Kureishi, Hanif – Gabriel\’s Gift

|Hanif Kureishis Roman „Gabriel’s Gift“ (dt. „Gabriels Gabe“) erinnert in vielem und viel zu sehr an seinen Debütroman „The Buddha of Suburbia“ (dt. „Der Buddha aus der Vorstadt“, 1990) und dessen Nachfolger „The Black Album“ (dt. „Das schwarze Album“, 1995), kann deren Tiefe und Originalität jedoch nicht erreichen.|

Die Handlung ist schnell erzählt: Der Vater des 15-jährigen Gabriel verlässt seine Familie, um ziellos durch London zu streunen und in einer billigen Absteige dahinzuleben. Er zehrt von den Erinnerungen an die guten, alten 70er, in denen er umgeben von Sex, Drugs und Rock ’n‘ Roll mit der Rockband um Lester Jones tourte, bis er während eines Konzerts von seinen Plateauschuhen kippte und nach dem Ausheilen der Verletzung nicht wieder in die Band aufgenommen wurde. Gabriels Mutter ist mit ihrem Geschäft pleite gegangen und versucht nun, ihren Sohn und sich mit einem Kellnerjob über Wasser zu halten. Gabriel selbst hat eine Gabe, wie bereits der Titelt verrät: ein Zeichentalent. Indem er dieses entwickelt, arbeitet er an der Erfüllung seines Traumes, findet sein Lebensziel und seinen Platz in der Erwachsenenwelt. Der Originaltitel ist doppeldeutig – handelt es sich bei dem „gift“ nicht nur um die „Gabe“, zeichnen zu können, sondern auch um ein „Geschenk“, das für einige Verwirrungen sorgt.

Wäre da nicht Kureishis spezieller Humor (Ironie, Satire, groteske Begebenheiten), gäbe es keinen Grund, diesen Roman zu lesen, denn es scheint, als seien dem Autor die Ideen ausgegangen. „Gabriel’s Gift“ liest sich wie eine Variation der Themen, die bereits im „Buddha of Suburbia“ oder in „The Black Album“ ausgearbeitet wurden. Wieder hat Kureishi einen Initiationsroman vorgelegt, in dem ein künstlerisch begabter Jugendlicher in einer verwirrenden, rassistischen Welt, bestehend aus unterschiedlichsten Typen (Homosexuellen, Künstlern, Menschen am Rande der Existenz), seinen Platz finden und am Erreichen seines persönlichen Traumes arbeiten muss.

Wie Karim („The Black Album“) und Shahid („The Buddha of Suburbia“) kommt der Held in diesem Roman aus einem wenig intakten Elternhaus der englischen Mittelklasse. Sein Vater ist – gelinde gesagt – ein Träumer, ein Spinner, ein ewig Gestriger oder, um es mit Gabriel zu sagen: „Had he been a woman, he might have been called hysterical. Instead he was deemed ‚moody‘, which, because of its ‚artistic‘ overtones (…) suited him.“ (dt. etwa: „Wäre er eine Frau gewesen, würde man ihn als hysterisch bezeichnet haben. Stattdessen hielt man ihn für „launisch“, was ihm der ‚künstlerischen‘ Untertöne wegen genehm war.“) Seine Mutter hingegen steht mit beiden Beinen im Leben und fürchtet nichts mehr, als dass der Sohn sich wie sein Vater zum Künstler berufen fühlen und dessen Ende nehmen könnte. Dementsprechend erzählt Gabriel ihr nichts von seinem ersten Job, bei dem er ein Aktportrait des homosexuellen Barbesitzers Speedy anfertigt, wobei der Leser die gleichen Ängste ausstehen muss, die Gabriels Eltern ausstehen würden, wüssten sie, dass er so engen Kontakt mit einem von Kureishis „love vampires“ pflegt. Man erwartet förmlich, dass Speedy den blutjungen Gabriel auf der Stelle verführt, doch hier reicht die Phantasie eines Kureishi-erfahrenen Lesers über die des Autors hinaus (oder er hat sich diesen Tabubruch nicht getraut).

Interessant an der Figur das Gabriel ist dessen tiefe Verbundenheit mit seinem verstorbenen Zwillingsbruder Archie. Wohl jeder, der bereits einen lieben Menschen verloren hat, kennt das Phänomen, dass man sich hin und wieder bei einem inneren Zwiegespräch mit dieser Person ertappt. Für Gabriel ist Archie der engste Vertraute, da ihm die Eltern aufgrund eigener Probleme oft nicht zur Seite stehen können/wollen. Mit Archies Augen gelingt es ihm, seine Situation objektiver zu betrachten. In Entscheidungssituationen wird der verstorbene Bruder so zu Gabriels rationaler innerer Stimme.

Amüsieren kann sich der Leser über die Figur des „Kindermädchens“ aus dem Ostblock, das zum Glücklichsein nichts weiter braucht als ausreichende Mengen an Nahrungsmitteln und die Seifenopern im Fernsehen. Zum Schmunzeln verleitet den Leser ebenso das altkluge und dennoch pointierte Reden Zaks (Gabriels bestem Freund), dessen Vater seine Familie überraschend für einen Liebhaber verlassen hat. Witzig sind auch Szenen, in denen mit Hilfe von Musik oder Anspielungen auf Musiker über das Leben philosophiert wird.

Sein ganz persönliches fiktionales Universum unterstützt Kureishi in „Gabriel’s Gift“ mit einem „Gastauftritt“ des Charlie Hero aus „The Buddha of Suburbia“, der immer noch ein populärer Rockstar ist, mit der Erwähnung von Deedee Osgood aus „The Black Album“ und mit der Enthüllung, dass Charlies Mutter und Karims Vater dazumal eine Affaire hatten. Dadurch wirkt „Gabriel’s Gift“, obwohl es eine Fiktion ist, authentischer.

Als jedoch für den Protagonisten in „Gabriel’s Gift“ zum Schluss der gemeinhin schwer zu erfüllende Traum vom Erfolg mit der Erfüllung des Traums von einer intakten Familie zusammenfällt, gibt der Autor seine ironisch distanzierte Haltung zugunsten einer märchenhaft irrealen Zusammenführung der Elternteile auf. Möglich, dass Kureishi damit den Lesern, die ein Happyend brauchen, entgegenkommen wollte. Möglich auch, dass der Autor genug hat von offenen Enden und traurigen Geschichten wie in „Love in a Blue Time“ oder „Intimacy“ (dt. „Blau ist die Liebe“, 1997; „Rastlose Nähe“, 1998). Objektiv betrachtet, stört dieser Schluss jedoch, weil er nicht zum realistischen Stil Kureishis passt. Auch dadurch überzeugt der Roman trotz guter Figurenanlagen und witziger Dialoge nicht. Man sollte in Mußestunden lieber zu einem der anderen Werke Kureishis greifen.

_Corinna Hein_
http://www.corinnahein.net

|Eine [deutsche Broschurausgabe]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3499233118/powermetalde-21 erschien im März 2003 bei Rowohlt.|

Cohen, Rich – Murder Inc. oder Nicht ganz koschere Geschäfte in Brooklyn

Dies ist erneut eine dieser Geschichten, die so abenteuerlich klingen, dass sie nur erfunden sein können. Doch es ist die reine Wahrheit: In den 1930er Jahren existierte in New York ein lockerer Verbund mehr oder weniger begabter, aber entschlossener Killer, die im Auftrag der großen Unterweltbosse unerwünschte Konkurrenten, Spitzel und Verräter aus dem Weg räumten. „Murder Inc.“ nannte man sich selbst mit gewissem Stolz, und selbstverständlich wurde dieser Name von der Presse dankbar aufgegriffen. In den etwa zehn Jahren ihres Bestehens war „Murder Inc.“ verantwortlich für den Tod mehrerer Dutzend Personen; die genaue Anzahl der Opfer konnte nie festgestellt werden – aus leicht nachvollziehbaren Gründen wurde kein Buch geführt …

Die Geschichte von „Murder Inc.“ wurde in der Vergangenheit schon mehrfach erzählt. Zu bizarr ist der Gedanke an eine organisierte Mördertruppe, einer Firma quasi, deren Mitglieder nach Dienstplan töteten, als dass sich nicht zahllose Legenden darum ranken würden. Auch Rick Cohen ist weniger an den nackten Fakten interessiert. Ihn fasziniert die Tatsache, dass in der „Murder Inc.“ fast ausschließlich Juden zusammenfanden.

Die Existenz einer jüdischen Mörderbande stellt ein unerwartetes Problem dar. Spätestens nach den Gräueln des „Dritten Reiches“ sieht die (schuldbewusste) Welt die Juden mehrheitlich in einer Opferrolle. „Böse Juden“ gibt es daher nicht, hat es nie gegeben, darf es nicht geben! Besonders in den USA, wo die Anhänger des „politisch Korrekten“ gern regelrechte Feldzüge gegen jene führen, die in ihren Augen ethnische, religiöse oder andere Minderheiten unterdrücken oder mindestens beleidigen, ist es nicht ungefährlich, sich diesem kollektiven Zwang entziehen zu wollen.

Nun ist Rich Cohen selbst Jude und damit über solche Kritik erhaben – sollte man meinen, aber wie er schlüssig darlegt, ist dem keineswegs so! Fakt ist, dass selbst den amerikanischen Juden die Existenz von „Murder Inc.“ großes Unbehagen bereitet. In den USA war die Mehrheit der Juden der Meinung, dass sie, die wegen ihres Glaubens in Europa verfolgt und in Amerika diskriminiert wurden, sich das Wohlwollen ihrer nichtjüdischen Nachbarn am besten durch Gesetzestreue und einen unauffälligen Lebensstil bewahren könnten. Doch „Murder Inc.“ ist der unwiderlegbare Beweis dafür, dass es Juden gab, für die Ruhe eben nicht die erste Bürgerpflicht war. Die vielleicht einzigen Juden, die wirklich emanzipiert waren im Amerika vor dem Zweiten Weltkrieg, waren ausgerechnet Berufsmörder – Juden, die sich nichts gefallen ließen.

So lässt sich leicht nachvollziehen, wieso Rich Cohen das Thema fasziniert hat. Er befragte während der Recherchen für dieses Buch zahlreiche jüdische Zeitgenossen der „Murder Inc.“ und machte dabei immer wieder die Erfahrung, dass diese das Wissen um die Existenz eines organisierten jüdischen Verbrechens schlichtweg abstritten. Dieses Leugnen objektiv historischer Fakten interessierte Cohen mindestens so sehr wie die eigentliche Geschichte der „Murder Inc.“, und zwischen diesen beiden Polen entwickelte er sein gleichnamiges Buch.

„Murder Inc.“ ist auf mehreren Ebenen provokant. Cohen entreißt nicht nur eine für viele Juden peinliche Episode ihrer Geschichte der Vergangenheit – er macht auch keinen Hehl aus seiner persönlichen Bewunderung für Männer wie Louis Lepke, Abe Reles, Pep Strauss oder Buggsy Goldstein. „Murder Inc.“ ist keine historische Darstellung; die Geschichte ist für Rich Cohen in erster Linie eine Kulisse, in der er die Requisiten nach seinen Vorstellungen, die mit der Realität nicht zwingend übereinstimmen müssen, auf- und umstellt. Immer wieder füllt Cohen blinde Flecken in der Chronologie der „Murder Inc.“ mit fiktivem Material auf, das sich spannend liest, ohne den Anspruch auf Wahrhaftigkeit erheben zu können. Manchmal ist es schwierig, Wahrheit und Legende voneinander zu trennen, obgleich die Eckdaten natürlich stimmen.

„Murder Inc.“ ist schließlich eine weitere Etappe auf Rich Cohens Weg, sich seiner großen und nicht unkomplizierten Familie schreibend zu nähern. Seit Jahren schon beschäftigt er sich immer wieder mit dem Cohen-Clan, besonders aber mit seinem Vater Herbie, einem wahrlich farbigen Charakter, der es in New York auch ohne Mitwirkung seines Sohn zu Wohlstand und Prominenz gebracht hat. Herbie und seine Eltern lebten in Brooklyn und in einer Zeit, in der dort die großen Gangster das Sagen hatten, und obwohl sie sich der Unterwelt fern hielten, hat sie das nach Cohens Ansicht nachhaltig geprägt. In einem ausführlichen und sehr persönlichen Epilog, der in seinem Buch dem eigentlichen Ende der „Murder Inc.“ folgt, geht der Autor dem nach.

So beschreibt der Originaltitel „Harte Juden, Väter, Söhne und Gangsterträume“ Cohens eigentümliche Mischung aus Wahrem, Erfundenem und Reflektiertem wesentlich treffender als der dümmliche deutsche Untertitel „Nicht ganz koschere Geschäfte in Brooklyn“. Auch hierzulande scheint es heute nicht opportun (oder verkaufsförderlich) zu sein, die Worte „Jude“ oder „jüdisch“ im Titel eines Werkes erscheinen zu lassen, das kein Sachbuch ist und wissenschaftlichen Anspruch erheben kann. Das ist schade, denn „Murder Inc.“ wurde ansonsten hervorragend übersetzt; der Autor bestätigt es selbst und dankt Bernhard Robben im Nachwort für seine „wunderbare“ Arbeit.

Ergänzt wird der Text durch eine Reihe gut ausgesuchter Bilder, die ihrerseits noch einmal bestätigen, was Cohen im Laufe seiner Nachforschungen klar geworden ist: Zwischen den Gangstern der „Murder Inc.“, seinem Großvater, Vater und dessen zahlreichen Freunden gibt es im Grunde keine echten Unterschiede. Ein kleiner Anstoß hätte womöglich genügt, einen der männlichen Cohens in die Reihen der jüdischen Banden zu bringen – und auf den schmutzigen Boden eines Frisörsalons oder einer düsteren Bar, wo viele endeten, die sich auf diese einträgliche, aber in der Regel kurze Laufbahn begaben.

Joel McIver – Justice For All – Die Wahrheit über Metallica

Über den Status, den METALLICA im Laufe ihrer nunmehr fast zweieinhalb Dekaden andauernden Geschichte im Metal-Business eingenommen haben, braucht man wohl kaum noch Worte zu verlieren. Nach wie vor ist das dänisch-amerikanische Quartett eines der wichtigsten, kontroversesten und meist diskutierten Themen in der gesamten Szene, was nicht nur an musikalischen Neuorientierungen und damit unzufrieden erscheinenden Fans festzumachen ist, sondern vor allem an der Art und Weise, wie die Mitglieder von METALLICA auf all diese Reaktionen und streckenweise auch Anfeindungen seitens der Presse offenbar ziemlich emotionslos reagieren.

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Robert K. Tanenbaum – Kennedys Kopf [Roger Karp 7]

Ende der 1970er Jahre wird das Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy neu aufgerollt. Die Untersuchung stört alte Verschwörer auf, die sich in Sicherheit wiegen und längst hohe politische Ämter innehaben. Der Killer wird erneut ausgeschickt, um den lästigen Ermittler auszuschalten … – Zwar unter Nutzung alter Verschwörungs-Klischees aber höllisch spannend entwickelt der Verfasser eine ‚logische‘ Version des JFK-Rätsels und ringt dem Mythos vom Mordkomplott eine tolle Story ab.
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Gerber, Michael – Barry Trotter und die schamlose Parodie

Gerade im phantastischen Bereich gibt es kaum ein erfolgreiches Buch oder eine Bestseller-Buchreihe mit Medienpräsenz, die nicht schon ihr Fett abgekriegt hat: J.R.R. Tolkiens Werke wurde ihn mehreren Parodien wie „Der Herr der Augenringe“ oder [„Der kleine Hobbnix“ 477 und selbst die „Unendliche Geschichte“ wurde in einer – wenn auch kurzlebigen – Parodie verwurstet. So war es nur eine Frage der Zeit, bis auch „Harry Potter“ davon betroffen sein würde.

Michael Gerbers Roman „Barry Trotter und die schamlose Parodie“ erschien in Amerika zu einem Zeitpunkt, da die Begeisterung für den Zyklus von J. K. Rowling wohl am größten war. Der vierte Roman war erschienen oder stand gerade vor einer Veröffentlichung, ähnlich verhielt es sich mit dem ersten Kinofilm …

Barry Trotter befindet sich bereits in seinem elften Jahr auf der Zaubererschule Hogwash, da er durch die Romane der schamlosen Autorin J. G. zu einer Berühmtheit geworden ist. Die Lehrerschaft und auch der Schulleiter haben keine Probleme damit, ihn weiter durchzuziehen, da die Plätze auf der Zaubererschule mehr als begehrt sind, egal wie hoch die Schulgebühren werden. Barry greift dem maroden Institut in Geldnöten gerne unter die Arme, da er so sein Leben genießen kann und selber kaum Verantwortung übernehmen muss.

Nur manchmal ist seine Berühmtheit doch ein wenig lästig, vor allem, wenn ihm all zu viele Muddel-Verehrer auf die Pelle rücken. Dann kann er sich zu seinen Freunden zurückziehen, dem debilen Lon Measly, dem nach einem Zauberunfall ein Hundehirn eingesetzt werden musste, und seiner nun als Lehrerin unterrichtenden Freundin Hermeline, die es auch jetzt mit ihrer Art nicht immer leicht hat. Oder er hält ein Pläuschchen mit der Lehrerschaft, auch wenn ihm der eine oder andere grollt, weil er nicht in den Romanen verewigt wurde.

Doch mit der Ruhe ist es schlagartig vorbei, als bekannt wird, dass Wagner Bros. aus Amerika die Romane um Barry Trotter verfilmen will und die Muddel-Verehrer bald Hogwash einrennen und Stein und Stein abzutragen drohen, weil sie ein Souvenir wollen.
Um schlimmere Auswirkungen auf sein Leben zu verhindern, beschließt Barry Trotter, mit seinen Freunden nach Amerika zu reisen und den Dreh des Films im Keim zu ersticken. Dazu muss er als Erstes die Autorin J. G. aus den Klauen der Filmbosse retten. Wo diese sie verstecken, weiß er noch nicht, doch wozu hat man Freunde und Leidensgenossen, die einem helfen?

Auch wenn es der Name nicht vermuten lässt, Michael Gerber ist gebürtiger Amerikaner. So kann die Parodie neben dem schrägen, schrillen Humor à la Monty Python auch nicht eine gewisse Überdreht- und Albernheit verleugnen. Nicht jeder Gag zündet oder ist auch allgemein verständlich, vor allem wenn er sich auf amerikanische Romane und Eigenheiten bezieht, die hier nur wenigen Lesern bekannt sein dürften, aber diese Witze sind in der Minderzahl.

Indem er keinen der bis dato erschienenen Romane nacherzählt, sondern die Geschichte quasi weiterführt und die Auswirkungen der Berühmtheit des Helden schildert, Gerber die einzelnen Elemente von J. K. Rowlings Romanen besser und unabhängiger zu parodieren – Fans wissen sehr schnell, wen und was er nun wieder auf die Schippe nimmt, wenn sein Held etwa dem abgewrackten Lord Valumart begegnet oder in ein ganz bestimmtes Klo gerät, das einem fast den Atem nimmt.

„Barry Trotter“ ist damit keine Parodie allein auf die Bücher, wie so viele andere Satiren, sondern auf den ganzen Hype drumherum, in dem sogar die Autorin und die Leser selbst eine Rolle spielen und sich wiedererkennen können.
Vielleicht ist einiges zu albern und dick aufgetragen und anderes wirkt unverständlich, aber insgesamt ist „Barry Trotter und die schamlose Parodie“ eine vergnügliche Persiflage auf eines der erfolgreichsten Medienereignisse unserer Zeit, die ich vor allem Harry-Potter-Fans ans Herz legen kann, die alles nicht ganz so eng sehen …

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Hillerman, Tony – Labyrinth der Geister, Das

„Das Labyrinth der Geister“ ist bereits 1978 unter dem Originaltitel „Listening Woman“ erschienen und war der insgesamt dritte Kurzroman von Anthony C. Hillerman. In Deutschland wurde das Buch allerdings erst elf Jahre später zum ersten Mal aufgelegt, nämlich 1989 im |Rowohlt|-Verlag. In diesem Jahr folgt nun eine Neuauflage dieses Titels, der für mich auch die erste Begegnung mit dem Autor darstellte.

_Der Autor_

Tony Hillerman wurde 1925 als Farmerssohn in Sacred Heart, Oklahoma, geboren und besuchte als Tagesschüler acht Jahre lang ein Internat für Indianer. Hier entwickelten sich auch erste Themenschwerpunkte für seine späteren Romane. Neben seinen Tätigkeiten als Journalist und Dozent an der University of New Mexico begann er Ende der Sechziger Kriminalromane zu schreiben. Für seine Ethno-Thriller um die Navajo-Cops Jim Chee und Joe Leaphorn wurden ihm unter anderem der |Edgar Allen Poe Award| und der |Grandmaster Award| der |Mystery Writers of America| verliehen sowie der |Center for the American Indian’s Friend Award| und der |Navajo Tribe’s Special Friend Award|. Hillermans Romane wurden in 17 Sprachen übersetzt. Der sechsfache Vater lebt mit seiner Frau in Albuquerque, New Mexico. Eine Übersicht seiner Romane kann man [hier]http://www.rororo.de finden.

_Inhalt_

Der Navajo-Indianer Hosteen Tso ahnt Schlimmes; sein Gefühl sagt ihm, dass etwas Schreckliches geschehen wird. Daher fragt er Magaret Cigaret, besser bekannt als „Listening Woman“ (eine weise Frau, die die Stimmen der Götter und Geister hören und verstehen kann), um Rat. Doch ihre Hilfe nutzt Tso nicht mehr viel – kurze Zeit später wird der alte Mann zusammen mit der jungen Anna Atcitty tot aufgefunden, brutal erschlagen und von unbekannten Tätern ermordet.

Ein halbes Jahr lang wird der Fall bearbeitet, jedoch kann die lokale Polizeistation keine Fortschritte machen. Joe Leaphorn, seines Zeichens Lieutenant bei den örtlichen Cops, interessiert sich für den Fall und lässt dabei seine eigentliche Aufgabe, sich bei einem Pfadfindercamp als Sicherheitskraft zu engagieren, fallen. In diesem Entschluss wird er noch bestärkt, als er von einem zuvor angehaltenen Raser angefahren wird und dieser nachfolgend nicht mehr ausfindig zu machen ist.

Leaphorn möchte dem Sträfling auf die Schliche kommen und wird so auch immer wieder mit dem Mord an Tso konfrontiert, denn der geflüchtete Raser muss irgendwo in der Nähe von Hosteens Hogan untergetaucht sein.

Doch dies sind nicht die einzigen mysteriösen Vorfälle im Gebiet der Navajos. Seit einigen Monaten wird ein Hubschrauber vermisst, der Zeugenaussagen zufolge sogar im Lake Powell versunken sein soll, dort aber nie entdeckt werden konnte. Außerdem tauchen nach und nach Personen auf, die in irgendeiner Weise mehr zu wissen scheinen, als sie eigentlich preisgeben. Darunter befindet sich neben der leicht hysterischen Theodora Adams auch der mittlerweihe zum Priester ausgerufene Sohn Tsos, Benjamin Tso, dessen Rückkehr ebenfalls unter unerklärlichen Umständen vor sich ging.

Was haben all diese Leute mit dem Mord am Navajo-Weisen zu tun? Welche Rolle spielt der untergetauchte Raser, der eine Brille mit breitem Goldrand trägt? Was weiß „Listening Woman“ Magaret Cigaret wirklich? Und in welchem Zusammenhang stehen diese Vorfälle mit dem Verschwinden des Hubschraubers? Joe Leaphorn macht sich auf einen langen Weg in die Tiefen der Canyons, um Antworten auf diese Fragen zu finden, erkennt jedoch viel zu spät, in welche Gefahr er sich da begeben hat …

_Betrachtungen_

Eines bleibt direkt mal festzuhalten: Von der gesamten Erzählweise her ist „Das Labyrinth der Geister“ wirklich einzigartig. Hillerman verschafft uns Einblicke in eine ganz andere Welt, in für uns schwer zu verstehende Bräuche und Traditionen, in eine Welt, in der Liebe und Hass oft miteinander einhergehen – und in eine Welt, die vor aktuellen Problemen und dem Verbrechen nicht geschützt ist.

Dabei gefällt Hillermans einfacher und doch aussagekräftiger Schreibstil von Anfang an. Jedoch braucht man schon ein paar Seiten, bis man sich mit den ersten Fakten so richtig vertraut machen kann. Der Autor beginnt seine Erzählung nämlich direkt mitten im Geschehen, erspart sich also eine Vorstellung der Charaktere und eine dementsprechende Einleitung voll und ganz. Dies geschieht indes im weiteren Verlauf, und genau dies erschwert manchmal auch den Zugang zur Geschichte. Das eigentliche, dann aber auch einzige Problem ist, dass wichtige Charaktere, die quasi die Handlung prägen und schlussendlich auch entscheiden, erst sehr spät ins Geschehen eingreifen, wohingegen manche anfänglichen Dialoge rückblickend betrachtet vollkommen unwichtig erscheinen. So kommt Hillerman gerade zur Mitte hin ein wenig ins Schwanken, denn auf einmal stehen völlig neue Handlungsträger im Mittelpunkt, und sie alle plus die Zusammenhänge mit gewisssen Vorfällen werden auf engem Raum vorgestellt. Hier hätte Hillerman sich besser mehr Zeit, sprich mehr Seiten gegönnt, denn es wirkt zwischendurch schon einmal ein wenig hektisch.

Die Idee an sich, die Charaktere nach und nach vorzustellen, finde ich hingegen gar nicht schlecht, und es stellt sich für den spannungsvollen Verlauf im Endeffekt sogar als wertvoll heraus, genau so vorzugehen, nur hätte ein wenig Ausschmückung der Sache gut getan.
Davon abgesehen ist „Das Labyrinth der Geister“ ein echter Glücksfall von einem Griff ins Buchregal. Die Story nimmt wirklich sehr breit gefächerte Ausmaße an, von denen man selbst nach hundert Seiten noch nicht viel erahnen könnte. Hier spielen so viele Einzelheiten und Vertrickungen zusammen, dass man die komplexe Handlung erst nach und nach versteht, doch Hillerman gelingt es durch seine wirklich spannende Erzählweise, den Hörer bei der Stange zu halten, so dass man die Hände einfach nicht von diesem Buch lassen kann. Besonders zum Ende hin, als sich die Sache dann aufklärt (?) – ich will nicht zu viel verraten – kommt man gar nicht mehr vom „Labyrinth der Geister“ los und liest die letzten hundert Seiten mit absoluter Hingabe.

Lediglich die Tatsache, dass Hillerman in seinen Beschreibungen ab und zu ein wenig zu übertreiben gedenkt und manchmal einfach zu viele Zufälle gleichzeitig auftreten, wirkt seltsam, fällt aber auch nicht wirklich negativ ins Gewicht. Stattdessen überwiegt der Eindruck, eine sehr gut durchdachte, erst zum Ende voll überschaubare und einfach mitreißende Geschichte gelesen zu haben, die man sich zum Taschenbuch-Preis von knapp neun €uronen ruhigen Gewissens zulegen darf. Ich jedenfalls habe in Sachen Krimi selten eine so gute Geschichte aufgesogen.

Wilkinson, Paul – Pompeji: Der letzte Tag

Ein Blick in die Alltagsgeschichte der beiden kampanisch-antikrömischen Hafenstädte Pompeji und Herculaneum, ermöglicht nach deren Konservierung durch eine viele Meter dicke Schicht aus Lava, Geröll und Staub, ausgeschüttet vom Vulkan Vesuv. Die Zeit blieb buchstäblich stehen am 24. August des Jahres 79 n. Chr., Straßen, Gebäude, Inneneinrichtungen, sogar die Bewohner erstarrten im Augenblick des Endes: eine Momentaufnahme der Vergangenheit, eine archäologische Schatzkammer, die schier unergründlich ist.

„Einführung“ (S. 7-21): Pompeji und Herculaneum blickten vor der Katastrophe auf eine mehrhundertjährige Geschichte zurück. Gegründet schon lange vor Entstehung des Römischen Reiches, hatten sie sich – günstig am Golf von Neapel gelegen – zu Drehscheiben im Handel zwischen Italien, Griechenland und Ägypten entwickelt. Um 62 n. Chr. lebten in Pompeji etwa 10.000 bis 15.000 Menschen. In diesem Jahr wurde die Region von einem Erdbeben heimgesucht, das Herculaneum vollständig und Pompeji teilweise zerstörte: eine erste, freilich unverstandene Warnung der Natur, dass man hier auf schwankendem Grund gebaut hatte.

„Kapitel Eins: Das Leben vor dem Tode“ (S. 22-51): Der letzte Tag vom Pompeji – ein minuziöses Protokoll der letzten Stunden, zugleich eine Schilderung typischer Tagesabläufe in einer römischen Provinzstadt. Aufstehen nach der Nachtruhe, Toilette, Frühstück; Hausarbeit, Berufsalltag, Markthandel, Verwaltung, Justiz, Politik; emsiges Schuften der Sklaven, fleißiges Arbeiten der Handwerker, Händler und sonstigen Dienstleister, müßiges Repräsentieren der Oberschicht; in ihrer Kaserne trainieren die Gladiatoren für ihren Kampf in der Arena, Schauspieler proben für den abendlichen Theaterauftritt, in diversen Tempeln leisten Priester Gottesdienste: Der Verfasser schildert das Funktionieren einer alten, aber gar nicht so fremden, sichtlich in sich ruhenden, lebendigen und stabilen Welt.

„Kapitel Zwei: Göttergewalten“ ‚(S. 52-73): In den Mittagsstunden des 24. August 79 n. Chr. kommt es zur Apokalypse. Der Vulkan Vesuv liegt zehn Kilometer von Pompeji und sieben Kilometer von Herculaneum entfernt. So lange die Bewohner zurückdenken können, ist er ruhig geblieben; man hält ihn für erloschen. Doch nun bricht er urplötzlich und mit vernichtender Gewalt aus. Plinius der Ältere, Admiral der römischen Flotte im Hafen von Misenum und der berühmteste Naturwissenschaftler seiner Zeit, lässt sich bis ins Zentrum des Geschehens bringen. Er wird zum Opfer seiner Wissbegier, aber sein gleichnamiger Neffe, der ihn begleitet hat, kann entkommen und liefert einen eindrucksvollen und präzisen Augenzeugenbericht, der inzwischen durch Forschungen ergänzt wurde. Sechs vulkanische Feuer- und Schuttwalzen ebnen Herculaneum völlig ein und begraben Pompeji. Die Bürger haben keine Chance zu entkommen.

„Kapitel Drei: Die Freilegung der versunkenen Städte“ (S. 74-97): Fast ein Dreivierteljahrtausend lagen Pompeji und Herculaneum in ihrem grotesken Dornröschenschlaf und gerieten in Vergessenheit. Kurz nacheinander wurden sie im frühen 18. Jahrhundert „wiederentdeckt“ – und zunächst grob ausgeplündert. Erst allmählich und parallel zur Entwicklung der Archäologie als Wissenschaft bildete sich ein Bewusstsein für den historischen Wert der beiden Städte, der den finanziellen weit übertraf. Allein der Bestand bisher unbekannter Buchwerke der Antike ist eine einmalige Bereicherung des Wissens über diese Zeit. Bis heute werden die systematischen Ausgrabungen fortgesetzt, während die Verfeinerungen der archäologischen Methoden den Erkenntnisstand sprunghaft anwachsen lassen. Pompeji überstand inzwischen auch eine dritte Katastrophe: 1943 wurden seine Ruinen von der US-Luftwaffe bombardiert, die hier deutsche Soldaten verschanzt wähnten …

„Kapitel Vier: Die öffentlichen Gebäude“ (S. 98-139): Etwa sechzig Prozent der sechzig Hektar umfassenden Stadtfläche von Pompeji sind inzwischen freigelegt. Während sich die Ausgräber früher auf die Einzelfunde konzentrierten, weitet sich heute der Blick auf Pompeji in seiner Gesamtheit. Dieses Kapitel beschreibt das Stadtbild mit seinen Straßen, Toren, der Stadtmauer, dem Bewässerungs- und Abwassersystem, informiert über das verwendete Baumaterial, um sich dann den wichtigsten öffentlichen Bauten – Forum, die Tempel des Jupiter, des Apollon, des Vespasian, das Handelshaus der Oberpriesterin Eumachia, der Fisch- und Fleischmarkt, die Thermen (nicht zu vergessen über dreizig Bordelle …) usw. – zu widmen.

„Kapitel Fünf: Die Wohnhäuser“ (S. 140-159): Selten ist es möglich, sich so gut wie in Pompeji oder Herculaneum ein Bild darüber zu machen, wie der „Privatmensch“ in antiken Zeiten wohnte und lebte. In den versunkenen Städten blieben die Innenausstattung – Möbel, Haushaltsgegenstände, Schmuck etc. – und die wunderbaren Wandmosaiken sowie –malereien bewahrt. Für viele Wohnhäuser und Villen ließen sich sogar die Namen ihrer Bewohner ermitteln. Ebenfalls erhalten haben sich eindrucksvolle Gartenanlagen mit Zierbassins und Springbrunnen.

„Kapitel Sechs: Ein Rundgang durch Pompeji“ (S. 160-184): Noch einmal greift der Autor die besonders bedeutenden, schönsten und tragischen Stätten Pompejis auf. Mit kurzen Kommentaren versehen, stellt er sie zu einem Rundgang zusammen, der den heutigen Besucher mit allen Aspekten der antiken Stadtgemeinde vertraut macht. Dazu gibt es einen doppelseitigen Plan, der ein Bild der Topografie insgesamt vermittelt. Abschließend macht ein Glossar mit wichtigen römischen Fachtermini der römischen Stadtgeschichte vertraut. Wer sich intensiver informieren möchte, kann dies mit Hilfe einer Bibliografie tun. Ein Register erleichtert es, bestimmte Namen, Orte und Sachverhalten noch einmal nachzuschlagen.

„Pompeji – The Last Day“ ist das Buch zur gleichnamigen [BBC-Fernsehreihe]http://www.bbc.co.uk/history/programmes/pompeii von 2003, einem jener bemerkenswerten TV-Sachspektakel, die dieser Sender ebenso publikumswirksam wie themenbezogen immer wieder zu entfesseln weiß. Während die Sendung mit perfekter Tricktechnik und enormem Schauspielereinsatz „Geschichte live“ zu bieten versucht, geht das Buch einen anderen Weg: Es beschränkt sich auf die echten Relikte von Pompeji, die sich sehen und anfassen lassen.

Die sind so reich an Zahl, Form und Farbe, dass sich mit ihnen problemlos ein Buch wie dieses nicht nur illustrieren lässt. Stattdessen wird das antike Pompeji wieder lebendig – und zwar als Ort, an dem Menschen lebten, arbeiteten, sich amüsierten. Normalerweise wirken Relikte aus alter Zeit steril, weil sie nur schmale Ausschnitte der Vergangenheit rekonstruierbar machen. In Pompeji ist jedoch jeder Aspekt noch fassbar, wird das (allzu) Menschliche offenkundig.

Auf den Hauswänden stehen Namen, Warnungen („Hüte dich vor dem Hund!“) Wahlkampfparolen, Werbesprüche, anzügliche Graffitis („Netzkämpfer Crescens ist der Herr, der den Mädchen ihre Medizin für die Nacht verabreicht.“), in den Tavernen stehen Trinkgefäße und Knabberzeug noch auf den Tischen – und überall liegen die erschlagenen, verbrannten, erstickten Menschen: Asche und Schutt haben die Hohlformen ihrer verwesten Körper so perfekt erhalten, dass man diese mit eingefülltem Gips dreidimensional im Moment ihres Todes neu erstehen lassen kann; ein beklemmender Anblick, Männer, Frauen und Kinder nach zwei Jahrtausenden noch mit dem letzten Stück Brot, dem Geldbeutel oder dem Enkelkind in den Händen zu erblicken.

„Pompeji – Der letzte Tag“ ist ein hervorragender Einstieg in die Materie. Auf 192 Seiten wird Kompaktwissen vermittelt, ohne dass sich der Leser überfordert fühlt. Dazu trägt die sichtbare Einheit von Wort und Bild bei: Die Abbildungen sind fotografisch und in der Wiedergabe großartig; das gesamte Buch besteht aus qualitätvollen Kunstdruckpapier. Der Verfasser befleißigt sich jenes leichten Erzähltons, der allgemein verständlich ist, ohne darüber die grundsätzlichen Infos jemals vermissen zu lassen. Für veranschaulichende Episoden und Anekdoten ist immer Raum. Aktuell ist das Werk natürlich auch. Es berücksichtigt den derzeitigen Forschungsstand.

(Dr.) Paul Wilkinson ist Klassischer Archäologe. Nach seiner Promotion ging er zwei Jahre nach Pompeji und Herculaneum, um an den dortigen Ausgrabungen und Forschungen teilzunehmen. Da es mit den Berufsaussichten „im Fach“ nicht zum Besten stand, machte sich Wilkinson selbstständig. Er leitet die [Kent Archaelogical Field School]http://www.sedwards.demon.co.uk/kafs/index.html und führt archäologische Reisen und Kurse durch, wobei sich Letztere vor allem mit der praktischen Seite der Archäologie beschäftigen. Ansonsten schreibt Wilkinson für das „BBC History Magazine“, „History Today“ oder die „Sunday Times“ und ist Redakteur von BBC-TV-Serien wie „Time Team“ oder „Pompeji – The Last Day“.

Szerb, Antal – Reise im Mondlicht

|“Ich mag Menschen nicht, die nicht so sind wie andere Menschen. Schon die anderen Menschen sind widerlich genug. Und erst noch die, die nicht so sind.“|

_Honeymoon_

Schon auf ihrer Hochzeitsreise tun sich die ersten Abgründe zwischen Mihály und Erzsi auf: In einer Nacht in Venedig verläuft Mihály sich so lange in den Gässchen der Lagunenstadt, dass er erst morgens zu seiner frisch angetrauten Frau zurückkehren kann, und in Ravenna schließlich wird Mihály von seiner Vergangenheit eingeholt. Die byzantinischen Mosaiken rufen nämlich Erinnerungen an seine Jugendfreunde Tamás und Éva Ulpius wach, die ihn sehr verwirren. Kurz darauf taucht János Szepetneki auf, der ebenfalls zum früheren Freundeskreis gehört hat.

Nach dem Zusammentreffen mit János erzählt Mihály seiner Frau einiges über seine ehemaligen Freunde aus dem Ulpius-Haus, zu denen neben Tamás, Éva und János auch Ervin gehört hat, der damals vom Judentum zum Katholizismus übergetreten war. János glaubt nun, dass Ervin als Mönch in Umbrien oder der Toskana lebt, Tamás dagegen hatte sich damals selbst umgebracht, bevor er richtig erwachsen werden konnte.

Nach einem Brief von Erzsis erstem Ehemann Zoltán, in welchem dieser seinem Nachfolger Tipps für das Zusammenleben mit Erzsi gibt, fürchtet Mihály, seine Frau zu verlieren, da er ihr nicht den Luxus und die Sicherheit geben kann, die sie von Zoltán gewöhnt ist. Auf der Zugfahrt nach Rom beschließt Mihály, während eines Zwischenstopps einen Kaffee zu trinken. Als er den Zug weiterfahren sieht, springt er noch schnell auf, stellt allerdings zu spät fest, dass er sich im falschen Zug befindet. Dieser bringt ihn nach Perugia, wo Mihály eine ganz andere Reise antreten wird – eine, die ihn in seine eigene Vergangenheit und zu sich selbst führen wird …

_Eine Reise ins Ich_

„Reise im Mondlicht“ überzeugt in erster Linie, weil dieses Buch von ganz alltäglichen Dingen berichtet, von Selbstzweifeln eines fehlerhaften Helden, der nicht erwachsen werden mag und immer noch seinen Jugendfreunden und -erinnerungen hinterhertrauert. Antal Szerb erzählt in wunderbaren Worten eine einfache Geschichte, die großartig zu unterhalten weiß, weil man sich auf den Seiten wiederfinden kann und Szerb die Sorgen des Helden so darzustellen weiß, dass man sich mit ihnen identifizieren und sie miterleiden kann.

Schon auf der ersten Seite wird der Abgrund deutlich, der sich unweigerlich zwischen Mihály und Erzsi auftun muss, denn Mihály ist noch gar nicht reif, um die Verantwortung für seine Ehefrau und ihre Lebensgemeinschaft zu übernehmen. Von Kleinigkeiten und winzigen Gedanken lässt er sich ablenken; so benötigt es nur die kleinen Gässchen Venedigs, um ihn eine ganze Nacht lang während der Flitterwochen von Erzsi fernzuhalten. Schon Zoltáns Brief weckt solch starke Zweifel in Mihály, dass er praktisch das Ende seiner Ehe vorhersieht. Eine starke Bindung kann der Leser zwischen den beiden kaum erkennen, auch wenn Erzsi an der Ehe festhalten möchte, selbst nachdem Mihály nicht gedenkt, ihr nach Rom nachzureisen und die Zeit und Gelegenheit lieber nutzt, um eine Entdeckungsreise auf eigene Faust zu unternehmen.

Szerb erzählt auf großartige Weise eine Geschichte, die man einfach lieb gewinnen muss. Feine Ironie und gute Beobachtungsgabe zeichnen diesen Roman ebenso aus wie elegante Sprache und kuriose Begebenheiten, die die Erzählung scheinbar zufällig in eine bestimmte Richtung lenken. So lässt Szerb immer wieder Kleinigkeiten passieren, die dem Geschehen eine ganz neue Wendung geben und Mihály manchmal wie eine Schachfigur wirken lassen, die in einem größeren Spiel eingesetzt wird, welches andere Mächte für ihn entscheiden werden. Die Situationen entlocken uns dabei häufig ein Lächeln, wenn Mihály beispielsweise schusselig auf den falschen Zug aufspringt, sich aber schnell damit anfreundet, alleine Perugia zu erkunden und seine Ehe erst einmal auf Eis zu legen.

Derlei Dinge mögen einem vielleicht unwahrscheinlich erscheinen, sicherlich sind sie etwas überspitzt, aber hegen wir ähnliche Gedanken nicht zwischendurch alle einmal? Ist der Gedanke daran, sein altes Leben hinter sich zu lassen und neu zu beginnen, nicht völlig normal? Mihály lebt ihn schließlich für uns aus, weil er anders nicht sein Glück finden kann, und wir befinden uns in der glücklichen Lage, ihn auf dieser Reise begleiten zu dürfen. So tauchen wir in eine Welt ein, in der vieles möglich wird, und wir müssen sehen, welche Konsequenzen das Abwenden vom gewohnten Leben mit sich bringen kann. Auf diese Weise können wir von Mihály und seinen Fehlern vielleicht sogar noch lernen.

Aber dieses Buch hat noch mehr zu bieten, denn die gesamte Handlung spielt sich an traumhaft schönen Schauplätzen zunächst in Italien und später auch in Paris ab, die ihren ganz eigenen Reiz haben und ebenfalls zum Lesegenuss beitragen. Hierbei und auch bei den nostalgisch gefärbten Jugenderinnerungen Mihálys umschifft Szerb jedoch gekonnt jegliche kitschigen Klischees, die bei derlei Ausführungen so leicht auftauchen könnten.

_Alltagshelden_

In dieser Geschichte liegt einiges im Argen; jeder der Protagonisten offenbart seine guten wie auch schlechten Eigenschaften, Gut und Böse werden jedoch nie schwarz-weiß gezeichnet, die Grenzen dazwischen bleiben verwaschen. Im Zentrum steht natürlich Mihály, den wir auf seiner Reise begleiten. Auf den ersten Blick scheint er ziellos umherzuirren und lediglich vor seinem Leben und seiner Ehe zu fliehen, doch unweigerlich läuft alles auf eine Begegnung mit der eigenen Vergangenheit hinaus. So erahnt Mihály bald Ervins Aufenthaltsort und trifft ihn tatsächlich wieder. Die beiden unterhalten sich und Mihály muss erkennen, wie sehr sein alter Freund sich durch den Klosteralltag verändert hat, dennoch scheint er mit sich im Reinen zu liegen, wovon Mihály weit entfernt ist. Ervin kann seinem Freund noch einen guten Rat auf den Weg geben, doch wird es bei dieser einen Begegnung der beiden Jugendfreunde bleiben.

Mihály begibt sich nach Rom, um dort dem Schicksal seinen Lauf zu lassen. Immer hofft er auf ein zufälliges Zusammentreffen mit Éva, das selbstverständlich eintreten wird. Während seiner Wartezeit muss Mihály erkennen, wie wenig er doch seine eigene Vergangenheit verarbeitet hat, die er für abgeschlossen hielt. Unser Romanheld wird von kräftigen Schicksalsschlägen getroffen; schnell geht ihm das Geld aus, von seinem Bruder aus Ungarn erhält er einen Brief, der seine baldige Rückkehr einfordern will, und auch einen schweren Zusammenbruch mit anschließendem Krankenhausaufenthalt muss Mihály überstehen. Mihály ist alles andere als perfekt, und obwohl er seine Frau frühzeitig sitzen gelassen hat, obwohl sie ihm zuliebe doch ihren ersten Ehemann verlassen hat, wächst er uns ans Herz, sodass wir ihm wünschen, dass er endlich seinen Weg findet und glücklich werden möge.

Derweil sucht Erzsi alleine in Rom ihr Glück und trifft bald János Szepetneki wieder, der schließlich den Vermittler für Zoltán spielen wird. Zunächst hofft Erzsi noch auf Mihálys Rückkehr, doch muss sie bald einsehen, dass damit nicht zu rechnen ist. Dennoch will sie die Hoffnung auf eine Versöhnung nicht aufgeben. In der notwendigen Sparsamkeit geht sie vorerst völlig auf, da sie diese in der Ehe mit Zoltán so vermisst hat, aber schließlich sind es dann die Männer, die Erzsi lenken und ihre Geschicke für sie leiten. Solcherart erscheint uns Erzsi ein wenig als Spielball der Geschichte, dennoch verleiht Szerb natürlich auch ihr Merkmale, die sie liebenswert machen und stark erscheinen lassen können.

Zoltán erhält die Rolle des liebeskranken verlassenen Ehemanns, der zwar in Mihály keine bedrohliche Konkurrenz gesehen hat, jedoch in allen Männern, die Erzsi in Rom und später auch in Paris treffen würde. Um Erzsi zurückzugewinnen, erniedrigt sich Zoltán und will alles in seiner Macht Stehende tun, allerdings kommen dem Leser auch Zweifel, ob es wirklich um die Liebe geht oder einfach nur um den dabei zu erringenden Sieg?!

Antal Szerb zeichnet durchweg glaubwürdige Charaktere, die von vielen Seiten beleuchtet werden, um sie menschlich wirken zu lassen und eine Identifikation zu ermöglichen. Die Sympathien sind jedoch klar verteilt, denn als Leser hängt man sein Herz an Mihály, der kurz vor dem Abgrund zu stehen scheint.

_Traumwelten und Schuldzuweisungen_

Schon die Erlebnisse im Ulpius-Haus entscheiden über Mihálys Zukunft, in den Flitterwochen schließlich wird er von seinen Erinnerungen überrollt. Mit den Ulpius-Geschwistern konnte Mihály beim Theaterspiel viele Träume ausleben und Dinge geschehen machen, die im wirklichen Leben nicht möglich erschienen. Mit großer Hingabe sind die damaligen Freunde in unterschiedliche Rollen geschlüpft, die sicherlich charakteristisch für die Schauspieler waren. Mit Tamás und Éva war nichts unmöglich und in dieses Bild passt auch Tamás’ Selbstmord, der ihn vor einer Zukunft bewahrt hat, in der er sich unweigerlich von seinen Traumvorstellungen hätte lösen und Verantwortung für sich und andere hätte übernehmen müssen.

In etwas naiver Manier schafft Mihály es, sämtliche Schuld von sich zu weisen, immer sind es die kleinen Momente, die für ihn entschieden haben. In Venedig sind es die unübersichtlichen Gassen, in denen er sich verläuft, auf der Fahrt nach Rom ist der Zug schuld, der zu früh abfährt, und später ist es Ervin, der die Entscheidung für Mihály trifft und ihn nach Rom schickt. Nur selten scheint Mihály bewusst Entscheidungen für sein Leben zu treffen und so passt besonders das gelungene Buchende perfekt in das Gesamtbild.

_Klein, aber fein_

Antal Szerb benötigt weder Mord noch Totschlag und auch keine perfekten Charaktere, um eine absolut gelungene Geschichte zu präsentieren. Gerade die Fehler des Romanhelden sind es, die den Leser schmunzeln lassen und eine Identifikation ermöglichen. Auf jeder Seite fiebert man mit und wünscht Mihály so sehr, dass er endlich sein Glück finden möge, doch geschehen immer wieder Dinge, die seine Geschicke für ihn lenken. Auch sprachlich ist „Reise im Mondlicht“ eine erfreuliche Abwechslung vom oft anzutreffenden literarischen Einheitsbrei der „Massenschreiber“; jeder Zeile merkt man an, dass ein Literaturprofessor am Werke war, der die Sprache liebt – so macht das Lesen richtig Spaß. „Reise im Mondlicht“ ist ein Muss für jeden Buchliebhaber, der sich an den Kleinigkeiten erfreuen kann, an feiner Ironie und wunderbaren Sätzen, die eine liebevolle Geschichte von Alltagsmenschen erzählen. Dieses Buch ist einfach großartig!

http://www.dtv.de

|Ergänzend dazu: Michael Matzers [Rezension der Hörbuchfassung 2724

Hoffmann, Markolf – Flammenbucht (Das Zeitalter der Wandlung 2)

Das |Zeitalter der Wandlung|:
Band 1: [Nebelriss 473
Band 2: _Flammenbucht_
Band 3: [Schattenbruch 2288
Band 4: [Splitternest 4027

Mit „Nebelriss“ präsentierte der deutsche Autor Markolf Hoffmann den ersten Band seiner Tetralogie „Das Zeitalter der Wandlung“. In der „Flammenbucht“ der Insel Fareghi geht die spannende Geschichte weiter, die durch lebensechte Charaktere mit nachvollziehbaren Motivationen und die Sprachgewandtheit des Autors glänzen kann. Freunde von George R. R. Martin und seinem „Lied von Eis und Feuer“ werden den recht ähnlichen Stil der komplexen Geschichte mit ihren zahlreichen Charakteren schätzen.

_Das Zeitalter der Wandlung_

Die Welt Gharax wird im Norden von mehreren Königreichen, unter ihnen das Großreich Arphat, beherrscht, während im Süden das Kaiserreich Sithar sich in jahrhundertelangen Konflikten immer wieder der Herrschaftsansprüche Arphats erwehren musste. Doch diese kleinlichen Konflikte verblassen angesichts der Bedrohung durch die Goldéi, eine in Magie und Kriegskunst fortschrittliche Rasse, deren Überlegenheit so groß ist, dass sich ihnen sogar der stolze König Eshandrom von Kathyga unterworfen hat.

Das Ziel der Goldéi scheint nicht Reichtum oder weltliche Macht zu sein, denn sie erobern gezielt die Quellen der Magie, die einst von dem legendären Zauberer Durta Slargin gebändigt und nutzbar gemacht wurden. Diese sorgen für Regen, gute Ernte, lenken Meeresströme und ermöglichen alle bekannten Formen der Magie auf Gharax. Der Magierschüler Laghanos gerät in die Hände der Goldéi, die sein Gesicht mit einer goldenen Maske verunstalten, die ihm Schmerzen bereitet, aber auch eine ihm selbst noch nicht vollständig bekannte Macht über die Quellen gibt. Zwar wird er befreit, aber er gerät über die zersplitterten Magierlogen, die ihm weniger helfen denn sich seine Macht zunutze machen wollen, in die Hände einer Sekte, die „Mondschlund“, einen als Blender und Verräter verschrienen ehemaligen Weggefährten Durta Slargins, verehrt.

Währendessen gelingt es Fürst Baniter Geneder, den schwachen Kaiser Akendor zu einem Bündnis mit Arphat gegen diese seltsamen Wesen zu überreden. Was weder der Kaiser noch der „Silberne Kreis“, sein Thronrat bestehend aus den Fürsten Sithars, der die wahre Regierungsmacht darstellt, wissen, ist dass Baniter Königin Inthara von Arphat eine Hochzeit mit Akendor und damit eine Vereinigung beider Reiche schmackhaft gemacht hat. Doch während Baniter in Arphat seine nicht uneigennützigen Ränke spinnt, die zudem von Erfolg gekrönt scheinen, ändert sich in Sithar die Lage dramatisch: Kaiser Akendor wird ironischerweise infolge eines Nebenaspekts von Baniters Plan abgesetzt und für tot erklärt, obwohl er in Wahrheit aus dem Kerker entkommen kann. Sein Sohn Uliman wird aus Troublinien zurückgeholt und neuer Kaiser von Sithar. Doch dieser lässt sich nicht so leicht vom „Silbernen Kreis“ bevormunden, schlimmer noch, er wurde in der Magie ausgebildet und steht unter dem Einfluss der Magier.

Während es in Sithar zu Glaubenskriegen kommt und Nhordukael als Hohepriester der Aufständigen erfolgreich die Macht der nun gespaltenen Kirche des Tathril zerschlägt und auch dem kaiserlichen Heer Verluste zufügt, setzen die Goldéi ihren Eroberungsfeldzug fort und erobern Städte in Arphat.

An ganz anderer Stelle erkunden der troublinische Großmerkant Aelarian Truarc und sein Diener Cornbrunn die Lage: Der Leuchtturm von Fareghi, ebenfalls eine Quelle der Magie, ist unter die Kontrolle von Goldéi-Verbündeten geraten. Ohne ihn kann das Silbermeer nicht sicher befahren werden – eine Katastrophe für die gesamte Menschheit. Doch die beiden finden die Hintergründe der Invasion der Goldéi heraus und geraten unter den Einfluss von Mondschlund …

_Komplex, aber leider auch verzettelt_

Markolf Hoffmanns Markenzeichen ist seine sprachliche Finesse. Seine Figuren werden bereits durch ihre Sprachweise treffend charakterisiert; so merkt man Fürst Baniter seine Gerissenheit an, nicht umsonst wird er der „Luchs von Ganata“ genannt, während sich Laghanos Zweifel und Furcht sowie seine jugendliche Unerfahrenheit in diesem großen Ränkespiel auch in seinen Worten niederschlagen. Dabei verfällt er nicht in die bombastische und künstliche Phrasendrescherei, die man so oft als Wortgewandtheit verkauft bekommt.

Die Geschichte ist sehr komplex, es gibt zahllose Charaktere anstelle einer einzelnen dominanten Hauptfigur. Dies erinnert stark an George R. R. Martin, der einen ähnlichen Ansatz für sein „Lied von Eis und Feuer“ wählte. Dieser Ansatz gewährleistet glaubhafte, lebensechte Figuren und eine weniger märchenhafte, sondern real erscheinende Handlung.

Doch leider hat diese Methode er auch einen Nachteil, der sich in „Flammenbucht“ leider bemerkbar macht: Die Handlung ist so komplex, dass sie nur schleppend vorankommt, die häufigen Orts- und Personenwechsel sorgen zwar für Abwechslung, aber die Einflechtung neuer Handlungsstränge, die oft in keinen Zusammenhang zu den Ereignissen zu stehen scheinen, kann verwirren und stören. Zumal mir die Nebenhandlung um die blonde Meuchlerin und Leibwächterin Ashnada nicht gerade gefiel, sie war geradezu trivial, ein Gegensatz zu der sonst so ausgefeilten Welt. Ebenso ist der eher hilflose Laghanos bedingt durch diese Hilflosigkeit ein echter Langweiler; dabei kann man davon ausgehen, dass er in Zukunft eine der wichtigsten Figuren sein wird – in diesem Buch kommt er nur selten zum Zug. Während die Handlung im Kaiserreich nach wie vor auf hohem Niveau bleibt, wird mit den so genannten „Südseglern“ – einem Haufen in seltsamen Reimen redender Seefahrer, die einen vermuteten Südkontinent suchen – ein neuer Handlungsstrang eröffnet, über dessen Bedeutung man leider nur spekulieren kann. Hier lässt sich Hoffmann leider auf eine klischeehafte Mystifizierung durch Geheimnistuerei und die erwähnten lächerlichen Reime ein, ein geradezu fantasytypisches Klischee, das in meinen Augen eher eine ideenlose Lösung darstellt. Warum hat er sich diese Südsegler nicht einfach erspart, denn wirklich aktiv werden sie in diesem Buch ohnehin nicht, und ihr gesamtes künstliches Gehabe wäre überflüssig geworden.

Gelungen hingegen ist das Duo Aelarian Truarc und Cornbrunn. Der Großmerkant und sein Diener bringen den nötigen Humor in die Handlung, der in „Nebelriss“ fehlte. Ihre beiden Kieselfresser Grimm und Knauf entwickeln sich mitsamt ihren Herrchen zu echten Sympathieträgern. Sie bringen auch Licht in die dunklen Hintergründe der Goldéi-Invasion und lösen so manches Geheimnis auf. Doch leider wird die Geschichte von Durta Slargin und Mondschlund sowie der Verbindung zu den Goldéi etwas platt erzählt – eben einfach nur nacherzählt anstelle von erfahren.

Erwähnenswert ist ein im Prolog der Geschichte erwähnter Leitgedanke: Ist jede Stadt, die von Menschenhand errichtet wurde, dem Untergang geweiht? Diesen Gedanken verfolgt Hoffmann durch die Geschichte anhand legendärer Städte, über die das Unglück durch ihre eigenen Bewohner heraufbeschworen wurde – ein Schicksal, das einige große Städte Arphats und Sithars in diesem Buch teilen werden. Ein Gedanke, der im weiteren Handlungsverlauf auch hinsichtlich der Goldéi-Invasion eine tragische Wahrheit darstellt …

_Fazit:_ „Flammenbucht“ kann mit sprachlicher Gewandtheit, starken Charakteren, einer faszinierenden, komplexen Story und Welt weit abseits bekannter Klischees glänzen. Im Gegensatz zu „Nebelriss“ kommt auch der Humor nicht zu kurz. Leider hat sich Hoffmann mit den vielen Handlungssträngen verzettelt, dafür kamen wichtige zu kurz. Die Handlung wird immer komplexer und vielschichtiger, doch sie tritt leider auch auf der Stelle. Aber die Geschichte ist einfach zu gut, um lange darüber zu hadern. Auch dieses Buch endet wie bereits „Nebelriss“ mit einem Cliffhanger; der Folgeband „Schattenbruch“ wird vermutlich in zwei Bände aufgeteilt und schließt die Saga somit als Tetralogie ab. Wer G. R. R. Martin liebt, wird auch Markolf Hoffmanns „Zeitalter der Wandlung“ schätzen.

Auf der [Homepage]http://www.nebelriss.de/ von Markolf Hoffmann kann man Probekapitel von „Nebelriss“ und „Flammenbucht“ lesen, ebenso findet man weitere Informationen über die Welt Gharax und den Autor selbst.

Calvo Poyato, José – Geheimnis der Schwarzen Bibel, Das

Eine Geschichte, die einem alten Menschheitswunsch nachjagt. Ein Geheimnis, das über Jahrhunderte gehütet wurde. Ein rätselhaftes Buch, das ein mysteriöses Geheimnis trägt, das die Weltordnung bedroht. Das sind die vielversprechenden Zutaten des spanischen Bestsellers „Das Geheimnis der Schwarzen Bibel“.

Die Geschichte beginnt im 15. Jahrhundert in Toledo. Ein Fremder betritt den Laden des Amtschreibers und Buchhändlers Santiago Díaz und verkauft ihm ein Buch mit einem sonderbaren Messingeinband. Wenig später wird der Fremde ermordet aufgefunden. Santiago Díaz ahnt, dass ein Zusammenhang zwischen dem Tod und dem Buch besteht und stellt zusammen mit Freunden Nachforschungen an. Wenig später ist auch der Buchhändler tot. Doch einem Freund gelingt es, das Buch zu verstecken und sein Geheimnis zu entschlüsseln: Es enthält eine hochkomplizierte Anleitung, die erklärt, wie sich aus einfachem Blei reinstes Gold herstellen lässt.

Das Geheimnis wird innerhalb der Familie weitergereicht, von einer Generation zur nächsten, bis im 17. Jahrhundert die Inquisition darauf aufmerksam wird. Die Familie wird zum Tode verurteilt, doch das Buch bleibt verschollen, bis es fünf Jahrhunderte später bei den Bauarbeiten zu einer Tiefgarage in Toledo wieder auftaucht. Ein spektakulärer Fund, auf den schon bald Geheimdienste und Mafia aufmerksam werden. Jeder jagt dem Buch hinterher und einige sind sogar bereit, dafür über Leichen zu gehen …

Die Rahmenhandlung klingt zunächst ausgesprochen vielversprechend und scheint alle Zutaten zu enthalten, die es für einen spannenden Roman braucht. Ein näherer Blick relativiert das Ganze dann allerdings schon wieder ein wenig. Ein Aspekt, der im ersten Moment noch recht reizvoll erscheint, nämlich das Ausdehnen der Handlung über mehrere Jahrhunderte, sorgt in der Praxis für einen etwas unangenehmen Nebeneffekt. Es gibt haufenweise Figuren, die sich über unterschiedliche Handlungsebenen verteilen.

Drei verschiedene Epochen mit jeweils unterschiedlichen Handelnden, da entsteht natürlich leider auch kaum eine Bindung zwischen Figuren und Leser, auch wenn sich mit Blick auf die Zeitebenen durchaus ein Schwerpunkt ausmachen lässt. Der größte Teil der Geschichte spielt in der Gegenwart, Handlungen aus der Vergangenheit werden eher in Form von ausgiebigen Rückblenden eingeschoben. Dennoch bleiben die unterschiedlichen Handlungsebenen auch eine leichte Schwäche. Bevor man die Figuren richtig kennen lernt, ist die Handlung auch schon eine Epoche weitergewandert, die vermeintliche Hauptfigur aus dem Blickfeld des Lesers verschwunden. Das geht ein wenig zu Lasten der Spannung, denn mit den Figuren mitfiebern kann man auf diese Art nicht so sehr, wie es bei einem richtigen Spannungsroman vielleicht sein sollte.

Der Reiz des Buches liegt sicherlich in seiner Thematik. Man kann sich durchaus lebhaft vorstellen, was passieren würde, wenn irgendwo auf der Welt eine Anleitung auftauchen würde, mit deren Hilfe sich (ohne teure und energiefressende Druck-Hitze-Apparaturen) aus Blei Gold herstellen ließe. Es geht letztendlich um einen der Kernpunkte der Alchimie und José Calvo Poyato spinnt daraus eine Geschichte, die (mal abgesehen von der Möglichkeit, Blei wirklich zu Gold werden zu lassen) gar nicht so unwahrscheinlich klingt.

Er setzt nicht auf übertriebene Action, sondern inszeniert seinen Plot so, dass man sich vorstellen kann, dass die Verhaltsweisen der Figuren und die Entwicklung der Geschichte durchaus im Rahmen des Möglichen liegen. Weder Handlung noch Figuren wirken überzeichnet. Dem entspricht auch die Auflösung der Geschichte. Der ganz große Knalleffekt bleibt aus, aber eben zugunsten eines durchaus zufriedenstellenden und glaubwürdigen Endes.

Dennoch gibt der Plot auch Anlass zur Kritik. Insgesamt wirkt die Geschichte, bzw. wirken die Verwicklungen zwischen den Figuren ein wenig zu einfach gestrickt. Dementsprechend gibt es nur wenige Überraschungen. Einiges lässt sich vorausahnen und man vermutet fast schon intuitiv, wer welche Rolle spielt. Das geht natürlich ebenfalls ein wenig zu Lasten der Spannung. Es ist durchaus interessant, den Verlauf der Geschichte weiterzuverfolgen, aber dennoch fehlt mit Blick auf den Spannungsbogen immer wieder das gewisse Etwas. Durch die vielen Figuren und die Einfachheit des Plots steckt man als Leser letztlich nicht so tief in der Geschichte drin. Man ist nicht so sehr gefesselt, auch wenn es gerade zum Ende hin natürlich schon recht spannend wird.

Sprachlich betrachtet, wird „Das Geheimnis der Schwarzen Bibel“ durchaus den Erwartungen gerecht. Es zählt eindeutig in die Kategorie leichter Unterhaltungsliteratur und lässt sich flott durchlesen. José Calvo Poyato hält es in sprachlichen Dingen recht einfach und nüchtern, zeigt aber eine Schwäche im Schildern von Emotionen. Manchmal neigt er zu einer etwas abgedroschenen Bildhaftigkeit und zu etwas übertriebenen Steigerungen, wenn seine Figuren emotional werden. Aber da der Roman ziemlich eindeutig zur Kost der leichten Sorte zu zählen ist, kann man das halbwegs verschmerzen.

Was ebenfalls hier und da negativ auffällt, ist die Übersetzung. Alchimie und Alchemie sind zwar zwei zulässige Schreibweisen für ein und dasselbe Wort, aber deswegen sollte man sie vielleicht trotzdem nicht abwechselnd benutzen. Auch Redewendungen wie „eilig herbeigeeilt“ klingen etwas ungeschickt. Glücklicherweise tauchen solche stilistischen Patzer nicht allzu oft auf.

Was bleibt, ist ein durchwachsener Eindruck. Einerseits eine interessante und vielversprechende Thematik, die Neugier weckt, andererseits ein Buch, das die Erwartungen nicht in jeder Hinsicht erfüllen kann. Der Spannungsbogen fällt stellenweise etwas flach aus und durch die zeitlichen Sprünge und die wechselnden Figuren fehlt es ein wenig an Potenzial zum Mitfiebern.

José Calvo Poyatos Geschichte liest sich zwar locker und das Weiterspinnen der Gedanken und Fragen, die das Buch aufwirft, hat durchaus seinen Reiz, dennoch fehlt aufgrund der Einfachheit des Plots irgendwie das gewisse Etwas. Alles in allem ein solider Unterhaltungsroman. Für Freunde historisch angehauchter Spannungsliteratur sicherlich nicht ohne Reiz, dennoch kein Buch, das man so ohne weiteres reinen Gewissens uneingeschränkt empfehlen mag. Ein Buch, das man gerne lesen kann, aber ganz bestimmt nicht unbedingt lesen muss.

Disher, Garry – Willkür

Manche Pechsträhne will einfach nicht abreißen … Vor zehn Monaten haben die Mesics, ein Familienbetrieb in Sachen Kapitalverbrechen, den Berufsverbrecher Wyatt um viel Geld geprellt. Seither ist es stetig abwärts mit ihm gegangen; pleite und wurzellos zieht Wyatt durch das Land. Zu allem Überfluss wird er auch noch von den Killern eines mächtigen Gangstersyndikats aufgespürt, denen er ebenfalls in die Quere gekommen ist.

Jetzt will Wyatt sein Geld zurück – und Rache nehmen! In Melbourne späht er das Anwesen der Mesics aus. Er weiß noch nicht, dass diese selbst in Schwierigkeiten stecken. Der alte Karl, das besonnene Oberhaupt, ist gestorben. Seine Söhne können ihm geistig nicht das Wasser reichen und streiten um die künftige Ausrichtung der „Geschäfte“. Konkurrierende Banden wissen um die Turbulenzen und lauern bereits auf ihre Chance, das Mesic-Territorium zu übernehmen. Die Polizei hält ebenfalls die Augen weit offen; der ehrgeizige Inspector Coulthart will die Mesics hochnehmen.

Nichts kann Wyatt aufhalten; es ist es satt zu flüchten. Dieser Coup muss ihm glücken, koste es was es wolle! Mit einigen ehemaligen Diebeskumpanen heckt er einen riskanten Plan aus, einigt sich sogar mit dem Syndikat. Dass dieses ihn anschließend erst recht umbringen lassen wird, ist ihm klar und wird in seine Überlegungen einbezogen. Freilich kann auch Wyatt nicht die Tücke des Objekts einkalkulieren, das in diesem Fall in Gestalt der korrupten Polizisten Bax und Napper, diverser verräterischer „Kollegen“ und eines blutdurstigen Kampfhunds auftritt …

Kein Polizist egal welchen Geschlechts mit Beziehungsproblemen? Kein genial-irrer Serienkiller, der seine Häscher mit kriminell kriminalistischen Rätselspielchen herausfordert? Keine Pathologin, die ausgetüftelt gemeuchelte Kadaver zerlegt und in ihrer Freizeit auf Täterfang gehen muss, weil die chronisch dämliche Polizei entlarvende Indizien nicht erkennt? Keine mutigen Amateurwissenschaftler, welche die Autobiografie Jesu Christi den Fängen der Vatikan-Mafia entreißen? Ist das wirklich ein Kriminalroman, den wir hier lesen? Ist es, wenn auch keiner, der in den Bestsellerlisten aufscheinen dürfte, wo gepflegte Langeweile in Thrillern von der Stange dargeboten wird.

„Willkür“ ist stattdessen ein Gangstergarn der guten, alten Art. Wyatts Unterwelt ist ein düsteres Spiegelbild des „normalen“ Alltags. Auch Verbrecher müssen sich nach der Decke strecken, leiden unter Stress im Job und Selbstzweifeln, werden gemobbt, ärgern sich mit unfähigen Chefs oder unbotmäßigen Untergebenen herum. Ergaunertes Geld will mühsam verdient werden, wobei erschwerend hinzukommt, dass bei Versagen nicht Bankrott und Hartz-IV-Knechtschaft drohen, sondern Gefängnis oder eine Kugel in den Kopf.

Die von seifenoperlichen Alltagsärgernissen geprägte Gangsterwelt weiß Garry Disher mit jener lakonischen Meisterschaft in seine Geschichten einzupassen, die auch die Autoren der TV-Serie „Die Sopranos“ ihren Mafiafiguren angedeihen lassen. Hier gibt es keine genialen Coups, keine eleganten Überfälle, kein witziges Linken des Gesetzes. Rau und schmutzig geht es zu, jede/r ist sich selbst der oder die Nächste. Von Moral oder wenigstens Ganovenehre keine Spur; für ein paar Scheine verrät man seine besten Verbrecherfreunde, seine Familie, seine Lebensgefährten.

Dabei spielt die Polizei ihre eigene Rolle. Da ist Inspector Coulthart, den sein Verlangen, die Mesics zu erwischen, zu ungesetzlichen Methoden greifen lässt. Sein Stellvertreter ist gänzlich „zum Feind“ übergelaufen. Bax sorgt dafür, dass polizeiliche Aktionen in der Unterwelt die Mesics aussparen. Napper wiederum ist ein armes Schwein, das aus purer Not zum Gangster wurde und immer ein Verlierer bleiben wird; der sarkastische Schlussgag geht denn auch ganz auf seine Kosten.

Gewalt und Mord sind Teil des Geschäfts. Gestandene Kriminelle fürchten jene nur brutalen, aber sonst beschränkten Figuren, die voller Vergnügen foltern und töten; sie erregen Aufmerksamkeit, und das ist schlecht in einem Gewerbe, das von der Unauffälligkeit lebt. Ein Mord ist emotionslos, rasch und möglichst spurenfrei zu erledigen. Professionell werden auch sonstige Kapitalverbrechen geplant und durchgeführt; Ärger durch die Polizei, schlecht ausgeschaltete Opfer oder Zeugen sind zu vermeiden.

Aber zum Alltag gehört in Garry Dishers Unterwelt immer auch die Tücke des Objekts. Wyatt, der so kontrolliert und konzentriert vorgeht, bleibt davon nie ausgeschlossen. Auch dieses Mal meint er alle Eventualitäten einkalkuliert zu haben. Wieder sind es die dummen, gierigen Nebenfiguren, die ihm einen Strich durch die Rechnung machen – ihm, den Mesics, dem Syndikat, der Polizei. Das ganze kriminelle Kartenhaus lässt Disher kunst- und effektvoll zusammenstürzen – im Gegensatz zum modernen Mainstream-Thriller sind seine Gewaltdarstellungen weder plakativ noch bleiben sie in Vermeidung böser Kritikerstimmen ausgespart. Das Chaos naht, als Leser kann man verfolgen, wie das Geschehen Schritt für Schritt aus dem Ruder läuft. In einem großen Finale stehen sich die Figuren dann gegenüber, eine Begegnung, die immer übel ausgeht und ganz sicher nicht „die Gerechtigkeit“ siegen lässt. Wenn sich nach Disher Verbrechen nicht lohnt, dann höchstens, weil nicht sorgfältig genug geplant oder bei der Umsetzung gepatzt wurde. Bußfertig oder gar geläutert verlässt kein Gauner die Handlung.

Garry Disher (geb. 1949) kennt die Szenerie seiner Romane aus eigenem Erleben. In Südaustralien dort aufgewachsen, wo es überwiegend ländlich-landwirtschaftlich zugeht, unternahm er im Anschluss an ein Universitätsstudium ausgedehnte Reisen, die ihn Anfang der 70er Jahre durch Europa, Israel und Afrika führten. Seine Schriftsteller-Laufbahn begann ebenfalls im Ausland: an der Stanford University im US-Staat Kalifornien, wo ihm ein Stipendium das Erlernen dieses Handwerks ermöglichte. Seither hat Disher mehr als 30 Bücher veröffentlicht. Interessanterweise ist der Verfasser harter Thriller (und historischer Romane) auch ein renommierter Kinderbuch-Autor, der für seine Werke zahlreiche Preise gewann – ein weiterer Beweis für Dishers schriftstellerische Bandbreite. Sein Wissen hütet er übrigens nicht als persönliches Geheimnis, sondern bemüht sich, es an den schreibenden Nachwuchs weiterzugeben. Schließlich ist Disher sehr aktiv als Herausgeber der „Personal Best“-Anthologien.

In seiner australischen Heimat – aber inzwischen nicht mehr nur dort – weiß man sehr genau, was man an Garry Disher hat. Dementsprechend zahlreich sind die Websites, die sein Leben und Werk feiern. Die wohl beste, weil aktuelle, informative und zudem vorbildlich layoutete ist http://ehlt.flinders.edu.au/english/GarryDisher/GarryDisher.html. Sie geizt auch nicht mit Links auf weitere Sites.

Die Wyatt-Romane von Gary Disher erscheinen im Maas-Verlag und werden neu aufgelegt im Knaur-Verlag:

1. Kickback (1991, dt. „Gier“) – Maas-Pulp Master 7/Knaur TB Nr. 61887
2. Paydirt (1992, dt. „Dreck“) – Pulp Master 11/ Knaur TB Nr. 62301
3. Deathdeal (1993, dt. „Hinterhalt“) – Pulp Master 12/ Knaur TB Nr. 62302
4. Crosskill (1994, dt. „Willkür“) – Pulp Master 15/Knaur-TB Nr. 62303 (angekündigt für Dezember 2005)
5. Port Vila Blues (1996, dt. „Porta Vila Blues“) – Pulp Master 18 (angekündigt für 2005)
6. The Fallout (1997, dt. „Niederschlag“) – Pulp Master 21 (noch nicht erschienen)

Wallace, Edgar / Gruppe, Marc – indische Tuch, Das (Krimi-Klassiker 1)

Mit „Das indische Tuch“ beginnt eine Hörspielreihe von Titania Medien, die unter dem Titel „Krimi Klassiker“ mehrere Geschichten des britischen Krimialromans aufbietet. Neben einzelnen Erzählungen des berühmten Sherlock Holmes kommt auch Krimi-Legende Edgar Wallace im Laufe dieser Serie zu Hörspiel-Ehren, wobei die erste Episode, „Das indische Tuch“, sich gleich mit einer Geschichte jenes berühmten Schriftstellers befasst.
|Titania Medien| bzw. Drehbuchautor und Regisseur Marc Gruppe haben eigens für die Realisierung dieses Projekts bekannte Synchronsprecher verpflichtet, die ihren Job bei diesem ersten Teil überragend lösen. Hier eine kurze Auflistung der vertrenenen Schauspieler (in Klammern die Namen der ansonsten synchornisierten SchauspielerInnen):

Lord Willie Lebanon – Daniel Werner
Lady Lebanon – Dagmar von Kurmin
Isla Crane – Manja Doering (Natalie Portman)
Dr. Amersham – Christian Rode (Christopher Lee)
Gilder – Jürg Löw
John Tilling – Gero Wachholz
Joan Tilling – Dörte Lyssewski (Cate Blanchett)
Studd – Jens Hajek

_Story:_

Auf dem düsteren Schloss Marks Priory ist die Atmosphäre unter den dort lebenden Leuten hundsmiserabel. Jeder wettert gegen jeden, einzelne Bündnisse werden geschlossen, um die Gegner gegen einander auszuspielen und im Endeffekt traut man selbst seinen Nächsten nicht. Im Kreuzfeuer der Kritik steht dabei der fiese Dr. Amersham, Leibarzt der Adelsfamilie Lebanon, der vom Lord nicht mehr erwünscht wird, jedoch von Lady Lebanon weiter geduldet wird. Ähnlich verhält es sich mit dem Chauffeur Studd, den Amersham als einen Spion bezeichnet und gegen den er daher auch Intrigen spinnt, die zur Entlassung Studds führen.

Als Studd sich bei seiner Entlassung ein letztes negatives Wort über Amersham äußert, zieht er den Zorn des Arztes auf sich. Kurze Zeit später wird Studd dann im Park tot aufgefunden; in seiner Nähe befindet sich ein indisches Halstuch, mit dem der ehemalige Chauffeur erdrosselt wurde. Auch wenn der Hauptverdacht auf Amersham fällt, so hat im Endeffekt jeder ein Tatmotiv.

Nach und nach finden die Officers von Scotland Yard unter der Leitung von Chief Inspector Tanner und Detective Seargent Totty heraus, wie die Bewohner und Angestellten zueinander stehen, und bestimmen nach Überprüfung sämtlicher Alibis und Tatmotive einen Hauptverdächtigen. Doch just in dem Moment, in dem Totty diesen festnehmen möchte, wird dieser ebenfalls tot aufgefunden.

Die beiden Polizeibeamten klären infolgedessen auf, welche Details ihnen bisher von den Leuten auf Marks Priory verschwiegen wurden, und kommen dem rätselhaften Mordkomplott Schritt für Schritt auf die Spur. Doch inzwischen geschehen weitere merkwürdige Dinge auf dem düsteren Schloss …

Das Hörspiel zu „Das indische Tuch“ hat im Jahre 2003 verschiedene Kritikerpreise gewonnen, unter anderem für das beste Einzelhörspiel, die beste Sprecherin (Dagmar von Kurmin) und die beste Musik (hier begleitend eingefügt von Manuel Rösler). All diese Preise sind meiner Meinung nach auch vollkommen gerechtfertigt und basieren vor allem auf der fabelhaften Leistung der beteiligten Sprecher. Die Emotionen der Betroffenen werden ausgezeichnet übertragen, die Geschichte wird überaus spannend erzählt und die musikalische Untermalung unterstreicht die mystische Atmosphäre immer wieder aufs Neue.

Dabei bietet die Geschichte ähnlich wie die Story bei [„Die blaue Hand“ 1266 wiederum sehr viele Verstrickungen, einen komplexen Handlungsstrang und einige unerwartete Wendungen. Lediglich zu Beginn schreitet die Story ein wenig schleppend voran, weil die Einführung der Hauptdarsteller ein wenig in die Länge gezogen wird. Andererseits scheint dies dann aber auch wieder nötig zu sein, um den zunächst ermordeten Chauffeur Studd und seine Beziehung zu den Angestellten auf Marks Priory vorzustellen. So richtig spannend wird die Geschichte jedoch erst nach dem ersten Mord, denn von dort an wird es zunächst richtig kompliziert. Neue Protagonisten kommen ins Bild, Alibis werden aufgebaut, kurze Zeit später aber auch wieder widerlegt, der Haupttatverdächtige wechselt alle paar Minuten und in dem Moment, in dem man sich sicher ist, den Richtigen identifiziert zu haben, wird man durch eine Umkehrung der Ereignisse wieder auf eine andere Fährte gelockt.

„Das indische Tuch“ bietet erstklassige Krimi-Unterhaltung mit exzellenten Sprechern und einer Top-Geschichte bester britischer Machart. Nicht nur Nostalgiker, sondern auch Neueinsteiger finden hier wirklich schmackhafte Genre-Kost, die man sich auch gerne mehrfach anhört. Im Doppelpack sind die beiden Geschichten von Edgar Wallace im Zuge der Serie „Krimi Klassiker“ ein echtes, abendfüllendes Erlebnis. Kann ich daher nur uneingeschränkt weiterempfehlen!

Vardeman, Robert E. – Ruinen der Macht (Mechwarrior Dark Age 3)

Austin und Dale sind Brüder, Armeeangehörige, die häufig ihre Fähigkeiten in Mech-Simulatoren messen. Leider sind Austins Chancen gegen seinen großen Bruder Dale meist nur gering, wenngleich er sich beständig verbessert. Die Zeit, in der sie leben, macht es jedoch beinahe unmöglich, dass sie jemals in einem echten Mech sitzen und gegen den Feind vorrücken werden.
Nachdem das HPG-Netz zusammengebrochen ist, jenes Nachrichtensystem, welches auch die am weitesten voneinander entfernten Planeten zum Austausch von Informationen befähigt, ist eine zur Planung nutzbare interplanetare Kommunikation zum Erliegen gekommen. Mirach, der Planet, auf dem Austin und Dale leben, kann keinen Kontakt mehr zu fernen Absatzmärkten aufnehmen und die Wirtschaft erlebt schwere Zeiten. In dieser Situation ist an die Beschaffung von neuen Mechs gar nicht zu denken.

Doch ihre Zukunft soll nicht im Militär liegen, sondern in der Politik. So will es Ihr Vater, Baron Sergio Ortega. Der politische Führer hat seit jeher die Diplomatie höher bewertet als den Kampf und will nun, dass seine Söhne in seine Fußstapfen treten. Aber es gibt Elemente in der Regierung, die dem Baron seinen politischen Ansatz als Schwäche auslegen. Sie wollen ihn dazu bewegen, seine Leibgarde in die regulären Milizen zu überführen. Dies würde Kosten einsparen, was es dem Baron ermöglichen würde, mit entsprechenden Nachrichten das Volk zu beschwichtigen, weil das eingesparte Geld der Bevölkerung zugute käme.
Seine Söhne indessen drängen ihn dazu, diesen Entschluss noch einmal zu überdenken. Im Falle von Gefahr für die Regierung wäre eine sofortige Hilfe durch das Militär nicht mehr denkbar. Und diese Gefahren sind keine Illusion. Demonstrationen und Aufstände durch die unzufriedene Bevölkerung mehren sich.

Es kommt ganz anders. Dale, der ältere Bruder, muss mit ansehen, wie seine Freundin Hanna durch ein gezieltes Attentat ums Leben kommt. Dale weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, dass die Befehle zu diesem feigen Mord von weit oben kommen. Während die Ortegas glauben, dass es kaum schlimmer werden kann, wird Dale während einer Gefechtsübung durch den Einsatz scharfer Granaten getötet.
Die Geschehnisse eskalieren, und die Dunkelmänner geben sich zu erkennen. Eine aussichtslose Lage, gäbe es da nicht Sergeant Death, einen ausgedienten Centurion-Mech, den Sergio Ortega in ferner Vergangenheit einmal steuerte und der nun ein Museumsstück ist. Trotzdem macht sich Austin verzweifelt daran, die Kampfmaschine zu reaktivieren.

Die Darstellung der Intrige, der treibenden Kraft hinter der Geschichte, nimmt einen großen Teil der Handlung ein. Dergleichen kennen erfahrene Battletech-Leser hauptsächlich aus den größeren Zwisten zwischen den einzelnen Häusern. Dies spielt hier überhaupt keine Rolle. Infolge des Zusammenbruchs der interplanetaren (schnellen) Kommunikation beschränkt sich die Handlung auf den Planeten und lässt übergreifende Handlungsbögen nicht zu.
Aber nach all den riesigen Schlachten, dem bekannten massigen Getümmel aus Mechs, Kröten und Artillerie, wirkt der geringere Umfang an technischen Finessen neuer und auch gut. Die Einschränkung auf wenige militärische Techniken macht es nicht notwendig, auch nur ein einziges Buch aus dem Battletech-Universum gelesen, noch das Spiel in irgendeiner Form gespielt zu haben.

Austin ist die Figur des jungen Mannes, der zwar über eine gewisse Ausbildung und Erfahrung bereits verfügt, doch dann durch die Umstände gezwungen wird, schnell erwachsen zu werden. Aus den Simulationen wird blutiger Ernst. Dieser Handlungsaufbau ist leider nicht besonders neu und Geschichten dieser Art müssen eine gute Variation des Themas bieten. Am besten funktioniert es, wenn die Geschichte filmisch gelesen wird, also man Bilder zur Hilfe nimmt, die durch die Erzählung im Kopf entstehen. Der junge Mann, der vor dem ausgemusterten Mech steht, den einst sein Vater steuerte, die Intrigen, die geheimen Treffen, das Übungsgefecht, das zum Fiasko gerät. Dann beginnt die Geschichte zunehmend Spaß zu machen und spannender zu werden.

Möglich, dass Fans des Battletech-Zyklus vom dritten Band des |Mechwarrior Dark Age|-Zyklus ein wenig enttäuscht sein werden. Aber ein Verlust an Techniken wegen des neuen Handlungsbogens schränkt natürlich auch die Möglichkeiten der Autoren in diesem Universum ein.
Neueinsteiger finden hier allerdings die Möglichkeit, sich langsam in dieses Universum einzulesen, weil es nicht zu den üblichen Begriffserschlagungen kommt, in denen eine Mech-Beschreibung der nächsten folgt und ein Waffensystemeinsatz an den folgenden gereiht wird. Entsprechend ist das angehängte Glossar zwar löblich, aber keine Voraussetzung, um der Geschichte folgen zu können.
Der Roman ist stilistisch |Battletech| angemessen, die Handlung jedoch eine Spur zu vorhersehbar, obgleich die Variation des zuvor erwähnten Themas des zum Kämpfen Gezwungenen hier und da Neues bietet.

Fazit: Nicht grundsätzlich originell, aber unterhaltsam geschrieben. Für neue Freunde des Battletech-Universums ein guter Einstiegsroman.

_Michael Nolden_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Lester Del Rey – Der unschuldige Roboter

Del Rey Roboter Cover kleinDas geschieht:

In einer zeitlich nicht näher bestimmten Zukunft sind die Planeten und großen Monde des Sonnensystems von Menschen besiedelt. Auch der große Jupiter-Trabant Ganymed trägt diverse Kolonien, die hauptsächlich vom Verkauf seltener Kräuter und Pilze leben. Sunvalley ist eine davon, geleitet von Gouverneur Roger Simpson. Sein Sohn Paul wächst auf dem luftleeren Mond auf – ein latent gefährlicher Ort für einen Heranwachsenden. Dem 16-Jährigen wurde daher schon als Kind ein Roboter zugeteilt. „Rex“ ist ein komplexes Gerät, das nicht nur als sturer Beschützer, sondern auch als Begleiter konstruiert wurde. In dieser Eigenschaft wurde er seinem menschlichen Herrn zum Freund. Paul hat Rex tief ins Herz geschlossen und teilt seine Gedanken mit ihm; menschliche Freunde sind rar auf Ganymed.

Damit ist es nun vorbei, denn Vater Roger wird auf die Erde zurückversetzt. Die Freude ist groß, bis sich herausstellt, dass Rex aufgrund der hohen Frachtkosten zurückgelassen werden soll. Das erträgt Paul nicht und rückt aus. Er will den weiten Weg zur Erde nur zusammen mit Rex antreten. Dieser ist einverstanden: Rex hat ein Selbstbewusstsein entwickelt. Das macht ihn zum echten Partner, der seinem menschlichen Freund aus mancher Schwierigkeiten helfen kann. Lester Del Rey – Der unschuldige Roboter weiterlesen

Kureishi, Hanif – Intimacy

_The Saddest Night_

|“Intimacy“ (dt. „Rastlose Nähe“) unterstreicht Hanif Kureishis Abkehr von der postkolonialen Thematik, steht jedoch in Offenheit, Ehrlichkeit und Tiefe der Beschreibung von inner- und zwischenmenschlichen Vorgängen in der Tradition der Werke, für die er bekannt geworden ist („The Buddha of Suburbia“, „My Beautiful Laundrette“ u. a.).|

„It is the saddest night, for I am leaving and not coming back.“ (dt. etwa: „Es ist die traurigste Nacht, da ich weggehen und nicht zurückkommen werde.“), konstatiert der Ich-Erzähler zu Beginn von Hanif Kureishis kurzem Roman und macht den Leser damit zum Mitwisser seines Plans, Lebensgefährtin und Kinder zu verlassen. Beschrieben wird auf den 118 Seiten im Wesentlichen die letzte Nacht, in der Jay (ein erfolgreicher Drehbuchautor) die zurückliegenden Jahre seiner eheähnlichen Beziehung mit Susann resümiert. Liebe und Leidenschaft sind abgekühlt und einem Nebeneinanderherleben gewichen. Was die beiden Menschen noch verbindet ist die Liebe zu ihren Kindern. In Flashbacks erfährt man, dass sein Sexualleben inzwischen mit Nina stattfindet – einer jungen Frau, die gekennzeichnet wird durch ihr unbeständiges Leben, geprägt von Ziellosigkeit, wechselnden Sexualpartnern und Drogenkonsum. Die Affäre mit ihr ist zum Zeitpunkt der Überlegungen, Susann zu verlassen, bereits vorüber, hat jedoch durch das tabulose Ausleben von Erotik Wünsche in Jay geweckt, die er nicht mehr bereit ist, hintenanzustellen.

Der Leser erfährt weiterhin von einer erfolglosen Paartherapie, von anderen Lebensentwürfen – dem seines Freundes Viktor oder des Familienmenschen Asif („Wisdom is to know the value of what we have.“) – von dem Verhältnis des Erzählers zu seinen Eltern, die das „bürgerliche Glück“ einer aufrechterhaltenen Ehefassade der individuellen Selbstverwirklichung vorgezogen und zum Schluss doch zu einer neuen „intimacy“ gefunden haben. Er wird hineingezogen in eine Diskussion über Ehe, Liebe, Leidenschaft, Genderkonzepte – kurz: über das universelle Glück der Menschen. Damit sind in diesem Roman des gereiften Kureishis die Pakistanis zumindest auf ihrer Suche nach Selbstverwirklichung nicht länger anders als Engländer. Ihre Probleme, Wünsche und Träume gehen über die Identitätssuche einer hybriden Persönlichkeit hinaus.

Auch „Intimacy“ ist geprägt von Themen, die bei Kureishi immer wieder auftreten. Musik, Drogen und Fashion sind dem Leben seiner Figuren inhärent, wohl auch aus dem Grund, dass sie Kinder der 70er sind, die mit ihrer Lebensphilosophie hier durchaus kritisch betrachtet werden.

Natürlich nimmt der Autor wie üblich kein Blatt vor den Mund, wenn es um sexuelle Handlungen geht. Man erlebt den Erzähler beim Geschlechtsverkehr mit Nina und folgt ihm ins Bad, wo er sich selbst befriedigt. Freimütig und derb wird über die sexuelle Einstellung seiner Freunde geredet. „Sometimes he fucked five people in a day, shoving his arm up to the elbow into men whose faces he never saw.“

Den typisch ironischen Humor Kureishis muss man ebenfalls nicht missen, zum Beispiel wenn er beschreibt, wie verzweifelt in die Jahre gekommene Frauen versuchen, sich ihr Alter nicht anmerken zu lassen oder, wenn es statt der Frauen die Männer der 90er sind, die auf den Büropartys über nichts anderes als ihre Kinder sprechen. Doch im Wesentlichen übernimmt der Roman die Stimmung des ersten Satzes. Der Leser steht mit dem Ich-Erzähler vor den Scherben dessen Lebens und vor philosophischen Phrasen, die nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Familie zerbrechen wird. Zwei Personen müssen einsehen, dass ihre Beziehung gescheitert ist und dass sie unabhängig voneinander weiterleben müssen. Durch die Schilderung seiner Affäre mit Nina (und anderen Frauen) fühlt man sich als Leser eher bestätigt, dass es Jay vorrangig um die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse geht, obwohl er selbst meist von „Liebe“ spricht. Das Ende des Romans hebt diese Sicherheit jedoch wieder auf, denn er endet optimistisch mit einer Beschreibung eines Momentes des vollkommen Glücks, der während eines Spaziergangs erlebt wird.

|Faber und Faber| haben sich in ihrer generell relativ haltbaren Paperback-Aufmachung bei „Intimacy“ zusätzlich für einen (gelben) Schutzumschlag entschieden, der einem Buch in Fragen „Ansehnlichkeit in späteren Jahren“ durchaus zuträglich ist. Die Schrift ist weniger gedrängt als in anderen Ausgaben von Kureishis Werken. Es findet sich sogar ein üppiger Rand, auf den man seine Anmerkungen kritzeln kann.

Alles in allem – ein lesenswerter Kureishi, der mit der Neudefinierung der britischen Identität abgeschlossen hat; ein Buch, das die Qual und die Freuden von Menschen analysiert, die versuchen mit einem anderen Menschen zusammenzuleben.

_Corinna Hein_
http://www.corinnahein.net/

|Eine [deutsche Fassung]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3499229005/powermetalde-21 erschien 2001 unter dem Titel „Rastlose Nähe“ bei Rowohlt.

Besonders lohnend ist sicherlich die Geschichtensammlung [„Intimacy“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/349923193X/powermetalde-21 die im Juni 2001 anlässlich des gleichnamigen Films von Patrice Chéreau ebenfalls bei Rowohlt erschien und neben „Rastlose Nähe“ weitere Kurzgeschichten enthält, zusammen mit einem Essay und Szenenfotos aus dem Film.|

Wallace, Edgar / Gruppe. Marc – blaue Hand, Die (Krimi-Klassiker 3)

Auch beim dritten Teil der Krimi-Klassiker aus dem |Titania Medien|-Verlag handelt es sich um eine klassische Erzählung, hier nach einer Vorlage von Edgar Wallace. Dieses Mal wird die Geschichte „Die blaue Hand“ erzählt, und das in einer Besetzung, die einem als Liebhaber des Hörspiels das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen sollte. Nachfolgend ein Überblick über die teilnehmenden Rollen bzw. ihre Sprecher (in Klammern der Name der ansonsten verkörperten Synchronstimme):

_Jane Groat_ – Dagmar von Kurmin
_Digby Groat_ – Torsten Michaelis (Wesley Snipes)
_Septimus Salter_ – Heinz Ostermann
_Jim Steele_ – David Nathan (Johnny Depp)
_Eunice Weldon_ – Heide Jablonka
_Mrs. Fane_ – Gisela Fritsch (Susan Sarandon)
_Madge Benson_ – Evelyn Maron (Kim Basinger)
_Jackson_ – Charles Rettinghaus (Jean-Claude van Damme)
_Mary Weatherwale_ – Regina Lemnitz (Kathy Bates)
_Tom_ – Detlef Bierstedt (George Clooney)
_Postbote_ – Lothar Didjurgis
_Portier_ – Joachim Tennstedt (John Malkovich)

Wie man unschwer erkennen kann, ist dieser 70-minütige Krimi also bestens besetzt, und dementsprechend ist auch die Qualität der Erzählungen sehr hoch einzustufen. Vor allem David Nathan in der Hauptrolle des Anwalts Jim Stelle weiß zu überzeugen, aber dazu mehr nach dem Überblick über die eigentliche Geschichte.

_Story:_

Nachdem ein Millionenerbe entsprechend den Regeln des Testaments 20 Jahre ruhen musste, soll es nun nach dem Ablauf dieser Zeit in den Besitz der Groats, der einzigen Verwandten der verstorbenen Familie Danton, übergehen. Der engagierte Anwalt Jim Steele beschäftigt sich gerade mit dem Fall und stellt erste Ermittlungen an, denn ihm persönlich ist die Familie Groat, vor allem der junge Digby, nicht ganz geheuer. Gleichermaßen bandelt Steele gerade mit der jungen Eunice Weldon an, muss aber entsetzt feststellen, dass diese demnächst im Hause der Groats als Sekretärin eingestellt werden wird.

Schon in der ersten Nacht spielen sich merkwürdige Dinge im Hause Groat ab; jemand ist in Eunices Zimmer eingedrungen und hat eine geheimnisvolle Warnung hinterlassen: „Jemand, der dich liebt, bittet dich dringend, dieses Haus so schnell als möglich zu verlassen!“ Außerdem bleiben mehrere blaue Abdrücke einer Damenhand zurück.

Eunice ist die Sache nicht geheuer, doch trotzdem setzt sie ihre Arbeit bei der mysteriösen Familie fort. Steele indes untersucht auch die Vergangenheit von Mrs. Weldon genauer und stellt dabei fest, dass Eunice im selben Alter wie die einst verschollene Dorothy Danton sein muss. Jedoch gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass Zusammenhänge zwischen der Vermissten und der geliebten Sekretärin bestehen. Eines Tages jedoch bringt Steele diesbezüglich Licht ins Dunkle; er stellt fest, dass das Verhältnis zwischen Digby und seiner Mutter gar nicht so gut ist, wie es nach außen hin scheint, freundet sich mit der Wittwe Groat an und erfährt dabei auch wichtige Details über die Vergangenheit. Von nun an gilt es für Jim Steele zu verhindern, dass das Millionenerbe in die falschen Hände gerät …

Die Geschichte um die blaue Hand ist in ihrer Struktur gewohnt komplex und mit vielen Details gespickt. Oder um es kurz zu sagen: der typische Edgar-Wallace-Stoff. Spannung ist jedenfalls im gesamten Verlauf geboten, selbst in dem Moment, wo man glaubt, dass die eigentliche Geschichte schon aufgelöst ist – und genau diese Eigenart besitzen nur die ganz guten Krimis aus der alten britischen Schule. Wallace wählt die Charaktere dabei nach den üblichen Kriterien aus; ein hoffnungslos verliebter junger Mann, eine Dame, die sich der Gefahr, in der sie schwebt, nicht bewusst ist, und auf der anderen Seite ein kompromisloser Schurken, der zusammen mit seinem Handlanger seine gemeinen Pläne durchsetzen möchte, selbst wenn er dabei über Leichen gehen muss.

Die komplexen Verflechtungen lösen sich dabei im Laufe des Hörspiels auf, jedoch kann man anfangs keinesfalls vorausahnen, in welche Richtung sich die Erzählung entwickeln wird. So sind vor allem die Rollen der Eunice Weldon und die der Jane Groat unklar. Weiterhin stellt sich die Frage, zu wem der Butler der Familie schließlich halten wird. Oder aber welche Motivation Jim Steele abgesehen von seinen Gefühlen für die junge Mrs. Weldon beim Ermitteln im Falle Danton antreiben.

Marc Gruppe, der Mann hinter diesem Drehbuch, hat die Rollen sehr gut verteilt und sich hierfür prominente und überaus talentierte Synhcronsprecher ins Haus geholt, die allesamt einen fabelhaften Job erledigen. Das gilt für den fabelhaft und heimtückisch auftretenden David Nathan alias Jim Steele ebenso wie für die undurchschaubare Jane Groat, der Dagmar von Kurvin ihre Stimme leiht.
Im Krimisektor ist dieses Hörspiel daher definitiv eines der besten seiner Machart und macht nach der recht kurzen Spielzeit von 70 Minuten Lust auf einen weiteren Durchlauf. Eine Seltenheit in diesem Genre, aber gerade dieser Fakt macht „Die blaue Hand“ auch für diejenigen interessant, die mit Hörspielen bzw. Krimis im Normalfall nicht so viel anfangen können. In diesem Fall wird die Kombination aus erstklassig agierenden Sprechern, einer spannungsgeladenen und gut ausgeschmückten Story und natürlich der Tatsache, dass die Legende Edgar Wallace hierzu die Vorlage geliefert hat, jedenfalls zu einem echten Glücksfall.

Reto Wehrli – Verteufelter Heavy Metal (Erweiterte Neuausgabe)

Schwer & laut – und älter als gedacht

„Verteufelter Heavy Metal“ gliedert sich in zwei Blöcke. Im Kapitel „Grundlagen und Geschichte“ bereitet Verfasser Wehrli die Bühne für seine Darstellung vor, indem er die allgemeine Entwicklung von Ross (= Musik) und Reiter (= Musikzensur) in ihrer (zwangs-) symbiotischen Beziehung seit dem II. Weltkrieg schildert.

Dann rekonstruiert Wehrli in „Ein Phoenix aus der Asche der Jugendkultur: Heavy Metal“ die Geschichte eines Musikgenres, das als solches erst wenige Jahrzehnte alt ist, wobei die Wurzeln weiter zurückreichen, als sich Fan & Feind es sich wahrscheinlich vorstellen können. „‚Stampfen, Toben, Fäusteschwingen‘ – Eskapismus als Lebensrealität“ geht dem Heavy Metal psychologisch auf den Grund und präpariert zwei grundsätzliche Richtungen heraus. Da ist die „dionysische“, deren Anhänger sich dem Rausch der Musik hingeben und dabei auf und vor der Bühne nicht selten völlig vorausgaben. Konträr dazu stehen jene Schwermetaller, die ‚ihre‘ Musik als (auch gelebten) Ausdruck des körperlichen und moralischen Zerfalls der Gesellschaft und des Individuums werten und sich entsprechend düster, manchmal geradezu ‚satanisch‘ geben. Reto Wehrli – Verteufelter Heavy Metal (Erweiterte Neuausgabe) weiterlesen

Markolf Hoffmann – Nebelriss (Das Zeitalter der Wandlung 1)

Das Zeitalter der Wandlung:
Band 1: Nebelriss
Band 2: Flammenbucht
Band 3: Schattenbruch
Band 4: Splitternest

Wem beim Stichwort „Fantasy“ eine bunte Truppe aus Bäcker- oder Magierlehrling, rotnasigem Zwerg sowie ähnlichen Rollenbildern und Stereotypen vorschwebt, die verständlicherweise für Brechreiz und gepflegte Langweile sorgt, den kann man verstehen.

Markolf Hoffmann – Nebelriss (Das Zeitalter der Wandlung 1) weiterlesen

Kureishi, Hanif – Midnight all Day

_Vier blaue Stühle und ein emanzipierter Penis_

|Frage: Was haben blaue Stühle und ein Penis gemeinsam? Antwort: Sie erscheinen in Hanif Kureishis letzter Kurzgeschichtensammlung „Midnight all Day“, die dem Leser die bekannte Mischung aus Humor, Liebe, Sex, Drogen, Musik und Desillusion bietet, sowie ein kafkaeskes Schmankerl beinhaltet, das mir die Tränen in die Augen getrieben hat – vor Lachen.|

Hanif Kureishi wurde 1954 als Sohn einer weißen englischen Mutter und eines pakistanischen Vaters in London geboren. Solchermaßen prägten die Auseinandersetzung mit rassischen Vorurteilen und die Suche nach der Zugehörigkeit zu einer Nation seine Jugend. Und die frühen Werke (Theaterstücke wie „Outskirts“, 1989; Film-Skripts wie „My Beautiful Laundrette“, 1984; Romane wie „The Buddha of Suburbia“, 1990) zeigen den Autor als anglophone Stimme der asiatischen Erfahrungen in England.

In neuerer Zeit, insbesondere ab „Intimacy“ (1998), tritt die Auseinandersetzung mit Rassismus weiter in den Hintergrund seiner Werke. Seine Hauptfiguren sind zwar häufig Engländer pakistanischer/indischer Abstammung, aber sie werden nicht vordergründig in rassischen Konflikten gezeigt. Stattdessen rücken allgemein-menschliche Themen in den Vordergrund, die sich auch in „Midnight all Day“ wiederfinden lassen. „Ich glaube, es gibt Phasen im Leben eines Autors, wo er sich auf ein Thema konzentriert. Zurzeit interessiert mich die Leidenschaft zwischen Mann und Frau. Die Anziehung, die manchmal so groß ist, dass es wehtut. In festen Beziehungen ist alles gefährlich nah beieinander: Gefühle wie Liebe und Hass, Verbundenheit und Abhängigkeit, Begehren und Wut.“ meint der Autor zu seiner Abkehr vom literarischen Rebellentum der frühen Jahre, die ihm so mancher Kritiker vorwirft.

Die zehn Geschichten in diesem Buch drehen sich somit vordergründig um Liebe in ihren verschiedenen Ausprägungen. Die abgeklärte Haltung des fast 50-jährigen Autors ist dabei nicht zu übersehen. So handelt die Geschichte „Four Blue Chairs“ (dt. „Vier blaue Stühle“) von ebenjenen Stühlen, die sich ein Pärchen kauft, das kürzlich zusammengezogen ist. Beide Partner haben bereits andere Beziehungen hinter sich und sind sich nicht sicher, ob sich der neuerliche Versuch, das Leben mit einem anderen Menschen zu teilen, wirklich lohnt. Die Entscheidung für den Kauf der Stühle für die gemeinsame Wohnung fällt leicht, die Kaufhandlung ebenso. Erst der Transport der schweren unhandlichen Möbelstücke zeigt, dass dem Entscheiden und dem Tragen von Konsequenzen unterschiedliche Schwierigkeitsgrade beizumessen sind. Solchermaßen wird der Stuhlkauf zu einer Metapher für das Führen von Beziehungen in unseren Tagen.

Erfreulich an dieser und anderen Geschichten des Bandes ist auch, dass Kureishis Helden fernab von idyllischer Romantik konstruiert sind: körperliche Unzulänglichkeiten paaren sich mit Hilflosigkeit, Unter- oder Überlegenheitsgefühlen und mit Angst vor Konflikten, die zum Ende der Beziehung führen könnten. Viele Protagonisten finden Erfüllung nur noch im Drogenrausch und stehen vor den Scherben ihres Lebens, wenn sie vom Trip zurück sind. Für andere wird Musik zur Ersatzreligion und zur Möglichkeit der Realitätsflucht in rauschhafte Zustände (vgl. „That was Then“, dt. „Das war früher“).

Und immer wieder – so z. B. in der Geschichte „Girl“ (dt. „Mädchen“) – werden Themen angeschnitten wie Gewalt in Familien sowie soziale Unterschiede zwischen den Menschen in der City Londons und den Vororten. Literarisch verpackt wird auch die Dekonstruktion von Mythen über die 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und die theoretische Auseinandersetzung mit der Schriftstellerei.

Die Protagonisten sind jedoch trotz ihrer komplizierten Vergangenheiten, von denen sie immer wieder eingeholt werden, gezwungen, ihrer Leben vorwärtsgewandt auszurichten. „Sucking Stones“ – nennt Marcia in der gleichnamigen Geschichte den sinnlosen Zustand der Stagnation, der sonst eintritt: „We look to the old things and to the old places. […] Even when there’s nothing there we go on. But we have to find new things, otherwise we are sucking stones.“ (dt. etwa: „Wir halten an den alten Plätzen und Dingen fest. […] Selbst wenn dort nichts mehr zu holen ist, machen wir damit weiter. Aber wir müssen neue Dinge finden, sonst sind wir verdammte Steine.“)

Die Geschichte „The Penis“ (dt. „Der Penis“) sticht ähnlich wie im ersten Kurzgeschichtenband „Love in a Blue Time“ (1997) die Geschichte „The Flies“ (dt. „Die Fliegen“) durch ihre Absurdität heraus. Der Einstieg dürfte manchem Zeitgenossen aus eigener Erfahrung bekannt vorkommen: Ein Mann kehrt eines Abends sturzbetrunken von einer Party nach Hause zurück und kann sich am nächsten Morgen an nichts mehr erinnern. Grotesk wird es erst, als seine Ehefrau ihn mit einem „penis – complete with balls and pubic hair“ („ein Penis – komplett mit Hoden und Schamhaar“) konfrontiert, den sie in seiner Manteltasche gefunden haben will. Einer Erklärung nicht mächtig, ist der Mann nur bestrebt, diesen Penis so schnell wie möglich loszuwerden; was ihm erst gelingt, als er ihn in mehrere Lagen Papier eingewickelt von einer Brücke wirft, wo er statt im Wasser auf einem Ausflugsdampfer landet.

Unweit von dieser Brücke entfernt wacht an ebenjenem Morgen Pornostar Doug auf und muss erschrocken feststellen, dass ihm sein bestes Stück abhanden gekommen ist. Somit seiner Erwerbsgrundlage entzogen, begibt er sich verzweifelt auf eine Kneipentour; teils um sich vollaufen zu lassen, teils um zu schauen, ob irgendwo (s)ein Penis abgegeben wurde. Schließlich entdeckt er den Flüchtigen „tall, erected and wearing dark glasses and a fine black jacket“ („groß, erigiert und mit Sonnenbrille und einer schicken schwarzen Jacke bekleidet“) in Begleitung einer Frau auf der Straße. Eine wilde Verfolgungsjagd beginnt, an dessen Ende Doug seinen Penis stellen kann. Wie die anschließende Diskussion über Ausbeutung und darüber, wer ohne wen ein Nichts ist, ausgeht und, ob Doug seinen Penis zur Rückkehr bewegen kann, erfährt man in Kureishis Kurzgeschichtensammlung „Midnight all Day“.

_Corinna Hein_
http://www.corinnahein.net

|Eine [deutsche Fassung]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3499231247/powermetalde-21 ist als „Dunkel wie der Tag“ bei Rowohlt erhältlich.|

Andreas Eschbach – Der letzte seiner Art

In einem verschlafenen irischen Fischerdorf erwacht Duane Fitzgerald – blind und bewegungsunfähig bis auf seinen Arm. Obwohl er mit einem Kantholz auf sich einprügelt – eine bisher oft erfolgreiche Methode – bleibt er hilflos. Glücklicherweise berührt er zufällig ein bisher unbekanntes Implantat unter seiner Bauchdecke und ein Zucken lässt seinen Körper erbeben. Dieses ihm neue Implantat (obwohl er doch eigentlich seinen Bauplan auswendig kennt) scheint den Stromausfall zu bewirken, also greift Duane nach dem erreichbaren Taschenmesser, klappt die Ahle heraus (was sich in seinem Zustand als besonders kompliziert erweist) und durchstößt die Bauchdecke. Normalerweise würde ein internes System Enzyme ausschütten, die für Schmerzunempfindlichkeit gesorgt hätten, aber leider ist dieses ja derzeit inaktiv. Duane bleibt nichts anderes übrig, als sich unter Schmerzen mit der Ahle in den Eingeweiden herumzuwühlen, um den Wackelkontakt am Implantat zu beseitigen.

Andreas Eschbach
Geboren am 15.9.1959 in Ulm. Verheiratet, ein Sohn.
Studierte in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik, wechselte aber noch vor dem Abschluss in die EDV-Branche, arbeitete zunächst als Softwareentwickler und war von 1993 bis 1996 geschäftsführender Gesellschafter einer EDV-Beratungsfirma. Nach fast genau 25 Jahren in Stuttgart lebt er seit September 2003 mit seiner Frau in der Bretagne. Quelle: http://www.andreaseschbach.de/

Klar ist Duane Fitzgerald, der Ich-Erzähler des Romans, ein Cyborg – eine kybernetisch-organische Mixtur, fabriziert und entwickelt von amerikanischen Militärs, um als unbesiegbarer Steel-Man mit einigen Gleichartigen eine Sondereingreiftruppe zu bilden. Eschbach verknüpft intelligent die Zeitgeschehnisse mit seiner Geschichte. So wurde der erste Golfkrieg durch die USA nur so in die Länge gezogen, um die Steelmen rechtzeitig einsatzbereit zu machen – bis dato waren sie lediglich gut ausgebildete Marines mit einem künstlichen Arm. Erst als offensichtlich wurde, dass das Projekt nicht mit der nötigen Geschwindigkeit voranschritt, ging die Army zu der bekannten letzten Phase des Krieges über – ohne Steelmen.

Es ist ein absolut geheimes Projekt, über Jahre und mehrere Präsidentenlegislaturen hinweg in der Entwicklung. Ist es vorstellbar, dass sich so etwas – als Projekt, unabhängig vom Detail – durchführen lassen könnte bei den kleinlichen Differenzen verschiedener Machthaber? Eschbach stellt es dar, als habe das Militär seine eigene Forschung betrieben, bis schließlich Clinton die Einstellung anordnete.

Aus der Ich-Perspektive des Cyborgs, der mit Verschleißerscheinungen zu kämpfen hat, erhält die Geschichte trotz der typischen Verschwörung und der Horrorvision von unbesiegbaren Übermenschen einen humorvollen Schlag, denn seine Gedanken sind manchmal so natürlich und sprunghaft, dass man über seine Menschlichkeit lächelt und seinen Charakter sofort akzeptiert.

[…] stand da, wippte auf den Fersen und sah straßauf, straßab. Ich wurde unruhig, je länger es dauerte. Wie lange kann man schon an seinen Schuhen herumfummeln, ehe die Umwelt anfängt, das merkwürdig zu finden? […] Die Frau kam näher. […] Mit etwas Glück waren ihre Augen schlecht genug, dass ihr entging, dass ich Slipper trug […]
-Auszug aus „Der Letzte seiner Art“, S. 58

Es ist auch eine Art von Galgenhumor, die zwischen den Zeilen von Duanes Erzählung durchklingt. Eigentlich ist er natürlich völlig unzufrieden mit seinem Leben, andererseits fühlt er sich an seine Eide gebunden. Er sieht sich als menschliches Wrack, und durch den Verschleiß seines Systems erhält dieser Blickwinkel eine ganz neue, erschreckend reale Bedeutung. Die Geschichte nimmt eine Wendung, die für ihn entweder das endgültige Ende oder einen Neuanfang bedeuten könnte, doch damit einher gehen plötzlich auftretende Gefahren, die selbst für einen Steelman tödlich sein können – sind die Attentäter jetzt von den eigenen Leuten angeheuert oder vom Feind, der in den Besitz der Cyborgtechnik kommen will? Auf jeden Fall ist er gut über das Innenleben und die Möglichkeiten der Cyborgs informiert, so dass Duane nach und nach erfährt, wie seine Gleichartigen unauffällig ausgeschaltet wurden.

Zu diesem Zeitpunkt wird ihm klar, was wir schon länger befürchten: dass es um sein Leben geht, nicht nur um gewisse Annehmlichkeiten wie den frei gewählten Wohnort. Trotzdem wirken seine Gedanken (die eigentlich eine aufgeschriebene Erzählung darstellen, aber das erfahren wir erst später) manchmal in ihrer Analyse wie von einer außenstehenden Person, um dann wieder in das Innerste vorzudringen. Eschbach beginnt jedes Kapitel mit einem Zitat von Seneca, dessen Philosophie für Fitzgerald die einzige Möglichkeit darstellt, sein Schicksal zu ertragen. Er versucht, nach dieser Philosophie zu handeln und betrachtet dabei sein Bemühen skeptisch. Vor allem die Totalität des Endes fasziniert ihn, und so ist nicht verwunderlich, dass sich daraus eine Lösung für ihn selbst entwickelt.

„Der Letzte seiner Art“ ist eine Charakterstudie, die sich mit der ausweglosen Tragik eines Übermenschen befasst und in diesem Gewand ein heikles, gleichwohl sehr oft behandeltes Thema aufgreift. Was kann der Bürger schon von den Machenschaften und Projekten solcher Regierungen oder Militärs wissen? Auf der anderen Seite: Schürt man mit diesen Spekulationen nicht eine gewisse Furcht? In diesen Tagen vielleicht gar nicht so unsinnig.

Der Roman fließt ruhig dahin, unter einer stetigen Spannungssteigerung. Aber Eschbach zeigt trotzdem seine vielfältigen Künste, denn das Tempo erhöht sich schlagartig um ein Vielfaches, als der Cyborg sein System voll aktiviert (und damit schneller als jede menschliche Reaktion agieren kann). Danach fällt es wieder ab und lässt uns unseren Herzschlag beruhigen, um weiter dem Finale entgegenzustreben. Ein düsterer, philosophischer, sehr unterhaltsamer und eindringlicher Roman.