Hochschild, Adam – Schatten über dem Kongo

Afrika ist niemals ein „friedlicher“ Kontinent gewesen – welcher Erdteil, der von Menschen bevölkert ist, war dies jemals? Dennoch gibt es eine eigenständige afrikanische Geschichte, die große, wohl organisierte, kulturell hoch entwickelte Reiche kennt. Sklaverei und anderes Unrecht war in den „Schwarzen Königreichen“ nicht unbekannt, aber das galt auch für den Rest der Welt.

Alles änderte sich nachhaltig, als die Europäer Afrika „entdeckten“. Um 1500 befuhren die Schiffe der damaligen Seefahrermächte Spanien und Portugal die Küsten. Handels-Expeditionen tasteten sich ins Landesinnere vor. Missionare folgten den Kaufleuten. Sie nahmen vorsichtig Kontakt auf zu den oft wehrhaften örtlichen Herrschern, erwarben deren Vertrauen, weckten Begehrlichkeiten, die gegen die Herausgabe heimischer Schätze gern gestillt wurden. Bald verhökerten skrupellose Stammesfürsten ihre Untertanen an die weißen Händler. Die „Gäste“ wurden immer dreister und begannen sich zu nehmen, wonach sie verlangten. Sie blieben, gründeten Kolonien. Franzosen und Briten gesellten sich den neuen Machthabern zu. Königreich für Königreich wurde unter die europäische Knute gezwungen. Im 19. Jahrhundert „gehörte“ Afrika längst nicht mehr der einheimischen Bevölkerung.

Einmalig ist das Schicksal des Kongo: 1885 fiel er an Leopold II. König von Belgien – nicht als Kolonie, sondern quasi als Privateigentum. Als solches betrachtete es Leopold auch. Nach Kräften bemühte er sich, so viel Geld wie möglich aus dem Kongo zu schinden; dieses Verb wird hier mit Bedacht eingesetzt. Leopold zwang praktisch die gesamte Bevölkerung, ihm die Schätze des Kongo – Elfenbein und Kautschukgummi – zu sammeln und auszuhändigen. Wer nicht spurte oder aufbegehrte, wurde grausam bestraft. Ganze Dorfgemeinschaften fielen dem Terror zum Opfer. Millionen umgebrachter Kongolesen umfasste Leopolds blutige Liste schließlich, als er 1908 endlich zur Aufgabe „seines“ Kongos gezwungen wurde.

So toll hatte er es getrieben, dass man inzwischen in den ansonsten nicht zimperlichen „zivilisierten“ Ländern der Erde aufmerksam geworden war. Das Entsetzen (sowie die Chance, einen kolonialen Konkurrenten auszuschalten) führte zur Bildung diverser, weltweit operierender Menschenrechtsbewegungen, die entschlossen und gegen alle Ressentiments und infamen Attacken des wütenden Belgierkönigs und seiner Spießgesellen das Ziel verfolgten, dem zum Himmel schreienden Unrecht ein Ende zu bereiten. Es gelang schließlich, aber der Übergang von „Leopolds Kongo“ zur belgischen Kolonie Kongo führte nur zu einer Neuorganisation des Systems, an dessen ausbeuterischem Charakter sich rein gar nichts änderte. Die Strukturen änderten sich, aber sie überlebten Leopold und sogar den Kolonialismus und sind zum Teil bis auf den heutigen Tag mit fatalen Folgen aktiv geblieben.

In Afrika steckt hoffnungslos der Wurm drin. Seit Jahr und Tag hängt beinahe der ganze Kontinent am Tropf diverser „Entwicklungshelfer“. Dennoch werden ständig Hiobsbotschaften über Aufstände, Bürgerkriege, Hungersnöte, Seuchenzüge und ähnliche, meist hausgemachte Katastrophen in den Medien verbreitet. Was läuft falsch? Es gibt eine lange Liste einleuchtender Erklärungen. Die Ursachen lassen sich womöglich auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt zurückführen: Afrikas Geschichte als politischer Spielball und Opfer imperialistischer Mächte. Ein halbes Jahrtausend wurde der „Schwarze Kontinent“ geplündert, wurden seine Menschen buchstäblich wie Vieh behandelt. Da scheint es leicht verständlich, dass in dem knappen halben Jahrhundert, seit die ehemaligen Kolonien ihre Unabhängigkeit errungen haben, die Folgen dieses düsteren historischen Kapitels nicht einmal annähernd überwunden werden konnten.

Adam Hochschild belegt diese These am Beispiel des Kongo. Ein besseres – oder schlimmeres – Beispiel hätte er leicht finden können: Keineswegs übertraf König Leopold die zeitgenössischen Kolonialmächte, in Sachen Gier & Grausamkeit. Der Kongo eignet sich dennoch besonders gut für eine Demonstration der Schattenseiten des Kolonialismus, weil diese sich hier auf die Person eines einzelnen Mannes projizieren lassen. König Leopold II. von Belgien ist so, wie ihn Hochschild schildert, eine Gestalt, die das Kino nicht besser erfinden könnte. Doch glauben wir dem Verfasser wirklich, dass ein gnadenloser Mistkerl wie Leopold seiner Macht- und Geldgier so skrupellos nachgehen konnte wie beschrieben? Die genaue Lektüre lässt indessen die ungemütliche Ahnung aufkeimen, dass Leopold höchstens in seiner bis zum Exzess übersteigerten Maßlosigkeit eine zeitgenössische Ausnahmeerscheinung war. Noch einmal sei betont: Die Machthaber der anderen großen Mächte benahmen sich als Kolonialherren keineswegs menschenfreundlicher. Um Macht und Geld ging es ihnen letztlich allen. Leopold trieb es nur auf die Spitze.

War Leopold denn nun ein von Minderwertigkeitskomplexen und Größenwahn getriebenes, gefühlskaltes, fuchsschlaues Würstchen, wie Hochschild ihn uns vorstellt? Wir neigen angesichts des grenzenlosen Leids, das dieser Mann über den Kongo gebracht hat, dazu, dem Verfasser uneingeschränkt zuzustimmen. Kritisch ließe sich freilich die Frage stellen, ob Hochschild im Laufe seiner Nachforschungen von solch’ gerechtem Zorn über Leopold ergriffen wurde, dass er die notwendige Objektivität für seine Darstellung schlicht nicht mehr aufbringen konnte.

Aber ist es relevant, ob Hochschild Leopold „versteht“ oder verabscheut? Sprechen die Fakten denn keine eigene Sprache? Apropos Sprache: Kann es sein, dass die elegante Prosa Misstrauen weckt, ob man dem Verfasser „trauen“ darf? Hochschild kann schreiben. Er fällt niemals in jenen drögen, bewusst sachlichen Ton, der vor allem hierzulande als Qualitätssiegel für ein „gutes“ Sachbuch gilt. Hochschild erzählt mit Fakten, wie es sich so offenbar nur die Angelsachsen trauen. Er wird ironisch, schweift ab, erzählt Anekdoten. Anders ausgedrückt: Er hält seine Leser bei der Stange – alle Leser, auch jene, die wohl kaum ein Buch über historische Menschenrechtsverletzungen im fernen Kongo bis zur letzten Seite durchhalten würden.

Das ist legitim, denn Hochschild ist kein Historiker, sondern Journalist. Schon seine (überaus wirkungsvoll eingesetzte) Entscheidung, sich nicht auf die Wiedergabe von Ereignissen zu beschränken, sondern diese mit den Biografien von „Opfern“ und „Tätern“ zu verknüpfen, weist darauf hin. Hochschild will seine Leser in Kopf und Bauch treffen. Nie macht er einen Hehl daraus, dass er auf den Schultern wissenschaftlich kundiger Vorarbeiter steht. Hochschild betreibt keine Grundlagenforschung – er nutzt Wissen, das bereits vorhanden ist, und präsentiert es möglichst publikumstauglich. Wem dies nicht „anspruchsvoll“ genug ist, der kann getrost zu den primären Quellen greifen; der Verfasser liefert sie in einem eindrucksvollen Anmerkungsapparat nach.

Hilfreich, weil informativ über das eigentliche Thema hinausgreifend, ist Hochschilds Panorama der kongolesischen Geschichte nach 1908. Er erzählt nämlich nicht nur eine aufrüttelnde und interessante, aber letztlich vergangene Geschichte, sondern bettet die Episode „Freistaat Kongo“ in den historischen Kontext ein – und der reicht ungebrochen bis in die Gegenwart! An dieser Stelle würde es zu weit führen, die vielfältigen Zusammenhänge aufzulisten, aber Hochschilds Argumentation ist deprimierend schlüssig. Mit klaren & klugen Worten gelingt ihm für sein Werk ein perfekt anmutender Abschluss.

In einem Punkt schießt Hochschild freilich wirklich übers Ziel hinaus: Zu verlockend erscheint ihm die Verbindung zwischen dem kolonialen Terror und dem Schrecken der nazideutschen Judenvernichtung. Dies liegt nahe, ist aber grundsätzlich falsch, wie der Verfasser schließlich selbst feststellt (ohne jedoch seine früheren diesbezüglichen Äußerungen zu relativieren): Für die Nazis war die physische und psychische Auslöschung der Juden das Primärziel, die Zwangsarbeit nur eine von vielen Stationen dorthin. Leopold und die anderen Kolonialmächte waren dagegen keine vorsätzlichen Völkermörder. Im Gegenteil: Für sie war jeder Einheimische wichtig, denn diese sollten ja so zahlreich wie möglich Sklavenarbeit leisten. Die Betroffenen mag diese juristische Differenzierung indessen kalt gelassen haben.

Adam Hochschild wurde 1942 in New York City geboren – und zwar mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund: Sein Vater leitete einen der erfolgreichsten Minenkonzerne der Welt. Jung-Adam bewegte sich in einer Welt der Privilegierten (die er in seinem Buch „Half the Way Home: a Memoir of Father and Son“ 1986 Revue passieren ließ). Eine in jungen Jahren unternommene Reise ins Südafrika der Apartheid weckte Hochschilds soziales Gewissen. Er schloss sich der Bürgerrechtsbewegung in den USA an, protestierte gegen den Vietnamkrieg, kämpfte journalistisch gegen das Unrecht in der Welt. Seine Artikel erscheinen in allen großen Magazinen.

Unter Hochschilds Buchveröffentlichungen ragen vor allem seine Werke „The Mirror at Midnight: a South African Journey“ (1990) und „The Unquiet Ghost: Russians Remember Stalin“ (1994; dt. „Stalins Schatten. Gespräche mit Russen heute“) heraus. Hochschild lebt heute in San Francisco. Er lehrt kreatives Schreiben an der „Graduate School of Journalism“, die zur „University of California“, Berkeley, gehört.

Kinkel, Tanja – König der Narren, Der (Die Legenden von Phantásien)

Die Weberinnen von Siridom sind berühmt für ihre kunstvollen Teppiche, und das zu Recht, denn diese Teppiche zeigen nicht nur irgendwelche beliebigen Muster, sondern Bilder. Bilder von längst vergangenen und fast vergessenen Geschehnissen aus Phantásien. Auf ihre Weise sind die Weberinnen Bewahrer der Geschichte, Historiker, und zu ihnen zu gehören, ist eine große Ehre.

Eine Ehre, mit der die junge Res nicht viel anfangen kann! Die Aussicht, ihr ganzes Leben in Siridom am Webstuhl zu verbringen, ödet sie an! Sie würde viel lieber mit den Trossen der Handelswagen auf Reisen gehen, um die Welt, die sie in ihre Bilder webt, selbst zu sehen! Völlig überraschend erhält sie die Gelegenheit: Ein Handelstross ist dem Nichts begegnet und kehrt völlig leer und grau zurück, nur die Zugtiere und eine Katze sind noch da. Der Gildenmeister verspricht zwar, eine Gesandtschaft zur Kindlichen Kaiserin zu schicken, macht sich aber stattdessen mit seiner ganzen Familie aus dem Staub! Res beschließt, selbst etwas zur Rettung Phantásiens zu unternehmen. Sie will den Verlorenen Kaiser finden. Ein einziger, uralter Wandteppich erzählt davon, dass dieser Kaiser Phantásien schon einmal gerettet hat, allerdings starb die Weberin vor der Vollendung des Teppichs, sodass niemand weiß, was aus dem Kaiser geworden ist. Bestellt wurde der Teppich von der Fürstin der Stadt Kading, deshalb beschließt Res, ihre Suche dort zu beginnen. Die Katze, die sie in dem leeren Handelstross gefunden hat, nimmt sie mit, denn die Katze hat behauptet, den Weg nach Kading zu kennen. Aber kann Res der Katze trauen?

Tanja Kinkels Phantásien-Geschichte spielt zeitgleich zu den Erlebnissen von Atréju, obwohl dieser namentlich kein einziges Mal erwähnt wird. Die Autorin spricht von einem Gesandten, den die Kindliche Kaiserin ausgesandt hat. Den genauen Zeitpunkt erfährt der Leser jedoch erst gegen Ende, als Res dem Wandernden Berg begegnet.

Res ist ein recht burschikoses Mädchen. Häuslichkeit liegt ihr nicht, sie will Abenteuer erleben. Vor allem aber will sie nicht alles, was es zu wissen gibt, aus zweiter Hand erfahren! Sie will ihre eigenen Erfahrungen machen! Allerdings hat sie sich diese Erfahrungen anders vorgestellt. Ganz allein in die Welt hinauszuziehen, ist eben bei weitem nicht so einfach wie in einer Gruppe, zumal eine der Erfahrungen zeigt, dass gute Absichten nicht unbedingt gute Taten, und gute Taten nicht unbedingt gute Folgen nach sich ziehen! Überhaupt ist das mit dem Gut und Böse gar nicht so einfach. So sind die Federwesen aus Haruspex überhaupt nicht erbaut von Res‘ Lebensrettungsaktion, und Haruspex ist nicht der einzige Ort, wo Res sich Feinde macht.

Die Katze unterstützt sie darin höchst erfolgreich. Nicht, weil sie Res wirklich schaden will! Nur liegt es eben nun mal im Naturell einer Katze, dass sie selbstsüchtig denkt. Die Katze ist meiner Meinung nach der gelungenste Charakter des ganzen Buches: Abgesehen von ihrem Egoismus ist sie auch noch ein bisschen arrogant, unberechenbar und gelegentlich auch hinterlistig. Sie hilft Res immer nur dann, wenn es ihren eigenen Interessen dient. Und sie hält sich immer und überall ein Hintertürchen offen. Dass sie mehr ist als eine Katze, hört Res zum ersten Mal von ihrem zweiten Begleiter Yen Tao-Tzu. Der Katze ist das gar nicht recht, denn er rührt damit unwissentlich an ein Geheimnis, das gerade Res keinesfalls erfahren darf.

Yen Tao-Tzu wird zu diesem Zeitpunkt allerdings von Res nicht ernst genommen, denn er ist geistig verwirrt. Für den Leser ist relativ schnell klar, dass er ein Menschenkind ohne Erinnerungen sein muss, aber Res ist Phantásierin und weiß nichts von Menschenkindern. Und es ist schwer, selbst die einfachsten Lösungen zu entdecken, wenn man nicht wissen kann, dass man die falschen Fragen stellt.

So fliegt Res mit ihren Begleitern einen langen Weg durch Phantásien, um ein Mittel gegen das Nichts zu finden, und kommt dabei zu vielen verschiedenen Orten und Wesen. Fast ein paar zu viele, könnte man meinen. Tanja Kinkels Geschichte beinhaltet fast doppelt so viele Stationen wie [„Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ 1095 von Ralf Isau, aber die Ausarbeitung ist sehr unterschiedlich. Manche werden nur kurz gestreift, manche etwas ausführlicher behandelt. Insgesamt bleibt die Ausarbeitung Kinkels jedoch weit hinter Isaus zurück. Mag sein, dass die gut 350 Seiten nicht genug Platz hergaben für eine detailliertere Beschreibung, andererseits hätte mehr Raum dafür zur Verfügung gestanden, wenn Res ein paar Orte weniger bereist hätte. Stattdessen sind die Ausgestaltungen der verschiedenen Orte ziemlich oberflächlich geblieben und Kinkels Phantásien damit fern und diffus.

Auch die Charaktere der meisten Wesen, denen Res begegnet, haben nur wenig Tiefe. Einzige Ausnahme bilden diejenigen, die Res folgen bzw. verfolgen.
Die Leonesen wollen den Tod eines der Ihren rächen. Dass an diesem Tod nicht allein Res schuld ist, ist ihnen dabei völlig unwichtig. Aber Blutrache hatte ja auch noch nie etwas mit Logik oder Vernunft zu tun. Die Federwesen machen Res für den Untergang ihres Dorfes verantwortlich. Auf den Gedanken, dass das Nichts ihr Dorf auf jeden Fall verschlungen hätte, kommen sie nicht im Traum. Es ist einfacher, einen Schuldigen zu suchen! Die Fürstin von Kading schließlich ist eine Herrscherin, die fast ein wenig an Kaiser Nero erinnert: eitel, gelangweilt, gleichgültig und grausam. Im Laufe ihrer Reise trifft Res diese Wesen immer wieder an den unterschiedlichsten Stellen. Zusammen mit dem Umstand, dass auch in diesen Fällen das erste Zusammentreffen in der jeweiligen Heimat recht knapp ausfällt, vermitteln diese ständigen, vorübergehenden Treffen den Eindruck von Zerissenheit. Der Handlungsverlauf scheint irgendwie zerfasert und zerfleddert, was schade ist. Auch hier gilt: weniger wäre mehr gewesen, und ein Verfolger besser als drei.

