Freche Frösche, gierige Zwerge
Die erste Folge von Marc Gruppes Inszenierungen der Grimmschen Hausmärchen umfasst folgende bekannte Märchen:
1) Der Froschkönig
2) Frau Holle
3) Schneeweißchen und Rosenrot
Der Verlag empfiehlt diese Beiträge ohne Alterseinschränkung.
Die Autoren
Brüder Grimm nannten sich die Sprachwissenschaftler und Volkskundler Jacob Grimm (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) bei gemeinsamen Veröffentlichungen, wie zum Beispiel ihren weltberühmten Kinder- und Hausmärchen und dem Deutschen Wörterbuch, das sie begannen. Die Brüder gelten gemeinsam mit Karl Lachmann und Georg Friedrich Benecke als Begründer der Germanistik.
„Grimms Märchen“ nennt man volkstümlich die berühmte Sammlung von Kinder- und Hausmärchen, in der Forschungsliteratur auch als KHM abgekürzt, die Jacob und Wilhelm Grimm als Brüder Grimm von 1812 bis 1858 herausgaben.
Die Brüder sammelten auf Anregung der Romantiker Clemens Brentano, Achim von Arnim und Johann Friedrich Reichardt ursprünglich für deren Volksliedersammlung Des Knaben Wunderhorn ab 1806 Märchen aus ihrem Bekanntenkreis und aus literarischen Werken. Sie waren ursprünglich nicht nur für Kinder gedacht, sondern entstanden vor allem aus volkskundlichem Interesse und erhielten entsprechende märchenkundliche Kommentare. Wilhelm Grimms sprachliche Überarbeitungen schufen daraus einen Buchmärchenstil, der bis heute das Bild von Märchen prägt.
1) Handlung von „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“
Einer Prinzessin fällt ihre goldene Kugel beim Spiel in den Brunnen, und ein Frosch bietet an, ihr zu helfen. Sie muss ihm dafür versprechen, seine Freundin zu werden und Teller und Bett mit ihm zu teilen. Als sie die Kugel zurück hat, geht sie nach Hause und vergisst den armen Frosch in seinem Brunnen.
Doch der Frosch kommt an die Tür des Königsschlosses, und auf Drängen ihres Vaters, des Königs, bekennt sich die Prinzessin widerwillig zu ihrem Versprechen. Sie muss ihren Tisch mit dem Frosch teilen. Als jedoch der Frosch fordert, dass sie ihn mit in ihr Bett nehmen solle, ist ihre Abscheu so groß, dass sie den schleimigen und hässlichen Frosch an die Wand wirft. Im gleichen Augenblick verwandelt sich der Frosch in einen Prinzen. Er war von einer bösen Hexe verwünscht worden.
Nach dem Willen ihres Vaters führt er die Königstochter als seine Gemahlin in einer Kutsche in sein Königreich. Während der Fahrt brechen Heinrich, dem treuen Diener des jungen Königs, aus Freude über die Erlösung seines Herrn mit lautem Krachen die drei eisernen Ketten entzwei, die er (der „eiserne Heinrich“) sich hatte um sein Herz legen lassen, als sein Herr in einen Frosch verwandelt worden war, damit sein Herz nicht aus Kummer zerspränge. Prinz und Prinzessin leben glücklich bis an ihr Lebensende.
Mein Eindruck
Es gibt eine zusätzliche Figur im Hörspiel, und das ist die Hofdame, die auf die Prinzessin aufpassen soll. Regina Lemnitz seufzt immer wieder „Impossible!“, denn bei Hofe spricht man feines Französisch. Ihre Seufzer steigern sich, je näher der Frosch ihrem Schützling kommt, und schließlich fällt sie hörbar in Ohnmacht: Der Frosch ist auf den Tisch gesprungen und darf von vergoldeten Tellern essen. Er will ihr „Geselle“ sein – eine sexuelle Anspielung? Er patscht und schmatzt aufs Ekligste.
