Henry Rider Haggard – König Salomons Diamanten

haggard-salomon-cover-heyne-1985-kleinEnde des 19. Jahrhunderts gerät eine britische Expedition in ein versunkenes Reich, in dem archaische Krieger über die Diamantenminen des sagenhaften Königs Salomon wachen. Die Rückkehr ist schwierig, denn der grausame Herrscher will seine Besucher nicht mehr ziehen lassen … – Einer der ganz großer Klassiker der Abenteuerliteratur mischt Elemente des Reiseromans mit denen der (späteren) Fantasy. Aus heutiger Sicht sicherlich gemächlich, mit ausführlichen Landschaftsbeschreibungen, teils angestaubt, teils unbehaglich chauvinistisch im zeitgenössisch selbstverständlichen Dünkel gegenüber den „schwarzen Wilden“ aber immer noch fesselnd.
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Tolkien, J. R. R. – Hobbit, The

J. R. R. Tolkiens drei Hauptwerke sind so unterschiedlich im Ton, im Stil und in ihrer Beschaffenheit, dass man fast nicht glauben mag, dass sie alle aus der Feder eines Autoren stammen. „The Lord of the Rings“ (dt. „Der Herr der Ringe“) ist ein gigantisches, detailverliebtes Epos. [„The Silmarillion“ 408 (dt. „Das Silmarillion“) ist sowohl Mythos, Epos als auch eine breit angelegte Chronik von Tolkiens imaginärer Welt. „The Hobbit“ (dt. „Der kleine Hobbit“) jedoch, seine erste belletristische Veröffentlichung, ist ein verspieltes und leichtfüßiges Kinderbuch, das auch dem erwachsenen Leser das eine oder andere Lächeln aufs Gesicht zaubern wird. Vergeblich sucht man hier nach dem Faktenreichtum des „Silmarillion“ oder der Handlungsbreite des „Herrn der Ringe“. Stattdessen erzählt Tolkien im „Hobbit“ kurzweilig, gut gelaunt und vor allem mit einem guten Schuss Ironie, der nahelegt, dass der mittlerweile als Genie gefeierte Tolkien seine eigene Geschichte nicht unbedingt bierernst nimmt. Denn der „Hobbit“ soll in erster Linie unterhalten und Spaß machen!

Der Hobbit, das ist Bilbo Baggins, in den besten Jahren, delikatem und reichlichem Essen durchaus zugeneigt und ein Liebhaber guten Tabaks. Abenteuer sind das Letzte, woran er denkt, als Gandalf – seines Zeichens Zauberer – vor seiner Hobbithöhle auftaucht. Gandalf nun, komplett mit spitzem Zaubererhut und dem passenden Stab, sucht für eine Kompanie Zwerge einen vierzehnten Mann und hat sich in den Kopf gesetzt, dass Bilbo die perfekte Wahl wäre. So sieht sich der Arme tags darauf dreizehn hungrigen Zwergen unter der Führung von Thorin gegenüber, die ihn auf eine Reise zum Lonely Mountain mitnehmen wollen, um dem dort ansässigen Drachen Smaug einen ganzen Haufen Gold zu entwenden. Nun hat, wie bereits erwähnt, der sehr respektable Bilbo mit Abenteuern nichts am Hut, doch wäre die Geschichte hier zu Ende, hätte Gandalf es nicht geschafft, Bilbo aus seiner Höhle zu locken. So überstürzt muss er aufbrechen, dass er gar sein Schnupftuch vergisst.