Der Handlungsverlauf schwächelt auch noch an anderen Stellen.
So wird zum Beispiel nicht ganz klar, warum die Fürstin Res überhaupt verfolgt. Vielleicht wollte sie einfach nur die Scharte auswetzen, dass Res die Flucht gelungen ist, vielleicht empfand sie tatsächlich so etwas wie Respekt für diese Leistung und wollte Res deshalb als Verbündete, oder vielleicht befürchtete sie Konkurrenz. Wie auch immer, hier verliert sich Kinkel in Andeutungen, die entweder nur für höchst intelligente Leute nachvollziehbar oder generell einfach etwas zu wirr sind, um die Beweggründe und Ziele der Fürstin wirklich zu verstehen.

Ein weiterer Punkt, der ungeklärt bleibt, ist der, wie und warum Yen Tao-Tzu das Betreten von Kading überleben konnte. Die Autorin bietet lediglich einen Erklärungsversuch der Katze, der aber unlogisch ist, denn Yen Tao-Tzu ist ein Menschenkind und sein Leben daher, anders als vielleicht bei Phantásiern, nicht nur Gedanke sondern auch Körper. Yen Tao-Tzu selbst widerspricht der Katze unmittelbar, seine eigene Deutung aber erfährt der Leser nicht, weil die Autorin ihn von einem Federwesen unterbrechen lässt!

Dazu kommen logische Brüche zur Vorlage Michael Endes. Einen davon nimmt die Autorin bewusst in Kauf, nämlich die Tatsache, dass Yen Tao-Tzu auf irgendeine Weise von allein seine Sprache und seine Erinnerungen zurückerhält. Argax, das Äffchen aus der Alten Kaiser Stadt, stellt lapidar fest, dass das eigentlich nicht möglich sein sollte. Die Tatsache, dass Yen Tao-Tzu als einziges Menschenkind bewusst und freiwillig in die Alte Kaiser Stadt kam, kann dafür keine ausreichende Erklärung sein!

Die kategorische Aussage, dass Yen Tao-Tzu der kindlichen Kaiserin keinen neuen Namen geben kann, weil er es bereits einmal getan hat, ist ebenfalls so nicht richtig. Koreander erklärt Bastian am Ende der „Unendlichen Geschichte“, dass er Mondenkind nur so lange nicht wiedersehen könne, wie sie Mondenkind sei, dass er sie aber wiedersehen könne, wenn er ihr einen neuen Namen gäbe. Die Katze, mit der Res über diese Angelegenheit spricht, muss das wissen, denn sie ist ein Wanderer!

Trotz all dieser Mankos ist das Buch nicht wirklich schlecht. Wo sich die Autorin die Mühe gemacht hat, wirklich ins Detail zu gehen, sind die Darstellungen richtig gut gelungen. Das gilt ganz besonders für die Katze und die Federwesen aus Haruspex. Die übrigen Ideen hatten ebenfalls durchaus Potenzial und hätten im Falle einer genaueren Ausarbeitung eine echte Bereicherung für Phantásien darstellen können, was ja das erklärte Ziel dieser Buchreihe ist.

Bemerkenswert ist das Ende von Res‘ Reise, wo die Protagonistin in einem Aufwallen von Überdruss von der Heldin zur Antiheldin mutiert! Eine Wendung, die nicht unbedingt zu erwarten war und zusammen mit dem Charakter der Federwesen einen wirklich großen Wurf hätte bedeuten können, wenn sich Tanja Kinkel nicht in ihrer Fülle von halb Angedachtem verheddert, sondern sich auf diese Punkte konzentriert hätte.

Insgesamt ist „Der König der Narren“ durchaus lesenswert, auch wenn er meiner Meinung nach mit der „geheimen Bibliothek …“ von Ralf Isau nicht mithalten kann. Dafür fehlt ihm das gewisse Etwas, vielleicht das Quentchen mehr Fingerspitzengefühl, mit dem Isau seine Geschichte an die Vorlage angeschlossen hat, vielleicht auch einfach nur die konsequente und liebevolle Ausgestaltung der wenigen Orte und Personen, denen die Protagonisten begegnen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Frau Kinkel bisher eher Historienromane als Fantasy geschrieben hat. Jedenfalls hatte „Die geheime Bibliothek …“ eine Portion mehr Flair. Bleibt abzuwarten, was die übrigen Bände dieser Reihe noch zu bieten haben.

Tanja Kinkel stammt aus Bamberg, studierte in München unter anderem Germanistik und Theaterwissenschaften, hat mehrere Literaturpreise und Stipendien gewonnen. Außer Historienromanen, die größtenteils im Mittelalter spielen, hat sie inzwischen auch einen Roman über die Gründung Roms und einen „neuzeitlichen“ Roman geschrieben. Auch ein Jugendbuch mit dem Titel „Die Prinzen und der Drache“ findet sich in der Liste. „Der König der Narren“ war ihr letztes Buch, mit dem sie sich Anfang des Jahres auf Lesereise befand. Zur Zeit ist sie mit „Götterdämmerung“ unterwegs.

Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
ISBN-13: 978-3-426-19641-0

http://www.droemer-knaur.de/home
http://www.Tanja-Kinkel.de

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (6 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)

Newman, Kim – rote Baron, Der: Anno Dracula 1918

Ende des 19. Jahrhunderts war es Dracula, dem Erz-Vampir aus dem fernen Transsylvanien, gelungen, Königin Victoria von Britannien durch den „dunklen Kuss“ zu seiner untoten Sklavin zu machen und als Prinzgemahl die Kontrolle über das britische Weltreich an sich zu reißen. Unter seiner Herrschaft breitete sich der Vampirismus über alle gesellschaftlichen Schichten aus, nachdem bekannt wurde, dass der „Kuss“ ein praktisch ewiges „Leben“ garantierte. Dracula verwandelte Britannien in eine brutale Diktatur, deren Geschicke er – unterstützt von seinen „Kindern“, die er an den Schaltstellen der Macht strategisch günstig platzierte – mit eisernem Willen lenkte. In den späten Achtzigerjahren formierte sich eine Widerstandsbewegung, der es schließlich gelang, den Tyrannen vom Thron zu stoßen.

Dracula entkam den britischen Revolutionären; er floh auf den Kontinent, wo er umgehend damit begann, die verlorene Macht zurückzugewinnen. Während er von Königshaus zu Königshaus wanderte, verwandelte er die gekrönten Häupter Europas allmählich in Untote. 1905 schlug Draculas große Stunde, als er einen Bundesgenossen fand, der sich als idealer Strohmann erwies: Wilhelm II., deutscher Kaiser, der seinerseits von einem Weltreich träumte und bereit war, Deutschland wenn nötig mit Waffengewalt einen „Platz an der Sonne“ neben Britannien, Frankreich, Österreich-Ungarn und den anderen europäischen Groß- und Kolonialmächten zu verschaffen. Dracula wurde Wilhelms Vertrauter und stieg bis 1914 zum Kanzler des Deutschen Reiches und Oberbefehlshaber der Streitkräfte auf.

Im Zuge seiner Expansionspläne erklärte Wilhelm II. 1914 dem Balkanstaat Serbien den Krieg. Bündnisverträge und Beistandspakte lösten einen Domino-Effekt aus, der nach und nach sämtliche Staaten Europas in den Konflikt zog, der sich, als die Vereinigten Staaten an die Seite ihrer europäischen Verbündeten traten, schließlich zu einem Weltkrieg auswuchs.

Im Frühjahr des Jahres 1918 tobt der Krieg mit unverminderter Härte. Besonders im Westen sprengt das Morden jede Vorstellungskraft. Die Front zieht sich quer durch Holland, Belgien und Frankreich. Um ihren Verlauf wird von der Entente (Britannien und Frankreich und ihre Verbündeten) und den Mittelmächten (Deutschland und Österreich-Ungarn mit ihren Bundesgenossen) gleichermaßen erbittert wie erfolglos gerungen. Der Krieg hat sich in einen Grabenkampf verwandelt, der warmblütigen wie untoten Soldaten täglich zu Tausenden das Leben kostet.

In dieses Pandämonium wagt sich Charles Beauregard, ein hochrangiges Mitglied des britischen Geheimdienstes. Agenten haben herausgefunden, dass Dracula auf dem Château du Malinbois im deutsch besetzten Teil Frankreichs eine Geheimwaffe entwickeln lässt: Hier ist das berühmte deutsche Jagdgeschwader 1 – der „Fliegende Zirkus“ des Flieger-Asses Manfred von Richthofen – stationiert. Diese Elite ist Objekt eines bizarren Experiments. Unter der Leitung des fanatischen Arztes ten Brincken arbeitet ein Team von Wissenschaftlern daran, in den Fliegern jene gestaltwandlerischen Kräfte zu wecken und zu entwickeln, die sämtliche Untote zumindest latent besitzen. Das Projekt ist erfolgreich; die Angehörigen des JG1 können sich in gigantische, fledermausartige Flugwesen verwandeln, die an Kraft und Wendigkeit jedem Flugzeug weit überlegen sind. Im Frühjahr des Jahres 1918 behaupten sie den Luftraum über dem Château du Malinbois. Dennoch kann Beauregard ein noch größeres Geheimnis lüften: Das Schloss wird Draculas Befehlszentrale sein, von der aus er eine unmittelbar bevorstehende, gigantische deutsche Offensive leiten wird …

Eine ausführliche Inhaltsangabe, die dennoch nur einen Abriss der Handlung darstellt: Schon die Schwierigkeit, den Inhalt des Romans „Der rote Baron“ auch nur annähernd zu beschreiben, belegt eindrucksvoll, welches komplexe und in jeder Hinsicht reiche Werk dem amerikanischen Schriftsteller Kim Newman (geb. 1959) gelungen ist – und dies bereits zum zweiten Mal, stellt „Der rote Baron – Anno Dracula 1918“ doch die (lose) Fortsetzung von „Anno Dracula“ dar, das im Britannien des Jahres 1888 spielte. In diesem ersten Band treffen wir an prominenter Stelle einen noch jungen, energischen Charles Beauregard, der sich der Revolution gegen den Fürsten der Untoten anschließt und bei der Vertreibung Draculas eine entscheidende Rolle spielt. Drei Jahrzehnte später ist es erneut (ein stark gealterter) Beauregard, der sich bemüht, den Grafen zu stoppen, der sein böses Spiel nun mit dem Deutschen Reich treibt und die gesamte Welt in einen Krieg stürzt.

Man sieht: Wir haben es hier nicht mit einem altmodischen, aristokratisch-bleichen Blutsauger zu tun, der ein rotgefüttertes Cape trägt, des Nachts Jungfrauen überfällt und sich darauf beschränkt, seine Allmachts-Fantasien aus den Grüften baufälliger Burgen heraus zu verwirklichen; kein Wunder, dass dieser in einer modernen Welt verlorene Dracula, wie wir ihn aus zahllosen mehr oder minder (meistens minder) gelungenen Filmen kennen, immer recht bald mit einem Pflock im Herzen endet.

Dass Dracula weit mehr sein kann als der simple Buhmann unterhaltsamer Mitternachts-Vorstellungen, hat eindrucksvoll Francis Ford Coppola in den Rückblenden seines „Dracula“-Films von 1992 bewiesen. Der zeitgenössische Vlad Tepes II. (1433-1477) war zu seinen Lebzeiten nicht nur ein grausamer, sondern auch ein sehr erfolgreicher Herrscher, dem es als „Woiwode“ der (später rumänischen) Walachei über Jahrzehnte gelang, die mächtigen und expansionswütigen türkischen und bulgarischen Nachbarn in Schach zu halten. In der Wahl seiner Mittel war er gewiss nicht wählerisch, aber Kriegsherrn wie ihn gab es im Mittelalter viele. Der Erfolg gab ihm jedenfalls Recht und bewies, dass Vlad, der gefürchtete Pfähler, ein entschlossener und auch intelligenter Mann gewesen ist. Diese Eigenschaften sollte er sich eigentlich auch nach seinem Tode und der Wiederauferstehung als Vampir bewahrt haben. Insofern setzt Kim Newman dem „wahren“ Dracula ein literarisches Denkmal.

Newmans Dracula ist im Jahres 1918 noch immer ein rücksichtsloser, zu allem entschlossener Krieger – und ein Überlebenskünstler. Letztes lässt ihn immer wieder aus schier aussichtslosen Situationen entkommen. Ersteres wendet sich in „Der rote Baron“ allerdings zum zweiten Mal gegen Dracula. In der modernen Welt des 20. Jahrhunderts ist ein Kriegsherr nach mittelalterlichem Muster eindeutig ein Anachronismus. Dracula spielt geschickt die Königshäuser Europas gegeneinander aus, und als Oberbefehlshaber der deutschen Armee weiß er die technischen Errungenschaften seiner Zeit einzusetzen. Dennoch ist er in seinem Denken noch immer dem Mittelalter verhaftet, in das er geboren wurde. Der Krieg, den er 1914 entfesselte, wie er es seit Jahrhunderten tut, um sich zu nehmen, was er mehr als alles andere begehrt – die uneingeschränkte Macht nämlich -, entgleitet schließlich seiner Kontrolle, weil nicht einmal er einen Weltkrieg steuern kann. Am Ende steht Dracula einmal mehr vor den Scherben seiner Vision. Freilich wird ihn das nicht abhalten, es aufs Neue zu versuchen.

Mit erstaunlicher Sicherheit weiß Autor Newman die reale Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts mit seiner erfundenen Historie zu verquicken. Plötzlich scheint es durchaus logisch zu sein, dass die Schüsse auf Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajewo, die 1914 den Weltkrieg auslösten, fielen, weil seine serbischen Untertanen es nach jahrhundertelangem Kampf gegen die „Nosferatu“ nicht ertrugen, von einem Untoten regiert zu werden. Auch die Schrecken des Grabenkrieges werden plastisch geschildert. Dass in Newmans Welt „normale“ Menschen und Vampire mit- und gegeneinander kämpfen, wird beinahe nebensächlich angesichts der mörderischen Eigendynamik, die der Krieg längst entwickelt hat.

Vor dem grimmigen Kriegs-Spektakel muss Newmans eigentliche Geschichte notgedrungen ein wenig verblassen. Der „Fliegende Zirkus“ des Barons von Richthofen und seine Verwandlung in wahre Dämonen der Lüfte ist fast ein enttäuschend „normaler“ Einfall, wie man ihn in jedem x-beliebigen Horror-Roman finden könnte. Aber auch jetzt besticht „Der rote Baron“ durch die sorgfältige, beinahe dokumentarische Schilderung des Kampfes gegen den berüchtigten „Roten Baron“, der sich zwar als blutdürstige, gleichzeitig aber tragische Gestalt entpuppt, die um die Aussichtslosigkeit ihres Tuns durchaus weiß.

Wie der erste Teil der „Anno Dracula“-Serie gewinnt die Fortsetzung einen besonderen Reiz aus der Tatsache, dass Autor Newman nicht nur Personen der Zeitgeschichte auftreten lässt, sondern wie selbstverständlich Charaktere zum Leben erweckt, die völlig fiktiv sind und den Werken anderer Schriftsteller entnommen wurden. So kann es geschehen, dass in einem Feldlazarett der Entente H. G. Wells‘ Dr. Moreau neben H. P. Lovecrafts Herbert West, dem „Wiedererwecker“, am Operationstisch steht, Jules Vernes Ingenieur Robur seine Kampf-Luftschiffe über Paris schweben lässt oder Norbert Jacques‘ Dr. Mabuse das deutsche Kriegspresseamt leitet. Aber auch Personen, die tatsächlich gelebt haben, sieht man in Kim Newmans alternativen Welt des Jahres 1918 in völlig neuen Rollen; da kann es dann geschehen, dass der untote, im Exil lebende Schriftsteller Edgar Allan Poe in den Sälen des Prager Gerichts dem Schreiber Franz Kafka begegnet, bevor er im Auftrag Dr. Mabuses nach Frankreich reist, um dort eine Biographie des Flieger-Helden Manfred von Richthofen zu verfassen, dessen „Burschen“ Fritz Haarmann und Peter Kürten heißen … Solche an sich absurden Paarungen präsentiert Newman in rascher Folge, doch er konstruiert sie so geschickt, dass man ihrer niemals überdrüssig wird.