Die Prinzessin denkt zunächst gar nicht daran, ihre versprochene Hilfe zu gewähren. Doch ihr Vater besteht darauf, dass Versprechen auch gehalten werden müssen: Das Töchterlein muss dem Frosch seine Wünsche erfüllen, bis ins Schlafzimmer. Hier wird nicht genknutscht wie in Disney-Filmen. Vielmehr schmeißt die Prinzessin den unverschämten Frosch an die Wand – wo er sich flugs in einen schmucken Königssohn verwandelt. Der Hexenbann ist gebrochen, was ja mal eine ungewöhnliche Kur für böse Magie ist.
Die Musik schwenkt von der idyllischen Harmonie des Anfangs über höfische Fanfarenmusik zu einem weiteren harmonischen Ausklang. Denn nun ist für die Prinzessin wieder alles in Butter.
2) Handlung von „Frau Holle“
Eine Witwe mag ihre hässliche, faule Tochter Mariechen sehr, aber nicht ihre schöne, fleißige Stieftochter. Die muss am Brunnen sitzen und spinnen, bis ihre Finger blutig sind, während die andere nichts tuend zu Hause sitzt. Beim Säubern fällt ihr die blutige Spule in den Brunnen hinein. Die Stiefmutter will, dass die Stieftochter sie wieder holt, diese springt in den Brunnen und erwacht auf einer Wiese wieder.
Dort kommt sie der Bitte nach, sprechendes längst ausgebackenes Brot aus einem Ofen zu holen und reife Äpfel von einem sprechenden Baum zu schütteln. Sie dient der alten Frau Holle mit den großen Zähnen, schüttelt ihr fleißig das Bett, dann schneit es in der Welt. Monate vergehen. Obwohl sie ein gutes Leben bei Frau Holle hat, will sie schließlich doch wieder nach Hause, weil sie Heimweh hat. Frau Holle führt sie durch ein Tor, wo Gold auf sie fällt, und gibt ihr auch die Spule wieder.
Das Mädchen erzählt zu Hause, wie es zu dem Reichtum gekommen ist. Die Witwe schickt daraufhin ihre Tochter zu Frau Holle, doch diese kommt weder den Bitten des Brotes, noch des Apfelbaums und auch nicht denen der Frau Holle nach. Sie liegt lieber faul im Bett. Zum Abschied führt Frau Holle sie zum gleichen Tor, doch als Belohnung fällt Pech auf sie, das ihr Leben lang an ihr haften bleibt.
Mein Eindruck
Ähnlich wie der Garten des Froschkönigs ist auch Frau Holles Reich voller Harmonie. Das Brot im Backofen spricht, der Apfelbaum spricht und wird ebenfalls erhört, und Frau Holle ist eine ältere Dame, die junge Hilfe gut gebrauchen kann. Die arbeitsame Stieftochter ist hilfsbereit und wird dafür belohnt, doch ihre einfältige und verwöhnte Stiefschwester wird zur Pechmarie, weil Faulenzerei und die Verhöhnung von Autoritäten niemals belohnt werden darf.
Frau Holle, gesprochen von Theaterlegende Dagmar von Kurmin, ist eine Art niedere Göttin, die durchaus Gut und Böse be- und verurteilen kann. Bemerkenswert ist, dass die Pechmarie (Reinhilt Schneider) ständig hämisch lacht und spottet, als sei sie etwas Besseres. Das kennzeichnet sie als einfältig, doch nach einer Weile dieses Lachens ist es einfach zuviel, weil es signalisiert, dass die Pechmarie keinerlei Verstand besitzt.
3) Handlung von „Schneeweißchen und Rosenrot“
Eine Mutter, die mitten im Wald lebt, hat zwei sehr liebe Töchter, Schneeweißchen und Rosenrot. Sie ähneln dem weißen und dem roten Rosenbäumchen in ihrem Garten. Schneeweißchen ist stiller und öfter zu Hause, hingegen pflückt Rosenrot lieber Blumen im Wald. Den Mädchen droht im Wald keine Gefahr von den Tieren, und auch als sie direkt neben einem Abgrund schlafen, behütet sie ihr Schutzengel.
