvs 79 v. Chr. verschüttet wurden und praktisch im Originalzustand erhalten blieben.

Ein unappetitliches Kapitel beschäftigt sich mit der nahe liegenden Frage, wie denn mit den unzähligen Leichen und Kadavern verfahren wurde, die jedes Gladiatorenspektakel mit sich brachte. Wie Meijer deutlich macht, wurde hier ebenso rigoros wie praktisch verfahren, die umgekommenen Menschen „entsorgt“, die Tiere an die Armen der Stadt der verfüttert – der alte und angemessene Spruch von „Brot & Spielen“ bekommt hier eine neue Note.

Im vierten nachchristlichen Jahrhundert begannen Gladiatorenspiele aus der Mode zu kommen. Sie wurden für das in Bedrängnis geratende Römische Reich zu kostspielig. Die christliche Religion setzte sich durch; sie verdammte selbstverständlich die blutigen Frivolitäten, nachdem allzu viele frühe Christen dabei unfreiwillig als Darsteller fungieren mussten. Wiederum am Beispiel des Kolosseums schildert Meijer, wie die Spiele in Vergessenheit gerieten und die Arenen als Steinbrüche für spätere Bauwerke dienten.

Ein Exkurs beschäftigt sich mit „Gladiatoren im Film“. Zwei Beispiele werden vorgestellt: „Spartakus“ mit Kirk Douglas in der Hauptrolle, ein Meisterwerk und Höhepunkt der „Sandalenfilme“, die in den 1950er und 60er Jahren für volle Kinos sorgten, und „Gladiator“, jener Blockbuster des Jahres 2000, der die ungebrochene Attraktivität des Themas unter Beweis stellte. Meijer stellt Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus und kommt zu dem gut begründeten Schluss, dass beide Filme fabelhaft unterhalten aber unter wissenschaftlichem Aspekt ein wüstes Gemenge fehlinterpretierter und ignorierter historischer Fakten darstellen.

Ein ausführlicher Anhang liefert ein Glossar der lateinischen Fachbegriffe, enthält den Anmerkungsapparat, bietet Bild- und Literaturnach- und Hinweise, präsentiert eine Zeittafel sowie ein Verzeichnis der bedeutendsten Amphitheater.

Das Thema Gladiatoren ist – Hollywood sei Dank – wieder im Gespräch. Es fasziniert und schreckt ab, lässt schaudern über eine glücklicherweise überwundene Phase der menschlichen Geschichte und bietet die gern genutzt Gelegenheit, in grausigen Details zu schwelgen. Vor allem solchem Halbwissen hat Fik Meijer den Kampf angesagt. Die Gladiatorenkämpfe sind integraler Bestandteil der Historie, kein isoliertes Element, und die Geister, die in der Arena geweckt werden, sind auch heute durchaus noch aktiv. Eindringlich beschwört der Verfasser mit Hilfe antiker Texte das Bild eines Menschen herauf, der den Spielen ablehnend gegenübersteht, sich widerwillig überreden lässt als Zuschauer teilzunehmen – und in einen Blutrausch gerät, der ihn begeistert und später beschämt zurücklässt: Der von der Gewalt berauschbare Voyeur steckt in uns allen und kurz ist der Schritt zum Täter, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Die nüchterne Feststellung und Begründung dieser wenig schmeichelhaften Tatsache ist ein großer Verdienst dieses Sachbuchs. Er geht über die reine Darstellung der antiken Gladiatorenspiele hinaus, welche jedoch ebenfalls in klaren Worten festhält, was nun einmal gewesen ist oder gewesen sein könnte – nicht alle Details sind geklärt. Meijer spielt mit offenen Karten, enthält seiner Leserschaft nicht vor, wo und wie er Lücken mit Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten füllt.

Ähnlichkeiten mit den zahlreichen Gladiatorenbüchern, die seit dem Filmerfolg von Ridley Scott im Jahre 2000 auf die Buchmärkte gebracht wurden (vgl. u. a. Thomas Wiedemann, „Kaiser und Gladiatoren. Die Macht der Spiele im antiken Rom“, in deutscher Übersetzung erschienen im Primus Verlag, Marcus Junkelmann, „Das Spiel mit dem Tod. So kämpften Roms Gladiatoren“, Zabern Verlag, oder Alan Baker, „Gladiatoren. Kampfspiele auf Leben und Tod“, Goldmann Verlag), bleiben natürlich nicht aus. Vor allem gegenüber dem letzten Titel kann Meijer punkten, weil er es konsequent vermeidet, die Geschichte künstlich zu dramatisieren. Sein „Tag im Kolosseum“ ist keine fiktive Nacherzählung, sondern bleibt sachliche Beschreibung ohne Personsalisierungen, was sehr zu empfehlen ist, zumal die meisten Sachbuchautoren keine verkannten Romanciers sind, wie sie selbst oft anzunehmen scheinen.

„Gladiatoren“ ist ein kostengünstiges Sachbuch. Das macht sich jedoch nur in einer Hinsicht negativ bemerkbar: Das Bildmaterial ist rar und ausschließlich schwarz-weiß, die Abbildungen sind zu klein, die Wiedergabequalität lässt zu wünschen übrig. Dass Meijer wie bereits erwähnt nur einen Überblick bieten kann und möchte, ist dagegen hoffentlich klar: Die Lektüre seines Buches stellt einen Einstieg in die Materie dar. Wer sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen will, kommt um weitere Lektüre nicht herum.

Fik Meijer ist Professor für Alte Geschichte an der Universität von Amsterdam. Als solcher veröffentlichte er eine Fülle wissenschaftlicher Artikel und Fachbücher, unter denen seine (mit Marius West besorgten) Übersetzungen von Flavius Josephus’ antiken Geschichten der Juden herausragen.

Daneben bemüht sich Meijer um die historisch interessierten Laien außerhalb des universitären Elfenbeinturms. Er hat keine Scheu, gesichertes aber schwer zugängliches Wissen in verständliche Worte zu fassen, ohne dabei an den Fakten zu rütteln. Dafür wurde er z. B. 2005 mit dem niederländischen OIKOS-Publikumspreis ausgezeichnet. Weiterhin ist ihm klar, dass sich der Mensch von Heute auch oder sogar vor allem für das Menschliche/Allzumenschliche oder das Alltägliche der Vergangenheit interessiert. Meijer trägt dem u. a. mit Büchern Rechnung, in denen er über Wagenrennen und Schifffahrt schreibt. Zu seinen großen Erfolgen gehört ein Sachbuch, das den verheißungsvollen Titel „Kaiser sterben nicht im Bett“ trägt und die römische Kaiserzeit aus einem Winkel betrachtet, der puristischen Altertumskundlern schwerlich behagen dürfte.

Miles Harvey – Gestohlene Welten. Eine Kriminalgeschichte der Kartographie

Landkarten waren und sind mehr als simple Wegweiser. Um das in ihnen fixierte Wissen entbrannten früher regelrechte Kriege. Heute sind alte Karten wertvolle Dokumente und begehrtes Diebesgut, das oft viel zu nachlässig geschützt wird … – Ein nur scheinbar papiertrockenes Thema der Historie wird kundig und spannend erläutert. Leider lassen die Abbildungen zu wünschen übrig, und der Autor wird ein wenig esoterisch; trotzdem ein Lern- und Lesevergnügen.
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Maas, Peter – Stunden der Angst. Die dramatische Rettung der USS Squalus

23. Mai 1939: Das gerade vom Stapel gelaufene Unterseeboot „USS Squalus“ verlässt die Marinewerft Portsmouth im US-Staat New Hampshire an der Atlantikküste Neuenglands und geht auf seine 19. Testfahrt. Routinemäßig geprobt werden soll das so genannte Alarmtauchen: Das mit voller Kraft an der Wasseroberfläche fahrende U-Boot taucht binnen 60 Sekunden bis auf Sehrohrtiefe (15 m). Zunächst gelingt das Manöver reibungslos, doch plötzlich dringt Meerwasser durch die offensichtlich nicht korrekt geschlossenen Belüftungsschächte der Dieselmaschinen ein. In kürzester Zeit laufen die Maschinenräume voll. Verzweifelt versucht die Besatzung, den Wassereinbruch zu stoppen, doch vergeblich. Drei der sieben durch Schotte voneinander zu trennenden Abteilungen des Bootes laufen voll. 26 von 59 Männern sterben sofort, und die „Squalus“ sinkt auf den Meeresboden. In 74 Metern Tiefe erwarten die Überlebenden ihr Schicksal – und das wird grausam sein: Obwohl Unterseeboote schon seit etwa einem halben Jahrhundert die Ozeane der Welt befahren, wurden in dieser Zeit niemals wirksame Methoden zur Unterwasser-Rettung von Seeleuten entwickelt! Die Havarie eines U-Bootes ist seit jeher identisch mit dem Ende seiner Insassen.

Allerdings gibt es in den Reihen der US-Marine einen energischen Offizier, der seit mehr als einem Jahrzehnt unermüdlich daran arbeitet, dies zu ändern. Charles Bowers „Swede“ Momsen, Leiter einer Tiefseetauchereinheit, ist zum Zeitpunkt der „Squalus“-Katastrophe auf der Marinewerft von Washington wie immer unermüdlich damit beschäftigt, mit seinem Team Methoden der Unterwasser-Rettung zu entwickeln. Der hoch engagierte Spezialist nimmt kein Blatt vor den Mund und ist bei seinen Vorgesetzten nicht gerade beliebt. Doch er ist der anerkannte Spezialist in seinem Fach, und so werden er und seine Leute sogleich nach Portsmouth geflogen.

Auf so eine Chance hat Momsen seit Jahren gewartet, die seiner wichtigsten Erfindung, der Rettungs-Tauchglocke, den Durchbruch verschaffen kann. Nun bietet sich ihm die Möglichkeit, die 33 Überlebenden der „Squalus“ zu retten, die auf dem Meeresgrund in Dunkelheit und Kälte verzweifelt aber diszipliniert warten. Auf der Oberfläche beginnt die größte Rettungsaktion der Seefahrtsgeschichte. Eine ganze Flotte steuert die Unglücksstätte an. Behindert von stürmischem Wetter, hohem, unberechenbaren Seegang und einer noch nie im Ernstfall erprobten Technik, entwickelt sich das Unternehmen zu einem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit …

Ende der 60er Jahre erfuhr der Journalist und Schriftsteller Peter Maas zum ersten Mal von „Swede“ Momsen, dem Untergang der „USS Squalus“ und der Rettung ihrer Mannschaft. Dies ist eine Geschichte, die es zu erzählen lohnt; erstaunlich, dass dies bisher nicht geschehen war. Unter den Seeleuten der US-Marine genoss Momsen längst die Achtung, die ihm zukommt, doch in der breiten Öffentlichkeit war die „Squalus“-Katastrophe längst in Vergessenheit geraten. Sie hatte 1939 zwar landesweites Aufsehen erregt, wurde aber vom nur wenige Tage später erfolgenden Ausbruch des II. Weltkriegs rasch aus den Schlagzeilen verdrängt.

Drei Jahrzehnte später musste Peter Maas erfahren, dass auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges erneut niemand an einem längst vergessenen U-Boot-Unglück interessiert war. Er legte seine Aufzeichnungen beiseite und widmete sich anderen Projekten. Los ließ ihn die „Squalus“-Geschichte allerdings nie. Noch einmal dreißig Jahre später holte Maas, inzwischen durch seine Reportagen und Romane zu Welt- und Hollywoodruhm gelangt, sein Manuskript wieder hervor. Inzwischen war ihm nicht nur die Aufmerksamkeit seines Publikums sicher; das Wissen um die Geheimnisse der Tiefsee hatte enorm zugenommen und ermöglichte es ihm, die Ereignisse von 1939 zum Teil völlig neu zu bewerten. Ihren besonderen Wert gewannen natürlich auch jene Interviews, die Maas mit Charles Momsen vor dessen Tod noch hatte führen können.

Das Ergebnis ist ein spannendes Kapitel Seefahrtsgeschichte. Neben die Darstellung der enormen technischen Schwierigkeiten, mit denen die Retter konfrontiert wurden, tritt die Not der in ihrer sich mit Wasser und giftigem Chlorgas füllenden U-Boot-Röhre gefangenen Seeleute, die Entschlossenheit und der Wagemut ihrer Retter, die sich an ihre lebensgefährliche Aufgabe machen, die Angst der Angehörigen, die lange im Unklaren gelassen werden müssen, wer das Unglück überlebt hat und wer nicht.

Maas‘ Bericht über die erste „richtige“ Unterwasser-Rettungsaktion der Geschichte gewann unverhoffte, wenn auch traurige Aktualität durch das in der Barentssee havarierte russische U-Boot „Kursk“. Sämtliche 118 Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben. Vom jämmerlichen Zustand der russischen Marine und der Menschenverachtung ihrer Führung einmal abgesehen, verdeutlicht dieses Unglück, dass sich seit 1939 eines nicht geändert hat: Auch im 21. Jahrhundert kann unter dem Meeresspiegel der erste Fehler leicht der letzte sein!

Gebhardt, Harald / Ludwig, Maria – Von Drachen, Yetis und Vampiren. Fabeltieren auf der Spur

Fabelwesen – seltsame Tiere oder Tiermenschen, die stets genau dort zu finden sind, wohin sich der Mensch normalerweise nicht zu gehen traut. Man „kennt“ sie nur vom Hörensagen, findet seltsame Spuren, stellt sich fantasiereich ihre Erzeuger vor. Manchmal ruft man sie sogar durch die Kraft der eigenen Vorstellung ins Leben. Vor allem im Alltag unserer eher von Mythen als von der Wissenschaft geprägten Vorfahren waren Fabelwesen wichtig: Ihr Wirken half unverstandene und gefürchtete, scheinbar übernatürliche Vorgänge zu „erklären“. Schiffe gehen auf dem Meer verloren? Da müssen Seeschlangen und Riesenkraken ihr Unwesen treiben! Auf einem Berg raucht, brennt und zischt es? Hier wohnt gewiss ein Drache! Im Dorf tobt eine Seuche, während auf dem Friedhof feist & rosig die Toten in ihren Särgen dösen? Holzpflock her, denn Vampire gehen um!