So ist „Der rote Baron – Anno Dracula 1918“ ein würdiger zweiter Band einer Reihe, die Kim Newman 1998 zu einer Trilogie ausgebaut hat: „Judgement of Tears – Anno Dracula 1959“ (auch unter dem merkwürdigen Titel „Dracula Cha Cha Cha“ veröffentlicht) beschreibt die Abenteuer des Vampirfürsten und seiner Gegner in der Ära des Kalten Krieges und des Rock ’n‘ Roll; allerdings spielt dieser Roman in Italien, ist vom Grundton wesentlich humorvoller angelegt und erinnert an eine Dario-Argento-Version von Fellinis „La Dolce Vita“.

Schulte von Drach, Markus Christian – Furor

Michael Crichton und Dan Brown haben Konkurrenz bekommen! Endlich wagt sich ein promovierter Biologe an das Schreiben eines Wissenschaftsthrillers, endlich müssen wir uns nicht mehr die naturwissenschaftlichen Ideen und Phantasien von Medizinern und Englischlehrern durchlesen, die nicht selten ziemlich abstrus und undurchdacht wirkten. Markus Christian Schulte von Drach hat mit „Furor“ einen rasanten Thriller vorgelegt, der reale Wissenschaft mit (noch?) fiktiven Ideen mixt und daraus eine äußerst brisante Mischung erschafft.

_Furiose Wissenschaft_

In den letzten Minuten vor seinem Tod spricht der berühmte Hirnforscher Christian Raabe seinem Sohn Sebastian auf die Mailbox und bittet ihn, bestimmte Daten auf seinem Institutsrechner ungelesen zu löschen. Kurze Zeit später wird Christian Raabe mit zerquetschtem Hirn auf dem Dach des Fahrstuhls im Wilder-Penfield-Institut gefunden. Da sein Herz noch schlägt, wird er zunächst ins Krankenhaus gebracht, wo sein Körper am Leben erhalten wird.

Als Sebastian Raabe die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält, ist er geschockt und kann nicht an den angeblichen Selbstmord unter Alkoholeinfluss seines Vaters glauben. Schnell findet Sebastian heraus, dass sein Vater seinen Rechner durch ein Passwort geschützt hat, welches er nicht kennt und auch nicht durch den kryptischen Spruch zu entziffern weiß, den der Computer ihm verrät. Er bittet seinen guten Freund Mato um Hilfe, doch kommt er dem Rätsel nicht auf die Spur. In der Wohnung seines Vaters fällt Sebastian das Tagebuch seines Vaters in die Hände, in welchem dieser zwei seiner engen Kollegen beschimpft. Außerdem findet er dort einen Brief, den sein Vater an seine Frau geschrieben, aber offensichtlich nicht abgeschickt hat. Im Brief berichtet Christian Raabe von einer schrecklichen Katastrophe, von der Sebastian bislang nichts gewusst hatte, sodass der unvollendete Brief an seine verstorbene Mutter ihm Rätsel aufgibt. Als Sebastian den Freund seines Vaters Wallroth auf den Brief anspricht, erzählt dieser ihm eine wenig glaubwürdige Geschichte, die Sebastian nicht zu überzeugen vermag.

Mit der Hilfe seiner Freunde schafft Sebastian es schließlich, das Passwort seines Vaters zu entschlüsseln und findet auf dem Rechner brisante Forschungsergebnisse, an deren Existenz Sebastian kaum glauben mag. Doch allzu schnell muss er realisieren, dass das Wissen um diese Ergebnisse ihn in höchste Gefahr bringt …

_Technik, Spannung, Action – Was will man mehr?_

Im gleichen Stil wie beispielsweise auch Dan Brown stellt Schulte von Drach den mysteriösen Tod des renommierten Wissenschaftlers Christian Raabe an den Anfang seines Buches und lässt damit sogleich die Spurensuche beginnen. Raabes Sohn Sebastian kann nicht an den Selbstmord seines Vaters glauben und sucht nach Motiven und auch nach dem Passwort für den Institutscomputer. Viele Fragen werden aufgeworfen, die nach Antworten verlangen. So kommt von Anfang an kein bisschen Langeweile auf, das Buch beginnt von der ersten Seite an rasant und geheimnisvoll.

In einem zweiten Handlungsstrang lesen wir Ausschnitte aus dem Protokoll der Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Spezialkräfte“, in der ein Massaker im Sudan, ausgeübt durch deutsche Soldaten, geklärt werden soll. Die Soldaten können sich gar nicht mehr wirklich an das Geschehen erinnern oder an mögliche Gründe für ihr aggressives Verhalten. Verschiedene Gutachter werden um ihre Meinung gebeten und bringen schlussendlich etwas Licht in das Dunkel, sodass im Laufe des Buches ein immer klareres Bild von den Ereignissen im Sudan entsteht. Auch dauert es nicht lange, bis der Leser die Verbindung zwischen beiden Handlungssträngen erahnt.

Der Spannungsbogen ist fast durchweg gut gelungen, nahezu die gesamten 343 Seiten hält der Autor das Tempo seiner Handlung hoch, doch zwischendurch gibt es leider kleine Hänger, die dem Leser unerklärlich bleiben. Beispielsweise schaut sich Sebastian nicht sofort die vom Rechner seines Vaters kopierten Daten an, obwohl er doch vorher so intensiv nach dem Passwort geforscht hatte. Und als Sebastian sich mit seinen Freunden zusammen in zwei fremde Rechner gehackt hat, interessiert er sich anschließend kaum für die gewonnenen Dateien, die doch Aufschluss hätten geben können über die falsch spielende Person und die Hintergründe für den möglichen Mord an seinem Vater. An diesen Stellen lässt die Spannung etwas nach, da man sich beim Lesen über Sebastians Verhalten wundert.

Ganz anders ist dies im letzten Viertel, wenn Schulte von Drach in die Trickkiste greift und ein paar zu viele Actionelemente einbaut, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Romans aufkommen lassen. Allerdings ist hier die Handlung dermaßen rasant und fesselnd, dass man das Buch auf den letzten hundert Seiten nicht mehr zur Seite legen kann.

_Mustergültiger Wissenschaftsthriller_

Diesem Roman merkt man deutlich an, dass der Autor selbst viel liest, speziell im Thrillergenre, denn er bedient sich sämtlicher typischer Elemente, die für dieses Genre üblich sind. So lässt Schulte von Drach seine Leser kaum verschnaufen, da immer neue Hinweise auf die Zusammenhänge zwischen Christian Raabe und seinem mysteriösen Tod auftauchen. Auch die Wechsel zwischen zwei Handlungssträngen, die auf den ersten Blick nichts miteinander gemeinsam haben, am Ende allerdings zusammengeführt werden und einen Sinn ergeben, kennt man von anderen Thrillern. Am Ende des Buches steht ein actionreiches Showdown, welches wiederum an zwei unterschiedlichen Schauplätzen stattfindet, sodass hier schnelle Wechsel von einem Ort zum anderen immer mehr Spannung aufkommen lassen.

Natürlich darf auch nicht die übliche Liebesgeschichte zwischen dem männlichen Protagonisten und einer hübschen und intelligenten Frau fehlen, deshalb entwickelt sich zwischen Sebastian und der Journalistin Sareah Anderwald eine leidenschaftliche Affäre, wodurch auch Sareah in das Zentrum der Gefahr gerückt wird. Von außen erhalten die guten Figuren wieder Hilfe, wobei auch hier einer falsch spielt und Böses im Schilde führt. Nebenbei hat Sebastian einige Rätsel zu lösen, die sein Vater und dessen Tagebuch sowie der gefundene Brief ihm aufgegeben haben.

Umrahmt wird diese rasante Geschichte durch interessante wissenschaftliche Details, die zwischendurch immer wieder erörtert und dem unkundigen Leser erklärt werden. Doch erst im Nachwort erfährt der Leser, wo an dieser Stelle die Phantasie des Autors einsetzt und wissenschaftlichen Fortschritt erfindet, den es noch gar nicht gibt. Die Ausführungen über die aktuelle Hirnforschung nehmen dabei nie überhand, als naturwissenschaftlich interessierter Leser hätte man sich durchaus noch mehr Informationen gewünscht, aber Schulte von Drach schafft es, sein Wissen überzeugend und interessant vorzutragen, sodass er auch diejenigen ansprechen dürfte, die sich für Hirnforschung eher weniger begeistern können.

Auch sprachlich orientiert sich Schulte von Drach an seinem offenkundigen Vorbild Michael Crichton, denn seine Sprache ist einfach zu verstehen und flüssig zu lesen, selbst die wissenschaftlichen Erörterungen bleiben stets verständlich. Nirgends tauchen komplizierte Satzkonstrukte auf, über die man beim Lesen stolpern könnte und wenn am Ende das Erzähltempo angezogen wird, werden die Sätze sogar noch übersichtlicher und kürzer. All dies führt dazu, dass „Furor“ zu einem rasanten Leseerlebnis wird.

_Nichts ist unmöglich_

Für seinen Erstlingsroman hat Markus Christian Schulte von Drach sich ein hochbrisantes Thema herausgesucht. In „Furor“ ist es Hirnforschern nämlich gelungen, die Erinnerungen von Toten auf Film-CDs zu speichern, die man sich später ansehen und nachfühlen kann. Die Wissenschaft ist hier nicht mehr weit davon entfernt, das Hirn von Probanden zu manipulieren, Erinnerungen zu beeinflussen und sich diese Kenntnisse für gefährliche Zwecke zu Nutze zu machen. Die Thematik fasziniert von der ersten Seite an, denn auch die aktuelle Forschung hat schon viele Teile des Hirns und seine Aktivitäten entschlüsselt, sodass die Handlung dieses Thrillers gar nicht mehr so weit hergeholt erscheint, wenn es denn den hier erwähnten „Raab’schen Kanal“ wirklich geben würde, durch welchen fast alle Informationen laufen müssen. In seinem Nachwort macht der Autor noch mal deutlich, was heutzutage möglich ist und an welchen Stellen er selbst für seinen Roman hinzugedichtet hat.

Die hierdurch möglichen Konsequenzen werden in einem zweiten Nachwort des Wissenschaftlers Christof Koch vom California Institute of Technology in Pasadena/USA diskutiert. Durch diese Hinweise wirkt das Buch nach und regt den Leser selbst zum kritischem Hinterfragen an, denn die hier vorgestellten Möglichkeiten könnten wahrlich erschreckende Folgen nach sich ziehen. Wieder einmal wird deutlich, dass die immer weiter voranschreitende Wissenschaft nicht nur positive Konsequenzen hat, sondern auch große Gefahren mit sich bringt, wenn das neue Wissen von den falschen Mächten missbraucht wird.

_Figuren und ihre Klischees_

Bei der Charakterzeichnung konzentriert Schulte von Drach sich speziell auf Sebastian Raabe, der von Anfang an alle Sympathien auf sich vereinigt, da er der Idealtypus des netten und erfolgreichen Medizinstudenten ist, der den Tod seines Vaters zu verkraften und dessen Hintergrund zu enträtseln hat. Obwohl Sebastian doch wenige Eigenschaften aufweist, die ihn vom typischen Romanhelden abheben, fühlt man doch stets mit ihm mit und wünscht sich, dass er den bösen Kräften auf die Spur kommen wird. Seelisch-moralische Unterstützung erhält Sebastian von seiner neuen Freundin Sareah, die wirklich alle Klischees auf sich vereinigt. Selbstverständlich ist sie jung, hübsch und intelligent und steht ihrem Freund in allen Gefahren bei.

Erst in Sebastians Freundeskreis taucht eine etwas gescheiterte Figur in Form seines Freundes Hobbes auf, der eine dunkle und undurchsichtige Vergangenheit verlebt hat. Ein wenig hat es den Eindruck, dass die hollywoodtypischen Charaktere verwendet werden, die eine Verfilmung dieses Romans stark erleichtern würden. Dennoch fällt dieser Punkt nicht wirklich negativ ins Gewicht, da die Geschichte an sich zu überzeugen weiß und der Leser angesichts dieser Figuren doch ein Auge zudrücken mag.

_Unter dem Strich_

Mit nur kleinen Schönheitsfehlern ist Markus Christian Schulte von Drach ein fulminanter Wissenschaftsthriller gelungen, der sich nicht hinter Werken von Michael Crichton verstecken muss und auf dem Buchdeckel zurecht Werbung mit diesem Vergleich macht. Die Thematik des Buches ist faszinierend und regt zum Nachdenken über wissenschaftsethische Fragen an, auch schafft der Autor es überzeugend, den tatsächlichen Stand der Forschung mit seinen eigenen Ideen zu vermischen. Einzig die Figurenzeichnung überzeugt nicht wirklich, allerdings mindert das den Gesamteindruck des Buches nicht, da authentische Charaktere in Thrillern meist Mangelware sind. Auch der Spannungsbogen versteht es mitzureißen, nur zum Schluss trägt Schulte von Drach etwas zu dick auf und fügt zu viele Actionelemente ein, sodass „Furor“ zwar nicht durchweg zu überzeugen weiß, aber doch ein unterhaltsames und interessantes Lesevergnügen verspricht, das ich jedem Fan von Wissenschaftsthrillern nur empfehlen kann.

Agatha Christie – Die blaue Geranie

Beim Hörverlag sind in letzter Zeit diverse Lesungen von Agatha-Christie-Romanen als Hörbuch erschienen, und jedes dieser Hörbücher erstreckt sich über die Spielzeit von 3 CDs bzw. ungefähr 170 Minuten. Im Rahmen dieser Serie sind unter anderem Klassiker wie „16 Uhr 50 ab Paddington“, „Mord im Orientexpress“ oder „Die Morde des Herrn ABC“ erschienen, Meisterleistungen und Klassiker der Krimi-Geschichte. Das mir vorliegende Hörbuch zu „Die blaue Geranie“ mit gerade mal knappen vierzig Minuten Spielzeit fällt da in der Konzeption etwas aus dem Rahmen, sowohl, was die Aufmachung, aber auch die Güteklasse der Story an sich und die Umsetzung als Lesung angeht. Die hektische Erzählweise und die über weite Strecken fehlende Spannung, welche man ja sonst aus den Erzählungen der legendären Krimi-Autorin gewohnt ist, überraschen nämlich durchaus unangenehm. Dabei könnten die Rahmenbedingungen kaum besser sein; mit der deutschen Stimme des Gandalf aus den „Herr der Ringe“-Filmen, Achim Höppner, hat man einen sehr guten Sprecher für diese Geschichte finden können und die Story an sich gibt in den Grundzügen auch einiges her; doch das Resultat gehört einerseits sicherlich zu den schwächeren Arbeiten der Krimikönigin und wird zudem durch die Umsetzung der Lesung selbst noch geschmälert.

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J. M. Dillard – Star Trek V: Am Rande des Universums

Das geschieht:

„Nimbus III“ ist ein Wüstenplanet, der die Grenze zwischen der Föderation und den Imperien der Romulaner und Klingonen markiert. Die drei latent verfeindeten Mächte verwalten „Nimbus III“ gemeinsam. Auf einen Notruf von dort schickt die Sternenflotte das Raumschiff „Enterprise“ unter Captain James T. Kirk. Aus dem klingonischen Reich naht das Schlachtschiff „Okrona“. Kapitän Klaa würde sich gar zu gern das Kopfgeld verdienen, das nach dem „Genesis“-Vorfall (vgl. „Star Trek III – Auf der Suche nach Mr. Spock“) auf den legendären Kirk ausgesetzt wurde.

Auf „Nimbus III“ wartet der vulkanische Messias Sybok. Aus seiner Heimat als Rebell und Ketzer vertrieben, weil er sich der für sein Volk so typischen Gefühlskontrolle nicht unterwarf, jagt er seit Jahrzehnten seinem Traum von Sha-ka-Ree hinterher, dem mythischen Paradies der Vulkanier, wo Gott höchstpersönlich residieren soll. Sybok glaubt, diesen Ort endlich lokalisiert zu haben: im Zentrum der Galaxis und hinter der Barriere aus Staub und glühendem Plasma, das jedem Raumschiff den Einflug verwehrt. Aber Gott hat zu Sybok gesprochen und ihm verraten, wie dieses Hindernis zu überwinden ist. Dazu benötigen er und seine Anhänger ein Schiff, und so locken sie eines nach „Nimbus III“. J. M. Dillard – Star Trek V: Am Rande des Universums weiterlesen

Ballard, Robert D. / Archbold, Rick – Entdeckung der Bismarck, Die

Sie galt als der Stolz der Reichsmarine, 260 Meter lang, 32 Meter breit. Ein Ehrfurcht gebietender Stahlkoloss, gepanzert mit dreizehn Zentimeter starken Platten, ausgerüstet mit vier Waffentürmen zu je zweimal 380-mm-Geschützen, auch die „mittlere Artillerie“ entsprach in ihrem Kaliber in etwa dem, was auf anderen Schiffen großteils schon als Hauptbewaffnung galt. Ein Monstrum, gebaut und vom Stapel gelaufen zu nur einem Zweck: Tod und Vernichtung zu speien – vorzugsweise auf den Handelsrouten der Briten, um England im zweiten Weltkrieg auszuhungern. Die Rede ist von Deutschlands damaligem Prestige-Schlachtschiff „Bismarck“. Ihre einzige Fahrt der Operation „Rheinübung“ sollte gleichzeitig ihre letzte sein.