Eines Winters sucht Abend für Abend ein sprechender Bär bei ihnen Obdach, und die Kinder, obwohl sie sich zuerst fürchten, fassen Zutrauen und spielen mit ihm, was dem Bären behagt. Wenn es ihm zu arg wird, brummt er: „Lasst mich am Leben, ihr Kinder. Schneeweißchen, Rosenrot, schlägst dir den Freier tot.“
Im Frühjahr muss der Bär wieder fort, um seine Schätze vor den Zwergen zu schützen. Am Türrahmen reißt er sein Fell ein und Schneeweißchen meint, Gold darunter hervorschimmern zu sehen. Später treffen die Mädchen im Wald dreimal einen Zwerg, der mit seinem Bart an einem gefällten Baum, dann an einer Angelschnur festhängt, dann will ihn ein Adler forttragen. Sie helfen ihm jedes Mal, doch er ist undankbar und schimpft, weil sie dabei seinen Bart und seinen Rock beschädigen.
Beim vierten Treffen wird der Zwerg zornig, da ihn Schneeweißchen und Rosenrot vor einem ausgebreiteten Haufen Edelsteine überraschen. Der Bär kommt und erschlägt den Zwerg. Als sie den Bären erkennen, verwandelt er sich in einen Königssohn, dem, so erfahren sie, der Zwerg seine Schätze gestohlen und ihn verwünscht hatte. Durch den Tod des Zwergs ist der Fluch, der auf ihm und seinem Bruder, dem Adler, gelegen, hat, aufgehoben worden. Schneeweißchen heiratet den Königssohn und Rosenrot dessen Bruder. Ihre Mutter geht mit ihnen und vor dem Schloss pflanzen sie Rosenstöcke, die weiß und rot blühen.
Mein Eindruck
Ursula Sieg spricht die Mutter der beiden sauberen Töchter. Schneeweißchen wird von Reinhilt Schneider und Rosenrot von Julia DeLuise gesprochen. Die Unterschiede zwischen den Töchtern sind wirklich subtil, aber Schneeweißchen ist stets etwas ängstlicher und sanfter. Sie verliebt sich als erste in den brummigen Bären, vielleicht weil er Schutz verspricht.
Die Stimme des Bären ist wirklich sehr tief, sie gehört Thomas Balou Martin. Sie signalisiert Stärke und der Bär scheint viele Schätze zu besitzen, woher auch immer. Die Schätze werden ihm von den fiesen Zwergen gestohlen, die ja bekanntlich stets nach allem gieren, was da funkelt und glitzert. Dieser spezielle Zwerg, gesprochen von Gudo Hoegel, ist obendrein für jede gute Tat, die ihm die Mädchen erweisen, undankbar und schimpft sie ärgerlich aus. Er ist die Verkörperung des Bösen, denn als der Bär ihn erschlagen hat, hebt sich ein Fluch von Bär und Adler, so dass zwei schöne Königssöhne erschienen, die nur darauf warten, die beiden Mädels zu heiraten.
Kurioser Fun-fact: Der Regisseur spricht das Lämmchen. Das aber leider kaum beachtet wird.
Die Inszenierung
Die Sprecher
Bodo Primus,
Gudo Hoegel
Michael Pan,
Katharina von Keller,
Julia DeLuise
Reinhilt Schneider,
Stephanie Kellner,
Regine Lamster,
Clara Fischer,
Jonas Minthe,
Monika John,
Julian Tennstedt,
Benedikt Weber,
Leon Reichert,
Louis Friedemann Thiele,
Helmut Zierl,
Sigrid Burkholder,
Regina Lemnitz,
Edward McMenemy,
Marlene Bosenius,
Thomas Balou Martin,
Bert Stevens,
Dirk Petrick,
Lutz Reichert
Ursula Sieg
Cecile Kott
Geräusche
Das Tonarchiv hatte m.E. einiges zu tun, als es die Samples für diese drei Hörspiele zusammentrug. Aber es entsteht immer der Eindruck einer abgeschlossenen Szenerie, die spezifische Klänge erfordert. Sei es das traute Heim von Schneeweißchen und Rosenrot, das von Frau Holle und das Schlossinnere der Königstochter. Der eiserne Heinrich verliert seine Ringe, die sein Herz umschließen, mit hörbarem Knall, und seine Kutsche rattert ebenfalls, gezogen von laut wiehernden Pferden.
