Hearn, Lian – Glanz des Mondes, Der (Der Clan der Otori Band 3)

Da ist er nun auch schon, der letzte Band um den Otori-Krieger Takeo von Lian Hearn. Nach dem beeindruckenden ersten Buch „Das Schwert in der Stille“ und dem ebenbürtigen, spannungsvollen Nachfolger [„Der Pfad im Schnee“ 968 findet die dramatische Fantasy-Geschichte aus dem mittelalterlichen Asien hier ihr Ende, und wie schon bei den Vorgänger-Bänden lässt Hearn die Tragik der gesamten Handlung auch dieses Mal nicht außen vor. Im Gegenteil; es geht um ein finales Gefecht, um die entscheidende Schlacht, aber auch um die große, endlich vereinte Liebe mit all ihren Emotionen, aber eben auch mit all ihrer Trauer.

_Story:_

Endlich sind Takeo und Kaede vereint und können ihre lang anhaltende Liebe mit ihrer Hochzeit besiegeln. Doch in den Genuss ihres Familienglücks kommen sie nur für kurze Zeit, denn der Clan, der gegen diese Vermählung war, lässt ihnen keine ruhige Minute. Die Otori-Lords erkennen den Herrschaftsanspruch des jungen Kriegers nicht an und bereiten sich daher auf den Kampf gegen den Träger des legendären Schwertes Jato vor. Takeo stellt sich diesem Kampf und versammelt seine zahlreichen Anhänger um sich. Verbündet ziehen die Männer in den Kampf: für Gerechtigkeit, für Frieden im Land der Lords, für das Ende der Schreckensherrschaft des Clans und schlussendlich für den inneren Seelenfrieden, für die Liebe ihres Anführers zu der hübschen Gemahlin Kaede.

Doch bevor es überhaupt zur endgültigen Schlacht kommen kann, müssen die Krieger auf ihrem Weg in das von Feinden belagerte Land der verstorbenen Lady Maruyama einige harte Prüfungen bestehen und sich gegen die am Wegesrand lauernden Gefahren durchsetzen. Stets muss Takeo sich vor seinen Gegnern fürchten, denn die Schergen des Clans wollen nur eines: seinen sofortigen Tod und das Ende seines Freiheitskampfes.

Die Liebe zwischen Kaede und Takeo wird dabei erneut auf eine harte Probe gestellt, denn ihre Wege trennen sich sehr bald wieder. Doch ihre feste Entschlossenheit, ihr Mut, sich gegen das Böse durchzusetzen und damit auch für das gleiche Ziel zu kämpfen, bleibt ihr dauernder Antrieb, sich ihrer Verpflichtung zu stellen. Und nur so kann Takeos Prophezeihung, dass sich das Land unter ihm von Meer zu Meer in Frieden erstrecken wird, in Erfüllung gehen. Doch bis dahin haben der junge Kämpfer und seine Gattin noch einen langen, steinigen Weg zu bewältigen …

_Eindrücke:_

Wie nicht anders zu erwarten war, so ist auch „Der Glanz des Mondes“ ein unheimlich faszinierendes Werk geworden und in diesem Maße dann auch ein mehr als würdiger Abschluss dieser Trilogie. Trotzdem kann es im direkten Vergleich zu den beiden anderen Bänden nicht ganz mithalten, weil Hearn in diesem letzten, düstersten Teil nicht so ausschmückend und weitschweifig erzählt, wie man dies bislang gewohnt war. Es passiert in kürzester Zeit eine ganze Menge, und besonders im mittleren Teil des Buches, wo Hearn das Erzähltempo mächtig anzieht, fehlt ein wenig diese stille Romantik des ersten Teils, die ich aus heutiger Sicht immer noch am meisten bewundere.

Nichtsdestotrotz ist auch die Geschichte des dritten Buches einfach nur toll. Lian Hearn glänzt durch eine weit reichende Phantasie, Ideenreichtum im Bezug auf die verschiedenen Wendungen innerhalb der Handlung und einen erneut wunderschönen, wenngleich auch nicht mehr so detailverliebten Stil, der besonders den heimlichen Romantikern unter den Lesern sehr zusagen sollte.

Das Schöne dabei ist letztendlich, dass man nie so richtig ahnt, wie die Geschichte letztlich enden könnte, denn dort wo man zunächst denkt, die Auflösung des Ganzen zu kennen, ändert sich urplötzlich der Handlungsstrang und man steht wieder |tabula rasa| da. So bleibt das Buch immerfort auf dem Höhepunkt, und in dem Moment, in dem die finale Klimax abklingt, hat man auch schon die letzte Seite erreicht. Ist das nicht eine traumhafte Bestätigung für die Verfasserin?

Natürlich muss man die ersten beiden Otori-Bücher gelesen haben, um die Geschichte in ganzem Umfang zu verstehen, aber wenn dies bereits geschehen ist, wird man sich schnell in diesem Buch zurechtfinden und sich erneut in die Geschichte um Takeo und Kaede verlieben. Trotz ein paar hektischer Momente ist auch „Der Glanz des Mondes“ ein Traum von einem Buch und im Dreierpack mit den anderen beiden Bänden mein persönlicher Lesetipp im Bereich der nicht-standesgemäßen Fantasy.

Als Letztes noch ein kurzer Hinweis für diejenigen, die bereits länger vom Otori-Fieber gepackt wurden: Derzeit wird der erste Teil der Reihe in den Staaten verfilmt. Die Geschichte ist also doch noch nicht zu Ende …

http://www.otori.de/

Tolkien, J. R. R. – Lord of the Rings, The (Lesung in Englisch)

Wo soll man beginnen, wenn man mit der schier unlösbaren Aufgabe betraut wurde, ein Hörspiel von 713 Minuten zu besprechen, das dazu noch die komprimierte Fassung eines Romans von 1300 Seiten ist? Mit der Handlung? Wohl kaum, schließlich gibt es nach der Verfilmung von Peter Jackson fast niemanden mehr, der nicht zumindest eine grundlegende Ahnung davon hat, worum es in J. R. R. Tolkiens „The Lord of the Rings“ geht: Ein Hobbit, nämlich Frodo Baggins, wird – recht unfreiwillig – mit der Aufgabe betraut, den Ring Saurons zu zerstören; ein Symbol für das ultimativ Böse. Parallel dazu gibt es Schlachten, Männer auf Wanderschaft, seltsame Rassen, viele Lieder und Gedichte und so etwas wie eine Liebesgeschichte. Die Handlung braucht hier also nicht rekapituliert werden, ist sie doch auch viel zu komplex, um sie in drei Absätzen wiederzugeben.

Womit also sonst beginnen? Den technischen Daten? Die 713 Minuten Spielzeit verteilen sich auf beeindruckende 10 CDs, die in einem stilsicheren Pappschuber nach Hause kommen. Dazu gibt es ein kleines Booklet mit einer Einleitung von Brian Sibley, der zusammen mit Michael Blakewell das Drehbuch für das Hörspiel schrieb. Eine ganze Reihe bekannter Namen wurden verpflichtet, allen voran natürlich Ian Holm als Frodo und Peter Woodthorpe als Gollum, der die Rolle bereits in Ralph Bakshis Trickfilmversion des Stoffes verkörperte („The Lord of the Rings“, 1978). Nach zwei Monaten im Studio wurde die erste der 26 Episoden von „The Lord of the Rings“ am 8.3.1981 auf Radio 4 im UK ausgestrahlt.

Vielleicht sollte man also einfach von vorn beginnen: Nämlich im Shire, diesem idyllischen Flecken (Mittel-)Erde, in dem die Geschichte vom Ringkrieg seinen Anfang nimmt. Das Hörspiel lässt sich für die Exposition viel Zeit, und bis die Hobbits Rivendell erreichen, vergehen zwei CDs. Zwar fehlt auch in der Hörspielversion Tom Bombadil, doch lässt sich die Erzählung zunächst viel Zeit, um die Hobbits vorzustellen und zu charakterisieren und Hintergrundwissen unterzubringen (so wird beispielsweise das Kapitel „Riddles in the Dark“ aus dem [„Hobbit“ 481 mit eingeflochten, um zu erklären, wie Bilbo an den Ring gekommen ist). Es gibt viel Interaktion zwischen Frodo und Bilbo und gerade Ian Holm als Frodo klingt viel erwachsener und ernster als sein Gegenpart Elijah Wood im Film. Auch William Nighy (wohl besser bekannt als Bill Nighy, zu sehen in Filmen wie „Underworld“ oder „Love, Actually“) als Sam spricht sich sofort in die Herzen der Zuhörer. Und die Tatsache, dass er eine wunderbare und ausdrucksstarke Singstimme hat, verstärkt diesen Effekt noch. Im Gegensatz zum Film arbeitet das Hörspiel nämlich oft und gern mit den Liedern und Gedichten, die Tolkien in sein Werk hat einfließen lassen. So dürfen mehrere Charaktere von Zeit zu Zeit singen oder rezitieren und man hört beispielsweise „The Fall of Gil-Galad“, „The Lay of Luthien“ oder „Elbereth Githoniel“ in Auszügen. In vielen Fällen werden die Lieder auch von Musik begleitet (komponiert von Stephen Oliver). Gerade diese Lieder und Gedichte, die die meisten im Roman überlesen, entfalten im Hörspiel ihre volle Wirkung und tragen damit nicht nur stark zur Stimmung bei, sondern treiben von Zeit zu Zeit auch die Handlung voran.

Die Hobbits sind noch nicht einmal in Rivendell, da erwarten Tolkien-Puristen schon die ersten positiven Überraschungen. Arwen wurde, wie von Tolkien vorgesehen, wieder an ihre Stickarbeiten zurückbeordert (sie hat im Hörspiel ohnehin nur einen kurzen Dialog am Ende der Geschichte) und so darf der verletzte Frodo ganz traditionell von Glorfindel gerettet und nach Rivendell befördert werden. Und er ist nicht der einzige Charakter, der es – im Gegensatz zum Film – ins Hörspiel geschafft hat. Dazu gehört auch Halbarad, der zusammen mit den Rangern Aragorn in der finalen Schlacht unterstützt. Auch viele Szenen, die der Film vermissen ließ, sind ausführlicher ausgearbeitet. So ist die finale Konfrontation zwischen Gandalf und Saruman („The Voice of Saruman“) als Schlüsselszene angelegt und damit ein viel überzeugenderer Schlusspunkt als die Version von Peter Jackson. Es gibt mehr aus den Kapiteln „The Houses of Healing“, „The Scourging of the Shire“ und auch auf den Schluss der Geschichte wird mehr Zeit verwendet. So wie schon der Beginn von „The Lord of the Rings“ bedächtig im Shire anfing, so klingt die Geschichte dort auch langsam aus. Mit der Rückkehr ins Shire wird die Stimmung immer melancholischer und wehmütiger und entspricht damit sehr gut Tolkiens Ende des Ringkriegs. Das Hörspiel klingt also sehr leise aus und emotionale Gemüter werden wohl die ein oder andere Träne wegwischen müssen.

Wie sieht es nun mit den Sprechern aus?; mit ihnen steht und fällt schließlich die Glaubwürdigkeit der Geschichte. Auf alle kann hier natürlich nicht eingegangen werden, dafür ist das Ensemble einfach zu umfangreich, daher sollen hier einige Sprecher herausgepickt werden, die auf die ein oder andere Art aufgefallen sind:

|Menschen:|
Da muss natürlich Aragorn (Robert Stephens) erwähnt werden. Und welch einen Schock verursacht er zunächst, gerade im Gegensatz zu seinem filmischen Alter Ego (Viggo Mortensen). Wo Mortensens Aragorn ein nachdenklicher, von Selbstzweifeln geplagter König im Exil ist, so stellt Stephens ihn als selbstbewussten und zielgerichteten Mann dar, der durchaus weiß, was er will (nämlich König werden) und dieses Ziel auch hingebungsvoll verfolgt. Und dazu lacht er auch noch aus vollem Halse! Und das gleich in seiner ersten Szene! Robert Stephens ist gewöhnungsbedürftig, wohl auch, weil er stimmlich älter klingt, als man sich Aragorn vorstellen würde. Doch seine Interpretation wächst dem Hörer mehr und mehr ans Herz.

Theodén (Jack May) dagegen hat Tolkiens Pathos wohl etwas zu ernst genommen. Er klingt so theatralisch und überzogen, dass man sich wünscht, die Regie hätte hier eingegriffen und May etwas gedämpft.

Denethor (Peter Vaughan) dagegen ist ein echter Gewinn. Der Hörspiel-Denethor ist viel weniger verrückt als der Film-Denethor. Vaughan stellt ihn als einen überforderten Herrscher dar, der sich mit schier unüberwindlichen Problemen konfrontiert sieht – und bleibt damit viel dichter an Tolkiens Vorlage.

|Elben:|
Bei den Elben sticht kaum jemand heraus, anzumerken ist vielleicht nur, dass Galadriel (Marian Diamond) die erste Frauenstimme ist, die man im Hörspiel zu Ohren bekommt. Galadriel ist hier ein durchaus sympathischer und hilfsbereiter Charakter und keineswegs mysteriös oder zwiespältig.

|Hobbits und andere Kurze:|
Ian Holms Frodo macht im Verlauf des Hörspiels eine faszinierende Metamorphose durch. Zwar klingt er schon zu Beginn sehr seriös und erwachsen, doch nähert er sich später immer mehr Gollums Sprache und Modulation, was sehr gut den Einfluss illustriert, den der Ring auf ihn hat. Von einem durchaus ernsthaften und zielgerichteten Hobbit wird er so immer mehr zu einer unvernünftigen Kreatur, die nicht mehr für sich selbst entscheiden kann und geradezu krankhaft auf den Einen Ring fixiert ist.

Ein wahres Fest ist Peter Woodthorpe als Gollum. Er ist herrlich hysterisch und verrückt und Woodthorpe schafft es zielsicher, Gollums gesamten trickreichen Charakter mit seiner Stimme zu füllen. Da bleiben keine Wünsche offen. Ohne Frage ist Woodthorpe eines der großen Highlights des Hörspiels.

|Zauberer:|
Michael Hordern als Gandalf verleiht dem Charakter die nötige Würde und eine ordentliche Prise Mysterium und Witz: so, wie man Gandalf gewöhnt ist. Die wirkliche Überraschung ist jedoch Peter Howell als Saruman, der es tatsächlich schafft, den Zuhörer mit seiner Stimme zu bezaubern und für sich einzunehmen (ganz so, wie man es von Saruman behauptet). Wenn er will, klingt er so gutmütig, hilfsbereit und altruistisch, dass man ihm auf keinen Fall zutrauen mag, mit Sauron unter einer Decke zu stecken.

