„Vorstoß in die Intrawelt“ ist der zweite Roman des zwölfbändigen Zyklus „Atlan – Intrawelt“. In dieser Schwesternserie zur großen Perry-Rhodan-Reihe geht es vor allem um die Abenteuer des Arkoniden Atlan, der seit seiner Entstehung eine unerklärliche Faszination auf die Leser ausübt.
_Christian Montillon_
ist der Autor des vorliegenden Romans, bisher beschränkte sich seine Tätigkeit im so genannten Perryversum auf Romane der Atlanserie. Diese Art von Einstieg gelang bereits einigen Perry-Rhodan-Autoren, die sich in der Atlanserie ihre Sporen verdienten und den Sprung in die Hauptserie schafften, zuletzt geschehen mit Michael M. Thurner, der mittlerweile sogar die Ideenfabrik für die Atlanserie bildet.
Atlan gelangt also unbekleidet in die Intrawelt, wo er gleich von zwei gewalttätigen Wesen attackiert wird. Eine verlogene Echse errettet ihn aus den Händen der Angreifer, nur um ihn seinem Herrn auszuliefern, für den Atlan fortan Sklavendienste zu leisten hat. Während seiner Arbeit erkundigt er sich nach Fakten über die Welt, bekommt aber nur Mythen zu hören. Immerhin scheint Jolo, die Echse, bereits etwas vom Flammenstaub gehört zu haben, doch schweigt er sich aus.
Die ursprünglichen Angreifer haben inzwischen ein größeres Heer gesammelt und greifen das Lager an, um sich zu rächen und Atlan zu töten. Im Handgemenge kann Atlan entkommen, ihm zur Seite soll nun Jolo stehen, als Gefährte und Führer, da er sich einigermaßen auskennt in der näheren Umgebung.
Zuerst kehrt Atlan zurück an den Ort seiner Ankunft, doch der Tunnel ist unpassierbar, Atlan vorerst gefangen in der künstlichen Hohlwelt. Ihm bleibt nur die Erledigung seiner Aufgabe …
_Tricks, Erfahrung, Stil_
Montillon müht sich auf den ersten Seiten erfolglos ab, eine transzendente Atmosphäre zu schaffen und den leider überstrapazierten |sense of wonder| zu beschwören – der Text wirkt gestelzt und abgerungen. Wer sich als Leser durch diese Seiten kämpft, wird aber belohnt: Der Großteil des Romans ist klassische Abenteuergeschichte, und hier zeigt Montillon sein Können. Die Geschichte liest sich flüssig und spannend, die Charaktere sind überzeugend gezeichnet, auch wenn wir sie leider zum Großteil nicht wiedersehen werden, da sie (wie so viele Seriencharaktere) frühzeitig und zu Atlans Gunsten das Zeitliche segneten.
Montillon setzt endlich mal glaubwürdig Atlans große Erfahrung im Zweikampf um, so dass er problemlos gegen einige Angreifer besteht, obwohl er nackt und unbewaffnet und die Schwerkraft ungewohnt hoch ist. Allerdings lässt er sich von Jolo täuschen, was wohl nötig ist, aber negativ zu Buche schlägt. Immerhin lässt Montillon ihn erkennen, dass er beeinflusst wurde und worauf er achten muss.
Erwähnenswert ist noch das Titelbild (was zum Leidwesen der Grafiker meist zu kurz kommt in Besprechungen): Arndt Drechsler ist als Künstler verantwortlich für die tollen Titelbilder der „Bas-Lag“-Romane von China Miéville bei Lübbe; mit dem Titelbild zu Intrawelt 2 zeigt er mal wieder seine Fertigkeiten. Bis auf das steril wirkende Gesicht Kytharas ist es ein gelungenes Bild.
_Fazit_
Zum ersten Band des Zyklus eine deutliche Steigerung, wenn auch mit Schwächen am Anfang. Der Sinn des Zyklus ist klar: Ausschöpfung des Potenzials „Atlan“ über möglichst interessante Abenteuergeschichten mit vielen unterschiedlichen Charakteren, eine Spielwiese für Jungautoren. Montillons Beitrag ist auf jeden Fall eines: sehr unterhaltsam.
Gute Nachrichten für die Fans von „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“: Die Geschichte von Dilara aus dem ersten Band der Chronik hat eine Fortsetzung bekommen. Band zwei knüpft an die Kurzgeschichte über eine junge, für ihre Zeit erstaunlich eigenständige Frau an, die im London des 17. Jahrhundert von furchteinflößenden Schattenwesen und einem mysteriösen, uralten Vampir verfolgt wird. In „Kuss der Verdammnis“ ist Dilara immer noch so eigenwillig, wie der Leser sie aus Hohlbeins Kurzgeschichte in Erinnerung hatte, jung ist sie allerdings mitnichten: Durch den Biss des Urvampirs Antediluvian ist aus der Heldin eine inzwischen 400 Jahre alte Vampirin geworden.
Alisha Bionda, die Autorin dieses Bandes, baut in ihrer Fortsetzung von Dilaras Geschichte nicht auf vordergründige Action, sondern legt großen Wert auf die Charakterzeichnung der Figuren. Mit Dilara portraitiert sie eine starke, faszinierende Frauengestalt, die gerade wegen ihrer Unsterblichkeit innerlich zerrissen ist.
Im London der Gegenwart macht sich die Heldin, die etliche gängige Klischees über Vampire widerlegt, auf die Suche nach ihrer Bestimmung und dem Sinn ihrer Unsterblichkeit. Von ihrem „Schöpfer“, dem Urnosferatu Antediluvian, entfremdet, trifft sie dabei auf zwei völlig unterschiedliche Männer, den jungen Calvin, den sie als Gefährten erwählt und den Anwalt Roderick Herrington, der selbst ein mysteriöses Geheimnis zu hüten scheint und auf Dilara eine ebenso seltsame Faszination ausübt wie sie auf ihn.
Auch bei den Nebenfiguren, vor allem bei dem sich selbst immer fremder werdenden Roderick Herrington, hat die Autorin viel Wert auf die Charakterentwicklung gelegt. Ganz nebenbei fließen dabei auch schöne Beschreibungen des heutigen London mit ein, wenn Dilara den Leser mitnimmt auf ihre Streifzüge. Doch Dilaras Reich geht über das moderne London, das wir kennen, weit hinaus und Biondas Beschreibungen des unterirdischen London, des Reichs der Vampire, atmet eine ganz eigene Atmosphäre.
Gegen Ende legt der eher ruhig beginnende Roman einiges an Tempo zu. Quälende Albträume und ein von ihr belauschtes Gespräch des Rates der Nosferati lassen Dilaras Lage langsam immer angespannter werden und zwingen sie endlich zu einer Entscheidung, die hier natürlich noch nicht verraten werden soll. Auf den letzten Seiten wird darüber hinaus eine weitere Person eingeführt, die für Fortsetzungen ebenfalls Potenzial haben könnte.
Der Roman endet mit einer Art „Cliffhanger“ und es bleiben eine Menge Fragen offen, vor allem natürlich die nach Dilaras wahrer Herkunft und Bestimmung und jener Kraft, die der Urvampir Antediluvian so an ihr fürchtet – aber der nächste Band der Schattenchronik erscheint ja in Kürze …
Anzumerken sei noch, dass wie bereits beim ersten Band die liebevolle Gestaltung des Buches überzeugen kann. Das sehr stimmungsvolle Cover hat wieder Mark Freier gestaltet und den einzelnen Kapiteln sind wieder inhaltlich passende Zeichnungen von Pat Hachfeld vorangestellt.
http://www.blitz-verlag.de
_Stefani Hübner-Raddatz_
|Verbrechen sind in der Realität selten so spannend wie in der Literatur. Das stellte Stefani Hübner-Raddatz während ihrer Zeit als Strafrichterin schnell fest. Seitdem weigert sie sich standhaft, eine klassische Juristenlaufbahn einzuschlagen. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter, zwei Pferden und Katzen bei Hamburg und schreibt Kurzkrimis, Kinder- und Fantasy-Geschichten. Sie ist Mitglied bei den sisters in crime.|
|Gräfin Vanessa ist sexy, intelligent, charmant – und seit Jahrhunderten tot. Jede Nacht liefert sich die rumänische Vampirlady gnadenlose Schlachten mit den grausamen Rattenleuten – mutierten Halbwesen aus der Kanalisation von Bukarest. Schließlich setzt sich die Gräfin mit ihrem treuen Erdgeist Wolopec nach New York ab, wo sie sofort in einen Kampf zwischen Vampirclans verwickelt wird. Und dort lernt sie den Blutsauger ihres ewigen Nachtlebens kennen: Vince Barrakuda.|
Wie in der Mathematik möchte ich mit dem Positiven beginnen: Martin Barkawitz weiß in diesem Roman zu unterhalten. In flottem, humorvollem Stil erzählt er die Geschichte der Blutgräfin Vanessa de Bradiscu, die von Budapest nach New York kommt und dort auf Großstadt-Vampire trifft, in einen Vampirclan-Krieg gerät und sich schließlich in einen attraktiven „jungen“ Vampir verliebt, den sie eigentlich im Auftrag der Gegenseite töten soll. Das alles ist flüssig im Heftromanniveau geschrieben und beschert einige amüsante Lesestunden.
Somit hat der Autor sein „Klassenziel“ auf jeden Fall erreicht. Nicht aber der Verleger. Und damit komme ich zum Negativen: Der Roman ist für stolze zehn Euro eine Beleidigung für jeden zahlenden Kunden, aber auch für jeden halbwegs bibliophilen Leser.
Das Cover passt nicht zur Handlung, die sich hauptsächlich in New York abspielt. Das in Anlehnung an die kaum auftreten Rattenmenschen erwählte Nagetier erinnert mehr an ein zahmes Meerschweinchen, das man auf den Schwanz getreten hat und ist künstlerisch eher kindlich naiv dargestellt, was zum Genre Grusel/Horror nicht passt.
Der Satz des Buches ist eine einzige Katastrophe. Hammellücken, wohin das Auge blickt, an einer Stelle hat sich der Blocksatz völlig verflüchtigt, durch die stoisch gesetzten Einrücker wird der Text auf 152 Seiten gequält, aber auch unnötig auseinandergerissen, was den Lesefluss enorm stört. Das Lektorat – soweit es erfolgt ist – hat auch allenfalls Heftromanniveau und ist, schlicht gesagt, grauenvoll.
Das Genre Grusel trifft auf den Roman auch nicht zu, da hier eine eher humoristische Vampirstory erzählt wird, die mehr Schmunzeln als Gruseln hervorruft. Wenn zum Beispiel die Blutgräfin eine Betrunkene aussaugt und dadurch selbst einen gehörigen Schwips hat …
Man hätte mit einem guten Lektorat in Zusammenarbeit mit dem Autor aus dem Plot viel mehr machen können und müssen – nämlich eine ordentliche Vampirhumoreske … So bleibt der schale Beigeschmack, dass man für sein gutes Geld zu wenig und schlecht verlegte Lesekost bekommt, die man in jedem günstigeren Heftroman auch erhalten hätte. Da täuschen auch die dilettantischen Innenillustrationen nicht drüber hinweg.
Vom Kauf dieses Buches kann ich daher nur abraten.
Ich wünsche dem [mgVerlag]http://www.mgverlag.de/ mehr Sorgfalt und Selbstkritik, dann werden sich die Bücher sicher verbessern. Und ich hege die Hoffnung, da dies mein erster Titel aus dem Verlag ist, den ich rezensiere, dass dieser eine unrühmliche Ausnahme bleibt. Ich lasse mich daher gerne durch die nächsten Exemplare eines Besseren belehren.
Schon im Jahre 1977 veröffentlichte Pentti Kirstilä seinen ersten Roman. Doch obwohl er in Finnland zu den erfolgreichsten Kriminalautoren zählt und bereits zweimal mit dem Preis für den besten finnischen Krimi ausgezeichnet worden ist, erschien erst im letzten Jahr der erste Roman von Pentti Kirstilä in deutscher Sprache. Aktuell ist mit „Nachtschatten“ sein zweiter Krimi in Deutschland erschienen.
_Mord im Dunkeln_
Im ersten Teil von „Nachtschatten“ schildert uns der Ich-Erzähler eine merkwürdige Situation: Auf einem seiner nächtlichen Spaziergänge trifft er auf zwei Bekannte, die ihn nicht zu bemerken scheinen. Unbeachtet kann er ihrem Gespräch lauschen und wird dann Zeuge, wie Antti Koski seine schöne Frau Annikki brutal ermordet. Mit einem scharfen Messer schlitzt er ihr die Kehle auf und flüchtet. Hier begeht der Ich-Erzähler den ersten Fehler, denn er nähert sich der Leiche und tritt aus Versehen in die sich ausbreitende Blutlache. Nun muss der heimliche Zeuge nicht nur unbemerkt vom Tatort verschwinden, sondern auch noch seine neuen Schuhe unauffällig entsorgen.
Obwohl unser Ich-Erzähler sich sicher ist, den Mörder als seinen Freund Antti erkannt zu haben, beschließt er, nicht zur Polizei zu gehen, sondern stattdessen einen Erpresserbrief zu schreiben und Anttis Reaktion abzuwarten. Aus verschiedenen Zeitschriften sammelt der Ich-Erzähler sich die notwendigen Buchstaben zusammen und verfasst seine Nachricht. Da der zweite Brief allerdings zu lang ausfällt, nimmt der heimliche Mordzeuge unvorsichtigerweise seine eigene Schreibmaschine. Als er kurz darauf seinen Freund Antti besucht, findet er dessen Wohnungstür unverschlossen vor und seinen Freund mit einer Kugel im Bauch. Nur noch ein einziges Wort bringt Antti Koski über die Lippen und verwirrt damit nicht nur den Ich-Erzähler, sondern auch die Leser.
Der zweite Teil wird von einer außenstehenden Perspektive erzählt und berichtet von den ausführlichen polizeilichen Ermittlungen. Kommissar Lauri Hanhivaara wird losgeschickt, um neugierige Nachbarn oder unvermutete Zeugen des Mordes ausfindig zu machen. Auch der klar abgesteckte Freundeskreis der Koskis wird genau unter die Lupe genommen. In vielen Gesprächen erfahren wir einiges über das Ehepaar Koski, doch die einzelnen Puzzleteile wollen sich nicht in ein stimmiges Gesamtbild einsortieren lassen. Hanhivaara hat einen eigenen Mordverdächtgen, die Ermittlungen scheinen sich allerdings in eine andere Richtung zu entwickeln.
Erst spät überschlagen sich die Ereignisse, es kommen Informationen an den Tag, die die Ermittlungen in eine ungeahnte Richtung vorantreiben …
_Wer bin ich?_
Pentti Kirstilä spielt mit seinen Lesern, wie auch Agatha Christie es gern getan hat. Im ersten Teil präsentiert er uns einen unbekannten Ich-Erzähler, den er nur ganz am Rande ein wenig vorstellt, seinen Namen erfahren wir nicht und auch nicht, wie gut er mit den Koskis bekannt ist. Als der zweite Teil beginnt, ist der Ich-Erzähler schnell vergessen, weil wir Lauri Hanhivaara bei seinen Befragungen begleiten. Erst spät erahnen wir die Zusammenhänge, doch zaubert Kirstilä am Ende noch ein Ass aus dem Ärmel, mit dem man schwerlich gerechnet hat.