Auch ihr Schwesterschiff „Tirpitz“ stand unter keinem guten Stern und liegt heute – versenkt von Flugzeugen und Kleinst-U-Booten – im skandinavischen Osta-Fjord. Mit dem Verlust der Titanen fror Hitlerdeutschland den Bau weiterer Superschlachtschiffe ein, deren Ära eigentlich schon längst mit Erfindung des trägergestützten Flugzeugs ohnehin obsolet geworden war. Die alliierte Hetzjagd auf die |Bismarck| ist legendär und sie endete mit ihrer Versenkung im Ostatlantik. Der umtriebige Meeresgeologe Robert D. Ballard machte sich in den Achtzigern auf die Suche nach dem berühmtesten deutschen Wrack.

_Historisches_

19. Mai 1941 – Die |Bismarck| und ihr Begleitschiff |Prinz Eugen| versuchen in einer Nacht-und-Nebelaktion, unbemerkt von ihrem Stützpunkt im norwegischen Grimstadfjord zu ihrem Einsatzort im Atlantik zu gelangen. Operation „Rheinübung“ hat begonnen. Kurz zuvor wird das Kommando vom erfahrenen und besonnen Kapitän Lindemann an den bärbeißigen und großkotzigen Admiral Lütjens übertragen. Der wohl erste fatale Fehler in diesem Einsatz überhaupt. Zu ihrem weiteren Unglück bemerkt eine Aufklärungs-Spitfire der britischen Admiralität zufällig und trotz dichter Bewölkung die Kampfgruppe bei Bergen am Nachmittag des 22. Mai. In London schrillen verständlicherweise die Alarmsirenen: Die Hunnen haben ihr Monster tatsächlich von der Kette gelassen und es ist klar, dass es über Scapa Flow und die Dänemark-Straße (bei Grönland) durchzubrechen versucht.

24. Mai 1941 – Die Kreuzer |Suffolk| und |Norfolk| halten Fühlung mit dem Gegner, das gefürchtete Schlachtschiff |Hood| – der Nationalstolz der Briten – und sein Pfadfinder, die neue (und sehr unerprobte) |Prince of Wales|, preschen heran, um die deutsche Kampfgruppe zu stellen, nehmen aber versehentlich zuerst das Führungsschiff – die |Prinz Eugen| – statt des Hauptgegners |Bismarck| am frühen Morgen aufs Korn. Diese bleibt wie durch ein Wunder jedoch fast unbeschädigt. Nach sechs Minuten des Distanzgefechts erzielt eine Salve der |Bismarck| auf der |Hood| einen schweren Treffer, der das Schiff innerhalb von Sekunden auseinanderreißt und versenkt.

Doch auch die |Bismarck| kommt nicht ungeschoren davon. Nachdem die britischen Schiffe ihren Irrtum bemerken, können sie einige Treffer landen, die sie auf etwa 28 Knoten verlangsamen und ihren Treibstoffvorrat drastisch reduzieren. Der Einsatz des britischen Flugzeugträgers |Victorious| verläuft wie das Hornberger Schießen: Weder gelingt es den Briten, einen „Aal“ ins Ziel zu bringen, noch schafft es das frenetische Abwehrfeuer der |Bismarck|, einen der zerbrechlichen Flieger herunterzuholen. Pattsituation einstweilen. Die |Bismarck| ermöglicht durch eine Finte das Entkommen der |Prinz Eugen|.

25. und 26. Mai 1941 – Die britische Admiralität detachiert starke Kampfverbände, um die waidwunde |Bismarck| endgültig zu versenken, auch die britischen Träger |Ark Royal| und |Victorious| sind mit von der Partie, zudem das neue Flaggschiff |King George V| sowie kleinere Einheiten der Homefleet – genannt „Force-H“. Zwischendurch verliert man die Fühlung zu beiden Deutschen, doch Gevatter Zufall schlägt ein weiteres Mal zu: Ein Catalina-Flugboot der Coastal Guards spürt die beiden Schiffe auf, wird vom erbitterten Flak-Feuer zwar erwischt, jedoch nicht abgeschossen.

Die |Ark Royal|, der zweite Flugzeugträger im Operationsgebiet, entsendet ihre Doppeldecker des Typs Swordfish, diese sind je mit einem einzelnen Torpedo ausgerüstet. Die ersten Angriffswellen schlagen fehl, doch ein einziger Aal trifft die |Bismarck| an ihrer empfindlichste Stelle: dem Ruder. Es verkeilt sich und der ohnehin angeschlagene Titan kann nur noch im Kreis fahren – ganz wehrlos ist er deswegen noch nicht. Durch die Biskaya zu kommen und den rettenden Hafen von Brest zu erreichen, scheint immer unwahrscheinlicher.

27. Mai 1941 – Am frühen Morgen sichten das Großkampfschiff |King George V| und sein schwerer Begleit-Kreuzer |Rodney| dank des Fühlungshalters |Norfolk| die |Bismarck| und preschen heran. Das Gefecht startet auf 25 Seemeilen Entfernung und zieht sich über knapp drei Stunden hin, wobei die Distanz der Kontrahenten auf wenige Meilen schrumpft, sodass gegen Ende die Geschossbahnen sogar waagerecht ausfallen statt – wie sonst üblich – ballistisch. Während Treffer an oder unterhalb der Wasserlinie aufgrund des schweren Panzergürtels wirkungslos zu verpuffen scheinen, zeitigen die Einschläge auf dem Deck ihre Wirkung auf der |Bismarck|.

Ihr Abwehrfeuer verstummt nach und nach, je mehr die Aufbauten schweren Granatenbeschuss wegstecken müssen, um irgendwann gänzlich zu schweigen. 10:22 Uhr stellen die Briten das Feuer ein, die |Bismarck| ist ein loderndes, glühendes Wrack – doch sie schwimmt unvermindert. Lütjens erteilte unlängst den Befehl zur Selbstversenkung. Die |Dorsetshire| eilt heran, um aus nächster Nähe drei Torpedos abzufeuern, welche dem Schiff endgültig den Garaus machen sollen. Ob diese für den Untergang maßgeblich waren, erhitzte die Gemüter seither – Fakt: Um 10:39 kentert die |Bismarck| nach Backbord und sinkt Bug voran auf den 4,5 Kilometer tiefen Grund und ins Reich der Legenden.

_Meinung_

Robert D. Ballard – der Entdecker der |Titanic| – überkam es, eine weitere Expedition zu einem berühmten Wrack zu unternehmen, und die Duplizität der Ereignisse ist erstaunlich, denn wieder erweist sich ein verdammt fetter Pott als überaus scheues Reh, das sich den Blicken des Forscherteams zu entziehen vermag, gleichwohl sind auch wieder zwei Anläufe nötig, bis sich der Erfolg einstellt. Die erste Exkursion 1988 war ein Schlag ins Wasser und brachte bis auf das Wrack eines alten Segelschiffes nicht viel mehr als Hohn und Spott. Davon ab ist der Meeresgrund mit seinen Bergen, Tälern, tiefen Schluchten und Schlickfeldern – und das in ewiger Finsternis der Tiefsee in 4700 Metern – auch kein leicht zu erkundendes Terrain. Das Wetter und der Seegang in der Biskaya tun ihr Übriges. Expedition I wird gefrustet gecancelt. 1989 bricht das Team erneut auf – mit weiteren erbettelten Geldern. Natürlich gebraucht Ballard sein Rasenmäher-System, um die vermutete Sinkposition Streifen für Streifen abzufahren, diesmal jedoch mit einem anderen und moderneren Forschungsschiff. Am 8.6.1989 ist Neptun mit ihnen: Das bemerkenswert gut erhaltene Wrack taucht vor den Kameralinsen auf.

Ballards Bücher zeichnen sich vor allem durch eines aus: Das Hohelied auf die US Navy (deren Equipment er benutzt), die nicht enden wollende Litanei technischer Pannen und Erklärung seiner Suchmethode, also in der Summe: Ballard, Ballard und nochmals Ballard. Das kann ganz schön nervig sein auf die Dauer, denn kennt man eines seiner Bücher, kennt man, was das angeht, alle (mit wenigen Ausnahmen) – ein ausgesprochen publicitygeiler Selbstdarsteller und deswegen auch oft in die Kritik geraten. Dennoch: Ein fähiger Experte auf seinem Gebiet, dessen Suchoperationen im Endeffekt immer von Erfolg gekrönt werden. Das muss man ihm lassen. So nimmt leider auch in diesem Band das Drumherum ungebührlich viel Platz in Anspruch. Dabei meine ich jedoch nicht die historische Aufarbeitung seitens Co-Autor Rick Archbold, die gewohnt akkurat und neutral ausfällt. Bis das Wrack endlich auch bildtechnisch untersucht wird, sind gut zwei Drittel des Buches herum. Der Anfang zieht sich wie der sprichwörtliche Kaugummi, sieht man – wie gesagt – von den historischen Fakten zur Schiffsgeschichte einmal ab, die sehr interessant sind.

Ab dem Fund kann der Bildband dann auch endlich richtig punkten, denn auch das ist Ballard: Die Analyse der Schäden, Rekonstruktion der Ereignisse nach dem Untergang sowie die Verpflichtung seines Illustratoren Ken Marschall, ein exaktes Abbild des Ist-Zustandes grafisch festzuhalten, sind superb. Mit dabei sind auch wieder die ausklappbaren, großformatigen Panoramaansichten, welche die |Bismarck| damals und heute gegenüberstellen. Marschall zeichnet ein stimmungsvolles Bild des aufgefundenen Ground-Zero, sowohl auf dem Cover als auch später im Inneren des Buches. Die verwendeten Fotos sind selbst gemessen an heutigen Standards scharf und aussagekräftig, allerdings reichte die restliche Zeit der Expedition nicht ganz dafür aus, alle wichtigen Punkte zu klären, die für den Untergang der |Bismarck| verantwortlich gewesen sein mögen.

Ballard resümiert jedoch aus den gewonnen Daten, dass die Selbstversenkung und nicht die Torpedos letztendlich verantwortlich waren. Dass er damit Recht gehabt hat, beweist James Camerons ausführliche Dokumentation, dessen jüngst auf DVD erschienene Tauchfahrt zum Wrack die Thesen Ballards untermauert. Somit ist klar: Ballard mag ein Brusttrommler sein, ein unfähiger Idiot ist er ganz sicher nicht – im Gegenteil: Seine Analysen treffen trotz der spärlichen Informationen ins Schwarze. Obwohl Ballard diesmal nicht – anders als bei der |Titanic| – selbst in einem bemannten Tauchboot dem Wrack einen Besuch abstattet, sind seine Schlussfolgerungen aufgrund der gelieferten Bilder seines Tauchroboters sehr präzise und gelten heute als Lehrmeinung. Vollkommen zu Recht.

_Fazit_

Die Aufarbeitung des Bildbandes kann nicht an allen Stellen überzeugen, für mich ist da ab und zu ein wenig zu viel Brimborium drin, das nur mäßig interessant ist – zumindest für diejenigen, die den Sermon mit dem ballardschen Suchsystem schon kennen. Hier und da blitzt auch ein wenig unnötiger Pathos auf, darüber kann man aber hinwegsehen. Lichtblick ist Co-Autor Rick Archbold, der in späteren Werken gottlob auch mehr Gewicht bekommt. Klasse sind wie immer die Illustrationen Ken Marschalls und die Fotos von Wrack und Trümmerfeld. Leider ist dieser Tage nur noch die inhaltlich identische Taschenbuchausgabe problemlos erhältlich, der großformatige Bildband ist derzeit leider out of print und rarer. Schade, denn grade die Bilder wirken im Taschenbuch nicht annähernd so gut, dafür ist es wesentlich billiger zu haben. Als Nachschlagewerk sehr empfehlenswert, bekommt es aber leichte Abzüge in der B-Note.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

Originaltitel: „The Discovery Of The Bismarck“
Ersterscheinung: 1990 – Madison Publishing Inc. / NY
Deutsche Ersterscheinung: 1990 – Ullstein / Berlin
Übersetzung: Karl-Otto von Czernicki und Ralf Friese
Zugrunde liegende Version: Hardcover / 8. Auflage 1994
Seiten: 236 / durchgängig bebildert + 2 ausklappbare Panoramen
ISBN: 3-550-06443-8 (Hardcover)
ISBN: 3-548-23298-1 (Taschenbuch)

Felten, Monika – Macht des Elfenfeuers, Die

Monika Felten hat wieder abgeräumt: nach dem Deutschen Phantastik-Preis 2002 für [„Elfenfeuer“ 349 nun den Deutschen Phantastik-Preis 2003 für die Fortsetzung. Und diesmal scheint mir die Auszeichnung verdienter, das Sequel ist besser als der erste Band: ein flott geschriebenes Fantasy-Abenteuer, konventionell zwar (doch wie viel Fantasy ist schon unkonventionell?), aber actionreich und bisweilen sogar richtig spannend.

Wir erinnern uns: In „Elfenfeuer“ erzählte die Autorin, wie die Auserwählte Sunnivah den finsteren Herrscher An-Rukhbar, Eroberer von Thale, besiegte und in seine Dimension zurücktrieb. Seitdem herrscht wieder Frieden, schon zweihundert Jahre lang. Kaum jemand erinnert sich noch der damaligen Gefahren. Die Nebelelfe Naemy allerdings, Sunnivahs Gefährtin, hat nichts vergessen, auch nicht, dass der Meistermagier des Finsteren Herrschers, Asco-Bahrran, niemals gefunden wurde und dass in der Zwischenwelt, die die Elfen zwecks schnellerer Fortbewegung durchqueren, damals ein Quarlin lauerte, der fürchterlichste Feind ihres Volkes. Ihre Bedenken finden allerdings wenig Gehör. Selbst die Elfen halten sie für zu misstrauisch. Die Menschen aber genießen ihren Wohlstand und sehen die schwachen Garnisonen an der Grenze zur Finstermark im Norden als ausreichend an. Doch dort leben noch immer die Cha-Gurrline, An-Rukhbars mörderische Krieger. Dunkelheit liegt über diesem Land – nicht einmal die Gütige Göttin vermag sie zu durchdringen.

Das kennen wir doch: Ein Dunkler Herrscher ist aus der Welt verbannt, sein etwas niederer Diener macht sich selbst zum Herrscher (denn Asco-Bahrran ist natürlich nicht tot), es gibt ein dunkles Land und dergleichen mehr. Nur dass diesmal kein Ring in einen feurigen Abgrund geworfen werden muss – Asco-Bahrran will seinen alten Herren aus der anderen Dimension zurück nach Thale holen, und dazu benötigt er Sunnivahs Amulett, das er mit Hilfe des Magiers Skynom auch erhält. Die Tage der Freiheit scheinen gezählt. Nun, jeder ahnt: Am Ende geht doch alles gut aus. Zum Glück vermeidet Monika Felten es, sich selbst zu wiederholen. Zwar taucht eine entfernte Verwandte Sunnivahs auf, Kiany, eine Heilerin mit Sehergabe, doch ist sie eher Objekt in den magischen und nichtmagischen Kämpfen als Heldin – es gibt keinen Aufguss der alten Berufungshandlung. Im Zentrum des Romans stehen diesmal die Nebelelfen (Naemy, ihr Sohn Tabor, die Priesterin Lya-Numi) und die Riesenalpe (Naemy und Tabor ist es gelungen, ein Nest der legendären Vögel zu entdecken und drei großzuziehen).

Wie gesagt, ist das Buch gut lesbar und oft spannend. Das lässt einen seine Mängel zum Teil übersehen. Ich finde die Namen von Personen und Orten oft wenig gelungen¹, überhaupt das ganze Bemühen um „fremde“ Atmosphäre nach wie vor etwas unglücklich („Sonnenlauf“ statt „Tag“, „Länge“ statt „Meter“ usw.). Mich plagt auch die Frage, warum Asco-Bahrran so versessen darauf ist, seinen alten Lord zurückzuholen – im ersten Teil kamen die beiden doch nicht sonderlich gut miteinander aus. Der Magier könnte schließlich selbst über Thale herrschen. Auch gibt zu denken, dass er seinen Trumpf, das heimlich gezüchtete Rudel Quarline, beim Angriff auf die Stadt viel zu früh ausspielt (aber das Böse ist eben böse und nicht logisch, deswegen verliert es auch immer). Doch diese Fragen kann man getrost hintanstellen und sich ein solide geschriebenes, handwerklich gut gemachtes Fantasy-Buch gönnen, das immer noch nicht der große Wurf, aber alles in allem durchaus empfehlenswert ist.