Im Hörspiel wirkt, trotz des großen Ensembles, niemand fehlbesetzt, auch wenn man natürlich zugeben muss, dass es unter Umständen schwierig werden kann, alle Charaktere auseinanderzuhalten. Schließlich werden alle zehn CDs, wenn man von den weiblichen Nebenrollen (Galadriel, Eowyn, Arwen) einmal absieht, von Männern bestritten. Doch wenn man ein grundlegendes Wissen darüber hat, was wann in der Geschichte passiert, so wird man auch keine Probleme haben, dem Hörspiel zu folgen. Ein Tipp sei jedoch erlaubt: Tolkiens „The Lord of the Rings“ in Buchform enthält in der Regel eine Karte von Mittelerde. Eine solche zur Hand zu nehmen, empfiehlt sich auch für das Hörspiel, um nachvollziehen zu können, wo sich die Gefährten gerade befinden. Wie das Leben nämlich so spielt, wird häufig darüber diskutiert, welcher Weg einzuschlagen ist (Männer können eben nicht nach dem Weg fragen …) und diese Diskussionen sind einfacher zu verfolgen, wenn man eine Karte zur Hand hat.

Abschließend ist zu sagen, dass das Hörspiel der BBC neben der Trickfilmversion von Ralph Bakshi und der Filmtrilogie von Peter Jackson eine wirklich faszinierende Interpretation des Stoffes von Tolkien ist. Das Hörspiel teilt sich mit dem Roman einige Längen (so beispielsweise der lange Expositionsteil im Shire), doch dafür kann es auch besonders gut die Stimmungen einfangen, die Tolkien zu evozieren versuchte. Überraschend ist auch, dass es gelungen ist, die Schlachten durchaus überzeugend darzustellen – und zwar nur mit Musik und kurzen Sprachfetzen. Und so wird zwar, naturgemäß, im Hörspiel wenig Elbisch gesprochen (was zwar schade, aber verständlich ist), doch macht man sich die vielen Lieder und Gedichte zunutze – für mich einer der großen Pluspunkte des Hörspiels. Weder der Trickfilm noch die Realfilme haben darauf viel Zeit verwendet und im Roman führt all diese Poesie eher ein Schattendasein. Im Hörspiel allerdings haben sie eine zentrale Rolle inne und können ihre ganze Suggestionskraft entfalten.

Dramatisierung: Brian Sibley und Michael Blakewell
Musik: Stephen Oliver
Sprecher: Ian Holm, Michael Hordern, Robert Stephens, Peter Woodthorpe, William Nighy, Richard O’Callaghan, John McAndrew, David Collings, Michael Graham Cox u. v. a.
Spielzeit: ca. 713 min

Den „Herr der Ringe“ als Hörspiel zu genießen, ist natürlich nicht ganz billig – die zehn CDs kosten knapp 50 €uro. Allerdings bekommt man dafür auch Hörgenuss vom Feinsten und Tolkien im englischen Original geboten.

http://www.hoerverlag.de

|J. R. R. Tolkien bei Buchwurm.info:|
[The Hobbit 481
[Der Hobbit 22
[Der Hobbit 130 (Hörspiel)
[Das Silmarillion 408
[Nachrichten aus Mittelerde 1407
[Der Elbenstern 805 (Hörbuch)

Padgett, Abigail – Kalt ist der Tod

„Eiskalt und knallwitzig, buchstäblich ein Lesespaß“ wirbt die |Für Sie| auf dem Buchrücken für Abigail Padgetts Roman „Kalt ist der Tod“, der zunächst dadurch noch sehr verlockend wirken mag, doch schon die ersten Seiten lassen Zweifel aufkommen …

_Stromausfall – Totalausfall?_

Als in der Nähe von San Diego ein kleines Erdbeben zu einem Stromausfall führt, fällt auch die Stromversorgung in einem öffentlichen Kühlhaus bei Borrego Springs aus und führt eine Leiche zutage, die dort vor Jahren eingefroren wurde. Eine alte Dame mit dem netten Namen Muffin bekennt sich des Mordes schuldig und wandert auf ihre alten Tage ins Gefängnis. Das wiederum bringt ihren jüngeren Bruder Dan Crandall auf den Plan, der die Privatdetektivin Blue McCarron engagiert, um die Unschuld seiner Schwester zu beweisen. Nur Blues Buch „Affe“ war der Auslöser für ihre Beteiligung an diesem Kriminalfall, da Dan diese 700-seitige Abhandlung über männliche und weibliche Verhaltensmuster gelesen hat und aus nur ihm bekannten Gründen daher Blue McCarron als Privatdetektivin verpflichten möchte.

Nach einem Besuch im Gefängnis bei Muffin erkennt Blue ihre Sympathie für die alte Dame und engagiert daraufhin die bekannte homosexuelle und schwarze Psychiaterin Rox Bouchie, damit diese ein psychologisches Gutachten über Muffin anfertigt. Rox bemerkt auch sogleich Muffins Täuschungsmanöver und stellt fest, dass ihre Patientin geistig völlig gesund ist, körperlich allerdings nicht, denn Muffin hat Krebs im Endstadium. Kurz darauf wird Muffin vergiftet im Gefängnis aufgefunden und die Frage stellt sich, wer die todkranke Frau ermordet hat.

Bald entdeckt auch Blue mitten in der Wüste zwei dubiose Gestalten, die es offensichtlich auf sie abgesehen haben und sich über den Überfall auf eine andere Frau unterhalten. Blue kann den einen Kerl verletzen und sich retten, das andere Opfer der beiden nächtlichen Angreifer kennt sie jedoch recht gut. Blue muss erkennen, dass sie in großer Gefahr schwebt, obwohl sie sich nicht erklären kann, warum man es auf ihr Leben abgesehen hat …

_Lauwarm statt eiskalt_

Gleich auf der ersten Seite werden wir der Ich-Erzählerin Blue McCarron vorgestellt, die uns von ihren Erlebnissen rund um Muffin Crandall erzählt und den Startschuss zu den turbulenten Ereignissen nach dem Stromausfall und dem Auffinden der Leiche im Kühlhaus gibt. Doch kommt das Buch von Anfang an nicht aus den Startlöchern, die Autorin hält sich mit ellenlangen Gedankenmonologen über Blues Exfreundin Misha auf, die vor zwei Jahren ohne ein Lebenszeichen verschwunden ist und immer noch in Blues Gedanken herumschwebt. Immer wieder wird die eigentliche Handlung unterbrochen, damit Blue sehnsüchtig an ihre Vergangenheit mit Misha, das Kennenlernen und ihre ach-so-tolle Beziehung zurückdenken kann.

Im Laufe der Zeit erhält man als Leser schnell den Eindruck, dass Blue sich gerne von Gedankenblitzen ablenken lässt, denn egal, welche Gefahr auch gerade droht, ständig füttert sie uns mit weiteren uninteressanten Informationen zur sagenumwobenen Misha-Vergangenheit. Auch in der Einstiegsszene, als Dan Crandall Blue als Privatdetektivin anheuern will, präsentiert uns Blue zunächst große Teile ihrer Familiengeschichte und einige Ideen aus ihrer Dissertation, die mit der eigentlichen Situation leider gar nichts zu tun haben.

So kommt natürlich weder Spannung auf, noch eine düstere gefahrvolle Atmosphäre, in der der Leser angesichts der drohenden Gefahr den Atem anhalten müsste. Selbst als die Killer auftauchen, um Blue zu überfallen, gibt es keinen Nervenkitzel, auch die todesbringenden Deltas, wie Blue sie nennt, sorgen für keine spannungsgeladene Atmosphäre. Beim Lesen ist einem meist eher zum Gähnen zumute, da die Erzählung vor sich hin plätschert und mit allerlei unnötigem Beiwerk geschmückt ist, das weder die Handlung vorantreibt noch die Figurenzeichnung realistischer wirken lässt.

Besonders die zahlreichen Exkurse, die über Misha oder auch Rox Bouchie belehren, bremsen das Erzähltempo drastisch aus. Immer wenn die Handlung ein wenig vorangekommen ist, hält Padgett inne und streut nebenbei sehr ausführlich weiterführende Informationen ein, die leider meist nur wenig mit dem Kriminalfall zu tun haben. Von einem eiskalten Thriller kann hier also keine Rede sein, eher von einem lauwarmen Aufguss, den man auf einer langweiligen Bahnfahrt konsumieren sollte.

Überraschungsmomente gibt es nur wenige im Verlaufe des Romans, so ahnt der krimi-erfahrene Leser sehr früh, warum Muffin für einen Mord ins Gefängnis geht, obwohl sie doch offensichtlich unschuldig ist, die Gründe hierfür sind zu offenkundig. Erst später lässt uns die Autorin staunen, wenn nämlich Misha wieder auftaucht und die einzelnen Figuren miteinander verknüpft werden. Die uns hier erwartenden Überraschungen sind allerdings nicht so erfreulich …

_Hausfrauenpsychologie_

Da die gesamte Geschichte aus Sicht der Sozialpsychologin Blue McCarron geschrieben ist, bleiben wir auch nicht von psychologischen Gedankengängen verschont, die weibliches und männliches Verhalten analysieren sollen. Hier greift Blue gerne auf ihr eigenes Buch „Affen“ zurück, in welchem menschliches Verhalten von Grund auf durchleuchtet wird. Mir persönlich tritt Abigail Padgett allerdings zu viele Altweiberweisheiten breit und wirft mit fragwürdigen Begründungen für geschlechtertypisches Verhalten um sich, die sich speziell auf den ersten hundert Seiten des Buches zu sehr häufen. Praktisch alle paar Seiten entdecken wir neue Ausführungen aus dem Affenreich, die die psychologische Seite des aktuellen Kriminalfalls erklären sollen. Mir erscheint diese Deutungsweise an vielen Stellen allerdings zu undifferenziert.

|“So weit klang die Geschichte der Frau unglaubwürdig, aber dennoch sehr vertraut. Es war der Alptraum einer jeden Frau, ein Grund, warum Frauen Geräusche im Dunkeln fürchten. Vergewaltigung, Schändung und brutaler Tod. Dies ist das ständig wiederholte Mantra, das uns von haarigen Vorfahren hinterlassen wurde, den Cousinen von Schimpansen, Gorillas und Menschen. Ein Blick auf jede x-beliebige Schimpansenenklave, mit Ausnahme der matriarchalischen Zwergschimpansen, enthüllt die Quelle des Alptraums. Männliche Schimpansen schlagen wahllos Weibchen, um die allgemeine weibliche Unterwerfung zu sichern. Und wenn sie in der Brunst ist und die sexuelle Penetration verweigert, wird sie vielleicht von dem Männchen zu Tode geprügelt, während seine Kumpel johlen und pfeifen und herumhüpfen. Ein Blick in jede x-beliebige Zeitung zeigt, dass der Alptraum in menschlichen Enklaven ebenfalls vorhanden ist.“|

_Konstruktionen_

Am Ende wird der Leser bemerken, dass jeder noch so unwichtig erscheinende Gedankenmonolog seinen Grund in der Geschichte findet und jede noch so nebensächlich wirkende Figur ebenfalls in das Chaos verstrickt ist. Selbstverständlich hat auch die inzwischen wohl bekannte Misha später ihren großen Auftritt und steht plötzlich im Zentrum der Verwicklungen. Doch gerade zum Finale hin greift Padgett dermaßen in die Trickkiste und offenbart völlig unglaubwürdige Verbindungen zwischen den auftretenden Figuren, dass sie eine mehr als lebhafte Phantasie offenbart. Zum Finale hin scheint nichts unmöglich zu sein, als Leser bekommt man den Eindruck, als wollte Padgett bemüht alle erwähnten Namen in den Kriminalfall verwickeln, doch kann so etwas nicht funktionieren. Die Auflösung wirkt dermaßen konstruiert, dass ein mehr als fader Nachgeschmack bleibt, welcher durch das gefühlsduselige Happy-End noch verstärkt wird.

Auch in Sachen Figurenzeichnung weiß Padgett nicht zu überzeugen, insbesondere in der Gestaltung der Ich-Erzählerin wirft die Autorin mit Klischees nur so um sich. Hier lernen wir die eigentlich homosexuelle promovierte Sozialpsychologin Blue McCarron kennen, die nach gescheiterter Liebe mit ihrem Hund in die Wüste geflüchtet ist, um dort mit ihrem überragenden psychologischen Geschick Geld zu scheffeln. In einem dramatischen Moment lässt sie sich aber nach überstandener Todesgefahr vom männlichen Protagonisten zu einem kurzen Quickie überreden, bei dem sie sogleich vergisst, dass beim Sex zwischen Mann und Frau durchaus die Möglichkeit einer Schwangerschaft besteht.

Blues Familiengeschichte wirkt gleichfalls völlig überzeichnet; da ist einmal der frühe Tod der Mutter zu nennen, außerdem der Zwillingsbruder, der nun im Gefängnis sitzt und dort per Zufall die Liebe seines Lebens kennen gelernt hat. Nach geschicktem Austausch eines gefüllten Präservativs ist seine Flamme nun schwanger geworden, sodass eine Traumhochzeit hinter Gittern stattfinden muss, die selbstverständlich der überglückliche Familienvater höchstselbst vornimmt. Eine solche Anhäufung ausgelutschter Klischees trägt wirklich nicht zum Lesespaß bei!

_Lauwarmer Kaffeekränzchenthriller_

„Eiskalt und knallwitzig“? Leider habe ich beides beim Lesen des Buches vermisst, denn der Kriminalfall kann an keiner Stelle dermaßen mitreißen, dass eine spannungsgeladene Atmosphäre aufgebaut werden könnte, auch eiskalt ist die Handlung an keiner Stelle. Von knallwitzig ist ebenfalls keine Spur; mir kam Padgetts Schreibstil eher dröge und konstruiert vor, eventuell mag sie sich bemüht haben, ihren Roman humorvoll klingen zu lassen, dabei herausgekommen ist allerdings ein lahmer Kriminalfall mit völlig überzeichneten Figuren und einer konstruierten Auflösung, bei der sich einem die Nackenhaare aufstellen. Selbst vor einem triefenden Kitschende schreckt Abigail Padgett nicht zurück und versetzt damit ihrem Buch noch den finalen Todesstoß.