Der Spannungsbogen ist nicht durchgängig geglückt. Nach einem straffen Einstieg in die Geschichte, dem baldigen ersten Mord und den merkwürdigen Geschehnissen zwischen dem Zeugen und Antti Koski leidet die Spannung nahezu im ganzen zweiten Buchteil erheblich. Hier werden wir Zeuge zahlreicher langer Befragungen im Freundeskreis der Koskis, die nur wenig neue Informationen zu Tage bringen. Die Ermittlungen treten auf der Stelle, auch wenn Hanhivaara bald einen persönlichen Verdächtigen hat, doch löst dies immer noch nicht den ganzen Kriminalfall. Nur bröckchenweise erfahren wir Dinge aus der Vergangenheit des Ehepaars Koski, die irgendwie nicht zusammenpassen wollen. Stets bleiben Fragezeichen zurück, wie zum Beispiel die Frage, warum die Koskis sich erst seit genau drei Jahren einen Freundeskreis aufgebaut haben. Die beiden scheinen viele Geheimnisse verborgen zu haben, von denen wir nur manche nach und nach erzählt bekommen. Dennoch reichen diese Informationen nicht aus, um sich ein stimmiges Gesamtbild zu machen. Dies hat zwar seinen Reiz, dennoch hätte das Erzähltempo im Mittelteil gestrafft werden können, weil zu wenig neue Hinweise hinzukommen, die uns voranbringen.
Am Ende greift Kirstilä in die Trickkiste. Es war klar, dass ein Überraschungsschlag kommen musste (allein schon, weil er auf dem Buchdeckel bereits angekündigt wird), doch entwirrt der Autor seine Rätsel nicht ganz überzeugend. Selbstverständlich werden die meisten Leser überrascht oder erstaunt sein und wahrscheinlich noch einmal im Buch zurückblättern, um nachzuprüfen, ob das wirklich alles so stimmen kann, doch so ganz wohl ist einem bei der präsentierten Lösung nicht. Es passt zwar alles zusammen, aber realistisch erscheint uns diese Aufklärung eher nicht, ein bisschen mehr Wirklichkeitsnähe wäre hier wünschenswert gewesen.
_Pluspunkte_
Punkten kann Kirstilä mit seiner Erzählweise; besonders der erste Teil aus der Ich-Perspektive ist sehr gelungen. Hier wird der Leser direkt angesprochen und immer wieder mit in die Handlung einbezogen, der Erzähler lässt uns nie los und will sich stets unserer Aufmerksamkeit sicher sein. Die Sprache empfand ich als erfrischend und sympathisch; da wird schon mal eine Leiche als „Gaststar“ bezeichnet, und irgendwie passt das zu Kirstiläs lockerem Schreibstil. Der Autor beschreibt sehr genau die Schauplätze und auch die auftauchenden Personen. Besonders von Lauri Hanhivaara können wir uns im Laufe des Romans ein gutes Bild machen, das durchaus zu gefallen weiß. Hanhivaara hat Ecken und Kanten und beweist Profil. Er ist mit Eigenarten und Fehlern ausgestattet, er raucht definitiv zu viel und pflegt das merkwürdige Ritual, sich einmal pro Woche ganz gezielt zu betrinken. Natürlich passieren ihm auch bei den Ermittlungen einige Missgeschicke, die ihn authentisch wirken lassen und für den Leser sympathisch machen.
_Unterm Strich_
Insgesamt gefällt „Nachtschatten“ mit nur kleinen Abstrichen sehr gut. Das Buch ist schnell durchgelesen und weiß zu unterhalten. Am Ende bleibt der Leser erstaunt zurück, wird aber einsehen müssen, dass Kirstiläs Konstruktionen zwar nicht ganz realistisch wirken, im Buch aber durchaus stimmig sind. Lauri Hanhivaara wird uns als Mensch mit Ecken und Kanten vorgestellt, von dem wir gerne noch mehr lesen möchten. Nur der Spannungsbogen gelingt im Mittelteil nicht ganz so gut. Die Befragungen sind zu sehr in die Länge gezogen und halten den Leser nur mühsam bei Laune. An dieser Stelle wäre eine straffere Erzählweise notwendig gewesen. So bleibt dies neben dem konstruierten Buchende aber auch der einzige Kritikpunkt, über den man durchaus gerne hinwegsehen wird.
Faszinierend vielseitig – das ist der erste Eindruck dieser morbiden Anthologie, in der die Herausgeber Alisha Bionda und Michael Borlik sechzehn Horrorgeschichten bekannter Genreautoren versammelt haben.
Unglaublich spannend – das ist der zweite Eindruck, den der erste Band der neuen Serie „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ aus dem [BLITZ-Verlag]http://www.blitz-verlag.de/ hinterlässt.
Doch halt – haben Sie das gehört? Dieses Kratzen und Knirschen? Dieser schleifende Laut auf dem Boden? Das Wispern in den dunklen Zweigen? Und waren da nicht Tropfen von Blut auf dem Teppich? Dann sollten Sie dieses Buch vielleicht nicht nach Einbruch der Dunkelheit lesen, denn einige der Geschichten, wie „Das Höllenwunder“ von _Mark Freier_ (von dem übrigens auch das sehr passend gestaltete Cover stammt) oder _Barbara Büchner_s „Die Nahrung der Toten“ sind wirklich nichts für schwache Nerven.
Der Band startet mit der zunächst eher konventionell anmutenden Story „Ein besonderer Geschmack“ von _Markus Heitz_. Die Geschichte eines Dämonenpärchens auf Rachefeldzug, das aus ureigensten Motiven auch mal das Werk des Herrn tut und sich dabei einer ganz besonders „explosiven Mischung“ bedient, entwickelt allerdings beim genaueren Hinsehen einen feinen unterschwelligen Witz.
_Eddie Angerhuber_s „Das Nachtbuch“ erzählt von einem seltsamen Folianten, dem einzigen Trost einer in ewiger Nacht Gefangenen. Am Ende der Geschichte ist nichts so, wie es am Anfang schien … mehr soll hier nicht verraten werden.
Überhaupt scheinen seltsame Bücher in der Anthologie eine besondere Rolle zu spielen, schließlich verdankt die Serie einem solchen auch ihren Titel, nämlich der „Schattenchronik“, aus _Wolfgang Hohlbein_s „Schattenchronik – der ewig dunkle Traum“. Der Meister der Fantasy verwebt in der Geschichte der jungen Dilara, deren Leben kurz vor ihrer Verlobung völlig aus den Fugen gerät, geschickt Gegenwart, Erinnerungen und Visionen der Zukunft, während Dilara in den Seiten des mysteriösen, alten Buches blättert. In Gedanken durchlebt sie noch einmal die vorhergegangene Nacht, an die sie nur bruchstückhafte Erinnerungen hat und in deren Verlauf ihr Verlobter auf grauenvolle Weise zu Tode kam. Oder ist auch das nur eine der verstörenden Visionen, die mit der Schattenchronik zu tun haben und Realität und Wahnsinn ineinander fließen lassen? Gibt es Antediluvian, den uralten Vampir aus dem Buch, wirklich? Was will er von ihr und wer ist die Frau aus dem Buch, die ihr so frappierend ähnelt?
Der Leser kann Dilaras Verwirrung gut nachempfinden, denn so wie es ihr beim Durchblättern der Schattenchronik geht, fühlt man sich als Leser dieser Anthologie gelegentlich auch.
Aber auch für diejenigen, die es weniger blutig mögen, ist gesorgt. _Boris Koch_s „Heiligabend bei Manfred“ ist mit knapp zwei Seiten ein echter Quickie und beleuchtet auf heiter-witzige Weise die Frage, ob Vampire eigentlich Weihnachten feiern.
Die Geschichte der Herausgeberin _Alisha Bionda_ fällt ebenfalls aus dem Rahmen. Sie erzählt mit überraschenden Perspektivwechseln von einer obsessiven Liebesbeziehung, der nur auf den ersten Blick etwas Vampirisches anhaftet und die den Leser recht nachdenklich zurück lässt.
Auch in _Frank Haubold_s „Stadt am Fluss“ wird kein Blut vergossen, der Leser fühlt sich trotzdem bei der Fahrt des heimkehrenden Ich-Erzählers durch seine offenbar (fast) verlassene Heimatstadt auf beklemmende Weise an „Die Mächte des Wahnsinns“ erinnert. Das Gegenteil einer Coming-of-Age-Geschichte und dazu gut geschrieben.
Soliden Horror bieten die Geschichten von _Armin Rößler_ über einen Grusel-Vergnügungspark, in dem einiges realer ist, als man denken sollte, und _Dominik Irtenkauf_ und _Javier Hurtado_s „Trauerflug aus dem Süden“, in dem ein in spanischer Sprache gewisperter Hauch eine ganz besondere Rolle spielt.
_Michael Borlik_, der andere Teil des Herausgeber-Duos, geht in „Engel der Nacht“ der Frage nach, wie ein Vampir versucht, seine sterbliche Angebetete zu erobern und wie diese darauf reagiert – Romantik auf Vampirart, garantiert nicht unblutig!
Zwei weitere Geschichten verquicken das Vampirthema mit ägyptischer Mythologie, nämlich die Geschichten von _Linda Budinger_, die den Leser mit der köstlichen Idee ( hoffentlich!?) einer „Auswickelparty“ überrascht, bei welcher einem vertrockneten englischen Lord seine Faszination für Mumien zum Verhängnis wird.
_Marc-Alastor E.E._ schafft das wirkliche Kunststück, die Vorgänge bei der Vorbereitung einer Mumie aus Sicht der Mumie selbst zu schildern – sehr gelungen! Eine Geschichte, nach der man gleich im Lexikon nachschlagen würde, wie das noch mal war, mit der Mumifizierung – wenn man sich nicht gerade zu sehr gruseln würde, versteht sich.
Zwei wirkliche Highlights hält der Band für den Leser noch zum Schluss bereit. _Markus K. Korb_s „Die Brut“ erinnert von der Grundidee her an Stephen Kings „The Boogeyman“, variiert das Thema aber sehr schön auf eine Weise, die eher an Poe oder gar Lovecraft denken lässt. _Christel Scheja_s „Der Verfluchte von Tainsborogh Manor“ beschwört gekonnt die Atmosphäre jener Gothic Novels herauf, die ihre Heldin so gerne liest und erzählt auf diese Weise eine eher romantische Vampirgeschichte.
Der Band wird durch verschiedene Essays zum Thema abgerundet.
Erwähnenswert ist noch, dass alle Storys mit exklusiven, inhaltlich passenden Ilustrationen des Wolfsburger Künstlers [Pat Hachfeld]http://www.dunkelkunst.de/ versehen sind – sehr ungewöhnlich für dieses Format und für den Leser noch ein zusätzliches „Sahnehäubchen“.
Ach ja: Das Preis-Leistungsverhältnis überzeugt ebenfalls: 387 Seiten praller Horror und mehrere Stunden wohlig-gruseliges Lesevergnügen plus Hintergrund-Informationen für 9,95 Euro – was will man mehr?
_Stefani Hübner-Raddatz_
|Verbrechen sind in der Realität selten so spannend wie in der Literatur. Das stellte Stefani Hübner-Raddatz während ihrer Zeit als Strafrichterin schnell fest. Seitdem weigert sie sich standhaft, eine klassische Juristenlaufbahn einzuschlagen. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter, zwei Pferden und Katzen bei Hamburg und schreibt Kurzkrimis, Kinder- und Fantasy-Geschichten. Sie ist Mitglied bei den sisters in crime.|
Neben den drei Cine-Mangas mit einzelnen Seriennachbildungen zum Thema SpongeBob Schwammkopf haben |Tokyopop| nun auch den Kinofilm um den gelben Schwamm mit einem Comic geehrt. In diesem Comic findet man folgerichtig eine etwas kürzere Fassung des bunten Lachmuskel-Trainers, der aber wegen der wirklich schönen Zeichnungen und aufgrund des glücklicherweise nur selten verloren gegangenen Wortwitzes sehr gut geworden ist.
_Story_
Mr. Krabs eröffnet eine weitere Filiale der „Krossen Krabbe“ und benötigt eigens hierfür einen Manager. Für SpongeBob steht bereits im voraus fest, dass er wegen seiner jahrelangen Treue und diverser betriebsinterner Auszeichnungen diesen Posten verdient hat und auch bekommen wird. Als sich sein Boss jedoch dann für Thaddäus entscheidet, beginnt für den kindlichen Schwamm eine längere Frust-Periode.
Zur gleichen Zeit stiehlt der fiese Plankton die Krone des Meereskönigs Neptun und schiebt die Schuld auf Mr. Krabs. Neptuns Zorn lässt nicht lange auf sich warten, und bevor sich Krabs herausreden kann, verwandelt er den Besitzer der „Krossen Krabbe“ in eine Eisstatue. Nur wenn SpongeBob und Patrick es schaffen, in fünf Tagen die Krone aus dem gefürchteten Shell City zurückzuholen, wird die rote Krabbe begnadigt.
Plankton nutzt diese Zeit, um das geheime Rezept für die berühmten Krabbenburger zu stehlen und selber Karriere als Fast-Food-Verkäufer zu machen. Seine neue Beliebtheit nutzt das kleine grüne Monster jedoch aus, um ganz Bikini Bottom zu unterwerfen. Nur wenn SpongeBob und Patrick auf dem beschwerlichen Weg nach Shell City Erfolg haben, besteht die Chance, dass sich die Lage in der friedlichen Unterwasserwelt wieder entspannt.
_Bewertung_
Anders als bei den Büchern zur Serie hatte ich bei diesem Cine-Manga befürchtet, dass die Geschichte in einem relativ kurzen Comic nicht adäquat nacherzählt werden kann. Und in gewissem Sinne habe ich auch Recht behalten, denn gegen das Kinoereignis kann das Büchlein von |Tokyopop| nunmal nicht ankommen.
Betrachtet man das Werk allerdings als das, was es ist, nämlich einen unterhaltsamen Comic, dann wird man an „SpongeBob Schwammkopf – Der Film“ in Buchform sehr schnell seine Freude haben; immerhin haben sich die Macher alle Mühe gegeben, die Handlung in dem begrenzten Rahmen lustig, kurzweilig und trotzdem vollständig nachzuzeichnen. Dass dabei so manche Szene aus dem Film nur kurz oder auch gar nicht angerissen werden kann, liegt in der Natur der hier vorherrschenden Idee und ist nur allzu verständlich. Schade ist halt nur, dass Gags wie der penetrante „Taube Nüsschen“-Song sich nicht entfalten können oder die peinliche Aktion mit den Seifenblasen in einer Rockerkneipe ganz wegfällt. Das sind meiner Meinung nach Schlüsselszenen, die dem Film erst die notwendige (alberne) Würze geben, und abseits von diesen beiden Beispielen gibt es noch eine ganze Hand voll solcher Momente, die man sich für die Kurzfassung hier geschenkt hat.