¹ Man spürt hier den Unterschied zum großen Meister: Bei Tolkien begann alles mit den Sprachen und Namen, deswegen sind seine Erfindungen auch sprachlich systematisch und dennoch wohlklingend und treffend; ein Name wie „Elrond“ verrät über seinen Träger allein schon durch den Klang der Vokale sehr viel. Felten hätte wenigstens Anklänge an bekannte Wörter (Thale im Harz, Tabor in Tschechien) vermeiden sollen. Auch ihre Doppelnamen-Manie ist strapaziös.

_Peter Schünemann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|

Carver, Caroline – Dead Heat

Nach einem zehnjährigen und recht wilden Aufenthalt in Australien war Caroline Carver 1991 in ihre Heimat London zurückgekehrt, wo sie sich fortan als Schriftstellerin betätigte. Ihr unkonventionelles Leben in den Outbacks hat ihr seither als Inspiration gedient und wurde dementsprechend auch schon in verschiedenen Romanen thematisiert, unter anderem in „Wettlauf im Outback“, einem preisgekrönten Bestseller aus dem Jahre 2001. Mehr über die Autorin – und da gibt es einiges Ungewöhnliches – erfährt man auf ihrer [Homepage.]http://www.carolinecarver.com

„Dead Heat“ ist nun der neueste Abenteuer-Thriller aus der Feder von Caroline Carver, und wiederum ist es der Autorin gelungen, eine äußerst mitreißende Geschichte aus ihrer Wahlheimat zu verfassen, bei der es um den gnadenlosen Wettlauf um Leben und Tod geht.

Georgia Parish ist eine alleinstehende Frau, die im tropischen Norden Australiens in Nulgarra aufgewachsen und von dort aus nach Sydney übergesiedelt ist. Diesen Umzug hat sie auch nie wirklich bereut, weil sie sich in dem kleinen Kaff nie richtig wohlgefühlt hat. Trotzdem muss sie eines Tages gezwungenermaßen nach Nulgarra zurückkehren, um der Beisetzung ihres Großvaters beizuwohnen. Auf der Rückreise von dort ereignen sich allerlei unvorstellbare Dinge. Ihr Flugzeug stürzt mitten im Dschungel ab, und schon bald stellt Georgia fest, dass es sich hierbei um einen Sabotage-Akt handelte.

Die beiden übrigen Insassen des Flugzeugs, Lee Durham und die junge Chinesin Suzie Wilson, kommen bei dem tragischen Absturz des Sportflugzeugs nicht so glimpflich davon. Durham überlebt mit schweren Verletzungen, während für die Asiatin jegliche Hilfe zu spät kommt. Jedoch kann sie Georgia noch einen Beutel anvertrauen, der für ihren Bruder bestimmt ist, aber auf keinen Fall von einer anderen Person geöffnet werden darf.

Wie sich schnell herausstellt, ist gerade dieser Beutel auch die Ursache für den sabotierten Flug. Auf dem Rückweg zum Ursprungsort wird Georgia nämlich verfolgt und schließlich von einer chinesischen Gangsterbande gefangen genommen und gefoltert. Das Ziel der Bande: der mysteriöse Beutel. Langsam durchschaut Georgia die wirren Ereignisse der letzten Tage und sucht Hilfe auf. Daraufhin verschwindet der seltsame Mister Durham plötzlich. Welche Rolle er spielt, warum die Polizei darauf brennt, mit ihm in Kontakt zu kommen und was sich schließlich in dem begehrten Beutel befindet, soll noch nicht verraten werden, da ansonsten wichtige Eckpunkte der Handlung preisgegeben würden. Ist man aber erst einmal beim spannenden Verfolgungsrennen zwischen Georgia, der chinesischen Bande und dem verschwiegenen Flugzeuginsassen angelangt, wird es den Leser ungebremst danach gelüsten, dem Verlauf der Ereignisse zu folgen und die Hintergründe aufzudecken.

Was damit gesagt werden soll, dürfte klar sein: „Dead Heat“ ist ein unheimlich spannender Thriller mit viel Action, tollen Landschaftsbeschreibungen und erstklassig entwickelten Charakteren. Caroline Carver hat dabei ganz besonders die Rolle des Lee Durham stark gestaltet, der bis zuletzt ein unbeschriebenes Blatt bleibt. Dementgegen ist die eigentliche Protagonistin etwas eigentümlich dargestellt. Einerseits wird sie als schüchterne, trottelige und zurückhaltende Frau präsentiert, kurze Zeit später, als die Action in Fahrt kommt, wird sie plötzlich zur konzentriert handelnden, überlegt agierenden Pseudo-Agentin. Sympathisch ist sie uns dennoch, auch wenn so mancher logischer Schluss hier ad absurdum geführt wird. Schlussendlich interessiert den Leser die Logik im Detail am Ende auch nicht mehr so sehr, denn worum es bei diesem Buch geht, ist die Spannung, und die ist wirklich bis zur allerletzten Seite gegeben.

Krimi- und Thriller-Fans sollten also zweifelsohne auf ihre Kosten gekommen, zumal das Buch stilistisch gut und leicht verständlich geraten ist und zu keiner Phase irgendwelche gekünstelten Längen enthält. Ich persönlich habe mich jedenfalls als Begleiter der vierzehntägigen Abenteuerreise durch die australische Wildnis erstklassig unterhalten gefühlt.

Ann Granger – Messer, Gabel, Schere, Mord [Mitchell & Markby 4]

Der Umbau eines Landhauses zum Nobel-Restaurant sorgt für Aufruhr unter den wenig begeisterten Nachbarn. Am Tage der Neueröffnung wird eine Frau im Weinkeller erstochen. Inspektor Markby steht vor vielen Mordverdächtigen, die mehrheitlich zwar keine Mörder aber keineswegs unschuldig sind … – Zwar bietet Band 4 der „Markby-&-Mitchell“-Serie bietet kaum Krimi-Spannung, will dies mit englischer Landhaus-Romantik nach Genre-Vorschrift wettmachen und trifft routiniert ins Herz eines entsprechend gepolten Publikums: Lesen oder Schlafen – der Unterschied ist marginal.
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Perry, Anne – Verschwörung von Whitechapel, Die

Herbst 1888, London – Whitechapel. Eine Stadt hält den Atem an. In den dunklen Gassen des |East End| werden innerhalb weniger Wochen fünf Frauen ermordet – alle auf brutale Weise verstümmelt. Die Polizei tappt im Dunkeln und streitet sich um Zuständigkeiten. Der Täter bleibt bis heute ein Phantom: Jack the Ripper.

Anne Perrys Roman reiht sich nicht in die lange Riege der Romane ein, die den Fall Jack the Ripper neu aufrollen und eine neue Tätertheorie bereit halten. Die Handlung ihres Romans „Die Verschwörung von Whitechapel“ setzt erst vier Jahre nach den grauenvollen Ereignissen im East End ein – und hat dennoch im Kern sehr viel mit Jack the Ripper zu tun.

Oberinspektor Pitt steht im Frühjahr 1892 als Zeuge im Fall Adinett vor Gericht. Bei näherer Betrachtung ein etwas sonderbarer Fall – ein Indizienprozess. John Adinett ist angeklagt, den angesehenen Hobby-Historiker Martin Fetters ermordet zu haben. Handfeste Beweise und ein Motiv gibt es nicht, aber die sehr stichhaltige und lückenlose Indizienkette, die Pitt vor Gericht darlegt, lässt keinen Zweifeln daran aufkommen, dass der nicht minder angesehene Ehrenmann Adinett des Mordes schuldig ist. Adinett wird folglich verurteilt und, nachdem auch das Berufungsverfahren scheitert, hingerichtet.

Für Oberinspektor Pitt fängt die Geschichte damit aber erst an. Es gibt offenbar einflussreiche, im Verborgenen agierende Persönlichkeiten, die diesen Prozessausgang gar nicht schätzen und auf Rache sinnen. Keine blutige Rache wohlgemerkt, aber Pitt bekommt die Folgen dennoch schmerzlich zu spüren. Er wird strafversetzt – nach Whitechapel, mitten in den brodelnden Krisenherd Londons. Anarchisten scheinen dort finstere Umsturzpläne zu schmieden, Gewalt und Elend stehen auf der Tagesordnung. Pitt soll dort undercover ermitteln, ist aber letztendlich eigentlich überflüssig, ganz offensichtlich elegant beiseite geschafft, und fristet ein einsames trostloses Dasein fernab seiner geliebten Familie.

Charlotte, Pitts Frau, kann und will sich mit dieser Ungerechtigkeit nicht so leicht abfinden. Da der Schlüssel zu Pitts Strafversetzung im Fall Adinett zu liegen scheint, macht sie sich auf die Suche nach den Gründen. Zusammen mit Fetters Witwe Juno versucht sie, Adinetts Tatmotiv zu ergründen. Auch Gracie, das resolute Hausmädchen der Pitts, bleibt nicht untätig und schaltet den befreundeten Wachtmeister Tellman ein, der zusammen mit Gracie Adinetts Aktivitäten kurz vor der Tat rekonstruiert. Ihre Wege kreuzen sich schon bald mit dem des Journalisten Remus, der offenbar in gleicher Sache ermittelt. Die Spur führt nach Whitechapel und was als Suche nach einem Mordmotiv Adinetts anfängt, gipfelt schon bald im Entblättern einer groß angelegten Verschwörung, die offenbar mit Jack the Ripper zu tun hat – mit kaum abschätzbaren Folgen …

Es gibt unzählige Theorien zum Thema Jack the Ripper, von denen die einen mehr, die anderen weniger plausibel erscheinen. 1976 erregte die Ripper-Theorie von Stephen Knight in England einiges Aufsehen. Er stellte die Taten als eine groß angelegte Verschwörung dar, deren Spur bis ins britische Königshaus reicht. Was auf den ersten Blick geradezu fantastisch erscheint, hat Knight so plausibel dargelegt und begründet, dass seine gut recherchierte Theorie immer noch als eine der stichhaltigsten gelten kann.

Unseriös wurde sie erst, als im Nachhinein plötzlich eine Hauptquelle von Knight ihre Aussagen dementierte (das Dementi wurde später übrigens noch einmal dementiert) und der Autor des Vorwortes einen wundersamen Gesinnungswandel durchmachte. Seine Worte, mit denen er Knights Arbeit zunächst vollmundig lobte, will er im Nachhinein auf einmal gar nicht mehr so gemeint haben. Die Sache stinkt zum Himmel und man bekommt das Gefühl, dass auch über hundert Jahre nach der Tat gewisse Kreise nicht an einer Aufklärung interessiert sind – was letztendlich wieder als Indiz für eine Bestätigung von Knights „königlicher“ Ripper-Theorie angesehen werden kann.

Doch was hat Anne Perrys Roman „Die Verschwörung von Whitechapel“ mit all dem zu tun? Eine ganze Menge. Perry stützt sich nämlich auf die von Knight aufgestellte Theorie. Auch bei ihr gibt es rund um Jack the Ripper eine weitläufige Verschwörung, mit den gleichen Drahtziehern. Diese Verschwörung entblättert sie in ihrem Roman schon fast beiläufig und längst nicht so detailliert und stichhaltig wie Knight. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der rein hypothetischen Frage danach, was wohl hätte passieren können, wenn Knights Theorie (angenommen natürlich, dass sie stimmt) schon damals in den gesellschaftlich und politisch unsicheren Jahren nach den Rippermorden bekannt geworden wäre. Eine Frage, die der Theorie eine weitere interessante Komponente hinzufügt und aus der Anne Perry einen durchweg spannenden Roman geschustert hat.

Der Zusammenhang zu den Ripper-Morden erschließt sich dem Leser, der nicht mit Knights Theorie vertraut ist, erst im späteren Verlauf des Romans. Am Beginn steht einfach nur die Suche nach dem Motiv, das Adinett dazu gebracht hat, Martin Fetters zu töten. Dass dabei vier Frauen die treibende Kraft hinter den Ermittlungen sind, mag in Anbetracht des viktorianischen Zeitalters zunächst etwas unglaubwürdig erscheinen, wird von Perry aber überzeugend gelöst. Alle beteiligten Frauen sind zwar durchaus selbstbewusst, aber bewegen sich dennoch im Rahmen dessen, was für Frauen ihrer Zeit realistisch erscheint. Sie suchen sich Unterstützung, beispielsweise durch den Gracie treu ergebenen Wachtmeister Tellman, und jeder nutzt zur Aufdeckung der Wahrheit die Mittel, die ihm standesgemäß zur Verfügung stehen.

Die Figuren bleiben dabei durchaus realistisch und Perry schafft es, jede einzelne von ihnen nachvollziehbar und mit einer gewissen Tiefe zu beleuchten. Ihre Verhaltensweisen bleiben durchweg glaubwürdig. Sie tun sich nicht als übermäßige Helden hervor und schaffen es dennoch, eine große Verschwörung aufzudecken, die so komplex ist, dass selbst der Leser sich schon konzentrieren muss, um im komplizierten Verschwörungsgewirr, das sich zum Ende hin auftut, nicht verloren zu gehen.

Das komplexe Gebilde der Zusammenhänge stellt auch im Grunde die einzige wirkliche Schwäche dar. Der Aufbau des Romans gelingt Anne Perry durchweg gut. Die Geschichte ist solide konstruiert und steigert in ihrem Verlauf beständig die Spannung. Zum Ende hin allerdings erscheint es so, als hätte sich dieses Konstrukt als fast schon zu komplex für den Romanumfang entpuppt. Die Auflösung erfolgt sehr schnell, nicht alles wird dabei vernünftig erklärt und nicht alle offenen Fragen werden beantwortet. Der Leser bleibt etwas unzufrieden zurück. Wie ich erst nach Beendigung des Buches festgestellt habe, wird die Geschichte im Nachfolgeroman weiterverfolgt („Feinde der Krone“; |Heyne| 2004, Taschenbuchausgabe August 2005). Insofern verwundert es nicht, dass das Ende in der Schwebe bleibt, dennoch wäre ein etwas vollständigerer Abschluss wünschenswert gewesen.

Insgesamt gibt es aus der Feder von Anne Perry mittlerweile 23 Romane um die Figur des Thomas Pitt und seine oftmals mitermittelnde Frau Charlotte. „Die Verschwörung von Whitechapel“ ist der 21. in dieser Reihe. Da er bislang auch der einzige ist, den ich gelesen habe, kann ich das Werk leider nicht in den Gesamtzusammenhang einordnen und vergleichend kritisieren. Offenbar bauen sie aber auch inhaltlich zum Teil aufeinander auf.

Schon allein sprachlich macht „Die Verschwörung von Whitechapel“ einen durchweg soliden und routinierten Eindruck. Perry weiß zu fesseln – und das bei einem Handlungsbogen, der fast ohne Action auskommt. Die Beschattungen des Journalisten Remus werden ebenso packend geschildert wie Pitts Leben im East End oder die Suche von Juno und Charlotte nach Hinweisen in der Bibliothek von Martin Fetters. Auch gesellschaftlich deckt der Roman ein sehr weit gefasstes Spektrum ab, denn im Verlauf des Buches startet auch Pitts angeheiratete Tante Vespasia einige Ermittlungen in der feinen Gesellschaft Londons.

Als eine der großen Stärken des Romans kann man die Beschreibungen festhalten. Perry schafft es nicht nur, ihre Figuren sehr lebendig zu zeichnen, sie skizziert auch einen teils recht tief schürfenden Einblick in das Leben im viktorianischen London. Die gesellschaftlichen Gegensätze zwischen den Soireen der feinen Gesellschaft und der Schufterei der Arbeiterschicht in den Zuckersiedereien in Spitalfields, die aufkeimende Unruhe im East End, die ärmlichen, erniedrigenden Zustände, unter denen die Bevölkerung dort zu leiden hat, das beschauliche Leben der Pitts in Bloomsbury – all das schildert Perry sehr eindringlich. Das London der Zeit wird vor dem Auge des Leser wieder belebt.

Alles in allem ist „Die Verschwörung von Whitechapel“ ein durchaus gelungener historischer Krimi mit einer komplexen, aber gut konstruierten Story, einem spannenden Handlungsverlauf, lebhaften Schilderungen des viktorianischen London, mitsamt der politischen und gesellschaftlichen Unruhe, die in der Luft liegt und Figuren, die größtenteils glaubwürdig erscheinen. Nur schade, dass das Ende ein wenig plötzlich und etwas schwammig daherkommt. So kommt man wohl nicht umhin, auch den nachfolgenden Roman noch zu lesen.

p.s.: Da Anne Perry auf die Tätertheorie zu Jack the Ripper nicht ganz so ausführlich eingeht, bietet es sich für den interessierten Leser an, einmal die Theorie bei Knight selbst nachzulesen. Es lohnt sich wirklich, man sollte aber des Englischen mächtig sein, weil es keine deutsche Ausgabe gibt: Stephen Knight: [„Jack the Ripper – The Final Solution“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/0586046526/powermetalde-21 Harper Collins, ISBN 0586046526.