Sie halten sich zäh, die „Fabeltiere im Leben der Menschen“ (S. 9-36); noch in der Gegenwart begleiten sie uns, wobei sich natürlich ein gravierender Bedeutungswandel feststellen lässt, den uns die beiden Verfasser des hier vorgestellten Buches verdeutlichen. Die ältesten Fabelwesen stehen seit Ewigkeiten über uns: Starrt man lange genug in den Nachthimmel, lassen sich Sterne zu Bildern fügen, die in Beziehung zu Legenden und Sagen gesetzt wurden. Da gibt es Sternbilder wie Pegasus, benannt nach dem geflügelten Pferd, den Drachen, das Einhorn und viele andere. Sie alle besaßen große Symbolkraft, was ihnen feste Plätze in der Heilkunst, der Magie und in der Religion sicherte. Auch das Christentum ist keineswegs frei von solchen Wesen. Fabeltiere fanden ihren Platz auf Adels- und Stadtwappen, wo sie von der Stärke der auf diese Weise Ausgezeichneten kündeten. Recht prosaisch schlug man ihr Abbild in Münzen, würdigte sie freilich auch in der Kunst. Malerei und Architektur, Musik, Lyrik und Prosa, später Film und Werbung: Fabeltiere erwiesen sich erstaunlich lebensfähig, auch nachdem ihre rein mythische Natur enthüllt war.

Zu den wichtigsten Fabelwesen überhaupt gehören die „Drachen und ihre Vettern“ (S. 37-61). Sie existieren in verschiedenen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten, im Abendland und im Fernen Osten. Immer sehen sie erstaunlich ähnlich aus. Die Verfasser gehen der Frage nach, ob es reale Vorbilder für den Drachen gibt. Ausführlich stellen sie anschließend die fernöstlichen Drachen vor, die als Weltenschützer, Beschützer und Glücksbringer hoch in Ehren gehalten wurden, während um die Lind- und Tatzelwürmer und Basilisken des Abendlandes besser ein großer Bogen zu schlagen war.

„Klassische Fabelwesen“ (S. 62-114): Die meisten „Prototypen“ bekannter Fabelwesen finden sich in den Sagen des klassischen Altertums. Ob Sphinx, Hydra, Chimära und Zerberus, Phönix, Vogel Rock, Greif, Harpyien, Pegasus, Zentauren und Gorgonen: Sie plagten nach Homer oder Vergil die Menschen des Mittelmeerraums und standen zudem meist im Bunde mit den Göttern, welche keineswegs für ihren Gerechtigkeitssinn bekannt waren. Die Autoren stellen den „Werdegang“ dieser Wesen dar. Außerdem weisen sie darauf hin, dass die Naturwissenschaftler der Neuzeit die alten Fabelwesen „weiterleben“ ließen, indem sie realen, meist bizarr wirkenden Tiere oder Pflanzen ihre Namen gaben. So gibt es die Hydra, den Greif, die Harpyie oder Gorgonen tatsächlich, auch wenn sich dahinter meist harmlose Kreaturen verbergen.

Fabelwesen eher jüngeren Datums sind der Vampir, diverse Affenmenschen wie der Yeti, Bigfoot oder Almasty, der „Neandertaler aus dem Kaukasus“. Hier mischen sich Mystik und „wissenschaftlich“ begründeter Glaube (bzw. die Hoffnung), unbekannten Wesen aus der Urzeit sei es gelungen, sich auf der fast gänzlich erforschten Erde gewisse Nischen zu besetzen und auf diese Weise zu überleben.

Von dieser Theorie profitieren verständlicherweise vor allem die „Fabeltiere der Meere“ (S. 115-156). Sie existieren (vielleicht) dort, wo es in der Tat schwer ist, sie festzunageln. Zwar wurden das Meerpferd oder der Leviathan inzwischen als reines Seegarn entlarvt. Mindestens ebenso seltsame, zum Teil sehr reale Kreaturen sind an ihre Stellen gerückt. Die Verfasser berichten Neues über Haie, Seeschlangen (unter Berücksichtigung des Ungeheuers von Loch Ness), den Riesenkalmar, den Pottwal und über Sirenen (bzw. Seekühe). Jedem Kapitel folgt der Versuch einer Interpretation, wobei sich Fabel und Fakt oft erstaunlich gut trennen lassen, ohne dabei das Mysterium selbst zu beschädigen: Die Wahrheit, die bekanntlich immer irgendwo da draußen ist, wirkt mindestens ebenso faszinierend wie das Mutmaßliche.

„Reale Fabeltiere“ (S. 157-192): Der Kreis schließt sich, wenn wir zu den „echten“ Fabeltieren kommen. Jawohl, es gibt oder gab sie: den Quastenflosser, die neuseeländische Brückenechse, den Komodo-Waran, den Dodo, den riesigen Moa, das Okapi, das vietnamesische Dschungelrind Sao-La oder das Riesenfaultier Mapinguari. (Wobei Letzteres eher die Hoffnung auf eine mögliche Entdeckung symbolisiert: Der Mensch liebt es, Tiere neu zu entdecken, die er früher ausgerottet hat; es entlastet ihn ökologisch und moralisch.)

„Fabelwesen falsch gedeutet“ (S. 193-214): Das abschließende Kapitel macht deutlich, dass im Zusammenhang mit Fabeltieren Glauben oft Wissen bedeutet(e). Zwar verlangt der skeptische Mensch Beweise, aber die lassen sich (erschreckend) leicht finden. Um ein Narwal- oder Panzernashorn lässt sich problemlos ein Einhorn konstruieren, wenn man die eigentlichen Hornträger nicht kennt. Die massiven Schenkelknochen eines Mammuts geben vortreffliche Überreste böser Riesen ab, welche – noch besser! – in der biblischen Sintflut umgekommen sind und sich so zusätzlich als lehrreiche Kirchenpropaganda nutzen lassen. Für den Menschen der Gegenwart einfacher nachvollziehbar ist dagegen ein Irrtum, der den Glauben an vorzeitliche Zyklopen schürte: Wer hätte gedacht, dass es auf den Inseln des Mittelmeers vor gar nicht so langer Zeit Zwergelefanten lebten, deren Schädel sich wunderbar als Zyklopenköpfe deuten ließen?

Der reichhaltige Anhang (S. 215-223) umfasst die verwendete bzw. weiterführende Literatur sowie ein ausführliches Stichwort- und Quellenverzeichnis, mit deren Hilfe man sich sehr gut innerhalb des Buches orientieren kann.

Die „Geheimnisse der Natur“-Reihe des |BLV|-Verlags stellt ihren Lesern bekannte oder weniger bekannte Mythen vor, die auf ihren realen Kern abgeklopft werden. So gibt es Bände über „den Vogel“, „das Meer“, „das Pferd“ oder „den Baum“, die das breite Bedeutungsspektrum belegen, welches scheinbare Alltagsphänomene in der Menschheitsgeschichte einnehmen.

Die einzelnen Themen können aus Platzgründen einerseits überblicksartig und andererseits exemplarisch behandelt werden. Das vorliegende Buch stellt keine Ausnahme dar. Die Inhaltsangabe macht deutlich, welche Rolle Fabelwesen für den Menschen spielten und spielen. Dem Literaturverzeichnis ist zu entnehmen, dass über Kreaturen wie Riesenkraken, Drachen oder Riesen dickleibige Bücher geschrieben wurden. Mit solcher Informationstiefe können Gebhard & Ludwig nicht dienen; es liegt auch gar nicht in ihrer Absicht.

Ihnen ist es wie gesagt wichtig, das Thema in seiner Vielfältigkeit abzuhandeln. Das ist, wie immer, wenn Mythisches ins Spiel kommt, recht kompliziert. Leicht können Nachforschungen darüber, woher die Einhörner wirklich stammen, sehr fachspezifisch und – seien wir ehrlich – trocken ausfallen. Hier seien die Verfasser ausdrücklich für die Allgemeinverständlichkeit gelobt, mit der sie ihre Erkenntnisse unter steter Wahrung der Fakten einem möglichst breiten Publikum nahe bringen. Schließlich galt es zahlreiche, durchaus kontroverse Fachbereiche (Geschichte, Biologie, Archäologie, Psychologie u. a.) unter einen Hut zu bringen. Lobend hervorzuheben ist weiterhin die Gegenüberstellung des einzelnen Fabelmythos‘ mit der Realität. Hilfreich sind auch die zahlreichen, meist farbigen und sehr qualitätvollen Abbildungen, welche die Allgegenwärtigkeit der Fabelwesen nachdrücklich unterstreichen.

Eine gewisse themenspezifische Einseitigkeit sei dem Autorenduo verziehen. Auf sicherem Forschergrund bewegen sie sich, solange sie mythologische Fabelwesen präsentieren. Schwammiger wird es, wenn es um jene Wesen geht, von denen primär in der Folklore ethnisch-geografischer Randgruppen die Rede ist, während handfeste Existenzbeweise fehlen. Hier geraten wir in die Untiefen der Kryptozoologie. Sie ist keine anerkannte Wissenschaft. Ihre Anhänger bedienen sich der Methoden „richtiger“ Forscher, doch es gibt eine Grenze: Die Sehnsucht, diese Welt mit Fabelwesen zu bevölkern, lässt sie die strikte Beweispflicht, die aus Theorien Fakten werden lässt, gern vergessen. Dieser Vorwurf wird mit dem Argument gekontert, die Schulwissenschaft wisse auch nicht alles bzw. urteile zu streng oder sei verbohrt in ihren Ansichten. Das mag im Einzelfall zutreffen. Dennoch bleibt die (nicht immer vermerkte) Tatsache, dass die Argumente wider den Yeti, das Ungeheuer von Loch Ness oder wundersam überlebende Saurier in lauschigen Urwaldseen überzeugender sind als die kryptozoologischen Gegenbeweise: Die Autoren halten es bei aller Objektivität offenkundig mit Fox Mulder selig. („I want to believe!“)

Behält man dies im Hinterkopf, wird – und das zu einem heutzutage fairen Kaufpreis – ein wunderbarer Einstieg in ein (buchstäblich) bezauberndes Thema geboten. Wer sich ihm intensiver widmen möchte, findet in der Literaturliste manche Anregung.

Luciano Mecacci – Der Fall Marilyn Monroe und andere Desaster der Psychoanalyse

Sie gehört noch zu den vergleichsweise jungen Wissenschaften – und nicht wenige Kritiker zweifeln, ob sie sich überhaupt als solche bezeichnen darf: die Psychoanalyse, deren Vertreter davon ausgehen, dass das menschliche Hirn unerfreuliche Erlebnisse und Erfahrungen quasi „verschlüsselt“, um sich so vor größerem Leid zu schützen. Eine ausgiebige Analyse durch den Fachmann soll das Unterbewusste ans Licht bringen und den Betroffenen zur (Selbst-)Erkenntnis befähigen, wodurch seiner Störung oder Krankheit die „Lebensgrundlage“ genommen wird. (Dies ist hier natürlich überaus laienhaft und arg verkürzt ausgedrückt.)

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Lieckfeld, Claus-Peter/Rößiger, Monika – Mythos Meer. Geschichten – Legenden – Tatsachen

Was ist das Meer – und was bedeutet es dem Menschen? Diesen Fragen wird von den Autoren in vier Hauptkapiteln nachgegangen.

„Der blaue Planet“ (S. 8-54): Stolze 71 Prozent der Erdoberfläche bedeckt das Meer und verleiht ihr (neben der atmosphärischen Lichtbrechung) die berühmte blaue Färbung. Kein Wunder, dass Wasser diesen Planeten formt. Drei Ozeane prägen ihn und seine Bewohner, die seit Urzeiten am und vor allem vom Meer leben. Wir lernen die exotischen Nischen unserer feuchten Parallelwelt (Riff, Wellen, Küste, Watt, Eismeer) kennen und erfahren, wie der Mensch sich allmählich vorwagte (Schwimmen, Tauchen, Segeln).

„Die Kreaturen“ (S. 55-146): Das umfangreichste Kapitel beschäftigt sich erwartungsgemäß mit den faszinierenden, wohlschmeckenden und erschreckenden Wesen, die sich knapp über bis weit unter der Meeresoberfläche eingerichtet haben. Haie, Pinguine, Robben, Wale und Delfine gehören dazu, aber auch bizarre Tiefsee-Getüme oder eher halbseidene Wasserbewohner wie die Seeschlange oder der Riesentintenfisch. Unerwartet Interessantes gibt es auch über „Langweiler“ wie den Aal, das Seepferdchen oder die Muschel zu berichten.

„Die Schätze“ (S. 147-176): „Schatz“ ist ein mehrfach interpretierbarer Begriff. Klassisch geht es natürlich um Gold, Edelsteine und andere Kostbarkeiten, die an Punkt A geraubt und zusammengerafft und auf dem Weg nach Punkt B im Meer versanken. Wertvoll sind aber auch die natürlichen Ressourcen der Ozeane – die Fische, ohne welche die Ernährung der Menschheit ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Zu den ökologischen Schätzen des Meeres gehören die Korallen, welche dem Leben unter Wasser eine Basis bieten, die der zerstörungswütige Mensch vernichtet und eine tote, blaue Öde zurücklässt. Schließlich sind da die wissenschaftlichen Werte, die erfasst und ausgewertet buchstäblich Aufschluss über die Entstehung der Arten geben: Galapagos, die Inselgruppe im Pazifik, ist ein riesiges natürliches Versuchslabor.

„Mythen, Märchen und Legenden“ (S. 177-214): Was der Mensch nicht versteht oder fürchtet, das kleidet er (sie natürlich auch) gern in allgemein verständliche Bilder. Die Seeleute der Vergangenheit befuhren eine fremde, oft schrecklich feindselige Welt, die sie von Klabautern, Sirenen und Meerjungfern besiedelt sahen, die nur auf den Unglücklichen lauerten, der einen Fehler beging. So hielt man die Regeln ein und die Augen offen. Grundsätzlich hat sich an diesem Verhalten wenig geändert, wie die Autoren am Bespiel der berühmt-berüchtigten „Bermudadreiecks“ belegen. Atlantis findet selbstverständlich Erwähnung, die biblische Sintflut und andere antike Katastrophen, die als Mythen bis heute überlebten. Zwischendurch tauchen noch die Wikinger auf, die den Unbilden des Meeres mit erstaunlichen Methoden trotzten und so ihrerseits zur Legende wurden.

Mit einem ordentlicher Anhang (Literatur-, Stichwort- und Quellenverzeichnis, Autorenporträt und Bildnachweis), der „Mythos Meer“ als Buch „arbeitstauglich“ macht, klingt die Darstellung aus.

Kunterbuntes aus dem und über das Meer – dieser Titel würde „Mythos Meer“ sicher besser gerecht. Er klänge freilich leicht abwertend, was dieses Buch nicht verdient hätte. Eine grundsätzliche Sammlung aller Fakten war weder möglich noch beabsichtigt. Auch das Rad wurde nicht neu erfunden, wie der Blick ins Literaturverzeichnis beweist: Bereits bekanntes Sachbuchwissen wurde ausgewertet und neu arrangiert.

In Ausschnitten nähern sich die Autoren ihrem Thema. Über die Auswahl lässt sich sicherlich diskutieren – nur bedingt will sich beispielsweise erschließen, wieso das Unterkapitel „Seepferdchen“ volle sieben Seiten umfasst. (Aha, Verfasser Lieckfeld ist auch Mitautor eines Buches namens „Mythos Pferd“; ob das etwas damit zu tun hat …?) Und das Subkapitel „Terra – Meer- oder landgeboren“ gehört eindeutig in den ersten Buchteil.

