Interview mit Joachim Meyerhoffs anlässlich seiner Live-Lesung »Man kann auch in die Höhe fallen«

Joachim Meyerhoff (c) Foto: Von C.Stadler/Bwag
Joachim Meyerhoff (c) Foto: Von C.Stadler/Bwag – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Joachim Meyerhoff, geboren 1967 in Homburg/Saar, aufgewachsen in Schleswig, hat als Schauspieler an verschiedenen Theatern gespielt, unter anderem am Burgtheater in Wien, am Schauspielhaus in Hamburg, an der Berliner Schaubühne und den Münchener Kammerspielen. Dreimal wurde er für seine Arbeit zum Schauspieler des Jahres gewählt. 2011 begann er mit der Veröffentlichung seines mehrteiligen Zyklus Alle Toten fliegen hoch. Seine Romane wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt 2024 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor. (Verlagsinfo Argon-Verlag)

Literarische Werke

Amerika. In: Alle Toten fliegen hoch. Nr. 1. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, ISBN 978-3-462-04292-4.
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war. In: Alle Toten fliegen hoch. Nr. 2. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, ISBN 978-3-462-04516-1.
Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke. In: Alle Toten fliegen hoch. Nr. 3. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015, ISBN 978-3-462-04828-5.
Die Zweisamkeit der Einzelgänger. In: Alle Toten fliegen hoch. Nr. 4. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, ISBN 978-3-462-04944-2.
Hamster im hinteren Stromgebiet. In: Alle Toten fliegen hoch. Nr. 5. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020, ISBN 978-3-462-00024-5.
Man kann auch in die Höhe fallen. In: Alle Toten fliegen hoch. Nr. 6. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024, ISBN 978-3-462-00699-5.

»Herzlich willkommen bei Hingehört. Wir sind hier in der Schaubühne, wie man hinter mir auch sehen kann, und ich freue mich sehr, dass wir heute über mein Hörbuch sprechen werden.«

Hallo, Joachim, wie kommt es, dass wir dich heute in der Schaubühne treffen?

»Na ja, wenn man ein Hörbuch macht, hat man natürlich die Möglichkeit ins Studio zu gehen, aber meine Erfahrung hat einfach gezeigt, dass es mir bei meinen Texten schon sehr viel mehr Freude bereitet, wenn ich das mit einem Publikum zusammen machen kann, weil es schon auch eine lange Zeit ist, ein ganzes Buch zu lesen. Wenn ich stundenlang im Studio sitzen muss, wird mir manchmal ein bisschen langweilig und mit den Leuten unmittelbar im Kontakt zu sein, tut einfach der ganzen Atmosphäre gut. Wie ich meine Texte sehe, haben die viel auch mit Reaktionen vom Publikum zu tun.«

Wie aufregend ist es dann, ein ganzes Buch live als Hörbuch einzulesen und wie hast du dich darauf vorbereitet?

»Ach, um Gottes Willen, es ist sehr aufregend, natürlich, gerade vor Publikum, ist es natürlich noch mal aufregender, weil es im Grunde eine Theatersituation ist, und man sich natürlich schon auch verliest. Aber Gott sei Dank kann man das dann auch so schneiden oder ich kommentiere das direkt. Ich müsste mich viel besser vorbereiten, das ist mir klar, aber es ist gar nicht so einfach, ein ganzes Buch vorzubereiten. Ich kenne natürlich auch meine Texte ganz gut und ich mag es eigentlich sogar ganz gerne, wenn es nicht ganz so perfekt ist. Ich weiß schon, dass der Anspruch ist, dass die Dinge so sind wie im Buch, aber ich habe fast auch die Möglichkeit beim Vorlesen, ab und zu ein bisschen zu improvisieren. Wenn mir Sätze nicht ganz so gelungen vorkommen, kann ich sie sogar in der Aufzeichnung noch ein bisschen abändern.«

Wie viel Persönliches steckt in »Man kann auch in die Höhe fallen« und wie ist es, das vor großem Publikum vorzutragen?