Wer aufgeschlossen für Comics ist, findet diese Theorie auch noch einmal auf Deutsch als hervorragende und absolut empfehlenswerte s/w-Comic-Adaption, mit sehr ausführlichen Anhängen aufbereitet: Alan Moore, Eddie Campbell: [„From Hell“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3936068291/powermetalde-21 Speed Comics, ISBN 3936068291. Nach diesem Werk entstand auch die Verfilmung von Albert & Allen Hughes mit Johnny Depp und Heather Graham.

Peter Robinson – Das verschwundene Lächeln [Alan Banks 6]

In einer englischen Kleinstadt wird ein Kind entführt. Die ohnehin wenig hoffnungsfrohe Polizei ist erst recht alarmiert, als sich als potenzielle Täter ein gruseliges Pärchen herausschält, das aus Freude mordet, dies bereits getan hat und sicherlich fortsetzen wird, wenn man sie nicht möglichst zeitnahe aus dem Verkehr zieht … – Moderner, sehr mainstreamiger Kriminalroman, was bedeutet, dass Gesellschaftskritik, Gefühlsaufruhr und Privatprobleme der Beteiligten den Fall oft die Handlung dominieren: Gerade deshalb ist die Alan-Banks-Reihe, deren 6. Band dies ist, bei einem entsprechend geeichten Publikum ungemein beliebt. Peter Robinson – Das verschwundene Lächeln [Alan Banks 6] weiterlesen

Harris, Robert – Pompeji

Der junge Wasserbaumeister Marcus Attilius Primus wird nach Misenum am Fuß des Berges Vesuv beordert, um neuer Aquarius des römischen Aquädukts Aqua Augusta zu werden, nachdem sein Vorgänger Exomnius spurlos verschwunden ist. Die Aqua Augusta versorgt eine Reihe Städte rund um den Vesuv herum mit dem Zeichen der Zivilisation, dem Wasser. Bald nach Attilius‘ Ankunft sterben kostbare Fische im Becken des reichen Ampliatus, das Wasser ist mit Schwefel vergiftet; der Fluss der Augusta versiegt, die Wasservorräte reichen nur noch für zwei Tage. Attilius berechnet den Abschnitt des Aquädukts, in dem der Defekt zu finden sein muss, und lässt sich mit einer Sklavenmannschaft nach Pompeji verschiffen, um von dort aus die Reparatur zu starten.

In Pompeji herrschen merkwürdige Zustände: Der ehemalige Sklave Ampliatus verschaffte sich in der Zeit nach dem großen Erdbeben einen neuen Status, entwickelte einen ausgeprägten Geschäftssinn und fesselte die mächtigen Familien der Stadt an sich. So ist er der eigentliche Herrscher und bewirkt gegen den Willen der Offiziellen, dass Attilius geholfen wird (damit hofft er auch, den neuen Aquarius in seine Schuld zu ziehen).

Attilius gelingt es, den Aquädukt provisorisch zu reparieren, aber zunehmende kleine Erdbeben steigern auch seine Unruhe. Aus verräterischen Schriftstücken, die ihm von Ampliatus‘ Tochter zugespielt werden, kommt er einem großen Betrug auf die Spur, die in Zusammenhang mit Exomnius‘ Verschwinden zu stehen scheinen. Exomnius stammte von Sizilien, kannte den Ätna und seine Vorboten, und bei der Lektüre dieser Schriftstücke erkennt Attilius, was außer Exomnius niemand erkannt hatte. Es gab Verbindungen zwischen Ätna und Vesuv! Attilius erklimmt den Berg und findet Exomnius‘ Leiche, gestorben in giftigen Dämpfen. Die Beben werden stärker, Attilius flieht vom Vesuv, dessen Gefährlichkeit lange verkannt wurde.

_Robert Harris_, geboren 1957 in England, arbeitete als Redakteur, Reporter und Kolumnist; für Letzteres erhielt er eine Auszeichnung. Vor „Pompeji“ schrieb er die Bestseller „Vaterland“, „Enigma“ und „Aurora“.

|Pompeji| ist ein wohl recherchierter historischer Roman, der die ganze Tragik des Vesuvausbruchs, der schließlich zur Einäscherung Pompejis führte, darstellt. Mit Attilius bedient Harris sich eines Protagonisten, der nach dem Ausbruch nicht mehr gesehen wurde. Geschickt verbindet Harris Erzählungen und Fakten, um die persönliche Geschichte des Aquarius zu erzählen und ein mögliches Happy-End für ihn aufzuzeigen.

Den Kapiteln vorangestellt sind jeweils kurze Abschnitte aus Schriften zum Vulkanismus, so dass der Leser eine ungefähre Vorstellung von den Vorgängen bei einem Ausbruch bekommt; außerdem wirken sie wie ein Countdown, je näher der Ausbruch rückt. Alle gesponnenen Fäden werden verknüpft und liefern ein stimmiges Gesamtbild, so dass kein Detail zu erkennen ist, das für die Erzählung unnötig erschiene. Stundenweise schreitet die Zeit voran, manchmal muss man sich ins Gedächtnis rufen, dass Harris diese Ereignisse an drei Tagen statt finden lässt, denn viel passiert in dieser Zeit. Attilius scheint fast ohne Schlaf auszukommen, aber tatsächlich lässt Harris das nicht unberücksichtigt.

Eine weitere sympathische Figur ist der militärische Befehlshaber Plinius, auf den gleichzeitig viele wichtige Schriften aus dieser Zeit zurückgehen, zum Beispiel die |Historia Naturalis|, aus der Harris auch mehrfach zitiert. Plinius sieht in dem Vulkanausbruch das letzte Geheimnis der Natur, das schriftlich festzuhalten ihm in seinem Leben vergönnt ist. So begibt er sich mit wissenschaftlichem Eifer in höchste Gefahr und liefert eine derart genaue Beschreibung des Hergangs, dass noch heute in der Wissenschaft der Ausdruck „plinianisch“ für einen derartigen Vulkanausbruch steht.

Warum allerdings Oberaufseher Corax einen tödlichen Hass auf Attilius hat, wird nicht ganz deutlich. Erwähnt wird, dass er auf das Amt des Aquarius gehofft hatte, doch diese Erklärung ist etwas unbefriedigend. Wahrscheinlich ist es menschliche Abneigung, die sich über diesen Punkt in Hass entwickelt.

Insgesamt kann gesagt werden, dass „Pompeji“ zu Recht ein Bestseller ist, denn er liest sich flüssig und spannend und bietet hervorragende Unterhaltung bei gleichzeitiger Vermittlung interessanter Fakten zu einer historischen Begebenheit.

Dooling, Richard – Tagebuch der Eleanor Druse, Das

Eleanor Druse, eine 75-jährige Parapsychologin mit heftigen New-Age-Wallungen, betreut ehrenamtlich sterbende und einsame Patienten im altehrwürdigen Kingdom Hospital in Lewiston, US-Staat Maine. Dorthin wird sie auch von ihrem Sohn Bobby gerufen, der im Krankenhaus als Krankenpfleger arbeitet, als Madeline Kruger nach einem Selbstmordversuch eingeliefert wird. Eleanor, die ihre Freundin aus Kindertagen seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat, eilt zu ihr – und findet sie tot vor: Madeline hat offenbar mit einem eingeschmuggelten Eispickel vollendet, was ihr daheim misslungen war.

Doch warum kriechen Heerscharen von Ameisen aus ihren Wunden? Eleanor wird durch den Schrecken ohnmächtig und schlägt mit dem Schädel auf dem Boden auf. Ein langer Krankenhausaufenthalt schließt sich an, denn Eleanor hört seither Stimmen und hat Visionen: Ein kleines Mädchen geistert weinend durch das Kingdom Hospital, ein gruselig anzuschauender Arzt tut es ihm gleich. Das alte Haus wird von Erdbeben erschüttert. Im Keller fallen Ratten über die Leichen her.

Eleanor beschließt, das Rätsel zu lösen. Sie beschafft sich Informationen über das Kingdom Hospital und kommt einem alten Skandal auf die Spur: Dr. Ebenezer Gottreich, ein fanatischer Anhänger der Gehirnchirurgie, hat hier in den 1930er Jahren verbotene Menschenversuche durchgeführt – und sie sowie Madeline Kruger gehören zu seinen Opfern! Das hatte sie bisher verdrängt, nun kehren die Erinnerungen mit den Visionen zurück. Leider scheint dies auch auf Dr. Gottreich zuzutreffen, dessen mörderischer Geist durch das Krankenhaus irrt und weitere Gräueltaten verübt. Eleanor selbst wird von den Ärzten des Kingdom Hospitals als psychisch derangierte Querulantin abgestempelt und – da ansonsten völlig gesund – vor die Tür gesetzt. Doch Eleanor lässt sich so einfach nicht ausschalten. Sie will dem kleinen Mädchen helfen und verschafft sich heimlich Einlass in das Krankenhaus. Die Ärzteschaft hart auf den Fersen, findet sie das Mädchen – und die böse Macht, die es jagt und das Kingdom Hospital terrorisiert …

Bücher zu Filmen sind seit jeher mit einiger Vorsicht zu betrachten. Sie bilden eine Art Zusatzgeschäft und stehen ungefähr auf dem Niveau von Kunststoffpüppchen der Darsteller, Tradingcards oder ähnlichem überflüssigen Schnickschnack, mit dem den Fans noch ein bisschen Geld mehr aus der Tasche gelockt werden soll. Mit entsprechender „Sorgfalt“ und Werktreue sind sie denn auch geschrieben – für den schnellen Verbrauch bestimmt, flach, langweilig. Weil dies offenbar ein Gesetz ist, heuert man für diesen Job bevorzugt zweit- und drittklassige Schreiberlinge oder richtige Autoren in akuten Geldnöten an.

„Das Tagebuch der Eleanore Druse“ entspricht vollständig dieser ungünstigen Definition. Dies überrascht nicht, stellt doch schon die US-amerikanische TV-Show das Surrogat einer skandinavischen Fernsehserie dar, deren Originalität in keiner Sekunde auch nur annähernd erreicht wurde. „Riget“ (dt. „Geister“) wurde 1994 vom dänischen Regisseur Lars von Trier (mit Niels Vørsel) erfunden, (mit Morton Arnfred) in Szene ge- und 1997 fortgesetzt: Ein modernes Krankenhaus wird mit parapsychologischen bzw. mythischen Phänomenen aus der Vergangenheit konfrontiert. Die filmische Umsetzung geschah durch Meisterhand, die Rollen waren brillant besetzt, die Darsteller lieferten Höchstleistungen. „Geister“ war spannend, gruselig, witzig – eine Sternstunde nicht nur der skandinavischen Fernsehgeschichte.

Was auch in den USA nicht verborgen blieb. Zwar lockte „The Kingdom Hospital“, wie die Serie nun heiß, auch hier die Zuschauer, aber für die durchschnittliche Couchkartoffel war sie doch zu komplex, zu frivol und vor allem zu europäisch. Wie schon so oft wurde deshalb eine „amerikanisierte“ Kopie in Auftrag gegeben. Für das Drehbuch konnte man einen Vollprofi gewinnen: Stephen King ist nicht nur ein berühmter Schriftsteller, sondern auch ein versierter Drehbuchautor. Weil er nicht die gesamte, auf 13 Teile projektierte Serie „Kingdom Hospital“ stemmen konnte, gesellte sich ihm Richard Dooling hinzu. Auf dem Regiestuhl nahm 2004 der auf King-Fernseh-Miniserien spezialisierte Craig R. Baxley („Storm of the Century“, „Rose Red“, „The Diary of Ellen Rimbauer“) Platz. Es entstand das übliche King-TV-Spektakel: aufwändig und routiniert in Szene gesetzt und erfolgreich, aber auch hausbacken, viel zu lang und enttäuschend eindimensional: „Riget“ für Anspruchslose.

„Das Tagebuch der Eleanor Druse“ überträgt dies kongenial, aber leider wohl unfreiwillig in Worte. Weder im Klappentext oder im „Vorwort“ der „Verfasserin“ findet Erwähnung, dass dieses Buch nur den Auftakt einer Serie von „Kingdom“-Romanen darstellt. So erklärt sich das abrupte „Cliffhanger“-Finale, als noch gar nichts aufgeklärt ist. Der Leser schaut in die Röhre und ärgert sich, bis hierher durchgehalten zu haben, nachdem er – oder sie – so unverschämt vernachlässigt wurden.

Was ist von einem Roman zu halten, dessen erste Hälfte gar nicht im Titel gebenden Kingdom Hospital, sondern in einem anderen Krankenhaus in Boston spielt? Nachträglich begreifen wir dies als Einleitung zu einer sehr weit gespannten Geschichte, um die wir indes in diesem Buch geprellt werden. Im Vergleich zum verwünschten „Reichskrankenhaus“ der Originalserie ist das Kingdom Hospital zudem ein langweiliger Ort, an dem ziemlich kindische Geister umhertölpeln. Von Gruselatmosphäre keine Spur, der Stätte entsprechend steril und vordergründig schleppt sich das Geschehen dahin. Der abschweifig-geschwätzige Tonfall des Verfassers, der ebenso mühsam wie zwecklos versucht, Stephen Kings Geschick sowohl in der Darstellung US-amerikanischen Alltags als auch in seinen Schilderungen jenseitiger Heimsuchungen zu imitieren, trägt zum Misslingen des Werkes bei.

Den Gnadenstoß versetzt die Figurenzeichnung. Selten hat man sich über unsympathische Hauptpersonen so offen ärgern müssen. Die Idee an sich, weg von den üblichen TV-Klischeegestalten zu gehen, ist prinzipiell zu begrüßen. „Riget“ zeigt, wie erfrischend dies sein kann. „Kingdom Hospital“ wird indes von Karikaturen bevölkert, die umzubringen Pflicht jedes anständigen Gespenstes sein sollte. Das trifft ausgerechnet auf die Hauptfigur in ganz besonderem Maße zu.

Eleanor Druse war offenkundig geplant als „unwürdige Greisin“, die unkonventionell im Denken und Handeln trotz Alter und Eigensinn dem Grauen die Stirn bieten kann. Tatsächlich ist Eleanor eine Heimsuchung als unsensible, besserwisserische, eingebildete, frömmelnde New-Age-Hexe, deren sinnfreies Geplapper beim Lesen zur Weißglut reizt und das Überspringen ganzer Passagen erforderlich macht. Sohn Bobby, von der übermächtigen Mutter gegängelt und unterdrückt und auch sonst keine Leuchte, dient der Story als Wasserträger, der im rechten Augenblick verstaubte Akten heranschleppt oder seine penetrante Erzeugerin in unzugängliche Krankenhaussektionen einschmuggelt.

Die Ärzteschaft des Kingdom Hospital: eine Horde völlig überzeichneter, arroganter, unfähiger, korrupter, übergeschnappter Nullgestalten, die anscheinend nur von Eleanor Druse durchschaut werden und mit Patienten, Behörden und sonstigen Ordnungsmächten ihr lachhaftes Spiel treiben können. Es fehlt völlig die Mischung aus überzeugender Bosheit und Irrwitz, welche die „Riget“-Mediziner auszeichnete.

„Das Böse“ des Kingdom Hospital kommt sogar noch dümmlicher daher. Dr. Gottreich ist ein „mad scientist“, wie ihn heute höchstens noch Vormittagssendungen für Kinder präsentieren. Die kleine Mary, Gespenst Nr. 2, gehört zu den „Guten“, aber sie spukt ausgesprochen sinnfrei durch die Gänge, heult dabei zum Steinerweichen, und das wohl bereits seit anderthalb Jahrhunderten. Genaues erfährt man (noch) nicht; entsprechende Enthüllungen bleiben der Fortsetzung des „Tagebuches“ vorbehalten, auf die man problemlos verzichten kann.

Geschickt drückt sich der |Heyne|-Verlag um die Beantwortung der Frage, wer „Das Tagebuch der Eleanor Druse“ eigentlich geschrieben hat. Angeblich Eleanor selbst, aber sogar der dümmste Leser wird ahnen, dass es sich hier um eine fiktive Gestalt handelt. Also entspringt das „Tagebuch“ womöglich dem Hirn des großen Stephen King, unter dessen Namen die gleichnamige TV-Serie vermarktet wird? Man findet seinen Namen nicht dort, wo Verfassernamen zu stehen pflegen, sondern auf einem Button, der dem Cover aufgeprägt wurde („Das Buch zur TV-Serie von Stephen King“). Ansonsten lässt man eine Lücke dort, wo ansonsten nicht gerade verkaufsförderlich „Richard Dooling“ stehen müsste.