Nun erleben Zwerge, Hobbit und Zauberer allerlei wundersame Abenteuer, bis sie zum Lonely Mountain kommen. So nimmt Bilbo beispielsweise dem geheimnisvollen Gollum einen gewissen Ring ab, der später noch eine prominente Rolle in Tolkiens Schaffen spielen soll. Auf dem Weg nach Rivendell wollen drei hungrige Trolle sie kochen. In den Misty Mountains geraten sie an eine ganze Horde Orks. In Mirkwood müssen sie sich mit Riesenspinnen und scheuen Waldelben rumschlagen. Und schließlich am Lonely Mountain angekommen, gilt es immer noch, einen ziemlich unleidlichen Drachen zu besiegen und einen Krieg zu verhindern, der zwischen Zwergen, Elben und Menschen ob des in greifbare Nähe geratenen Schatzes zu entbrennen droht. Und in all diesen prekären Situationen denkt Bilbo zwar am liebsten an seine gemütliche Hobbithöhle und sein zweites Frühstück; doch alles in allem erweist er sich zumeist als Retter in der Not und durchaus brauchbarer Abenteurer.

Dass „The Hobbit“ als Kinderbuch konzipiert ist, wird ziemlich schnell klar. Ein väterlicher Erzähler nimmt den (jugendlichen) Leser an die Hand, erklärt ihm Hobbits und Zauberer und Mittelerde und hält auch sonst mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Recht amüsant kommentiert er so, was in der Geschichte passiert, spricht den Leser von Zeit zu Zeit auch direkt an. Darüberhinaus ist der Roman in Kapitel eingeteilt, die sich jeweils gemütlich in einer Sitzung lesen lassen und jedes Mal ein abgeschlossenes Abenteuer behandeln. Außerdem ist „The Hobbit“ fast komplett bar aller Hintergrundinformationen, die das „Silmarillion“ und „Lord of the Rings“ zu so reichhaltigen (und schwer verdaulichen) Texten machen. Es wird hier zwar schon auf zukünftige Ereignisse angespielt (die Handlung spielt rund 60 Jahre vor „The Lord of the Rings“) – so begegnet man hier bereits Elrond, Gandalf und auch Sauron wird verschlüsselt erwähnt -, doch im Großen und Ganzen ist der Text viel geradliniger und einfacher als das, was man sonst von Tolkien gewohnt ist. Damit eignet sich „The Hobbit“ auch hervorragend als Einstiegsdroge für jene, die sich Mittelerde langsam und bedächtig nähern wollen.

Die englische Taschenbuchausgabe ist, obwohl preiswert, mit Liebe gestaltet worden. Das elegant schwarze Cover schmücken der Titel in Silber und ein Porträt Smaugs in auffälligem Rot aus der Feder Tolkiens. Und wie es sich gehört, beinhaltet der Roman auch einige Illustrationen, um das Buch für junge Leser ansprechender zu gestalten. Für all jene, die sich in der Geographie Mittelerdes nicht gut auskennen, schmückt die letzte Seite des Romans eine Karte der Route, die Bilbo und die Zwerge genommen haben, sodass man Mirkwood und die Umgebung von Lake Town dort gut nachvollziehen kann.

Zu Recht ist „The Hobbit“ ein Klassiker der modernen Kinderliteratur. Tolkien hat hier mit den Hobbits originäre Kreaturen erschaffen, die Kinder jeden Alters ansprechen dürften. Man erlebt die Geschichte durch Bilbos Augen und mit ihm kann sich der Leser identifizieren. Er ist kein überlebensgroßer Held, sondern ein Persönchen von einem Meter zwanzig, das sein Leben auch gern in der sorglosen Abgeschiedenheit des Auenlandes weitergelebt hätte. Eigentlich vollkommen unneugierig und genügsam, kann er sich doch einer gewissen Begeisterung für die Reise nicht erwehren und dieser Gegensatz des Charakters ist wohl der sympathischste Zug, den Tolkien seinem Bilbo verleihen konnte. Denn ohne es zu wollen, macht das Abenteuer Bilbo zu einem Abenteurer, ohne dass er dadurch ein Held würde. So bleibt er, gerade für Kinder, immer verständlich und begreifbar. Doch auch erwachsene Leser werden sich Bilbos Charme kaum enziehen können!