Doch bei näherer Betrachtung finden wir die meisten Dinge, die wir mit dem Meer in Verbindung bringen, wenigstens angesprochen. Die einzelnen Kapitel lassen sich auch für sich sehr informativ lesen. Dabei wird der Leser vom angenehmen Plauderstil des Textes unterhalten, den man keineswegs mit inhaltsschwachem Geplapper verwechseln darf: Fakten werden klar dargestellt und harter Stoff ist es manchmal, der mit erfreulich klaren Worten allgemeinverständlich aufgerollt wird.

Ein Sonderlob verdienen die Abbildungen. Für „Mythos Meer“ wurde durchgängig schweres Kunstdruckpapier verwendet. Die zahlreichen, oft großformatigen, meist bunten und gut ausgewählten Fotos, Grafiken und Karten sind gestochen scharf. Sie dienen auch nicht dem Zweck, den Text „auf Länge“ zu bringen, sondern bilden ihrerseits zusätzliche „Informationsinseln“. Es sind aufregende, selten oder nie gesehene Aufnahmen darunter, die sichtlich jüngeren Datums sind.

Klaus-Peter Lieckfeld (geb. 1948) ist freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt „Belebte Natur“, schreibt aber auch historische Romane. Monika Rößinger ist Biologin und ebenfalls Wissenschaftsjournalistin in Hamburg.

Richardson, Hazel – Dinosaurier und andere Tiere der Urzeit

3,5 Milliarden Jahre Leben auf dem Planeten Erde, zusammengefasst auf 223 Text- und Bildseiten: Das funktioniert nur mit Hilfe einer klaren, streng durchgehaltenen Strukturierung. „Dinosaurier“ beginnt mit einer Einführung, welche den absoluten Anfang des Lebens umreißt. Dieses ist primitiv, die Kenntnisse sind dürftig, so dass die frühen erdgeschichtlichen Epochen nur summarisch bzw. als Überblick vorgestellt werden.

Ab dem Mesozoikum beginnt es sich im Wasser, auf dem Land und schließlich in der Luft zu tummeln. Mit der Konzentration auf die Wirbeltiere, deren Körper ein Knochengerüst stützt und die Luft atmend sind, präsentiert „Dinosaurier“ im Hauptteil ca. 200 der für ihre Zeitalter wichtigsten Tierarten, die auf der Erde lebten. Das schließt Dinosaurier ebenso ein wie ihre „Nachfolger“, die Säugetiere und Vögel. (Amphibien und Fische, die ebenfalls Wirbeltiere sind, glänzen durch Abwesenheit.) Sie dominieren das Känozoikum, das bis in die geologische Gegenwart reicht.

Über jede Zeitperiode wird auf einer Doppelseite informiert. Klima, Geologie, Vegetation, Tierwelt insgesamt werden charakterisiert. Die „Steckbriefe“ der einzeln vorgestellten Tiere umfassen eine halbe bis zwei Seiten und fassen die Schlüsselinformationen zusammen. Eine fotorealistische, auf aktuellen Forschungsergebnissen fußende Rekonstruktion setzt die Kreaturen der Vorzeit lebensecht ins Bild. Pfeile weisen auf besondere körperliche Beschaffenheiten hin. Eingefügte Fotos echter Fossilien (Knochen, Schädel, Zähne etc.) werden ihnen zum Vergleich gegenübergestellt.

Stets gibt es eine Karte, auf der die wichtigsten Fundstellen von Fossilien des Tiers verzeichnet sind. Eine Schemazeichnung zeigt es im Größenvergleich mit dem Menschen. Größe, Gewicht und Nahrung werden in einer Fußleiste angegeben. Auch eine Kopfleiste gibt es; sie hält den wissenschaftlichen Namen der Tierordnung und der Familie sowie den Zeitraum fest, in dem das jeweilige Tier lebte. Kopf- und Fußleiste sind farbcodiert. Oben lässt sich die jeweilige Zeitperiode erkennen, in der das Tier existierte, unten sein Lebensraum (Land, Wasser oder Luft).

Darüber hinaus gibt es Extra-Doppelseiten, die Tiergattungen zeigen, welche einer besonderen Erwähnung wert sind. Der Text geht über die Standardinformationen hinaus, das Bild zeigt die einzelne Tierform in seiner zeitgenössischen Umgebung. Ein erster Anhang listet mehr als 300 weitere Dinosaurier (und nur Dinosaurier) auf, die im Hauptteil keine Berücksichtigung fanden. Anhang 2 ist ein Glossar, das die reichlich Verwendung findenden naturwissenschaftlichen Fachausdrücke „übersetzt“. Ein Register, mit sich das Buch erschließen lässt, fehlt selbstverständlich auch nicht.

Das Buch weist eine solide Fadenheftung auf, das Cover ist indes flexibel: Auch in Gestalt und Format gibt sich „Dinosaurier“ als „Bestimmungsbuch“, ideal für den interessierten Tierbeobachter, der damit den abgebildeten Wesen in der freien Natur nachpirscht, was sich hier freilich als frustrierendes Vorhaben herausstellen könnte …

Oh ja, sie haben sich schon sehr verwandelt, die „Tierbücher“, mit denen Ihr Rezensent groß geworden ist! Auch damals – die exakte erdgeschichtliche Epoche bleibt besser verschwiegen – galten Bücher über Dinosaurier schon als Renner. Ihre Wirkung mussten sie jedoch als vergleichsweise primitiv wirkende Zeichnungen entfalten, die nicht selten sogar schwarzweiß ausgeführt waren. Im Vergleich mit den modernen, fotorealistischen, digital bearbeiteten Rekonstruktionen wirken diese altehrwürdigen Abbildungen wie Höhlenzeichnungen. Dass sie ihre Wirkung dennoch nicht verfehlten, spricht für die Faszination des Dinosaurier-Themas.

So wird auch dieses sich arg trocken lesende Werk seine Leser finden. Wie ich aus eigener Beobachtung weiß, finden beispielsweise Kinder die enzyklopädische Auflistung möglichst vieler Donnerechsen fabelhaft. Sie schätzen die kurzen Texte, deren Informationen sie förmlich aufsaugen, und lieben die Bilder. Das geht uns anspruchsvoll gewordenen Erwachsenen genauso. In einer Zeit, da die Tricktechnik völlig überzeugende Urweltlandschaft samt Bewohnerschaft erstehen lassen kann, werden dem Zuschauer oder Leser grandiose Rekonstruktionen geboten. Besonders die „Sonder-Doppelseiten“, auf denen die Urzeittiere in ihre Umwelt integriert werden, sind von enormer Suggestionskraft. Ob diese „Fotos nach dem Leben“ eine Wirklichkeit vorgaukeln, die spätere Forschergenerationen ganz oder teilweise revidieren müssen, steht auf einem anderen Blatt und soll hier undiskutiert bleiben.

Wegen seiner fragmentarisch anmutenden Struktur kann „Dinosaurier“ an jeder beliebigen Stelle aufgeschlagen und gelesen werden. Andererseits ist es durchaus möglich, sich von der ersten zur letzten Seite durchzuarbeiten. Es gibt einen roten Faden, den Erdgeschichte und Evolution vorgeben. Die Konzentration aufs Wesentliche bedingt komprimierte Texte, die sich alles andere als spannend lesen. Informativ sind sie auf jeden Fall und sollen sie sein – diese Entscheidung gegen das heute so beliebte „Infotainment“, die oftmals mit einer freiwilligen Beschränkung auf das angebliche Typische, vor allem Spektakuläre einhergeht, kann nur begrüßt werden.

Noch ein Pluspunkt: Trotz der guten Ausstattung und der Vielzahl fast ausschließlich farbig wiedergegebener Abbildungen ist der Preis für „Dinosaurier“ erfreulich moderat. Da nimmt man in Kauf, dass einige Bilder nicht wirklich „kommen“, weil sie doch ein größeres Format benötigten. Manchmal muss man sich auf briefmarkengroße Motive konzentrieren, die davon ganz sicher nicht profitieren. Allzu intensiv vermittelt sich darüber hinaus oft der Eindruck drangvoller Enge. So viele Abbildungen werden gezeigt, dass der Raum für Text darunter leidet. Besonders die vom Hintergrund freigestellten Saurier- und Säugerrekonstruktionen bohren sich förmlich in die Textblöcke, die dann abenteuerlich flatternde Ränder aufweisen. Bedenkt man den ohnehin klein gewählten Schriftgrad, so müssen die Leseraugen ordentliche Leistungen erbringen …

Dennoch überwiegen die Vorteile, die „Dinosaurier“ zu einem kompakten, handlichen Buch machen, das aktuell und zeitgemäß sein Thema angeht und deshalb weiterempfohlen werden kann und gern wird.

Lothar Seiwert – Die Bären-Strategie: In der Ruhe liegt die Kraft

In der heutigen Arbeitswelt zählt jede Minute und auch in der Freizeit setzt sich der Stress fort. So haben die meisten Menschen das Gefühl, mit ihrer Zeit nicht auszukommen und wünschen sich am besten jeden Tag 25 Stunden. Dabei ist Zeitmanagement eigentlich gar nicht so schwer, die Bären machen es uns vor. Denn in der Ruhe liegt die Kraft und genau diese Arbeitspausen sind es, die unsere Arbeit effektiver gestalten. Nun müssen wir nur noch etwas mehr Bär in unseren Alltag bekommen …

Gestatten, mein Name ist Bär

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Richard Panek – Das Auge Gottes. Das Teleskop und die lange Entdeckung der Unendlichkeit

Panek Auge Gottes Cover 2004 kleinDas Teleskop sorgte ab 1609 nicht nur für den Blick in die Ferne, sondern setzte auch eine durch Wissen untermauerte und nicht mehr einzudämmernde Entwicklung in Gang, die ein durch die Religion verkrustetes Weltbild durch wissenschaftliche Realität ersetzte … – Dieser dramatische Prozess wird ebenso knapp wie kundig von einem Wissenschaftsjournalisten geschildert. Das scheinbar trockene Thema wird zu einem lebendigen Panorama realer Geschichte: ein Sachbuch mit Vorbildcharakter!

Kleines Rohr mit großer Wirkung

Früher war zwar keineswegs alles besser. Trotzdem ging es in jenen Momenten, in denen Weltgeschichte geschrieben wurde, ein wenig geruhsamer zu. In einer zwar kalten aber klaren Novembernacht des Jahres 1609 war es keine atomspaltende Hightech-Höllenmaschine, die das Universum aus den Angeln hob, sondern eine scheinbar simple Röhre aus Metall, in der zwei Stückchen Glas steckten. Nachdem man diese durch sorgfältiges Schleifen in Linsenform gebracht und in einem gewissen Abstand voneinander innerhalb besagter Röhre befestigt hatte, war ein Instrument entstanden, für das sich alsbald die Bezeichnung „Teleskop“ einbürgerte. „Fern-Sehen” im buchstäblichen Sinne war es, das dem Menschen plötzlich möglich wurde – der Blick auf weit Entferntes, das bisher verborgen und Objekt der Spekulation und des Rätselratens geblieben war.

Dabei galt es zu unterscheiden zwischen dem ‚gewöhnlichen‘ Fernrohr und dem Teleskop. Während ersteres in der Seefahrt oder im Krieg als nützliches Werkzeug sogleich begeistert angenommen und eingesetzt wurde, erschloss sich der Sinn des Teleskops lange Zeit nur einem kleinen Kreis wissenschaftlich interessierter und ausgebildeter Spezialisten. So stark vergrößerten nämlich schon die ersten Teleskope, dass sie für den einfachen Blick in die irdische Nachbarschaft eigentlich unbrauchbar waren. Da der Mensch von Natur neugierig bzw. an seiner Umwelt interessiert ist, war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Forscher auf den Gedanken kam, sein Teleskop gen Himmel zu richten.

Auf einen Schlag wurde alles anders. Seit vielen Jahrtausenden beschäftigt sich der Mensch mit den seltsamen Lichtern, die er besonders des Nachts hoch droben am Firmament stehen sieht. Weil er schon immer Ungewissheit hasst und das Spekulieren liebt, bemüht er sich sehr jeher, den Himmel in sein Weltbild zu integrieren. Im christlichen Abendland der frühen Neuzeit war man zufrieden mit dem, was man schon seit der Antike ‚wusste‘: Das Universum war die von Gott als Höhepunkt der Schöpfung geschaffene Erde im und als Zentrum, umkreist von der Sonne, dem Mond und vielen Sternen, von denen man nur wusste, dass sie offenbar klein, kalt und weit entfernt ihre Bahnen zogen und des Nachts dem Reisenden zur Orientierung dienen konnten. So hatte der HERR es eingerichtet, so stand es in der Bibel vermerkt. Kirche, Könige & wer sonst das Sagen hatte auf Erden, war damit zufrieden und achtete darauf, dass diese Welt geozentrisch blieb. Dem Skeptiker musste genügen, dass sich das Establishment inzwischen immerhin dazu bequemt hatte, die Kugelgestalt der Erde als Tatsache anzunehmen.

Jenseits beruhigend überschaubarer Grenzen

Buchstäblich über Nacht war es vorbei mit dem Frieden. Zwar hatte Galileo Galilei (1564-1642), Naturwissenschaftler in der italienischen Universitätsstadt Padua, das Teleskop nicht erfunden. Auch war er nicht der Erste, der damit den Himmel betrachtete. Aber er gehörte zu jenen raren Menschen, denen es in die Wiege gelegt wird, Grenzen zu sprengen und hinter die Kulissen zu blicken. In der eingangs erwähnten Novembernacht schaute deshalb ein Mensch in die Sterne, der nicht nur das Teleskop unter Berücksichtigung bisher wenig bekannter physikalischer Prinzipien entscheidend verbessert hatte, der nicht nur sah und staunte, sondern begriff, was sich in unglaublicher Ferne abspielte. Er war der richtige Mann am richtigen Ort zur richtigen Zeit. In kürzester Zeit entdeckte, erkannte und beschrieb Galilei neue und fremde Welten, schied Planeten von Sternen, identifizierte Monde und begriff die Milchstraße als Ansammlung unendlich vieler Sterne.