Jennifer Fallon – Kind der Magie (Dämonenkind Band 1)

Seit vor ungefähr zweihundert Jahren das Volk der Harshini ausgemerzt wurde, herrscht in Medalon die Schwesternschaft des Schwertes. Die sogenannten Heiden, die trotz allem immer noch wagten, die alten Götter anzubeten, waren deshalb immer wieder erneuter Verfolgung ausgesetzt, denn Staatsreligion ist nun der Atheismus. In zweihundert Jahren ist es der Schwesterschaft gelungen, ein kleines, aber schlagkräftiges Heer aufzubauen: die Hüter, die aber hauptsächlich mit zeremoniellen Aufgaben oder mit Grenzscharmützeln im Süden beschäftigt sind, wo die benachbarten Hythrier ihnen regelmäßig das Vieh stehlen. Die Nordgrenze schützt ein Friedensvertrag, der noch aus einer Zeit stammt, als sowohl Medalon als auch das Nordreich Karien ziemlich am Boden lagen.

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Paglia, Camille – Vögel, Die. Der Filmklassiker von Alfred Hitchcock

Alfred Hitchcocks im Jahre 1962 entstandener Thriller „Die Vögel“ („The Birds“) gehört zu den unumstrittenen Klassikern der Filmgeschichte. Als solcher ist er schon oft und ausführlich untersucht und interpretiert worden. Deshalb ist es nicht einfach, noch neue Gesichtspunkte zu entdecken. Natürlich kann man es versuchen, und so lange noch viele der hinter der Kamera tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter uns weilen, kann man sie befragen und dabei das eine oder andere bisher unbekannte Detail zu Tage fördern. Eine völlige Neubewertung dessen, was „Die Vögel“ zu einem anerkannten Meisterwerk macht, ist allerdings kaum mehr möglich.

Was geschieht, wenn man es dennoch versucht und dabei die gerade beschriebenen Grenzen um jeden Preis ignorieren möchte, belegt ebenso eindrucksvoll wie abschreckend das vorliegende Buch. Camille Paglia, Professorin für Klassische Literatur an der University of the Arts in Philadelphia (USA), forscht und lehrt über die Rolle der Frau in Gesellschaft und Kultur. In zahlreichen Aufsätzen und Büchern ging sie diesem Thema sowohl streng wissenschaftlich als auch populär durch diverse Jahrhunderte und in seinen vielfältigen Aspekten nach. Besonderes Aufsehen erregte sie als gemäßigte „Anti-Feministin“, die sich mutig, entschieden und sachlich-kompetent gegen die Auswüchse einer angeblichen „sexual correctness“ ausspricht, die in den Vereinigten Staaten längst zu einem Rückfall in quasi-puritanische Zeiten geführt hat. Auch als Filmkritikerin ist sie bereits aufgetreten; sie hat sich beispielsweise im Online-Magazin „salon.com“ mit dem lesbischen Schauspielerinnen-(Ex-)Paar Elles DeGeneres und Anne Heche beschäftigt (und sich in ihrer Kolumne „Ask Camille“ auch zu Fragen wie „Is Anne Heche Another Vampirish Yoko Ono?“ geäußert …)

Beginnen wir mit dem Positiven: Paglia zeichnet die Entstehungsgeschichte von „Die Vögel“ knapp, aber minuziös nach. Dabei geht sie wohltuend über die stets gleichen, uralten Anekdoten hinaus, die seit Jahren besonders von der Presse nachgebetet werden, wenn die Sprache auf diesen Film kommt. (Tippi Hedren wird mit lebenden Vögeln beworfen, bis sie einen Nervenzusammenbruch erleidet – Hitchcock schenkt Hedren einen Sarg, in dem eine Puppe mit ihren Gesichtszügen liegt – Der liebeskranke Hitchcock verfolgt und bedrängt seine Hauptdarstellerin, usw. usf.) Zum ersten Mal erfährt man dank Paglia zum Beispiel Einzelheiten darüber, dass „Die Vögel“ nicht allein auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Daphne DuMaurier basiert. Hitchcock wurde mindestens ebenso stark inspiriert durch eine Invasion verwirrter Seevögel, die im August 1961 in ein kalifornisches Küstenstädtchen unweit seines eigenen Wohnortes eingefallen waren.

Auch Paglias Schilderung der enormen technischen Probleme, vor denen Hitchcock, seine Darsteller und seine Crew standen, weiß zu überzeugen. Dass die Detailversessenheit des Meisterregisseurs auf private Obsessionen und Ängste zurückgingen, ist allgemein bekannt, aber Paglia weiß dieses Bild durch einige interessante Anmerkungen abzurunden.

Die Probleme beginnen, sobald Paglia mit der Interpretation von „Die Vögel“ beginnt. Ihre Eingangsthese lautet: „In seinem technisch aufwendigsten Film … beschäftigt sich Alfred Hitchcock direkt mit dem Thema der Natur als einer zerstörerischen und räuberischen Kraft, das seiner Faszination für das Verbrechen schon immer zugrunde lag.“ (S. 7) Statt dem nun nachzugehen und zu bestätigen oder zu widerlegen, ignoriert Paglia ihre Theorie auf den folgenden einhundert Seiten. Stattdessen reitet sie ihr Lieblings-Steckenpferd und bemüht sich, Melanie Daniels, die weibliche Hauptfigur von „Die Vögel“, sowie Tippi Hedren, ihre Darstellerin, in ihren Positionen innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft um 1960 darzustellen. Dafür gibt es eine ganz Reihe von Ansatzpunkten, und viele der von Paglia gezogenen Schlüsse sind einleuchtend. Leider verrennt sie sich mindestens ebenso häufig in manchmal geradezu aberwitzige logische Sackgassen – und mehr als einmal brennt ihr eine Sicherung durch: „[Melanie] erreicht den Anlegesteg und wirft das mit einer Schlinge versehene Tau über den Pfahl, was in einem Hitchcock-Film … aussieht, als würde die Galgenschlinge wie ein Lasso über einen Penis geworfen.“ (S. 54) Das ist als blühender Blödsinn unmittelbar erkennbar und immerhin erheiternd. Erklären lässt sich auch Paglias fast zwanghaftes Bemühen, einen Argumentationsstrang um jeden Preis und solange zu zwirnen, bis sich ein Schlachtschiff daran vor Anker legen ließe. Ein gutes Beispiel ist Paglias schier endlose Liste von Vögeln und Vogelmotiven, die in Hitchcocks Filmen auftauchen. Hitchcock mochte diese Tiere nicht, das ist richtig, aber dennoch: Selbst bei ihm war ein Vogel manchmal nur ein Vogel – nicht mehr!

Doch Paglia ist wie gesagt primär nicht Filmkritikerin, sondern Wissenschaftlerin. Daher ist es ihr Bestreben, eine Feststellung durch möglichst viele Belege zu untermauern und abzusichern. Der anerkennenswerte Hang zur Genauigkeit verkehrt sich aber ins Groteske, wenn Paglia den Film buchstäblich Bild für Bild auseinander nimmt und dabei Zusammenhänge konstruiert, an die Hitchcock nicht einmal im Traum gedacht haben dürfte. Melanie Daniels’ Antlitz inspiriert von den olympischen Gesichtern auf dem klassisch griechischen Parthenon-Fries? Also bitte! Aber mit scheinbarem Gelehrtenwissen dieser Art füllt bei Paglia ganze Seiten, statt sich auf die simple Tatsache einzulassen, dass Alfred Hitchcocks Gedanken nicht einzig darum kreisten, in jeder Filmsekunde eine weitere sexuelle Anspielung einzubauen, sondern meist darum, einen möglichst spannenden Film zu drehen.

Weniger amüsant sind geistige Fehlzündungen dort, wo die Autorin es besser wissen müsste. Das Bestreben, sich prägnant, populär und damit auch für sachfremde Laien verständlich auszudrücken, in allen Ehren, doch Aussagen wie „Als sich die Nomaden vor zehntausend Jahren an festen Wohnsitzen niederließen, zähmten sie Tiere … zu dienstbaren Lebewesen. Aber gezähmt wurde auch der Nomadenmann, denn er fiel unter die durch den Hausbau verstärkte Kontrolle der Frau.“ sind in ihrer groben Vereinfachung wissenschaftlich schlichtweg unhaltbar. Solche Kristall-und-Sandelholz-Soziologie kennt man eher von den einschlägigen „Experten“ in TV-Diskussionsrunden – allerdings ist Camille Paglia genau dort ein oft und gern gesehener Gast. (Nebenbei bemerkt: Was hat ein Kapitel wie „Melanie Daniels’ Kalender“, S. 134/135, in diesem Buch verloren? Dies dürfte ursprünglich eine simple Liste gewesen sein, mit deren Hilfe Paglia sich den chronologischen Ablauf der Filmhandlung vor Augen führen wollte. Für den Leser ist dieser „Kalender“ dagegen völlig nutzlos.)

Camille Paglias Beschäftigung mit dem gewählten Thema ist wahrlich unkonventionell; das kann man ihr zugute halten. Der Versuch, neue Wege zu beschreiten und dabei zu scheitern, ist durchaus ehrenvoll. Auch aus Fehlschlägen lassen sich wertvolle Erkenntnisse gewinnen, und wer nicht wagt, der nicht gewinnt – Dieses Sprichwort besitzt auch in der Forschung seine Geltung! Doch Paglia ist bestenfalls ein Beispiel für ausgesprochene Betriebsblindheit. Sie scheint bereits vorab „gewusst“ zu haben, was sie eigentlich erst entwickeln und belegen sollte. So konnte sie „Die Vögel“ ideologisch problemlos in ihr Gesamtwerk und in ihr Weltbild einpassen – und dabei kommt sie so oft auf hanebüchene Abwege, dass man ihr trotz zahlreicher kluger Ideen bald nicht mehr folgen mag.

Leidlich versöhnt wird der Leser bei seiner Lektüre durch das spärliche, aber sorgfältig ausgesuchte und in guter Qualität wiedergegebene Bildmaterial, das sich nicht nur auf die obligatorischen Standfotos beschränkt, sondern auch den immer interessanten Blick hinter die Kulissen ermöglicht.

Rice, Anne – Blackwood Farm

Band neun der nun schon Jahrzehnte umspannenden „Chronik der Vampire“ von Anne Rice halte ich in den Händen. Bereits 2002 in Amerika erschienen und nun auch endlich auf Deutsch erhältlich, wird „Blackwood Farm“ im Klappentext als „einer der besten Romane von Anne Rice“ gepriesen. Anne Rices florierende Buchproduktion ließ in den letzten Jahren qualitativ stark zu wünschen übrig – ewig das Gleiche, war man als Leser versucht zu denken. Da lassen die Vorschusslorbeeren für „Blackwood Farm“ zumindest aufhorchen. Frisch und faszinierend sei das Buch, was den langjährigen Fan ihrer Romane hoffen lässt, da die letzten Teile ihrer Reihe, [„Merrick“ 59 und „Blut und Gold“, an Spannung und Handlung kaum etwas vorzuweisen hatten.

Wer jetzt aber davon ausgeht, dass Anne Rice in ihrem neuesten Werk auf alte Tugenden zurückgreift, der liegt falsch. Weder wird ergründet, wie sich die Ereignisse aus „Merrick“ auf Louis ausgewirkt haben, noch ist unser aller liebster Vampir Lestat der Protagonist der Geschichte. Er kommt marginal in der Rahmenhandlung vor, darf sich väterlich geben und scheint auf seine alten Jahre gutmütig und leutselig geworden zu sein.

Denn eigentlich hatte er New Orleans zu seinem Gebiet erklärt und angedroht, Vampire, die sich dorthin trauen, gnadenlos zu vernichten. Quinn Blackwood, seines Zeichens frischgebackener Untoter, wagt es trotzdem. Für ihn ist Lestat nämlich so etwas wie der Guru der Vampire, was dazu führt, dass er bei ihrer ersten Begegnung ein ziemlich nervtötendes Fanverhalten an den Tag legt. Er hat alle Bücher Lestats gelesen und weiß über die Geschichte der Entstehung der Vampire bestens Bescheid. Der erste Vampir soll nämlich entstanden sein, als ein blutdurstiger Geist in die tödlichen Wunden eines ägyptischen Herrscherpaares eingedrungen war. Das stellt Quinn vor ein gefährliches Problem: Seit frühester Jugend nämlich begleitet ihn ein Doppelgänger in Form des Geistes Goblin. Seit Quinn zum Vampir geworden ist, hat sich auch Goblin verändert. Nachdem Quinn seinen Durst gestillt hat, wird er mit schöner Regelmäßigkeit von Goblin attackiert, der sich seinen Anteil der Blutmahlzeit abholt. Von Mal zu Mal erscheint Goblin stärker und Quinn plagen nun Ängste, ob sich durch Goblin eine neue Rasse von Vampiren entwickeln könnte.

Also wendet er sich an jemanden, der sich damit auskennt: Lestat soll ihm helfen, Goblin zu vernichten, um so eine Gefahr für Mensch und Vampir zu vermeiden. Doch anstatt Quinn zu vernichten, wie Lestat angekündigt hatte, nimmt er ihn unter seine Fittiche, führt mit ihm bedeutungsschwangere Gespräche, freundet sich mit dessen hochbetagter Tante Queen an und gesteht Quinn schlussendlich ziemlich abrupt seine Liebe.

Um Lestat nun genau zu erklären, was es mit diesem Geist auf sich hat, holt Quinn reichlich weit aus, klärt Lestat (und den Leser) zunächst über die komplette Familiengeschichte der Blackwoods auf und ergeht sich dann über mehrere hundert Seiten darin, sein junges Leben Revue passieren zu lassen.

Aufgewachsen ist Klein-Quinn als Einzelkind zwischen lauter Erwachsenen. Diese machten sich also zunächst keine Gedanken über den dazugehörigen Geist Goblin, da sie annahmen, es handle sich um einen eingebildeten Freund. Als steinreicher Erbe von Blackwood Farm entwickelt sich Quinn bald zu einem exzentrischen, egomanischen und geradezu unerträglich naiven jungen Mann. Mehrere Lehrer werden verschlissen, um ihm eine humanistische Bildung angedeihen zu lassen, die obligatorische Grand Tour durch Europa folgt, als er 18 Jahre alt ist und ebenfalls in diesem Alter entbrennt seine Liebe zur kleinen Mona Mayfair, obwohl er einen Tag zuvor noch davon überzeugt war, schwul zu sein. Ganz in der Tradition verklärter Romanzen, packt Quinn seine Liebeserklärungen in schwülstige Worte, versichert immer wieder, Mona heiraten zu wollen und verschwendet nun keine Gedanken mehr an Homosexualität (denn vorher hat er auch schon mal mit Geist Goblin unter der Dusche heiße Sexspielchen getrieben).