Das ist für Fans sicher nicht akzeptabel und verdient auch berechtigte Kritik, zumal man die Sache etwas ungünstig aufgeteilt hat. Die eigentliche Action auf dem Weg nach Shell City bekommt nämlich nur einen geringen Teil des vorhandenen Raumes geschenkt, während zum Beispiel die Stelle, in der Neptun Mr. Krabs verwandelt deutlich zu viel Platz eingeräumt bekommt.
Dies muss man schon alles beachten, weshalb ich auch ganz deutlich sagen muss, dass der Comic nur als Ergänzung empfehlenswert ist, wohingegen der Film definitiv Pflichtstoff ist. Als nette Unterhaltung mit albernen Witzen und sehr schönen und ziemlich bunten Illustrationen ist „SpongeBob Schwammkopf – Der Film“ aber ebenso stark wie die themenbezogenen Begleitbücher zur Serie – er ist eben nur nicht vollständig!
Arthur Conan Doyle meets H. P. Lovecraft: 18 neue Storys um Sherlock Holmes, der dieses Mal keinen Kriminellen das Handwerk legt, sondern mit den Umtrieben des außerirdischen Kraken-Gottes Cthulhu konfrontiert wird. Das Crossover funktioniert erstaunlich gut & vor allem dann, wenn sich die Autoren von den ursprünglichen Erzählmustern frei machen und den jeweiligen Mythos interpretieren: Insgesamt ein ungewöhnlicher und ungewöhnlich unterhaltsamer Lese-Spaß für Krimi- und Horrorfans. Reaves, Michael / Pelan, John [Hg.] – Sherlock Holmes: Schatten über Baker Street weiterlesen →
Mit dem vorliegenden Roman startet die Schwesterserie zu Perry Rhodan einen neuen Kurzzyklus: „Atlan – Intrawelt“ ist das Motto, unter dem sich zwölf Heftromane in zweiwöchiger Erscheinungsweise versammeln.
_Hubert Haensel,_
Perry-Rhodan-Autor und Redakteur der so genannten „Silberbände“, gibt mit dem ersten Intraweltroman ein Gastspiel bei |Atlan|. Informationen zu seiner Person und zur Perry-Rhodan-Serie finden sich unter http://www.perry-rhodan.net.
Der Intraweltzyklus schließt direkt an die Geschehnisse des letzten Zyklus um den „Dunkelstern“ an. Atlan und seine sexy Begleiterin Kythara werden von einer eigentlich belanglosen Opposition vor dem Zugriff der Machthaber (Lordrichter) gerettet und begeben sich aufgrund Atlans überragender Tauglichkeit in ein neues Abenteuer: In der Intrawelt sei |Flammenstaub| zu finden, mit dem der Opposition eine mächtige Waffe gegen die Lordrichter zur Verfügung stehen würde. Die Hohen Mächte des Kosmos haben allerdings ihre Finger im Spiel, so dass es nur privilegierten Persönlichkeiten möglich ist, die Intrawelt zu erreichen bzw. zu verlassen.
In einer sternentstehungsaktiven Interstellarstaubwolke werden Atlan und Kythara fündig: Die durch Abstoßfelder gesicherte Intrawelt taucht auf. Das Problem ist nur, wie man sie erreichen soll …
_Atlan, sein Extrasinn und Egozentrum_
Haensel liefert einen routinierten Roman ab, der Rückblicke auf die direkten Vorgängerzyklen gewährt und so ein gewisses Verständnis für neue Leser schaffen soll. Gleichzeitig muss der Roman selbst einen eigenen Reiz ausstrahlen, um neue Leser zu halten und alte Leser neu zu animieren. Das gelingt Haensel nur durch das auftretende Rätsel um die Intrawelt und den Wächter derselben, ansonsten ist der Roman nur brauchbar als Rückblick. Der Titel „Wächter der Intrawelt“ ist eher irreführend, da zwar der Wächter ein interessantes Wesen ist, aber nur eine untergeordnete Rolle spielt und in der Unendlichkeit des Weltraums verschwindet. So bleibt zwar die geschaffene Faszination, aber ob wir das Wesen wiedertreffen werden, bleibt fraglich.
In seiner großen Routine ist dem Autor ein durchaus gravierender Fehler unterlaufen, und zwar in der Darstellung von Atlans Verhältnis zu seinem Extrasinn. Natürlich ist es für Neuleser unverständlich, was der Extrasinn genau ist und wieso er als Logiksektor nur unqualifizierte Bemerkungen macht. Schlimmer ist aber die Hauptaussage des Sinns. Er nennt Atlan mehrfach „Barbar“, was zweifellos eine Verwechslung durch Haensel sein muss, denn wir wissen aus der frühen Perry-Rhodan-Serie, dass der Extrasinn den Arkoniden Atlan stets mit „Narr“ beschimpfte, Atlan selbst die gegen die Arkoniden junge Rasse der Terraner, allen voran Perry Rhodan selbst, als Barbaren tituliert.
Der entscheidende Wächter vor Atlans Eintritt in die Intrawelt ist ein krakenähnliches Wesen, das anscheinend in seiner Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt ist, denn es will erst nur Kythara den Zugang gewähren. Atlan und Kythara wehren sich vehement und verlangen eine erneute Prüfung, um zu zweit gehen zu können, doch das Wesen kehrt seine Entscheidung um hundertachtzig Grad und verwehrt nun Kythara den Weg. Atlans Ego ist beruhigt, er darf passieren und tut dies auch ungeniert ohne seine Begleitung. Schade für den männlichen Leser, denn die Passage ist nur im Adams- bzw. Evakostüm gestattet.
_Fazit_
Insgesamt ein Roman, der trotz einer gewissen Langatmigkeit noch lesbar ist, vor allem aber durch einen sehr kurzen Abschnitt Faszination für ein anscheinend doch irrelevantes Wesen und die Andeutung des behandelten Rätsels lebt. Eine Steigerung in den Folgebänden wäre wünschenswert.
Anthologien spalten die Nation der Verleger, Leserschaft und Rezensenten. Die einen bejubeln sie als Plattform für bekannte und eher unbekannte Autoren. Die anderen winken müde ab: „In dieser Zeit unverkäuflich“, klagen die Verleger. Ich bewege mich in der Mitte – aber immer mehr in Richtung Anthologien. Vor Jahren habe ich das Kreuz geschlagen, wenn mir einer damit kam. Ich fühlte mich nur von Romanen in epischer Länge angesprochen. Nunmehr finde ich diese Kurzgeschichtensammlungen immer interessanter, soweit sie gute Novellen beinhalten. Da sind wir auch schon bei der Krux dessen, denn nicht jeder, der einen guten Roman verfassen kann, ist in der Lage, ebensogute Kurzgeschichten abzuliefern (und umgekehrt).
Ich gebe zu, ich bin mit besonderer Erwartungshaltung an diese Anthologie herangegangen. Erstens, weil ich den Herausgeber persönlich kenne und weiß, wie ehrgeizig er seine Projekte verfolgt; zweitens, weil ich etliche der in Band 1 und 2 aufgenommenen Autoren kenne und schätze – sie teilweise auch in meinen Anthologien oder Projekten vertreten sind – und drittens, weil der Herausgeber in seinem Vorwort selbst eine sehr hohe Messlatte anlegt. Hat er dieses Nonplusultra erreicht? Das sollte jeder Leser selbst entscheiden!
Die Namen der Autoren in Band 1 der VISIONEN lesen sich erst einmal nicht schlecht. Eine Mischung von bekannt und auf dem Weg dahin, die gute Lesekost erwarten lässt. So weit – so gut.
Kommt der nächste Schritt: Was erwarte ich von dieser neuen Anthologie-Reihe, die unter der Flagge VISIONEN segelt? Nun ist die klassische Bedeutung der Vision (visio) die Erscheinung, die übernatürliche Erscheinung als religiöse Erfahrung, und es ist mehr als bezeichnend, dass gerade die Kurzgeschichten, die sich darum ranken, zu den besten dieses Bandes gehören.
Allen voran die |großartig| erzählte Story von Karl Michael Armer, die neben „Die unbefleckte Empfängnis“ von Rainer Erler mit Abstand die beste ist. Ich gebe zu, ich habe von Armer noch nie etwas gelesen, weil ich in der Zeit seiner ersten Schaffensphase (achtziger Jahre), eher Non-Fiction las. Aber „Die Asche des Paradieses“ ist das Kleinod dieser Anthologie! Definitiv! Stilistisch, visionär und philosophisch. Eine Geschichte, die man nicht nur einmal liest. Das steht fest. Sie ist polit-kritisch, temporeich und weiß vom ersten bis zum letzten Satz zu überzeugen, hinterlässt einen tiefen Eindruck und macht nachdenklich. Leserherz, was willst du mehr?
Nicht umsonst wurde sie mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis 2005 als beste Kurzgeschichte ausgezeichnet. Ich stehe – wie viele – solchen Preisen sehr kritisch gegenüber, |aber|: Wenn je ein Preis verdient vergeben wurde, dann dieser! Alleine wegen der Karl-Michael-Armer-Story bin ich dankbar für diese Anthologie.
Doch soll das die ein oder andere ebenso vortreffliche Story nicht schmälern. Wie z. B. die von Rainer Erler. In flüssigem Stil bietet dieser die „Unbefleckte Empfängnis“ einmal anders an. Dabei so menschlich lebendig geschildert, dass man mit dem Paar lebt, liebt – und staunt. Was so alles zwischen Himmel und Erde möglich scheint!
Den humorigen Part dieses Bandes übernimmt Uwe Hermann in „Die unwiderlegbare Wahrheit“. So abgedreht kann die Jagd auf den Weihnachtsmann also sein! Köstlich!
„Relicon“ von Michael Marrak bietet den gewohnt flotten Stil des Autors, brachte mich streckenweise zum Schmunzeln und glänzt durch die teilweise unwirklichen Fragmente. Leider fällt die Schlusssequenz vorhersehbar aus, was aber bei mir dennoch keinen schalen Nachgeschmack hinterlassen hat.
Andreas Gruber, ein großartiger Autor des phantastischen Genres, konnte mich mit „Parkers letzter Auftrag“ nicht vollends überzeugen. Erstmalig, was diesen Autor angeht. Wenn ich dagegen an seine düsteren Novellen in „Der fünfte Erzengel“ (auch bei |Shayol| – in Kooperation mit |Medusenblut| – erschienen) denke, wirkt seine Story in diesem Band eher weniger unter die (Leser)Haut gehend. Damit ich nicht missverstanden werde: Sie ist nicht schlecht, aber bei dieser Anthologie erwartet man nach der Ankündigung halt nur literarische Sahnehäubchen.
Kommen wir zu Malte S. Sembtens „Jagdausflug“. Sembten weiß zu unterhalten, das bezeugen Veröffentlichungen in anderen Anthologien. Auch seine Story ist routiniert erzählt, aber leider etwas vorhersehbar und mit einem eher dünneren Plot versehen. Bedauerlicherweise. Wenn man – wie ich – Sembtens-Texte kennt, weiß man, dass er es besser kann.
Jan Gardemanns „Case Modding“ ist von der Struktur her ausgefallen. Die Dialoge sind frisch und unterhaltsam. Diese Story bildet einen modernen Kontrast zu den eher klassischen – wirkt aber nicht völlig ausgereift.
Alle anderen Geschichten sind handwerklich gut erzählt, in einer literarischen Bandbreite, wie sie in allen Anthologien vorzufinden ist, daher gehe ich nicht näher darauf ein. Der geneigte Leser überzeuge sich selbst!
Und nun komme ich unvermeidbar zur Kehrseite der Medaille. Größtes Manko dieser Sammlung ist die miserable Story von Myra Çakan. Es ist ja bekannt, dass Cyperpunk ein weites Feld ist. Leider besonders, was das Niveau angeht. Myra Çakan hat, was das angeht, in die Vollen gegriffen und ganze Arbeit geleistet. Schlechter geht es fast nicht mehr. Leider hat gerade in dieser Story auch das Lektorat nicht genug eingegriffen; so hätte man zumindest stilistisch noch etwas „herausreißen“ können. Denn auch Schnodder-Cyberpunk unterliegt einem gewissen Qualitätsanspruch – den erwarte ich besonders in einer solchen Anthologie.
Warum es sich Herausgeber und Verlag angetan haben, diese bereits veröffentlichte „Geschichte“ erneut zu verlegen, bleibt mir schleierhaft. Besonders im Falle von Helmuth W. Mommers, den ich als |sehr| kritischen Beobachter und Bewerter dieses Genres kennen gelernt habe. Diese Story hätte man zum Wohle der Anthologie einsparen müssen, den Platz lieber dafür nutzen sollen/können, die anderen Geschichten exklusiv illustrieren zu lassen, was die Anthologie auch optisch abgerundet hätte. Hier wäre (textlich) weniger mehr gewesen.
Das Cover findet hingegen wieder meine volle Zustimmung, es spricht von der Farbgebung und dem eher ungewöhnlichen Motiv an und hebt sich von der breiten Masse ab. Ein großes Kompliment an den Herausgeber. Zumal der Künstler Julio Viera nicht einfach „irgendwer“ ist. Papier und Druck sind sehr gut, das Lektorat besser als bei vielen anderen Kleinverlagen, aber leider durch Stilblüten wie „Sein herrischer Tonfall ließ seinen Mundschutz beschlagen“ noch über der Kulanzgrenze. Das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch, muss aber dennoch Erwähnung finden.
Alles in allem kann ich diese Anthologie wärmstens empfehlen. Sie macht Appetit darauf, von dem ein oder anderen Autor, auch in diesem Genre, mehr zu lesen, und sie macht neugierig auf Band 2, der bereits vorliegt. Wer die Reihe vollständig sein Eigen nennen will, sollte rasch zugreifen!
Gerne wird Tom Wolfe als Amerikas „Mr. Zeitgeist“ tituliert. Ein Autor, der seinen Finger in die Wunden der heutigen Gesellschaft legt, der die gesellschaftlichen Strömungen auseinander nimmt und dadurch tiefere Einblicke vermittelt. Genau das will er auch mit seinem neuesten Roman „Ich bin Charlotte Simmons“ wieder erreicht haben. Ein Buch, das schon seinem äußeren Anschein nach den Eindruck vermittelt, dass Wolfe durchaus ein literarisches Schwergewicht ist – und das nicht nur, weil der Schmöker ein stolzes Kilo auf die Waage bringt.