Immer neue Sterne fanden Galilei und jene, die es ihm in der nächtlichen Himmelsbeobachtung nachtaten. Das alte Weltbild stürzte ein, als die Erde als Planet und die Sonne als Stern unter Sternen erkannt wurde. Die Einmaligkeit des geozentrischen Sonnensystems konnte nicht länger gehalten werden. Die neuen Erkenntnisse ließen sich nicht in Einklang mit dem biblischen Weltbild bringen. Das war fatal für die Forscher einer Zeit, in der Naturwissenschaftler immer auch Philosophen waren, die ihr Wissen als Teil der von Gott gegebenen Weltordnung betrachteten. Auch Galilei war kein Rebell im Namen der Wissenschaft. Lange Zeit bemühte er sich, seine Beobachtungen ins Gebäude der traditionellen Lehre zu integrieren. Allerdings war dies irgendwann einfach nicht mehr möglich: Was Galilei sah, sprach eine andere Sprache als das, was er zu sehen erwartete und auch sehen sollte. Dies war endgültig der Startschuss zur wissenschaftlichen Revolution, in der er wider Willen eine so prominente Rolle einnehmen würde.

Wissen ist Macht. Kein Wunder, dass es die Diktatoren und selbst ernannten Führer der Geschichte stets sorgfältig unter Verschluss ge- und dem Volk vorenthalten haben. Das Teleskop hat das politische und geistliche Establishment jedoch schlicht überrascht. Es schien nur eine Spielerei zu sein, aber es war tatsächlich das Auge Gottes: Der Mensch konnte ins All blicken, begriff dessen unendliche Weite und wurde sich der eigenen Nichtigkeit bewusst. Vorbei war es mit der eigenen Größe; nicht einmal im eigenen Planetensystem war man mehr Herr im Haus, denn das Teleskop brachte es bald an den Tag, dass sich die Sonne beileibe nicht um die Erde drehte. Stattdessen war es umgekehrt und der Mensch abermals eine Stufe des universellen Throns hinabgepurzelt.

Zäher Kampf um wahre Erkenntnisse

Diese Revolution verlief bekanntlich nicht friedlich. Galileis Schicksal dokumentiert nur eines von vielen Gefechten in diesem Krieg der Weltanschauungen, den die Wahrheit schließlich für sich entscheiden konnte. Wieder trug das Teleskop seinen Teil dazu bei. Wer Augen hatte zu sehen, konnte sich selbst davon überzeugen, dass die ketzerischen Astronomen in der Tat Recht hatten, während die von ihren Gegnern düster prophezeite Anarchie ausblieb. So trugen sie schließlich den Sieg davon und stiegen sogar in eine eigene Forscher-Elite auf: Der nächtliche Sternengucker an seinem Teleskop wurde zum Idol der Massen, die begierig auf neue Sensationen aus dem nahen und fernen All warteten.

Friedrich Wilhelm Herschel (1738-1822), geboren in Hannover aber schon in jungen Jahren nach England emigriert, erntete die Früchte, die Galilei und andere Pioniere gesät hatten. Ihm gelang eine Bilderbuch-Karriere, er wurde in den Adelsstand erhoben und mit Ehren überhäuft. Das Wissen an sich stand nun im Vordergrund; Streit und Kämpfe fanden höchstens in den eigenen Reihen statt, denn auch Forscher sind nur Menschen, die um des Ruhms, der Eitelkeit und des Geldes willen raufen. Das Fundament für das Haus des astronomischen Wissens aber war gelegt, und unter seinem Dach stand das Teleskop, das in den Jahrhunderten nach Galilei imposante Ausmaße angenommen hatte und entsprechend tiefere Einblicke ermöglichte.

Herschel steht für die nächste Stufe der Himmelsforschung: Neben die Suche nach dem Neuen trat die quantitative Auswertung des inzwischen Bekannten. Herschels systematische, sich über Jahrzehnte hinziehende Kartierung des Sternenhimmels ließ einen Sternenkatalog oder Atlas entstehen, der Ordnung in das galaktische Chaos brachte. Der Mensch konnte den Weltraum zwar noch immer nicht bereisen, aber er verirrte sich nunmehr nicht mehr darin, wenn er ihn von der Erde aus musterte – bis sich herausstellte, dass er nur einen mikroskopisch kleinen Teil des Gesamtgefüges kannte. Aktuelle Schätzungen gehen von einem Universum mit 100 Milliarden Galaxien aus, die ihrerseits aus vielen Milliarden Sternen bestehen, um die wiederum Planeten, Monde u. a. Himmelskörper kreisen.

Rekonstruktion des nur scheinbar Selbstverständlichen

Galilei, Herschel, Isaac Newton und anderen Helden der Forschungsgeschichte setzt Richard Panek, Wissenschaftsjournalist für das „New York Times Magazine“ u. a. Zeitschriften ein Denkmal. Der wahre ‚Held‘ ist allerdings jenes Gebilde aus Metall und gläsernen Linsen (später Spiegeln, Parabol- und Deflektor-Antennen etc.), das den Quantensprung des menschlichen Geistes ermöglichte. Eine „Ode an das Teleskop“ nannte die „Berliner Morgenpost“ Paneks Werk (in der Ausgabe vom 11. Oktober 2001).

Wer meint, Sachbücher über ein recht dröges Thema müssten zwangsläufig trocken und langweilig zu lesen sein, wird hier eindrucksvoll eines Besseren belehrt. Panek weiß genau, wie er sein Publikum ködern muss. Virtuos verquirlt er vorzüglich recherchiertes Wissen mit klug ausgewählten historischen Anekdoten zu einem fabelhaft geschriebenen (und übersetzten) Sachbuch. „Gegen den Frost rieb er [F. W. Herschel] sich mit rohen Zwiebeln ein, während sein Atem am Teleskop und die Tinte im Faß gefror …“: Das waren noch Zeiten! Bemerkenswert ist auch die Geschichte des Teleskop-Veteranen George Ellery Hale, der sich in Zeiten übergroßen Forscherstresses von einer Elfe beraten ließ.

Da ist kein Wort zu viel, wird nie der gefürchtete pädagogische Zeigefinger sichtbar, fehlt völlig die erbauliche Verklärung einsam-entschlossener Heroen der Wissenschaft, mit der hierzulande die lesende Jugend gar zu vieler Jahrzehnte für dumm verkauft wurde. Galilei war eben nicht der Cary Cooper der Forschung, der von der bösen Kirche 12 Uhr mittags in die Kerker der Inquisition geworfen werden sollte. Die geistige Revolution der frühen Neuzeit fand auf einem ganz anderen Niveau statt. Sie zu veranschaulichen ist keine leichte Aufgabe, denn die Prozesse, die dabei abliefen, waren höchst komplex, Aber Panek schafft es mit Leichtigkeit und bereichert das gar nicht so breite Spektrum von Sachbüchern, die man gern liest, weil sie ebenso kompetent wie leicht verständlich – den echten Fachmann erkennt man daran, dass er sich nicht hinter Fachausdrücken & Zitaten verstecken muss – die Welt als Wundertüte der Natur schildern und jene, die wissen wollen, wie sie denn tickt, in ihren Bann ziehen.

Taschenbuch: 197 Seiten
Originaltitel: Seeing and Believing – How the Telescope Opened Our Eyes and Mind to the Heavens (London : Penguin 1998)
Übersetzung: Dieter Zimmer
http://www.dtv.de

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (8 Stimmen, Durchschnitt: 1,50 von 5)

Cadbury, Deborah – Dinosaurierjäger. Der Wettlauf um die Erforschung der prähistorischen Welt

Lyme Regis, ein kleines Städtchen an der Südküste Englands (Grafschaft Dorset), zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Wie praktisch an jedem Tag ihres an Mühen und Nöten reichen, aber ansonsten bitter armen Lebens durchstreift die junge Handwerkertochter Mary Armstrong die Kalk- und Schieferklippen, die sich über der Stadt erheben. Dort findet sie manchmal eingebettet im Gestein merkwürdige Abdrücke, „Fossilien“ genannt, die an Muscheln oder Schnecken erinnern, sowie versteinerte Knochen wesentlich größerer Kreaturen. Die Touristen schätzen solche Kuriositäten und zahlen dafür, worin sich Marys Interesse an besagten Fossilien zunächst erschöpft.

An einem (leider historisch nicht genau einzugrenzenden) Tag des Jahres 1811 zieht Mary (scheinbar) nicht nur das große Los, sondern gibt gleichzeitig den Startschuss zur Entstehung eines neuen Zweigs der Naturforschung: Im Gesteinsschutt oben erwähnter Klippe entdeckt sie das perfekt erhaltene Skelett einer bizarren Kreatur, die man später zutreffend als „Fischechse“ (Ichthyosaurus) bezeichnen wird.

Bis es so weit ist, werden aber einige Jahre ins Land gehen, denn noch gibt es keine Wissenschaft, die sich mit der Erdgeschichte beschäftigt. Kein Wunder, denn es gilt als der Weisheit letzter Schluss, was im biblischen Buch Genesis geschrieben steht: Gott schuf die Welt in sieben Tagen mit allen ihren Bewohnern – und Punkt: Was damals aus dem Urschlamm geknetet wurde, kreucht & fleucht auch heute unverändert umher; Ausfälle lassen sich höchstens durch die Sintflut erklären, die einiges sündhafte Getier vom Erdboden tilgte.

Wehe dem Frevler, der es wagt, am biblischen Wort zu rühren! In Oxford oder Cambridge und an den übrigen Universitäten Großbritanniens gehören die Dekane stets der mächtigen anglikanischen Kirche an. Auch der Naturwissenschaftler William Buckland sieht sich als Geistlicher Zeit seines Lebens in der verzwickten Lage, die „Untergrundkunde“ oder Geologie, die er in seinem Heimatland quasi gründet, mit der Bibel in Einklang zu bringen; ein elendes Unterfangen, das die junge Wissenschaft immer wieder auf ein totes Gleis zu zwingen droht, während die immer zahlreicheren Funde eine ganz andere Sprache sprechen.

Da haben es die Franzosen besser. Selbstbewusst schüttelt Napoleon die geistigen Fesseln der Kirche ab. Zwar schmachtet er schon wenig später im Inselexil von St. Helena, aber die Saat ist aufgegangen: In Paris feiert die Naturwissenschaft Triumphe. Der große Georges Cuvier, eine auch auf den britischen Inseln bald anerkannte Koryphäe, akzeptiert die Beweise für eine Welt, die nicht nur weitaus älter ist als man sich das bisher vorstellen mochte, sondern auch bevölkert wurde von Wesen, die es heute nicht mehr gibt.

In Lewes, einer kleinen Stadt im ländlichen Sussex, steht derweil der Schuhmachersohn Gideon Mantell in den wissenschaftlichen Startlöchern. Ein gutes Stück abseits der akademischen Zentren Englands wird er zwar von der Gelehrtenwelt lange schnöde mit Missachtung gestraft, kann sich aber andererseits autodidaktisch zu einem echten Fachmann der Geologie heranbilden, ohne dass ihm die argwöhnische Kirche Knüppel zwischen die Beine wirft. Die Kreidefelsen der South Downs stellen eine unerschöpfliche Fundgrube für Fossilien dar, so dass sich die Beweise für eine urzeitliche Welt schließlich nicht mehr unterdrücken lassen. Womöglich belegen die versteinerten Überreste noch eine weitere ketzerische Theorie: Die „Evolutionisten“ behaupten, dass Lebewesen sich im Laufe langer Zeiträume verändern, wobei – Schock! – Gottes lenkender (oder strafender) Arm nicht zwangsläufig vonnöten sei.

Der arme Buckland ist zwar ein Freigeist (und Exzentriker, der seinen Hausgästen gern gebutterte Mäuse auf Toast kredenzt und einen echten Bären hält, den er bei akademischen Feierlichkeiten als Student verkleidet auftreten lässt), aber kein Rebell. Immer schwerer fällt es ihm, Wissenschaft und Religion in Einklang zu bringen, ohne seine geistlichen Gönner vor den Kopf zu stoßen. Doch obwohl die Fossilienforschung nun in ihre zweite Phase eintritt, kann sie sich weiterhin nicht von der biblischen Schöpfungsgeschichte lösen.

1825 betritt der Mann die Szene, der frischen, aber auch fauligen Wind in die Naturwissenschaft bringen wird: Richard Owen ist kein Geologe, sondern Anatom. Er geht bei seinen Untersuchungen von einem anderen Ansatz aus und kann sich außerdem auf die Grundlagenforschung seiner Vorgänger stützen. Diesen Vorgang gilt es mit Bedacht zu erwähnen, denn Owen ist nicht nur ein brillanter Geist, der maßgeblich die „normale“ Geologie um die eigentliche Paläontologie erweitert, sondern auch ein skrupelloser Karrierist. Aus einfachen Verhältnissen stammend, eignet er sich neben einem bemerkenswerten Fachwissen auch die Fähigkeit an, den Reichen und Mächtigen zu gefallen. Das lässt ihn ganz nach oben kommen und geht einher mit dem systematischen „Abschuss“ aller, die ihm auf seinem Weg in den Olymp der Naturwissenschaftler hinderlich oder gar gefährlich werden könnten. Jedes Mittel ist dem jungen Aufsteiger recht, der auch vor übler Nachrede, bewusstem Missbrauch der ihm verliehenen Vorrechte und offener Manipulation keineswegs zurückschreckt.

Erst sind es nur direkte Konkurrenten, die Owen zum Opfer fallen, aber bald wagt er sich auch an kapitaleres Gelehrtenwild. Der ebenfalls ehrgeizige, aber grundehrliche Gideon Mantell hat sich in langen, entbehrungsreichen Jahren zu einem der führenden und auch in London den wissenschaftlichen Ton angebenden Fossilkundlern entwickelt. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit ihm; während Owen Stein für Stein das Fundament seiner Karriere setzt und dabei ebenso mächtig wie angesehen und vor allem reich wird, erleidet Mantell Schiffbruch. Sein Traum vom eigenen Fossilienmuseum endet im Ruin, seine Frau verlässt ihn, ein schwerer Unfall macht ihn zum Krüppel, eine unheilbare Krankheit verurteilt ihn zu Depression und elendem Siechtum. Mit eisernem Willen setzt er seine wissenschaftliche Arbeit fort – und kommt dabei ohne bösen Willen Richard Owen in die Quere. Dieser bedient virtuos die Instrumente der Macht und setzt erbarmungslos alles daran, den geschwächten Konkurrenten nicht nur zu verdrängen, sondern vorsichtshalber zu vernichten. Der unglückliche Mantell gehört anders als Owen nicht zu „den Jungs“ und beherrscht die Regeln dieses Spiels nicht. Allzu lange bleibt ihm unklar, dass Talent, Fleiß und Erfahrung längst nicht die wichtigsten Stützpfeiler einer Karriere sind. Auch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sind Verbindungen alles, und der Rest ist PR in eigener Sache. Auch hier legt Owen echtes Naturtalent an den Tag und lädt gebauchpinselte Sponsoren und potenzielle Gönner schon einmal pressewirksam zum Dinner in der Bauchhöhle eines lebensgroßen Saurier-Modells ein.