Eine gewisse Dynamik kommt in die Geschichte, als Quinn anfängt, das Familiengeheimnis um Sugar Devil Island aufzudecken, auf dem ein altes Haus steht, das offenbar immer noch bewohnt ist. Bei all seinen Besuchen findet er gelesene Taschenbücher vor, Asche im Ofen und – O Wunder! – eine goldgefasste Gruft. Der erfahrene Anne-Rice-Leser weiß nun, was Quinn erst noch schmerzlich erfahren muss; denn natürlich handelt es sich bei dem geheimnisvollen Bewohner des Eilands um einen Vampir.

Die Bewohnerin der Einsiedelei, Petronia – eine Figur ganz nach dem Riceschen Ideal eines Vampirs -, findet Gefallen am jungen Blackwood und fängt an, ihn zu bedrohen und mit ihm zu spielen. Der Ausgang der Geschichte ist klar – Quinn endet als Vampir.

Nach Quinns ausführlicher Biographie werden die letzten fünfzig Seiten noch darauf verwendet, das Geheimnis um seinen Geist zu lösen, diesen unschädlich zu machen und Mona von ihrer geheimnisvollen Krankheit zu heilen. Wo Anne Rice in Quinns Biographie weit ausgeholt und jedes Detail geradezu obsessiv beschrieben hat, wird die eigentlich viel spannendere Rahmenhandlung um Lestat, Quinn und den Geist wie eine unliebsame Aufgabe auf einer Mindestanzahl von Seiten abgehandelt.

„Blood refreshed for Rice“ (Denver Post) oder „a completely fresh story“ (Booklist) tönte die Fachpresse vor der Veröffentlichung in den USA. Und tatsächlich liest sich „Blackwood Farm“ aus verschiedenen Gründen unterhaltsamer als die zwei Vorgänger. Wenn Rice in „Merrick“ noch unerreichbare Dschungellandschaften beschrieb und in „Blut und Gold“ ins alte Rom eintauchte, so sieht sie in ihrem neuesten Roman ein, dass sie nur über ihr Bekanntes auch überzeugend schreiben kann. Die Darstellungen von New Orleans und vor allem dem magischen Blackwood Farm, das nicht nur ein Hort für Geister, sondern auch ein Symbol für Dinge wie Heimat, Geborgenheit und Familie ist, sind so bildlich, dass man sich als Leser förmlich in die Landschaft der Sümpfe um New Orleans versetzt fühlt. Dieses Talent lässt sichtbar nach, wenn sie sich aus dem Umkreis von New Orleans entfernt. Schon Reisen nach New York oder gar nach Italien wirken ungefähr so lebendig wie die Beschreibungen aus einem Reiseführer.

Ein weiterer Vorteil ist ihre Entscheidung, die Geschichte komplett in der Gegenwart anzusiedeln. So werden die Geschehnisse um Quinn Blackwood für den Leser erfahrbarer und es ergibt sich die Möglichkeit, Charaktere aus ihren beiden großen Serien, nämlich der „Chronik der Vampire“ und den „Mayfair“-Romanen miteinander zu verknüpfen. Wirkte dieser Versuch eines Crossovers in „Merrick“ bemüht und wenig durch die Geschichte determiniert, so erscheint es hier nur logisch, beide Familien zusammenzuführen und in einem Roman zu verweben.

Allerdings erreicht „Blackwood Farm“ lange nicht die Qualität ihrer ersten Bücher, vor allem [„Interview mit einem Vampir“ 68 und „Der Fürst der Finsternis“. In den letzten Jahren darauf verfallen, nur noch Vampir-Biographien zu verfassen, verfährt sie auch hier wie gehabt nach Schema F: Man nehme eine kurze Rahmenhandlung, setze zwei Vampire an einen Tisch und bringe einen von ihnen dazu, seine gesamte Lebensgeschichte zu rekurrieren. Vampir Nummer zwei ist zum Schweigen verurteilt, bis auf den höchstens letzten fünfzig Seiten die Rahmenhandlung wieder aufgegriffen und fix zu einem Ende gebracht wird. Noch zu beachten ist dabei, dass aufeinander folgende Bücher in keinem Fall aneinander anknüpfen dürfen. In dem Sinne bietet auch „Blackwood Farm“ nichts Neues und besonders beim erfahrenen Rice-Leser setzen daher bald Ermüdungserscheinungen ein.

Auch Quinn Blackwood wird dem Durchschnittsleser kaum nahe zu bringen sein. Seine anerzogene Exzentrik, seine Annahme, mit Geld alles lösen zu können und sein schwülstig-naiver Versuch, das Leben zu meistern, stoßen bestenfalls auf Unverständnis. Zwar möchte man ihm von Zeit zu Zeit über den Kopf streichen und ihm einen guten Rat geben, jedoch wird man den Gedanken nicht los, dass ein beherzter Tritt in den Allerwertesten ihm vielleicht einen besseren Dienst erweisen würde. Er passt damit genau in das Muster eines Charakters nach Riceschem Vorbild, da sie es offensichtlich mag, mit plakativen Stereotypen zu arbeiten. So sind ihre Helden reich und schön, und zwar so reich und schön, dass es außerhalb jeder Realität liegt. Quinn wirft mit dem Geld nur so um sich und hat mal ganz nebenbei mehrere Tausend Dollar in der sprichwörtlichen Zuckerdose liegen. Zwar mag Quinns sorgloser Umgang mit Geld beim Leser ein kurzes „hach, wenn ich nur so viel Geld hätte“, hervorrufen, doch auf lange Sicht ist sein dekadenter Lebensstil ein echtes Manko des Romans.

Somit krankt Anne Rice letztes Buch weiterhin an ihrem festgefahrenen Schreibschema und an der Tatsache, dass in früheren Büchern begonnene Handlungsstränge einfach nicht weitergeführt werden. Fans der Mayfair-Chroniken dagegen werden sich freuen, Rowan und Mona Mayfair sowie Michael Curry wiederzutreffen. Sogar Juliens Geist hat einen Auftritt und trinkt mit Quinn Kakao.

Doch „Blackwood Farm“ ist dennoch ein unterhaltsames Lesevergnügen – oder zumindest eines der besseren Rice-Bücher der letzten Jahre, vor allem durch die große Anzahl neuer, unverbrauchter Charaktere, die der eingefahrenen Riceschen Buchproduktion neuen Pepp verleihen. Und obwohl außerdem Charaktere aus ihren beiden großen Romanreihen fast unkommentiert eingeführt werden, sollte die Lektüre auch für Neueinsteiger gut zu bewältigen sein. Das plötzliche Auftauchen einiger Mayfairs macht höchstens neugierig auf die dazugehörigen Romane, einem Verständnis der Gesamthandlung wirken sie aber nicht entgegen. Nicht zuletzt ist „Blackwood Farm“ ein groß angelegter Schmöker – die fast 700 Seiten dürften selbst schnelle Leser für eine Weile beschäftigen.

Der neue große Coup ist Anne Rice nicht gelungen. Weiterhin sind ihre ersten Romane auch ihre stärksten und es scheint, sie werde ihrer Vampire langsam müde. Und so wurde 2004 auch das momentan letzte Buch aus der Reihe veröffentlicht, nämlich „Blood Canticle“ (in Deutschland noch nicht erschienen). Die Vampirchroniken werden also geschlossen und man darf gespannt sein, welchem Thema sich Anne Rice als nächstes zuwenden wird.

http://www.annerice.com/

Clive Barker – Galileo

Die Geschicke der Familien Barbarossa und Geary sind seit jeher miteinander verknüpft; die geheimnisvollen = übernatürlichen Wurzeln sind beinahe in Vergessenheit geraten, doch die Verbindung setzt sich konfliktreich in der Gegenwart fort … – Clive Barker verzichtet auf harten Horror und erzählt stattdessen eine (leicht fantasylastige) Romanze, die vor allem durch ihre Länge in Erinnerung bleibt, während die Handlung recht ereignis- und spannungsarm vorüberplätschert: Lektüre für hartgesottene Romantiker.
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Interview mit Rainer Wekwerth

Andreas Jur:
Hallo Rainer, dein neuer Thriller „Das Hades-Labyrinth“  ist nun bei Fischer erschienen – Kannst du uns schon etwas zum bisherigen Verkaufserfolg und den Reaktionen bei Leserschaft und Presse sagen?

Rainer Wekwerth:
Über den Verkaufserfolg lässt sich nach so kurzer Zeit noch nichts sagen. Ich weiß aber, dass der |Fischer|-Verlag mit den Abverkäufen in den Buchhandel sehr zufrieden ist. Die Reaktionen zu „Das Hades-Labyrinth“ fallen dagegen sehr vielseitig aus. Bei Amazon und in verschiedenen Foren hoch gelobt, habe ich auch Leser, die mir sagen, sie können das Buch nicht lesen, da sie Angst haben, davon in ihren Träumen verfolgt zu werden. Zugegeben ist es an manchen Stellen harter Stoff, aber die Schauereffekte werden allein durch die Phantasie der Leser erzeugt, denn ich ergehe mich nicht in blutigen Details. Aber ich wollte auch ein gewissen Effekt erzielen und meine Leser an Grenzen führen. Offensichtlich ist mir das gelungen.

Andreas Jur:
Das macht neugierig. Welchen Plot können unsere Leser im „Hades-Labyrinth“ erwarten?

Rainer Wekwerth:
„Das Hades-Labyrinth“ handelt von der Geschichte eines Mannes und seiner Rache. Kommissar Daniel Fischer erhält Informationen, dass unter der Erde seiner Heimatstadt Lichtenfels in unterirdischen Tunneln und natürlichen Höhlen Drogen im großen Stil angebaut werden. Er steigt mit zwei Kollegen hinab und trifft auf Adam, einen größenwahnsinnigen Killer, der dort mit seinen Jüngern haust. Fischer und die Beamten werden überwältigt und grausam gefoltert. Die beiden Beamten sterben einen schrecklichen Tod. Adam lässt sie pfählen. Für Daniel Fischer hat er sich etwas Besonderes ausgedacht. Ihn lähmt er mit einem Gift und überlässt ihn den Ratten.

Dies ist die Ausgangssituation, und mit Fischers Kampf gegen die Lähmung und die Angriffe der Ratten beginnt auch das Buch.
Daniel Fischer überlebt und kehrt nach drei Tagen an die Oberfläche zurück, aber er ist ein gezeichneter Mann. Körperlich und seelisch zerstört, bleibt ihm nichts mehr. Seine Frau verlässt ihn, seinen Job im Rauschgiftdezernat kann er nicht mehr ausüben. Daniel ähnelt durch unzählige Rattenbisse und viele Operationen inzwischen einem Albtraum der Mary Shellys Frankensteinroman entsprungen sein könnte. Achtzehn Monate verbringt er in Kliniken und findet danach nicht mehr ins Leben zurück.

Und dies ist die Story. Daniel Fischer muss erkennen, dass Adam ihm sein Leben genommen hat und nur Adam kann es ihm wiedergeben. Rache wird der alles beherrschende Gedanke, aber Adam ist verschwunden. Schließlich entdeckt Fischer seine Spur und schleicht sich unerkannt in ein Spezialeinsatzkommando der Polizei ein, das in den Abgrund steigt, um Adams Treiben ein für allemal ein Ende zu machen. Doch Daniel Fischer weiß: Adam ist mehr als nur ein Mensch, denn im Lauf seiner Jagd nach dem Killer hat er erfahren, dass eine dunkle Legende unter der Erde ruht und Adam eine alte Prophezeiung erfüllt.

Andreas Jur:
Ein Psychothriller mit Mysteryeinschlag also. Klingt lecker. „Hades“ übrigens klingt in Anlehnung an die griechische Unterweltsmythologie auch schon recht düster. Spielen die mythologischen Aspekte auch selbst mit in die Handlung hinein oder woher stammt der Hades-Bezug?

Rainer Wekwerth:
Es gibt historische Bezüge zu einer der grausamsten Figuren der Menschheitsgeschichte, neben der selbst Diktatoren wie Hitler und Stalin wie Waisenknaben wirken. Alles, was in diesem Buch geschieht, hat seinen Ursprung im 15. Jahrhundert und ich lasse in „Das Hades-Labyrinth“ einen Herrscher zu Wort kommen, der einem wirklich Albträume bescheren kann. Es gilt, eine alte Prophezeiung zu erfüllen. Der Fürst der Finsternis wartet auf seine Wiedergeburt.

Übrigens sind alle historischen Details gesichert. Ich habe intensiv recherchiert und mir nur ganz wenige künstlerische Freiheiten genommen.

Andreas Jur:
Die gründliche Recherchearbeit wurde ja auch schon in deinem vorigen Roman spürbar. Konnte sich [Traumschlange“ die erhoffte Aufmerksamkeit der deutschen Thrillerfans erkämpfen?

Rainer Wekwerth:
Traumschlange war kein großer Verkaufserfolg, hat mir aber eine Stammleserschaft gesichert und wurde in der Presse durchweg positiv besprochen. Mit „Das Hades-Labyrinth“ sieht die Sache schon anders aus. Allein die Vorbestellungen waren um ein Vielfaches höher als die Gesamtauflage von Traumschlange. Ich führe das auf den Schauplatz der Story in Deutschland zurück. Trotzdem kommt die Exotik nicht zu kurz, denn ein Großteil der Handlung spielt unter Erde. Diese Exotik ergibt sich also diesmal aus unterirdischen Stollen, Tunneln und Höhlen. Dort im Dunklen, unter ungewöhnlichen Bedingungen, sind meine Figuren auf sich allein gestellt. Es gibt keine Hilfe von oben. Sie könnten ebenso auf einem fremden Planeten gestrandet sein.

Andreas Jur:
Bei der Gelegenheit: Du konntest ja bereits unter dem Pseudonym „David Kenlock“ eine kleine Stammleserschaft um dich scharen. Was bewog dich dazu, das englisch anmutende Alias abzulegen und die letzten beiden Titel unter deinem bürgerlichen Namen zu veröffentlichen? Das war doch sicherlich ein Wagnis. War es die richtige Entscheidung? Und ist David Kenlock nun in den Ruhestand versetzt worden?

Rainer Wekwerth:
Das Pseudonym David Kenlock war ein Erfolg und Bücher wie z.B. [„Dunkles Feuer“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3502519994/powermetalde-21 laufen noch heute gut im Buchhandel. Allerdings habe ich ein englisch anmutendes Pseudonym immer als Last empfunden, da ich generell beweisen möchte, dass deutsche Autoren es mit den anglo-amerikanischen Kollegen aufnehmen können. Als ich mit dem Schreiben von internationalen Thrillern begann, war die Situation auf dem Buchmarkt allerdings so, dass man es deutschen Autoren einfach nicht zutraute, einen Roman auf internationaler Ebene und mit einem hohen Spannungsniveau zu schreiben. Mein erster Roman „Dunkles Feuer“ spielte in den USA. Damals hätten die Leser hierzulande gesagt: Was brauchen wir einen deutschen Autor, der über Amerika schreibt, dafür haben wir die „Amis“.

Der Buchmarkt wurde vor wenigen Jahren im Bereich Spannungsliteratur dermaßen von englischen und amerikanischen Autoren dominiert, dass ich keine Chance gehabt hätte. Also blieb mir nur der Weg über ein Pseudonym, denn im Regal hätte ich zwischen Autoren wie Stephen King, John Grisham, Michael Chrichton, etc. als deutscher Autor fast lächerlich gewirkt. Erst durch Autoren wie Andreas Eschbach und Frank Schätzing hat sich die Situation geändert, aber die beiden haben nicht mit internationalen Thrillern, sondern im Fall von Eschbach mit Science-Fiction, oder Schätzing mit deutschen Krimis begonnen. Ihre Ausgangssituation war anders und nun haben sie Autoren wie mir den Weg bereitet. Ich muss mich nicht mehr hinter einem Pseudonym verbergen, denn deutsche Verlage haben erkannt, zu welchen Leistungen deutsche Autoren fähig sind.

Zur Frage: „Richtige Entscheidung?“. Dies wir die Zeit zeigen. Noch ist es zu früh, darüber eine Aussage zu treffen, aber es ist richtig, David Kenlock hat sich seinen Platz auf dem Buchmarkt erobert, Rainer Wekwerth muss dies erst noch gelingen, aber ich bin zuversichtlich. Ob es noch Bücher unter dem Pseudonym David Kenlock geben wird, ist noch nicht entschieden.

Andreas Jur:
Die zentrale Figur in „Traumschlange“ ist eine Frau – Hat deine Gattin dich dabei in Sachen weiblicher Psychologie und Handlungsweise beraten?

Rainer Wekwerth:
Meine Frau Gaby liest alle meine Bücher und gibt mir wertvolle Anregungen. Ohne sie wären meine Bücher um einiges schlechter. Speziell zur weiblichen Psyche hat sie mir aber nichts gesagt, denn sie erfährt immer erst, um was es in dem Buch geht, wenn sie das fertige Manuskript in Händen hält. Dann legt sie aber richtig los. Es gibt Romane von mir, die nie ein Verlag zu sehen bekommen hat, weil sie ihr nicht gefallen haben. Ich verlasse mich zu hundert Prozent auf ihr Urteil, denn sie ist eine ungewöhnlich aufmerksame Leserin, die viele Büchern gelesen hat und somit über eine große Leseerfahrung verfügt.

Andreas Jur:
Auch die Örtlichkeiten in „Traumschlange“ klingen zunächst nicht gerade nach vertrautem Terrain. Die Protagonistin ist Britin, die Haupthandlung spielt auf Hait – Auch hier tun sich sicherlich einige Falltüren auf, in die man als Autor stolpern kann, wenn man bekanntes Gebiet verlässt. Abby Summers hätte vermutlich auch eine Stuttgarter Innenarchitektin sein können. Was hat dich zur Wahl der Nationalität bewogen? Gerade was Haiti angeht: Wie sorgst du für die nötige Authentizität? Warst du vor Ort oder hast du dich auf gründliche Recherchen beschränken müssen?

Rainer Wekwerth:
Ich würde Haiti niemals betreten. Dieses Land ist die Hölle auf Erden. Wer „Traumschlange“ gelesen hat, wird mir zustimmen, denn ein Großteil der Handlung wird von der politischen und sozialen Situation in Haiti bestimmt. Ich sorge für die nötige Authentizität, indem ich akribisch recherchiere und mit Menschen spreche, die dort lange Zeit gelebt haben. Ich bin ein Fanatiker und höre erst auf, wenn jedes Detail stimmt. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich einen Straßennamen benötige oder den Fahrpreis für eine Taxifahrt von einem Ort zum anderen. In „Traumschlange“ werden Gifte verwendet, deren Zusammensetzung ich bis ins Milligramm kenne. Ich habe mich mit Voodoo beschäftigt und meine Figuren benutzen alle kreolischen Begriffe korrekt. Ich kenne die Geschichte des Landes und verarbeite sie in meinem Roman. Ein Rezensent hat über „Traumschlange“ geschrieben: „Wenn man dieses Buch liest, kann man Haiti riechen, schmecken und sehen.“ Ein größeres Kompliment gibt es nicht.

Abby Summers wurde in meinem Kopf als Engländerin geboren. Sie war einfach da. Dies zu ändern hätte bedeutet, die Figur zu vergewaltigen.

Andreas Jur:
Du hast dich bei „Traumschlange“ auf einen zentralen und geradlinigen Plot beschränkt. War die Versuchung nicht spürbar, die besondere soziale, politische, wirtschaftliche und militärische Situation des Schauplatzes Haiti stärker mit der Storyline zu verflechten und ein regelrechtes Verschwörungsgebäude drumherum zu zimmern? Angeboten hätte es sich ja vielleicht.

Rainer Wekwerth:
Nein. Ich habe die besonderen Zustände auf Haiti in meine Handlung einfließen lassen, wollte aber einen geradlinigen Plot. Menschen tun anderen Menschen Böses an. Ich wollte das Böse an konkreten Namen festmachen, denn hinter allem Schlechten in der Welt steckt keine unbekannte Größe, sondern Menschen, meist von Gier getrieben. Es ist nicht der große Konzern, der die Umwelt verschmutzt, sondern der Manager in diesem Konzern, der aus Gewinnsucht die Umweltbestimmungen missachtet. Wenn irgendjemand auf dieser Welt stirbt, verdient ein anderer daran. Das sollte jedem von uns klar sein. Die Bombe, die ein Krankenhaus in Bagdad zerstört, sorgt für Gewinne bei den Rüstungskonzernen in den USA. In meinen Büchern versuche ich, diffuse Aussagen zu vermeiden und gebe dem Bösen ein Gesicht. In unserer zivilisierten Welt sieht man leider das Antlitz der Bösen nur, wenn jemand zum Massenmörder wird oder besonders grausam handelt. Aber das Böse verbirgt sich viel häufiger hinter dem Lächeln eines Aufsichtsratsvorsitzenden, der im Bestreben, seine Gewinne zu steigern, die Produktion ins Ausland verlegt, Tausende Arbeitsplätze vernichtet und kleine Kinder in Indonesien seine Turnschuhe in 12-Stunden-Schichten nähen lässt. Autoren wie ich sind ein Spiegel für die Gesellschaft. Auch wenn der Wunsch nach Unterhaltung dominiert, sollte der Leser nach der Lektüre eines Buches etwas klüger sein als zuvor und sich über bestimmte Problematiken seine Gedanken machen.

Andreas Jur:
Du bist oder warst ja wahrlich ein Hans Dampf in allen Gassen – Grafikdesigner, Kampfsportlehrer, Gärtner, Händler, Vertreter, Breakdancer, Redakteur, Spieleentwickler, noch so einiges mehr und schließlich Autor. Umtreibt dich ein unruhiger Geist? Das klingt nach einem spannenden Lebensstil. Wie bringt man das alles mit einem Leben als Ehemann und Familienvater unter einen Hut? Bist du immer noch so unternehmungslustig oder macht sich die Ruhe des heranschleichenden Alters bemerkbar? In welchen Bereichen neben der Schriftstellerei bist du derzeit noch aktiv geblieben?

Rainer Wekwerth:
Es ist schon ruhiger um mich geworden. Als kreativer Mensch unterliegt man immer wieder der Versuchung, sich neu zu erfinden. Das Neue ist die spannende Herausforderung, das Bekannte nur langweilige Routine. In diesem Denken schwebt eine große Gefahr mit, denn man konzentriert sich nicht und macht vieles nicht so gut, wie man es könnte, da man von einer inneren Unruhe vorangetrieben wird. Inzwischen lasse ich die Figuren meiner Romane die Abenteuer erleben und führe selbst ein ruhigeres Leben. So interessant mein Leben auch war, es war auch anstrengend, und neben vielen gefeierten Erfolgen galt es auch, Misserfolge zu verarbeiten.

Derzeit konzentriere ich mich auf das Schreiben und auf ein Projekt, das mir sehr am Herzen liegt. Ich habe eine literarische Agentur gegründet, die „Literarische Agentur Rainer Wekwerth“, im Internet zu finden unter http://www.die-autoren-agentur.de. Es soll eine Agentur von Autoren für Autoren sein, denn ich bin der Meinung, dass ein Schriftsteller die Arbeit eines anderen Schriftstellers am besten beurteilen und Verbesserungsvorschläge machen kann. Auf den Gedanken, eine Agentur zu gründen, kam ich durch meine Schreibkurse. Ich war überwältigt von der Einsicht, wie viele Talente da draußen darauf warten, entdeckt zu werden. Es lag nahe, dieses Potenzial zu nutzen. Meine Schreibkurse sind somit eine Art „Kaderschmiede“ für den schriftstellerischen Nachwuchs und Basis für die Arbeit der Agentur. Ich denke, von diesem neuen Konzept profitieren nicht nur die Autoren, sondern auch die Verlage, die mit der Zeit erkennen, dass „meine“ Autoren eine harte Schule durchlaufen haben und sehr professionell arbeiten.

Andreas Jur:
Als Jonathan Abendrot hattest du ja auch bereits Erfolge als Jugendbuchautor feiern können. Gerade jetzt, wo du seit einigen Jahren Vater bist – inspiriert dich das nicht, auch in dieser Richtung mal wieder einen Vorstoß zu wagen?

Rainer Wekwerth:
Eher das Gegenteil ist der Fall. Ich spiele sehr viel mit meiner Tochter Anna (drei Jahre alt) und erzähle ihr Geschichten, die ich frei erfinde. Es genügt mir, jeden Tag einige Stunden in einer kindlichen Welt zu verbringen. Meine Arbeit als „harter“ Thrillerautor bietet hierzu einen gewissen Ausgleich. Aber wer weiß schon, was morgen ist? Bei einem entsprechenden Angebot werde ich nicht „nein“ sagen.

Andreas Jur:
Woran arbeitet der Thrillerautor Rainer Wekwerth dieser Tage? Was können wir als nächstes erwarten?

Rainer Wekwerth:
Derzeit erlebt die realistische Phantastik (Preston/Child, Frank Schätzing, etc.) einen Boom, dem ich mich aber nicht anschließen will. Ich arbeite an einem historischen Roman zur Zeit der spanischen Inquisition, aber ich habe auch noch ein paar andere Projekte im Hinterkopf.

Vielen Dank für das Interview.

Andreas Jur:
Ich habe zu danken und wünsche dir viel Erfolg mit dem „Hades-Labyrinth“ und deinem weiteren Schaffen.

Autorenhomepage: www.wekwerth.com

Literarische Agentur Rainer Wekwerth (inklusive Schreibkurs):
www.die-autoren-agentur.de

Matthew Kneale – Englische Passagiere

England im Jahre 1857. Seit zwei Jahrzehnten sitzt Königin Victoria auf dem Thron des britischen Reiches, das sich in dieser Zeit ständig ausdehnt. Das wird sich in den folgenden Jahrzehnten (Victoria herrscht 64 Jahre!) praktisch ungehindert fortsetzen, bis über einem guten Viertel der Landfläche unseres Planeten die britische Flagge weht.

Zu den aktuellen „Neuerwerbungen“ gehört Van Diemen´s Land, eine große Insel vor der Südspitze Australiens. Die Briten haben sie vor Jahren den Holländern abgenommen und werden sie bald „Tasmanien“ nennen. Derzeit sind sie damit beschäftigt, Tasmanien ins Empire zu integrieren. Die Aussicht, sein Glück „in den Kolonien“ zu machen, erzeugt eine Art Goldgräberstimmung und lockt eine bunte Mischung aus unternehmungslustigen jungen Männern, gestrengen Kolonialbeamten, Pflanzern, Händlern, Missionaren und Glücksrittern an. Auch als Ort der Verbannung für Sträflinge eignet sich das vom Mutterland angenehm ferne Eiland vorzüglich.

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Pratchett, Terry / Zimmer Bradley, Marion / White, Ted / Luserke, Uwe / Case, David / Smith, David C – Drachennächte

Mich würde durchaus interessieren, wer sich den Titel für dieses Buch ausgedacht hat: „Drachennächte“, das suggeriert spannende Fantasy-Literatur – und natürlich Drachengeschichten. Das Titelbild verstärkt diese Vermutung dann auch noch. Und ja, es gibt tatsächlich eine Geschichte mit einem Drachen, genau eine. Da es sich hier aber um einen Sammelband mit insgesamt zehn Erzählungen (davon sieben erstmals in deutscher Sprache) handelt, ist der Titel doch sehr irreführend und für mein Verständnis vollkommen falsch gewählt. Das sollte einleitend dringend mal erwähnt worden sein.

Ansonsten ist diese Kurzgeschichtensammlung ganz nett und gewährt einen Einblick in den Schreibstil der einzelnen Autoren, was im Falle von Leuten wie Terry Pratchett zum Beispiel auch sehr sinnvoll ist, denn die verrückte Welt dieses Schriftstellers ist nun mal nicht jedermanns Sache. Dabei ist es in diesem Falle aber unter anderem seine Geschichte, die im Gegensatz zu manchen durchschnittlichen, weniger spannenden Geschichten positiv heraussticht.

Daher möchte ich mich in dieser Rezension auch eigentlich nur auf diejenigen Erzählungen in Kurzvorstellungen konzentrieren, die mir bei „Drachennächte“ sehr gut gefallen haben.
Neben dem erwähnten Pratchett, der in der kurzen 15-Seite-Story „Die Trollbrücke“ die Geschichte von Cohen dem Barbaren erzählt, ist dies vor allem „Die Burg am Ende der Welt“ von Chris Naylor, eine recht philosophische Abhandlung mit düsterer Endzeitstimmung. Weiterhin interessant ist „Die Sonnwendherrin“ von Anna Kashina, mit 70 Seiten eindeutig das längste Werk in diesem Buch. Kashina lässt verschiedene Handlungsstränge nebeneinander laufen und schafft es in der relativ kurzen Zeit recht gut, zum Ende hin auf den Punkt zu kommen. Sehr gelungen!
Auch noch ganz passabel haben mir „Das Ungeheuer in der Kluft“ von David Case und das ebenfalls relativ kurze „Geburt eines Phönix“ von Marion Zimmer Bradley und Ted White gefallen, nur stellt sich auch hier manchmal heraus, dass in der Kürze nicht immer die Würze liegt und zudem gar keine Gelegenheit besteht, die Handlung auch nur leicht auszuschmücken.