Hinweis: Unsere Rezension zur deutschen Hörbuchfassung findet ihr [hier. 130

Taylor, Andrew – verriegelte Fenster, Das

Thomas Penmarsh (Spitzname Rumpy), ein Junge von elf Jahren, ist ein unansehnliches Kind und im Umgang mit Menschen hilflos. Zu seinem Glück steht dem sozial Gehemmten sein Cousin Esmond zur Seite, der das genaue Gegenteil von ihm ist: charmant, gut aussehend, eloquent. Die beiden wachsen gemeinsam in Finisterre auf, nachdem zuerst Esmonds kleine Schwester und wenig später auch seine Mutter versterben. Finisterre – das Ende des Landes – ist der Name des Gutes in Nord-Cornwall, in dem die Penmarshs in der Nähe der Küste residieren. Rumpys verwitwete Mutter hat einen Narren an Esmond gefressen und nimmt ihn quasi als zweiten Sohn an, doch das ist kein Grund für Thomas, eifersüchtig zu werden, denn auch er verehrt Esmond und sieht in ihm einen großen Bruder, für den er alles tun würde. Das neue Familienmitglied, das aus ärmlichen Verhältnissen stammt, profitiert wiederum von der besseren finanziellen Situation der Penmarshs.

Die beiden Jungen gehen gemeinsam durch Dick und Dünn, doch als junger Erwachsener will der lebenshungrige und ehrgeizige Esmond der provinziellen Langeweile und Perspektivenlosigkeit entfliehen und zieht nach London, wo er dubiose Geschäftsideen verfolgt. Der Kontakt zu Finisterre bleibt dennoch aufrecht, und Esmonds Machenschaften in der fernen Großstadt zeitigen letztlich auch hier Auswirkungen.

Mehr als zwei Jahrzehnte später hat der mittellose Esmond mit seiner Freundin in Rumpys Haus Quartier genommen und fühlt sich als eigentlicher Hausherr. Nun, als Alice – die bei entfernten Verwandten aufgewachsene Tochter von Thomas – ihren Besuch ankündigt, sieht er seine Machtposition bedroht. Rumpy sitzt zwischen den Stühlen und hat außerdem Angst vor seinem Kind, das ihm fremd ist. Und Esmond ist kein Mensch, der tatenlos zusieht, wie sich die Dinge zu seinem Nachteil entwickeln …

Mit Sicherheit ist „Das verriegelte Fenster“ kein Roman für jene, die ein Faible für rasante Entwicklungen und plakative Spannungsmomente haben. Deshalb mutet es etwas merkwürdig an, dass das Buch im Klappentext als Psychothriller bezeichnet wird und von Taylor als einem Spannungsautor die Rede ist – so richtig „thrillt“ es hier nicht. Über lange Strecken scheint die Geschichte kaum mehr als eine in gemächlichem Tempo erzählte Biographie zu sein, die sich durch ihre Begeisterung für die Figuren und eine genaue Beobachtungsgabe auszeichnet. Erst kurz vor dem Ende kommt dann das Krimi-Element zum Vorschein. Dennoch wird es wegen der guten Schilderung der Charaktere und des Geschehens nie wirklich langweilig. Auch der Wechsel zwischen vergangener und gegenwärtiger Erzählebene sowie die gekonnt subtile Vermittlung des Eindrucks, dass da etwas unter dem oberflächlichen Schein lauert, entschädigen für die fehlende Geschwindigkeit.

Fazit: Empfehlenswert für alle, die sich für das Ausloten psychologischer Untiefen begeistern können.

_MW_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Thomas Thiemeyer – Medusa

Wie kam das Leben auf die Erde, wie die menschliche Kultur ins Dasein? Und sind wir die Ausnahme in den Weiten des Kosmos? Welche Spuren lassen sich zur Beantwortung dieser brennenden Fragen in Geologie, Anthropologie, Weltraumforschung und Geschichte finden? Welche sprunghaften Ungereimtheiten stellen sich dabei den Forschern in den Weg?