Bald beherrscht Richard Owen unangefochten die britische Paläontologen-Szene. Auch auf dem Kontinent hat er sich ein Netzwerk von Verbündeten und einen ihm ergebenen Hofstaat geschaffen. Der Wunsch nach wissenschaftlicher Allmacht und Unsterblichkeit treibt ihn zum Äußersten: Owen errichtet ein akademisches Terrorregime, das der forschenden Konkurrenz praktisch eigene Aktivitäten verbietet. Außerdem beginnt er, die Erfolge von Kollegen zu unterdrücken oder gar für sich zu beanspruchen. Für den unglücklichen Mantell ist der Tag der endgültigen Niederlage gekommen, als nicht er, der als verlachter und ignorierter Pionier in aufopferungsvoller Kleinarbeit die Skelette prähistorischer Riesen-Reptilien geborgen und beschrieben hat, diesen ihren Namen geben darf, sondern Owen: „Dinosaurier“ – Schreckensechsen – lautet seit 1841 der nun, da dieses traurige Kapitel der Paläontologie allmählich bekannt wird, recht doppeldeutige Ordnungsname.

Die Rechnung geht auf: Schon lange bevor Gideon Mantell 1852 starb, war er, der sich nicht mehr wehren konnte, fachlich ins Abseits gedrängt, während der robuste Richard Owen als hell strahlender, aber einsamer Stern alles überstrahlte. Mit zunehmendem Alter nahmen seine intellektuellen Fähigkeiten ab, während sein politisches Geschick ungebrochen blieb. Kühne Genialität und wissenschaftliche Klarsicht wurde erst durch Cäsaren- und dann durch Verfolgungswahn ersetzt. Owen schadete der Naturwissenschaft letztlich so, wie er sie in jungen Jahren zu ihrem Nutzen geprägt hatte – eine tragische, vor allem aber düstere Geschichte, die lange unter den Teppich gekehrt wurde, denn die unheilvollen Folgen der Owen-Ära sollten die britische Paläontologie noch lange begleiten.

Dass heute dieser Schleier auch vor den Augen des Laien, dessen Kenntnisse in Sachen Dinosaurier sich auf den Besuch der drei „Jurassic Park“-Kinofilme beschränken, fortgerissen wird, verdanken wir der englischen Wissenschafts-Journalistin Deborah Cadbury. In guter alter, im MTV- und Privat-TV-Zeitalter fast schon vergessen geglaubter BBC-Tradition und Güte präsentiert sie eine Geschichte, die nur den absoluten Ignoranten kalt lassen dürfte. Wissen ist immer faszinierend, wenn es denn nicht nur papageienhaft nachgeplappert, sondern strukturiert und fesselnd vorgetragen wird. Wo sich in diesem Punkt die Spreu vom Weizen trennt, markiert Cadbury mit dem vorliegenden Werk, das im angelsächsischen Sprachraum nicht ohne Grund zum Bestseller avanciert ist.

Ohne Furcht vor staubigem Kalk und alten Knochen steigt Cadbury hinab in die Gewölbe der Forschungsgeschichte – und recherchiert nicht nur fesselnd den dornenreichen Weg zu der Erkenntnis, wie die Welt und ihre Bewohner wurden, was sie heute sind, sondern auch einen echten Krimi um Betrug, Intrige und (Ruf-)Mord in einem Umfeld, das gewöhnlich nicht mit solchen Untaten in Zusammenhang gebracht wird. Die Wissenschaft bzw. jene, die sich ihr widmen, gelten als hehre Geister, die im Dienst ihrer Sache dem kleinlichen Hader des normalsterblichen Alltags weit enthoben sind. Wer einmal selbst in der Forschung tätig war, kann über diese Haltung freilich nur laut oder müde (je nachdem ob mehr Owen oder mehr Mantell) lachen. Forscher sind auch nur Menschen, und vielleicht trifft dieser Spruch sogar noch mittiger ins Schwarze, da im akademischen Elfenbeinturm über dem hamsterhaften Sammeln von Wissen die Entwicklung sozialer Kompetenzen nicht selten zu kurz kommt. Der Fall Richard Owen – und das ist er tatsächlich – ist ein Paradebeispiel für die Pervertierung von Privilegien, für Vetternwirtschaft und das Versagen jener Selbstregelmechanismen, die in der Wissenschaft angeblich die Wahrheit immer ans Licht kommen lassen. Das ist mitnichten so, und dies nachzulesen ist deprimierend, aber höllisch spannend, weil Cadbury ihren Stoff so fabelhaft im Griff hat. Wenn man im Jahr nur ein Sachbuch liest, gehört dieser Band auf die Liste der möglichen Kandidaten!

p. s.: Noch eine weitere Lektion über die Ungerechtigkeit gefällig? Im Jahr 1847 starb in Lyme Regis Mary Armstrong. Vier Jahrzehnte hatte sie Wind und Wetter getrotzt, war in den Kalkklippen umhergeturnt, hatte mit der Findigkeit des echten Entdeckers wunderbare Fossilien zum Vorschein gebracht und sich selbst zu einer versierten Expertin ausgebildet. Und doch starb sie als arme Frau, deren Verdienste zu würdigen nie einer der hohen Herren und Sammler ihres Landes für nötig fand, eine bittere Ungerechtigkeit, die ihr sehr wohl bewusst war und die ihr die späten Jahre vergällte.

Ballard, Robert D. / Archbold, Rick – Entdeckung der Bismarck, Die

Sie galt als der Stolz der Reichsmarine, 260 Meter lang, 32 Meter breit. Ein Ehrfurcht gebietender Stahlkoloss, gepanzert mit dreizehn Zentimeter starken Platten, ausgerüstet mit vier Waffentürmen zu je zweimal 380-mm-Geschützen, auch die „mittlere Artillerie“ entsprach in ihrem Kaliber in etwa dem, was auf anderen Schiffen großteils schon als Hauptbewaffnung galt. Ein Monstrum, gebaut und vom Stapel gelaufen zu nur einem Zweck: Tod und Vernichtung zu speien – vorzugsweise auf den Handelsrouten der Briten, um England im zweiten Weltkrieg auszuhungern. Die Rede ist von Deutschlands damaligem Prestige-Schlachtschiff „Bismarck“. Ihre einzige Fahrt der Operation „Rheinübung“ sollte gleichzeitig ihre letzte sein.

Auch ihr Schwesterschiff „Tirpitz“ stand unter keinem guten Stern und liegt heute – versenkt von Flugzeugen und Kleinst-U-Booten – im skandinavischen Osta-Fjord. Mit dem Verlust der Titanen fror Hitlerdeutschland den Bau weiterer Superschlachtschiffe ein, deren Ära eigentlich schon längst mit Erfindung des trägergestützten Flugzeugs ohnehin obsolet geworden war. Die alliierte Hetzjagd auf die |Bismarck| ist legendär und sie endete mit ihrer Versenkung im Ostatlantik. Der umtriebige Meeresgeologe Robert D. Ballard machte sich in den Achtzigern auf die Suche nach dem berühmtesten deutschen Wrack.

_Historisches_

19. Mai 1941 – Die |Bismarck| und ihr Begleitschiff |Prinz Eugen| versuchen in einer Nacht-und-Nebelaktion, unbemerkt von ihrem Stützpunkt im norwegischen Grimstadfjord zu ihrem Einsatzort im Atlantik zu gelangen. Operation „Rheinübung“ hat begonnen. Kurz zuvor wird das Kommando vom erfahrenen und besonnen Kapitän Lindemann an den bärbeißigen und großkotzigen Admiral Lütjens übertragen. Der wohl erste fatale Fehler in diesem Einsatz überhaupt. Zu ihrem weiteren Unglück bemerkt eine Aufklärungs-Spitfire der britischen Admiralität zufällig und trotz dichter Bewölkung die Kampfgruppe bei Bergen am Nachmittag des 22. Mai. In London schrillen verständlicherweise die Alarmsirenen: Die Hunnen haben ihr Monster tatsächlich von der Kette gelassen und es ist klar, dass es über Scapa Flow und die Dänemark-Straße (bei Grönland) durchzubrechen versucht.

24. Mai 1941 – Die Kreuzer |Suffolk| und |Norfolk| halten Fühlung mit dem Gegner, das gefürchtete Schlachtschiff |Hood| – der Nationalstolz der Briten – und sein Pfadfinder, die neue (und sehr unerprobte) |Prince of Wales|, preschen heran, um die deutsche Kampfgruppe zu stellen, nehmen aber versehentlich zuerst das Führungsschiff – die |Prinz Eugen| – statt des Hauptgegners |Bismarck| am frühen Morgen aufs Korn. Diese bleibt wie durch ein Wunder jedoch fast unbeschädigt. Nach sechs Minuten des Distanzgefechts erzielt eine Salve der |Bismarck| auf der |Hood| einen schweren Treffer, der das Schiff innerhalb von Sekunden auseinanderreißt und versenkt.

Doch auch die |Bismarck| kommt nicht ungeschoren davon. Nachdem die britischen Schiffe ihren Irrtum bemerken, können sie einige Treffer landen, die sie auf etwa 28 Knoten verlangsamen und ihren Treibstoffvorrat drastisch reduzieren. Der Einsatz des britischen Flugzeugträgers |Victorious| verläuft wie das Hornberger Schießen: Weder gelingt es den Briten, einen „Aal“ ins Ziel zu bringen, noch schafft es das frenetische Abwehrfeuer der |Bismarck|, einen der zerbrechlichen Flieger herunterzuholen. Pattsituation einstweilen. Die |Bismarck| ermöglicht durch eine Finte das Entkommen der |Prinz Eugen|.

25. und 26. Mai 1941 – Die britische Admiralität detachiert starke Kampfverbände, um die waidwunde |Bismarck| endgültig zu versenken, auch die britischen Träger |Ark Royal| und |Victorious| sind mit von der Partie, zudem das neue Flaggschiff |King George V| sowie kleinere Einheiten der Homefleet – genannt „Force-H“. Zwischendurch verliert man die Fühlung zu beiden Deutschen, doch Gevatter Zufall schlägt ein weiteres Mal zu: Ein Catalina-Flugboot der Coastal Guards spürt die beiden Schiffe auf, wird vom erbitterten Flak-Feuer zwar erwischt, jedoch nicht abgeschossen.

Die |Ark Royal|, der zweite Flugzeugträger im Operationsgebiet, entsendet ihre Doppeldecker des Typs Swordfish, diese sind je mit einem einzelnen Torpedo ausgerüstet. Die ersten Angriffswellen schlagen fehl, doch ein einziger Aal trifft die |Bismarck| an ihrer empfindlichste Stelle: dem Ruder. Es verkeilt sich und der ohnehin angeschlagene Titan kann nur noch im Kreis fahren – ganz wehrlos ist er deswegen noch nicht. Durch die Biskaya zu kommen und den rettenden Hafen von Brest zu erreichen, scheint immer unwahrscheinlicher.

27. Mai 1941 – Am frühen Morgen sichten das Großkampfschiff |King George V| und sein schwerer Begleit-Kreuzer |Rodney| dank des Fühlungshalters |Norfolk| die |Bismarck| und preschen heran. Das Gefecht startet auf 25 Seemeilen Entfernung und zieht sich über knapp drei Stunden hin, wobei die Distanz der Kontrahenten auf wenige Meilen schrumpft, sodass gegen Ende die Geschossbahnen sogar waagerecht ausfallen statt – wie sonst üblich – ballistisch. Während Treffer an oder unterhalb der Wasserlinie aufgrund des schweren Panzergürtels wirkungslos zu verpuffen scheinen, zeitigen die Einschläge auf dem Deck ihre Wirkung auf der |Bismarck|.

Ihr Abwehrfeuer verstummt nach und nach, je mehr die Aufbauten schweren Granatenbeschuss wegstecken müssen, um irgendwann gänzlich zu schweigen. 10:22 Uhr stellen die Briten das Feuer ein, die |Bismarck| ist ein loderndes, glühendes Wrack – doch sie schwimmt unvermindert. Lütjens erteilte unlängst den Befehl zur Selbstversenkung. Die |Dorsetshire| eilt heran, um aus nächster Nähe drei Torpedos abzufeuern, welche dem Schiff endgültig den Garaus machen sollen. Ob diese für den Untergang maßgeblich waren, erhitzte die Gemüter seither – Fakt: Um 10:39 kentert die |Bismarck| nach Backbord und sinkt Bug voran auf den 4,5 Kilometer tiefen Grund und ins Reich der Legenden.

_Meinung_

Robert D. Ballard – der Entdecker der |Titanic| – überkam es, eine weitere Expedition zu einem berühmten Wrack zu unternehmen, und die Duplizität der Ereignisse ist erstaunlich, denn wieder erweist sich ein verdammt fetter Pott als überaus scheues Reh, das sich den Blicken des Forscherteams zu entziehen vermag, gleichwohl sind auch wieder zwei Anläufe nötig, bis sich der Erfolg einstellt. Die erste Exkursion 1988 war ein Schlag ins Wasser und brachte bis auf das Wrack eines alten Segelschiffes nicht viel mehr als Hohn und Spott. Davon ab ist der Meeresgrund mit seinen Bergen, Tälern, tiefen Schluchten und Schlickfeldern – und das in ewiger Finsternis der Tiefsee in 4700 Metern – auch kein leicht zu erkundendes Terrain. Das Wetter und der Seegang in der Biskaya tun ihr Übriges. Expedition I wird gefrustet gecancelt. 1989 bricht das Team erneut auf – mit weiteren erbettelten Geldern. Natürlich gebraucht Ballard sein Rasenmäher-System, um die vermutete Sinkposition Streifen für Streifen abzufahren, diesmal jedoch mit einem anderen und moderneren Forschungsschiff. Am 8.6.1989 ist Neptun mit ihnen: Das bemerkenswert gut erhaltene Wrack taucht vor den Kameralinsen auf.

Ballards Bücher zeichnen sich vor allem durch eines aus: Das Hohelied auf die US Navy (deren Equipment er benutzt), die nicht enden wollende Litanei technischer Pannen und Erklärung seiner Suchmethode, also in der Summe: Ballard, Ballard und nochmals Ballard. Das kann ganz schön nervig sein auf die Dauer, denn kennt man eines seiner Bücher, kennt man, was das angeht, alle (mit wenigen Ausnahmen) – ein ausgesprochen publicitygeiler Selbstdarsteller und deswegen auch oft in die Kritik geraten. Dennoch: Ein fähiger Experte auf seinem Gebiet, dessen Suchoperationen im Endeffekt immer von Erfolg gekrönt werden. Das muss man ihm lassen. So nimmt leider auch in diesem Band das Drumherum ungebührlich viel Platz in Anspruch. Dabei meine ich jedoch nicht die historische Aufarbeitung seitens Co-Autor Rick Archbold, die gewohnt akkurat und neutral ausfällt. Bis das Wrack endlich auch bildtechnisch untersucht wird, sind gut zwei Drittel des Buches herum. Der Anfang zieht sich wie der sprichwörtliche Kaugummi, sieht man – wie gesagt – von den historischen Fakten zur Schiffsgeschichte einmal ab, die sehr interessant sind.

Ab dem Fund kann der Bildband dann auch endlich richtig punkten, denn auch das ist Ballard: Die Analyse der Schäden, Rekonstruktion der Ereignisse nach dem Untergang sowie die Verpflichtung seines Illustratoren Ken Marschall, ein exaktes Abbild des Ist-Zustandes grafisch festzuhalten, sind superb. Mit dabei sind auch wieder die ausklappbaren, großformatigen Panoramaansichten, welche die |Bismarck| damals und heute gegenüberstellen. Marschall zeichnet ein stimmungsvolles Bild des aufgefundenen Ground-Zero, sowohl auf dem Cover als auch später im Inneren des Buches. Die verwendeten Fotos sind selbst gemessen an heutigen Standards scharf und aussagekräftig, allerdings reichte die restliche Zeit der Expedition nicht ganz dafür aus, alle wichtigen Punkte zu klären, die für den Untergang der |Bismarck| verantwortlich gewesen sein mögen.

Ballard resümiert jedoch aus den gewonnen Daten, dass die Selbstversenkung und nicht die Torpedos letztendlich verantwortlich waren. Dass er damit Recht gehabt hat, beweist James Camerons ausführliche Dokumentation, dessen jüngst auf DVD erschienene Tauchfahrt zum Wrack die Thesen Ballards untermauert. Somit ist klar: Ballard mag ein Brusttrommler sein, ein unfähiger Idiot ist er ganz sicher nicht – im Gegenteil: Seine Analysen treffen trotz der spärlichen Informationen ins Schwarze. Obwohl Ballard diesmal nicht – anders als bei der |Titanic| – selbst in einem bemannten Tauchboot dem Wrack einen Besuch abstattet, sind seine Schlussfolgerungen aufgrund der gelieferten Bilder seines Tauchroboters sehr präzise und gelten heute als Lehrmeinung. Vollkommen zu Recht.

_Fazit_

Die Aufarbeitung des Bildbandes kann nicht an allen Stellen überzeugen, für mich ist da ab und zu ein wenig zu viel Brimborium drin, das nur mäßig interessant ist – zumindest für diejenigen, die den Sermon mit dem ballardschen Suchsystem schon kennen. Hier und da blitzt auch ein wenig unnötiger Pathos auf, darüber kann man aber hinwegsehen. Lichtblick ist Co-Autor Rick Archbold, der in späteren Werken gottlob auch mehr Gewicht bekommt. Klasse sind wie immer die Illustrationen Ken Marschalls und die Fotos von Wrack und Trümmerfeld. Leider ist dieser Tage nur noch die inhaltlich identische Taschenbuchausgabe problemlos erhältlich, der großformatige Bildband ist derzeit leider out of print und rarer. Schade, denn grade die Bilder wirken im Taschenbuch nicht annähernd so gut, dafür ist es wesentlich billiger zu haben. Als Nachschlagewerk sehr empfehlenswert, bekommt es aber leichte Abzüge in der B-Note.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

Originaltitel: „The Discovery Of The Bismarck“
Ersterscheinung: 1990 – Madison Publishing Inc. / NY
Deutsche Ersterscheinung: 1990 – Ullstein / Berlin
Übersetzung: Karl-Otto von Czernicki und Ralf Friese
Zugrunde liegende Version: Hardcover / 8. Auflage 1994
Seiten: 236 / durchgängig bebildert + 2 ausklappbare Panoramen
ISBN: 3-550-06443-8 (Hardcover)
ISBN: 3-548-23298-1 (Taschenbuch)

Volker Gallé & Nibelungenmuseum Worms (Hrsg.) – Siegfried – Schmied und Drachentöter (Nibelungenedition 1)

Die Nibelungen erleben seit einigen Jahren eine große Renaissance und dies spiegelt sich in unzähligen Publikationen zu diesem Thema wider. Selbst in der Fantasy sind sie seit Wolfgang Hohlbeins „Hagen von Tronje“ und „Der Ring der Nibelungen“ populär geworden, nachdem diese früher ausschließlich von angelsächsischen Themen beherrscht war. Vor allem Worms, die Stadt des Nibelungenliedes, setzt in den letzten Jahren ihren touristischen Schwerpunkt auf die Nibelungen und ihr ist es mit den jährlichen Nibelungen-Festspielen im Sommer gelungen, Worms als Theaterfestspielstadt neben Bayreuth mit Wagners „Ring der Nibelungen“ international zu etablieren. An Fachliteratur erscheinen die Wormser Nibelungensymposien, veranstaltet von der Nibelungenlied-Gesellschaft, in jährlichen Bänden. Diese sind jedoch recht wissenschaftlich aufbereitet, und eine populärere Publikation, die auch für die breite Masse interessant ist, fehlte bisher. Dies hat sich nun mit der Gründung des |Worms|-Verlages geändert, welcher in Zusammenarbeit mit der städtischen Verwaltung künftig die vielfältigen Thematiken, die sich aus der Sage ergeben, in Einzelbänden erarbeiten wird. Als Erstes erschienen ist der Band zu Siegfried, was durchaus gegen den Trend in der Gesellschaft zu sehen ist. Denn die Favorisierung von männlichen Heldenfiguren ist trotz der Filmindustrie eher unpopulär. Normalerweise wird das schon fast tabuisiert und speziell im Nibelungenlied richtet sich der Blick heutzutage normalerweise auf Hagen oder neuerdings auch aufgrund der feministischen Sichtweise auf die Frauenfiguren Brunhild und Kriemhild und deren Königinnenstreit.

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O’Hanlon, Redmond – Ins Innere von Borneo

Natürlich ist ein Urlaub der etwas extremeren Art heutzutage auch für den Herausgeber der „Literarischen Beilage“ (Ressort Naturgeschichte) einer so ehrwürdigen Zeitung wie der britischen „Times“ nichts Außergewöhnliches mehr. Dennoch stellt sich der Leser dieses Reiseberichtes bald die Frage, wieso die Wahl Redmond O’Hanlons ausgerechnet auf den Dschungel der Insel Borneo fiel. So genau geht er selbst auf diesen Punkt nicht ein, aber wenn man zwischen den Zeilen nach einem Motiv sucht, wird es wohl dasselbe ein, das sein ehrgeiziger Landsmann George Mallory einst vor seiner letzten Reise zum Mount Everest so in Worte fasste: Weil er da ist.

Zur Everest-Expedition von 1924 gibt es noch eine bemerkenswerte Parallele: Mit Redmond O’Hanlon und seinem Freund und Begleiter, dem Lyriker (!) James Fenton, begeben sich zwei Männer auf große Fahrt, die man mit Fug und Recht (sie würden es selbst sogleich zugeben) auch als Gewinner eines Wettstreits der inkompetentesten Reisenden dieser Welt bezeichnen könnte. Dabei ist auch das Borneo des 20. Jahrhunderts (O’Hanlon & Fenton unternahmen ihren Ausflug bereits 1984) kein ungefährliches Pflaster; nur die Medikamente sind inzwischen besser geworden, was zu preisen unsere Reisenden mehr als eine Gelegenheit finden werden.

Nicht dass der Bücherwurm und der Dichtersmann völlig ahnungslos im Land des Orang-Utans gelandet wären. Sie betreten es sogar mit recht dezidierten Vorstellungen, die man wiederum als romantische Selbstmord-Phantasien umschreiben könnte: Was O’Hanlon über Borneo zu wissen glaubt, entnahm er großzügig den Reiseberichten seiner Vorgänger. Zwar dunkel ahnend, dass in den vielen Jahrzehnten, die seither verstrichen, sich einiges geändert haben könnte, freut er sich dennoch auf und fürchtet sich vor einer feuchtheißen Tropenhölle, die von blutrünstig-primitiven Kopfjägern und tückisch-faszinierendem Fabelgetier bevölkert wird.

Darauf will er lieber vorbereitet sein, trainiert mit den britischen Ledernacken und reist später wie jeder europäische Entdecker von altem Schrot und Korn schwer bewaffnet in die Wildnis, was auf dem Flughafen von Singapur unter reger Beteiligung der örtlichen Polizeibehörden für eine erste aufregende Episode sorgt. Endlich trotzdem auf Borneo (bzw. in Sarawak, einer Provinz des malaysischen Inselreiches) angekommen, wird zudem rasch deutlich, dass es nicht mehr weit her ist mit der insgeheim erträumten kolonialen Herrlichkeit vergangener Zeiten, als O’Hanlon und sein Gefährte sehr prosaisch im örtlichen „Holiday Inn“- unterkommen: Die Zivilisation hat die Tropeninsel längst erreicht.

Glücklicherweise findet sie dann doch unweit der wenigen größeren Städte ihr rasches Ende. Mit dem Wagemut der absolut Ahnungslosen haben sich O’Hanlon und Fenton für eine Expedition die Flüsse Rejang und Baleh hinauf in jenes Land entschieden, in dem das seltenste Tier der Welt (vielleicht) sein sagenhaftes Dasein fristet: das (ironischerweise nach seiner eigentlichen Heimat benannte) Sumatra-Nashorn. Klein, dunkel und mit einem Fell (!) bekleidet ist es dank der über Jahrzehnte ungeteilten Aufmerksamkeit von Wilderern und Jägern aus aller Welt heute so selten, dass jede Sichtung als Sensation gefeiert wird.

Sollte dieses Unternehmen scheitern, bleibt ja noch immer der aufregende Kontakt mit den Iban, den menschlichen Bewohnern Borneos, die nach Ansicht O’Hanlons stets ein wenig zu laut bekräftigen, die Kopfjagd inzwischen aufgegeben zu haben. Allerdings ist der echte Horror Borneos eher im Mikrokosmos angesiedelt. Dort warten u. a. 250 Fleisch fressende Ameisenarten und 1.700 höchst unterschiedliche Parasitenwürmer auf unvorsichtige Besucher. O’Hanlon spart nicht an gruseligen Details, die das Schicksal jener schildern, die sich nicht wie er und Fenton an jedem Morgen in Insektenpulvern und -sprays buchstäblich wälzen.

Überbordende Fruchtbarkeit auf der einen und ständiger Zerfall und Verwesung auf der anderen Seite machen auch den übrigen Teilnehmern der Expedition tüchtig zu schaffen: Alfred Russell Wallace, James Keppel, Charles Hose und Tom Harrisson sind nur die wichtigsten aus dem Kreise derer, die zumindest im Geiste allzeit um O’Hanlon sind; in Gestalt ihrer Bücher über Borneo nämlich, die der unverbesserliche Romantiker in großer Zahl dorthin geschleppt hat, wo ihre Lebensdauer arg begrenzt ist und aus denen er gern und oft zitiert. Von der Kritik ist ihm dies zum Vorwurf gemacht worden, doch hier gilt es wohl eher den Stil des Autoren zu achten. Die Zitate sind nicht nur klug gewählt und informativ, sondern sie konterkarieren auch das Dilemma, dem sich O’Hanlon ausgesetzt sieht: In Borneo ist die Steinzeit zwar an vielen Orten noch nicht zu Ende gegangen.

Trotzdem ist die Insel nicht das magische Wunderland, das er sich im heimischen Elfenbeinturm zu Oxford erträumt hat. Dort, wo die Vergangenheit noch fortlebt, enthüllt sie immer wieder recht hässliche Seiten. So muss der Reisende feststellen, dass die ihn bezaubernde weibliche Jugend in den Dschungeldörfern schlicht deshalb in der Überzahl ist, weil die meisten Einheimischen einer der vielen schrecklichen Krankheiten zum Opfer fallen, bevor sie alt werden können. O’Hanlon und Fenton bereisen Borneo nicht in Slapstick-Manier als zwei Männer im Boot (vom Rhinozeros ganz zu schweigen), wie der Klappentext suggeriert, sondern durchaus offenen Auges und wachen Geistes. Deshalb entgehen ihnen auch keineswegs die allgegenwärtigen Schrecken eines ungehemmten Raubbaus an der Natur: Es gibt keine Bodenschätze auf Borneo, nur das Edelholz des Dschungels, der deshalb rücksichtslos niedergeholzt wird. Die Menschen sind sich der Folgen durchaus bewusst, doch sie sehen keine Alternativen – und sie haben auch keine Lust, zum Frommen naturromantischer Westler ein tarzanoides Naturkinder-Dasein zu fristen.

Anlass zu echter Negativ-Kritik gibt indes ein Verdacht, der sich schon auf den ersten Seiten einstellt und im Verlauf der weiteren Lektüre schnell zur Gewissheit wird: O’Hanlon mischt Fakten und Fiktion um des Effektes vielleicht etwas zu freizügig in dem Bemühen, eine an sich interessante, aber eben nicht spektakuläre Reise für den Leser dramatischer zu gestalten, und inszeniert, übertreibt und überspitzt. James Fenton, O’Hanlons Begleiter, ist beispielsweise keineswegs der weltfremde Barde, der sich ebenso wagemutig wie ahnungslos ins Abenteuer stürzt, sondern ein erfahrener Kriegsberichterstatter, der in der Vergangenheit einigen Mut bewiesen und wohl nicht von ungefähr auf dem ersten nordvietnamesischen Panzer gesessen hat, der 1975 nach dem Fall von Saigon in die von den Amerikanern aufgegebene Stadt rollte. Auch mit dem Sumatra-Nashorn ist das so eine Sache; So selten es ist, man kann es immer noch finden, nur eben nicht dort, wo O’Hanlon es angeblich versucht hat. Das muss er auch gewusst haben, aber natürlich ist es im Nachhinein publikumswirksamer, eine Reise, die ihr Ziel aus verschiedenen Gründen verfehlt hat, zu einer romantischen Queste zu verklären.

So verbissen darf man aber vielleicht gar nicht an „Ins Innere von Borneo“ herangehen. Die Übergänge zwischen dem klassische Reisebericht und dem Abenteuerroman sind seit jeher fließend; wenn unsere beiden wackeren Briten auch nicht gerade viel Neues entdecken, lesen sich ihre Abenteuer doch amüsant, zumal O’Hanlon wirklich schreiben kann und seine wohl gesetzten Worte ihren Umweg zum deutschen Leser über die Übersetzung gut überstanden haben.

Übrigens hat der Autor die vielen drastischen Zwischenfälle der Borneo-Reise wohl besser verkraftet als er dies 1984 selbst gedacht hätte: Seither ist Redmond O’Hanlon noch mehrfach in anderen Dschungeln dieser Welt unterwegs gewesen und hat auch diese Reisen literarisch aufgearbeitet. „Kongofieber“, die Bilanz eines fünfmonatigen Aufenthaltes in den Tiefen des afrikanischen Kongos im Jahre 1989, hat in Form und Inhalt sogar die Ausmaße eines echten Epos‘ angenommen und gilt inzwischen als echter Klassiker der Reiseliteratur; ein Werk, das die O’Hanlons der Zukunft mit auf ihre Entdeckungsreisen nehmen werden.