Spannung ist somit auch das größte Mangelkriterium in dieser Ausgabe. Es gelingt einfach kaum einem der vertretenen Schreiberlinge, richtig packende Kurzgeschichten zu verfassen, wobei mir „Rot auf Silber“ von Uwe Luserke und „Der Mann, der den Drachen Griaule bemalte“ (hier haben wir auch den besagten Drachen) am langweiligsten erschienen. Und weil die meisten Storys jetzt wirklich nicht besonders erheiternd sind, kann „Drachennächte“ auch nur sehr bedingt weiterempfohlen werden. Eine Kurzlektüre von Anna Kashina hätte prinzipiell ausgereicht, denn diese Autorin ist zusammen mit Chris Naylor auch die einzige, die ich nach diesem Sammelwerk für mich habe entdecken können. Bis auf den berüchtigten Terry Pratchett ist sonst nur Mittelmaß vertreten.

Kurzum noch ein paar Worte zum Inhalt: Der ist bevorzugt düster, teilweise sogar recht melancholisch bzw. mit philosophischen Grundzügen ausgestattet. Es geht dabei sowohl um Rache als auch um Weisheit, es wird Magie thematisiert, Wunder kommen zum Vorschein und selbst der Fantasy-Laie findet sich hier schnell zurecht. Jedenfalls sind die einzelnen Storys recht einfach geschrieben und bieten keine komplexen Inhalte. Lediglich das besagte Werk „Die Sonnwendherrin“ ist etwas verzwickter. Ansonsten kann man „Drachennächte“ auch noch kurz vorm Einschlafen konsumieren, um sich in den Schlaf zu wiegen. Wirklich anspruchsvolle Kost sollte man allerdings nicht erwarten.

Unter Umständen sind die Ansprüche im Fantasy-Sektor mittlerweile überaus hoch, vielleicht gefällt diese Lektüre ja auch deshalb nur bedingt. Aber wenn ich die Ideen von manchen Vertretern hier mit denen von James Barclay oder George R. R. Martin, geschweige denn Tolkien oder Tad Williams vergleiche, dann ziehen die Beteilgten von „Drachennächte“ eindeutig den Kürzeren. Und damit wäre der letzte Satz zu dieser Rezension auch geschrieben.

Überblick der vertretenen Stücke:

Uschi Zietsch: „Sturmnacht“
Terry Pratchett: „Die Trollbrücke“
Anna Kashina: „Die Sonnwendherrin“
Uwe Luserke: „Rot auf Silber“
David Case: „Das Ungeheuer in der Kluft“
David C. Smith: „Geduld ist eine Tugend“
Hans Dieter Römer: „Am Rande“
Lucius Shephard: „Der Mann, der den Drachen Griaule bemalte“
Chris Naylor: „Die Burg am Ende der Welt“
Marion Zimmer Bradley & Ted White: „Geburt eines Phönix“

Werner, Tim C. (Hrsg.) – Motörhead 1975-2005

MOTÖRHEAD und ich haben etwas gemeinsam. Wir sind beide Baujahr 1975, und so wie ich feiert auch diese Legende der harten britischen Rockmusik in diesem Jahr ihren dreißigsten Geburtstag. Aus diesem Anlass haben sich einige Fans zusammengetan und unter der Regie von Tim C. Werner ein Jubiläumsmagazin zusammengestellt, das es wirklich in sich hat und für jeden Fan von Lemmy & Co. einen echten Leckerbissen darstellen dürfte. Das Heft im Format DIN A4 enthält 64 Seiten, vollgepackt mit Photos, Geschichten, Interviews, Übersichten und Berichten. So finden wir den vollständigen Nachdruck von historischen Interviews aus diversen Magazinen, zwei Aufsätze aus der Bandgeschichte von David Eisert und Jürgen Ruland sowie eine umfassende, 20-seitige Bandbiographie von Mathias Mader (Iron Pages) und der „Home Of Rock„-Redaktion, die sich ausführlich jedem Release und jedem Abschnitt der Bandgeschichte widmet. Wirklich klasse!

Für die wandelnden Motörlexika unter euch gibt’s dann auch einen Triviateil, in dem ihr eine lückenlose Aufzählung aller MOTÖRHEAD-Konzerte seit 1975 findet, was fünf in winziger Schrift bedruckte Seiten in Anspruch nimmt. Durchgezählt habe ich zwar nicht, aber es dürfte relativ wenige Hardrock- und Metalbands geben, die häufiger aufgetreten sind. Weiter geht’s mit einer ziemlich lückenlosen und komplett bebilderten Diskographie, die sich zunächst sechs Seiten lang allen offiziellen Singles und Alben widmet und dann auch noch auf vier Seiten die relevantesten der unzähligen Bootlegs und halboffiziellen Zusammenstellungen vorstellt. Eine ebenfalls bebilderte Liste mit den Gastauftritten und Soloalben sowie mit Tributes, Tourprogrammen, Büchern und Videos darf natürlich auch nicht fehlen. Den Abschluss bilden zwei Konzertberichte.

Ihr erfahrt in diesem liebevoll recherchierten und aufgemachten Magazin – bei dem es sich zudem um ein Non-Profit-Unternehmen handelt, an dem nur die Druckerei etwas verdient hat – so ziemlich alles, was ihr jemals über MOTÖRHEAD wissen wolltet: Im Interview mit dem |Sounds| von 1981 plaudert man u. a. lässig darüber, wie es ist, zur hässlichsten Band der Welt gewählt zu werden, so dass sogar die Plattenfirmen Angst vor den Musikern haben. Das „Kerrang!“ war 1995 der Meinung, Lemmy über sein Sexleben ausquetschen zu müssen und des |Rock Hard|s Motörheadbanger Jan Jaedike wurde von Lemmy anlässlich der Veröffentlichung des 83. Albums „Snake Bite Love“ zur 74. Privataudienz gebeten, in der man u. a. einiges über berüchtigte Vegetarier, Lemmys Little-Richard-Einflüsse, diverse Toterklärungen, Mikkey Dees Machismo und widerliche Angewohnheiten von Politikern zu lesen bekommt.

Hinweise

Ihr seht, dieses Magazin ist umfangreich, informativ und vor allem unheimlich unterhaltsam zu lesen, so dass ich es jedem Fan der Band bedingungslos empfehlen kann. Auch sonstige rockhistorisch interessierte Zeitgenossen sollten hier nur wenig falsch machen können. Das edle Teil ist auf 1000 Stück limitiert, die von Tim Werner selbst über [eBay] verkauft werden. Der Preis beträgt 7,50 € zuzüglich 2 €uronen Porto & Verpackung. Alternativ könnt ihr den Herausgeber auch über timcwerner@aol.com erreichen und das Heft dort bestellen.

Cobley, Michael – Schattenkönige

Michael Cobley ist ein junger britischer Fantasy-Autor, der sich auf der Insel einen Namen als Herausgeber verschiedener Magazine gemacht hat. Sein erster Roman „Schattenkönige“ scheint auf den ersten Blick dem üblichen, britischen Geschmack für düstere Fantasy zu entsprechen:

Vor sechzehn Jahren überrannten die wilden Horden der Mogaun das Kaiserreich Kathrimantine, das seit dieser Zeit ohne Kaiser und Militär von willkürlich und gewalttätig herrschenden Kriegsherren geplagt wird. In dieser chaotischen Zeit befreit die junge Schwertkämpferin Keren Asherol den jungen Tauric aus den Händen ihres immer brutaler und maßloser werdenden Anführers Byrnak. Damit setzt sie eine unheilvolle Kette von Ereignissen in Gang, denn der Junge ist der letzte Spross des gefallenen Kaisers. Lordkommandeur Ikarno Mazaret und seine Hand voll Rebellen benötigen ihn als Thronerben und Galionsfigur für den Kampf gegen die Legionen der Schattenkönige. Zu allem Überfluss gehört auch ihr ehemaliger Kommandant Byrnak zu den sagenumwobenen Fünf, deren erklärtes Ziel es ist, ihren Gott, den Herrscher des Zwielichts, in die Welt zu holen …

_Ein altbekanntes Schema_

Einen Innovationspreis erhält Cobley für diese Rahmenstory sicher nicht. Einzig die Ausführung dürfte von Interesse sein, der Rest ist altbekannt. Halt – einige Extras hat sich Cobley ausgedacht. Ich möchte sie nicht im Einzelnen aufzählen, im Wesentlichen handelt es sich um den Unterschied zwischen der destruktiven Natur der Magie des so genannten |BrunnQuells| der Schattenkönige im Gegensatz zu der heilenden Magie der |ErdenMutter|. Leider steigert das weder die Tiefe seines Götter-Pantheons noch ist die Umsetzung in irgendeiner anderen Weise gelungen. Für die Ausdrücke |ErdenMutter|, |VaterBaum| und |JägerKinder| kann man dem bekannten Übersetzer (Wolfgang Thon) nicht den schwarzen Peter zuschieben, ebenso wenig für die karge Sprache Cobleys.

Karg beschrieben und ausgesprochen blutleer präsentieren sich alle Charaktere dieses Romans. Am ehesten könnte man Keren Asherol, der Schwertkämpferin, einen Ansatz von Persönlichkeit zugestehen, nämlich den einer von der Schlechtigkeit der Welt angewiderten Kriegerin. Vom blassen Tauric, der urplötzlich Tausende begeistern kann, sowie Lordkommandeur Mazaret kann man sich kaum ein Bild machen. Am ehesten noch von dem Schattenlord Byrnak, der das Potenzial zu einem interessanten Antagonisten gehabt hätte. Doch Cobley verwendet weder sprachlich noch in sonstiger Weise viel Worte oder Mühe, seinen Figuren auch nur Ansätze von Tiefe oder Charakter zu geben.

Wendet man sich hoffnungsvoll dem Szenario zu, einer düsteren, apokalyptischen Welt, sieht es ähnlich aus: trostlos. Diese Welt ist genauso leer, wie ihre Charaktere unterentwickelt sind. Einzig die sich untereinander nicht ganz grünen Schattenkönige geben ihr ein wenig Würze. Über die Mogaun selbst erfährt man – außer dass sie dem Schamanismus huldigen – so gut wie nichts. Geschmackssache sind die jedem Kapitel vorangestellten Lieder und Zitate historischer Personen. Sie könnten dem Buch eine nicht vorhandene Tiefe geben, auf mich persönlich wirkten sie allerdings wie pseudointellektuelle Binsenweisheiten des Autors. Wer auf Schlachten oder Action hofft, sollte seine Erwartungen auch herunterschrauben: Wirre, dürftig beschriebene Scharmützel in dem unnachahmlich kargen Stil Cobleys können nicht einmal dem hartgesottensten „Swords & Sorcery“-Fan mehr als ein Stirnrunzeln entlocken.

_Fazit_

Ein auf ganzer Linie enttäuschendes Buch, von dem man nur abraten kann. Blasse Charaktere und Cobleys enervierend karger, geradezu lustloser Erzählstil versetzen dem zumindest vom Szenario her etwas mehr versprechenden Roman den Todesstoß. Wer auf einen neuen Gemmell, Stackpole, Salvatore oder Erikson gehofft hat, dem sei gesagt: Selbst ihre schlechtesten Werke übertreffen dieses noch bei weitem. Um so erstaunlicher ist es, dass „Schattenkönige“ der Auftakt einer Trilogie ist – im August erscheint die Fortsetzung „Schattengötter“, der abschließende Band „Schattenkrieger“ ist für März 2006 geplant. Wer Interesse an dieser Art der Fantasy hat, sollte besser den Klassiker „The Black Company“ von Glen Cook, David Gemmells Drenai-Saga oder James Barclays [„Chroniken des Raben“ 892 lesen.

Homepage des Autors:
http://www.michaelcobley.com/

C. V. Rock – Die Göttin des Todes

rock-goettin-cover-kleinEiner in Afrika geraubten Götzenfigur fallen in New Orleans Pechvögel gleich serienweise tot vor die Holzfüße. FBI-Agent Willard hegt den Verdacht, dass weltliche Schurkentücke im Spiel ist … – Neuauflage eines Heftkrimis, verfasst von einem Pionier des deutschen Trivialromans; die Story weist sämtliche Vorzüge (geradlinige Handlung, angstfreier Umgang mit dem einfach nur Spannenden) und Nachteile (stilistische Armut, staubige Klischees) dieser Gattung auf, kann aber unter Berücksichtigung des Nostalgiefaktors durchaus unterhalten.
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Merkel, Rainer – Gefühl am Morgen, Das

Mit „Das Gefühl am Morgen“ legt Rainer Merkel seinen zweiten Roman vor. Für sein Erstlingswerk „Das Jahr der Wunder“ erhielt er 2001 den Literaturförderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung. Er hat sich also viel Zeit für den Nachfolger gelassen, der erstaunlicherweise mit 150 Seiten Umfang auch recht kurz ausfällt.

Auf dem Buchumschlag wird „Das Gefühl am Morgen“ als Liebesgeschichte, die zwischen „Rausch und Zögern schwankt“, angepriesen. Doch die Erzählung als bloße Liebesgeschichte abzutun, wäre leichtfertig, denn einerseits ist das hier keine normale Liebesgeschichte, von der man Leichtigkeit und Pathos erwartet. Zumdem steckt hier noch mehr drin: „Das Gefühl am Morgen“ ist, wie es in der neueren deutschen Literatur doch häufig vorkommt, eine Erzählung, die sich mit dem Thema der 68er Generation und deren Folgen auseinandersetzt. Der „Held“ der Geschichte, Lukas, ist wie seine Partnerin Laura Kind von Eltern eben jener Generation, wobei man über die Familienzustände Lauras nichts erfährt. Generell wird der Leser hier in vielen Dingen im Unklaren gelassen. Der auktoriale Erzähler heftet sich ganz an Lukas und gibt trotzdem nicht alles wieder. Lange Ausflüge in die Gedankenwelt gibt es ebenso wenig wie Beschreibungen von Äußerlichkeiten.