Charlotte Simmons ist jung, beneidenswert intelligent und der Stolz von Lehrerschaft und Eltern. Sie schafft mittels Stipendium den Sprung aus einem kleinen 900-Seelen-Kaff in den Bergen North Carolinas an die traditionsreiche Elite-Uni Dupont in Pennsylvania. Für Charlotte geht damit ein Traum in Erfüllung. Endlich findet sie die richtige Heimstatt für ihren überragenden Intellekt. Sie wird auf den Olymp des Wissens ziehen, um mit unzähligen Gleichgesinnten Wissenschaft, Kultur und Bildung zu frönen.
Doch kaum hat das Provinzmädchen sein Studium angetreten, wird es auch schon von der grausamen Realität eingeholt. Der erhoffte Olymp des Wissens entpuppt sich als Paradies der Stumpfsinnigen, die Sex und Alkohol „studieren“. Charlotte ist entsetzt. Hier bringen nicht gute Noten Ansehen und Respekt, sondern nur die angesagtesten Klamotten, ungehemmter Alkoholkonsum bis zur Besinnungslosigkeit und sexuelle Freigiebigkeit. Charlotte, im so genannten „Bible-Belt“ aufgewachsenen und religiös erzogen, ist selbstverständlich noch Jungfrau und würde niemals auf die Idee kommen, Alkohol zu trinken.
Doch auch das Mauerblümchen Charlotte bleibt zu ihrem eigenen Entsetzen vor den Avancen männlicher Studenten nicht verschont, und so sieht sie sich schon nach wenigen Wochen von drei Verehrern umgarnt: Hoyt, dem coolsten Typen auf dem Campus, Jojo, dem weißen Star der Basketballmannschaft, und Adam, der sich für den letzten Intellektuellen am Campus hält. Charlotte entscheidet sich für den Falschen und braucht lange, um sich von der daraus resultierenden Depression zu erholen …
Der Plot klingt zunächst sehr vielversprechend. Wolfe verspricht schonungslos die vorherrschende Jugendkultur zu demaskieren und ganz nebenbei noch mit dem aktuell in Amerika schwelenden Kulturkampf zwischen dem Konservativismus des Mittleren Westens und dem Liberalismus von Ost- und Westküste abzurechnen. Damit packt Wolfe wieder mal ein heißes Eisen an und wird seinem Ruf als „Mr. Zeitgeist“ gerecht.
Wolfe, dessen Wurzeln im Journalismus liegen und der in den Sechzigern zu den Begründern des sogenannten „New Journalism“ gehörte, der den vorherrschenden Reportagestil mit literarischen Stilelementen versetze, scheint hier einen Themenkomplex gefunden zu haben, der genau nach seinem Geschmack ist. Allein optisch könnte der Kontrast zwischen dem Autor und seinen Figuren kaum größer sein: cremefarbene Maßanzüge gegen Schlabberhosen und schief sitzende Baselballkappen.
Der Stoff, der „Ich bin Charlotte Simmons“ zugrunde liegt, bietet in jedem Fall eine Menge Potenzial für eine gleichsam kritische wie auch provokante und ironische Betrachtung. Die ersten Kapitel scheinen dann auch diesen Eindruck zu bestätigen. Wolfe betrachtet zunächst Charlotte in der Provinz und vor allem die Distanz, die dort zwischen Charlotte und ihren Mitschülern herrscht: die Intelligente und der Provinz-Pöbel.
Schon Charlottes Umzug an den Campus von Dupont offenbart ganz neue Gegensätzlichkeiten. Charlotte tritt in eine völlig neue, völlig fremde Welt ein. Schon in ihrem Zimmer trifft sie auf einen Gegensatz, der größer kaum sein könnte. Zimmergenossin Beverly ist all das, was Charlotte nicht ist: reich, weltmännisch, attraktiv, ständig umworben, mit allem neumodischem Schnick-Schnack ausgerüstet und beliebt. Wie Wolfe diese beiden gegensätzlichen Charaktere und ihre Familien aufeinander prallen lässt, wie die Handelnden miteinander umgehen, das macht die ersten Kapitel durchaus zu einem gewissen Lesevergnügen.
Wolfe beobachtet des bunte Treiben am Campus von Dupont mit geradezu pedantischer Genauigkeit und mit einer Detailbesessenheit, die manchmal schon an die Grenze des Vertretbaren stößt. Seitenweise widmet er sich der Dynamik eines einfachen Basketball-Trainingsspiels. Haarklein nimmt er jede Bewegung der Spieler auseinander, seziert ihr Innerstes und beweist damit, dass er sich auf genaues Schildern versteht und dass er dem Leser damit tiefe Einblicke ermöglichen kann.
Dennoch hat man manchmal das Gefühl, er würde in seiner Pedanterie ein wenig über das Ziel hinausschießen. Viele Szenen wiederholen sich, bestimmte Themen werden immer wieder ausführlichst durchgekaut, wie z. B. die Verwunderung der Intellektuellen über die Sportbegeisterung der Mitstudenten. Manchmal hat man dabei das Gefühl, dass Wolfe irgendwie immer seinen eigenen Intellekt heraushängen lässt. Unzählige Beschreibungen durchtrainierter Basketballerkörper, in denen immer wieder alle möglichen Muskelpartien einzeln benannt werden. Ist ja schön, dass Tom Wolfe so gut Bescheid weiß, aber manchmal täte er gut daran, das nicht immer krampfhaft in die Geschichte einbinden zu wollen, um die Handlung mit einem etwas dynamischeren Erzählfluss zu versehen.
Die Thematik an sich bietet Stoff für jede Menge provokanten Witz, für die Ironie der Gegensätzlichkeiten des Alltags, aber durch Wolfes übertriebene Genauigkeit in seinen Schilderungen gerät der Erzählfluss mitunter ein wenig zäh. Seine genauen Beschreibungen mögen noch so meisterhaft sein, sein Blick mag noch so gnadenlos die Mechanismen des Campusgeschehens sezieren, irgendwie fehlt dem Ganzen in letzter Instanz dann doch der gewisse Biss. Etwas schnellere Schnitte und eine etwas flottere Gangart hätten sicherlich Wunder gewirkt und dem Roman seine teilweise kaum zu leugnende Langatmigkeit genommen.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Figuren. Wolfe wechselt immer wieder die Perspektive, schlüpft mal in die Rollen der drei Charlotte-Verehrer Hoyt, Jojo und Adam und erzählt dann wieder aus Charlottes Sicht. Alle vier Hauptfiguren wirken wie wandelnde Klischees: Hoyt, der Aufreißer, Jojo, der „Anabolika-Trottel“, Adam, der intellektuelle Streber und Charlotte, das Mauerblümchen und naive Landei. Eine Entwicklung lässt sich an den Hauptfiguren nur zum Teil und dann auch nur in Ansätzen ablesen, die meisten bleiben stumpfe Stereotypen.
Ein weiteres Problem bringt die Figur der Charlotte mit sich. Man mag ihr das Entsetzen über die ach so grausame, freizügige Realität des Campuslebens nicht so recht abkaufen. Wie weltfremd muss ein Mensch sein, um beim Anblick Tanzender auf einer Party schockiert festzustellen, dass auf der Tanzfläche quasi Geschlechtsverkehr simuliert wird? Auch die Simmons haben zu Hause schließlich einen Fernseher. Wie kann eine Charlotte also entsetzt sein, wenn jemand „Scheiße“ oder „Fuck“ sagt? Man wird das Gefühl nicht los, dass in Charlottes Kopf ein alter Mann hockt, der ihr das schockierte Entsetzen souffliert. Und dieser alte Mann kann dann eigentlich nur Tom Wolfe sein, der ja schließlich auch schon jenseits der Siebzig ist.
Diese Diskrepanz zwischen der konservativen Hauptfigur und der liberalen Realität mag vielleicht den aktuell in den USA tobenden Kulturkampf karikieren, aber ihn anhand einer Charlotte Simmons in dieser Form zu vollziehen, nimmt ihm ein wenig von der provokanten unterschwelligen Kritik. Und so wirkt das Ganze mehr wie der mahnende Zeigefinger der Großeltern, die über den Verfall von Kultur und Sittsamkeit der Jugend besorgt sind. Der Roman selbst verliert so einiges von seiner Schärfe.
Bleibt zusammenfassend ein etwas durchwachsener Eindruck im Gedächtnis. Tom Wolfe weiß mit Worten umzugehen, besitzt eine außerordentlich genaue Beobachtungsgabe und versteht sich darauf, das gesellschaftliche Leben messerscharf zu sezieren. Dennoch wird die Freude an „Ich bin Charlotte Simmons“ auch durch einige Schwächen getrübt. Stellenweise wirkt der Roman ein wenig langatmig, die Figuren sind wandelnde Klischees und bleiben auch am Ende nur als Stereotype in Erinnerung, und Wolfes „schonungsloses Demaskieren der Jugendkultur“ wirkt aufgrund der übergroßen Portion Naivität einer Charlotte Simmons nicht immer ganz glaubwürdig und bissig genug.
_|Die kleine Lucy presst fest das Ohr gegen die Wand. Unter der Oberfläche knackt etwas. Und es klackt und huscht. Es knabbert und knistert, kratzt und knurrt. Lucy macht sich Sorgen. „Wir haben Wölfe in den Wänden“, sagt sie zu ihrer Mutter. „Das sind wahrscheinlich nur Mäuse“, winkt diese ab.| In seinem neuen Kinderbuch erzählt Comic-Legende Neil Gaiman die gruselige Geschichte von dem Mädchen Lucy, den Wölfen in den Wänden und Dingen, die anders sind, als man dachte._
Lucy lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einem großen, alten Haus. Eines Tages – alles ist still – hört sie merkwürdige Geräusche. Hinter den Hauswänden kratzt und knurrt es. Gelbe Augen beobachten Lucy durch Risse und Löcher. Besorgt geht sie zu ihrer Familie. „Wir haben Wölfe in den Wänden“, sagt sie, doch niemand glaubt ihr. Stattdessen gibt man ihr eine allseits bekannte Weisheit mit auf den Weg, um ihre Phantasie im Zaum zu halten: „Wenn die Wölfe aus den Wänden kommen, ist alles vorbei. Jeder weiß das.“
Neil Gaiman macht es sich nicht leicht mit der Phantasie. Er weiß, was für ein schweres Los sie in einer Welt hat, die durch Vernunft, Rationalität und Nüchternheit geprägt ist. Für Kinder haben sachliche Erklärungen zum Glück keine absolute Gültigkeit. Es gibt noch etwas hinter dem Erklärbaren: das Vorstellbare. Lucys Angst vor den Wölfen perlt an ihren Eltern ab wie Wassertropfen von einer Glasscheibe. Aber sie kämpft, lässt sich nicht beirren und glaubt an das, was sie gehört und gesehen hat.
Neil Gaiman gilt als einer der prägenden amerikanischen Comic-Autoren der Neunzigerjahre. Berühmt wurde er durch die Comic-Serie „Sandman“. Während seiner Entwicklung tauchte immer wieder ein Name in seiner Nähe auf: Dave McKean, seines Zeichens Illustrator und Zeichner. Die beiden sind seit Jahren ein sicheres Erfolgsgespann in Sachen Fantasy. Phantastisch geht es auch in ihrem neuen Werk zu.
„Die Wölfe in den Wänden“ ist ein Kinderbuch, das durch sein ungewöhnliches Format und seine Aufmachung auffällt. McKean, der für seine Cover der „Sandman“-Serie von Kritikern hoch gelobt wurde, beschreitet mit seinem grafischen Können gerne ungewöhnliche Wege. Das große, quadratische Buch enthält eine Unzahl von surrealen Kollagen, bei denen sich der Leser nie sicher sein kann, ob es sich um eine Zeichnung oder um eine Fotographie handelt.
Im Grunde entspricht diese Doppeldeutigkeit dem Kern der Geschichte. Ist es eine Zeichnung oder eine Fotographie? Krabbeln in den Wänden Mäuse oder Wölfe herum? Hat Lucy eine blühende Phantasie oder besteht wirklich Gefahr? Die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie sind, ist eine Fähigkeit, die Erwachsene manchmal verlieren. Kinder hingegen stellen alles in Frage, weil alles neu, unbekannt und phantastisch ist. Wenn die Phantasie in die Wirklichkeit einbricht, ist alles vorbei. Jeder weiß das. Sie haben doch nicht etwa Angst, oder?
Seit Tagen liegt Kims Schwester Rebekka bewusstlos im Krankenhaus. Ihre Seele wird im Lande Märchenmond vom Zauberer Boraas, dem Herrn des Schattenreiches, gefangen gehalten. Kim ist der Einzige, der sie befreien kann.
Um seine kleine Schwester zu retten, macht sich Kim auf die abenteuerliche Reise ins Land Märchenmond. Um dorthin zu gelangen, muss jeder seinen eigenen Weg finden. Kim, begeisterter Leser von Science-Fiction-Büchern, wählt dafür ein Raumschiff, doch Zauberkräfte zwingen ihn zur Landung – inmitten einer unzugänglichen, schwarzen Bergwelt gerät er, ebenso wie seine Schwester, in Boraas‘ Hände. Doch Kim gelingt die Flucht aus Burg Morgon – gerade rechtzeitig, um die Bewohner Märchenmonds zu warnen: Die riesige Armee der schwarzen Reiter, angeführt von einem mysteriösen Unbekannten, überwindet die Pässe des Schattengebirgen und marschiert gegen Märchenmond. Ein Kampf um die gläserne Burg Gorywynn ist unvermeidlich.
Auf dem gefährlichen Weg zum König des Regenbogens, zur Burg am Ende der Welt, müssen Kim und seine Freunde – der Riese Gorg, der Bär Kelhim, der Golddrache Rangarig und Prinz Priwinn – zahlreiche packende Abenteuer bestehen. Und doch scheint der Sieg der schwarzen Ritter unabwendbar – bis Kim dem Schwarzen Lord ins Gesicht blickt. Was er dort sieht, wendet das Schicksal …
Ich gebe freimütig zu, bis ich 1985 erste Bekanntschaft mit Wolfgang Hohlbein machte, weil er, seine Familie und ich Nachbarn – und später Freunde – wurden, und mir seine Frau Heike „Märchenmond“ in die Hand drückte, war ich eher ein Gegner des Fantasy-Genres. Ich habe mich sowohl „Herr der Ringe“ als auch sonstigen Fantasy-Klassikern verweigert. Doch ich hatte gerade Urlaub und war neugierig, was der schreibende Nachbar so verfasst. Als ich im Auto in den sonnigen Süden saß – auf den unliebsamen Rang der Beifahrerin verwiesen –, dachte ich: Ach, risikiere doch einmal einen flüchtigen Blick in das Werk.
|Für alle, die das Träumen noch nicht verlernt haben!| war der erste Satz, der mir bei „Märchenmond“ ins Auge sprang. Und ich fühlte mich irgendwie angesprochen. Völlig zu Recht!