»Das ist natürlich ein bisschen die Kernfrage zu diesem ganzen autobiografischen Projekt, das ich jetzt schon seit vielen Jahren verfolge. Es steckt sehr, sehr viel Persönliches in meinen Büchern und gleichzeitig brauche ich immer die Fiktion, um mich diesen Persönlichen wirklich stellen zu können. Das Fiktionalisieren ist in dem Sinne nicht ein Versuch auszuweichen oder sich zu drücken, sondern das Fiktionalisieren ist im Grunde für mich ein Instrument, um mich dem noch besser stellen zu können. Genauso wie auch die Komik etwas ist, was ich noch mehr suche.

Und das vor den Leuten zu machen, mein Gott, daran bin ich eigentlich auch sehr gewöhnt, als Schauspieler, wenn ich Rollen spiele, mache ich eigentlich auch nichts anderes. Ich versuche, die möglichst persönlich zu spielen. Darum geht’s ja mir in meinem Beruf als Schauspieler, genauso wie als Schriftsteller, dass ich die Dinge beseele mit etwas, mit dem man sich verbinden kann, mit dem Schmerz, mit den Verlusten, die wir alle erleiden, mit den Unsicherheiten, aber eben auch mit der Komik oder mit dem, was ich als grotesk empfinde. Mir ist das sehr vertraut mittlerweile, das auch zu performen, aber gleichzeitig ist es natürlich immer aufregend, zu wissen, ich lese mein ganzes Buch.«

Wie würdest du deine Mutter kurz beschreiben und wie kam es dazu, dass du ihr den sechsten Band deiner Romanreihe gewidmet hast?

»Die Frage finde ich ein bisschen seltsam, denn ich schreibe ein ganzes Buch, um meine Mutter zu beschreiben und sie jetzt kurz zu beschreiben, wäre im Grunde genommen das Gegenteil davon. Meine Mutter ist so toll, dass man ein ganzes Buch dafür braucht. So wie ich eigentlich glaube, dass man jeden Menschen nicht kurz beschreiben kann. Wir neigen dazu, dass immer alles kurz beschrieben werden soll. Jeder Film soll so kurz wie möglich sein, jeder Clip. Ich hätte eigentlich auch hier Lust in diesem Interview, nicht kurz zu sein, weil ich alles Kurze uninteressant finde.

Ich liebe Theaterabende, die sechs Stunden lang sind. Ich liebe Bücher, die es dauert, 20 Stunden zu lesen, die 600 Seiten haben. Ich bin kein Freund von dieser unendlichen Verkürzung, die überall ist. Alles wird immer kürzer und kleiner und wir verschwinden in unserer Komplexität dahinter. Und deswegen werde ich meine Mutter nicht kurz beschreiben, sondern man kann das ganze Buch lesen und dann weiß man immer nur noch einen Bruchteil von meiner Mutter, denn man müsste unendlich lange über sie sprechen, weil sie so toll ist.«

Bist du heute Abend mehr Schauspieler oder mehr Schriftsteller und wenn du dich entscheiden müsstest, auf welche der beiden Künste könntest du eher verzichten?

»Das ist eine harte Frage, weil ich natürlich unglaublich viel zu tun habe und oft auch überfordert bin dadurch, dass ich beides machen muss. Oder beides machen möchte – und dann denke ich ab und zu, die Schauspielerei wäre vielleicht genug, oder die Schriftstellerei, aber ich brauche beides so sehr. Weil das eine ist ein sozialer Vorgang, ich kann mich mit anderen verbinden, ich habe Kollegen, ich vereinsame also nicht. Und trotzdem bin ich immer heilfroh, wenn ich niemanden mehr sehen muss und für mich schreiben kann. Dieses völlige Zurückgezogensein ist eben auch ein wichtiger Teil für mich. Ich könnte mich gar nie entscheiden, denn sobald ich mich für eine Seite entscheiden würde, würde mir das andere unendlich fehlen.«

Und was bist du heute Abend mehr, Schauspieler oder Schriftsteller?