Ballard, Robert D. – Geheimnis der Titanic, Das

Die Riege der Unterwasserforschungs- und Wrack-Publikationen des Titanic-Entdeckers Robert D. Ballard wäre alles andere als komplett, wenn ich nicht auch seinen Bestseller und zugleich sein Erstlingswerk unter die Lupe nähme, das ihm seinen heutigen Ruf erst verpasst hat. Das Objekt seiner damaligen Begierde hingegen brauche ich ich wohl nicht näher vorstellen: Die RMS Titanic (RMS steht für „Royal Mail Ship“) manchmal in alten Quellen auch als SS Titanic bezeichnet (für „Steam Ship“, also Dampfschiff). Kaum ein Schiff und die es umwabernden Legenden hat die menschliche Phantasie in Sachen tragischer Unglücke so beflügelt wie diese eine Katastrophe. Mich fasziniert die Geschichte bereits seit meinen frühen Kindertagen. Bis heute ist das Interesse daran ungebrochen – und nicht nur meines.

_Der Autor_
Robert Dwayne Ballard ist eine feste Größe geworden, der besagte Fund hat den Grundstein gelegt für den umtriebigen Doktor der Woodshole Oceanographic Institution. Dabei ist er eigentlich Meeresgeologe, der einst das Terrain der Unterwasserlandschaften kartographierte und erforschte. Zum ruhmreichen Titel des Godfathers unter den heutigen Wrackfindern kam er wie die Jungfrau zum Kind. Seine Tätigkeit für die US-Navy und die Entwicklung damals revolutionärer Tiefsee-Forschungs-U-Boote brachte ihm die Anfrage ein, ob er sich – gesponsort vom amerikanischen Militär und einigen anderen – mit seinem hierfür zweckentfremdeten Equipment statt doofe Steine, sturzlangweilige Felsen und an Ödnis kaum zu übertreffende Unterwassergräben zu erforschen, nicht lieber auf die Suche nach dem berühmten Liner machen wolle. Zuvor war 1983/84 schon der Milliardär Jack Grimm zweimal mit seinen privat finanzierten, medienwirksamen Expeditionen gescheitert, wie Ballard später nicht müde wird hämisch zu sticheln.

Er hat es grade nötig. Ballard ist nicht unumstritten, vor allem die Franzosen werfen ihm vor, sie bei der Titanic-Expedition (die man gemeinsam unternahm, der Ruhm jedoch ging alleine an ihn) herzlichst über den Löffel barbiert zu haben. Zumindest waren sie die ersten, die es wagten, seinem neu erworbenen Hochglanzimage ein paar fiese Dellen zu verpassen. Übersteigerte, mediale Geltungssucht ist das Schlagwort. Wer dieses und seine anderen Bücher mehr oder weniger aufmerksam liest, wird feststellen, dass dies gar nicht so weit hergeholt ist. In der Tat ist Ballard ein tüchtiger und fähiger Wissenschaftler, doch der stetige Erfolg seines gepriesenen Suchsystems ist ihm seit damals irgendwie zu Kopf gestiegen. Und wie das so ist, dreht sich die Spirale seither munter weiter: Mit jedem weiteren Wrack wächst sein Ego näher heran an den schmalen Grat des Größenwahns. Kein Wunder, dass er von vielen einer Kollegen mittlerweile geschnitten wird. Derzeit sucht er übrigens die Arche Noah … Petri Heil.

_Unsinkbar – Das Schiff und seine Geschichten_
Eine Menge Mythen ranken sich um das berühmteste Passagierschiff seiner Zeit, das seine Jungfernfahrt von Liverpool nach New York am 14./15. April 1912 denkbar außerplanmäßig beendete. Die unsanfte Begegnung mit dem Eisberg und die darauf folgende Tragödie ist hinlänglich bekannt. Ihre Berühmtheit hat sich bis heute gehalten, zudem kann der Untergang als sicheres Ende des „vergoldeten Zeitalters“ angesehen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Technikgläubigkeit gerade in England schier grenzenlos. Beinahe täglich neue Erfindungen, die das Leben einfacher und komfortabler gestalteten. Der Mensch im sicheren Glauben, die Natur mit Ingenieurskunst auf ewig besiegen zu können – das musste ja irgendwann schief gehen. Ihre Erbauer haben sich eine Menge pfiffiger und bahnbrechender Details einfallen lassen und doch hat es nicht gereicht, um alle Eventualitäten auszuschließen.

Die Titanic war das ikonische Sinnbild dieser euphorischen Ära: Gebaut nach dem letzten Schrei der Technik, mit viel Wert auf pompösen Luxus – weniger jedoch auf Geschwindigkeit und (wie sich in der schicksalsträchtigen Nacht überdeutlich zeigt) auch weniger sicher respektive „unsinkbar“, als man glaubte. Dieses oft bemühte Adjektiv stammt übrigens aus der Presse seinerzeit, die Reederei widersprach dem Superlativ aus Werbegründen natürlich absichtlich nicht. Im Nachhinein konnten sie mit Fug und Recht behaupten, so etwas nie gesagt zu haben. Der Legendenbildung ist das fehlende Dementi aber vollkommen wurscht. Die Realität hat den Nimbus, dass „nicht mal Gott persönlich dieses Schiff versenken“ könne, zerstört. Quid ad est demonstrandum. Gott war dazu nicht nötig, ein popeliger Eisberg reichte vollkommen. Eine ganze Epoche ging nicht nur metaphorisch mit der Titanic baden und beendete die bedingungslose Technikgläubigkeit.

Eine ganze Latte Falschinformationen und Halbwahrheiten hat sich hartnäckig gehalten; so wird sogar heute noch vielenorts unterstellt, Captain E. J. Smith und der Vertreter der White-Star-Reederei Bruce Ismay wären auf das Blaue Band (die Auszeichnung für die schnellste Atlantiküberquerung) aus gewesen. Das ist mit Blick auf die vergleichsweise schwachen Triebwerke der Titanic ausgekochter Dummfug. Dazu wäre sie niemals in der Lage gewesen – wenngleich Ismay nachweislich wohl mehr als einmal gedrängt haben soll, etwas mehr Tempo zu machen, um früher als geplant in NY anzukommen. Das kann man nachvollziehen, bedeutete es doch eine gute Werbung im hart umkämpften Markt, wenn der prachtvollste Pott aller Zeiten das Manko, dafür aber eine eine lahme Schnecke zu sein, ein wenig ablegen könnte. Das Blaue Band jedoch war niemals ein Thema oder auch nur annähernd in Gefahr. Das hielt die Cunard Line mit ihren viel stärker motorisierten Schiffen „Mauretania“ und „Lusitania“ jahrzehntelang.

Klassendenken, zu wenige Rettungsboote (kurios, aber mehr als der Gesetzgeber damals forderte), ein zu nördlicher Kurs, ein fataler Denkfehler in der Konstruktion, fehlende Ferngläser im Ausguck, spiegelglatte See, ein Fahrfehler des Ersten Offiziers, ein Schiff, das nicht zur Rettung erschien – die oft strapazierte „unglückliche Verkettung von Ereignissen“-Liste ließe sich fast beliebig fortführen, um diese Tragödie zu erklären, die vor allem in den Reihen der Zweite- und Dritte-Klasse-Passagieren dem Sensenmann eine große Ernte bescherten, ja ganze Familien auslöschte. Geschichten von Heldenmut, Tragödien, „Be British!“-Gedröhn und eine Band, die bis zum allerletzten Vorhang spielte, sind durch Zeugenaussagen überliefert und haben die Zeit überdauert. Der eigentlichen Grund für das rasche Absaufen konnte nie befriedigend geklärt werden.

Die Untersuchungskommission kurz nach dem Desaster konnte kein Licht ins Dunkel bringen oder wollte es zum Teil auch gar nicht. Mochten sich Zeugen auch noch so widersprechen, man ignorierte es. Man hing einem sehr falschen Schadensbild nach, doch man konnte es in diesem speziellen Punkt wirklich nicht besser wissen. Woher auch? Zu guter Letzt beschuldigte man sogar den Kapitän eines offensichtlich in der Nähe befindlichen Schiffes der unterlassenen Hilfeleistung. Beweisen konnte man Captain Lord sein vermeintliches Fehlverhalten nie so recht. Aber man hatte immerhin schon mal einen publikumswirksamen Sündenbock, den man zumindest für einen Teil der Opfer verantwortlich machen konnte. Man beeilte sich seinerzeit auffällig, die Untersuchung zu einem schnellen Abschluss zu bringen, es ging aus wie das Hornberger Schießen.

Heute weiß man mehr. Der Schaden war eigentlich gar nicht so riesig. Kein 90 Meter langer Riss im Rumpf, sondern „nur“ viele kleine. Diese dafür an besonders prekären Stellen. Das reichte, um den Titanen zu Fall zu bringen. Der Rumpf ist entzwei gerissen, dessen Teile stehen 600 Meter voneinander entfernt auf Grund. Ballard rekonstruierte anhand der Fundlage und Schäden den Ablauf des Untergangs zum ersten Mal schlüssig. Eine ausgefeilte Theorie, die aufgrund ihres sehr hohen Wahrscheinlichkeitsgrades weiterhin Gültigkeit hat. Es kommt nach Bergung einiger Stahlproben vom Wrack (durchgeführt Mitte der 90er vom Discovery Channel – ohne Ballard) sogar eine neue Komponente hinzu: Der Werkstoff soll minderwertig und kältespröde sein, dass heißt bei Temperaturen unter 0° C besonders zum Bersten neigen. Ein weiterer Sargnagel für das Ende des Schiffes in jener kalten Nacht mit Wassertemperaturen um -2° C.

Wie man es dreht und wendet, lange Zeit gab die sagenumwobene Titanic massig Stoff für Spekulationen und ungelöste Rätsel her. Je weiter die Zeit voranschritt, desto wilder wurden die Phantasien. Clive Cussler hebt die Titanic in seinem gleichnamigen Roman gar und lässt sie – logischerweise „etwas“ verspätet, aber immerhin – gesteuert von seinem Lieblingshelden Dirk Pitt in New York einlaufen. In seinem Kielwasser hatten Hebe-Hypothesen Konjunktur, das „Wie?!“ reichte hier vom klassischen Ponton bis hin zu äußerst schrägen Lösungen. Die Japaner kamen auf die Idee, das Wrack mit Tischtennisbällen zu füllen und ihm dadurch Auftrieb zu verleihen. Das ist schon mal schräg. Getoppt wird dieser Plan aber davon, das gesamte Schiff mittels flüssigem Stickstoff in einen künstlichen Eisberg zu verwandeln und diesen dann nach dem Auftauchen in einen Hafen zu schleppen. Das ist zwar kreativ, aber schon nicht mehr schräg, sondern höchst skurril. Einen kleinen Schönheitsfehler hat diese ganze Vorschuss-Kreativität allerdings: Zu diesem Zeitpunkt ist das Wrack noch immer verschollen.

Finden wollte man sie seit langem, doch erst nach 77 Jahren wird der zerschmetterte Leib der Königin der Meere am 1.9.1985 aufgespürt – auch Ballard braucht zwei Anläufe, bis er das dunkle Massengrab in fast 4000 Metern Tiefe fast auf den letzen Drücker seiner Expedition ortet. Endlich ein paar greifbare und belastbare Fakten, die aus dem Schlick des Meeresbodens ans Tageslicht gelangen. Man könnte nun annehmen, dass jetzt mit der Gewissheit endlich Ruhe im Gerüchte-Karton herrschen würde. Weit gefehlt. Robin Gardiner und Dan van der Vat gossen zum Beispiel auch lange nach dem Fund noch viel Atlantik-Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker und fabulierten von einem gewaltigen Versicherungsbetrug der Reederei. Statt der Titanic soll ihr Schwesterschiff Olympic vor Neufundland liegen. Absichtlich versenkt. Klar. Man sieht, Unmengen an Publikationen und Ideen. Manches gut recherchiert, anderes purer Humbug.

Mit der Totenruhe des Wracks ist es seit Ballards erstem Besuch Essig. Unvorsichtigerweise posaunte er gleich nach dem Fund die tatsächliche Sinkposition gegenüber einem seiner Sponsoren aus, was diese nicht für sich behielten. Dank moderner Technik hat sich das Wrack seitdem zu einem ziemlichen Touri-Magneten entwickelt – sofern man die Kohle dafür hat. Telly Savallas moderierte eine Fernsehshow von dort aus und James Cameron tauchte hinab, um an authentisches Filmmaterial für seinen verkitschten Streifen zu kommen. (Die Untergangssequenz stützt sich aber zu hundert Prozent auf Ballards Theorie, was ihn alleine deswegen sehenswert macht.) Russen sowie die Franzosen haben sich auch schon mehrfach dort unten getummelt; obwohl die Wissenschaft gerne vorgeschoben wurde, nicht immer zum Besten der alten Lady. Die Schatzjäger haben Teile gehoben und durch schiere Unachtsamkeit vermeidbare Schäden verursacht. Die oft postulierten Schätze hat man trotzdem nie gefunden.

Dabei haben sie sich den Zorn der internationalen Gemeinschaft zugezogen, die der Meinung ist, dass die Grabschänderei ein Ende haben muss. Hier muss man Ballard zugute halten, dass er von Anfang an gegen eine kommerzielle Ausschlachtung des Schiffes war. Denn um nichts anderes handelt es sich. Mal abgesehen davon, dass solche Plünderungen auch immer gefährlicher werden. So ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Wrack begünstigt durch den starken Rostbefall unter seinem Eigengewicht zusammenbrechen wird. Schätzungen zufolge verwandelt sich die bis jetzt noch halbwegs ansehnliche Bugsektion in einigen Jahren in einen unförmigen Trümmerhaufen. Der Zerfallsprozess hat ein fortgeschrittenes Stadium erreicht. Das infolge einer Implosion beim Untergang schon arg gebeutelte (und dadurch wesentlich schlechter erhaltene) Heck gleicht jetzt bereits einem Schlachtfeld aus verdrehtem, rostigem Metall.