Dieser Roman war eines der Bücher, die mich zurück in meine (lesende) Kindheit versetzten. Hinzu kam der fesselnde und dennoch leichtfüßige Stil des Autors, von dem ich vorher nie etwas gehört, geschweige denn gelesen hatte. Und ich bin froh, dass das mit „Märchenmond“ ein Ende fand, denn seither lese ich jedes Hohlbeinbuch. Weniger, weil er anders ist als andere Autoren, sondern weil er einfach zu fabulieren versteht und den Leser mit auf eine Reise aus dem Alltag nimmt – in diesem Fall durch das Land Märchenmond. Sehr schnell ist man „mitten drin“, besteht Gefahren und Abenteuer in einem bunten, phantastischen Reigen von realen und weniger realen Charakteren und abenteuerlichen Schauplätzen. Umgeben von Drachen über Riesen, führt uns unser literarischer Weg bis an die Gläsernen Burgen.
Komme ich zurück zu meiner Beifahrerrolle, so war ich plötzlich dankbar dafür, denn ich konnte „Märchenmond“, einmal begonnen, nicht mehr aus der Hand legen. Und habe es auch nicht. Auch wenn ich nicht mehr zu der Zielgruppe gehörte. Doch „Märchenmond“ ist, wie alle anderen Hohlbein-Fantasywerke, ein Buch für jede Altersklasse. Ich bin der beste Beweis dafür.
Alle Charaktere sind so phantastisch und liebevoll angelegt, dass man sich sofort in dieses märchenhafte Land versetzt fühlt. Dieser klassische und phasenweise etwas traurige Fantasy-Roman bietet eine (wohl eher übliche) Handlung von Gut und Böse, Licht und Dunkelheit, und Freundschaft – |aber| (und das unterscheidet ihn von vielen) vor allem eine Geschichte hinter der Geschichte, die (hoffentlich) zum Nachdenken anregt, über unsere Welt und den Sinn des Lebens. Denn er ist nicht nur spannend, sondern auch philosophisch durchwirkt – wenn man es vermag, zwischen den Zeilen zu lesen!
Ich habe „Märchenmond“ im Laufe der Jahre mehrmals gelesen und finde immer wieder neue Perspektiven und zähle nicht zu den Kritikern dieses Romans, die ihm zu starke Parallelen zu „Der Herr der Ringe“ vorwerfen. Im Gegenteil.
Und |wenn| man einen derartigen Vergleich zieht, muss ihn „Märchenmond“ auf keinen Fall scheuen. Ich halte jedoch derartige Vergleiche für ebenso überflüssig wie einen Kropf, weil sich alle neuen Kunstrichtungen an Klassikern orientieren. Warum nicht auch gute Literatur? Und dazu gehört „Märchenmond“ ohne Zweifel.
Ich kann nur jedem Leser empfehlen, sich selbst davon zu überzeugen!
Gisa Könne wurde 1964 geboren. Sie studierte Anglistik und arbeitet als Journalistin sowie als Dozentin für kreatives und journalistisches Schreiben. Sie veröffentlichte Kurzkrimis und ist Herausgeberin der Weihnachtskrimi-Anthologie „Leise rieselt der Schnee“. Gisa Könne lebt in Köln und schreibt an ihrem nächsten Roman.
_Story_
Inmitten einer idyliischen Forstlandschaft im Bergischen Land findet die junge Försterin Diana Westermann eine grausam entstellte Leiche, die bereits mehrere Tage tot sein muss und seither von Krähen zerfressen wurde. Westermann ist starr vor Schock und weiß nicht, was sie tun soll. Da wird ihr die Entscheidung von einem vorbeispazierenden älteren Ehepaar abgenommen, das den Fund schließlich der Polizei meldet. Der Fall wird der Kölner Kommissarin Judith Krieger übertragen, einer arg gebeutelten Beamtin, die nach dem Tod ihres Kollegen, den sie selber nicht mehr vereiteln konnte, in einer sehr schweren privaten und beruflichen Krise steckt. Der Mord an dem nackten Mann auf dem Hochsitz stellt für sie so etwas wie die letzte Chance zur Rehabilitation dar, doch nach wie vor fällt es ihr schwer, die schreckliche Erinnerung zu verdrängen.
Mit einer chronischen Müdigkeit und der Hilfe von massenhaft Zigaretten begibt sich die Kettenraucherin trotzdem an die Arbeit und ist überzeugt davon, dass die Lösung des Falles mit dem Aussteiger-Yoga-Aschram „Sonnenhof“ zusammenhängt. Dort treiben sich mehrere seltsame Gestalten herum, die allesamt ein Geheimnis mit sich herumzutragen scheinen. Doch Judith unterlaufen bei den Ermittlungen einige Fehler – ganz im Gegensatz zu ihrem ungeliebten neuen Kollegen Manfred Korzilius, der schließlich erste Erfolge vorweisen kann und als unerfahrener Beamter die langjährige Kommissarin in den Schatten stellt. Für Judith hat dies ernsthafte Folgen: Sie wird für einige Zeit vom Dienst suspendiert. Erst jetzt findet sie wieder zu ihrem alten Biss zurück und beginnt, den Fall auf eigene Faust zu ergründen. Doch bevor sie damit so recht voranschreiten kann, wird im Wald eine weitere Leiche entdeckt …
_Meine Meinung_
Ein ganz normaler Krimi, das scheint „Der Wald ist Schweigen“ auf den ersten Blick zu sein. Es gibt eine Leiche inmitten einer spektakulären Kulisse, einige merkwürdige und schweigsame Verdächtige und Polizisten, die weit und breit keine Spur sehen. Alles wie gehabt. Doch dieser Roman ist weitaus komplexer, als die Inhaltsangabe es vermuten lässt. Gisa Klönne setzt sich nämlich nicht nur mit den kriminellen Aspekten auseinander, sondern verleiht der Geschichte erst so richtig Leben, indem sie die einzelnen Menschenschicksale der beteiligten Akteure sehr genau beleuchtet. Vor allem das Portrait der Hauptfigur Judith Krieger ist ihr dabei sehr gut gelungen. Klönne beschreibt das Bild einer Frau, die auf dem besten Wege zum psychischen Wrack ist und in den normalsten Lebenssituationen oft nicht weiß, wie genau sie handeln soll. Im Bezug auf ihre Arbeit ist sie aufgrund der grausamen Geschehnisse in ihrer beruflichen Vergangenheit stark gehemmt und kaum in der Lage, im Außendienst zu arbeiten. Und durch den neuen Fall und die damit verbundenen Fehlgriffe wird sie in ihrem Selbstbewusstsein noch stärker eingeschränkt, was beinahe zum totalen Kollaps führt. Doch Judith fängt sich und zeigt sich kampfeslustig, bereit, ihrem seelischen Empfinden zu trotzen und ihren Frust zu bekämpfen – so lange, bis der nächste Rückschlag folgt.
Im Wechselspiel mit dem eigentlichen Mordfall entwickelt sich so ein menschliches Drama mit ungewissem Ende, weil die Autorin sich überhaupt nicht in die Karten schauen lässt. Die Frage, ob die Hauptperson an ihrem Schicksal und dessen Folgen zerbrechen wird, ist somit ein weiterer zentraler Punkt in diesem Roman, dem eine gleichrangige Wichtigkeit wie der Mordserie beigemessen wird.
Doch die Kommissarin ist nicht die einzige Dame, der das Leben übel mitgespielt hat. Auch Diana Westermann lebt sehr unglücklich, wird in ihrer beruflichen Rolle nicht akzeptiert, kann ein zerrüttetes Liebesleben vorweisen und wird in ihrem Befinden durch die jüngsten Ereignisse zurückgeworfen. Zu dieser Liste gesellt sich schließlich auch noch die junge Laura, die im Yoga-Aschram glaubt, ihr zeitweiliges Heil gefunden zu haben. Doch das naive Mädchen leidet weiterhin unter seiner Vergangenheit und der verkorksten Kindheit und kommt auch nicht so recht zur Ruhe. Das sind alleine schon drei (und gleichzeitig die wichtigsten) Personen, auf deren Psyche im Verlauf des Buches immer wieder genauer eingegangen wird, doch es ist nur eine Auswahl der vielen Charaktere, mit denen die Autorin ihr Buch ausschmückt.
Der Mordfall an sich soll natürlich nicht außen vor bleiben. Aber auch hier wirkt Gisa Klönne hinsichtlich des Spannungsaufbaus und der mehrfachen Wendungen als Krimi-Autorin sehr souverän. Durch die Verknüpfung der beiden Hauptelemente – Tragik und Spannung – gelingt es der Autorin problemlos, den Leser an das Buch zu fesseln, zumal der Schreibstil sehr frisch und umgangssprachlich gewählt wurde. Kurze Sätze und die Betonung bestimmter prägnanter Begriffe helfen, den stellenweise komplexen Inhalt leichter zu verdauen. So entspricht „Der Wald ist Schweigen“ ganz klar auch dem modernen Zeitgeist – schließlich spielt das Buch auch in der Jetztzeit – und ist für sämtliche Altersgruppen geeignet. Ein wichtiger Aspekt heutzutage!
Und „geeignet“ heißt in diesem Falle auch „sehr empfehlenswert“, denn solch intelligent inszenierte und genreübergreifende Geschichten bekommt man im Bereich von Thriller und Krimi nur selten geboten. Für Liebhaber der Materie sollte „Der Wald ist Schweigen“ daher ganz klar auf der Liste für die Vorweihnachtszeit stehen!
http://www.ullsteinbuchverlage.de/
|Siehe auch: [„Unter dem Eis“ 3047 |
Am Anfang dieses Textes steht eine ungewohnte Schwierigkeit. Fingerspitzengefühl über das normale Maß hinaus ist gefragt, um eine Rezension für das Rollenspiel „Kleine Ängste“ zu verfassen. Um das zu verstehen, bedarf es einiger Erklärungen.
Das Grundbuch löste unmittelbar nach dem Erscheinen eine Kontroverse aus, wie man sie nur selten unter Rollenspielern erlebt hat. Man stritt über Inhalte und Grenzen des Rollenspiels. Der hier vorliegende Text soll einen kleinen Beitrag zur Diskussion leisten. Die Heftigkeit, mit der für oder wider „Kleine Ängste“ gefochten wurde, ist nur zu erklären durch das Thema, welches das neue Spielsystem aufgriff. Erstmals thematisierte ein Rollenspiel auf dem deutschen Markt die Misshandlung von Kindern.
Nur selten sprachen Spieler, Autoren und Verleger so aufgeregt über ihr Hobby. Schnell polarisierten sich die Meinungen im Zuge der Debatte, wurden scharf und unsachlich. Für einige Spieler war |Kleine Ängste| „schlicht und ergreifend das gruseligste Rollenspiel“ überhaupt, andere hielten es für krank und abartig. Die üblicherweise recht liberale Rollenspielszene geriet in Bewegung. Bald war klar: Entweder mochte man „Kleine Ängste“, oder man verdammte es. Wie kam es zu solch einer heftigen Auseinandersetzung? Man stellte sich der Frage, ob ein Rollenspiel den Missbrauch von Kindern thematisieren darf.
_Worum geht es eigentlich? – Ein paar Fakten_
„Kleine Ängste“ ist ein Horror-Rollenspiel, in dem die Spieler in die Rollen von Kindern schlüpfen. Die Figuren stellen im Laufe des Spiels voller Entsetzen fest, dass die Monster ihrer Phantasie Wirklichkeit sind. Sie entstammen dem so genannten Land unter dem Bett, einer Hölle für Kinder. Die Herrscher dieser Hölle nehmen Einfluss auf das Diesseits und sind in der Lage, Menschen zu beeinflussen und sie zu schändlichen Taten zu bewegen. Die spieltechnischen Regeln sind simpel. Das ganze System basiert auf sechsseitigen Würfeln, Proben sind jedoch selten. Der Schwerpunkt liegt auf der Handlung und dem Erzählen. Wer sich für technische Einzelheiten wie Regelwerk oder Layout interessiert, kann dies an anderer Stelle leicht nachlesen (siehe Links).
„Kleine Ängste“ stammt aus dem Amerikanischen und wurde von Jason L. Blair geschrieben und entwickelt. Der Originaltitel lautet „Little Fears – The Roleplaying Game of Childhood Terror“ und erschien bei |Key 20 Publishing|. Der deutsche Herausgeber ist der Mannheimer Verlag |Feder und Schwert| (F&S), der das 122 Seite starke Büchlein im Oktober 2003 veröffentlichte. Die deutsche Ausgabe wurde von Oliver Graute (F&S) übersetzt und bearbeitet.
|Feder und Schwert| ist in der Rollenspielszene bekannt und gehört zu den größten deutschen Rollenspielverlagen überhaupt. Die Produkte des Verlages beschäftigen sich mit dunkler Fantasy und Horror. Spielsysteme wie „Vampire“, „Engel“ oder „Werwolf“ gehören zum Repertoire von F&S und blicken in Deutschland auf eine solide Fangemeinde. Im Gegensatz zu diesen verbreiteten Systemen war „Kleine Ängste“ nie von den deutschen Herausgebern als Großprojekt geplant. Es sollte ein Kleinod im Verlagsprogramm sein, nur interessant für eine spezielle Leserschaft. Die Auflage beschränkte sich auf 1000 Exemplare. Inzwischen ist „Kleine Ängste“ nur noch schwer zu bekommen. Bei eBay ging es schon für 50 Euro über den Tresen und erzielte damit mehr als das Doppelte des ursprünglichen Ladenpreises (22,95 Euro).
_Über Geschmack streiten – Standpunkte_
Spätestens nach dieser Einleitung wird deutlich, dass eine herkömmliche Besprechung für „Kleine Ängste“ nicht in Frage kommt. Genug Ansätze existieren, die im Rahmen der ausgelösten Kontroverse entweder auf die eine oder die andere Art und Weise Stellung beziehen. Über Geschmack kann man bekanntlich nicht streiten – oder doch? Hier ein kurzer Überblick der geleisteten Arbeit.
Die Gegner von „Kleine Ängste“ versuchen sich oftmals gegenseitig mit spitzen Formulierungen zu übertrumpfen. Es wird dabei maßlos übertrieben. Im Namen des Anstandes und des guten Geschmacks wird da so manches schwere Geschütz aufgefahren. Man hat Angst vor den Medien, fürchtet eine allgemeine Verrohung der Sitten und zieht gedankliche Linien zwischen Kindesmisshandlungen und LARP-Veranstaltungen. Die selbsternannten Apostel meinen es ernst und schwingen blind das Flammenschwert. Was dabei so an Gedankenmüll ins Internet geblasen wird, ist oft geschmackloser als das kritisierte Werk selbst.
Die Fans und Befürworter von „Kleine Ängste“ wettern nicht zurück, sondern bleiben eher ruhig. Es wird abgewiegelt. Sicherlich, Kindesmisshandlung sei ein Thema in „Kleine Ängste“, aber eben nicht das einzige Thema. Es ist ohne Schwierigkeiten möglich, „Kleine Ängste“ zu spielen, ohne dass Kindesmisshandlungen angesprochen werden. Das Argument, auf dem sich die Befürworter ausruhen, ist so alt wie AD&D: Wer sich an etwas stört, soll es einfach weglassen. Du spielst einen blutdurstigen Vampir, einen gnadenlosen Killer oder einen wahnsinnigen Wissenschaftler? Ich spiele ein traumatisiertes Kind – na und? Ein verbales Achselzucken.