Dooling, geboren 1954 in Omaha, Nebraska, hat sich hier quasi als Ghostwriter für ein reines Kommerzprodukt verpflichten lassen. Er ist eigentlich Anwalt und hat diesen Job nicht aufgegeben, denn mit seinen eigenen Werken kann der Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist seine Kritiker sowie Leser zwar begeistern, erreicht aber ganz sicher kein Millionenpublikum. Werke wie „Critical Care“, „White Man’s Grave“ und „Brain Storm“ sind auch in Deutschland (als „Bett Fünf“, „Das Grab des weißen Mannes“ und „Watsons Brainstorm“) erschienen. „Critical Care“ nutzt übrigens wie „The Journals of Eleanor Druse“ die Erinnerungen des ehemaligen Beatmungstechnikers Dooling, der einige Jahre in einem Krankenhaus arbeitete und hinter die Kulissen blicken konnte.

Mehr über Autor und Werk verrät die Website http://members.cox.net/dooling.

Marianne de Pierres – Nylon Angel

Das geschieht:

„Bodyguard der Stars“ antwortet Parrish Plessis, wenn man sie nach ihrem Job fragt. Die Realität ist weitaus unerfreulicher: Ihrer Chefin Doll Feast ist Parrish auch Bettgefährtin, dem bösartigen Bandenchef Jamon Mondo muss sie als Sexsklavin dienen. Trotzdem lässt die junge Frau sich nicht unterkriegen, was nur gut ist in dieser Welt einer (undatiert bleibenden) Zukunft. Viracity an der Ostküste Australiens ist eine Megalopolis der Reichen & Schönen; Kranke, Arme, Kriminelle und anderes der Oberschicht unliebsames Pack wurde in den „Tertiären Sektor“ abgeschoben, einen gigantischen Vorstadtslum, erbaut auf radioaktiv und chemisch verseuchtem Untergrund.

Im Tert herrschen die Gangs und ansonsten die Regeln des Stärkeren. Legt man Wert auf eine erhöhte Lebenserwartung, sucht man den Schutz einer Bande. Parrish Plessis würde sich gern der Cabal Coomera anschließen. Leider nehmen diese keine Frauen auf, es sei denn, sie können ihren Wert durch eine besondere Tat unter Beweis stellen. Das ist Parrish bisher nicht gelungen. Um endlich von Mondo loszukommen, geht sie deshalb gleich mehrere Risiken ein. Sie verdingt sich als Hackerin für Io Lang, den mysteriösen Herrn des „Dis“. Parrish bemüht sich zusätzlich um Aufklärung des Attentats auf die berühmte Enthüllungsreporterin Razz Retribution. Sie kann einen Zeugen der Bluttat ausfindig machen.

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Stewart, Sean – Schwarze Dolch, Der

„Der Schwarze Dolch“ ist nicht nur der zweite Roman Sean Stewarts, der bei |Piper| erscheint, sondern auch eine Neuauflage des beim |Argument|-Verlag erschienenen gleichnamigen Romans. Anders als in seinem ersten Buch „Hexensturm“ entführt uns Sean Stewart nicht in den amerikanischen Süden , sondern in ein phantastisches Land ohne irdische Wurzeln, auch wenn Kultur und Beschreibungen das hochmittelalterliche England eines Robin Hood oder Richard Löwenherz wieder aufleben lassen.

Schützer Mark ist ein junger Bauernbursche, der von großen Heldentaten, Ruhm und einem Titel träumt. Er, der Vaterlose, möchte nicht als Bauer, Handwerker oder Knecht in seinem Heimatdorf bleiben. Aber erst nach dem Tod seiner Mutter scheint die richtige Zeit für den Aufbruch gekommen zu sein. Mark zieht mit einem Schwert und wenigen anderen Habseligkeiten aus in den nahen Gespensterwald, in den schon viele tapfere Männer gegangen, aber nicht wieder zurückgekommen sind. Er will wie die Helden der alten Legenden sein Leben einsetzen, um den Fluch der Roten Festung zu lösen.
Tatsächlich gelingt es ihm mehr durch Glück als Verstand, das viele Jahrhunderte alte Geheimnis aufzulösen und den Fluch zu brechen.
Mit Beweisen für diese Tat kommt er zum Schloss des Königs, um seinen Lohn zu empfangen. Nachdem dieser ihn angehört hat, ist er bereit, die Wünsche des jungen Helden zu erfüllen. Er gibt ihm Ländereien, Titel und die Hand seiner jüngsten Tochter.
Doch da fangen erst Marks wirkliche Abenteuer an.
Er muss erkennen, dass der Adel sich ganz anders benimmt, als er bisher geglaubt hat, und es gar nicht so einfach ist, mit den ungeschriebenen Regeln des Hofes zurechtzukommen, und sich nicht in einem tödliches Netz von Intrigen zu verstricken. Nur wenige meinen es so ehrlich mit ihm wie der junge Adlige Valerian, der ihm die wichtigsten Regeln des Lebens am Hofe beibringt und schließlich sein bester Freund wird.
Auch die auserwählte Braut scheint eine gute Wahl zu sein, denn Prinzessin Gail kann mit den Hofintrigen auch nicht viel anfangen und eckt durch ihren offenen, direkten Charakter oft an. Dennoch legt sie Mark einige Hürden in den Weg, denn sie hat ihre eigenen Pläne und Ziele.
Und auch Marks Tat scheint nicht ohne Folgen geblieben zu sein. Zwar hat er den Fluch der Festung gebrochen, aber damit auch alte Geister freigesetzt, die nun mordend durch das Land ziehen. Der junge Held ahnt nicht, dass, um sie zu besiegen, er sich in erster Linie seinen eigenen Schatten stellen muss.

Wie schon in „Hexensturm“ stehen auch in „Der Schwarze Dolch“ nicht die Handlung sondern die Charaktere im Vordergrund. Sean Stewart benutzt die klassische Geschichte eines jungen Helden, der einen Fluch bricht und damit Titel, Land und eine Prinzessin zur Frau gewinnt, nur als Hintergrund für die Entwicklung seiner Personen. Mark ist nicht der typische und naive Jüngling, sondern ein bereits von eigenen Sorgen gezeichneter junger Mann, der sehr schnell merkt, dass Ruhm und Ehre nicht unbedingt glücklich machen und vor allem ganz neue Probleme aufwerfen, vor denen er am liebsten davonlaufen möchte. Letztendlich lernt er aber nach und nach eine Sorge nach der anderen zu lösen und wächst in seine neue Stellung hinein.
Spannung und Action bezieht der Roman überwiegend aus seiner persönlichen Weiterentwicklung und durch die Beziehungen zu den anderen Menschen, nicht zuletzt aber auch durch das dezent dargestellte magisch-mythische Geheimnis, das sich dem Helden und dem Leser erst nach und nach enthüllt. Der Roman mag einiges an Geduld fordern, weil er nicht immer leicht zu lesen ist, aber Sean Stewart beweist, dass man auch mit Archetypen und klassischen Motiven spielen kann, ohne die breit ausgetretenen Pfade üblicher High-Fantasy-Werke zu beschreiten, die sich an alten Sagen oder Klassikern des Genres orientieren. Sean Stewart beweist, dass es auch Fantasy gibt, die spannend und überraschend ist, obwohl sie ohne wilde Schlachten oder aufgeblasene Mystik mit bizarren Wesen vor exotischer Kulisse auskommt.

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Andreas Eschbach – Die blauen Türme (Das Marsprojekt 2)

Mit dem superneuen Raumschiff, der BUZZ ALDRIN, kommt Urs Pigrato, der Sohn des unbeliebten Statthalters der Marskolonie, zum Mars. Und ihm zeigt natürlich keiner, wie man die Verschlüsse eines Raumanzugs richtig bedient. Das ist im Weltraum immerhin eine Selbstverständlichkeit, die man im Schlaf beherrschen muss.

Urs erwartet, von den Marskindern gut aufgenommen zu werden, aber Carl hat einen Plan ausgeheckt, wie man den Fremden wieder loswird: Einfach ignorieren! So entsteht zwischen den vier Einheimischen und Urs eine unterkühlte Atmosphäre.

Den Kindern ist momentan der Aufenthalt bei den blauen Türmen verboten, denn viele Wissenschaftler sind nun dort stationiert und versuchen, sie zu erforschen. So müssen sich die Kinder im Alltag der Station langweilen. Dort passiert auch umgehend ein Zwischenfall: Der Reaktortechniker, der an Diabetes leidet, fällt auf einem Ausflug mit dem Rover ins Koma (wegen Unterzucker). Gleichzeitig wird von einem Saboteur die Kom-Anlage zerstört, so dass niemand in der Siedlung um Hilfe gerufen werden kann. Nur Urs, der bei dem Techniker ist, findet eine uralte Notrufeinrichtung, die noch funktioniert, und kann so das Schlimmste verhindern. Jetzt kommen sich die Jugendlichen doch näher, und ihre gemeinsame Frage lautet: Wer sabotiert auf dem Mars und nimmt dabei sogar Tote in Kauf? Keiner der Einheimischen, so viel ist sicher …

Andreas Eschbach lebt mittlerweile in der Bretagne in Frankreich (im Urlaub, wie er es nennt) und schreibt dort an verschiedenen Projekten. Noch 2005 soll ein weiterer Roman zur Perry Rhodan-Serie erscheinen, außerdem ist ein Roman in Arbeit, der mal wieder ganz anders als alle anderen werden soll. Da kann man ja mal gespannt sein. „Das Marsprojekt – Die blauen Türme“ ist der zweite Band seiner Jugendbuchreihe bei Arena.

Im vorliegenden Roman entwickelt Eschbach eine Kriminalgeschichte und versteht es entsprechend, selbst erwachsene Leser aufs Glatteis zu führen – auch wenn man im Nachhinein über seine eigene Leichtgläubigkeit lächeln kann. Eschbach entwirft zwei neue Charaktere, den neuen Sicherheitschef der Kolonie und einen dubiosen Journalisten. Einer von beiden scheint der Saboteur zu sein, man meint sogar, Eschbachs Verschleierungstaktik durchschaut zu haben, doch am Ende wird man überrascht. Toll gemacht und wieder sehr spannend zu lesen.

Im ersten Band spielte die Künstliche Intelligenz AI-20 noch eine zentrale Rolle. Das nimmt Eschbach jetzt etwas zurück und stellt die Charaktere in den Vordergrund, vor allem den „Neuen“ Urs Pigrato und seinen Vater Tom Pigrato, der auf einmal gar nicht so mies zu sein scheint, denn durch die Ansicht über den Sohn erhält er neue Facetten.

Bei den Marskindern bleibt die Entwicklung auch nicht stehen. Ariana, die offensichtlich voll in der Pubertät steckt, sehnt sich nach anderen Gleichaltrigen und plant deshalb die Rückkehr zur Erde. Bei näherem Nachdenken stellt sie aber fest, dass sie ihre Freunde Carl, Elinn und Ronny gar nicht verlassen will. Da bietet sich doch der fünfzehnjährige Urs als Trainingsobjekt an, denn irgendwie wird ihr immer ziemlich mulmig im Bauch, wenn sie ihm begegnet.

Eschbach geht einen Schritt weiter in Richtung „außerirdische Lebensformen“ und hebt die Decke über Elinns Geheimnis ein wenig: Das Leuchten und die Artefakte, die sogar laut Molekularanalyse natürlichen Ursprungs sind, werden zum festen Bestandteil im Leben der Marskinder (zu denen jetzt auch Urs gehört). Wahrscheinlich erwarten uns in diesem Bereich noch einige Überraschungen in den nächsten Bänden, denn die Gefahr der Sabotage konnte fürs Erste gebannt werden, aber die Türme hüten ihre Geheimnisse gut. Da muss unsere Hoffnung auf den Kindern liegen, und Urs spielt dabei keine unwesentliche Rolle! Es macht ihn gleich sympathisch, dass er sich gegen die Spionageversuche seines Vaters sträubt.

Mit dem Marsprojekt entwickelt Eschbach eine spannende, einfach und flüssig zu lesende Geschichte um unseren sagenumwobenen Nachbarplaneten, die sicherlich noch einiges zu bieten hat. Es lohnt sich, das Projekt zu verfolgen, und die Bücher bieten Jugendlichen einen schönen Einstieg in die Geheimnisse unserer Zukunft. Ich warte gespannt auf den nächsten Band.

gebunden, 304 Seiten
Originalausgabe

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (11 Stimmen, Durchschnitt: 1,73 von 5)

Crompton, Anne Eliot – Gawain und die Grüne Dame

Wieder einmal entführt Anne E. Crompton den Leser in die Welt der Artuslegenden (siehe auch [„Merlins Tochter“ 1154 ). Diesmal widmet sie sich dem laut Wilperts Lexikon der Weltliteratur „beste[n] Werk der mittelenglischen Artusdichtung“. Dieses „verbindet heimisch-germanische und französische Stiltraditionen und zeigt Bilder höfischer Kultur kontrapunktisch verbunden mit Schilderungen der wilden Natur und detailreicher Jagden. […] Das Werk zeigt den idealen Ritter in der höfischen Gesellschaft und auf einsamer Abenteuerfahrt.“

Da Crompton in ihrem Buch eine eigene Lesart des tradierten Stoffes anbietet, sei Wilpert auch noch zum Inhalt zitiert: „Der grüne Ritter soll im Auftrag der Fee Morgne [sic!] den Artushof demütigen. Gawain sucht auf mühsamen Wegen den Ritter, der zu einer Mutprobe (Kopfabschlagen) aufgefordert hatte. Im Schloß Bercilacs de Hautdesert kann er drei Tage den Verführungen der Schloßherrin widerstehen; am vierten trifft er den grünen Ritter, der ihm mit der Axt den Hals ritzt, da er einen lebenssichernden Gürtel, ein Geschenk der Dame, verheimlicht hatte. Der Ritter gibt sich als Bercilac zu erkennen und erklärt Gawain, dessen Tapferkeit und Tugend den Plan Morgnes zunichte gemacht haben, das Geschehen. Gawain schämt sich wegen seiner Feigheit; am Artushof wird er freudig empfangen und getröstet.“

Die Autorin behält dieses Schema im Wesentlichen bei, setzt aber die Akzente anders und erzählt eine (wesentliche und ausgedehnte) Vorgeschichte: Gawain, auf Erkundungsfahrt im Norden, erreicht ziemlich mitgenommen ein kleines Dorf. Dort wird ein Fest gefeiert – und kaum werden die Dorfbewohner seiner ansichtig, krönen sie ihn anstelle eines jungen Burschen zum Maikönig und machen ihn zum Mann der Maikönigin. Das ist Gwyneth, die (grün gekleidete) „Grüne Dame“, Angehörige einer Familie von Weisen Frauen (oder Hexen, wenn’s beliebt) – und eine äußerst sympathische, lebenslustige junge Frau, kräftig, lebendig, reizvoll, kein Burgfräulein oder dergleichen Ziergewächs mit Hoher Minne und all dem idealen Kram … Gawain muss bei ihr liegen und sie lieben, und zwar täglich, damit die Saaten gut gedeihen. Er hat denn auch Spaß daran, genau wie am guten Essen und am „Rittertraining“ mit den männlichen Dorfbewohnern; er weiß nicht, dass der Maikönig am Ende des Sommers den unsichtbaren Mächten, der Göttin geopfert wird. Als er es durch Zufall erfährt, erpresst er Gwyneth durch Liebesentzug – und da sie ihn wirklich liebt, willigt sie ein, gemeinsam mit ihm zu fliehen. Sie lässt sogar ihre Tochter zurück …

Natürlich endet die Geschichte nicht mit dieser Flucht (der Grüne Ritter tritt auch noch auf, keine Sorge), aber man erkennt schnell, dass Crompton zum einen die Traditionen feministisch geprägter Fantasy aufgreift (ohne sich freilich mit Werken wie „Die Nebel von Avalon“ messen zu können), zum anderen (gleichfalls tradiert) die alte Religion der Göttin, der Hexen und Druiden mit der neuen des Christengottes konfrontiert. Ihre Sympathien sind dabei eindeutig auf Seiten der Frau gegen den Ritter, auf Seiten der Göttin gegen Christus und Maria, auf Seiten des Alten gegen das Neue. Dennoch, und das ist angenehm zu lesen, verfällt sie nicht in Schwarzweißmalerei: Auch die Grüne Dame hat ihre dunklen Seiten, ist nicht nur Opfer, und Gawain wird nicht verteufelt – er macht Fehler, begeht Verrat (auch an seiner Ritterehre), aber er ist tapfer genug, sich der eigenen Schuld zu stellen. Und es ist schließlich ein Mann, der Druide Merry, Vater von Gwyneths Tochter, der entscheidend dazu beiträgt, dass der Hass erlischt, dass beide gelernt haben, was sie lernen müssen. Für Gawain freilich endet das Abenteuer nicht nur durch den Streich mit der Axt schmerzlich: Er erlebt die Schmerzen einer neuen Selbsterkenntnis und eines neuen Anfangs.