Noch reckt die Titanic stolz und trotzig ihren steilen Bug aus dem Schlamm, in welchem sie in aufrechter Lage ihre vorletzte Ruhe gefunden hat. Ein gespenstisches Bild. Irgendwann wird sie auch den allerletzten Kampf verlieren: den gegen die omnipräsente Korrosion. Die Natur lässt sich nicht nur nicht besiegen, sie fordert unerbittlich auch alles wieder zurück, was man ihr entnommen hat. In diesem Fall vielleicht sogar mit einem ironischen, siegessicheren Lächeln. Der Kreis hat sich dann geschlossen, und nur noch ein riesiger Rostfleck in der ewigen Dunkelheit der Tiefsee wird zurückbleiben. Doch solange es eine Geschichtsschreibung gibt, existiert die gefallene Titanin in den Köpfen weiter und wird immer wieder zu ihrer schicksalsträchtigen Jungfernfahrt aufbrechen, von der es keine Wiederkehr gibt – als sinnbildliche Mahnung gegen menschliche Überheblichkeit und überkommenes Klassendenken.

_Das Buch_
Selbstverständlich rekapituliert ein solches Werk die Vorgänge von der Kiellegung über markante Wegmarken in ihrem recht kurzen Leben bis hin zum Untergang. Bis man allerdings bis zum fraglichen Teil des Fundes vorstößt, dauert es eine Weile und man muss Ballards Schwadroniererei hinsichtlich der Vorbereitung der Expedition und seines von ihm entwickelten Suchsystems über sich ergehen lassen. Inklusive einer ganzen Reihe technischer Defekte und der ersten fehlgeschlagenen Expedition unter seinem Kommando. Der Leser wird dröge in die hohe Kunst des „Rasenmähens“ eingeführt, ein guter Vergleich, wie ich finde. Hierbei wird der Meeresgrund tatsächlich streifenweise mit Sonar abgegrast. Ausgebrachte Transponder erlauben eine exakte Positionierung des eigenen Schiffes innerhalb dieses Sonar-Netzwerks, zusätzlich vertraut man auf GPS. Das hätte man aber getrost kürzen können und/oder stattdessen dem Wrack mehr Aufmerksamkeit widmen können. 252 Seiten sind für eine so umfangreiche Thematik, allein zur Titanic selbst, knapp bemessen.

Zugute halten muss man Ballard, dass diese ersten Suchfahrten zwar das Wrack zutage brachten, jedoch aufgrund widriger Umstände eine ausgiebige Begutachtung nicht zuließen. Erst 1989 kehrte er mit besserem Equipment noch einmal zurück und konnte zusätzliche Untersuchungen durchführen. Drucklegung der Erstveröffentlichung war aber schon 1987, also gut zwei Jahre nach dem spektakulären Fund und Auswertung der bisherigen Ergebnisse. Spätere Auflagen wurden mit den neueren Erkenntnissen bereichert und aktualisiert. Viel war das nicht, fügte aber weitere Puzzlesteinchen ins Bild, über die man vorher nur spekulieren konnte, die nun aber beweisbar wurden. Legendär ist Ballards Ausflug mit dem Tauchroboter „Jason“ in den großen Ballsaal, der erstmals faszinierende Einblicke ins Innere des Wracks gewährte. Vorher waren ihm nur Außenaufnahmen möglich gewesen.

Das Buch ist reichhaltig bebildert und lebt zum Teil alleine davon. Dies ist Ballards erste (und bis heute andauernde) Zusammenarbeit mit Illustrator Ken Marschall. Ein Glücksgriff. Niemand sonst versteht es, Wrack-Panoramen so akribisch-detailreich und stimmungsvoll mit dem Airbrush auf Leinwand zu bannen. Und das nur anhand von Beschreibungen und Bildausschnitten, denn man darf nicht vergessen, dass die Sichtweite des Lichtkegels in dieser Tiefe mit dem damaligen Equipment nur rund 15 Meter betrug. Zwei ausklappbare Panoramabilder zeigen seine eindrucksvolle Arbeit und auf den Rückseiten die Schnittzeichnung bzw. den Originalaufriss des Schiffes und eine Fotomontage des Ist-Zustandes aus der Draufsicht. Neben Marschalls zahlreichen Illustrationen sicher ein Highlight der Publikation. Der Text beinhaltet eine Menge interessanter Informationen und zeitgenössischer Darstellungen, hat aber einen leicht hochnäsigen und selbstdarstellerischen Unterton.

_Fazit_
Sieht man von der typisch Ballardschen Selbstbeweihräucherung mal ab, ist dies ein lohnenswertes Buch für alle, die sich für das berühmte Schiff und insbesondere das Wrack interessieren. Ballards Stil ist gewöhnungsbedürftig, das ändert sich mit erst mit späteren Projekten, bei denen er Rick Archbold als Redakteur, historischen Berater und Co-Autor stärker einbindet. Dieses Werk hier ist noch ziemlich Ballard pur, ohne Archbolds Feinschliff, mit allen seinen schon damals erkennbaren Schrullen – wenngleich der Vorfall mit den düpierten Franzosen immerhin Erwähnung findet und teilweise von ihm entschuldigt wird. Das muss man anerkennen, obwohl es sich aus seiner Feder naturgegeben anders darstellt. Bleibt zu erwähnen, dass die wertigere Hardcover-Ausgabe wegen der größeren Bilder vorzuziehen ist – beide Versionen sind mittlerweile out of print, jedoch sowohl als Hardcover als auch Taschenbuch immer noch recht problemlos erhältlich. Ein Dauerbrenner, wie das Thema an sich und Pflichtlektüre für Freunde („Fans“ erscheint mir in diesem Zusammenhang doch etwas pietätlos) der alten Lady.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Originaltitel: „The Discovery Of The Titanic“
Ersterscheinung: 1987 – Madison Publishing Inc. / NY
Deutsche Ersterscheinung: 1987 – Ullstein / Berlin
Übersetzung: Ralf Friese und Jutta Wannenmacher
Zugrundeliegende Version: Hardcover / 7. Auflage 1993
Derzeit letzte Drucklegung: November 2000
Seiten: 252 / durchgängig bebildert + 2 ausklappbare Panoramen
ISBN: 3-550-07653-3 (HC) – out of print
ISBN: 3-548-23280-9 (TB) – out of print

Haines, Tim / Riley, Christopher – Weltraum-Odyssee. Eine Reise zu den Planeten

Die fünfköpfige Besatzung des Raumschiffs „Pegasus“ begibt sich auf eine mehr als sechs Jahre währende Reise durch das Sonnensystem. Planeten, Monde, die Sonne und ein Komet werden be- und untersucht, unzählige Experimente durchgeführt, gefährliche Unfälle gemeistert, bis man, das zerbeulte Schiff bis unters Dach mit Daten und Proben vollgepackt, im Triumph zur Erde zurückkehrt.
Wobei eine imaginäre Reise ins Weltall nicht gerade ein taufrischer Plot ist. Auch im Sachbuch hat es das schon gegeben. Das eigentlich Neue ist die verblüffend gut gelungene Verklammerung, welche die Grenze zwischen Fiktion und Fakten praktisch aufhebt. Die Reise der „Pegasus“ wurde von der BBC in Zusammenarbeit mit echten Wissenschaftlern so ‚realistisch‘ wie möglich geplant und ‚durchgeführt‘. So intensiv wie es eben im Rahmen einer TV-Show machbar und praktikabel ist, orientierte man sich an den Raumflügen der Vergangenheit, deren Realität man unter Berücksichtigung dessen, was in mehr als drei Jahrzehnten unbemannte Raumfahrt erkundet wurde, auf das „Pegasus“-Unternehmen projizierte.

Auf eine Expedition zu sämtlichen Planeten unseres Sonnensystems wird deshalb verzichtet: Die Physik verbietet es, da ein direktes Ansteuern derselben gar nicht möglich ist. Sonden und potenzielle Raumschiffe müssen die Gravitation anderer Planeten oder großer Monde nutzen, um zu beschleunigen oder abzubremsen, sonst reicht der Treibstoff nicht. Also wurde die Reiseroute gemäß der zum Zeitpunkt der „Pegasus“-Reise aktuellen Planetenkonstellation festgelegt. Sie lautet wie folgt: Venus (Landung) – Mars (Landung) – Sonne (Umkreisung in geringer Entfernung) – Planetoidengürtel – Jupiter (Vorbeiflug) – Jupitermond Io (Landung) – Saturn (Vorbeiflug und Ring-Untersuchung) – Pluto (Landung) – Komet Yano-Moore (Rendezvous).

„Weltraum-Odyssee“ ist das angebliche Protokoll dieser Reise. ‚Authentische‘ Einsatzbeschreibungen (in welche aktuelles Forschungswissen mehr oder weniger unauffällig einfließt) und persönliche Kommentare der Planetenforscher wechseln sich mit Artikeln zur realen Weltraumforschung in Vergangenheit und Gegenwart ab. Diese sind an den astronomischen Laien gerichtet, der sich anschließend tatsächlich informiert vorkommt, woran klare, einleuchtende Grafiken und vor allem eine verschwenderische Fülle großformatiger, meist farbiger ‚Fotos‘ (= tatsächliche Aufnahmen, die oft farbbereinigt, nachgeschärft oder sonst wie bearbeitet oder gleich vollständig digital geschaffen wurden) großen Anteil haben.

Doch nicht Information oder informative Unterhaltung allein lockt die Leser. Es geht auch um einen Traum: Was wäre, wenn … die Menschen endlich wieder selbst Raketen & Raumschiffe besteigen würden, um persönlich die Rätsel und Wunder des Alls in Augenschein zu nehmen, statt dies Raumsonden & Robotern zu überlassen? Natürlich können es die Maschinen besser und billiger. Eine Flut bemerkenswerter Daten und Bilder wurde gerade in den letzten Jahren vom Mars oder vom Jupitermond Europa gefunkt. Astronauten müssen sich nicht ewig in winzige Blechbüchsen quetschen, von kosmischer Strahlung rösten lassen, sich in permanente Lebensgefahr bringen.

Ein echter Fortschritt also – und doch … Der Mensch ist ein seltsames Tier: Ihm genügt der Eindruck aus zweiter Hand nicht. Er will die Welt be-greifen. Ohne diesen Drang säße er wohl immer noch in einer Höhle und würde einen Stock anbeten, wie es einst in einer klassischen TV-Comedy hieß. Allen berechtigten Einwänden zum Trotz will er selbst hinauf ins All, was natürlich gar nicht so dumm ist, weil sich ferngesteuerte Forschungsdrohnen trotz Hightech stets sehr beschränkt geben, was vor allem die Suche nach außerirdischem Leben frustrierend gestaltet. Diesen Zwiespalt zwischen Vernunft und Vision versucht das Team Tim Haines und Christopher Riley mit seinem aktuellen Filmprojekt zu schließen. Bisher ließ der britische Sender diverse Donnerechsen („Dinosaurier – Im Reich der Giganten“) und deren säugetierischen Nachfolger („Die Erben der Saurier – Im Reich der Urzeit“) digital wiederbeleben und außerordentlich quotenträchtig über die Bildschirme stapfen. Weil sich der daraus resultierende Aha-Effekt inzwischen abgenutzt hat, brach man buchstäblich zu neuen Ufern auf. Schon in früheren Serien hatte man sich unauffällig vom Konzept der strikt wissenschaftlichen Rekonstruktion verabschiedet und immer neue Gimmicks einfließen lassen; so konnte es beispielsweise durchaus geschehen, dass einem interviewten Forscher während seines Referats ein Digitaldino über die Schulter schaute oder ein Kollege eine Zeitreise in die Urzeit unternahm („Monster der Tiefe“).

Das Prinzip Brot & Spiele bzw. Infotainment, wie man diese Mischung aus Science und Fiction heute nennt, prägt auch und noch viel mehr als zuvor die „Weltraum-Odyssee“. Dieses Mal schlagen die Fakten die Fiktion indes um Längen. Selten zuvor ist eine Reise durch das Sonnensystem so faszinierend und langweilig zugleich gewesen. Der Spagat ist insofern misslungen, als der gut gemeinte und kluge Versuch, den ‚Faktor Mensch‘ in die fiktive Weltraumfahrt zu integrieren, auf TV-Format und mit politisch geradezu aggressiv korrekten Mustermensch-Schauspielern realisiert wurde, während die Bilder Kinoformat besitzen. An Bord eines Raumschiffs setzt sich trotz der permanenten Krisensituation, in der man sich eigentlich befindet, eine gewisse Routine durch, denn der Mensch ist anpassungsfähig. Routine fesselt freilich keine Fernsehzuschauer. Also werden diverse dramatische Zwischenfälle konstruiert. Diese sehen am Bildschirm spannend aus, lesen sich aber denkbar unspektakulär, weil sie in demselben pseudo-offiziellen, um Sachlichkeit bemühten Stil wie die Tagesberichte beschrieben werden. ‚Private‘ Aufzeichnungen der Raumfahrer sollen dagegen deren Einsamkeit, innere Ängste, Trauer etc. deutlich machen. Leider wurde auch hier jeglicher Funken echter Emotion getilgt – sei es absichtlich, um ein unpassendes Star-Trek-Feeling zu vermeiden, oder sei es, weil die Autoren mit der Niederschrift einer echten Rahmenstory schlicht überfordert waren.

Bleiben die eingeschobenen Sachartikel mit ‚echten‘ Bildern von Planeten und Monden und den dazu geleisteten Erläuterungen. Hier klappt die Vermittlung von Weltraumforschung ohne Schwierigkeiten, hier spielt das Team von „BBC Worldwide“ seine langjährige Erfahrung bei der Herausgabe inhaltlich auf den Punkt gebrachter, perfekt layouteter Sachbücher voll aus. „Weltraum-Odyssee“, der Film, ließ sich am besten genießen, wenn man (auch wegen der kriminell zu nennenden deutschen Synchronisation) den Ton abdrehte und sich auf die Bilder konzentrierte. Die sind einfach unglaublich. Der modernen Tricktechnik sind offensichtlich keine Grenzen mehr gesetzt – die Schauspieler stehen überzeugend auf fremden Planeten, deren Eigenheiten im Rahmen der bekannten Fakten jederzeit glaubhaft inszeniert werden. Für die Zukunft bzw. die weiteren Projekte der BBC in Sachen (Re-)Konstruktion des Unmöglichen wünscht man sich deshalb – egal ob Film oder Buch – ein Zurück zum Dokumentarischen & den Verzicht aufs allzu Zirzensische.

Volker Dehs – Jules Verne. Biographie

Zum 100. Todesjahr erschien diese Biografie des Schriftstellers Jules Verne (1828-1905) Volker Dehs stellt Verne nie als isoliertes Individuum, sondern als Bürger Frankreichs dar, das während des 19. Jahrhunderts gewaltigen Veränderungen und Entwicklungen unterworfen war. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich Vernes Leben und Werk wirklich deuten. Das geschieht in diesem Buch überzeugend; es darf daher mit Fug und Recht als Standardwerk bezeichnet werden (das sich manchmal ein wenig anstrengend liest, weil der Verfasser auf kein biografisches Detail verzichten mag). Mehr als 35 s/w-Abbildungen und umfangreiche Anhänge runden das Werk ab.
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