Für den Verlag F&S war |Kleine Ängste| „von Anfang an ein Liebhaberstück“, so Oliver Graute. Man wollte nicht nur ein gutes Horror-Rollenspiel auf den Markt bringen, sondern gleichzeitig etwas Gesellschaftskritik üben. Man brüstet sich damit, dass sich die Kinderfiguren in „Kleine Ängste“ erfolgreich gegen ihre Peiniger wehren. Es sei keine Misshandlungs-, sondern eine Rettungsphantasie, die dem System zugrunde liege. Die Einführung des Bandes, das Nachwort sowie zahlreiche Einschübe im laufenden Text künden von diesem hehren Vorhaben.
_Fiktion und Realität_
Die Art und Weise, wie über „Kleine Ängste“ diskutiert wurde, erreichte qualitative Höhen und Tiefen. Die Herausgeber wollten vermitteln, wie man sich als Kind gegen Ängste erfolgreich zur Wehr setzt. Spieler, die sich im Internet zu „Kleine Ängste“ bekennen und es mögen, sagen damit nicht aus, dass sie die Misshandlung von Kindern gutheißen. Im Gegenteil: Viele Spieler wettern leidenschaftlich gegen solche Verbrechen.
Die durch „Kleine Ängste“ ausgelöste Kontroverse wurde so heftig, weil alle Beteiligten die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion verwischten. An erster Stelle ist da der Verlag |Feder und Schwert| zu nennen, dem die Hauptverantwortung anzulasten ist. In diesem Zusammenhang sind allen voran Autor Jason L. Blair und Redakteur Oliver Graute zu erwähnen. Mit der Veröffentlichung von „Kleine Ängste“ brachte man ein Spielsystem auf den Markt, das danach trachtet, die Grenze zwischen Phantasie und Realität aufzulösen. Die Abenteuer von „Kleine Ängste“ spielen nicht in einer imaginären Welt voller Drachen, Ritter und Magier, sondern in einem dunklen Abbild unserer Welt. Der Alltag wird mit phantastischen Elementen verbunden. Diese verzerrte Wirklichkeit ist Markenzeichen der meisten Produkte von |Feder und Schwert| („Wir veredeln die Wirklichkeit!“).
Sprach man im Rahmen der Kontroverse über die Realität, waren sich alle Beteiligten einig. Kindesmissbrauch ist ein furchtbares Thema, dem es mit aller Kraft entgegenzuwirken gilt. Kinder müssen um jeden Preis geschützt werden. Sprach man jedoch über Rollenspiele, schieden sich die Geister. Plötzlich stand die Frage im Raum, was ein Rollenspiel überhaupt zu leisten imstande ist.
_Was darf ein Rollenspiel?_
Zunächst ist ein Rollenspiel eine Form von Unterhaltung. Man trifft sich in kleiner Runde, unterhält sich, isst Chips und würfelt dabei. Rollenspielsysteme sind Produkte aus der Unterhaltungsbranche, und sie sollen in erster Linie Spaß machen. Auch Horror gehört dazu. Ob in der Geisterbahn, im Kino oder bei einem Rollenspielabend – sich zu gruseln, bereitet vielen Menschen einfach Freude.
Hauptelement der Unterhaltung im Rollenspiel ist ohne Frage die Entwicklung von Illusionen. Am Spieltisch entstehen in Zusammenarbeit von Autoren, Verlagen, Spielern und Spielleitern phantastische Welten. Man versetzt sich in eine fiktive Wirklichkeit. Über allem schwebt die Frage: Was wäre, wenn …? (… wenn ich ein Ork wäre? … wenn es einen Atomkrieg gegeben hätte? … wenn interstellares Reisen möglich wäre?) Die gestellten Fragen bestimmen maßgeblich das Setting und orientieren sich am Geschmack der einzelnen Spielgruppe. Spekulationen und das Spiel mit Illusionen sind einige der Hauptelemente des Rollenspiels allgemein.
Graute und Blair wollten aber nicht bloß ein gutes Horror-Rollenspiel machen. Das Potenzial dazu hat „Kleine Ängste“ gewiss. Gewissermaßen nebenher wollten sie auch Gesellschaftskritik betreiben. Um wirklich konstruktive Kritik an gesellschaftlichen Missständen zu üben, bedarf es jedoch einer außerordentlich tiefgründigen und differenzierten Sichtweise. Illusionen sind da völlig fehl am Platz. Die Macher von „Kleine Ängste“ verbinden Dinge, die schon in der Struktur nicht zusammengehören. Sie banalisieren so den Missbrauch an Kindern und gehen verantwortungslos mit dem Thema um. Obendrein besitzen sie die Arroganz, sich selbst als außerordentliche Kritiker darzustellen, was sie ganz eindeutig nicht sind.
Ihr wahrscheinlich größer Irrtum liegt in der Annahme, dass der Missbrauch von Kindern ein allgemein bekanntes Thema ist. Das genaue Gegenteil ist jedoch der Fall. Den tatsächlich aufgeklärten Fällen von Kindermissbrauch steht eine hohe Dunkelziffer gegenüber. Engagement für Kinder in solchen furchtbaren Lebenssituationen bedeutet, die Verbrechen ans Tageslicht zu holen und Illusionen zu zerstören. Blair und Graute verstehen sich selbst als Aufklärer, sind jedoch das genaue Gegenteil: Illusionisten. Rollenspieler eben.
_Fazit_
Oliver Graute und Jason L. Blair arbeiten in der Unterhaltungsbranche und sollten wissen, was sie dem Medium Rollenspiel zutrauen können und was nicht. „Kleine Ängste“ war kein großer Wurf. Es war ein idiotischer Ausrutscher. Von der F&S-Redaktion hätte man zumindest eine kritischere Überarbeitung des Originaltextes für den deutschen Markt erwartet. Ein Rollenspiel darf den Missbrauch von Kindern nicht thematisieren. Weder den betroffenen Kindern noch dem Hobby Rollenspiel wird man damit gerecht.
_LINKS_
[Verlag Feder und Schwert]http://www.feder-und-schwert.de
Interview mit Oliver Graute (F&S) im Fanzine SONO
Download unter: http://www.link.avalon-projekt.com/action/gotolink.php?AML__linkid=14
[Forumsdiskussion zu Kleine Ängste – Palaver – Rollenspielverein Biberach e. V.]http://www.glyphen.de/projects/hosted/rollenspielverein/forum/viewtopic.php?t=609
[Kleine-Ängste-Fanpage]http://kleineaengste.de/
[Forum für Kleine Ängste]http://www.travar.de/koops/fantasyguide/index.php?board=806
Wie könnte man die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten besser veröffentlichen als im Jumboformat? Dieses Buch beeindruckt schon auf den ersten Blick durch sein großes Format, die schöne Leinenbindung und das niedliche Coverbild. Ich möchte denjenigen Elefantenliebhaber kennen lernen, der an diesem Buch vorbeigehen könnte – mir ist es nicht gelungen.
Jean de Brunhoff schuf in den Jahren 1931 bis 1937 mit Babar einen Klassiker, der auch heute noch die Herzen der Kinder und Kindgebliebenen höher schlagen lässt. Einst war es Jeans Frau, die den kleinen Elefanten als Gute-Nacht-Geschichte für ihre eigenen Kinder erfand, ihr Mann gab dem Elefanten schließlich einen Namen, zeichnete die Bilder dazu und machte sich dadurch unvergessen.
Diesen Monat veröffentlicht der |Diogenes|-Verlag eine Neuauflage der vier Geschichten um Babar und seine Familie im wunderschönen aber leider nicht ganz preisgünstigen Jumboformat. Doch mit diesen Büchern ergänzt man seine private Bibliothek mit vier Werken, die in keinem Haushalt fehlen sollten. An diesen Geschichten werden Jung und Alt ihre helle Freude haben.
„Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ bildet den Auftakt zu der kleinen Buchreihe um Babar und stellt uns den kleinen Helden genauer vor. Der Inhalt ist schnell erzählt, denn im Vordergrund der nur 47 Seiten kurzen Erzählung stehen eindeutig die Bilder. Babar lebt zusammen mit vielen Freunden und Bekannten im Dschungel, bis ein Jäger eines Tages seine Mutter erschießt. Traurig und verzweifelt beschließt der kleine Babar, dass er in die Stadt auswandern möchte. Dort angekommen, ist er begeistert von der modernen Technik und vor allem von der schicken Kleidung.
Babar trifft auf eine vornehme alte Dame, die ihm Geld schenkt, damit der kleine Elefant sich einkleiden kann. Doch als er im Kaufhaus ankommt, fasziniert ihn der Fahrstuhl so sehr, dass er so lange auf und ab fährt, bis der Liftboy es ihm verbietet. Anschließend sucht Babar sich einen schicken grünen Anzug mit einem passenden Hut aus. Als modischer Elefant freundet er sich auch mit der alten Dame an und lebt sein eigenes Stadtleben. Eines Tages jedoch trifft Babar zwei Bekannte aus dem Dschungel wieder, die sich in die Stadt verirrt haben, und langsam bekommt der kleine Elefant Heimweh …
Auf der Inhaltsebene passiert im Grunde genommen nicht viel in diesem allzu dünnen Buch, sodass auch kleine Kinder schon alles verstehen dürften, wenn sie die Geschichte von ihren Eltern vorgelesen bekommen. Darüber hinaus sind die Sätze sehr einfach formuliert, es gibt keinerlei komplizierte Wörter, lange Satzkonstrukte oder Ausschmückungen. Für ältere Leser mag sich dieser Schreibstil daher sehr spartanisch und ungeschickt anhören, aber die Geschichte vom kleinen Elefanten ist natürlich vornehmlich für jüngeres Publikum geschrieben. Das macht sich auch daran bemerkbar, dass der Text in Schreibschrift abgedruckt ist, wie Kinder sie in der Schule lernen. So eignet sich „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ nicht nur hervorragend zum Vorlesen, sondern auch zum Selbstlesen für ABC-Schützen, die sich alleine an die ersten Bücher heranwagen wollen.
Der Lerneffekt der erzählten Geschichte ist allerdings eher gering; nach dem Tod von Babars Mutter tauchen im Prinzip keine Schwierigkeiten mehr auf. Als Babar in die fremde Stadt kommt, trifft er sofort auf eine freundliche Dame, die ihm weiterhilft, und auch später löst sich vieles in Wohlgefallen auf. Die Geschichten um Babar sind daher nicht mit „Benjamin Blümchen“ zu vergleichen, der stets bei jedem Problem zur Stelle ist und den Kindern Werte wie Freundschaft und Hilfsbereitschaft vermittelt. „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ ist recht einfach gestrickt und lebt von ihren Bildern.
Zum leichteren Verständnis für die junge Leserschaft tragen die herrlichen Zeichnungen bei, die den Text wunderbar dokumentieren. Jean de Brunhoff schafft es überzeugend, Stimmungen auszudrücken, seinen Elefanten sieht man stets an, wie sie sich gerade fühlen. So entdecken wir einen betrübten Babar, der gerade seine Mutter verloren hat, aber am Ende auch einen optimistischen, erfahrenen und glücklichen Babar, der mit seiner Verlobten zurück in den Dschungel kehrt. Durch den Fünffarbdruck erhalten die Zeichnungen ihren ganz eigenen Charme, man merkt ihnen an, dass ein menschlicher Maler mit viel Liebe am Werke war und nicht nur ein Computer, der die Bewegungen und Mimiken der Figuren simuliert hat. Heutzutage wären solche Zeichnungen natürlich viel perfekter und lebensechter, doch meiner Meinung nach wäre das dem Gesamteindruck gar nicht zuträglich. Babar ist genau so perfekt, wie wir ihn in diesem Buch bewundern dürfen.
Die Bilder sind bis ins kleinste Detail ausgestaltet; schauen wir uns zum Beispiel [Babar als modisch gekleideten Elefanten]http://www.celesteville.com/images/bafterdinner.jpg an, dann bemerken wir, dass sich mit seiner neuen Kleidung sogar seine Körperhaltung verändert hat. Er steht aufrecht und stolz da und steckt vornehm seine Hand in die Hosentasche. Ich wünschte, ich könnte so gut zeichnen!
Auch etwa 70 Jahre nach seiner Geburtsstunde ist Babar immer noch lesenswert und eine Bereicherung für jede Büchersammlung; dieses Buch dürfte an Weihnachten so manches beschenkte Kind glücklich machen. Bei mir wird „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ jedenfalls einen Ehrenplatz einnehmen und ganz sicher keinen Staub ansetzen. Denn dieses Buch muss man immer wieder durchblättern, schon weil die Bilder allerliebst sind.
Wer sich selbst von der Schönheit der Zeichnungen überzeugen möchte, sollte dies [hier]http://www.celesteville.com/ tun.
Das ist schon ein ziemlicher Schock, wenn man sich plötzlich an den Ufern des Lake Michigan wiederfindet und feststellt, dass man tot ist. Eigentlich ist es sogar ziemlich widersinnig. Nicht jedoch für Jack Fleming, dem genau das passiert: Irgendjemand im Chicago der 30er Jahre will ihm offensichtlich an die Gurgel und scheinbar ist ihm das auch gelungen. Doch Fleming steht wieder auf – dank einer Affäre und des dazugehörigen Blutaustausches mit der Vampirin Maureen. So ist er zwar dem Tod von der Schippe gesprungen, doch ist ihm dafür die Erinnerung an seine Todesnacht abhanden gekommen. Warum will das organisierte Verbrechen von Chicago ihn loswerden? Wer hat ihn umgebracht? Und was soll diese Blutliste sein, die die angeheuerten Schläger ihm abnehmen sollten?
Fleming beschließt, sich zunächst ein wenig an seinen neuen vampirischen Zustand zu gewöhnen (inklusive erster taktischer Besuche des berüchtigten Chicagoer Schlachthofs – schließlich ist er ein humanistischer Vampir) und dann seinen eigenen Mord aufzuklären. Immerhin ist er eigentlich Reporter, und verdeckte Machenschaften aufzudecken sein täglich Brot. Er erhält überraschende Hilfe von dem Privatschnüffler Escott, der allein durch penible Beobachtung auf Fleming und seinen außergewöhnlichen Zustand aufmerksam geworden ist und ihm seine Hilfe und seine Kontakte anbietet. Fleming nimmt dieses Angebot dankbar an und gemeinsam machen sich die beiden auf, das Geheimnis um den Mord an Fleming zu lösen und dessen verlorenes Gedächtnis wieder herzustellen. Und so wühlen sich Fleming und Escott durch die Unterwelt Chicagos und von einem Bandenboss zum nächsten, geraten in einige brenzlige Situationen, Verfolgungsjagden und Schießereien, logieren in illustren Kneipen und spielen – natürlich – Poker (und betrügen – das versteht sich wohl von selbst), bis sie nach kurzweiligen 250 Seiten endlich das Rätsel um die Blutliste gelöst haben. Ob sich der ganze Aufwand für zwei Blatt Papier tatsächlich gelohnt hat, bleibt abzuwarten, doch unterhaltsam war er allemal!