Kennen gelernt haben sich die zirka 20-Jährigen auf einem langen Gang im Westberliner (die Erzählung spielt in den Achtziern) Studentenwohnheim Schlachtensee. Er war fasziniert von dem seltsamen Rhythmus ihrer Bewegungen, sie trat daraufhin ohne Grund in sein Zimmer. Man verbrachte die Nacht zusammen und kam nicht mehr voneinander los. Doch etwas stimmt da nicht: Wer an Liebe denkt, der denkt an Leichtigkeit, nervöses Kribbeln und Albernheiten. Die fehlen hier. Träge wirken beide, sie geht nicht gern aus, denn „das ist doch Zeitverschwendung“, er versucht sie zu beeindrucken, doch die gestelzten und konstruierten Sätze wirken fehl am Platz.

Das im Titel verwendete Wort „Gefühl“ wirkt im Hinblick auf diese Beziehung fast schon zynisch. In seiner Trägheit wirken die beiden Charaktere taub; sich als Leser in die Protagonisten „einzufühlen“, ist fast eine Unmöglichkeit. In Merkels Bemühungen, das Ganze vage zu halten, wirkt die Geschichte doch etwas konstruiert und aufgesetzt. Die Flachheit der Charaktere und die ständige Unklarheit über die Situationen (ob Lebens- oder Liebessituation der Protagonisten) stört den Lesefluss zusätzlich. „Das Gefühl am Morgen“ ist ein anstrengendes Vergnügen. Doch wer sich müht, wird tatsächlich auch belohnt. Je weiter die Geschichte fortschreitet, desto klarer wird, dass Merkel hier mehr im Auge hatte als eine bloße Liebesgeschichte. Bald kommt Lukas` Vater, ein hoch angesehener Psychoanalytiker, hinzu. So wird dem Leser die Tür zu einer interessanten Familienwelt geöffnet, zumindest einen Spalt weit. Denn auch hier wird keine Klarheit gegeben. So heißt es, dass Lukas‘ Mutter in Kalifornien lebt, mit seinem Bruder. Der Kontakt zur Mutter ist jedoch nur sporadisch, auch das Verhältnis von Vater und Mutter wird nicht aufgelöst. So bekundet der Vater zwar seine Zuneigung, lebt aber in Berlin und scheint gelegentlichen Affären auch nicht abgeneigt zu sein. Zudem scheint die Mutter den in Kalifornien lebenden Bruder zu überfordern, sie reist umher, scheint gesundheitliche Probleme zu haben und verprasst ungehemmt Geld.

Die Beziehung zwischen Lukas und seinem Vater ist eine sehr interessante. Der Sohn scheint eine gewisse Abneigung zu haben, sagt zu Laura, dass er ihn nur analysiere und für eine „Idee“ halte. Was das zu bedeuten hat, bleibt ungewiss. Feststeht, dass der Sohn in absoluter Abhängigkeit zu seinem Geldgeber steht. Der ist auch ganz spendabel, gibt Geld und psychologische Ratschläge freigiebig, was nichts daran ändert, dass auch diese Beziehung kalt bleibt.

Es ist eine schemenhafte Welt, in die uns Merkel hier entführt. Die Achtzigerjahre, die in den letzten Jahren ein Comeback erlebten, wirken hier alles andere als berauschend. Einschläfernd, ermüdend und trist ist das Bild, das man von der Welt und den Protagonisten bekommt. Geradezu lethargisch lässt Merkel seinen Lukas durch diese Welt stolpern, ohne Ziel und Energie. Er studiert Ethologie, ohne zu wissen, welchen Sinn das hat. Er scheint auf etwas zu warten, doch letztendlich verpasst er auch die Gelegenheit zu schätzen, was er hat. So zerbricht die Beziehung schließlich an der ungeplanten Schwangerschaft Lauras. Die bemerkt während eines Spaziergangs: „Wir laufen in die falsche Richtung.“ Einen anderen Weg zu gehen, das fällt aber keinem von beiden ein.

„Das Gefühl am Morgen“ ist eine interessante Erzählung, die aber Geduld braucht und es leider auch verpasst, den Leser zu unterhalten. Dafür lässt sie ihn auch noch nach der letzten Seite lange nachdenken, und das nicht nur über die Liebe.

Jungstedt, Mari – Näher als du denkst

Seit der schwedische Autor Henning Mankell seinen Erfolgskommissar Kurt Wallander außer Dienst gestellt hat, ist so mancher Freund des so genannten „Schwedenkrimis“ auf der Suche nach einem Ersatz(anti)helden. Wallander hinterlässt nun einmal eine ziemlich große Lücke. Eine recht hoffnungsvolle Vertreterin des gleichen Genres ist die Schwedin Mari Jungstedt. Doch auch ihr ermittelnder Kommissar Anders Knutas ist kein Wallander-Ersatz. Das ist trotzdem kein Grund zur völligen Resignation, denn Knutas, den sie in ihrem mittlerweile zweiten Krimi „Näher als du denkst“ an die Spitze ihres Ermittlerteams stellt, macht keine allzu schlechte Figur.

Handlungsort von Jungstedts Krimiromanen ist das beschauliche Gotland vor der Küste Schwedens. Es ist November, der trostloseste und düsterste Monat des Jahres, als die Leiche von Henry Dahlström gefunden wird. Dahlström war ein stadtbekannter Säufer, der sich früher einmal als erfolgreicher Fotograf verdingt hatte, bis er dem Alkohol verfiel. Nun wird er mit eingeschlagenem Schädel in seiner Dunkelkammer gefunden. Ein Streit unter Alkoholikern? Oder steckt mehr hinter dem Mord?

Wenig später verschwindet die 14-jährige Fanny spurlos. Nicht nur Kommissar Anders Knutas muss sich mit seinem Team nun die Frage nach einem Zusammenhang zwischen beiden Fällen stellen. Auch der Journalist Johan Berg, der als Lokalreporter für das Fernsehen nach Gotland reist, stellt sich diese Frage. Berg kann mit seiner Arbeit ein wenig zum Voranschreiten der Ermittlungen beitragen, doch in welche Richtung sich die Ermittlungen entwickeln, ahnt auch Anders Knutas erst zu spät. Und plötzlich wird die Situation für den Kommissar brenzlig …

Das vollmundige Lob der |Hörzu| im Klappentext stimmt hoffnungsvoll. „Ein echter Schwedenkrimi: spannend, hart und doch einfühlsam“, heißt es dort. Das kann man größtenteils durchaus so stehen lassen, auch wenn diese Art der Lobpreisung bei näherer Betrachtung ein wenig dick aufgetragen erscheint. Dennoch, es ist ein solider Krimi, den Mari Jungstedt abgeliefert hat. Spannung ist da garantiert.

Obwohl mir die Kenntnis ihres ersten Romans „Den du nicht siehst“ fehlt, ist es offensichtlich, dass Jungstedt ihre beiden Romane als sich fortsetzende Reihe aufbaut. Immer wieder nimmt sie Bezug auf Ereignisse, die vor den im Buch geschilderten liegen. Der Fall des ersten Romans findet hier und da immer mal wieder Erwähnung und auch die Figuren weisen eindeutig eine sich fortentwickelnde Geschichte auf. Da kann es durchaus ratsam sein, vor der Lektüre von „Näher als du denkst“ zum Erstlingswerk zu greifen, zumindest, wenn man sich die Spannung erhalten will. All denjenigen, die Mankells Wallander-Romane in der falschen Reihenfolge gelesen haben, dürfte diese Problematik bekannt vorkommen.

Der Romanaufbau hat es durchaus in sich. Jungstedt entwickelt viele Figuren und wechselt immer wieder die Perspektive. Das ergibt eine teils recht sprunghafte Erzählweise, bei der man zu Anfang erst einmal im Geiste die Figuren sortieren muss, zeigt aber auch sehr deutlich, dass Jungstedt ihre Charaktere sehr wichtig nimmt. Sie legt ein deutliches Gewicht auf zwischenmenschliche Dinge. Der eigentliche Fall wird dadurch immer mal wieder an den Rand gedrängt.

Besonders ausführlich wird der Journalist Johan Berg beleuchtet. Berg wird zwischendurch mehr oder weniger zur heimlichen Hauptfigur. Jungstedt legt zum Teil ein deutliches Gewicht auf die Arbeit der Presse in dem Fall, was kein Wunder ist, denn schließlich kann sie als Journalistin und Nachrichtensprecherin für das schwedische Fernsehen hier Erfahrungen aus erster Hand einfließen lassen. An der Authentizität des Geschilderten gibt es also gerade mit Blick auf die Pressearbeit keinen Zweifel, so dass der Roman eine durchweg glaubwürdige Note erhält.

Besonders intensiv betrachtet Jungstedt das Verhältnis zwischen Johan Berg und der Gotländerin Emma. Zwischen den beiden besteht eine schon im Vorgängerroman entstandene, reichlich verzwickte Liebesgeschichte, der sich Jungstedt sehr ausführlich widmet. Im Vergleich dazu kommt die eigentliche Hauptfigur Anders Knutas schon fast ein bisschen zu kurz. Knutas ist ein Mann mittleren Alters von ausgeglichenem Gemüt, pfeiferauchend und mit Familiensinn und somit ein ziemlicher Kontrast zum schwedischen Vorzeigekommissar Wallander.

Am Ende ist es dann allerdings der Spannungsaufbau, der unter der Sprunghaftigkeit der Erzählperspektiven ein wenig leidet. Man möchte als Leser am liebsten nur noch den weiteren Verlauf des Falls verfolgen, wird von Jungstedts Perspektivenwechseln aber immer wieder davon weggezerrt. Gerade in den Momenten, wo die Spannung drauf und dran ist, ihren Höhepunkt zu erreichen, sorgen die Perspektivenwechsel immer wieder für zwischenzeitliche radikale Spannungsabfälle.

Dabei baut Jungstedt den Roman ansonsten durchaus atmosphärisch auf. Sie erzeugt Stimmungen, macht die Gefühle der Protagonisten greifbar, baut ihre Figuren glaubwürdig auf und lässt vor dem Auge des Betrachters das kalte, ungemütliche Gotland im November aufleben. Die Atmosphäre ist dicht und mit steigender Seitenzahl wird auch die Spannung immer greifbarer. Jungstedts Erzählweise wirkt routiniert und gefällig, so dass sich das Buch recht flott und flüssig durchlesen lässt, sticht aus der Masse der Kriminalromane aber auch nicht sonderlich hervor.

Wenn man am Ende des Buches dann zurückblickt, fällt einem auf, dass der Fall an sich gar nicht so komplex ausfällt. Die eigentliche Kriminalgeschichte nimmt halt nur einen Teil des Buches ein, und so kann es logischerweise auch keine ganz so ausführlichen und komplexen Schilderungen der Ermittlungen geben. Die Spannung wird ganz gemächlich aufgebaut, was aber durchaus seinen Reiz hat. Auch die Auflösung des Falls ergibt sich fast aus dem Nichts, ohne von langer Hand herbeigeführt zu werden, und mag für den routinierten Krimileser nicht sonderlich überraschend sein.

Ob das nun positiv ist oder nicht, lässt sich schwer definieren und hängt gänzlich vom Blickwinkel des Lesers ab. Während dem einen der eigentliche Kriminalfall zu kurz kommen wird, wird der andere Jungstedts einfühlsame Erzählweise loben, ihren Blick für die Figuren und die Art, wie sie diese auch in ihrer weiteren Entwicklung verfolgt. Damit haben sicherlich beide Gruppen Recht. Betrachtet man „Näher als du denkst“ als Teil einer Krimireihe, so lässt sich dieser Balanceakt zwischen Figurenbetrachtung und Kriminalgeschichte durchaus positiv bewerten, denn so bekommen die Figuren eben mit jedem weiteren Roman mehr Tiefe. Das ist eben auch dann positiv zu sehen, wenn man bedenkt, dass charakterliche Entwicklungen in vielen Krimis oft zu kurz kommen. Und so gesehen, ist „Näher als du denkst“ dann sicherlich auch ein Roman, der nicht nur speziell Krimileser anspricht, sondern auch eine Leserschaft, die sonst eher auf allgemeine Belletristik festgelegt ist.

Kurzum: Mari Jungstedt hat mit „Näher als du denkst“ ein durchaus interessantes Stück Kriminalliteratur abgeliefert. Sie nimmt sich viel Zeit, um ihre Figuren zu entwickeln, Spannung aufzubauen und eine dichte Atmosphäre zu schaffen. Sie wechselt stetig die Perspektive und gibt der Geschichte dadurch mehr Tiefe, während sie mit fortschreitender Seitenzahl dadurch allerdings auch den Spannungsbogen immer wieder unterbricht. Das trübt am Ende ein wenig die Freude, dennoch bleibt „Näher als du denkst“ als durchaus solide Krimikost im Gedächtnis.

Brosnan, John – Anderwelt

Die beiden Romane von John Brosnan, die hier in einem Band erscheinen, wurden bereits 1997 unter den Titeln „Verflixt und zugehext“ und „Hokuspokus Hexenkuß“ in der |Allgemeinen Reihe| des |Heyne|-Verlags veröffentlicht. Neben der genialen Himmelsherren-Trilogie, die in der |Heyne|-SF-Reihe herauskam, sind diese beiden Bände leider die einzigen Werke Brosnans, die nach Wissen des Rezensenten auf Deutsch erschienen sind. Bedenkt man die Qualität dieser fünf Bücher, so ist dies um so bedauerlicher, denn vor allem die Trilogie um die Skylords gehörte wohl zum Besten, was die SF der 90er Jahre hervorgebracht hat.

Ganz so überragend sind die beiden hier in einem Band vorliegenden Fantasyromane zwar nicht, aber trotzdem stellen sie blendende Unterhaltungswerke dar, die sich durch frechen und despektierlichen Stil und süffisanten Humor auszeichnen. Im Gegensatz zu anderen Autoren satirischer Bücher gelingt es Brosnan aber, zudem noch eine spannende und wie aus einem Guss wirkende Geschichte zu erzählen und damit die arg dröge wirkenden Nummernrevuen mancher Kollegen zu vermeiden. Dabei pfeift der Autor völlig auf jedwede Political Correctness. Sein Held ist sogar dermaßen despektierlich, dass er sich bei einem Barbarenwettkampf, zu dem er sich gezwungen sieht, als „Travis der politisch nicht Korrekte“ anmelden will, was der Kampfrichter der primitiven Welt, in die es unseren Zeitgenosse Travis verschlagen hat, natürlich nicht versteht. Travis Begründung für seinen Namen: In seiner Welt müsse man schon verdammt heldenhaft sein, um sich als politisch nicht korrekt zu bezeichnen.

