Ellen Sandberg erzählt in Die Schweigende die Geschichte einer Familie, die von einem dunklen Geheimnis überschattet wird. Im Mittelpunkt steht Karin, eine ältere Frau, die in ihrer Jugend Schreckliches erlebt hat – und darüber ihr ganzes Leben lang geschwiegen hat. Erst als sie im Alter beginnt, sich von der Familie zurückzuziehen, merken ihre beiden Töchter, dass mehr hinter dem Schweigen steckt, als sie je ahnten.
Der Roman verwebt Gegenwart und Vergangenheit, Schuld und Vergebung, Familienbande und gesellschaftliche Verantwortung zu einer bewegenden Geschichte über das, was unausgesprochen bleibt – und welche Macht das Schweigen über Generationen hinweg entfalten kann.
Inhalt
Die Handlung entfaltet sich in zwei Zeitebenen:
In der Gegenwart steht Karin im Mittelpunkt, eine scheinbar kühle, distanzierte Frau, die sich weigert, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Ihre Töchter Bettina und Imke haben ein schwieriges Verhältnis zu ihr – geprägt von Unverständnis und unausgesprochenen Konflikten.
In der Vergangenheit erfahren wir nach und nach, was Karin in den 1950er- und 1960er-Jahren in einem kirchlich geführten Heim erlitten hat. Dort wurde sie als junge Frau gedemütigt, entrechtet und traumatisiert.
Die beiden Zeitebenen sind geschickt miteinander verwoben. Bettina, die ältere Tochter, versucht, das Familiengeheimnis zu ergründen, während Imke mit ihren eigenen Problemen kämpft. Nach und nach wird klar, dass Karins Schweigen kein Ausdruck von Gleichgültigkeit ist, sondern ein Schutzmechanismus – gegen eine Wahrheit, die sie kaum zu ertragen vermochte.
Ellen Sandberg zeichnet ein eindrucksvolles Bild davon, wie die Schatten der Vergangenheit das Leben ihrer Figuren bis in die Gegenwart hinein bestimmen. Der Roman ist zugleich Familiengeschichte, Psychogramm und ein Stück deutsche Zeitgeschichte – mit realistischem Hintergrund: der Missbrauch und die Gewalt in deutschen Heimen der Nachkriegszeit.
Mein Eindruck
„Die Schweigende“ ist für mich ein herausragendes Beispiel dafür, wie man ernste historische Themen in eine berührende, spannende und zugängliche Romanform bringen kann. Ellen Sandberg schreibt mit viel Einfühlungsvermögen, ohne ins Sentimentale abzurutschen.
Besonders beeindruckt hat mich die psychologische Tiefe der Figuren. Karin bleibt lange undurchschaubar, und gerade das macht sie so glaubwürdig. Als Leser*in spürt man, dass ihr Schweigen keine Kälte ist, sondern eine Wunde, die nie verheilt ist. Auch die Töchter sind keine bloßen Nebenfiguren, sondern individuell gezeichnete Frauen, die auf unterschiedliche Weise versuchen, mit dem Erbe ihrer Mutter umzugehen.
Der Schreibstil ist ruhig, klar und atmosphärisch. Sandberg gelingt es, Spannung aufzubauen, ohne auf künstliche Dramatik zu setzen – die Spannung entsteht aus dem emotionalen und moralischen Konflikt der Figuren. Das Buch liest sich flüssig, aber nie leichtfertig: Jede Seite trägt Gewicht.
Ich habe „Die Schweigende“ kaum aus der Hand legen können. Es ist eines dieser Bücher, die man nach dem Lesen erst einmal wirken lassen muss – und das man am liebsten weiterempfehlen möchte.
Über die Autorin
Ellen Sandberg arbeitete zunächst in der Werbebranche, ehe sie sich ganz dem Schreiben widmete – mit riesigem Erfolg: Ihre psychologischen Spannungs- und Familienromane, die immer monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stehen und denen immer ein wichtiges Thema unserer deutschen Vergangenheit zugrunde liegt, bewegen und begeistern zahllose Leserinnen und Leser – wie zuletzt »Die Schweigende«, »Das Geheimnis« und »Das Unrecht«. 2022 wurde ihr der Verfassungsorden des Freistaats Bayern verliehen. Unter ihrem bürgerlichen Namen Inge Löhnig veröffentlicht sie erfolgreiche Kriminalromane. (Verlagsinfo)
Fazit
„Die Schweigende“ ist ein bewegender, tiefgründiger Roman über Schuld, Schweigen und die Kraft der Wahrheit. Ellen Sandberg schafft es, ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte in eine persönliche, berührende Familiengeschichte zu verwandeln, die lange nachhallt.
Die Autorin beweist einmal mehr ihr Gespür für feine Charakterzeichnung und emotionale Spannung. Für mich ist „Die Schweigende“ eines der stärksten Werke aus Sandbergs Feder – erschütternd, empathisch und authentisch.
Paperback: 544 Seiten
ISBN: 978-3328104858
www.penguin.de
Der Autor vergibt: 