„Vampirdetektiv Jack Fleming“ von P. N. Elrod ist in seiner Plakativität ein ziemlich abstoßender Titel (das hat auch |Festa| schnell eingesehen und die Titel der Fortsetzungen mehr am US-Original orientiert), zeigt aber, worum es in dem Roman gehen soll. Autorin Elrod nimmt das Genre des Vampirromans und katapultiert ihren untoten Helden gnadenlos in eine hardboiled Detektivgeschichte à la Hammett und Chandler. Dabei bedient sie zunächst einmal eine ganze Reihe Klischees des Genres: Unser Held ist ein Reporter, die Story spielt im Chicago der 30er Jahre, es gibt eine schöne Frau (die unser Held, bevor der Roman zu Ende ist, natürlich mindestens einmal verführt haben muss), Männer haben dicke Kanonen und setzen sie gern ein. Es fehlt nur noch, dass die Hauptcharaktere Filzhüte tragen (immerhin sieht man einen auf dem Cover des Buches).
Doch Elrod hält die Fäden ihrer Handlung fest in der Hand und ihr Vampirkrimi droht nie wirklich, ins Klischee abzudriften. Stattdessen spielt sie mit viel Finesse mit den Eckpfeilern des Genres und streut eine ganze Reihe Anspielungen und Namen ein, die Fans der damaligen Pulp-Magazine sicher ein Begriff sein werden. Darüberhinaus präsentiert sie gerade mit den Hauptcharakteren Fleming und Escott zwei schillernde und unterhaltsame Figuren. Fleming akzeptiert seinen neuen Zustand mit trockener Ironie und findet schließlich sogar Gefallen daran, den bösen Bandenboss mit seinen vampirischen Tricks zu erschrecken (da er sich beispielsweise ganz dramatisch in Luft auflösen kann). Escott dagegen hat eine Theaterkarriere hinter sich, beweist Sinn für Theatralik und begegnet Fleming mit erfrischender Entspanntheit. Und auch wenn Elrod ziemlich unwahrscheinliche Haken schlägt, um die beiden zusammentreffen zu lassen, so verzeiht man ihr diesen Patzer recht schnell, da Fleming und Escott ein so effektives Paar abgeben.
„Vampirdetektiv Jack Fleming“ erschien in den USA bereits 1990, doch hier hat sich erst der |Festa|-Verlag der Romane von Elrod angenommen und bringt sie nach und nach als deutsche Erstausgaben auf den Markt. Mittlerweile besteht die Serie „The Vampire Files“ in den USA aus elf Titeln – Elrod ist also eine fleißige Schreiberin. Und als Bonus bleibt ihre Vampirmythologie gleich, sodass in Zukunft auch Crossover mit ihrer anderen Vampirserie um Jonathan Barrett möglich sein werden. Überhaupt, Jonathan Barrett, Elrods zweite Vampireserie. Wo Jonathan mit seinem Zustand als Vampir zunächst endlos überfordert ist und sich bei jedem neuen Einschussloch panisch fragt, ob er nun sterben muss, nimmt Fleming die ganze Sache viel entspannter. Er findet sich recht problemlos mit den neuen Gegebenheiten ab, beschafft sich einen Schrankkoffer, lässt sich per Taxi zu den berühmten Chicagoer Schlachthöfen fahren und setzt die Vorteile seines Zustandes gnadenlos ein, ohne dessen Nachteile zu beweinen. In dem Sinne thematisiert und problematisiert „Vampirdetektiv Jack Fleming“ den Vampirismus an sich viel weniger, als es in den Jonathan Barrett-Büchern der Fall ist. Was durchaus vorteilhaft sein kann, wirkt Fleming doch damit viel weniger weinerlich als Barrett. Seine schroffe und doch liebenswerte Art wird ihm schnell viele Leserherzen bescheren.
„Vampirdetektiv Jack Fleming“ ist eher ein Krimi mit Vampir-Held als ein Vampirroman mit Krimielementen. Gruslig wird es also nie wirklich. Dafür spart Elrod nicht mit Motiven des Detektivromans und der entsprechenden Brutalität. Da gibt es Folterszenen und genüsslich beschriebene Schlägereien. Wem das zu blutig anmutet, der sollte sich lieber an Elrods gemächlichere Jonathan-Barrett-Serie halten. Alle anderen werden am finsteren und gewalttätigen Chicago sicher ihre Freude haben!
„Dork Tower“ ist für all diejenigen gedacht, die schon seit Monaten nicht mehr aus ihrer Rollenspiel-Scheinwelt entfliehen können und nichts anderes mehr im Sinn haben, als mit Magiern, Schwertkämpfern und anderen Helden durch verschlüsselte Dungeons und ausgeklügelte Fantasy-Welten zu reisen. John Kovalic schreibt Geschichten für den Teil unserer Bevölkerung, der die gesamte Lebensrealität aufgegeben hat und sich in der Wirklichkeit nur noch schwerlich zurecht findet. Und schließlich schreibt der Autor der „Dork Tower“-Reihe Geschichten für jene Menschen, die sich selber in ihrer Begeisterung fürs Rollenspiel nicht zu ernst nehmen und über ihre übertriebene Faszination dennoch lachen können.
In seinem neuesten Werk mit dem Untertitel „The Dork Side of the Goon“ (netter Seitenhieb Richtung PINK FLOYD) gehen die Comicstrips auf ihre nächste Reise durch fremde Welten – oder aber durch die ganz normale Welt, die man nicht mit den Regeln des Rollenspiels beherrschen kann. Die Hauptfiguren Carson, Igor, Ken und Matt sind ebensolche Rollenspieler, die ihre Probleme mit den üblichen Methoden ihrer Hobbywelt lösen möchten, dabei aber immer wieder feststellen, dass die Geliebte nicht so sehr ihr Faible für Fantasy teilt oder aber, dass sich selbst die geliebten Spiele nicht immer derart bewältigen lassen, wie die Charaktere dies am liebsten tun würden. Insgesamt dreht sich nunmal alles um dieses Thema und die überspitzte Darstellung von Fanatismus auf diesem Gebiet.
„The Dork Side of the Goon“ ist dabei der sechste Sammelband und enthält die regulären Werke 25-29. Darin befinden sich zahlreiche Strips, in denen Kovalic keinen Hehl aus seiner Vorliebe für die klassischen „Peanuts“-Zeichnungen macht. Jim Brown und Snoopy haben es dem Zeichner wegen ihrer schlichten Darstellung besonders angetan und die Ähnlichkeiten sind kaum zu übersehen. Dementsprechend simpel sind daher auch die Illustrationen ausgefallen und dienen als weiterer Kontrastpunkt zu den komplexen Gedankengängen der vier Hauptakteure.
Der einzige Kritikpunkt besteht darin, dass es zum Ende hin ein wenig zu viel des Guten ist. Kovalic spricht immer wieder dieselben Themenbereiche an und wiederholt sich schließlich auch mehrfach. Was anfänglich so noch ziemlich komisch und auf satirisch höchstem Niveau angesiedelt ist, entpuppt sich letztlich zu einem Herumreiten auf Klischees und total übertriebener Selbstironie. Deswegen ist es nach der Vielzahl von diversen kurzen Bildergeschichten auch sehr erfrischend, wenn der Autor sich im Abschlussteil „Clanbuch: Trübsal“ über die Vampirwelt und all ihre depressiven Persönlichkeiten auslässt und ihre Ausstrahlung auf die Schippe nimmt. Hier kommt der anfänglich noch begeisternde Humor wieder vollends durch und bietet nach ständig gleichen Inhaltskreisen endlich mal wieder Abwechslung. Dies gilt übrigens auch für das selbst erstellte Rollenspiel „Im Dunkeln ist’s gut zu munkeln“, einem weiteren ironischen Tribut an die Szene, welches hier als gelungene Vorlage zu entnehmen ist.
Die Zielgruppe dieses Buches ist ganz klar formuliert, doch genau diese wird es sein, die das Buch entweder lieben oder hassen wird. Denn konträre Meinungen erlaubt Kovalic nicht. Hier werden sich sicher ganz viele Leute auf den Schlips getreten fühlen, weil ihre phantastische Welt angegriffen wurde; andere hingegen werden sich garantiert schlapplachen und mit großer Begeisterung über die ironische Darstellung und Schilderung ihrer zweiten Heimat hermachen. Rollenspieler, jetzt seid ihr wieder an der Reihe!
6. August 1945, 9.15 Uhr Guam-Kriegszeit: ein weiterer historischer Moment in einem an denkwürdigen Daten reichen Jahr. Doch dies ist kein Augenblick, der zum freudigen Rückblick Anlass gibt, denn er markiert den ersten militärischen Einsatz der Atombombe und die Vernichtung der japanischen Stadt Hiroshima und ihrer Einwohner – nach Stephen Walker, dem Verfasser des hier vorgestellten Sachbuchs, ein Drama in vier Akten.
Der erste Akt schildert eine Generalprobe der besonderen Art: Die Bombe auf Hiroshima war keineswegs die erste ihrer Art. Drei Wochen zuvor war jenes Licht, das heller und heißer als die Sonne strahlte, in einem öden Wüstenstrich in New Mexico aufgeflammt. Zu diesem Zeitpunkt war weder klar, ob die Atombombe funktionieren noch welche Folgen dies haben würde. Zwei Milliarden Dollar waren in die Entwicklung geflossen, eine ganze Legion der klügsten Naturwissenschaftler dieser Welt hatte sich jahrelang in das Problem verbissen. Die Bombe zeigte sich als störrisches Instrument, das endlose Pannenserien produzierte. Zudem warnten Fachleute, dass eine atomare Explosion die Atmosphäre der Erde in Brand setzen und so das irdische Leben auslöschen könne. Aber gezündet wurde trotzdem, das Experiment war schauerlich erfolgreich – und die Entscheidung für die Aufführung des zweiten Akts gefallen.
In der zweiten Julihälfte widmet sich ein Team von Spezialisten und eigens ausgebildeten Piloten dem Problem, die Atombombe als Waffe einzusetzen, ohne dabei selbst in Stücke gerissen zu werden. Walker beschreibt nervenaufreibende Wochen der Vorbereitung in der Einsatzzentrale des 509. Geschwaders auf einer Insel irgendwo im Pazifik, während die Japaner verzweifelt auf die Möglichkeit einer ehrenvollen Kapitulation hoffen, die ihnen weder die US-Amerikaner noch deren sowjetische Verbündete aus taktischen Gründen zugestehen wollen: Noch während der II. Weltkrieg im asiatischen Raum gekämpft wird, werden die politischen Weichen für eine Ära gestellt, in der sich USA und UdSSR als Gegner gegenüberstehen. Der Besitz einer Atomwaffe, die ihre Effizienz unter Beweis gestellt hat, kann dabei von entscheidender Bedeutung sein.
Der dritte Akt versucht die letzten Stunden vor dem Flug des Bombers „Enola Gay“ mit seiner monströsen Fracht in Worte zu fassen. Als Ziel des „Einsatzes“ haben die Amerikaner Japans siebtgrößte Stadt Hiroshima gewählt, die noch unzerstört geblieben ist und deren spektakuläre Vernichtung die Widerstandskraft des Feindes brechen soll. Walker lässt Einwohner Hiroshimas und Soldaten zu Wort kommen, während er schildert, wie sich die „Enola Gay“ der ahnungslosen Stadt nähert und die Bombe schließlich abwirft.
Akt 4 beschreibt das, was niemand sich vorstellen konnte oder wollte: die ersten 24 Stunden nach der Explosion. Mit bedrückender Eindringlichkeit beschwört Walker die Verheerungen, welche die Detonation mit Feuer und Druck auslöst, während das eigentliche Grauen erst Stunden später offenbar wird: Wer in Hiroshima überlebt hat, fällt nun der radioaktiven Strahlung zum Opfer. Zur selben Zeit ist man in Washington erleichtert und erfreut: Der atomare Feldzug ist wie geplant verlaufen und gewonnen. Über die Konsequenzen dieses Geschehens machen sich die Verantwortlichen keine besonderen Gedanken. Zwei Wochen später fällt die Atombombe auf Nagasaki.
In seinem Epilog liefert Walker eine Vorschau auf die Welt unter der Atombombe. Die Fronten zwischen Befürwortern und –gegnern vertiefen sich; viele von denen, die in New Mexiko die Entwicklung vorantrieben, bereuen es bitter. Weil das Wissen um den Bau der Bombe zudem von einem Spion umgehend nach Moskau gemeldet wurde, kann die gefürchtete und bald verhasste Sowjetunion ihre eigene atomare „Verteidigung“ errichten. Aber schon haben in den US-Labors die Arbeiten an der Wasserstoffbombe begonnen …
„Hiroshima“ klingt mit einer langen Reihe von Anmerkungen zum Text, einem Quellenverzeichnis plus Bibliografie, einem Personen-, Orts- und Sachregister sowie einer Danksagung und dem Abbildungsnachweis aus.
Auf drei Wochen im Sommer des Jahres 1945 verdichtet Verfasser Stephen Walker seine bemerkenswerte Chronik eines ebenso denkwürdigen wie traurigen Ereignisses. Diese Zeitspanne beinhaltet nach seiner Meinung die relevanten Aspekte der Atombomben-Story. Walker legt seine Darstellung sehr „filmisch“ an; er wechselt die Perspektive, springt von Ort zu Ort, stellt uns die handelnden Personen in ihren Worten und Taten vor, während der „Countdown der Katastrophe“ längst begonnen hat. Der Leser springt quasi auf einen bereits fahrenden Informationszug auf. Dies birgt die Gefahr, dass vor allem dem historischen Laien grundsätzliche Vorkenntnisse unbekannt bleiben. Doch Walker beherrscht die Kunst, wichtige Infos in seinen Bericht einfließen zu lassen, ohne dass es die Chronologie stört. Das Ergebnis überzeugt: „Hiroshima“ ist ein rasant zu lesendes Buch, dessen Erzählfluss das Tempo widerspiegelt, mit dem 1945 die Atombombe zum Einsatz kam.
„Hiroshima“ erzählt diese Geschichte als durchaus nicht vollständiges historisches Mosaik. Zahlreiche Ereignisse lassen sich sechs Jahrzehnte später nur noch annähernd rekonstruieren. Umrisse sind fassbar, Details, Momentaufnahmen, Anekdoten vorhanden, bloß: Lässt es sich verantworten, das Vorhandene zu einer „ultimativen“ Geschichte zu verknüpfen? Stephen Walker zieht sich elegant aus der Affäre, indem er nur selten und dann offen spekuliert, sondern sich lieber auf die Fakten stützt. Gleichzeitig lässt er die Zeitzeugen sprechen. Was sie sagen, kann und ist sicherlich recht subjektiv. Andererseits ist es unmittelbar und zieht den Zuhörer oder Leser in den Bann.