„Gawain und die Grüne Dame“ wird schnörkellos erzählt; auffällig ist die Eigenart der Autorin, ihre Protagonisten (vor allem die Titelfiguren) mit sich selbst reden zu lassen. Gwyneth tritt in ihren Kapiteln als Ich-Erzählerin auf, die das eigene Handeln reflektiert, aber auch Zwiesprache mit den Mächten (und Dämonen) der Natur hält, während Gawain quasi über zwei innere Stimmen verfügt, eine ermahnt ihn immer wieder, moralisch zu handeln. Das Werk wirkt homogen, denn es erzählt nur einen Zeitraum von gut eineinhalb Jahren, und Crompton konzentriert sich ganz auf die Vorgänge im bzw. beim Dorf und das Innenleben der beiden Hauptfiguren, einen kurzen, nötigen Ausflug an den Artushof ausgenommen. Auch Merlin oder Artus selbst treten nur in Nebenrollen auf, nichts wird hinzugefügt, was nicht nötig wäre. Es gelingt der Autorin, ihre eigene märchenhafte Geschichte zu schaffen und Probleme wie Mysterien zufriedenstellend aufzulösen (wobei, was auch gut ist, ein Rest Geheimnis bleibt). All dies macht das Buch zu einem durchaus empfehlenswerten Stück Lesestoff.

|Orginaltitel: Gawain and Lady Green
Übersetzt von Birgit Oberg und Birgit Reß-Bohusch|

_Peter Schünemann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|

Müller, Raimund – Ritter der Euterpe, Die

Historische Romane üben schon seit langem eine große Faszination auf mich aus, stellen sie doch die Möglichkeit dar, beim Lesen in eine fremde Zeit einzutauchen, Figuren der Geschichte zu treffen und eine ganz andere Lebensart kennenzulernen. Auch geschichtlich kann man in gut recherchierten Romanen oftmals ganz nebenbei noch etwas hinzulernen. Darüber hinaus spielt ein Teil des vorliegenden Romans in meiner Heimat, dem Harz, sodass ich nicht umhin kam, mir Raimund Müllers Erstlingsroman zu Gemüte zu führen. Dem Buch zugrunde liegt eine dreijährige Recherchearbeit des Autors in zahlreichen Museen und Archiven, sogar die erwähnten Orte des Harzes hat Müller alle bereist, um die Schilderung der Szenerie möglichst wahrheitsgetreu klingen zu lassen.

_Ein Ritter der Euterpe_

Wir schreiben das Jahr 1757 und in Deutschland herrscht der Siebenjährige Krieg. Das Herz des jungen Northeimer Kantors Matthäus Müller ist für die Ziehtochter der Pastorenfamilie Völger entbrannt, doch Nanni soll dem Stadtphysikus versprochen werden. Angesichts dieses Liebeskummers kommt Matthäus ein geheimer Auftrag des Majors von Dethmer äußerst gelegen. In einem Schnellverfahren wird Matthäus aufgenommen in den Geheimbund „Ritter der Euterpe“, in dessen Mission er einen Kurierdienst ausführen soll, der ihn nach Blankenburg führen wird. Zuvor will Matthäus seinen Bruder Heinrich in Braunschweig besuchen. In Clausthal schließlich soll er einen Kurier treffen, der ihn nach Blankenburg begleiten wird, um dort dem geheimen Rat von Schlierstett eine Botschaft zu überbringen.

Doch schon nahe dem Städtchen Seesen trifft Matthäus auf feindliche Soldaten und muss seine geliebte Geige einbüßen, um sein Leben zu retten. In Clausthal eingetroffen, begibt Matthäus sich sogleich in ein Etablissement, um dort seinen Kurier zu treffen. Als ihn aber eine schöne Nymphe anspricht und ihm ihren Preis für eine Nacht nennt, beschließt Matthäus spontan, der schönen Frau, die sich als Sophia vorstellt, den Vorzug zu geben. Nach ihrer gemeinsamen Liebesnacht gibt sich Sophia als der besagte Kurier zu erkennen. Ohne weitere Vorkommnisse können die beiden ihre Nachricht in Blankenburg überbringen und anschließend noch drei Tage lang ihre Liebe genießen, bevor Matthäus wieder nach Northeim in sein altes Leben zurückkehrt. Gleichzeitig erlebt Matthäus‘ jüngerer Bruder Johann als Musketier in der Armee den Schrecken des Krieges aus erster Hand mit.

Nach Matthäus‘ Rückkehr wird Northeim von einer Kavallerie Franzosen überfallen. Während Matthäus nach eigener Erkundung der Lage für die Verteidigung der Stadt mit Waffen plädiert, ermöglichen Brandschatzverhandlungen den Feinden schließlich den Einlass in die Stadt. Die Frauen und Kinder suchen Schutz in der Kirche, doch sucht Matthäus dort vergeblich nach Nanni. Als er sie schließlich aus dem Pastorenhaus abholen will, wird er Zeuge, wie drei Soldaten Nanni vergewaltigen. Matthäus kann die fremden Soldaten zwar überwältigen, doch ist Nanni hinterher völlig apathisch. Aus lauter Verzweiflung beschließt Matthäus schlussendlich, Nanni zu Sophia und ihrer Freundin Maria zu bringen, damit diese mit ihren ganz eigenen Heilkünsten zur Gesundung seiner heimlichen Liebe beitragen können. Doch damit gerät nun auch Nanni in die Verwicklungen der Ritter der Euterpe …

_Von den Rittern zum Kriegsgeschehen_

Raimund Müller erzählt seine Geschichte in zwei verschiedenen Handlungssträngen. Neben der Handlung rund um Matthäus Müller, der in den Orden der Ritter der Euterpe aufgenommen wird, verwendet der Autor auch viel Zeit darauf, um über die aktiven Kriegsgeschehen zu berichten, die Matthäus‘ jüngerer Bruder Johann erleben muss. Die Wechsel zwischen beiden Schauplätzen geschehen jeweils am Kapitelanfang. Allerdings ist das Buch insgesamt nur in sieben umfangreiche Kapitel eingeteilt, sodass immer sehr lange Passagen zu lesen sind, bevor es zu einem erneuten Sprung in der Erzählung kommt. Als Nanni schließlich zu Sophia geschickt wird, nimmt auch die Schilderung ihrer Erlebnisse bei Sophia und ihrer Freundin Maria viel Platz ein, hier taucht Matthäus über weite Strecken gar nicht mehr auf.

Wünschenswert wären schnellere Wechsel zwischen den beiden Handlungssträngen gewesen, die eine straffere Erzählweise ermöglicht und vielleicht eine Verbindung über die Verwandtschaft der beiden Hauptfiguren hinaus geschaffen hätten. So bleiben beide Geschichten nebeneinander stehen, ohne viel miteinander zu tun zu haben, und die Zusammenführung am Ende kann auch nur als äußerst unbefriedigend bezeichnet werden. Müller legt dermaßen viel Wert aufs Detail, dass er sich oftmals in langatmigen und überaus detaillierten Schilderungen der Kriegsgefechte verliert und darüber seine eigentliche Handlung zu vergessen scheint. Besonders die Kapitel, die über Johanns Leben berichten, erfordern daher einen langen Leseatem und viel Wissen über die damalige Kriegsführung und das dazu notwendige Material. Raimund Müller verwendet bei seinen Schilderungen über die Kriegsführung viel Fachvokabular, das sich dem Laien manchmal leider auch nicht aus dem Zusammenhang erschließt; so setzt der Autor die Kenntnis von Begriffen wie Protze, Avancierriemen oder auch Kartätschen voraus. Ein Glossar wäre hier zum Verständnis wirklich hilfreich gewesen.

Einen Spannungsbogen habe ich im Buch gar nicht erkennen können. So gut wie nie weiß das Geschehen dermaßen mitzureißen, dass uns die Erzählung an das Buch fesselt. Eher wird dem Leser viel Durchhaltevermögen abverlangt, um sich durch die Kapitel rund um Johann Müller zu kämpfen. Inhaltlich berichtet der Autor hier viel über den Siebenjährigen Krieg, sodass diese Passagen passionierten Historikern sehr zusagen dürften. Doch sind es immer wieder die gleichen Kriegsgräuel samt Vergewaltigung und Abschlachtung der gefangen genommenen Frauen, von denen der Autor uns berichtet. Es passiert leider nicht viel Neues, das mitreißen könnte.

Einzig die Passagen über Nanni, die zwei Jahre lang bei Sophia lebt, unterhalten recht gut, da sie die handelnden Personen in den Vordergrund stellen. Die Geschichte des Siebenjährigen Krieges fungiert hier lediglich als historischer Hintergrund, vor welchem besonders Maria und Sophia einige gefährliche Situationen überstehen müssen. Der Begriff „Ritter der Euterpe“ fällt im Buch vielleicht ein halbes Dutzend Mal, sodass mir die Titelfindung dieses Romans absolut nicht klar geworden ist, da der Roman leider nur ganz am Rande von diesem Geheimbund berichtet. Der Klappentext lässt hier falsche Erwartungen aufkommen, da er Verstrickungen rund um den Geheimbund verspricht und den Handlungsstrang rund um Johann Müller komplett verschweigt.

_Historische Figuren und Szenarien_

Zunächst stellt Raimund Müller den Kantor Matthäus Müller in das Zentrum seiner Handlung. Der Leser erfährt mehr über Matthäus‘ Vergangenheit und seine musikalischen Begabungen. Gleichzeitig rückt auch Nanni in den Blickpunkt des Geschehens, da bereits im ersten Kapitel die aufkeimende Liebe zwischen den beiden jungen Leuten geschildert wird, auch wenn diese ihnen aussichtslos erscheint, da Nanni einem anderen Mann versprochen werden soll. Zu Beginn seines Romans konzentriert Müller sich auf die detaillierte Zeichnung einiger weniger Figuren, die durchaus gelungen ist. Spätestens wenn die Erzählung zu Johann wechselt, trifft der Leser auf dem Schlachtfeld allerdings auf so viele verschiedene Personen, dass man sich kaum die erwähnten Namen merken kann. Doch schon nach der ersten Schlacht mit vielen Opfern merkt man, dass die meisten Namen und Figuren keine wesentliche Rolle in der Romanerzählung spielen werden. Das macht die Geschichte doch etwas unübersichtlich.

Im Grunde genommen handelt der vorliegende Roman von nur fünf Personen, denn neben Matthäus und Nanni lernt der Leser weiterhin Johann Müller und natürlich Sophia und Maria genauer kennen. Die Vorstellung der Hauptfiguren überzeugt zu großen Teilen, viele Eigenschaften der Charaktere werden uns näher gebracht, doch bleiben einige Handlungsweisen doch äußerst undurchsichtig. Besonders Nannis Verhaltensweise als ein traumatisiertes Vergewaltigungsopfer wirkt wenig glaubwürdig.

Stellenweise lässt der Autor durchblicken, dass er seine Schauplätze bereist hat. So schildert er manche Szenerie dermaßen realistisch, dass man die Orte direkt vor Augen hat; besonders auffällig fand ich die kurze Beschreibung von Goslar, die mich sogleich in Gedanken vor die erwähnte Kaiserpfalz versetzt hat. Auch während der Schlachten nimmt Müller sich stets die Zeit, die Örtlichkeiten und Voraussetzungen für die Schlacht von mehreren Seiten zu beleuchten; in zahlreichen Szenen war ich beim Lesen dadurch mitten im Getümmel, weil die Schilderungen so realistisch waren.

_Sprachliches_

Durch die Verwendung altertümlicher Ausdrücke und umständlicher Sprache lässt Raimund Müller einen authentischen Eindruck der Zeit des Siebenjährigen Krieges entstehen. Die Dialoge könnten dabei tatsächlich der damaligen Zeit entnommen sein. Trotz der ungewohnten Sprache lässt sich das Buch dennoch leicht und flüssig lesen, da zumindest in den Kapiteln über Matthäus und Nanni keine unbekannten Vokabeln auftauchen, die das Verständnis beeinträchtigen könnten.

Auffällig ist außerdem, dass Raimund Müller kein Blatt vor den Mund nimmt. So berichtet er von verschiedenen Kriegsverbrechen und Folterungen, die ein ungutes Gefühl im Magen aufkommen lassen. Hier werden dem Leser ziemlich barbarische Methoden präsentiert, die man in derlei Details vielleicht gar nicht hätte wissen mögen. Nur die sexuellen Aussschweifungen der handelnden Figuren deutet Müller leidiglich knapp an und setzt genau dann eine Zäsur, wenn es gerade interessant zu werden beginnt. Der Phantasie des Lesers sind dadurch kaum Grenzen gesetzt.

_Äußerlichkeiten_

Optisch macht dieses Buch eher den Eindruck eines Fachbuches als den eines Unterhaltungsromans. So springt einem zunächst das ungewohnte Schriftbild ins Auge. Der Text dürfte in Times New Roman gesetzt sein, was ich von Romanen normalerweise nicht gewohnt bin. Auch wird jeder Absatz durch eine Freizeile verdeutlicht, die dem Leser auf den relativ großen Seiten die Orientierung erleichtert.

Aufgewertet wird der Roman durch einige sehr gelungene schwarz-weiß-Zeichnungen, die in vielen Details die Szenerie zeigen. Auch einige handgezeichnete Karten erlauben dem Leser ein schnelles Zurechtfinden, da viele der auftauchenden Ortsnamen nicht unbedingt geläufig sind.

Getrübt wird das Lesevergnügen leider durch zahlreiche Tippfehler, die eine simple automatische Rechtschreibkorrektur sofort hätte aufdecken müssen. In einigen Wörtern fehlen einzelne Buchstaben, manchmal ist ein Buchstabe zu viel und auch die Trennung am Ende einer Zeile ist nicht immer richtig. Für einen Preis von 24,90 €uro erwarte ich allerdings eine ordentliche Korrektur.

_Am Ende angelangt_

Nach knapp 700 Seiten historischer Erzählung, die viele Details über den Siebenjährigen Krieg und die damaligen Geschehnisse offenbart, bleiben zwiespältige Gefühle beim Leser zurück, denn Raimund Müller versucht angestrengt, die Ergebnisse seiner langen Recherchearbeit ebenso in sein Buch zu pressen wie die Geschichte um Matthäus und seine Lieben. Das Resultat ist ein dicker Wälzer, der nur schwer sein Zielpublikum finden wird. Historisch interessierte Leser werden sicherlich aufstöhnen angesichts der liebesdurchtränkten Rahmenhandlung samt sexueller Eskapaden der Hauptfiguren und schnulzigem Happy-End, während Leser auf der Suche nach einem unterhaltsamen Roman die Passagen rund um Johann womöglich komplett überspringen werden, da die detaillierten Kriegsbeschreibungen auf Dauer recht langweilig werden. Insgesamt wäre es der Erzählung sicherlich gut bekommen, sie an vielen Stellen zu straffen, da das Buch eigentlich keine Handlung für 700 Seiten mit sich bringt. Insgesamt war das Buch auszugsweise durchaus interessant und lesenswert, dürfte aber eher historisch ambitionierte Leser ansprechen als die Fans historischer Unterhaltungslektüre, da zu viele Informationen über die damalige Geschichte in die Erzählung einfließen und das Erzähltempo dadurch drastisch ausbremsen.

Volker Gallé & Nibelungenmuseum Worms (Hrsg.) – Siegfried – Schmied und Drachentöter (Nibelungenedition 1)

Die Nibelungen erleben seit einigen Jahren eine große Renaissance und dies spiegelt sich in unzähligen Publikationen zu diesem Thema wider. Selbst in der Fantasy sind sie seit Wolfgang Hohlbeins „Hagen von Tronje“ und „Der Ring der Nibelungen“ populär geworden, nachdem diese früher ausschließlich von angelsächsischen Themen beherrscht war. Vor allem Worms, die Stadt des Nibelungenliedes, setzt in den letzten Jahren ihren touristischen Schwerpunkt auf die Nibelungen und ihr ist es mit den jährlichen Nibelungen-Festspielen im Sommer gelungen, Worms als Theaterfestspielstadt neben Bayreuth mit Wagners „Ring der Nibelungen“ international zu etablieren. An Fachliteratur erscheinen die Wormser Nibelungensymposien, veranstaltet von der Nibelungenlied-Gesellschaft, in jährlichen Bänden. Diese sind jedoch recht wissenschaftlich aufbereitet, und eine populärere Publikation, die auch für die breite Masse interessant ist, fehlte bisher. Dies hat sich nun mit der Gründung des |Worms|-Verlages geändert, welcher in Zusammenarbeit mit der städtischen Verwaltung künftig die vielfältigen Thematiken, die sich aus der Sage ergeben, in Einzelbänden erarbeiten wird. Als Erstes erschienen ist der Band zu Siegfried, was durchaus gegen den Trend in der Gesellschaft zu sehen ist. Denn die Favorisierung von männlichen Heldenfiguren ist trotz der Filmindustrie eher unpopulär. Normalerweise wird das schon fast tabuisiert und speziell im Nibelungenlied richtet sich der Blick heutzutage normalerweise auf Hagen oder neuerdings auch aufgrund der feministischen Sichtweise auf die Frauenfiguren Brunhild und Kriemhild und deren Königinnenstreit.

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