»An diesen autobiografischen Abenden, wenn ich vorlese, verschmelzen wirklich diese beiden Berufungen, die beiden Berufe miteinander. Ich bin da sogar Dreierlei, würde ich sagen. Ich bin ein Schauspieler, ich bin ein Schriftsteller und gleichzeitig gebrauche ich diese beiden Berufe, um dann doch irgendwas von mir ganz unmittelbar ohne den Schutz von einer Profession offenzulegen.«

Wie oft denkst du dir beim laut Vorlesen, wer hat das bloß geschrieben? Hätte ich das mal anders formuliert.

»Das denke ich nie. Wenn ich schreibe, habe ich immer das Bewusstsein, dass ich das auch laut vorlese. Ich bin jemand, der vom Theater kommt. Dadurch gibt’s immer sehr stark auch das Bewusstsein, dass ich das lese und auch wenn ich schreibe, hat das für mich als Schauspieler viel damit zu tun, wie es klingt, weil ich bald 40 Jahre ununterbrochen Texte dankenswerterweise auch von fantastischen Autoren lesen darf. Und das prägt sich natürlich auch irgendwie ein in das Sprachbewusstsein. Ich will das alles dann so lesen können.

Aber nichtsdestotrotz weiß man natürlich auch, dass es niemals fertig ist. Und ein Buch ist im Gegensatz zum Theater leider etwas, was fertig ist. Ja, im Theater darf ich immer weiter dran arbeiten und deswegen fällt mir auch immer wieder etwas auf. Im Buch muss ich irgendwann sagen, das ist es. Eine Lesung gibt mir wieder die Möglichkeit, das aufzubrechen und minimal Dinge zu verändern. Und wenn man Glück hat, hat man in so einem ganzen Roman über 360 Seiten vielleicht drei, vier Momente, wo man denkt, das ist jetzt wirklich so, wie ich das sagen will. Sonst muss man immer auch mit dem Defizit der eigenen Sprachmöglichkeiten leben.«

(c) Das Interview führte der Argon-Verlag. Wir danken für die Erlaubnis, das Interview übernehmen zu dürfen.
Wer einen Fipptehler findet, darf ihn behalten:-)

Zum YouTube-VIDEO des Argon-Verlags.

Zum Inhalt des Buches

Man kann auch in die Höhe fallen. Roman.
Alle Toten fliegen hoch, Band 6

Mit Mitte fünfzig zieht der Erzähler zu seiner Mitte achtzigjährigen Mutter aufs Land, um dort an einem Roman über das Theater mit dem Titel »Scham und Bühne« zu schreiben. Es werden unvergleichliche, ereignisreiche Wochen, in denen er durch die Hilfe seiner Mutter aus einer tiefen Lebenskrise findet.

Nachdem er in Wien von einem Schlaganfall aus der Bahn geworfen wurde, hofft Joachim Meyerhoff, durch einen Neuanfang in Berlin wieder Fuß zu fassen. Doch alles kommt anders als gedacht. Die neue Stadt zerrt an den Nerven und die künstlerische Arbeit als Schriftsteller und Schauspieler fällt ihm von Tag zu Tag schwerer.

Auf der Geburtstagsfeier seines kleinen Sohnes ereignet sich ein Zwischenfall, der keinen Zweifel daran lässt, dass es so nicht weitergehen kann. Der Erzähler verlässt Berlin und zieht zu seiner Mutter aufs Land, die auf einem herrlichen Grundstück unweit vom Meer ein sehr selbstbestimmtes Leben führt. Mutter und Sohn sind sich immer schon sehr nah gewesen, aber diese gemeinsamen Wochen werden zu einer besonderen Zeit. Der Sohn klinkt sich ein in den Tagesablauf der Mutter, beginnt seinen Theaterroman und andere Geschichten zu schreiben und findet allmählich heraus aus Zorn und Nervosität, die ihn sein ganzes Leben begleitet haben. (Verlagsinfo KiWi)