Ein weiteres Verdienst Walkers: Er verzichtet darauf, Partei zu ergreifen. Daraus entwickelt sich ein wahrer Eiertanz, denn Kandidaten für die Rolle/n des Bösewichts gäbe es genug – gleichgültig, ob japanischer, sowjetischer oder US-amerikanischer Herkunft. Stattdessen versucht Walker Situation & Stimmung im Sommer 1945 zu verdeutlichen: Die den Einsatz der Bombe fordern, glauben wirklich an die Notwendigkeit, eine Stadt (bzw. zwei Städte, denn nach Hiroshima starb Nagasaki den atomaren Tod) mit Mann & Maus vom Erdboden zu tilgen, um damit einen opferreichen Bodenkrieg Mann gegen Mann zu vermeiden, während die Japaner das Grauen durch ihr Hinauszögern der definitiv unabwendbaren Kapitulation selbst mit heraufbeschwören.
Haben die Atombomben auf Japan den II. Weltkrieg beendet oder waren sie längst überflüssig, ein Menschen verachtendes Experiment jener gar, die ausprobieren wollten, was ihr neues Spielzeug leisten konnte? Diese Fragen werden noch heute erbittert diskutiert. „Hiroshima“ kann keine endgültige Antwort geben aber womöglich gibt es die auch gar nicht.
Über Leben und Werk von Stephen Walker gibt es sogar im Internet offenbar nur, was auch der Klappentext zu „Hiroshima“ nachbetet. Demnach hat Walker Geschichte in Harvard studiert und drehte später Dokumentarfilme für die BBC – so über die Schlacht an der Somme im November 1916, über die Besatzungszeit in Frankreich, über die Geschichte des Terrorismus sowie nun über das Ende Hiroshimas. Für seine Arbeit habe er diverse Preise erhalten, darunter die „Goldene Rose von Montreux“ und den Preis der „British Academy of Film and Television Arts“. (Bei näherer Betrachtung war es allerdings nicht Walker, der 2003 die „Rose“ gewann, sondern die Pseudo-Realityshow „Faking It“, für die er als einer von zahlreichen Regisseuren drehte, während er in den Annalen der „British Academy of Film and Television“ weder als Gewinner noch als für einen Preis Nominierter erscheint; dies jedoch nur am Rande & als Hinweis darauf was geschehen kann, wenn man solche Angaben nachprüft …) Darüber hinaus sei er Drehbuchautor und für eines seiner Bücher mit einem „Best Drama Award“ für die „Writer’s Guild“ ausgezeichnet worden. (Ich konnte beim besten Willen keine Institution dieses Namens recherchieren … nur eine „Writer’s Guild of America“, der jedoch kein Stephen Walker bekannt zu sein scheint …)
Noch angeschlagen von seinem letzten Fall, der seinen Partner das Leben kostete und ihm selbst einige Schussverletzungen einbrachte, muss Kriminalpolizist Nic Costa einen bizarren Fall übernehmen: In einem kleines Moor unweit der italienischen Hauptstadt Rom findet ein US-amerikanisches Touristenpaar die Leiche einer jungen Frau mit durchschnittener Kehle. Der Schlamm hat Eleanor Jamieson perfekt konserviert, obwohl sie dort seit 16 Jahren liegt. Eigenartigerweise ist sie im Stil der römischen Antike gekleidet und trägt einen Stab bei sich, der dem uralten Kult des Gottes Dionysius zugeordnet werden kann.
Hat sich der Kult, dessen Riten Menschenopfer forderten, über zwei Jahrtausende halten können? Oder ließ ihn eine moderne Sekte wieder aufleben? Steckt gar ein banaler Gangsterkrieg hinter dem Mord? Eleanors Stiefvater entpuppt sich als ehemaliger Drogendealer, der sich zum Zeitpunkt des Verschwindens seiner Tochter mit dem brutalen Mafiaboss Emilio Neri angelegt hatte. Zudem ist Vergil Wallis ein Fachmann für die antike römische Geschichte, der wenig glaubhaft Unkenntnis über den Dionysius-Kult vorgibt. David Hewson – Villa der Schatten weiterlesen →
Smells like teen spirit – „Blankets“ ist eine autobiographisch gefärbte Geschichte. Craig Thompson wurde 1975 geboren und erzählt seine Jugendgeschichte in Wisconsin, Anfang der 90er Jahre. Es ist die Zeit von |Nirvana|, die Zeit der ersten Partys, die Zeit des ersten Joints und der ersten Liebe. Doch an Craig zieht vieles davon mehr oder weniger spurlos vorbei. Er scheint ein Mensch ohne rechte Leidenschaft zu sein. Er ist ein Außenseiter, der sich stets zurückzieht und in irgendeiner Ecke auf seinem Notizblock vor sich hinzeichnet, während seine Mitschüler sich mal wieder über seinen Haarschnitt lustig machen.
Craig hat keine Freunde und auch das Leben in seinem Elternhaus ist nicht wirklich die reinste Freude. Die Thompsons sind strenggläubige Christen und spätestens seit der Ära George W. Bush weiß man auch hierzulande, wie man sich strenggläubige Christen im Mittleren Westen der USA vorzustellen hat. Craig und sein Bruder Phil werden christlich-fundamentalistisch erzogen (Gewalt ist okay, aber Sex ist böse!).
Craigs Kindheit ist keine leichte, aber er macht niemandem einen Vorwurf dafür. „Für meine Familie, in Liebe“ steht als Widmung auf der ersten Seite. Eine Widmung, die einen seltsamen Kontrast zu den Szenen aus Craigs Kindheit bildet. Durch die Intensität der Zeichnungen und die bildhafte Art Gefühle darzustellen, wirkt Craigs Kindheit besonders bedrückend und trist. Craig steht schon in jungen Jahren mehr oder weniger am Rand, kann sich weder zu Hause noch in der Schule wirklich heimisch fühlen und flüchtet sich in seine Träume. Gemäß seiner christlichen Erziehung hat Craig schon in jungen Jahren mit seinem Leben mehr oder weniger abgeschlossen und hofft stattdessen darauf, dass im Himmel alles besser wird.
Als ein winterliches (natürlich christliches) Ferienlager ansteht, ist die Situation wieder die Gleiche: Craig bleibt außen vor, steht als Beobachter abseits, während die anderen Snowboarden und Sprüche über ihre Fortschritte beim weiblichen Geschlecht klopfen. Und doch wird in diesem Ferienlager alles anders für Craig. Er, der Außenseiter, trifft andere Außenseiter und ist zum ersten Mal in seinem Leben nicht allein. Und dann wäre da noch Raina aus Michigan. Sie sorgt für einige Turbulenzen in Craigs ansonsten so unspektakulären Leben. Sie verbringen viel Zeit zusammen, funken offensichtlich auf einer Wellenlänge und bleiben auch über das Ferienlager hinaus in Kontakt. Zwischen dem schüchternen Craig und der bezaubernden Raina entstehen die zarten Bande einer tiefen Freundschaft, die auch über die Distanz zwischen Wisconsin und Michigan Bestand hat.
Als dann Craigs Eltern auch noch wundersamerweise erlauben, dass er Raina in Michigan besucht, beginnen die zwei schönsten Wochen seines bisherigen Lebens. Raina weckt ungeahnte Gefühle in Craig und die zwei Wochen im verschneiten Michigan sind wie einer der Träume, die er immer gehegt hat. Doch auch die zwei Wochen sind irgendwann vorbei und Craig muss wieder zurück in das provinzielle Wisconsin …
Die Geschichte einer ersten Liebe, die mehr erahnt, als wirklich ausgelebt wird, vor dem Hintergrund einer christlich-fundamentalistisch geprägten Erziehung in der tiefsten amerikanischen Provinz – das ist der Kern von „Blankets“. Thompsons Zeichnungen stecken so voller Leben, die Geschichte wird so ehrlich und offen erzählt, dass man sie mehr fühlt als liest. „Blankets“ geht einem wirklich nah, und das schon nach wenigen Seiten. Kein Wunder, dass Thompson für sein Werk schon so manchen Kritikerpreis abstauben konnte. Jüngst folgte im Rahmen der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt die Auszeichnung als Comic des Jahres – völlig verdient, denn „Blankets“ dürfte eine der wichtigsten Underground-Comic-Veröffentlichungen des letzten Jahres sein.
Und das obwohl (oder gerade weil?) der Comic dem Äußeren nach recht schlicht gehalten ist. Einfache, skizzenhafte Schwarz/Weiß-Zeichnungen, wenig Text, teilweise großformatige Szenen, mal ganz realistisch, mal emotional und abstrakt. Thompson ist sicherlich einer der wenigen Comiczeichner, die mit ganz wenigen Strichen komplexe Emotionalitäten darstellen können, egal ob er seine Gefühle für Raina zeichnet oder sein Verhältnis zum christlichen Glauben visualisiert.
Thompsons Gespür für Bilder weiß zu fesseln, aber man muss es mit eigenen Augen gelesen/gesehen haben, um es wirklich zu begreifen. Ist man erst einmal eingetaucht in die Atmosphäre, die Geschichte, die Figuren, kommt man so schnell nicht mehr davon los. Und gerade weil Thompsons Zeichnungen so intensiv und ausdrucksstark sind, könnte man gleich vorne wieder anfangen zu lesen, wenn man am Ende angekommen ist. Man kommt von „Blankets“ einfach nicht los, so faszinierend intensiv ist die Welt, die Thompson mit so wenigen Strichen aus dem Hut zaubert.
Allein in der Textur der Striche tauchen bei „Blankets“ so facettenreiche Emotionen auf, eine so erstaunliche Tiefe, dass man nur staunen kann. Mal wirken die Bilder ganz weich und zärtlich, mal wütend und aggressiv und mal tieftraurig und unsicher. Schwarz/Weiß-Zeichnungen sind in der Beziehung wesentlich ausdrucksstärker und emotionsgeladener als die kolorierten Zeichnungen der Hochglanz-Comics vom Kiosk. Die Gesichter, die Thompson zeichnet, sind einfach und mit wenigen Strichen skizziert. Umso erstaunlicher, dass er es schafft, diese Gesichter so intensiv mit Emotionen auszustatten. Die Eigenarten und die Grundstimmung jeder Figur werden schon nach wenigen Szenen deutlich und nach ein paar Seiten sind sie einem richtiggehend vertraut.
Die Geschichte, da sie nun einmal als Comic erzählt wird, wirkt viel direkter und unmittelbarer und dadurch letztendlich auch nachhaltiger. Gerade als Medium für autobiographische Themen scheint sich der Comic außerordentlich gut zu eignen (weitere Beispiele wären „Maus“ oder „Barfuß durch Hiroshima“). Gefühle werden durch die Zeichnungen (besonders auch durch die für Underground-Comics oft typische, etwas skizzenhafte Darstellung) viel plastischer und besser bzw. schneller begreifbar. Der Comic stellt Dinge dar, die sich mit Worten nur schwer beschreiben oder erklären lassen. Er vereinfacht.
Was einem in der zeichnerischen Darstellung bei „Blankets“ einleuchtend und durch und durch nachvollziehbar erscheint, lässt sich, obwohl man genau spürt, was der Autor ausdrücken will, kaum adäquat mit Worten wiedergeben. Der Comic hat mit seiner visuellen Herangehensweise einen ganz anderen Ansatzpunkt beim Leser als ein Roman. Ein Umstand, der besonders auch bei „Blankets“ sehr deutlich wird und wohl der wichtigste Grund dafür ist, dass einem die Geschichte so nah geht. Als Roman erzählt, wäre sie vermutlich nicht halb so fesselnd. Daraus entsteht letztendlich eine scheinbare Widersprüchlichkeit: Der Comic vereinfacht einerseits, übermittelt andererseits aber komplexere Dinge, als man ihm zutraut – einfach, weil er direkter ist.
Die Geschichte selbst hat, abgesehen von Craigs Besuch bei Raina, einen eher episodenhaften Charakter. Thompson skizziert Bruchstücke seiner Kindheit, die zusammengesetzt ein Bild des Menschen zeichnen, der später im Ferienlager Raina kennen lernt. Auch die späteren Ereignisse werden eher episodenhaft dargestellt. Craigs Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder wird ebenso beleuchtet wie die Weiterentwicklung im Elternhaus. Auch Craigs Verhältnis zum christlichen Glauben wird immer wieder thematisiert und bildgewaltig dargestellt. Thompson erzählt die Geschichte als eine wirklich runde Sache. Man schlägt am Ende zufrieden, aber auch wehmütig das Buch zu. Anfangs- und Endpunkt, der gesamte Handlungsbogen – alles wirkt geradezu perfekt und bis ins Detail stimmig.
Dass seine Geschichte mit recht wenigen Worten auskommt, ist sicherlich auch seinem zeichnerischen Talent zuzuschreiben, aber dass die wenigen Worte, die er wählt, jedes Mal den Nagel auf den Kopf treffen und für jede Szene wie geschaffen sind, das offenbart auch ein gewisses Erzähltalent. Die Liebesgeschichte von Craig und Raina ist so erfrischend ehrlich und unkitschig erzählt, dass einem bei der Lektüre richtig warm ums Herz wird. Nichts wirkt überzeichnet oder gekünstelt, nichts wirkt aufgesetzt oder unpassend – man muss einfach glauben, dass die Geschichte bis ins kleinste Detail so und nicht anders passiert ist. Sie wirkt so offenherzig, frei von der Leber weg erzählt, dass man wirklich spüren kann, wie die erste Liebe sich anfühlt – mit dem Schmerz, der dazu gehört.
„Blankets“ bewegt nicht nur auf visueller, sondern auch auf erzählerischer Ebene. Die Geschichte geht einem nah, die Figuren wirken unglaublich lebensecht und Craig Thompson erzählt die Geschichte einer bedrückenden Kindheit und der ersten großen Liebe vor dem Hintergrund einer streng christlichen Erziehung offen, ehrlich und mit abgeklärtem Blick. Definitiv der beste Comic, den ich seit langem gelesen habe.
Ich halte nun wirklich nichts von übertriebener Lobhudelei, geize üblicherweise mit einer persönlichen Höchstwertung und hasse Empfehlungen, die Bücher als sogenannte „Pflichtlektüre“ abstempeln, aber in diesem Fall kann ich nur den Imperativ verwenden: UNBEDINGT LESEN!
Und das meine ich sogar ernst. Auch die vermeintlichen Comic-Hasser sind angesprochen! Eigentlich jeder, der Lust auf ein Buch randvoll mit großen, ehrlichen Gefühlen und die Muße, sich darauf einzulassen, hat …
|“Alles, was im Leben schief geht in dieser Geschichte von Familie und erster Liebe funktioniert als Kunstwerk tadellos. Mr. Thompson hält sich angenehm zurück, während er uns langsam mit seinem Können überwältigt. Seine Erzählkunst, sein Gespür für Worte, Bilder und beredtes Schweigen, fesselt beim Lesen und wirkt lange nach. So etwas nenne ich Literatur.“| Jules Feiffer (Pulitzer-Preisträger)
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