Gil Ribeiro – Weiße Fracht (Lost in Fuseta 03)

Kokain-Thriller mit Liebesdrama

Nach dem fulminanten Start seiner verfilmten Krimireihe um Leander Lost, den so ungewöhnlichen wie liebenswerten Hamburger Kommissar in Diensten der portugiesischen Polícia Judiciária, führt uns Gil Ribeiro mit »Lost in Fuseta – Weiße Fracht« in einen äußerst spannenden Fall um eine gewaltige Kokainlieferung, die irgendwo an Land gebracht werden soll.

An der Algarve herrscht Mitte Juli brütende Hitze, als plötzlich zwei Morde, deren Opfer auch auf den zweiten Blick anscheinend nicht miteinander in Verbindung stehen, dem Team um den Hamburger Austauschermittler Leander Lost Rätsel aufgeben. Bis der Sohn eines Drogenbosses, der im benachbarten Spanien seit zehn Jahren im Gefängnis sitzt, in Fuseta auftaucht…. (Verlagsinfo)

Der Autor

Gil Ribeiro ist Holger Karsten Schmidt ((https://de.wikipedia.org/wiki/Holger_Karsten_Schmidt)), geboren 1965 in Hamburg, ein Autor einiger Kriminalromane und zahlreicher Drehbücher. 2017 veröffentlichte Schmidt den Kriminalroman „Lost in Fuseta – Ein Portugal-Krimi“ ((https://de.wikipedia.org/wiki/Lost_in_Fuseta_(Romanreihe) )) unter dem (offenen) Pseudonym „Gil Ribeiro“. Es ist der Auftakt einer Romanreihe um den Hamburger Kriminalkommissar Leander Lost, der im Rahmen eines europäischen Austauschprogramms nach Fuseta bei Faro an der Algarve versetzt wird.

Seitdem wird von dem Schauspieler Andreas Pietschmann ein Hörbuch zum jeweiligen Roman eingelesen. Im September 2022 wurde mit „Lost in Fuseta – Ein Krimi aus Portugal“ ein Zweiteiler mit Jan Krauter in der Titelrolle des Hamburger Kommissars Leander Lost auf Das Erste gesendet. Im Jahr darauf folgte die Verfilmung von Band zwei.

Romanübersicht

1 Lost in Fuseta – Ein Portugal-Krimi 2017 Kiepenheuer & Witsch
2 Spur der Schatten 2018 Kiepenheuer & Witsch
3 Weiße Fracht 2019 Kiepenheuer & Witsch
4 Schwarzer August 2020 Kiepenheuer & Witsch
5 Einsame Entscheidung 2022 Kiepenheuer & Witsch
6 Dunkle Verbindungen 2023 Kiepenheuer & Witsch

Handlung

Leander Lost und sein Team werden zu einem allein stehenden Haus unweit Fuseta gerufen, und zwar von einem Dorfpolizisten, dessen Polizeicode 249 besagt: „Ein Polizeibeamter in Not.“ Sub-Inspektorin Graciana Rosado und ihr Kollege Carlos Esteves dringen mit Lost gleichzeitig in das verdächtig stille Haus ein, in dem, wie jeder in der Gegend weiß, der deutsche Zimmermann Uwe Ronneberg lebt. Lebte! Denn jemand hat ihm durchs Auge geschossen und in das Loch eine sehr spezielle Vogelfeder gesteckt: ein Markenzeichen und eine Botschaft: „Dieser Ikarus wurde für immer zum Schweigen gebracht.“ Die Feder stammt von einem Wanderfalken, findet die Forensikerin heraus, und wurde in Wachs getaucht. Auf die Brust ist das umgekehrte Petruskreuz geritzt. An die Zimmerdecke ist die Ziffer 7 gemalt.

Zugleich gegen den Cops im Haus ein weiterer Mann ins Netz. Der Gelegenheitsdieb Romao Antunes legt sich mit Carlos an und zieht dabei den Kürzeren. Mit Lost als lebendem Lügendetektor hat er bei der Vernehmung keine Chance. Er singt wie ein Zeisig, und schließlich hat er nicht nur ein paar verdächtige Autos gesehen, sondern kann die Cops vor einer bald eintreffenden Fracht Kokain warnen. Sie müssen ihn laufen lassen, denn außer Hausfriedensbruch bei einem Toten können sie ich nichts anhängen. Aber nun haben sie einen Namen: Fernando Rui ist einer der wenigen verbliebenen Kokaindealer, der noch seine Kunden mit Koks versorgen kann, nachdem die Drogenbekämpfer in Europa tonnenweise Stoff abgefangen haben.

Dafür ist die Begeisterung bei ihrem spanischen Kollegen Miguel Duarte umso größer: Denn aus Kreisen seiner Familie in Sevilla, also seinem Schwager, weiß er von einer geheim gehaltenen Mordserie, bei der genau dieses Markenzeichen der wächsernen Federn auftauchte: vor vier und vor acht Jahren. Ein bemerkenswerter Rhythmus, finden Losts Team, und Ronneberg passt genau ins Muster.

Wie Lost hinweist, war Uwe Ronneberg der Bruder von Kilian Ronneberg, dem Stellvertretenden Polizeipräsidenten von Hamburg. Dieser entsendet auf Geheiß seiner strengen Mutter zwei von Losts Kollegen. Manz und Mohnmann nennen sich gerne scherzhaft M&M, aber sie haben, als sie in Faro eintreffen, eher ein offenes Auge für die weiblichen Delikatessen ihrer Umgebung. Kein Wunder, denn sie teilen sich die gleiche Geliebte. Als sie in Faros Polizeikommissariat von Losts Team, der Inspektorin und deren Assistentin empfangen, bleiben ihre Blicke an dieser Assistentin und ihren weiblichen Rundungen kleben. Der Plan ist, M&M mit nach Sevilla zu nehmen. Nach Rücksprache mit Ronneberg geht das okay.

Unterdessen hat Gracianas Team einen weiteren Todesfall an der Backe. Im grenznahen Städtchen Tavira fand die ehemalige Mathe- und Englischlehrerin Leia Alves ein vorzeitiges Ende. Sie wurde mit einem Kabel erdrosselt. Ihre Haushälterin hat sie gefunden – und dabei die Klimaanlage abgeschaltet. Dieses winzige Details bringt Lost auf eine Idee, die er sogleich überprüft. Dies war kein Vertuschungsmord eines Einbrechers, sondern vielmehr eine gezielte Tötung, die dann durch Chaos an den Möbeln als Einbruch getarnt werden sollte. Aber wer würde schon eine alte Lehrerin killen?

Es ist ausgerechnet in Sevilla, als Lost den Zusammenhang zwischen den beiden Morden herstellt. Sie müssen sich irgendwann gekannt haben, denn sie wurden vom gleichen Killer getötet. Dieser habe sich als Kurier des Zustelldienstes Puntualmente getarnt. Solch ein Fahrzeug wurde sowohl von Antunes, dem Einbrecher, und von der Haushälterin gesehen. Sub-Inspektor Duarte, europaweiten Ruhm im Blick, flippt aus, als er das hört. Wo bleibt da seine schöne Theorie mit dem Serienmörder, der Feder und Petruskreuz hinterlässt? Carlos stellt sich auf die Seite von Lost und bedrängt Duarte. Diplomatisch geht Graciana dazwischen, sie zieht alle aus Fuseta ab, M&; bleiben in Sevilla.

Nun ist die Kripo von Faro/Fuseta auf sich wieder auf sich allein gestellt. Aber es gibt Hoffnung, wie Carlos und Lost wissen. Sie haben Fernando Rui, den Dealer, beschattet und haben einen Kurier in die Mangel genommen. Leider handelt es sich ausgerechnet um Tonio, den Freund von Zara, Losts Untermieterin (Band 2). Und Toninho, wie er sich nennen lässt, verrät ihnen, wann die große Lieferung kommen soll: am kommenden Donnerstag. Sie haben noch zwei Tage, um sich vorzubereiten. Doch durch eine Verkettung unglücklicher Umstände erfährt die Gegenseite von den Plänen der Polizei und geht prophylaktisch zum Angriff über,,,

Mein Eindruck

Die ersten sechzig Seiten reißen den Leser mit viel Action und Spannung direkt in die Handlung hinein. Doch darauf folgt erst einmal sehr viel Lokalkolorit und Personalvorstellung. Ich wollte das Buch schon zur Seite legen, aber der Erzähler durch die zweite Leiche andeutet, dass eine sehr viel verwickeltere Handlung zu erwarten ist. Irgendwie hängen die beiden Morde ja zusammen. Und weil auch noch ein Countdown eingeleitet wird, kommt die Handlung bis zu ihrem doppelten Finale richtig gut in Fahrt.

Unentbehrlich

Lost erweist sich als unentbehrlich für die Aufklärung der Morde und der Vereitelung der Kokainlieferung. In der Tat ist er so unentbehrlich, dass sich Graciana Rosado an ihre Chefin wendet mit der Bitte, für Lost eine Stelle in Faro zu schaffen. Die Portugiesen, das wird klar, sind sehr erfinderisch in der Interpretation der Wirklichkeit und der flexiblen Beugung der herrschenden Verhältnisse. Doch auch eine Kommissarin muss erst einmal mit den beiden deutschen Kollegen aus Hamburg reden, bevor sie etwas entscheidet.

Borniert

Und das ist genau der Haken: Die Kollegen M&M aus Hamburg sind triebgesteuerte Nichtskönner, die nicht mal wissen ein Asperger ist. Sie nehmen, was sie von diesem Drittweltland kriegen können: Frauen, Handtücher und Bademäntel. Man weiß ja nie… Und als Manz herausfindet, dass Lost nicht lügen kann und immer die Wahrheit sagt, kommt es am Schluss zu einer unschönen Abrechnung mit der Engstirnigkeit der Hamburger Kollegen. verpasst Carlos Estevez gibt ihnen mit der Faust zu verstehen, was er davon hält.

Romantik

Lost ist in Soraia Rosado verliebt, muss aber noch viel darüber lernen, was Liebe ist und was allgemeinmenschlicher Beistand. Auch die Romanze zwischen Zara und Toninho trägt stark zum Romantikfaktor bei, der weibliche Leser entzücken dürfte, denn auch Tragik ist bei dieser Liebe im Preis inbegriffen.

Das Generalthema

Das Generalthema besteht in dem ausufernden Drogenhandel. Der Autor hat sich offensichtlich kundig gemacht, wie das Kokain usw. nach Südeuropa gelangt und von dort weiterverteilt wird. Mit einem perfiden Trick gelingt es Pablo Delgado, dem Drogenboss, zwei Frachtaktionen einzufädeln. Eine wird abgefangen, und das bricht seinem Rivalen Herrera wirtschaftlich das Genick. Doch was ist mit der zweiten Lieferung, fragen sich die Polizisten. Es ist diejenige, die Toniho ausbaldowert hat und die am Donnerstag ankommen soll. Doch wo und wann, wie wird sie Transport? Es kommt zu einem dramatischen Wettlauf mit den Kriminellen.

Humor

Der Clou ist die Erfindung von „Dan B. Tuckers Wörterbuch der sinnlosen Sätze“ und dessen Einsatz. Beispiele gefällig?
„Sieh mal einer an!“ und
„Wer hätte das gedacht?“ und
„Was sagt man dazu?“

Solche Worthülsen verwendet unsereins vielleicht intuitiv, um Erstaunen auszudrücken. Aber Leander Lost verwendet dieses hohle Wortgeklingel ganz bewusst und absichtsvoll. Und erst dadurch wirkt es auf einmal so komisch.

Zwar ist der vielfach erwähnte Dan B. Tucker ein Pseudonym, aber ob der „wahre Name“ nicht doch ebenfalls erfunden ist, lässt der Autor ebenfalls anzweifeln. Wie auch immer: Die sinnlosen Sätze sind im gezielten Einsatz – der jeweils genau bibliografisch „belegt“ wird – ein voller Erfolg. Das lässt tief in die Basis zwischenmenschlichen Miteinanders blicken.

Das zweite Thema dreht sich um Fortpflanzung. Seit in der westlichen Welt die Baby-Mania ausgebrochen ist, dürfte dies vor allem weibliche Leser – und das ist die große Mehrheit der Leserschaft – von großem Interesse sein: Ist der Intelligenzbolzen Leander auch unterhalb der Gürtellinie aktiv, ist er nun ein Daddy oder nicht, und wenn ja, bei welcher? Zweifellos ein pikanter Casus, dessen wahren Sachverhalt es schleunigst zu ermitteln gilt!

Textschwächen

S. 105: „Estevez verzog keine Meine“: Gemeint ist wohl seine Miene.

S. 141: „Auf jeden Fall kam sie beizeiten sehr überraschend um die Ecke“: „beizeiten“ bedeutet „rechtzeitig, frühzeitig“, aber was der Autor hier wohl meint – denn sonst wäre der Satz doppelt gemoppelt – ist wohl „zuweilen“.

S. 158: “eine[s] der vielen Dinge”: Das S fehlt.

S. 369: “brachte sich hinter den Ba[r]ken in Sicherheit“. Barken sind jedoch Segelschiffe und haben auf der Straße nichts zu suchen. Gemeint sind vielmehr Baken, wie man sie an Bahnübergängen findet. Hier sind aufstellbare Baken an der Straße gemeint. Das R ist also überflüssig.

Unterm Strich

Ein Algarve-Krimi wie dieser muss zwei Bedingungen erfüllen: Die Ermittlung muss spannend sein und deshalb unvorhersehbar verlaufen. Das wird erfüllt, denn Lost selbst wird mehrfach getäuscht. Und zweitens soll der Leser Land und Leute an der Algarve kennenlernen. Die Beschreibung erfolgt nicht nur durch eben diese Leute, sondern auch durch das Kontrastprogramm: Die beiden Hamburger Cops führen sich auf wie die bornierten Schnösel, die obendrein triebgesteuert sind und jede hübsche Donna sabbernd anstarren (was natürlich nie so plump beschrieben wird). Der dritte Faktor ist die detaillierte Beschreibung der kulinarischen Köstlichkeiten die diverse Frauen zubereiten. Rita Falk hat es in ihren Eberhofer-Krimis vorgemacht, und das sehr erfolgreich.

So ist für jede Menge Unterhaltung gesorgt. Hinzukommt ein guter Schuss Romantik, viel Täuschung und Heimtücke, eine gehörige Portion Action und Rätsel. Ein doppelt gestaffeltes Finale beschließt nicht nur die Kokain-Action, sondern den Rachefeldzug, der dem ganzen Fall Struktur und Geheimnis verleiht. Wären die zweiten 60 Seiten flotter gewesen, hätte ich dem Roman die volle Punktzahl verliehen.

Taschenbuch: 400 Seiten
ISBN-13: 9783462054248
https://www.kiwi-verlag.de/


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