Auch sonst lässt der Protagonist verbal ganz schön die Sau raus, zumal er glaubt, sich in einer Computersimulation zu befinden. Dass ihn ein mächtiger Zauberer wirklich in die Parallelwelt namens Samella versetzt hat, will er zuerst nicht wahrhaben.

Denn eigentlich ist Travis Thompson Journalist und hatte einen Artikel über den mächtigen Gideon Leonard Prenderghast schreiben sollen. Bei Travis‘ Interview mit dem Magnaten hatte er diesen allerdings sehr undiplomatisch mit dessen dunklen Machenschaften und schmutzigen Geschäften konfrontiert, ohne zu ahnen, dass Prenderghast ein mächtiger Zauberer aus einer fernen Dimension ist.

Als Strafe findet sich der arme Travis schnell in einer barbarischen Welt voller Magie aber ohne Sanitäranlagen wieder, ausgestattet nur mit einem magischen Revolver, der ihm immerhin einige Macht verleiht. Zudem trifft er den Filmproduzenten Jack deSilva aus L. A., einen Spezialisten für trashige und manchmal auch schlüpfrige C-Filme, der es sich ebenfalls mit Prenderghast verscherzt hat und deshalb „verbannt“ wurde. Allerdings hat der mächtige Zauberer Jack zudem in einen kleinen, schmierigen, ewig Marlboro rauchenden Dämon verwandelt, was gut zu Jacks Charakter passt.

Und so steht der arme Travis plötzlich in einer fremden Welt da, die er zuerst für eine Computersimulation hält, und versucht verzweifelt den Schlüssel zu finden, der ihm die Wiederkehr in seine ursprüngliche Realität ermöglichen könnte, hat bald eine abgehalfterte Prinzessin am Bein, die ihm nur Ärger bringt und ist so richtig ratlos …

So weit, so trivial! Aber was Autor Brosnan aus dieser Ausgangssituation macht, ist aller Ehren wert. Eine schrillere Queste hat die Fantasy kaum je gesehen.

Egal, ob Travis von merkwürdigen Elfen angeschwuchtelt wird, er gegen eine Mischung aus Trollen und englischen Fußballhooligans kämpfen muss oder im zweiten Buch verzweifelt versucht, seine Heimatstadt London nach seiner Rückkehr vor der Verwüstung durch seine samellanischen Begleiter zu schützen – die beiden Romane sind durchgängig äußerst vergnüglich zu lesen.

Anderwelt ist sicherlich kein intellektueller Hochgenuss, aber spritzig und prickelnd wie eine Flasche Champagner ist die hier erzählte Geschichte zweifellos, voller Chuzpe und frech wie Oskar.

Da beginnt ein Kapitel auch schon mal mit der Einleitung: „Um genau 22 Uhr explodierte in einer Seitenstraße neben einem Platz im Londoner East End ein Huhn.“ (S. 300)

Wer sich also auf eine grelle Achterbahnfahrt einlassen möchte und wenigstens ein gerüttelt Maß Humor besitzt, dem sei das vorliegende Buch wärmstens empfohlen.

|Originaltitel: Damned and Fancy / Have Demon, Will Travel|

_Gunther Barnewald_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Wilson, Justine – Blood Angel

Kaum gelingt Nachwuchs-Maltalent Jessamy Shepard aus New York der künstlerische Durchbruch, da stellt sich gleich ein ungebetener „Fan“ ein, der sich einfach nicht abschütteln lässt. Aber Jessamy irrt; kein lästiger Lüstling ist dieser Kai Youngblood, sondern ein prominentes Mitglied der „Sajae“, jener Gruppe fast unsterblichen Wächter, die seit Urzeiten neben den Menschen leben und mit magischen Fähigkeiten die „Traumfelder“ bewachen. Übergänge zwischen diversen Dimensionen sind dies, die immer wieder gern von fiesen Dämonen genutzt werden, die sich auf die Erde schleichen und dort viel Flurschaden anrichten.

Die schlimmste dieser Kreaturen ist Bakal Ashika, genannt Asha. Einst war sie eine junge Sajae-Sklavin, die sich das Wissen ihrer Herren aneignete, dann einen besonders üblen Dämonen ins Hirn lud und die Sajae zu vernichten trachtete. Viele Jahre tobte der Kampf, bis er Anno 1399 mit der Niederlage Ashas endete. Doch sie starb nicht, sondern konnte nur verbannt werden. Jetzt ist sie wieder da und begieriger denn je, die Welt zu zerstören.

Dazu benötigt sie zwei Dinge: die geistige Energie der Nachfolgerin jenes Sajae, der ihr einst den Rest gab, und die Kraft des „Engels“, dessen dieser sich dabei bediente. Die eine schlummert in der ahnungslosen Jessamy, die andere überdauerte im Körper des gedächtnislosen Teenagers Ramsey Doe. Diese beiden Menschen will sich Asha fangen, aber zumindest Jess entkommt ihren Schergen und wird von Youngblood aufgenommen. Mit Unterstützung des „gezähmten“ Dämonen Delkor Lokk bildet er sie in einem Sajae-Crashkurs zum weiblichen Heiland aus, der gegen Asha antreten kann. Doch diese – obwohl wahrlich nicht die Hellste – nutzt die derzeitige Schwäche der Wächter, unter denen zudem ein Verräter wühlt. Trotz verzweifelter Gegenmaßnahmen (die auch die Rekrutierung einer Rotte von den Toten erweckter „Hell’s Angels“-Rocker einschließt) der Verteidiger gewinnt Asha die Oberhand und gibt den Startschuss zum Ende der Welt …

Unbefangenheit ist für einen debütierenden Schriftsteller ein feine Sache. Man schreibt den ersten Roman frech & frei und mit nur vagen Vorstellungen davon, was schief gehen könnte. Gut so, denn wie übel man sich blamieren kann, das lehrt uns die Lektüre von „Blood Angel“, einem Mystery-Thriller, bei dem so ziemlich alles misslungen ist, was misslingen konnte.

Wo soll man anfangen mit der Kritik? Der Rezensent dreht sich im Kreise, zumal dieser „Roman“ sich ihm quasi mit dargebotener Kehle präsentiert. Alle drei Teile von „God’s Army“ gesehen und vom „Exorzisten“ zumindest gehört: Ob das zum Beispiel das Ausmaß der Recherche beschreibt, die Wilson für dieses Machwerk getrieben hat? Statt Vampire und Werwölfe treiben dieses Mal also Engel und Dämonen ihr Unwesen. Ein biblischer Hintergrund kann unter der literarischen Herrschaft von König Dan Brown dem I. (und hoffentlich Einzigen) nie schaden. Das alte Buch der Bücher taugt prima als Steinbruch für pseudo-sakrales Gewese mit Ehrfurchts-Schauder-Garantie.

Aber auch der skeptische Leser will überzeugt werden. Also konstruiert Wilson ein „wissenschaftliches“ Gefüge aus parallelen Welten (Science-Fiction kann den Genremischmasch nur schärfer würzen), in denen besagte Engel, Dämonen und ähnliche Überwesen hausen. Um die Geschichte in Gang zu bringen, postuliert die Verfasserin „Übergänge“ zwischen den Sphären, was allerlei finsteres Gruselpack nutzt, die Erde zu besuchen.

Selbstverständlich gibt es einen uralten Wächterorden, der diese Passagen überwacht und sich dabei so plumpfüßig weihevoll gibt wie die uns bekannten Jedi-Ritter. Auch eine „Macht“ – hier „Maga“ genannt – darf nicht fehlen. Weitschweifig und mit inbrünstigem Eifer erläutert uns Wilson ihr Konzept, das es an Dummschwurbeligkeit mit jedem New-Age-Geschwafel locker aufnimmt. Jedes Blättchen, das die Autorin greifen konnte, wird vom Mythenbaum gepflückt und in den Plotbrei gerührt; es entstand eine fade, geschmacklose Masse mit dicken Klumpen geballter Einfältigkeit, die den Leser würgen lassen.

Die eigentliche „Story“ lässt sich in einem Satz erzählen. Auf mehr als 400 (großzügig bedruckten) Seiten wird sie gnadenlos und absolut ironiefrei breit getreten. Eindimensionale Traumsequenzen, schwafelige Prophezeiungen gar grausiger Ereignisse, die zu Lachstürmen reizen, jämmerlich verdruckste Einschübe „perverser“ Dämonendekadenz und andere Überflüssigkeiten lassen die Handlung zusätzlich immer wieder stocken. Muss hinzugefügt werden, dass Wilsons Finale zwar als beklemmende Vision des Weltendes geplant war, in der Umsetzung jedoch nur ein fundamentalistisches Höllengetöse auf Kasperletheater-Niveau gelang?

Selbstverständlich fehlt nicht das offene Ende: Die böse Asha beißt zwar ins Gras, aber ihr Statthalter entkommt. Auf der letzten Seite sehen wir ihn schon wieder zu neuen Ränken ansetzen. Ob das eine Fortsetzung bedeutet? Das wäre freilich eine Rache, die man der tumben Asha in dieser Grausamkeit nicht zugetraut hätte …

Dem ganz und gar ungeplant schaurigem Getümmel entspricht eine schauderhafte Figurenzeichnung. Da gibt es nur eine halbwegs interessante Person, und das ist ein schleimig-intriganter Dämon, der die ganze Mischpoke der „Guten“ mit Bedacht an der Nase herumführt. Eine Welt, die von blutleeren Langweilern wie den Sajae bewacht wird, hat ihren Untergang allemal verdient. Wenn der weise Kai Youngblood – „sprechende“ Namen, deren Bedeutung wie Zaunpfähle auf des Lesers Schädel niedersausen, sind eine Spezialität Wilsons; so heißt Jessamy, die Rettung der Welt, selbstverständlich „Shepard“ – wieder einmal in kryptischen Andeutungen von „Bestimmung“ und „Schicksal“ faselt, möchte man ihm tüchtig in den Hintern treten, damit er endlich auf den Punkt kommt. Geschieht dies endlich, schafft es auch keine Zufriedenheit, weil da nichts ist, das Geheimnistuerei rechtfertigen würde.

Aus dem Reich der Menschen stoßen als Identifikationsfiguren eine Frau (schön, jung, schön, maßvoll selbstbewusst, schön & “Mr. Right” – und nur ihm! – jederzeit aufgeschlossen) und ein Teenager (schnuckeliger Superskater, aber – oh Weh! – Vollwaise) zu den Sajae. Ausgerechnet in ihren Hinterköpfen rumort leise die Macht, welche der Dämonin den Hals brechen könnte, aber sie muss erst geweckt werden, was viele, viele, viele Diskussionen zwischen „Schüler“ und „Meister“ und endlose Trainingslektionen in Sachen Schweben & Feuerballwerfen zur Folge hat.

Oft tragen in solchen verquasten „New Testament Reloaded“-Storys wenigstens die Bösen zum Unterhaltungswert bei. Da sei hier Wilson vor, die mit Bakal Ashika eine grotesk spießige Weltenzerstörerin ins Feld schickt. Gar fürchterbar will die schöne, aber unerbittliche „Asha“ uraltes Unrecht rächen. Was hat sie dann vor mit der Welt, die sie an sich reißen will? Männer will sie kopfüber an Telegrafenmasten nageln, andere Pechvögel durch das Hinterteil verbluten lassen. So geht das weiter, eine Liste naiver Kinderbibel-Grausamkeiten, die deutlich verraten, dass Asha in den fünf Jahrhunderten ihres Exils rein gar nichts dazugelernt hat und weiter in ihrer infantilen Vorzeithölle haust. In der „Realität“ des 21. Jahrhunderts wirkt sie nicht Furcht erregend, sondern lächerlich, womit sie immerhin – hier schließt sich der Kreis – perfekt in das Ensemble und einen weiteren Schuss-in-den-Ofen-Bestseller passt.

Aus unerfindlichen Gründen erscheint die deutsche Ausgabe von „Blood Angel“ vier Monate vor der nordamerikanischen. Ob dies ein Indiz für die fortschreitende Globalisierung des Buchgeschäfts ist? Oder sollen rasch die europäischen Gruselfreunde abgezockt werden, bevor kritische Stimmen von jenseits des Atlantiks laut werden? Diese werden nicht ausbleiben – und vielleicht lösen sie auch das Rätsel, wieso die Verfasserin (über die weiter nichts bekannt ist oder sein müsste) hierzulande als „Justine Wilson“ verkauft wird, während in den USA „Justine Musk“ auf dem Cover steht. (Es gibt ein Online-„Interview“, das im Auftrag des |Knaur|-Verlags und zu Werbezwecken mit Musk-Wilson geführt wurde. Es lohnt jedoch nicht, einen entsprechenden Link zu legen, da hier mit vielen, vielen Worten rein gar nichts Relevantes berichtet wird außer der Tatsache, dass „Blood Angel“ das Erstlingswerk einer fleißigen Schreibwerkstattbesucherin ist.)

Karl-Heinz Ott – Endlich Stille

„Solange ich in den ersten Tagen noch hoffte, er werde mir spätestens abends für den nächsten Morgen seine Abreise ankündigen, versuchte ich mir einzureden, dass unsere Fahrten übers Land auch mir etwas bringen, doch je planloser sich dieses Einerlei aus Landgasthofaufenthalten und Kirchenbesichtigungen fortzusetzen und ich mich wie ein Fremdenführer zu fühlen begann, desto öfter hätte ich manchmal einfach schreien und davonlaufen mögen.“

Endlich einmal „nein“ sagen können, das ist es, wovon der Protagonist aus „Endlich Stille“ nur träumen kann. Kurioserweise kauft er sich in Amsterdam ein Buch, mit dessen Hilfe man lernen soll, das Nein aus seinem Sprachschatz zu streichen. Als ihn in Straßburg ein Unbekannter mit der so harmlos wirkenden Frage „Suchen Sie auch ein Hotel?“ anspricht, gerät der Protagonist in einen Strudel von Ereignissen, wie er ihn sich nie hätte ausmalen mögen …

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Kim Småge – Ein kerngesunder Tod [Anne-kin Halvorsen 3]

Im norwegischen Trondheim werden Nachwuchssportler per Doping zu Höchstleistungen gebracht – oder zu Tode, weshalb Kommissarin Anne-kin Halvorsen in ihrem dritten Fall gegen eine Mafia antritt, gegen die sich ihr klassisches Vorbild als geradezu schwatzhaft erweist … – Schon angejahrter aber inhaltlich keineswegs veralteter Krimi, dessen Autorin erfreulich zügig und ohne allzu ausgeprägten skandinavischen Weltschmerz ihr Garn spinnt.
Kim Småge – Ein kerngesunder Tod [Anne-kin Halvorsen 3] weiterlesen