Die Musik
Die Musik ist wie stets sehr traditionell und untermalt lediglich die erforderliche Stimmung, zwischen idyllisch und harmonisch bis hin zu angespannt und gefahrvoll. Geht die Geschichte gut aus, ergänzen sich häufig Harfen und Violinen.
Das Booklet
Das Cover zeigt die Szene, in der die Königstochter zum ersten Mal mit dem Frosch spricht, weil sie ihre goldene Kugel zurückhaben will. Sie muss einige Zugeständnisse machen, die das verwöhnte Gör sehr ärgern.
Diese stimmungsvolle Illustration stammt von Ertugrul Edirne.
Im Booklet sind nicht nur alle Mitwirkenden verzeichnet und alle drei Märchen mit ihren Tracks gelistet, sondern auch die ganzen 20 Folgen der ANNE-Hörspiele.
Unterm Strich
Die meisten der drei Hörspiele halten kaum Überraschungen bereit, doch für die ganz Kleinen eignen sie sich dennoch nicht. Da wird der Zwerg vom Bären kurzerhand mit einem Tatzenhieb ins Jenseits befördert, und auch die Königstochter meint es nicht gut mit dem anspruchsvollen Froschkönig, der auch noch in ihrem Bettchen schlafen will: Sie knallt ihn einfach an die Wand.
Nebenfiguren können manchmal ganz witzig sein. Da ist etwa die Hofdame, die auf die Prinzessin aufpassen soll. Regina Lemnitz seufzt immer wieder „Impossible!“, denn bei Hofe spricht man feines Französisch. Ihre Seufzer steigern sich, je näher der Frosch ihrem Schützling kommt, und schließlich fällt sie hörbar in Ohnmacht: Der Frosch ist auf den Tisch gesprungen und darf von vergoldeten Tellern essen. Er will der „Geselle“ der Prinzessin sein – eine sexuelle Anspielung? Er patscht und schmatzt aufs Ekligste, dass es ein diebisches Vergnügen ist.
Die Schurken im Stück haben immer die besten Zeilen. So etwa die Pechmarie, die allzu gern bis zum Mittag im Heiabettchen liegen bleibt, aber dennoch eine Belohnung à la Goldmarie erwartet. Oder der gierige Zwerg, der sich für seine drei Befreiungen mit Beschimpfungen bedankt. Aus den „Hobbit“-Verfilmungen Peter Jacksons wissen wir, wie sehr sich Zwerge am Bestaunen ihrer Juwelen erfreuen – bis dann ein Bär kommt und ihnen Bescheid gibt, worauf es wirklich ankommt: auf Liebe und Teilhabe. Dass Zwerge auch über schwarze Magie verfügen, habe ich hier zum ersten Mal erfahren.
Die Hörspiele
Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Den Machern hat die Produktion hörbar Vergnügen bereitet.
Die traditionelle Hintergrundmusik wird in vielerlei Hinsicht durch elektronisch erzeugte Klangeffekte und tiefe Bässe ergänzt. Um diese Effekte und tiefen Bässe angemessen gut zu hören, erweist sich der Einsatz einer Soundbar von großem Wert. Eine gleichwertige HiFi-Anlage mit Subwoofer, soweit noch vorhanden, tut die gleichen Dienste. Dann kommen nicht nur die Bässe, sondern auch die Chöre zu Geltung.
CD: über 72 Minuten
Titania Medien 2021
ISBN 9783862123025
www.titania-medien.de
Der Autor vergibt: