Narciso, Giancarlo – schöne Hand des Todes, Die

Singapur: Fernab der Heimat kreuzen sich hier die Wege zweier Italiener, die sich zu Hause wohl gegenseitig nie wahrgenommen hätten. Der eine ist der unkonventionelle Weltenbummler Rodolfo, der sich seinen Lebensunterhalt als selbstständiger Übersetzer verdient, der andere ist Marco, der Boss eines großen internationalen Bauunternehmens. Auf den ersten Blick haben beide gar nichts gemeinsam. Allein in der Fremde entdecken sie allerdings ein paar Gemeinsamkeiten. Rodolfo hat stets unabhängig gelebt, Marco hat sich durch seine frühe Heirat schon sehr bald unter die Fittiche seiner Frau begeben, träumt aber heimlich immer noch von der Freiheit und Unabhängigkeit, die Rodolfo auslebt.

Die beiden ziehen regelmäßig zusammen durch die Kneipen Singapurs, doch ihre Freundschaft ist nur von kurzer Dauer. Marco steht eines Tages verzweifelt vor Rodolfos Tür und vertraut ihm einen Schließfachschlüssel und eine große Summe Bargeld an – für den Fall, dass ihm etwas zustoßen sollte. Außerdem trägt er Rodolfo auf, sich im Fall der Fälle darum zu kümmern, dass seine Geliebte Diana das Land verlassen kann. Rodolfo willigt ein und schon kurze Zeit später liegt es an ihm, zu seinem Versprechen zu stehen, denn Marcos verbrannte Leiche wird gefunden.

Rodolfo nimmt Diana zunächst einmal bei sich auf, bis er die nötigen Papiere besorgt hat und sie das Land verlassen kann. Doch so einfach kommt er aus der ganzen Geschichte nicht wieder heraus. Rodolfo steckt schon sehr bald in ernsthaften Schwierigkeiten und wird zu einer Figur in einem Spiel, dessen Regeln er nicht zu durchschauen vermag.

Reichlich Vorschusslorbeeren kann Giancarlo Narciso bei der deutschen Erstveröffentlichung seines zweiten Romans vorweisen. Lobeshymnen in der italienischen Presse und dann noch die Auszeichnung mit dem renommierten Preis „Premio Tedeschi“. Zusammen mit dem überaus poetisch anmutenden deutschen Titel „Die schöne Hand des Todes“ erscheint das sehr viel versprechend, wobei aber zumindest Letzterer völlig falsche Erwartungen weckt.

Wer vom Titel auf den Inhalt schließt, der könnte enttäuscht werden. Was der Titel an sprachlicher Finesse und Poesie verspricht, das sucht man im Roman leider vergeblich, so dass auf jeden Fall die Frage berechtigt ist, warum der Verlag zu dieser Irreführung greift. In meinen Augen könnte man als Leser eine wesentlich realistischere Erwartungshaltung entwickeln, wenn man auch für die deutsche Ausgabe beim Originaltitel „Singapore Sling“ (Marcos Lieblingscocktail) geblieben wäre. Dementsprechend brauchte ich zu Beginn des Romans überraschend lange, um damit warm zu werden. Es gilt eben erst einmal, die eigene Erwartungshaltung komplett umzustülpen und sich während des Lesens umzuorientieren.

Hatte ich mir aufgrund von Klappentext, Titel und Titelbild eine exotische, atmosphärisch dichte, spannende Geschichte mit ausgefeilter, poetischer Sprache erhofft, so entpuppte sich der Roman als wesentlich nüchterner, gradliniger und weniger exotisch – wenngleich dennoch sehr spannend. Narcisos Thriller ist mit gerade einmal 283 Seiten recht kompakt geraten. Man wird unvermittelt in die Geschichte hineingestoßen, Figuren und Atmosphäre werden nicht gerade ausschweifend skizziert, aber etwa ab der Mitte wird die Geschichte dann so spannend, dass man möglichst schnell erfahren will, wie sie endet.

Der Plot, den Narciso inszeniert, hat es wirklich in sich. Rodolfo wird in eine verzwickte Geschichte hineingezogen, in der es viele unterschiedliche Interessen gibt. Jeder verfolgt seine eigenen Ziele und wer auf welcher Seite steht, wer vertrauenswürdig ist und wer falsch spielt, ist schwer zu entschlüsseln. In dieser Hinsicht ist Narcisos Roman wirklich sehr gut gelungen. Auch sein Spannungsaufbau weiß zu überzeugen. Die Geschichte entwickelt sich mit steigender Seitenzahl zunehmend rasanter und undurchsichtiger, so dass man schon wirklich konzentriert folgen muss, um nicht den Faden zu verlieren. Im Angesicht der Achterbahnfahrt, auf die Narciso Leser und Figuren zum Ende hin schickt, kann einem schon mal schwindelig werden.

Raffiniert knüpft Narciso Verbindungen zwischen unterschiedlichen Figuren und inszeniert einen frühen Showdown, der noch längst nicht das Ende markiert. Nach dem Showdown folgt eine kleine Verschnaufpause, die Leser und Figuren kurz wieder Atem schöpfen lässt, um sie dann mit einem letzten Knall zum Ende der Geschichte zu schicken. Danach bleibt der Eindruck eines „runden“ Romans. Die Geschichte wirkt in sich stimmig, der Plot gut konstruiert, wenngleich der eine oder andere kleinere Schwachpunkt im Gedächtnis bleibt. Die Motive des Täters lassen sich zwar begründen, bleiben aber in meinen Augen auch etwas blass und können somit nicht die letzten Zweifel ausräumen.

Ähnlich blass bleiben teilweise die Figuren. Insbesondere Rodolfo lässt einige Fragen aufkommen. Seine Person wirkt sehr verschlossen und kalt. Obwohl er Frau und Kind hat, sitzt er einsam am anderen Ende der Welt und schafft es höchstens einmal im Jahr, sich bei seiner Familie zu melden. Er wirkt irgendwie leblos und innerlich leer. Diesen Eindruck kann Narciso zwar zum Ende des Romans etwas relativieren, dennoch bleibt Rodolfo uns etwas schwer begreiflich. Ähnlich sieht es mit seinem Verhalten aus. Für meinen Geschmack bewegt er sich fast schon zu souverän durch dieses verzwickte, undurchsichtige Spiel, um bis in den letzten Winkel glaubwürdig zu sein. Einerseits bringt er bestimmten Figuren (obwohl er keinen Grund dazu hätte) überraschend viel Vertrauen entgegen, andererseits kann man ihm kaum Leichtgläubigkeit vorwerfen, so souverän, wie er oftmals die Lage meistert. Das ist ein etwas sonderbarer Widerspruch.

Auch die übrigen Figuren strahlen eine gewisse Kühle aus, die in einem etwas merkwürdigen Kontrast zur schwülen Hitze Singapurs steht. Sonderlich nah geht uns keine der Figuren, was sicherlich auch in der Kompaktheit der Handlung begründet liegt. Narciso konzentriert sich eindeutig auf seinen ausgeklügelten, rasanten Plot, der wirklich überzeugend und durchgängig spannend ist. Figuren und Atmosphäre treten dabei etwas in den Hintergrund.

Ein weiterer Reiz des Romans ist der Handlungsort. Singapur als Ort einer Thrillerhandlung bekommt man nicht sehr oft serviert, so dass die Atmosphäre und das ganze Drumherum des Romans zwangsläufig etwas aus dem Rahmen gewohnter Klischees fallen müssen. Das tun sie letztendlich auch. Narciso hat selbst jahrelang in Singapur gelebt und pendelt heute zwischen Mailand und Indonesien. Er kennt das Land also aus eigenen Erfahrungen und hegt eine besondere Beziehung zu Südostasien allgemein.

Dass das Bild, das Narciso von Singapur zeichnet, also absolut realistisch ist, daran kann kein Zweifel bestehen. Trotzdem dauert es sehr lange, bis er diesen Vorteil voll ausspielt. In dem Handlungsort steckt mit Blick auf die Atmosphäre des Romans ein großes Potenzial, das Narciso leider nicht hundertprozentig ausschöpft. Ein Punkt, in dem die Kompaktheit des Romans etwas bedauerlich ist. Es entsteht zwar ein interessantes Bild von Singapur, zumal der durchschnittliche Mitteleuropäer darüber sicherlich nicht viel weiß, aber man hätte daraus sicherlich auch noch eine etwas dichtere Atmosphäre zaubern können. Singapur als Schmelztiegel unterschiedlicher asiatischer Kulturen, als Land ohne wirkliche Wurzeln und als Ansammlung moderner Bauwerke, ohne tief greifende Geschichte wird sehr deutlich ausgeformt, könnte aber hier und da auch tiefer greifend sein.

Was Narcisos sprachlichen Stil angeht, so ist der, wie angesprochen, längst nicht so feinfühlig und poetisch wie der Titel des Romans vermuten lässt. Er formuliert schlicht und etwas schnörkellos, sehr klar und direkt. Er scheint ein Faible für Marken zu haben, das an manchen Stellen etwas sonderbar anmutet, denn ich für meinen Teil finde es nicht unbedingt erwähnenswert, wenn jemand ein Poloshirt mit einem eingestickten Krokodil auf der Brust trägt.
Narciso konzentriert sich sehr auf die Interaktion der Figuren, schildert seine Handlung häufig in Dialogen und lässt auch trotz der gewählten Form des Ich-Erzählers nicht tiefer in seinen Protagonisten Rodolfo blicken. Sprachlich und inhaltlich fügt sich der Roman dennoch sehr gut zusammen. Letztendlich passt Narcisos Art zu Formulieren ganz gut zur Kompaktheit der Erzählung und zu seiner Konzentration auf den Plot.

Insgesamt betrachtet, ist Giancarlo Narciso mit „Die schöne Hand des Todes“ ein solider Thriller geglückt. Die Geschichte wird durchgängig spannend erzählt, der Plot ist ziemlich pfiffig inszeniert und entwickelt sich mit der Zeit so rasant, dass dem Leser fast schwindelig wird. Dass vor diesem Hintergrund die Figuren nicht so tief gezeichnet werden und sich auch die Atmosphäre Singapurs nicht bis in den letzten Winkel entfaltet, ist zwar eine etwas bedauerliche Begleiterscheinung – besonders wenn man im Hinterkopf behält, dass man aufgrund des deutschen Titels vielleicht mit einer etwas falschen Erwartungshaltung an das Buch herangeht -, aber letztendlich in gewissem Maß verzeihlich.

Patricia Cornwell – Wer war Jack the Ripper?

Thriller-Autorin Patricia Cornwell, weltberühmt durch die Serie um die kriminalistisch aktive Pathologin Kay Scarpetta, wartet in Sachbuch mit einem Knüller auf: der Entlarvung des historischen Super-Serienmörders Jack the Ripper! Ein deutscher Maler sei er gewesen, dämonisch schlau und nach dem Ende der West End-Mordserie weiterhin aktiv … – Jahre der aufwändigen Recherche in den Archiven und Labors der westlichen Welt und viele Millionen Dollar brachten dieses Buch hervor, das sich nahtlos einreiht in die lange, lange Reihe jener Werke, die immer neue Ripper-Gestalten in die Welt setzen, ohne jedoch liefern zu können, was allein überzeugen könnte: den ultimativen, schlüssigen Beweis. Patricia Cornwell – Wer war Jack the Ripper? weiterlesen

Szerb, Antal – Pendragon-Legende, Die

Ende 2004 erschien im |Deutschen Taschenbuchverlag| eine Neuübersetzung der „Pendragon-Legende“, die der ungarische Literaturprofessor Antal Szerb bereits im Jahre 1934 verfasste. Szerb ist in Ungarn bis heute berühmt, obwohl er bereits 1945 im Alter von nur 43 Jahren im Internierungslager Balf in West-Ungarn starb.

Im Alter von 32 Jahren lernt János Bátky auf einer Soiree bei Lady Malmsbury-Croft den Earl of Gwynedd kennen, der auch unter dem Namen Owen Pendragon bekannt ist. Die beiden unterhalten sich gut und diskutieren unter anderem über Fludds Naturphilosophie. Am Ende des Abends erhält Bátky eine Einladung nach Wales auf das Schloss Llanvygan der Pendragons, wo ihm eine ausführliche Sichtung der dortigen Bibliothek ermöglicht werden soll. Bátky freut sich zwar über das Angebot, fühlt sich allerdings viel zu träge, um wirklich nach Wales zu reisen. Dennoch wird seine Neugierde geweckt, als er erfährt, dass die Pendragon-Bibliothek weltweit berühmt ist für ihre Werke aus dem Gebiet der Mystik und des Okkultismus im 17. Jahrhundert. Kurze Zeit später erhält Bátky einen mysteriösen Anruf, der ihn vor einer Reise nach Wales warnen will, da dort sein Leben in Gefahr sei. Doch Bátky versucht, dieses Telefonat wieder zu vergessen.

Durch einen Zufall (?) lernt er bei seinen Studien zur Familiengeschichte der Pendragons im |British Museum| den lebens- und reiselustigen George Maloney aus Connemara kennen, der sogleich von seinen zahlreichen und aufregenden Auslandsaufenthalten erzählt. Bei einem gemeinsamen Abendessen stellt Maloney seinem neuen Bekannten Bátky den Neffen des Earl of Pendragon vor. Der gebildete Osborne Pendragon studiert in Oxford, möchte aber seine Ferien auf Llanvygan verbringen und hat dazu auch seinen Freund Maloney eingeladen. So beschließen Maloney und Bátky, gemeinsam nach Wales zu reisen.

Schon die Begrüßung auf dem Schloss verläuft nicht so erfreulich, wie Bátky sich das erhofft hat, und gleich in der ersten Nacht wird er von merkwürdigen Geräuschen geweckt. Als er seinen Revolver aus dem Nachtschrank holen will, muss Bátky erstaunt feststellen, dass sämtliche Patronen aus der Waffe entfernt worden sind und auch ein Päckchen fehlt, das er für Maloney mit sich geführt hat. Auf dem Gang vor seinem Zimmer trifft er auf eine mittelalterlich gekleidete Gestalt, die sich als Hausdiener vorstellt, doch bei einem Blick aus seinem Zimmerfenster kann Bátky einen schwarzen Reiter mit Fackel und Hellebarde beobachten. Kurz darauf wird ein Mordanschlag auf den Earl verübt, dem er nur mit viel Glück entkommen kann. Es scheint, als könnte der Earl drohendes Unglück spüren, denn dies war bereits der dritte Mordversuch, den er vereiteln konnte. Langsam aber sicher verdichten sich die Verdachtsmomente, bald ist ein angeblich Schuldiger gefunden, doch was steckt wirklich hinter den Mordanschlägen?

„Die Pendragon-Legende“ ist aus der Sicht des János Bátky geschrieben, der seine Lebensgeschichte erzählen möchte. In seinen ersten 32 Lebensjahren ist außer dem ersten Weltkrieg nichts Entscheidendes passiert; so entschließt sich Bátky, gleich beim Soiree der Lady Malmsbury-Croft einzusetzen und damit bei seiner ersten Begegnung mit dem Earl of Pendragon. Obwohl sofort offensichtlich wird, dass dieses Kennenlernen für den Ich-Erzähler von entscheidender Bedeutung gewesen sein muss, lässt Szerb sich in seiner Erzählung viel Zeit. Zunächst entwickelt er seine Charaktere und verleiht Bátky einige selbstkritische Züge, da er immer wieder einstreut, mit welchen Charakterzügen er an sich selbst unzufrieden ist. Die Charakterzeichnungen sind ein Punkt, der sofort positiv auffällt an diesem Buch, denn neben János Bátky lernt der Leser auch die anderen Hauptfiguren recht gut kennen. Eine besonders sympathische Figur ist dabei Maloney, der immer wieder unglaubliche Geschichten aus Connemara von sich gibt, die ihn ein wenig spleenig, aber auch nett erscheinen lassen. Aufgrund der abstrusen Geschichten bezeichnet Bátky Maloney wenig schmeichelhaft als Münchhausen, doch kommt der Leser nicht umhin, diesen Geschichten doch ein wenig Glauben zu schenken. Maloneys extravagante Hobbys tragen dazu bei, dass der Leser sich ein gutes Bild von diesem überdrehten und lebenslustigen Charakter machen kann. Szerb entwickelt Charaktere, wie es sie im wahren Leben möglicherweise eher weniger geben mag, dennoch kann man ihm dies nicht übel nehmen, da einem die Personen einfach ans Herz wachsen durch ihre menschlichen Macken und Eigenarten. Der Autor zeigt an vielen Stellen eine erstaunliche Beobachtungsgabe, da er in etlichen weiteren Situationen Eigenschaften und Merkmale seiner Charaktere anbringt. Als dritte Figur tritt Osborne Pendragon in Erscheinung, der zwar gebildet und intelligent ist, aber seine Schwierigkeiten mit Frauen zu haben scheint; auch er vermag es durch sein leicht schrulliges Verhalten, dem Leser in einigen Situationen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Besonders Lene Kretzsch weiß eine sehr amüsante Episode über Osborne zu berichten, als sie nämlich versucht, den reservierten und wohlerzogenen Osborne zu verführen, was sich als äußerst kompliziert erweist. Natürlich fehlen auch nicht die Frauenfiguren in diesem Roman; so treten die ominöse Eileen St. Claire, die bezaubernde Cynthia Pendragon und die toughe Lene Kretzsch in Erscheinung. Hier prallen drei völlig unterschiedliche Frauentypen aufeinander, die sich Antal Szerb wahrlich meisterhaft ausgedacht hat.

Szerbs Erzählweise ist gemächlich, aber unheimlich sympathisch, in vielen Sätzen verstecken sich sensibler Humor und feine Ironie, die uns nicht vor lauter Lachen vom Sofa fallen lassen, aber immer wieder zum Schmunzeln bringen. Der besondere Reiz liegt hier in den Feinheiten, die am Rande fallen und auf die man genau Acht geben sollte. „Die Pendragon-Legende“ sollte daher mit etwas erhöhter Aufmerksamkeit gelesen werden, da Szerb viel zu sagen hat und dem Leser zahlreiche Informationen mit auf den Weg gibt. So erfährt der Leser während Bátkys ausführlicher Literatursichtung vor seiner Reise nach Wales einiges aus der Familiengeschichte der Pendragons, die eng verwoben ist mit der Geschichte der Rosenkreuzer. Stein um Stein baut Szerb dadurch seine Geschichte auf. Oftmals wird die eigentliche Erzählung ein wenig unterbrochen durch diverse Einschübe, wenn beispielsweise eine neue Person auftaucht, die János Bátky zunächst vorstellen möchte, oder wenn aus der Historie der Pendragons berichtet wird. Obwohl ich derlei Einschübe sonst eher lästig finde, muss ich zugeben, dass sie hier in die Geschichte passen, zumal die eingeschobenen Szenen meist interessant oder auch amüsant sind.

Allmählich wird fast schon unmerklich Spannung aufgebaut durch kleine Hinweise auf mysteriöses Treiben im Hause Pendragon. Bátky kommt im Schloss kaum zum Schlafen, da nächtens die merkwürdigsten Dinge geschehen, darüber hinaus schwebt der Earl of Pendragon in Lebensgefahr, da er bereits drei Mordanschlägen durch schicksalhafte Mithilfe entkommen konnte. In Pendragons Labor entdeckt Bátky unglaubliche Dinge, die mit der Geschichte der Rosenkreuzer zusammenzuhängen scheinen. Doch bleibt lange unklar, worauf das Buch eigentlich hinauslaufen möchte.

Eine Einteilung in ein Genre ist bei der „Pendragon-Legende“ äußerst schwierig, da Szerb auf der einen Seite eine Geistergeschichte schreibt, auf der anderen aber auch ein Familienbild der Pendragons entwirft. Beide Handlungszweige sind eng verwoben und werden gleichberechtigt weitergeführt. Obwohl die Rosenkreuzer auftauchen und eine nicht unwesentliche Rolle spielen, darf man keinen Verschwörungsthriller im Stile eines Dan Brown erwarten, denn Szerb lässt seine „Pendragon-Legende“ in eine völlig andere Richtung gehen. Im Grunde genommen kann man das Buch als eine Gruselgeschichte mit ausführlichen Charakterzeichnungen und sympathisch erzählter Rahmengeschichte bezeichnen.

Die „Pendragon-Legende“ reißt nicht durch übergroße Spannung mit, sondern hat ihren ganz eigenen Charme, das Buch ist eine kleine literarische Perle, die man aufmerksam lesen sollte, um alle Feinheiten aufzunehmen. Antal Szerb lässt herrliche Charaktere entstehen, die allesamt irgendwo sympathisch werden, allen voran der philosophisch interessierte, schüchterne und ängstliche Ich-Erzähler Bátky, der auch den Reizen einer schönen Frau nicht widerstehen kann. Die eigentliche Gruselgeschichte passiert fast schon am Rande, obwohl sie doch eigentlich Anlass gegeben hat zu Bátkys Erzählung. Doch der besondere Reiz dieses Buches liegt in den Geschichten, die drumherum erzählt werden. Der Leser sollte sich allerdings auf Szerbs Erzählweise und die manchmal etwas schwerfällig anmutende Sprache einlassen, dann wird die „Pendragon-Legende“ für einige sehr unterhaltsame und interessante Stunden sorgen.

Hennig von Lange, Alexa – Woher ich komme

Alexa Hennig von Lange ist die wohl schillerndste unter den jungen Autorinnen Deutschlands. So jung ist die 1973 in Hannover geborene, ehemalige „Bim Bam Bino“-Moderatorin aber auch nicht mehr. Inzwischen lebt sie nach langem Aufenthalt in Berlin mit ihrem Mann und den zwei Kindern wieder in Hannover.
Literarisch ist man 1997 auf sie aufmerksam geworden, ihr Debüt „Relax“ hielt sich lange in den Bestsellerlisten und bestach durch die authentische und schonungslose Jugendsprache der Autorin. Wie es so häufig ist, wurden die folgenden Romane „Ich bin’s“ und der Tagebuchroman „Mai 3D“ zu echten Enttäuschungen und ließen am Talent des Rotschopfes zweifeln. Zurück zu alter Stärke hatte sie zum Glück mit dem Jugendbuch „Ich habe einfach Glück“ im Jahre 2001 gefunden, für das sie schließlich mit dem Jugendliteratur-Preis ausgezeichnet wurde. Zuletzt erschienen „Erste Liebe“ und „Mira reicht’s“ 2004. Die Erstausgabe zu „Woher ich komme“ wurde 2003 veröffentlicht.

Die Handlung des 100 Seiten kurzen Romans ist gar keine. Die 30-jährige, namenlose Protagonistin fährt mit ihrem Vater ans Meer, wie es die Familie jeden Sommer getan hat. In der Gegenwart hält man sich aber nicht lange auf, auf den gesamten Text bezogen nur wenige Seiten. Es ist ein stiller und träger Ausflug, den Vater und Tochter hier unternehmen. Das Meer, der Ort, zu dem es die Beiden gezogen hat, ist der Ort der Erinnerungen, die wie Schatten immer wieder, meist nur kurz, an der Oberfläche erscheinen.
Jede Erinnerung ist nur wenige Sätze lang, bricht so unvermittelt, wie sie aufgetaucht ist, ab und wird von einer anderen abgelöst. Die Protagonistin geht in Gedankensprüngen ihre Kindheit durch. Diese ist auf den ersten Blick eine glückliche. Man erfährt, dass sie einen kleinen Bruder hatte, der im Sommer, immer wenn die Familie zum Urlaub ans Meer gefahren ist, Geburtstag hatte. Liebevoll, fast poetisch werden Situationen dieser Sommertage geschildert, aber es klingt auch viel Wehmut darin an. Eines Sommers wird die Familie während des geliebten Sommerurlaubs für immer auseinander gerissen. Bei einem Spaziergang im Watt wird man von der Flut überrascht. Die Protagonistin kann sich an den Strand retten und muss zusehen, wie nur ihr Vater aus dem Wasser zurückkehrt.
Es tun sich inmitten dieser tragischen Gegebenheit und Schilderungen einer oberflächlich normalen und glücklichen Kindheit aber auch noch weitere düstere Abgründe auf. So zum Beispiel die Affäre der Mutter mit dem Nachbarn.

„Woher ich komme“ ist ein ruhiges und schlichtes, so zerbrechlich wie die Erinnerungen der Protagonistin wirkendes Buch. Es ist ebenfalls eine authentische Erzählung. Die Erinnerungen wurden ausgezeichnet von der Autorin gestaltet und angeordnet. Die von der Protagonisten erinnerten Dinge liegen schon mehr als ein Jahrzehnt zurück. Durch diesen Umstand wirken sie auf den Leser oft unklar und schemenhaft, an einigen Stellen aber bemerkenswert detailliert. Es sind meist die schönen Erinnerungen, wie die tiefe Verbundenheit mit dem Bruder oder Gesten der Mutter, die sich in das Gedächtnis eingebrannt haben, die präzise und emotional berührend wiedergegeben werden.
Angesichts der letztendlich mehr als tragischen Kindheit verbergen sich viele Dinge im Kopf der Protagonistin, die sie scheinbar noch nicht für sich abschließen konnte. Durch die räumliche Nähe zu diesen Erinnerungen (das Meer) brechen sie unweigerlich und geballt hervor. So wird es für den Leser schwierig, diese in einen Kontext einzuordnen, denn sobald sich Klarheit anbahnt, wird eine Erinnerung von der anderen abgelöst. Zeitliche und räumliche Sprünge folgen dabei aufeinander, bis sich das Angedeutete gegen Ende des Romans mehr und mehr entblättert, aber immer noch viel Raum für die Fantasie des Lesers lässt.
„Woher ich komme“ ist kein Buch, das sich mit der dramaturgischen Entwicklung einer Handlung oder der von Charakteren aufhält. Die Handlung ist die Vergangenheit, und die muss sich der Leser schon selbst erarbeiten. Wer sich darauf einlässt, kann einige gute Stunden mit einem höchst interessanten und für die Autorin außerordentlich erwachsenem Buch verbringen.

|Leseprobe| aus der Taschenbuchausgabe Februar 2005, Seiten 9/10.

»Meine Mutter und ich sahen, wie sich der Priel mit Wasser füllte, und der Sand war nicht mehr da, und mein Vater war weit draußen, hörte unsere Rufe nicht, und der Himmel war blau. „Lauf so schnell du kannst!“ Meine Mutter schubst mich in die Richtung, in der sie den Strand vermutet, und das ist die richtige Richtung, und ich renne so gut es geht, im feuchten Sand, und Mama versinkt in die andere Richtung, in Richtung meines Vaters, meines Bruders. Der war klein und wusste von nichts. Ging an Papas Hand und hatte uns zugewinkt. Die Sonne stand über uns, flirrend, keine Wolken, einfach nur Himmel und sehr viel Raum. Zwischen Mama und mir, zwischen mir und meiner Familie wurde der Abstand immer größer.
Mein Vater kam allein zurück.«

Fraser, Ian (Kilmister, Lemmy) / Garza, Janiss – Lemmy – White Line Fever

Ian Fraser Kilmister, besser bekannt als „Lemmy“, ist ein (wenn nicht sogar DAS) Urgestein der Rock- und Metalszene. Er wurde am Heiligabend 1945 in Burslem, England geboren und sammelte bereits in jungen Jahren musikalische Erfahrungen bei Bands wie den ROCKING VICARS, OPAL BUTTERFLY und HAWKWIND, bevor er sich ab 1975 als Frontmann von MOTÖRHEAD maßgeblich an der Erfindung des Metal beteiligte. Vielleicht kennt ja der eine oder andere unter euch noch den Gag aus dem Film „Airheads“:

„Wer würde beim Wrestling gewinnen: Lemmy oder Gott?“
„Lemmy?“
„Möööp!“
„Äh, Gott!“
„Falsch! Fangfrage. Lemmy IST Gott.“

Man muss nicht unbedingt ein Fan von MOTÖRHEAD sein, um das Lebenswerk von Lemmy Kilmister würdigen zu können. Ich persönlich habe ein paar Favoriten wie „Born To Raise Hell“, „Killed By Death“ oder das grandiosen Cover von „God Save The Queen“, aber für den entsprechenden Nostalgie-Faktor bin ich wahrscheinlich zu spät geboren worden, und bei den meisten MOTÖRHEAD-Songs fehlt mir einfach die Härte. Nichtsdestotrotz hat Lemmy Musikgeschichte geschrieben, wobei er stets bodenständig geblieben ist und trotz seines exzessiven Lebensstils so manchen Rockstar überlebt hat. Zudem haben sich MOTÖRHEAD niemals dazu verleiten lassen, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen (wie etwa GUNS N‘ ROSES) oder einfach nur aus finanziellen Gründen weiterzumachen (wie etwa die ROLLING STONES), sondern bis heute mit kontinuierlicher Frische ein neues Album nach dem anderen eingezimmert. Das ist an sich schon eine Leistung, die zumindest Respekt, wenn nicht sogar Hochachtung verdient. Dank Lemmy haben wir auch heute noch (z. B. auf dem diesjährigen „With Full Force“) die Möglichkeit, ein |lebendiges| Stück Rock-’n‘-Roll-Geschichte live zu erleben. Ich hoffe, dass uns dieses Privileg noch ein paar Jahre erhalten bleibt. Grund genug für mich, mir die kürzlich bei |Iron Pages| auf Deutsch erschienene Lemmy-Autobiographie „White Line Fever“ zu Gemüte zu führen.

Wie diese „Autobiographie“ zustande gekommen ist, hat Lemmy im Gespräch mit Götz Kühnemund (nachzulesen in der Ausgabe 6/04 des |RockHard|-Magazins) erläutert:

„Ja, ich habe alles auf Band gesprochen, und Janiss Garza hat die Tapes abgehört. Die abgetippte Version habe ich dann noch einmal Korrektur gelesen und stellenweise abgeändert.“

Will heißen: „White Line Fever“ wurde nicht von Lemmy selbst, sondern von seiner Ghostwriterin geschrieben. Das Buch orientiert sich an den freien Assoziationen, welche Lemmy auf Band gesprochen hat, und das merkt man der Struktur des Textes auch an. Streng genommen handelt es sich hier also mitnichten um eine echte Autobiographie, wie es der Untertitel auf dem Cover des Buches suggeriert. Das tut aber dem Lesevergnügen keinen Abbruch – im Gegenteil. Janiss Garzas Schreibe kommt frisch und unverbraucht rüber und außerdem versteht sie es, die Pointen richtig zu setzen. Sie scheint bei der Niederschrift des Textes mindestens genauso viel Spaß wie Lemmy gehabt zu haben. Da er sich selbst mit dem Endprodukt identifizieren kann, dürften die MOTÖRHEAD-Fans m. E. erst recht nichts dagegen einzuwenden haben.

Das Buch folgt keiner streng chronologischen Zeitlinie, obwohl es sich natürlich grob an Lemmys Werdegang orientiert. Lemmy springt in seiner Erzählung immer dann in der Zeit, wenn er den geschichtlichen Kontext einer bestimmten Situation verdeutlichen, oder – was wohl ausschlaggebender sein dürfte – eine amüsante Anekdote zum Besten geben will. Was wir dabei erfahren, ist Lemmys ganz persönliche Sicht der Dinge, aber nicht zwingend eine möglichst „objektive“ Darstellungsweise. Aber das wäre vermutlich auch bedeutend langweiliger als Lemmys erzählerisches Spiel mit Klischees und Übertreibungen. Wenn ein alter Seemann sein „Seemannsgarn“ spinnt, lebt die Geschichte schließlich auch von den Übertreibungen. (Wer eine möglichst realitätsnahe Wiedergabe der mit Lemmy verbundenen Ereignisse haben möchte, sei an dieser Stelle auf „Over the Top – Das Motörhead-Fanbuch“ von Matthias Mader (ebenfalls erschienen bei |Iron Pages|) verwiesen.) Abgesehen davon habe ich aber den Eindruck, dass in Lemmys Schilderungen immer zumindest ein Körnchen Wahrheit enthalten ist. Der Mann hat in seinen (zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung von „White Line Fever“) 57 Lebensjahren mehr skurrile Dinge erlebt als fünf „normale“ Menschen zusammen.

Wir erfahren etwas von Lemmys problematischer, aber dennoch lebensfrohen Kindheit, welche er in Armut und ohne leiblichen Vater durchleben muss. Da seine Mutter samt Stiefvater nach Wales zieht, ist das Schulkind Lemmy von Anfang an ein Exot. Schon früh entdeckt er, dass man mit einer Gitarre Mädchen beeindrucken kann. Als er zusätzlich registriert, dass dies noch besser funktioniert, wenn man sein Instrument auch noch beherrscht, findet er in der Musik schnell eine Alternative zum ungeliebten Schulbesuch. Der damalige Arbeitsmarkt bietet auch keine wirkliche Alternative, so dass er den Entschluss, Musiker zu werden, sicherlich nicht bereut hat. Andere britische Bands wie BLACK SABBATH oder VENOM standen ja vor einer ähnlichen Problematik, und auch jüngere Bands wie RAGING SPEEDHORN zeigen, dass sich daran bis heute nicht viel geändert hat.

Die Liebe zum Rock entdeckt Lemmy, als er zum ersten mal mit BILL HALEY, BUDDY HOLLY, ELVIS PRESLEY und den BEATLES in Berührung kommt. Mit 16 verlässt er Wales, und die 60er verbringt er im Umkreis verschiedener Musiker (u. a. als Roadie von JIMMY HENDRIX) in London. Eine anschaulichere Beschreibung der damaligen Szene wird wohl schwer zu finden sein. Ich habe lange überlegt, ob ich hier ein paar beispielhafte Anekdoten zu seinen Exzessen um Musik, Drogen, Sex und abgefahrenem Zeitgeschehen zitieren sollte, bin aber letztlich zu dem Schluß gekommen, dass es weitaus spaßiger ist, sich selbst von Lemmys Humor überraschen zu lassen.

Damit komme ich zu einem entscheidenden Punkt: Das Buch ist absolut selbsterklärend. Wer erfahren will, welche Schwerpunkte Lemmy aus seinem Werdegang als prägend empfunden hat, kann dies hier aus erster Hand tun. Wir erfahren, wie Lemmy nach und nach in verschiedenen Bands Erfahrungen sammelt, bis er mit MOTÖRHEAD sein eigenes Projekt aufzieht. Wir werden Zeugen, wie die junge Band langsam zu einer eigenen Identität findet, wie sie sich im Business durchschlägt, und wie die Besetzung immer wieder wechselt. Die einzige Konstante bleibt Lemmy, obwohl sich MOTÖRHEAD natürlich nicht auf Lemmy reduzieren lässt. Besonders interessant finde ich persönlich, wie anhand von Lemmys Entwicklung auch der langsame Übergang vom Hardrock in den 70ern zum Metal in den 80ern mitzuverfolgen ist. Später, als MOTÖRHEAD zu einer festen Instanz geworden ist, folgen junge Metalbands nach, die nun ihrerseits zu Lemmy als altem Heroen aufblicken. Wer von euch hat z. B. gewusst, das Lars Ulrich der Leiter des US-Fanclubs von MOTÖRHEAD war, bevor er selbst mit METALLICA durchstartete?

Interesant ist es natürlich auch zu entdecken, mit welchen sonstigen Persönlichkeiten aus Musik und Medien Lemmy noch verkehrt hat und verkehrt. Viele seiner engsten Freunde sind seit längerer Zeit verstorben, so dass seine vergnüglichen Schilderungen auch oftmals einen melancholischen Anstrich bekommen. Zugleich setzt er damit auch hier und da ein kleines Denkmal. Auch dies im Einzelnen zu entdecken, möchte ich dem geneigten Leser überlassen. Das Buch mag zwar ein paar Lücken aufweisen (Wer kann sich schon an alle Einzelheiten seines Lebens erinnern?) aber es ist insofern „vollständig“, als dass es einen überzeugenden Bogen vom Beginn in den 50ern bis zur Gegenwart spannt. Das Ganze wird mit ein paar schönen Fotos veredelt.

Als deutliches Manko empfinde ich allerdings die äußere Aufmachung des Buches: Der Einband besteht aus dünner Pappe, und das Papier der Seiten (ebenfalls dünn und glatt) hätte auch in einem Magazin Verwendung finden können. Für rund 20 Euro muss da m. E. einfach mehr drin sein. Die Die-hard-Fans sollten daher eine zusätzliche Einbindung in Erwägung ziehen, wenn sie auch ihren Enkeln noch Lemmys Eskapaden vermitteln wollen.

Abgesehen davon kann ich „White Line Fever“ aber ohne Einschränkung empfehlen. Es macht einfach Spaß, die Welt einmal aus Lemmys Perspektive zu betrachten. Eine Frage bleibt aber auch nach der Lektüre weiterhin offen: Wie zum Henker ist Lemmy an diese monströsen Warzen gekommen?!?

Ian Rankin – Verborgene Muster (John Rebus 1)

John Rebus, Polizist in Edinburgh, wird von einem geistesgestörten Mörder persönlich herausgefordert. Dieser zerstört systematisch Familie und Leben seines Totfeindes, der lange nicht einmal ahnt, wie bzw. warum ihm dies geschieht … – Der erste Band der ungemein erfolgreichen Rebus-Serie entstand Jahre vor der Fortsetzung. Die Hauptfigur ist wesentlich schroffer gezeichnet, die Handlung eher Psycho-Thriller als Krimi. Gerade deshalb (sowie zügig geschrieben) ist dieser Roman spannend; sein Potenzial wurde in der Serie nachhaltig unter Beweis gestellt. Ian Rankin – Verborgene Muster (John Rebus 1) weiterlesen

Bujold, Lois McMaster – Barrayar – Der junge Miles

Für den Sohn des ehemaligen Regenten des Kaiserreichs Barrayar sollte es kein Problem sein, an der Offiziersakademie aufgenommen zu werden. Doch nicht an Beziehungen oder gar Geist mangelt es Miles Vorkosigan, nein, er ist ein eineinhalb Meter großer, eher hässlicher, verkrüppelter Zwerg mit brüchigen Knochen, die keiner Belastung standhalten – die Folge eines Soltoxin-Attentats auf seine Mutter während der Schwangerschaft.

Beim knallharten Hindernislauf, Voraussetzung für die Aufnahme, bricht sich Miles wie schon so oft mehrere Knochen – damit ist seine militärische Laufbahn beendet, noch bevor sie begonnen hat. Seinem ultrakonservativen Großvater Piotr bricht er damit das Herz, der alte Mann stirbt kurze Zeit später.

Doch Miles Stunde ist noch nicht gekommen – dieses Buch ist die Geschichte seines Aufstiegs vom gescheiterten Offiziersanwärter zum gewitzten Söldnerführer Admiral Naismith.

_Klein, hässlich, charmant, erfolgreich …_

Mit Miles Vorkosigan führt Lois McMaster Bujold die schillerndste Figur ihres preisgekrönten Barrayar-Zyklus ein, der in komplett überarbeiteter Neuauflage bei |Heyne| erscheint. Der erste Sammelband der Neuauflage, [„Barrayar – Cordelias Ehre“, 865 enthielt bereits den mit dem |Hugo Award| ausgezeichneten Roman „Barrayar“ sowie „Scherben der Ehre“, in dem die Vorgeschichte dieser für eine Space-Opera ungewöhnlichen Heldenfigur geschildert wird.

„Der junge Miles“ enthält die Romane „Der Kadett“ und „Der Prinz und der Söldner“ – Letzterer wurde 1990 mit dem |Hugo Award| ausgezeichnet. Desweiteren ist die Novelle „Die Berge der Trauer“ enthalten, die im selben Jahr mit dem Kritikerpreis |Nebula| ausgezeichnet wurde!

Damit orientiert sich |Heyne| an der tatsächlichen Chronologie des Handlungsverlaufes, nicht an den Erscheinungsdaten der Romane. Insbesondere die Aufnahme der Novelle „Die Berge der Trauer“ in diesen Sammelband ist lobenswert, bisher konnte man sie nur außerhalb der Reihe in einem Sammelband erhalten. Damit stellt die Neuauflage die perfekte Gelegenheit dar, den kompletten Barrayar-Zyklus zu lesen – chronologisch geordnet und vollständig.

_Was macht den Barrayar-Zyklus besser als andere Space-Operas?_

Barrayar spielt in ferner Zukunft, die Menschheit beherrscht bereits die überlichtschnelle Raumfahrt, Wurmlöcher dienen als Sprungtore in ferne Sonnensysteme. Viele kleine Sternenreiche stehen im permanenten Konflikt, insbesondere um strategisch und wirtschaftlich bedeutsame Systeme mit vielen Wurmlöchern. Die Gesellschaft des technologisch und kulturell leicht rückständigen Kaiserreichs Barrayar erinnert an einen Mix aus dem Zarentum der Romanovs (die Adelskaste der „Vor“ stellt Offiziere und Regierung, der Kaisertitel ist erblich) und Stalinismus, dank Politoffizieren und ausgeprägtem Geheimdienstapparat. Der berechtigte Ruf der Grausamkeit eilt den Barrayanern voraus, insbesondere mit dem Nachbarreich Cetaganda und der kleineren Beta-Kolonie kommt es schon nahezu traditionell zu blutigen Gefechten.

Miles ist der lebende Gegensatz zu der militaristischen, konservativen und traditionellen Gesellschaft Barrayars, in der für ihn kein Platz ist – dabei braucht gerade sie seinen Witz, um in einer Zeit des Umbruchs und der Reformen zu bestehen.

_“Der Kadett“_ zeigt uns Miles freche, witzige Art. Thomas Manns Hochstapler Felix Krull könnte es nicht besser, gegen Miles Eskapaden sind seine Gaunereien kleine Fische. Als Söldner Miles‘ mit einer illustren Crew bemanntes Raumschiff, die vom psychopathischen Leibwächter bis hin zum barrayanischen Deserteur reicht, überprüfen, beschließen sie anstelle des Piloten wie sonst üblich doch eher die schöne Elena Bothari als Faustpfand an Bord zu nehmen …

Nun möchte ich nicht zu viel verraten, aber nicht nur werden diese Söldner überwältigt, nein, Miles gibt sich selbst als Söldnerhauptmann aus, „Admiral Naismith“ von den „Dendarii-Söldnern“ ist geboren. Diese nicht-existente Truppe wird bis zum Ende des Romans auf über 3.000 Mann anschwellen, gestandene Söldnergeneräle treten in die Dienste der Dendarii und ordnen sich Admiral Naismith unter. Zuhause auf Barrayar sorgt dies für Aufruhr, man will Miles Vater vorwerfen, sein Sohn stelle eine Söldnerarmee auf, was dem Gesetze nach nicht erlaubt ist und mit dem Tode bestraft werden muss.

Für Unterhaltung ist gesorgt. Gibt es mit Miles‘ Freund, Ivan Vorpatril, dem Offizier und Sunnyboy, sowie anderen Charakteren viel zu lachen und zu schmunzeln, mischen sich auch tragische Elemente in dieses Drama. Elena weiß nichts von ihrer Herkunft, sie ist das Produkt einer Vergewaltigung, die ihr Vater damals im Krieg gegen Escobar begangen hat. In diesem Band kommt es zur Konfrontation Elenas mit der Wahrheit – und der ihres Vaters, Sergeant Bothari, mit ihrer Mutter, die er auf eine absurde und abartige Weise liebt. Diese Zusammenhänge werden zwar erwähnt, jedoch erschließen sie sich nur Kennern des ersten Barrayar-Sammelbandes zur Gänze.

In _“Die Berge der Trauer“_ muss sich Miles seinen ganz persönlichen Problemen stellen. In den rückständigen Gebieten Barrayars werden missgebildete Kinder nach wie vor getötet (Barrayar erlebte einen Atomkrieg, mutierte Neugeborene wurden in der Vergangenheit bereits bei der Geburt beseitigt). Eine junge Mutter bittet Graf Vorkosigan um Gerechtigkeit, sie vermutet, ihr Mann habe ihr Kind wegen seiner Hasenscharte getötet. Miles soll Gerechtigkeit sprechen und den Täter finden.

Diese Novelle wurde mit dem |Nebula Award| ausgezeichnet. Was mich etwas verwundert, denn außer ein Schlaglicht auf die dunklen Seiten des sonst so tragisch-komischen Lebens von Miles zu werfen, konnte ich in ihr keine Moral, keinerlei Lösungsvorschlag oder dergleichen erkennen. Auch hat sich die Amerikanerin Bujold um ein Thema gedrückt, welches in den USA ziemlich heikel ist: Aberglaube darf vorkommen, aber Kritik an kirchlichen Dogmen oder jeglicher Hinweis auf Religion fehlen interessanterweise. Das betrifft nicht nur diesen Roman, in der Zukunft des Barrayar-Universums wird wohl keinerlei Gottheit mehr angebetet. So umgeht man Probleme und bleibt politisch korrekt. Die Geschichte ist tragisch und rührend, charakterisiert Miles und seine Probleme mit einer Gesellschaft, die bereits leicht Behinderte als minderwertig erachtet und ablehnt. Ich hätte mir dennoch etwas mehr erhofft.

In _“Der Prinz und der Söldner“_ wird Miles als Absolvent der Offiziersakademie zum Dienst auf einer in arktischer Ödnis gelegenen Station verdonnert, er soll lernen, sich unterzuordnen. Doch natürlich kommt es zum Eklat mit dem kommandierenden Offizier, Miles gerät in die Bredouille und wird nur dank des Einflusses seines Vaters vor dem Militärgericht gerettet. Seine Karriere in der Flotte ist damit so gut wie ruiniert – doch man sieht eine Chance beim Geheimdienst für Miles …

Die Dendarii-Söldner wurden mittlerweile von einem der alten Söldneroffiziere übernommen, die Miles lange Abwesenheit ausgenutzt haben. Zusammen mit einem vorgesetzten Offizier des Sicherheitsdienstes soll Miles sich der Sache annehmen. Doch wie soll man es anders erwarten – bald überschlagen sich die Ereignisse: Ein Krieg zwischen Vervain, Cetaganda und Barrayar droht, eine gewitzte Söldnerkommandeurin verursacht Miles einiges Kopfzerbrechen und der Kaiser Barrayars, Miles Jugendfreund Gregor, ist ebenfalls „abhanden“ gekommen und wird von seinem eigenen Sicherheitsdienst gesucht.

Eine komplizierte, vertrackte Geschichte, in der Miles ein ums andere Mal seine Schlagfertigkeit und Gewitztheit unter Beweis stellen kann. Die sich entwickelnde Handlung ist einfach atemberaubend und wurde demzufolge zu Recht auch mit dem |Hugo Award| ausgezeichnet. Action, Romantik, Humor – diese Geschichte hat alles.

_Ein Muss für Fans leichter SciFi-Lektüre_

Obwohl die |Barrayar|-Romane in erster Linie auf Unterhaltung ausgelegt sind, enthalten sie doch viele tragisch-komische Elemente, die sie von anderen, bierernsten und klischeehaften Space-Operas oder billig-kitschigen Persiflagen abhebt. Diese Ausgabe ist sehr empfehlenswert, Übersetzungsfehler früherer Ausgaben wurden weitgehend korrigiert, eine Karte sowie ein recht aufschlussreiches Nachwort der Autorin, die zentrale Figur ihrer Romane, Miles, betreffend, wurden beigefügt.

Vielleicht ist es die bittere Note der Komödie, die Miles so sympathisch macht. Er ist von vorneherein ein Loser, eine ganze Welt steht gegen ihn, und dennoch setzt er sich mit Witz und Finesse durch, und wir freuen uns mit ihm. Aber nicht alles gelingt Miles, in der Liebe zu der wunderschönen Elena muss er die bittere Pille des „besten Freundes“ schlucken, und wir fühlen mit ihm. Seinen Großvater enttäuscht er wahrlich tödlich, sein Traum von einer Karriere in der Flotte geht nicht in Erfüllung – aber er findet eine neue Perspektive bei „seinen“ erfundenen Dendarii – Söldnern, die ihn geradezu verehren und sich aus einer Lüge zur Realität entwickeln.

Ich kann diesen Roman jeden SciFi-Fan nur ans Herz legen, möchte aber dennoch zum besseren Verständnis des komplexen Universums den Einstieg mit dem ersten Sammelband, [„Barrayar – Cordelias Ehre“, 865 empfehlen.

Die offizielle Homepage der Autorin:
http://www.dendarii.com/

Bastian Sick – Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod

Deutsche Sprache – schwere Sprache. Das weiß jeder Ausländer, der die Mühe auf sich nimmt, sie zu lernen. Aber im Grunde wissen wir Deutschen das auch selbst ganz gut. Wie oft ist schon über Spezialitäten der deutschen Grammatik diskutiert worden, wie oft fallen einem die regionalen sprachlichen Unterschiede auf und wie oft ist man schon selbst über so manche hinterlistige Gemeinheit des deutschen Sprachdschungels gestolpert.

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Borsch, Frank – Sternenarche, Die (Perry Rhodan – Lemuria 1)

In den Ochent-Sektor verirren sich seit jeher nur galaktische Glücksritter der besonders hoffnungsvollen (oder verzweifelten) Art. Er bildet eine Pufferzone zwischen den Machtbereichen der tellerköpfigen Blues und der hominiden Akonen, droht jedoch diese Funktion zu verlieren: Seit einiger Zeit mehren sich die Zeichen dafür, dass sich etwas anbahnt in diesem Winkel des Weltraums.

Um Terras Interessen zu wahren, begibt sich Perry Rhodan, seit Jahrtausenden Terras Mann für kosmische Verwicklungen, auf eine diplomatische Mission. Er möchte mit den Akonen verhandeln und sie auf der Seite der Menschheit wissen, sollte um den Ochent-Sektor ein Konflikt ausbrechen. Mit dem Prospektorenraumer „Palenque“ reist er unauffällig an, kommt aber nicht weit: Unter dramatischen Umständen stößt man auf ein riesiges Raumschiff, das erkennbar seit Jahrtausenden unterwegs ist.

Die Überraschung ist komplett, als man im Inneren auf – Menschen stößt! Eigentlich sind es Lemurer, d. h. Angehörige der „Ersten Menschheit“, die vor 50.000 Jahren von der Erde aus ein riesiges Imperium errichteten, Siedlerschiffe in die Galaxis schickten und nach einer Invasion der sechsgliedrigen „Bestien“ die Erde fluchtartig verließen.

Seit Äonen ist die „Nethack Achton“ also unterwegs. Das Wissen um die Herkunft oder den Grund der Reise ist in Vergessenheit geraten. An Bord hat sich ein eigener Mikrokosmos herausgebildet. Das Leben steht im Zeichen der stets begrenzten Ressourcen. Ein strenges Kastensystem mit quasi religiösen Zügen hat sich entwickelt. An der Spitze der Gesellschaftspyramide steht der „Naahk“ – zur Zeit Lemal Netwar -, der mit Hilfe einer Wach- und Schutztruppe – den „Tenoy“ – ein strenges Regime über sein Volk – die „Metach“ – führt. Dabei unterstützt ihn das „Netz“, eine künstliche Intelligenz, deren unsichtbare Fühler fast jeden Winkel der „Nethack Achton“ kontrollieren.

Allerdings nagt der Zahn der Zeit an der Technik. Außerdem mehrt sich unter den Metach der Unwillen über die Beschränkungen, die ihnen Naahk und Netz auferlegen. Was geht jenseits der Schiffsmauern vor, das wollen junge Männer und Frauen erfahren, die solchen Fragen Taten folgen lassen. Die Schiffsführung schlägt hart zurück, fordert Gegenreaktionen heraus. Der Konflikt schaukelt sich stetig hoch. In dieser Situation tritt Perry Rhodan auf den Plan. Um die Lage endgültig eskalieren zu lassen, nähert sich außerdem ein nicht zu Verhandlungen aufgelegtes akonisches Kommando …

Mehr als vier reale Jahrzehnte bringt Perry Rhodan nun schon Zucht & Ordnung ins Universum. Mal glückt ihm das, meist nur halbwegs und oft gar nicht. Unverdrossen versucht es stets aufs Neue. Das ist der Stoff, aus dem „seine“ Serie gestrickt ist, die sich zur „größten Science-Fiction-Serie der Welt“ gemausert hat.

Wobei „größte“ nicht „beste“ bedeutet. Spannende Unterhaltung möchte man den Lesern bieten, nicht mehr, nicht weniger. So lange die Latte auf diesem Niveau liegt, klappt das hervorragend. Übel wird’s dann, wenn „kosmisches Gedankengut“ sich im Geschehen breit macht; es scheint sich stets aus der legendären Schwurbelschaum-Materiequelle zu speisen …

Die „Lemuria“-Miniserie – bereits die dritte, die nach „Andromeda“ und „Odyssee“ im |Heyne|-Verlag läuft – lässt die großen universalen Mysterien außen vor. Stattdessen beackert man ein Feld, das seine Fruchtbarkeit bereits mehrfach unter Beweis gestellt hat. Der Zyklus um die „Meister der Insel“ (PR-Bände 200-299) gehört zu den ganz großen Favoriten der Serie. Noch in deren Sturm-und-Drang-Phase entstanden, gelang die beinahe perfekte Mischung aus Science-Fiction und Abenteuer. Praktisch sämtliche Elemente des Genres kamen zum Einsatz, wurden unbekümmert mit Horror, Krimi, Krieg und allem, was die Welt der trivialen Unterhaltung sonst zu bieten hatte, verquickt. Gleichzeitig entstand zum ersten Mal in Vollendung jene „alternative“ Geschichte der Menschheit, für die PR mit Recht gerühmt wird.

Der „MdI-Zyklus“ hat – obwohl bejahrt – seine Faszination behalten. Hier war PR noch jung, bildete das Universum einen Spielplatz, auf dem sich die Autoren tummeln konnten. Sie sprudelten über vor Ideen, die nur zum Teil oder gar nicht bis zum Ende durchgespielt wurden und werden konnten. Viele rote Fäden fransten ins Leere aus – diese Lücken und angerissenen Episoden bildeten ein Futter, von dem die Saga vom „Erben des Universums“ bis heute zehren kann.

Immer wieder forderten die Fans die Rückkehr nach Andromeda. Mehrfach wurde ihnen dieser Wunsch erfüllt, denn PR mit MdI-Touch geht mit einem Bonus ins Rennen um die Gunst der Leser, was deren Griff um die Geldbörse lockert. Auf den Glanz der Vergangenheit setzt nun auch „Lemuria“ – oder möchte setzen, denn in „Die Sternenarche“ ist von dem alten, ins reale 21. Jahrhundert transponierten Zauber nur wenig zu spüren.

Sechs Bände sind zu wenig, um einen „richtigen“ Zyklus mit MdI-Patina zu schaffen. Für einen Episodenzyklus um die „Nethack Achton“ sind es möglicherweise zu viele. Grundsätzlich ist die Idee gut, an Bord eines Generationsraumschiffs zu reisen. Seit die Meister ihr Zepter schwangen, ist viel Zeit vergangen. „Neuigkeiten“ aus Andromeda können dosiert ins Geschehen eingebracht werden. Gleichzeitig kann man sich auf Bekanntes stützen – „Lemuria“ ist auch eine „Nacherzählung“ dessen, was das PR-Team um K. H. Scheer Anfang der 1960er Jahre schuf.

Leider ist so ein Generationsraumschiff auf der anderen Seite ein limitierter Ort für eine spannende, an überraschenden Wendungen reiche Story. In einem Anhang zur „Sternenarche“ gibt Hartmut Kaspar einen Überblick über das „Generationsraumschiff in der Science Fiction“, wo es eine eigene Nische besetzt – eine enge Nische, denn in solchen Dosenraumern geht es in der Regel recht ähnlich zu. Immer ist man schon so lange unterwegs, dass die ursprüngliche Mission in einem mythischen Nebel verschwunden ist. Religiöse Fanatiker und/oder der durchgedrehte Bordcomputer haben die Macht übernommen und knechten ihre „Untertanen“, die ihrerseits vergessen haben, dass sie in ihrer privaten Welt durchs All rasen. Im Schiff selbst gibt die Technik ihren Geist auf; allerlei Improvisationen müssen das ausgleichen.

Diese Melodie erklingt auch in der „Sternenarche“. Frank Borsch gelingt es nie, dem Thema etwas Neues abzugewinnen. Wenn man ihn für etwas rühmen kann, dann ist es u. a. die handwerklich saubere Umsetzung des Plots, die das Bekannte erzählerisch dicht und angenehm lesbar präsentiert. Die pseudodramatische Hast, die schlampig-saloppe, angeblich zeitgemäße und von der jugendlichen Leserschaft gewünschte Sprache (der sog. „Maddrax-Sprech“), welche beispielsweise die Lektüre der aktuellen „Atlan“-Miniserien (zu) oft zur Qual werden lassen, geht diesem ersten „Lemuria“-Band zu seinem Vorteil ab.

Viel geschieht also nicht – im Auftaktband zu einer Serie muss das Terrain halt erst vorbereitet werden für das, was noch folgt. Dies kann dem Verfasser leicht zum Korsett werden. Zudem muss der Nicht-PR-Insider bedacht werden, den man nicht durch die geballte Wucht der Serienfakten vom Buchkauf abschrecken will. Borsch versucht diese kaufmännische Intention wie gesagt nicht zu verschleiern, sondern erzählt ruhig und solide seine Story. PR-Interna streut er nebenbei ein. Der Hardcore-Fan wird sie registrieren.

Man kann folglich nicht Borsch vorwerfen, er ruhe sich auf den MdI/Lemuria-Lorbeeren aus. Er muss mit angezogener Bremse schreiben. Erst die folgenden Bände werden zeigen, ob die Verschmelzung der glorreichen PR-Vergangenheit mit der Gegenwart wirklich gelingt und womöglich etwas für die PR-Chronik Neues, Eigenständiges schafft.

Nichts Neues ebenfalls in Sachen Figurenzeichnung. Perry Rhodan ist ein schwieriger Charakter. Einerseits muss er als „normaler Mensch“ gezeigt werden, an dessen Denken und Handeln man Anteil nimmt. Andererseits ist er wahrlich steinalt und hat so viel Außergewöhnliches erlebt, dass er womöglich ein „kosmischer“ Mensch geworden ist, der in ganz anderen Sphären beheimatet ist als der Rest der Menschheit, deren Vertreter er durch seine bloße Ausstrahlung sprachlos werden lässt. Frank Borsch versucht dieses Problem zu thematisieren, indem er Rhodan quasi stellvertretend durch die Augen der „Palenque“-Besatzung beobachtet. Sie verkörpern den „Normalterraner“, der Rhodan mit einer Mischung aus (Ehr-)Furcht und betonter Kumpelhaftigkeit begegnet. Das funktioniert gut in dem begrenzten Rahmen, der in der PR-Serie die Grenze zwischen überzeugender Charakterdarstellung und hölzern-lächerlicher Gefühlsduselei markiert, denn Borsch bleibt klug innerhalb der Bildränder. (Die „Luftgitarren-Episode“ hätte er sich und uns freilich ersparen sollen.)

Natürlich kann die Rhodansche Dualität nie durchgehalten werden. Die ehernen Gesetze des auf Bewegung und Unterhaltung getrimmten Trivialromans (ein Begriff, der übrigens zunächst keinerlei negative Wertung beinhaltet) fordern ihren Tribut. Wieso ausgerechnet Perry Rhodan in das Geschehen verwickelt ist, darüber denke man lieber nicht nach. Was hat dieser Mann auf einer unwichtigen Mission in einem unwichtigen Sternensektor verloren? Für solchen diplomatischen Kleinkram dürfte Rhodan seine Leute haben. Aber wider alle Logik muss er immer wieder an einen Ort gebracht werden, wo es gefährlich und turbulent zugeht. Als weisen Ratgeber im Hintergrund mögen die Fans ihren Perry nicht sehen; er muss auch – bildhaft gesprochen – die Fäuste schwingen.

Warum hat man nicht einen seiner (Kampf-)Gefährten mit auf die Ochent-Mission geschickt? Fast durchweg agieren nur Rhodan oder Atlan an der Front. Es gibt durchaus andere, farbenfrohe, von der Leserschaft geliebte Figuren, von denen man viel zu wenig hört. Die Besatzung der „Palenque“ bietet da kein Ersatz. Allzu austauschbar wirken die Charaktere. Die Kommandantin soll eine starke Nebenfigur darstellen. Borsch fällt dazu nur ein, ihr cholerische Züge und ein exaltiertes Verhalten aufzuprägen. Immerhin übertreibt er es nicht wie so viele seiner PR-Teamkollegen und degeneriert sie zur peinlichen, eindimensionalen Karikatur einer Figur.

Ähnlich ergeht es dem Tenoy der „Nethack Achton“. Schon wieder einer dieser absolutistischen Fundamentalisten, die sich im Besitz der „einzigen Wahrheit“ wähnen, ihre Schäflein für die „gute Sache“ unterdrücken und Abweichler unbarmherzig jagen lassen! Allerdings arbeitet Borsch auch hier mit Licht und Schatten. Tenoy ist kein tumber Bösewicht, sondern ein Mensch, der unter seinem Amt leidet, sein Tun hinterfragt und neuem Gedankengut gegenüber aufgeschlossen ist.

Selbstverständlich spielen die Gegner des Tenoy ebenfalls ihre bekannten Rollen. Jung und idealistisch sind sie, neugierig und nicht gewillt, sich länger dem System frag- und klaglos zu beugen. (Seltsam, dass Rhodan stets pünktlich dort auftaucht, wo’s gerade kritisch wird …) Dazu kommen eine zarte Liebesgeschichte plus viel persönliche Tragik, denn Helden und Heldinnen müssen schließlich leiden.

Solina Tormas schließlich fällt die Aufgabe zu, die in der PR-Chronik seit langer Zeit aus dem Blickfeld geratenen Akonen wieder in die Handlung zu führen. Als Historikerin und Spezialistin für lemurische Geschichte steht sie zwischen Akonen und Terranern – eine gut gewählte Figur, um die Differenzen und Ähnlichkeiten zwischen den Völkern (die ja beide von den Lemurern abstammen) plastisch zu machen. Man bemerkt hier die Fortschritte, die PR in mehr als vier Jahrzehnten gelungen sind: Die einst eindimensionalen, arroganten und hinterlistigen Akonen gliedern sich in Gruppen und Individuen mit eigenen, durchaus nicht chronisch unredlichen Zielen, ohne gleichzeitig jene Züge zu verlieren, die sie „akonisch“ wirken lassen.

Frank Borsch (geb. 1966 in Pforzheim) studierte bis 1996 Englisch und Geschichte in Freiburg. Um sich zu finanzieren, nahm er eine lange Reihe von Jobs an, arbeitete aber auch an einem Umwelthandbuch für Osteuropa mit und war Webmeister seiner Universität. 1996 saß er unter den Teilnehmern eines Science-Fiction-Seminars, das die Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel ausrichtete. Hier wurde er „entdeckt“: Wolfgang Jeschke, der langjährige Chefredakteur von Heynes SF-Reihe, heuerte ihn als Übersetzer an; ausgedehnte Auslandsaufenthalte und ein Intermezzo als Deutschlehrer im irischen Belfast hatten ihn mit der englischen Sprache vertraut werden lassen.

Zusätzlich übersetzte Borsch Comics für |Marvel Deutschland|. Gleichzeitig begann er zu schreiben, verfasste Romane und Kurzgeschichten, aber auch Artikel vor allem zum Thema Internet. 1998 stieg er mit „Der Preis der Freiheit“, seinem Beitrag zur „Atlan“-Miniserie „Traversan“ ins PR-Universum ein. Ab 2001 gehörte er als Redakteur dem PR-Team in Rastatt an. Seit 2004 ist er Stammautor der „Perry Rhodan“-Heftserie.

Frank Borsch lebt und arbeitet in Freiburg.

Der „Lemuria“-Zyklus …
erscheint im |Heyne|-Verlag:

1. Frank Borsch: Die Sternenarche
2. Hans Kneifel: Der Schläfer der Zeiten
3. Andreas Brandhorst: Exodus der Generationen
4. Leo Lukas: Der erste Unsterbliche
5. Thomas Ziegler: Die letzten Tage Lemurias
6. Hubert Haensel: Die längste Nacht

Leo Lukas – Der erste Unsterbliche (Perry Rhodan. Lemuria 4)

Mit diesem vierten Band des sechsbändigen „Lemuria“-Zyklus‘ leistet Leo Lukas seinen Beitrag zu der bisher außerordentlich spannenden und unterhaltsamen Geschichte um Zukunft und Vergangenheit der Menschheit. Das Wiener Multitalent wurde innerhalb der Perry-Rhodan-Fangemeinde schnell zu einem der beliebtesten Autoren, da er mit seiner überschwänglichen Art alte und festgefahrene Strukturen in der Serie öffnete und ihr nach langer Zeit wieder humorvolle Romane bescherte und immer noch beschert. Mit seiner zweiten Leidenschaft, seiner Arbeit als Kabarettist, ist er auch längst kein Unbekannter mehr. Und trotz dieses Hangs zur Verbreitung seines Lachens bringt er immer wieder hochkarätige Romane ein, deren Humor hintergründig ist.

Perry Rhodan trifft mit den beiden Forschungs- und Prospektorraumschiffen vor dem Akon-System ein, dem Heimatsystem der Akonen. Die dritte entdeckte Sternenarche steht unter dem Hoheitsanspruch der Akonen, Rhodan ist der Zutritt ohne diplomatische Schwierigkeiten verwehrt. Über einen geheimen terranischen Stützpunkt dringt er unerkannt in das System ein und erkauft sich eine Transmitterpassage zur Arche. Zeitgleich verschaffen ihm die kaltgestellten Akonen des zweiten Raumschiffs mit erpresserischen Methoden einen semioffiziellen Zugang, so dass es bei Rhodans Entdeckung einige Verwirrung gibt, die er mit gutmütiger Geschicklichkeit zur allgemeinen Zufriedenheit auflöst.

An Bord der Arche findet sich eine relativ fortschrittliche Lemurerzivilisation – kein Wunder, da der „Verkünder“ Levian Paronn Kommandant dieses Schiffes ist. Doch ist er offensichtlich abwesend. Währenddessen wurde eine vierte Arche aufgebracht, deren Bewohner unterentwickelte Klone der unsterblichen Kommandantin sind, immun gegen jene unbekannte Seuche, der schon die anderen Archenbewohner zum Opfer fielen. Dem Anführer der Klongesellschaft gelang mit parapsychischer Kraft die Ermordung der Kommandantin, seither trägt er ihren Zellaktivator.

In Zwischenspielen erhält der Leser Einblicke in Levian Paronns persönliches Tagebuch und erfährt dadurch, dass der „Verkünder“ sich in unmittelbarer Nähe befindet und die ganze Sache geplant hat, dabei seiner Ansicht nach sogar die Freundschaft des „Hüters“ Icho Tolot ausgenutzt hat, um die Menschheit vor der angeblich drohenden Vernichtung zu bewahren – was ja auch schon der Sinn des Archen-Projekts war.

Während also Rhodan die dritte Arche nach Paronn absucht, trifft dieser unerkannt mit anderen Akonen auf der vierten Arche ein und verängstigt den unsterblichen Mutanten derart, dass dieser sein Heil in der Flucht sucht. Dabei bringt er durch seine geistige Macht auch das Tagebuch Paronns an sich, der sich später voller Eifer an der Jagd nach dem Mutanten beteiligt – vorgeblich wegen der von ihm ausgehenden Seuchengefahr für die Akonen. Denn wenn das Buch in Rhodans Hände fallen sollte, geriete sein gesamter Plan in Gefahr, schließlich ließe sich niemand, und schon gar nicht Rhodan, gern manipulieren.

Zu einem vorläufigen Showdown kommt es auf einem nahe gelegenen Planeten, auf dem neben mehreren Tausend echten „Bestien“ auch eine Zeitmaschine steht, durch die Paronn eine ultimate Waffe in die Vergangenheit schaffen und damit ein gigantisches Zeitparadoxon herbeiführen will, um den Exodus der Lemurer vor fünfzig Jahrtausenden zu verhindern. Er offenbart sich Rhodan, doch nicht nur dieser will ihn an der Tat hindern. Auch Tolots Doppelgänger taucht auf und lüftet sein Geheimnis …

»Sehr groß und weit ist das Universum und vorwiegend schrecklich leer, aber auch voll der Wunder.
Ich habe Tage benötigt, um diesen Satz auszuformulieren. […] Sehr groß und weit ist das Universum und vorwiegend schrecklich. Leer, aber auch voll der Wunder…«
(Seite 11)

In diesem Beispiel wird Lukas‘ Wortgewandtheit auf Anhieb deutlich. Er spielt mit den Worten, würfelt sie durcheinander. In diesem kurzen Abschnitt skizziert er den Charakter Paronns aus dessen eigener Sicht, nachdem Andreas Brandhorst sich in seinem Roman an die Außenansicht durch den Chronisten gehalten hat, und vertieft diese Studie im Laufe des Romans durch weitere Tagebucheinträge, bringt Paronns Motivation näher, so dass man endlich seine Borniertheit nicht tolerieren, aber verstehen kann, da es ihm um sein quasi ausgestorbenes Volk geht. Er kann sich nach diesen Jahrtausenden nicht mit Terranern, Akonen oder anderen Lemurerabkömmlingen identifizieren und setzt deren Existenz aufs Spiel, ja sogar dem sicheren Untergang liefert er sie aus mit der Planung des gravierenden Paradoxons.

Anfangs erscheint die Einführung der vierten Arche um die zwergenhaften Klone überflüssig in ihrer Ausführlichkeit, scheint nur eine weitere Facette der unterschiedlichen Entwicklungen auf den Generationenschiffen zu sein. Der Ausbruch des infizierten Mutanten in die akonische Gesellschaft schien eigens der Rechtfertigung dieser Geschichte zu dienen, doch im Finale findet auch er seine wirkliche, nachvollziehbare und befriedigende Berechtigung, so dass man Lukas fast keine Wortschinderei vorwerfen kann. Fast.

In zwei Handlungssträngen findet sich rhodantypisches Beiwerk: Starke, ausführliche Beschreibungen von technischen Details wie die seitenlange Erläuterung zu verschiedenen Hyperkristallarten, wo es auch ein schlichtes „notwendig für die Technik“ getan hätte; oder seriengeschichtliche Hintergrundinformationen zu den so genannten Bestien, ihrer Entstehung und schließlichen Vernichtung. Bisher konnten die Autoren des Minizyklus‘ sehr wohl auf diese typischen Ausschmückungen, die in der Heftserie einen wichtigen Teil übernehmen, verzichten, was sich wohltuend auf die Geschichte ausgewirkt hat und meines Erachtens in dieser Zyklusform nur unnötiger Ballast ist, der serienfremde Leser wahrscheinlich mehr verwirrt als erleuchtet.

Man stößt hin und wieder auf „Austriazismen“, die Lukas (wahrscheinlich unbewusst) aus seiner Heimatsprache übernimmt, die aber leider nicht immer selbsterklärend sind. So konnte ich zum Beispiel in einem informativen Internetforum herausfinden, dass „Steht das dafür?“ so viel bedeutet wie „Ist es das wert?“.

Mit Hubert Haensel als Exposéredakteur geht man bei diesem Zyklus tatsächlich neue Wege: Schon nach vier Romanen gibt es die Auflösung einer der großen Fragen, die sich so angesammelt haben. Man schindet nicht mehr Platz und Zeit mit belanglosem Nebengeplänkel, um alle Kracher ganz zum Schluss bringen zu können. Das hält die Spannung durch jeden Band. Jetzt sind nur noch wenige „große“ Fragen offen: Wer Levian Paronn ist, wissen wir noch immer nicht. Also wo er herkommt, wie er an den Zellaktivator kam und was für eine Rolle er in einem größeren Spiel spielt. Immerhin ist jetzt klar, dass ein gewisser Haluter ihn mit den Informationen über die Zukunft versorgt hat.

Insgesamt bietet dieser Roman wieder entspannenden Lesegenuss und bringt mehr Antworten als neue Fragen. Trotzdem ist er entgegen meiner Erwartungen der bisher schwächste Roman des Zyklus, was aber eine relative Aussage bleibt, da die ersten Bände und vor allem der direkte Vorgänger von Brandhorst einfach hervorragend sind.

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (7 Stimmen, Durchschnitt: 1,29 von 5)

Hearn, Lian – Schwert in der Stille, Das (Der Clan der Otori – Band 1)

Bisher hatte der junge Tomasu noch keine Vorstellung davon, was Menschen einander antun können – bis zu dem Tag, als die Reiter vom Tohanclan sein Dorf dem Erdboden gleichmachen, alle Menschen töten und auch seine Familie nicht verschonen. Von diesem Tag an nimmt das Leben des 15-Jährigen eine dramatische Wendung – Auf der Flucht vor den Mitgliedern des Tohanclans, denen er in jener schrecklichen Nacht noch begegnet ist, trifft er auf Lord Shigeru Otori, den Anführer der Otori, der sich seiner annimmt. Als Dank dafür, dass Shigeru ihm das Leben gerettet hat, legt Tomasu sein Schicksal vollständig in die Hände des Clans und entdeckt mit dem Leben im Schloss des Lords eine völlig neue Sichtweise auf die Dinge. Aus dem schlauen Jüngling Tomasu wird der intelligente Takeo, ein junger Schüler, der unter seinen Lehrmeistern die Bräuche des Clans, die Malerei und die Kampfkunst erlernt und darüber hinaus Fähigkeiten entdeckt, von denen er bislang noch nichts wusste.

So erlernt Takeo die Fähigkeit, für eine kurze Zeit unsichtbar zu sein oder aber an zwei Stellen zur gleichen Zeit zu erscheinen, eine Methode, die ihm an mancher späteren Stelle noch als lebensnotwendig erscheinen soll. Gleichzeitig findet Takeo aber auch vieles über seine Vergangenheit und die Geschichte seiner Familie heraus und stellt dabei fest, dass er gar nicht so zufällig auf Lord Shigeru getroffen ist.

Zur gleichen Zeit aber wird an anderer Stelle das Schicksal der jungen Kaede erzählt, die von ihren Eltern als Geisel an die Kriegsherren abgegeben worden ist und dort bis aufs Äußerste verachtet wird. Nach einigen tödlichen Zwischenfällen sagt man ihr nach, dass ihre Anwesenheit den Tod bringe. Eines Tages ändert sich auch ihr Schicksal, denn um das Bündnis zwischen den beiden Clans zu beschließen, soll Kaede den Lord des Otori-Clans ehelichen. Gegen ihren Willen tritt sie die Reise an, lernt dabei ebenfalls den mittlerweile herangereiften Takeo kennen und verliebt sich in ihn. Auch Takeo ist von der jungen Dame angetan, darf sich aber aus Respekt nicht dementsprechend verhalten.

Mit der Zeit bekommt Takeo jedoch immer mehr zu spüren, was eigentlich hinter der Geschichte der einzelnen Clans steht, welchen Zweck er in dieser ganzen Sache erfüllt und welche politischen Intrigen und Lügen sich aus den ganzen Ränkespielen seines Lords ergeben. Schließlich gerät Takeo in eine Welt der Geheimnisse, der Lüge, aber vor allem der Rache.

Liebe und Rache, Treue und Verrat, Schönheit und Tod, um all jenes geht es im ersten Teil der Reihe um den Clan der Otori, und es ist schon sehr beeindruckend, wie die Oxford-Studentin Lian Hearn all diese Werte miteinander verknüpft, ohne dass dabei auch nur annähernd Verwirrung entsteht. Im Gegenteil, von der ersten Zeile an hat die Wahl-Australiern eine fesselnde, fiktive Geschichte entwickelt, die ganz klar an die japanischen Traditionen des Mittelalters angelehnt ist, in dieser Form aber indirekt auch an aktuelle Themen anknüpft. Sehr imponierend ist, wie detailliert sie die vielen Charaktere beschreibt, ihre Verhältnisse und Beziehungen zueinander erläutert, dabei aber überhaupt nicht ausschweifen muss. Schon sehr bald hat man sich so in die Welt der Otori und ganz besonders in den Körper des Takeo, der hier aus der Ich-Perspektive beschrieben wird, versetzt und verspürt den Drang, immer weiter in die verlogene Welt der Lords und ihrer Mitstreiter einzudringen.

Dabei schafft es Hearn immer wieder, den Leser aufs Neue mit plötzlichen Wendungen und Überraschungen zu konfrontieren; Spannung ist jedenfalls von Anfang an garantiert. Lediglich die Tatsache, dass die beiden Protagonisten Kaede und Tomasu alias Takeo eines Tages aufeinandertreffen, war vorhersehbar, macht die Geschichte aber nur noch interessanter, da sich hierdurch ganz neue Verknüpfungen und Spannungsmomente ergeben, die man dringend erforschen möchte.

Trotz ihrer einfachen Schreibweise – prinzipiell konzentriert sich Lian Hearn abgesehen von einzelnen Landschaftsbeschreibungen nur auf das Wesentliche – hat die Autorin so einen Roman erschaffen, der nicht nur fasziniert, sondern auch zum Nachdenken anregt. Und noch einmal muss ich erwähnen, wie toll Hearn die Figur des Takeo lebendig werden lässt; um dies erneut zu verdeutlichen: ein Junge, der sein ganzes Hab und Gut, seine Familie, seinen ganzen Besitz, ja seine ganze Welt verliert und dennoch die einzig sich bietende Chance ergreift, um ein neues sinnvolles Leben zu starten, in dem er zur Hauptfigur eines politischen Machtspiels wird. Ebenso gelungen ist es, wie die Schriftstellerin auf geheimnisvolle Weise von den Kriegen der Clans erzählt, vom mysteriösen ‚Stamm‘ berichtet und immer wieder Hinweise zu Takeos Vergangenheit ins Spiel bringt, diese aber erst einmal offen lässt – all das zeugt von ganz großer Klasse und macht dieses Buch zu einem dringenden Lesetipp. Ganz gleich, welche Art von Belletristik man privat bevorzugt, „Das Schwert der Stille“ enthält von allen Stilelementen ein wenig und legt sich so im Hinblick auf die Zielgruppe keine Beschränkungen auf. Ich denke, genau dass ist es, was die Arbeit einer hervorragenden Autorin auszeichnet.

|Empfohlen ab 14 Jahren
Peter Pan Prize 2004 (IBBY Schweden)
Deutscher Jugendliteraturpreis 2004 (Jugendjury)
„Die besten 7 Bücher für junge Leser“, Deutschlandfunk / FOCUS: September 2003|
Deutsche Webseite: http://www.otori.de

Hughart, Barry – Insel der Mandarine, Die (Meister Li Band 3)

Band 1: [„Die Brücke der Vögel“ 914
Band 2: [„Der Stein des Himmels“ 927

Meister Li und Nummer Zehn der Ochse wohnen als Zeugen der Hinrichtung eines Verbrechers bei, den sie unter vielen Mühen dingfest gemacht haben. Nur leider kommt ihnen ein Leichenfresser dazwischen, der von Grabräubern aufgestört wurde. Er trägt einen angefressenen Kopf mit sich herum, der allerdings noch frisch ist. Die dazugehörige Leiche war ein hoher Mandarin und liegt in der Nähe seiner Klause auf der Magnolieninsel im Nördlichen See Pekings. Neben ihm findet Meister Li einen seltsamen Käfig, der ihm eine Menge Kopfzerbrechen bereitet, und außerdem in einiger Entfernung einen Tunnel, der zu einer Schmugglerhöhle führt. Aber ging es bei dieser ganzen Angelegenheit wirklich nur um Schmuggel? Warum hat jemand das alte Relief im Tunnel zerschlagen? Warum stiehlt ein Mandrill Käfige, die genauso aussehen wie jener neben dem toten Mandarin? Und was sind das für seltsame Wesen, die auf die unglaublichsten Arten die vormaligen Besitzer der gestohlenen Käfige ums Leben bringen?
Um das herauszufinden, muß Meister Li unbedingt das Rätsel der Käfige lösen. Zusammen mit Ochse, dem Puppenspieler Yen Shih und dessen Tochter Yu Lan, einer Schamanin, macht Meister Li sich auf die Suche nach den Käfigen, die noch nicht gestohlen wurden.

„Die Insel der Mandarine“ ist der dritte Band von Barry Hugharts Meister-Li-Romanen. Diesmal geht es gleich um zwei Aspekte chinesischer Kultur.
Der Teeschmuggel der hohen Mandarine beleuchtet die Machenschaften der Eunuchen hinter dem Rücken des Kaisers, der zwar theoretisch als Sohn des Himmels absolute Macht besitzt, jedoch praktisch gesehen vollkommen von seinen Beamten abhängig ist, da er in seiner verbotenen Stadt vom „normalen“ Leben und den Menschen seines Volkes komplett abgeschottet ist. Dieser Umstand wird weidlich ausgenutzt, Korruption ist ohnehin selbstverständlich und die Bereicherung ungeheuerlich.
Die Käfige, die von den Schmugglern benutzt werden, bilden das Bindeglied zum Schamanismus und der Urreligion der Völker, die das Land bewohnten, ehe die Chinesen kamen. Die Urreligion wurde größtenteils ausgemerzt. Einige Götter, die zu mächtig waren, wurden in die Gruppe der taoistischen Götter aufgenommen, Götterdämonen und Ähnliches sind aus dieser Zeit übrig geblieben und auch das Ritual des Drachenbootrennens, das den Höhepunkt des Buches bildet.
Natürlich muß Meister Li erst in einigen fast vergessenen Schriften und Volkssagen kramen, ehe er die Zusammenhänge herausfindet.

Das Krimirätsel ist wieder interessant aufgebaut, allerdings ist es nur Kennern der chinesischen Kultur möglich, die Lösung allein zu finden. Der kulturelle Teil ist diesmal am stärksten gewichtet, auf Kosten anderer Elemente.
Es ist relativ rasch klar, welche Person hinter all den Verwicklungen steckt. Nach dem aufregenden Anfang hängt der Spannungsbogen deshalb zunächst etwas durch und strafft sich erst zum Finale hin. Die beteiligten Personen sind weniger skurril als bisher, die Handlung weniger turbulent. Was ich allerdings am meisten vermisste, war der Wortwitz der Vorgängerbände. Er fehlt bei diesem Buch fast völlig. Der bisher so gelungenen Mischung aus Krimi, Fantasy und chinesischer Kultur geht dadurch der Pfiff verloren. Wie überaus schade!

Das Lektorat dagegen wurde gegen Ende immer besser. Enthielt der erst Band noch einige Schnitzer, waren es beim zweiten schon weniger und beim dritten ist mir überhaupt nichts aufgefallen.
Auch die Coverentwürfe gefallen mir gut. Die Darstellungen haben zwar nicht unbedingt etwas mit dem Inhalt zu tun, passen aber zum Flair des Schauplatzes.

Insgesamt gesehen sind die Meister-Li-Krimis eine angenehme und äußerst lesenswerte Abwechslung im Fantasy-Genre. Mit ihren gut dreihundert Seiten sind die einzelnen Bände überschaubar. Sie sind inhaltlich abgeschlossen und nicht voneinander abhängig, sodass sie nicht unbedingt am Stück gelesen werden müssen, sondern auch mal etwas anderes dazwischen geschoben werden kann. Sie sind witzig, unterhaltsam und interessant. Zwar schwächelt der letzte Teil gegenüber den vorhergehenden ein wenig, trotzdem ist er immer noch ideenreich und bunt und nicht wirklich schlecht.
In diesem Schwächeln liegt aber möglicherweise der Grund dafür, dass es keine weiteren Meister-Li-Bände gibt. Nun, nicht nur das Fortsetzen einer Serie, auch das rechtzeitige Aufhören ist eine Kunst.

Barry Hughart wurde 1934 in Illinois geboren. Seine Kenntnisse über die chinesische Kultur schöpfte er aus Büchern über Religion und Kultur, Land und Leute, als er im Rahmen seiner Militärzeit bei der US Airforce in Fernost stationiert war, das Festland aber nicht betreten durfte. Die Faszination für dieses Land war so stark, dass er schließlich, zwanzig Jahre später, die Meister-Li-Romane verfasste. Außer seinen Romanen schrieb er auch Filmdialoge, unter anderem für „Devil´s Bridge“, „Man on the Move“ und „The Other Side of Hell“. Heute lebt er in Tucson, Arizona.

http://www.barryhughart.org/

David Morrell – Totem

morrell totem cover kleinDas geschieht:

Potter’s Field ist eine kleine Gemeinde im US-Staat Wyoming. Farmer stellen hier die Mehrheit der Bürgerschaft. Das Leben ist hart und schlicht, die Verbrechensrate niedrig. Das gefällt vor allem dem Polizeichef Nathan Slaughter. Nachdem er, der Star der Detroiter Mordkommission, versehentlich zwei minderjährige Diebe niederschoss, ist sein Nervenkostüm angegriffen. In der Provinz möchte er wieder zu sich finden.

Leider hat er sich keinen idealen Ort für den Neuanfang ausgesucht. Potter’s Field war vor sechs Jahren Zentrum einer bizarren Tragödie. Der Sektenguru Quiller hatte sich mit 200 Hippie-Gläubigen in der ‚unverdorbenen‘ Wildnis ein neues Utopia schaffen wollen. Im strengen Winter von Wyoming hatte der Traum im Desaster geendet; zu Dutzenden waren die Unglücklichen erfroren. Der Journalist Gordon Dunlap hatte damals einen bemerkenswerten Bericht über diese Ereignisse verfasst. Das Grauen hatte ihn niemals losgelassen. Er ist zum Säufer geworden, der wie Slaughter in Potter’s Field sein Leben wieder in den Griff zu bekommen versucht. David Morrell – Totem weiterlesen

Hickman, Tracy – Im Sog der Dunkelheit (StarCraft # 3)

Die Handlung des vorliegenden Romans führt uns zurück nach Mar Sara, dem Schauplatz des ersten Bandes, „Libertys Kreuzug“ (Jeff Grubb); diesmal jedoch erleben wir die Invasion der Zerg und den Fall des Planeten aus Sicht eines einfachen Marines der Konföderation.
Ardo Melnikov verlor bei einem Angriff der Zerg auf seinen Heimatplaneten Bountiful alles, was ihm etwas bedeutete: die Geliebte, die Eltern, die Heimat. Pures Glück ließ ihn überleben und so kämpft er nun in den Reihen der konföderierten Marines als einfacher Gefreiter gegen jene Aliens, die seine Welt vernichteten. Über Mar Sara erhält seine Kompanie den Auftrag, eine Kiste mit geheimem Inhalt inmitten des Zerg-Territoriums zu bergen und zum nächsten Stützpunkt der eigenen Streitkräfte zu schaffen. Doch von Anfang an läuft alles schief: nicht nur, dass die Bergung des Gegenstandes die Hälfte seiner Einheit das Leben kostet, auch die Konföderation scheint kein Interesse daran zu haben, dass irgendjemand dieses Himmelfahrtskommando überlebt. Dennoch gelingt es einigen Marines, sich in die vermeintliche Sicherheit des Stützpunktes zu retten, nur um festzustellen, dass dieser längst aufgegeben wurde. Von einer geretteten menschlichen Telepathin erfährt Ardo die schreckliche Wahrheit darüber, was die Konföderation ihm, anderen „Soldatenjungen“ und nicht zuletzt der Welt Mara Sara angetan hat, und schließlich steht die Gruppe vor der Entscheidung, auf eigene Faust die Flucht zu wagen oder aber Tausenden von Zivilisten das Leben zu retten.

Tracy Hickman dürfte den meisten Fantasy-Fans als Co-Autor vieler Drachenlanze-Romane (|Goldmann| / |Blanvalet|) und des Death-Gate-Zyklus (in Deutschland unter dem Titel [„Die vergessenen Reiche“ 13 bei |Bastei| erschienen) bekannt sein. Mit „Im Sog der Dunkelheit“ stellt er unter Beweis, dass er nicht nur im Genre (Science-)Fantasy zu Hause ist, sondern durchaus auch als Autor von harter Military-SF zu überzeugen vermag.
Die fast schon klaustrophobische Atmosphäre der Geschichte ist geprägt von Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit angesichts der Verbrechen, die von der Konföderation im Namen der Menschheit begangen werden, und eines gnadenlosen – im wahrsten Sinne des Wortes – unmenschlichen Gegners. Egal ob die Protagonisten überleben oder nicht, sie haben verloren – eine Erkenntnis, die in der Realität auf viele unserer Kriege zutrifft. Und wenn gerade zum Schluss ein deutlicher Pathos in die Geschichte Einzug hält, so ist zu bedenken, dass diese Leidenschaftlichkeit das Einzige ist, was die Helden (Opfer) bis zum eigenen Untergang kämpfen lässt.

Der bedrückenden Atmosphäre folgt in angemessener Weise die Wahl einer streng personalen Erzählperspektive, deren Perspektivfigur Ardo Melnikov ist. Durch seine Augen erleben wir das Grauen des Krieges, sehen und beurteilen die Kameraden; zu keinem Zeitpunkt wissen wir mehr, haben mehr Informationen über die Gesamtsituation als jener unbedeutende Gefreite, und dies lässt uns direkt an seiner Hilflosigkeit teilhaben. Hinzu kommt der besondere Umstand, dass der Marine einer sogenannten Neural-Resozialisation unterzogen wurde, wobei seine echten Erinnerungen durch ein „Erinnerungs-Overlay“ mit falschen, kriegsdienlichen überdeckt wurden. Immer wieder durchstoßen religiöse Visionen die Oberfläche seines konditionierten Verstandes, flüstern ihm die Worte „Du sollst nicht töten“ oder „Friede kommt von innen“ zu, während er mit seinem Sturmgewehr Feinde niedermetzelt, so dass der Leser ob dieser Zerrissenheit ständig zwischen dem Zorn darüber, was ein unmenschliches System seinen „Soldatenjungen“ antut, und Mitleid schwankt.

Auch rein stilistisch gibt es an dem Roman nichts auszusetzen. Hickman bedient sich eines gefälligen, mitreißenden Stils und ist in der Lage, sowohl lebendige Bilder als auch lebendige Dialoge zu entwerfen. Leider ist dieser gute Roman relativ kurz geraten und man ist nur zähneknirschend bereit, ihn als das akzeptieren, was er ist: ein kurzes Intermezzo in einem epischen Konflikt.

Spannend, pathetisch, düster, desillusionierend. Großartige Military-SF nicht nur für StarCraft-Fans.

_Frank Drehmel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine.de]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

August Derleth (Hg.) – Rendezvous mit dem Würgeengel, Horrorgeschichten

derleth-wuergeengel-kleinHorror-Spezialist Derleth sammelt in dieser Anthologie acht Kurzgeschichten, in denen harmlose Zeitgenossen mit brodelndem Wahnsinn und den Bewohnern eher unterirdischer als übernatürlicher Welten konfrontiert werden, was sie selten überleben. Obwohl es heftig zur gruseligen Sache geht, bestechen diese Erzählungen durch Stil, Stimmung oder rabenschwarzen Humor: ein Tipp für die Freunde des ‚kurzen‘ aber kräftigen Horrors. August Derleth (Hg.) – Rendezvous mit dem Würgeengel, Horrorgeschichten weiterlesen

Verne, Jules – Reise um die Erde in achtzig Tagen

Mit diesem Hörbuch präsentiert der |Hörbuch Hamburg|-Verlag einen der großen Klassiker aus der Feder Jules Vernes, vorgetragen auf sechs CDs von Rufus Beck.

Der exzentrische englische Gentleman Phileas Fogg ist ein Mann der Gewohnheit. Den Großteil seines perfekt durchorganisierten Tages verbringt er dabei in einem vornehmen englischen Herrenclub Londons, dem Reformclub. Im Herbst des Jahres 1872 beherrscht ein Bankräuber, welcher eine enorme Summe Geld gestohlen hat, die Londoner Tagespresse. Die Mitglieder des Reformclubs debattieren über die Wahrscheinlichkeit, den Dieb zu finden und dingfest zu machen. Foggs meint, man würde den Täter schon finden, da aufgrund der zunehmend besseren Verkehrsbedingungen jeder Ort der Welt schnell zu erreichen sein. Er geht sogar so weit zu behaupten, dass es möglich sei, die Erde in lediglich achtzig Tagen zu umrunden. Diese Aussage bringt ihm den Spott der anderen Gentlemen ein, sodass Phileas Fogg auf der Stelle 20.000 Pfund – die Hälfte seines Vermögens – wettet und sich fast augenblicklich auf die Reise macht, um den anderen Herren den Beweis seiner These zu liefern. Sein neu eingestellter französischer Diener Passepartout, welcher auf der Suche nach einer ausgeglichenen Tätigkeit war, begleitet ihn auf der abenteuerlichen Reise. Per Eisenbahn, Schiff, Ballon und auf dem Elefantenrücken nehmen die beiden den Wettlauf mit der Zeit auf. Dabei haben sie jede Menge Gefahren zu bestehen, wie die Rettung einer jungen indischen Witwe vor dem Scheiterhaufen.

Die überstürzte Abreise Phileas Foggs in England resultiert jedoch in einer fatalen Konsequenz. Scotland Yard, vor allem der übereifrige Detektiv Fix, vermutet in Fogg den gesuchten Bankräuber. Dieser Verdacht erhält durch den ungewissen Ursprung von Foggs Vermögen weitere Nahrung. Fix macht sich auf den Weg, den vermeintlichen Verbrecher zu stellen.

Der 1873 erschienene Roman von Jules Verne ist ein Vorzeigeexemplar des klassischen Abenteuer- und Reiseromans des 19. Jahrhunderts. Exotische Orte, undurchsichtige Gefahren, moderne und skurrile Beförderungsmittel, dazu eine intelligente, spannende Handlung, welche mit einer Prise Humor gewürzt ist. Daher resultieren auch der anhaltende Erfolg des Buches, auch 130 Jahre nach dem Erscheinungsdatum, und die zahlreichen Verfilmungen und Variationen des Themas, wobei hier lediglich auf den monumentalen Film mit David Niven in der Rolle des Phileas Fogg hingewiesen werden soll. Hierbei ist interessant, dass sich der Blickwinkel im Laufe der Jahrzehnte geändert hat. Bei Erscheinen traf Jules Verne den Nerv der Zeit, die Gesellschaft befand sich in Aufbruchsstimmung und Verne propagierte wie in anderen Werken den unglaublichen technischen Fortschritt. Mit seinem Werk belegte er glaubwürdig, dass eine solche Reise in dieser Rekordzeit tatsächlich möglich sei. Heute muten der Roman und die beschriebenen Technologien natürlich altmodisch an und die Freude an dem Werk liegt zum Teil auch in der ausgestrahlten Nostalgie begründet. Der unumstrittene Glaube an die moderne Technik ist sicherlich heute einem gewissen technologischen Misstrauen gewichen und so denkt man sich bei vielen Abschnitten der Reise von Fogg und seinem treuen Begleiter, wie schön und unberührt die Natur einst war.

Das Hörbuch stellt eine erstklassige Umsetzung des Romans dar, was hauptsächlich an dem Sprecher Rufus Beck liegt. Er schafft es durch die wohlklingende Intonation und seine klare Sprechweise, den Zauber des Buches an den Hörer weiterzugeben. Die verschiedenen Ton- und Stimmlagen passen sowohl zu dem Erzähler als auch zu den zahlreichen unterschiedlichen Charakteren. Die beiden Protagonisten, Phileas Fogg und Passepartout, werden mit all ihren Eigenheiten und Facetten widergegeben. Neben der nasalen, etwas arroganten Sprechweise des Phileas Fogg, eines Upperclass-Gentlemans des 19. Jahrhundert, hat mich besonders der Kontrast zu seinem Diener beeindruckt. Es gelingt Beck nicht nur, den französischen Akzent glaubhaft zu imitieren, sondern auch die liebenswürdige Art des Passepartouts darzustellen. Noch intensiver als beim Lesen des Romans wächst einem dieser einzigartige Butler ans Herz. Das ist wirklich eine außergewöhnliche Leistung. So vergeht die Zeit wie im Flug und schon ist der Hörer am Ende der Geschichte und bei der letzten CD angelangt und würde am liebsten wieder von vorn beginnen.

Jules Verne wurde 1828 in Nantes geboren. Neben H. G. Wells in England und Kurd Laßwitz in Deutschland gilt er häufig als der Hauptbegründer der Science-Fiction-Literatur und ihr einflussreichster Wegbereiter. So beschrieb er viele technische Errungenschaften vor ihrer tatsächlichen Erfindung. Seinem anfänglich absoluten Glauben an den technischen Fortschritt folgte in späteren Jahren eine kritischere Auseinandersetzung mit den sich ergebenden gesellschaftlichen Konsequenzen. Bis zu seinem Tod im Jahre 1905 schrieb Verne über neunzig Romane.

Rufus Beck, Jahrgang 1957, arbeitete als Theater- und Filmschauspieler in den verschiedensten Rollen, bis er ab dem Jahr 2000 durch seine Tätigkeit als Sprecher der Harry-Potter-Bücher zahlreiche Preise erhielt und seither zu den begehrtesten Sprechern für Hörbuchproduktionen zählt.

Harris, Charlaine – Untot in Dallas

„Untot in Dallas“ ist bereits das zweite Abenteuer um die telepathisch begabte Kellnerin Sookie Stackhouse aus der Feder von Charlaine Harris. Im Erstling [„Vorübergehend tot“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=788 stellte sich die Mittzwanzigerin Sookie aus dem provinziellen Bon Temps als schüchterne, naive Romantikerin vor, die explosionsartig aufblüht, als der Vampir Bill ins Städtchen zieht. Dazu muss man wissen, dass Vampire im Amerika von Charlaine Harris normal und legal sind, also auch ein bürgerliches Leben führen können. Das führt zu Touristenattraktionen wie der Vampirbar im nahe gelegenen Shreveport oder einer so praktischen Erfindung wie synthetischem Blut. Sookie schätzt an ihrem ungewöhnlichen Liebhaber vor allem dessen geistige Funkstille – die Gedanken von Vampiren kann sie nämlich nicht lesen, wie sie erfreut feststellt – und seine sexuelle Unermüdlichkeit. Frau hat schließlich einiges nachzuholen, wenn sie 25 Jahre ohne Sex auskommen musste. Doch mussten Bill und Sookie neben der trauten Zweisamkeit und den wilden Liebesspielen im Whirlpool auch noch einen Kriminalfall lösen, der Sookie fast das Leben gekostet hätte. Doch was einen nicht umbringt …

„Untot in Dallas“ verläuft entlang derselben Linien, die Charlaine Harris im ersten Band gezogen hat. Bill ist immer noch bevorzugt mit Sookies Haarpflege beschäftigt und berät sie mit Leichtigkeit in allen täglichen Fragen des Stils (und das, obwohl er noch nie einen Tanga in seinem natürlichen Lebensraum gesehen hat). Die beiden können nicht voneinander lassen, auch wenn Sookies Bezeichnung, dass sie „fest miteinander gehen“ eher nach Highschool-Romantik klingt denn nach einer heißen Affäre mit einem Untoten. Die hübsche Idylle wird allerdings jäh gestört, als der schwule Koch der Bar ermordet aufgefunden wird, in der Sookie arbeitet. Ziemlich schnell ergibt sich der Verdacht, dass Bon Temps seinen eigenen geheimen Sexclub besitzt, den Lafayette wohl gegen sich aufgebracht hat. Allerdings wird es bis zum Ende des Romans dauern, bis Sookie das Geheimnis um Lafayette und den Sexclub lösen kann, denn Sookie hat seit ihrer Bekanntschaft mit Bill einen neuen Nebenjob.

Bill ist in der internen Hierarchie der Vampire dem Barbesitzer Eric unterstellt. Eric betreibt die Vampirbar in Shreveport und weiß auch um Sookies besonderes Talent. Da Vampire als legale Bürger nur noch schwerlich Verdächtige einfach foltern können, bis sie mit der Wahrheit rausrücken, sind Sookies Fähigkeiten ziemlich gefragt. Und so leiht Eric Sookie nach Dallas aus, wo ein Vampir verschwunden ist. Die restlichen Vampire wollen nun herausfinden, was genau passiert ist und wo sich selbiger Vampir befindet.

Zunächst geht auch alles glatt und die texanischen Vampire scheinen gar nicht so furchteinflößend zu sein, wie Sookie zunächst vermutet hatte. Doch dann deuten alle Hinweise zum Verschwinden des Vampirs auf eine fundamentalistische Gemeinde, die den Vampiren feindlich gesonnen ist, und von da an geht es steil bergab für Sookie und ihre Gesundheit.

„Vorübergehend tot“ wäre an einigen Stellen verbesserungswürdig gewesen. So wirkte die Liebesgeschichte zwischen Sookie und Bill von Zeit zu Zeit einfach zu schwülstig und drohte, die Kriminalgeschichte zu erdrücken. „Untot in Dallas“ wiederholt diese Fehler keineswegs. Bill und Sookie haben es sich offensichtlich in ihrer Beziehung gemütlich gemacht, weswegen sie nicht ständig in den Vordergrund gerückt werden muss. Und gerade der Plot um die Vampire in Dallas nimmt einen Großteil der Handlung ein und schafft es dabei, ein ziemliches Tempo zu generieren. Charlaine Harris hat also in „Untot in Dallas“ ihren Vorgänger noch übertroffen und hier scheinbar ihren Stil gefunden. Die Handlung ist frisch, spannend und temporeich erzählt und kann daher noch besser unterhalten als „Vorübergehend tot“.

Allerdings werden auch die Ähnlichkeiten gerade zu den Romanen von Laurell K. Hamilton immer deutlicher. Die vampirfeindliche Gemeinde in Dallas erinnert stark an eine Einrichtung, die auch bei Hamilton geschildert wird, jedoch nimmt sich Harris mehr Zeit, ihre Kritik an jeglicher Art von religiösem Fundamentalismus zu verdeutlichen. Die Vampire werden hier zu Opfern von Kleingeistigkeit und der Weigerung, andersartige Lebensentwürfe zumindest zu tolerieren. Die Untoten mutieren zum Universalbeispiel; sie könnten für religiös Andersdenkende stehen, für Homosexuelle, für jede Art von Minderheit.

Eine Figur, die unbedingt Erwähnung finden sollte, ist der Vampir Eric. Er erscheint wie eine illustre Mischung aus Anne Rices Lestat und Laurell K. Hamiltons Jean-Claude. Von beeindruckender Statur, mit einer wilden blonden Mähne, weiß er um seine Wirkung und hat sich darum scheinbar angewöhnt, nie ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Wo Bill zumeist zurückhaltend und bürgerlich wirkt, bringt Eric garantiert frischen Wind in die Handlung. Es ist unbedingt zu begrüßen, dass sein Part gegenüber dem Erstling noch vergrößert wurde. Zwischen ihm und Sookie sprühen nur so die Funken und man möchte sich fast wünschen, sie würde den biederen Bill für den aufregenden Eric verlassen.

Auch die Übersetzung hat sich, gegenüber dem Erstling, merklich verbessert. Sie liest sich generell runder und auch wenn es den einen oder anderen Ausreißer im Sprachfluss gibt, so sind diese viel seltener als in „Vorübergehend tot“. Dass man sich jedoch bis zum Schluss des Buches nicht entscheiden konnte, ob der verschwundene Vampir nun „Farrell“ oder „Farrel“ heißt, ist wohl nicht nur für Rechtschreibfanatiker ärgerlich. Beide Schreibweisen wechseln sich nämlich mit schöner Regelmäßigkeit ab.

„Untot in Dallas“ macht, ganz ehrlich, mehr Spaß als „Vorübergehend tot“. Der Plot ist flotter und es geht generell tougher zu als im ersten Band. Hier spritzt auch schonmal das Blut und es gibt ein hübsch inszeniertes Massaker im Hauptquartier der Vampire. Dagegen war „Vorübergehend tot“ viel zahmer und mehr auf das reine Frauenpublikum ausgelegt. Weniger Schwulst und dafür mehr Fights und Verfolgungsjagden darf der Leser jedoch von diesem Buch erwarten. Und die ausgewogenere Mischung tut der Lektüre wirklich gut!

|Originaltitel: Living dead in Dallas
Aus dem Englischen übertragen von Dorothee Danzmann|

Reichs, Kathy – Totenmontag

Mit „Totenmontag“ veröffentlicht Bestsellerautorin Kathy Reichs bereits den siebten Erfolgsroman in ihrer Tempe-Brennan-Reihe. Ähnlich wie auch John Grisham macht sich Reichs ihr eigenes Fachwissen zunutze, um wissenschaftlich fundierte und spannende Bücher zu schreiben, die ihre Leser in eine fremde und faszinierende Welt entführen sollen. In diesem Fall begleitet der Leser erneut die forensische Anthropologin Brennan bei ihrer nicht ganz alltäglichen Arbeit.

Im Keller unter einer Pizzabude werden drei Skelette gefunden; die forensische Anthropologin Dr. Temperance Brennan macht sich sogleich an die Untersuchung der Skelette. Doch Detective Luc Claudel, mit dem sie im persönlichen Clinch liegt, setzt sie unter Zeitdruck, da er die Skelette für antik und damit aus polizeilichen Gründen für wenig wertvoll erachtet. Brennan dagegen hat von Anfang an ein komisches Gefühl im Bauch und schätzt die Gebeine als jüngeren Datums ein. Keine Spuren eines gewaltsamen Mordes sind an den Knochen zu erkennen, doch bemerkt Brennan schnell, dass es sich um die Gebeine drei junger Mädchen handelt, die aufgrund ihres Alters sicherlich keines natürlichen Todes gestorben sind.

Tempe Brennans detektivisches Gespür ist schnell geweckt, denn sie vermutet ein Verbrechen und forscht den Besitzern und ehemaligen Bewohnern des Hauses mit der Pizzabude nach. Als überraschend ihre Freundin Anne zu Besuch kommt, weil diese große Eheprobleme hat und freundschaftlichen Beistand braucht, bezieht Tempe Anne kurzerhand in ihre Nachforschungen mit ein. Als Brennan herausfindet, dass ein bekannter Mafiosi früher Besitzer des Hauses gewesen ist, wird ihr natürliches Misstrauen geweckt. Gemeinsam mit Anne besucht sie den Mann, der das Haus von dem Mafiosi gekauft hat und befragt ihn nach seinen aktuellen und ehemaligen Mietern.

Stück für Stück nähert sich Brennan dem Geheimnis der drei Skelette, während sie immer weiter nach Spuren an den Knochen forscht und schließlich feststellt, dass jedem Mädchen ein Ohr abgetrennt worden ist. Eine C14-Datierung ergibt schließlich ein Todesdatum der Mädchen in den 1980er Jahren, sodass die Knochen keineswegs als antik bezeichnet werden können. Was ist im Haus mit der Pizzabude geschehen? Und wie sind die drei jungen Mädchen umgekommen?

Schon in der ersten Szene findet sich der Leser in einem dunklen Keller mit Claudel und Brennan wieder, als ein Schuss fällt und Brennan blutiges und zerfetztes Muskelgewebe erblickt. Doch schnell wird klar, dass sie lediglich eine getötete Ratte vor sich hat, die Claudel im Eifer des Gefechts erschossen hat. Anschließend geht es wieder etwas ruhiger zu, auch wenn die beiden die Skelette dreier junger Frauen entdecken. Der Fund dreier Knöpfe, die auf das 19. Jahrhundert datiert werden, führt Claudel zu dem Schluss, dass auch die Leichen der Mädchen aus dieser Zeit stammen. Doch Brennan forscht auf eigene Faust weiter und fordert eine C14-Datierung an, um zu beweisen, dass die Skelette sehr wohl aus jüngerer Zeit stammen. Zunächst versucht Kathy Reichs, ihre Leser in die Irre zu führen und legt einige falsche Fährten aus, eine davon ist die der Mafia, die später wortlos unter den Tisch gekehrt wird. Schade, dass Reichs diese Spur, die Brennan zu dem Schluss geführt hat, dass unter der Pizzeria ein Verbrechen geschehen sein muss, später nicht mehr ausführt oder zumindest mit Erklärungen zum Abschluss bringt. So werte ich diese Mafia-Spur als einen lieblosen Versuch, am Anfang Spannung aufzubauen und später für Verwirrung zu sorgen.

Im weiteren Verlauf des Buches sorgen einige Cliffhanger für mäßigen Spannungsaufbau, auch wenn die Geschichte dennoch nicht recht in Schwung kommen mag. Reichs verzettelt sich hier manchmal in zu vielen Handlungssträngen. Neben der forensischen Untersuchung der Knochen taucht plötzlich Tempes Freundin Anne mit ihren privaten Liebesproblemen auf, außerdem hegt Brennan den Verdacht, dass ihr Geliebter Ryan eine Affäre mit einem jungen College-Mädchen hat, zu all dem Ärger kommen die persönlichen Differenzen zwischen Claudel und Brennan und schlussendlich die mühsame Ermittlung im Pizzabudenfall, die weitere Fragen aufwirft. Besonders die ausgiebigen forensischen Untersuchungen wirken hierbei langatmig, da die Details einer genauen Knochenanalyse, gespickt mit allerlei Fachvokabular, nur wenig interessant wirken und das Buch dadurch oftmals einfach nur ausbremsen. An manch einer Stelle liest sich „Totenmontag“ daher eher wie ein Ärzteblatt als ein spannender Thriller. Etwa ab der Hälfte des Buches gewinnt die Erzählung dann etwas an Tempo, da Brennan den toten Mädchen auf die Spur kommt.

Die Geschichte ist aus der Sicht der Anthropologin Temperance Brennan geschrieben, die wohl nicht nur zufällig den gleichen Beruf ausübt wie die Autorin Kathy Reichs; so gewinnt man als Leser den Eindruck, dass sich Reichs selbst in einen Thriller hineingeschrieben hat. Inwieweit sich Reichs und Brennan über den Beruf hinaus ähneln, wage ich allerdings nicht einzuschätzen. Mir erscheint Brennan in diesem Roman allerdings eher weniger authentisch, da sie als allzu tragisch dargestellt wird. Neben ihrer zerbrochenen Ehe, die immer wieder am Rande angeführt wird, scheint ihre Beziehung zu Ryan in die Brüche zu gehen, da er sich heimlich mit einer jungen Frau trifft. Auch die Untersuchung der Knochen geht nicht recht voran, schließlich stirbt die telefonische Informantin und Detective Claudel macht Brennan das Leben nicht gerade leicht. Hier erscheint die sonst eher starke Karrierefrau Brennan plötzlich schwach und bemitleidenswert, was irgendwie nicht in das Bild der intelligenten und promovierten forensischen Anthropologin passt.

Neben Tempe Brennan werden nur wenige Personen ausführlicher vorgestellt, nämlich die beiden Polizisten Ryan und Claudel und Tempes Freundin Anne. Doch reichen die Beschreibungen nicht aus, um sich ein wirklich gutes Bild von den Charakteren machen zu können. Selbst von den gefundenen Skeletten erfährt der Leser leider mehr als über die handelnden Charaktere …

Kathy Reichs offenbart recht deutlich eine Vorliebe für Metaphern, so wird beispielsweise ein Steiff-Teddy als Bild für einen Knopfexperten herangezogen, an anderer Stelle spannt Brennan ihre Halsmuskeln an wie Gitarrensaiten, später vergleicht sie Montreal mit einem Fuß. Diese überschwängliche Verwendung von Bildern wirkt ab und an etwas merkwürdig. Darüber hinaus merkt der Leser recht deutlich, dass Reichs von Haus aus keine Schriftstellerin ist, denn abgesehen von den zahlreichen französischen Floskeln, die leider unübersetzt bleiben, ist die Sprache einfach und schmucklos. Kurze Sätze reihen sich aneinander, die das Buch zu einer idealen Straßenbahnlektüre machen, die nicht viel Aufmerksamkeit erfordert. Auch sind die Kapitel so kurz gehalten, dass man schnell Einschnitte findet, an denen sich das Buch beruhigt zuklappen lässt. Meist sind die Kapitelenden auch nicht so reißerisch und spannend, dass man seine Haltestelle verpassen könnte. Störend wirken in der Tat nur die medizinischen Fachausdrücke, die bei der Beschreibung der einzelnen Knochen verwendet werden, etwas weniger Details hätten hier auch ausgereicht, um sich ein gutes Bild machen zu können.

„Totenmontag“ ist ein Buch, das sich zügig durchlesen lässt und dabei auch etwas zu unterhalten weiß. Der beschriebene Leichenfund ist interessant und wirft schnell einige Fragen auf, denen Tempe Brennan nachgehen möchte. Nach und nach kommt Brennan der Lösung des Falles immer näher, verwirft allerdings zwischendurch wortlos einige Spuren, die zuvor für Spannung sorgen sollten. Auch am Ende versucht Reichs nochmals, ihre Leser zu verwirren, indem sie eine falsche Fährte auslegt, doch vermag sie hier leider nicht mehr zu überraschen, da der wahre Tatbestand bereits zu offensichtlich ist. Das Buchende wirkt mir etwas zu glatt und weichgespült, denn selbstverständlich lösen sich die Beziehungsprobleme mit Ryan in Luft auf, als er die junge Dame wie vermutet als eine Verwandte vorstellt. Wen das am Ende noch überrascht, der hat wohl noch nie zuvor ein Buch gelesen. Ein solch kitschiger Abschluss muss am Ende eines Thrillers einfach nicht sein.

Die Thematik an sich und die wahren Hintergründe der drei Gebeine im Keller der Pizzeria sind wahrlich grausam und spannend, aus diesem schaurigen Kriminalfall hätte man in der Tat ein besseres Buch fabrizieren können. Kathy Reichs verspielt hier viel Potenzial, indem sie keine rechte Spannung aufbaut und ihre Leser mit zu vielen forensischen Details langweilt. Das Buch übt einfach keine Faszination aus, kann nicht mit glaubwürdigen Charakteren aufwarten und scheut sich auch vor einer Gesellschaftskritik, die am Ende vielleicht möglich gewesen wäre.

Insgesamt ist „Totenmontag“ eine recht vergängliche Lektüre, das Buch ist schnell durchgelesen angesichts der schnörkellosen Sprache und des geringen Umfangs und auch schnell wieder vergessen. Der Unterhaltungswert ist absolutes Mittelmaß, die Charaktere bleiben entweder zu blass oder werden zu tragisch dargestellt. Für zwei Leseabende auf der heimischen Couch oder als kurzweilige Lektüre auf dem täglichen Weg zur Arbeit funktioniert das Buch recht gut, allerdings animiert es wenig zum Lesen weiterer Werke von Kathy Reichs.

Homepage der Autorin: http://www.kathyreichs.com

Buchwurminfos I/2005

Jedes halbe Jahr treffen in den Presseabteilungen und Buchhandlungen umfangreiche Kataloge der _Verlagsnovitäten_ ein. Regelmäßig stöhnen die Buchhändler und zeigen sich ermüdet und überfordert, weil sie beispielsweise erst die Hälfte der Herbstvorschauen gelesen haben und schon die ersten Frühjahrsvorschauen wieder da sind. Dies ist mir als Rezensenten unverständlich, denn das gehört doch zum Interesse und zum Job dazu. Doch wahrscheinlich geht es den heutigen Buchhändlern nur noch ums reine Verkaufen, während die Inhalte für sie belastende Nebensache geworden sind. Alles tendiert zur Hektik, und auch der Buchmarkt bleibt von der allgemeinen Schnelllebigkeit und den saisonalen Trends nicht verschont.

Was das Durcharbeiten anbelangt, geht es mir manchmal durchaus nicht anders; auch ich fand letztes Jahr wenig Zeit, die von der Buchmesse noch zusätzlich mitgenommenen – nicht automatisch schon vorab per Post erhaltenen – Kataloge zu durchforsten, als schon wieder die ganzen Frühjahrsvorschauen vorlagen. Aber zwischen den Jahren nahm ich mir die Zeit, das nachzuholen und bin nicht erschlagen von den Stapeln, die sich da ansammeln, sondern hochzufrieden und begeistert. Auf das weitere Jahr bin ich sehr gespannt, nachdem es 2004 eher ruhig zuging. Interessant war der plötzliche _Trend zum „Billigbuch“_ – nicht nur durch branchenfremde Medienhäuser wie „SZ“, „Bild“, „Zeit“ und „Brigitte“ -, sondern auch durch eine Reihe neuerer Verlage, die mit ausnahmslos niveauvollen Titeln zu extrem günstigen Preisen aufwarteten. Was den Kunden zuerst erfreut, hat seine Schatten. Es wird suggeriert, Bücher seien zu teuer. Dabei handelt es sich bei diesen Reihen um Drittverwertungen und letztlich ist es für das eigentliche Verlagswesen ein schlechtes Signal. Auch für den Buchhandel, denn die Zeitungsbuchreihen gibt es am Kiosk. Es bleiben schwierige Zeiten für Verleger, denn die Menschen haben wenig Geld für kulturelle „Extras“. „Geiz ist geil“ bleibt auch in diesem Jahr das Motto der Kunden. Der gewachsene Markt wird mehr und mehr zerstört. Besonders überrascht von diesem Trend wurden die Taschenbuchverlage.

Verkaufsanalysen belegen, dass die Umsätze der Belletristik-Editionen von der „Süddeutschen Zeitung“ und „Bild“ in etwa dem entsprechen, was an Taschenbuchumsätzen im gesamten Markt fehlt. Eigentlich hatten die Taschenbuchverlage sich darauf eingestellt, dass es nach der Zerlegung der Verlagsgruppe |Ullstein-Heyne-List| in zwei Buchriesen (|Random House| mit vornehmlich |Heyne|, |Goldmann|, |btb| und |Blanvalet|, sowie die |Bonnier|-Verlage mit |Piper| und |Ullstein/List|) zur eindeutigen Marktmacht käme. Aber davon war überraschend wenig zu spüren. In den Bestsellerlisten waren alle Verlage wie zuvor gleich beteiligt. Die Marktmacht von |Heyne| & |Goldmann| ist aber unübersehbar und wird in den nächsten Jahren noch stärker zu spüren sein. Vor allem im teuren Geschäft mit den Lizenzen können die kleineren Taschenbuchanbieter nicht mehr mithalten. Konkurriert wird sogar innerhalb von |Random House|-Gruppen. |Heyne| musste dabei aber auch deutliche Einbußen hinnehmen, denn die von den Kartellwächtern geforderte Trennung von den Reihen |Fantasy| und |Esoterik|, die an |Piper| & |Ullstein| gingen, schlug zu Buche. |Ullstein| hat sich mit anspruchsvollen Sachbuchveröffentlichungen über Thriller und Krimis bis zur Esoterik und massenmarktfähigen Frauenromanen den Programmen von |Heyne|, |Goldmann|, |Bastei-Lübbe| und |Rowohlt| angeglichen. Auch im |Ullstein|-TB-Bereich sieht es positiv aus, denn durch die |Bonnier|-Hardcoververlage |Ullstein, List, Propyläen, Marion von Schröder| und |Econ| steht ein erstklassiges Lizenzreservoir im Rücken. Und |Piper Taschenbuch| im gleichen Hause hat sich auch bestens gemacht.

Die Taschenbuchverlage versuchen nun angesichts der „Billigbuch-Entwicklung“ mit Bestseller-Kampagnen und Sonderaktionen nachzuziehen. In diesen Fällen liegen zwischen Auslieferung und Verramschen nur noch sechs Wochen. Hinter dem Trend des Billigbuchs steht somit noch ein anderer negativer Trend: die generelle _Kurzlebigkeit eines Buches_. Schon oft ist eine Neuerscheinung bereits nach nur einem halben Jahr nicht mehr lieferbar. Umso schneller geht es dafür in Lizenzen an Clubs, Weltbild, Parallelausgaben für Flächenmärkte, eigene frühe Sonderausgaben, spezielle Internet-Angebote, Direktgeschäfte, Shop-Angebote in Zeitschriften, Exklusivangebote von Versendern oder, wie man es eigentlich seit längerem schon kannte, nach kürzester Zeit in die Taschenbuchausgabe. Backlist ist nicht mehr in, leider geht das immer mehr auch auf Kosten von Qualität.

_Esoterik_, in den 90er Jahren noch als Boom gewertet, ist längst nur noch ein Nischenthema. 72 Prozent der Deutschen interessieren sich nicht für das Themenspektrum von Astrologie über Lebensdeutung und Tarot bis hin zu Yoga. Für die einzelnen Strömungen der Esoterik, z. B. Meditation, östliche Weisheit oder Grenzwissenschaften, interessieren sich im Durchschnitt gerade mal um die fünf Prozent der Bevölkerung. Praxisbezogene Themen sind mit 14 Prozent noch ein wenig mehr gefragt, alternative Heilmethoden nehmen einen immer größeren Stellenwert neben der Schulmedizin ein. Der Kundenkreis bleibt weiterhin mehrheitlich weiblich. Die statistischen Zahlen belegen zehn mal so viele Frauen wie Männer. Die so genannten „esoterisch-alternativen“ Fachverlage decken dennoch entgegen dieser Verkaufszahlen etwa 20 Prozent des Marktsegmentes ab.

Esoterik versucht schon immer, Bewusstsein zu verändern und Informationen mit Gewissenhaftigkeit zur Verfügung zu stellen. In den 60er und 70er Jahren gab es keine Esoterik zu kaufen bzw. man musste zur Schikowski-Buchhandlung in Berlin, wenn man anspruchsvolle Titel aus dem damals legendären |O. W. Barth|-Verlag kaufen wollte. Dann kamen die eigentlichen Esoterikbuchläden der ersten Stunde wie |Akasha| in München, |Middle Earth| in Frankfurt, |Horus| in Bonn, |Pentagramm| in Dortmund und |Wrage| in Hamburg hinzu. Die meisten dieser Läden sind aber heute nicht mehr in den Händen ihrer Gründer oder existieren nicht mehr. Die Konkurrenz wurde ab den späten 80er Jahren zu groß, überall machten irgendwelche Eso-Läden auf – leider ohne über eigene Qualifikation auf diesem Gebiet zu verfügen. Das hatte vieles verwässert und das Interesse an der nun publizierten „Mainstream“-Esoterik hielt natürlich nicht an.

Seitdem jammern die Buchhandlungen, wie schlecht es mit Esoterik liefe und dass sie wohl „out“ sei. Viele, die sich zu ihrem Beruf wirklich berufen fühlen, wachen gerade endlich wieder auf, nachdem die meisten dieser Verlage in den letzten Jahren eher gegeneinander agierten anstatt sich an „runden Tischen“ zusammenzusetzen. In Vorstößen zur Zusammenarbeit und eigenen Vertriebssystemen ist in den letzten Jahren vor allem Andreas Lentz vom |Neue Erde|-Verlag aufgefallen. Von dort gehen seit kurzem neue Zusammenarbeiten aus, neue Verlagskooperationen wurden gegründet. Wenn nämlich nicht auf der Grundlage „gemeinsam stärker“ gegen die Marktpolitik der wenigen Großverlage vorgegangen wird, könnte es in Deutschland in fünf bis zehn Jahren Verhältnisse wie in den USA oder England geben. Dort gibt es keinen einzigen nennenswerten unabhängigen Esoterikverlag mehr. In England wurde der letzte, |C.W. Daniel|, Ende 2002 an |Random House| verkauft und zerschlagen. Es ist unglaublich, was dort in nur sechs Monaten aus dem Verlag gemacht wurde.

Auf der Frankfurter Buchmesse hatten auf Initiative des |Schirner|-Verlages seit einigen Jahren die Esoterik-Verlage Stärke gezeigt und in Halle 3.1 mit einer gemeinsamen „grünen Insel“ eine andere Welt gegenüber dem Messestrubel präsentiert. Leider war das, wie schon berichtet, in letztem Jahr nicht mehr der Fall. Zwar war ein Großteil der esoterischen Verlage zumindest noch in dieser Halle, aber viele auch ganz woanders. Die konventionellen Verlage konnten sich die Hände reiben, als sie sahen, wie der von ihnen so wenig geliebte Eso-Block geschmolzen war. Auch ich als Besucher war wirklich irritiert. Nicht eine Verlagsgruppe hat an Profil gewonnen, sondern die Stellung des spirituellen Buches in der Wahrnehmung der breiten Bevölkerung ist geschwächt worden. Der seit acht Jahren im Programm des |Neue Erde|-Verlages enthaltene |Param|-Verlag hat nun seit diesem Jahr erstmals seine eigenen Vorschauen. Die Zusammenarbeit zwischen beiden Verlagen bleibt davon unberührt. Der Grund ist einfach, dass |Param| mittlerweile ein Programm von 50 Titeln aufgebaut hat , während es zu Beginn der Zusammenarbeit mit |Neue Erde| nur einen einzigen Titel gab.

Zum 1.1.2005 hat der _Aquamarin-Verlag_ den größten Teil der Esoterik-Reihe des _Hirthammer-Verlages_ übernommen, darunter die Werke von H. K. Challoner, Mabel Collins und Annie Besant sowie die dreibändige Ausgabe des „Theosophischen Weltbildes“ von Beatrice Flemming. Alle Titel werden im Verlauf des Frühjahrs in neuer Ausgabe im Aquamarin Verlag in der „Edition Adyar“ erscheinen. Der Nachdruck weiterer Werke des Hirthammer Verlages – soweit es theosophische Literatur betrifft – ist in Planung.

|Kurzmeldungen und -kommentare:|

Reformen und noch mehr Reformen und alles belastet mehr als es einspart – den einfachen Bürger auf jeden Fall. Auch die eingeführte _LKW-Maut_ macht alles für den Einzelnen noch ein bisschen teurer. Die Postpaketpreise steigen an, ebenso die Kosten für den Buchhandel für seine Zulieferer und jeder gibt die Kosten weiter an den nächsten, bis alles beim einfachen Verbraucher angekommen ist. Leben wird teurer und teurer und nicht günstiger.

Eines der niveauvollsten Buchprojekte „_Die Andere Bibliothek_“ war vor einigen Jahren an den |Eichborn|-Verlag gegangen und wurde dort von _Hans Magnus Enzensberger_ verlegt. Dessen Vertrag geht noch bis 2007, aber er möchte nun vorzeitig beenden. Damit wird auch unwahrscheinlich, dass die Reihe überhaupt ihre Fortsetzung über das Jahr 2006 hinaus finden wird. Franz Greno, zuständig für die ästhetische Gestaltung dieser Reihe, geht von ihrem Ende aus, signalisiert allerdings auch, dass es in neuen Konstellationen zu einer Fortführung kommen wird.

Beim Gerangel zweier deutscher Buchpreise – neben Leipzig nun auch Frankfurt – halten Verlage zumindest dem „_Preis der Leipziger Buchmesse_“ die Treue. Alle wichtigen und großen nationalen Verlage haben sich mit Vorschlagsnominierungen beteiligt und die Erwartungen der Messeveranstalter übertroffen. Der Preis wird in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Essayistik am 17. März von der Leipziger Messe mit Unterstützung des Freistaates Sachsen und der Stadt Leipzig vergeben. Partner ist das |Literarische Colloquium Berlin|.

Auf der Frankfurter Messe wird dann erstmals der beste Roman des Jahres mit dem „_Deutschen Buchpreis_“ gekürt. Diese neue Auszeichnung wird vom Börsenverein gemeinsam mit dem |Spiegel|-Verlag, |Langenscheidt| und der Stadt Frankfurt vergeben. Die Jury wird von der |Akademie Deutscher Buchpreis| jährlich neu gewählt.

Ab April steht der Frankfurter Buchmesse mit _Jürgen Boos_ ein neuer Direktor vor. Er ersetzt _Volker Neumann_, dessen Vertrag nicht verlängert wurde. Die Nichtverlängerung war innerhalb der Branche heftig kritisiert worden. Nach Geschäftsvertrag muss Neumann aber seinen Nachfolger noch bis Ende des Jahres einarbeiten. Dass das nicht ohne Reibungen geschehen wird, ist Insidern ziemlich klar.

Auch das Gastland der Messe für 2006 steht jetzt schon fest: Zum zweiten Mal wird sich _Indien_ präsentieren.

Im Alter von 89 Jahren verstarb der sozialkritische Pulitzerpreisträger _Arthur Miller_, der auch durch seine Ehe mit Marylin Monroe von sich reden machte. Die bekanntesten Werke des Schriftstellers und Dramatikers sind „Tod eines Handlungsreisenden“ sowie „Hexenjagd“.

Ende Januar verstarb der israelische Satiriker und Romancier _Ephraim Kishon_ achtzigjährig in seiner schweizerischen Wahlheimat. Sein Werk umfasst mehr als fünfzig Bände, die in vierunddreißig Sprachen übersetzt wurden und insbesondere in Deutschland Bestsellerstatus in Millionenauflage erreichten.

„Perry Rhodan“-Erfinder und Autor _Walter Ernsting_ ist nach längerer Krankheit im Alter von 84 Jahren in Salzburg gestorben. Er schrieb unter dem Pseudonym Clark Darlton. Die |Perry Rhodan|-Reihe startete 1961 und noch heute kommt jede Woche ein neues Heft heraus.

_Susan Sonntag_, die 2003 mit dem |Friedenspreis des Deutschen Buchhandels| ausgezeichnet wurde, ist im Alter von 71 Jahren an Krebsleiden gestorben. Die einflussreiche New Yorker Intellektuelle übte nach dem 11. September 2001 scharfe Kritik an der Politik von Präsident George Bush, wurde aber in Europa mehr beachtet als in ihrer Heimat.

Im letzten Jahr hatte die ARD zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren die Verleihung des _Friedenspreises_ des deutschen Buchhandels nicht mehr im Hauptprogramm übertragen. Die Mitglieder der |Arbeitsgemeinschaft Publikumsverlage| im Börsenverein haben nun in einem Appell die Sendeanstalt aufgefordert, dies 2005 wieder zu tun. Der Börsenverein selbst hatte schon im letzten Jahr kritisiert, dass die ARD ihren Kulturauftrag als öffentlich-rechtliche Sendeanstalt nicht erfülle. Der Preis ist die bedeutendste internationale Auszeichnung, die in unserem Land vergeben wird.

|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net.|

Carver, Jeffrey A. – Am Ende der Ewigkeit

Renwald Legroeder ist mit Leib und Seele Rigger. Er steuert Raumschiffe durch den Flux, einen mehrdimensionalen Hyperraum, den er mit seiner Gedankenkraft formen, sich in ihn und seine Strömungen einfühlen kann. Die Begegnung mit der Impris, einem seit mehr als hundert Jahren verschollenen Schiff, endet für ihn verhängnisvoll. Legroeders Schiff wird von Raumpiraten überfallen, er gerät in Gefangenschaft und kann erst nach sieben Jahren fliehen. Doch auf Faber Eridani, dem nächsten besiedelten Planeten, ist der Empfang alles andere als freundlich. Man unterstellt ihm, heimlich mit den cybertechnisch aufgerüsteten Raumpiraten zusammengearbeitet zu haben. Von der Impris will man nichts wissen.

Legroeder wird misstrauisch und beginnt mit seiner Anwältin nachzuforschen. Schon bald darauf befindet er sich mitten im größten Abenteuer seines Lebens: Er flieht von Faber Eridani, wird von den Narseil, amphibischen Außerirdischen, als Agent angeworben und lässt sich von ihnen sogar Cyber-Implantate einsetzen, die er während seiner Gefangenschaft noch vehement abgelehnt hatte. Sein Weg führt ihn wieder zu den Cyber-Piraten und auf die gefahrvolle Mission, die Impris aus ihrer Fluxschleife zu retten.

Dies ist nur eine sehr vereinfachte Zusammenfassung der aufwendig konstruierten Handlung. Carver ist kein Autor von einfachen Romanen, seine Bücher sind meist sowohl inhaltlich als auch stilistisch komplex, lassen sich nicht „nebenher“ lesen, sondern erfordern Konzentration.

„Am Ende der Ewigkeit“ ist ein unabhängiger Teil der lose durch einen gemeinsamen Hintergrund zusammenhängenden |Star Rigger|-Serie Carvers und schaffte es 2001 immerhin in die Endausscheidung zum |Nebula Award|. Es ist ein Hard-SF-Roman – in dem ungewöhnlicherweise ein Hauptelement, nämlich der Flux, deutliche New-Wave-Elemente aufweist (vermischen sich doch hier die Realität des Weltraums und die innere Vorstellungskraft) -, der einige nette Einfälle besitzt, jedoch insgesamt etwas zu lang geraten ist (die eine oder andere Wendung hätte in meinen Augen ohne Verlust gekürzt werden können).

Schwächen liegen in einer ungleichmäßigen Handlungsentwicklung zwischen den Schauplätzen Weltall und Faber Eridani, einer zu oft aus bekannten Versatzstücken zusammengesetzten Thrillerhandlung (bei der man etliche Male Szenen aus einschlägigen Filmen vor Augen hat) und vor allem in der Charakterzeichnung. Die ist manchmal wirklich schlecht.

Aber auch manchmal richtig gut: Zum Beispiel gibt es den Journalisten Robert McGinnis, der gegen die Cyber-Piraten kämpfen will, es aber vor allem gegen sich selbst tun muss, gegen seine Implantate, die ihn (von außen unerkannt) fernsteuern, ihn in einen Killer wider Willen verwandeln können. In dieser Figur steckt wirklich Potenzial!

Auch sonst gibt es Dinge an dem Roman, die ich mag: Die Verwendung von Seemannsjargon in der Beschreibung der Arbeit der Schiffe zum Beispiel. Auch Legroeders Undercover-Einsatz auf einer Piratenfestung, bei dem seine Tarnung jedoch schon von Anfang an aufgeflogen ist, oder die Rettung der Impris aus ihrer Falle im Flux und alle dabei auftauchenden (Zeit-)Phänomene sind absolut lesenswert. Sehr gelungen fand ich die Dialoge zwischen Legroeder und seinen (zuerst ungeliebten) Implantaten – und die Rolle der Implantate in der Beziehung zwischen ihm und der Cyber-Piratin Tracy-Ace / Alfa.

Jeffrey A. Carver beherrscht sein Handwerk. Ihm liegt der große Science-Fiction-Entwurf mehr als das Spinnen eines Krimi- bzw. Thrillergarns. „Am Ende der Ewigkeit“ ist ein interessanter, nicht immer leicht zu lesender Abenteuerroman, der neben vielen positiven Eigenschaften auch deutliche Schwächen besitzt. Dennoch ist er für Hard-SF-Fans und Freunde von Piratengeschichten, die einer reizvollen Neuinterpretation verschiedener klassischer Motive aufgeschlossen gegenüberstehen, zu empfehlen.

Weblink: http://www.starrigger.net

|Originaltitel: Eternity’s End, 2000|

© _Andreas Hirn_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|