Diese Fragen spielen für Dr. Hannah Peters und ihren Assistenten Abdu Kader zunächst noch keine Rolle, während sie in der algerischen Sahara auf der Suche nach Felsbildkunst sind, wozu Ritzungen oder Malereien zählen, die bis zu 13.000 Jahren alt sein können. Mit einer ausgewachsenen Skulptur in abstrakter und unheimlicher Medusengestalt, die zudem noch älter als diese anerkannten Datierungen ist, aus einem unbekannten Material besteht und mehr neue Fragen aufwirft, als ihre Entdeckung zu beantworten scheint, hätten die beiden allerdings nicht gerechnet. Und wie wichtig die eingänglichen Überlegungen dabei tatsächlich sind, wird sich erst noch herausstellen.

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Cornwell, John – Forschen für den Führer. Deutsche Naturwissenschaftler und der Zweite Weltkrieg

Eine unendliche (und traurige) Geschichte, erzählt in sieben lehrreichen Kapiteln: Wie konnte es geschehen, dass sich ausgerechnet Naturforscher, die für sich selbst in Anspruch nehmen, nur den reinen Fakten verpflichtet zu sein, bis auf wenige Ausnahmen so bereitwillig in den Dienst der Nazis und ihrer absurden, Menschen verachtenden, auf Pseudo-Wissenschaft basierenden Ideologie stellten?

Unter dem Kapiteltitel „Das wissenschaftliche Erbe der Weimarer Republik“ zeichnet Cornwell die Vorgeschichte der „Führer“-Forschung nach. Vor dem I. Weltkrieg war Deutschland ein Mekka der Naturwissenschaften, dessen Vertreter jeden zweiten Nobelpreis gewannen. Schon jetzt gab es hässliche Züge in der insgesamt erfolgreichen Forschergemeinde, war beispielsweise der Antisemitismus eine existente Größe. Doch im Vordergrund stand die Arbeit im Labor und am Zeichenbrett, echte Spinner und Fanatiker wurden erkannt und fachlich ausgehebelt.

Im Kapitel „Die neue Physik (1918-1933)“ greift Cornwell einen naturwissenschaftlichen Teilbereich heraus, um exemplarisch darzulegen, wie der „nationalsozialistischen“ Forschung das Fundament bereitet wurde. Der I. Weltkrieg und seine von der ersten deutschen Republik nie in den Griff bekommenen Folgen – Staatsbankrott, Inflation, politische und wirtschaftliche Dauerkrise, Massenarbeitslosigkeit – verschonte auch die akademische Elite nicht, schürte Konkurrenzneid, Zukunftsangst, Ellenbogeneinsatz. Die Sehnsucht nach der „guten, alten Zeit“ mit ihren klar gegliederten Autoritäts- und Kompetenzebenen ging gefährlich nahtlos in die Bereitschaft über, einen „Führer“ zu unterstützen, der hier Abhilfe versprach.

Damit waren „Nazi-Fanatismus, Willfährigkeit und Unterdrückung (1933-1939)“ freilich Tür und Tor geöffnet. Wissenschaftler sind keine Politiker und in dieser Beziehung tatsächlich oft weltfremd, deutsche Wissenschaftler um 1933 dazu autoritätsgläubig oder gar -hörig. Hinzu kamen die bei der Vergabe begehrter Stellen zu kurz gekommenen oder fachlich unfähigen Vertreter ihres Standes, die unter den Nazis Morgenluft witterten und sich bedingungslos in ein System integrierten, das ihnen den ersehnten Aufstieg ermöglichte. Unerfreuliche Begleiterscheinungen wie den erzwungenen Exodus jüdischer Kollegen blendete man deshalb aus oder begrüßte ihn sogar. Ebenso reagierte man auf den Aufstieg obskurer Nazi-Pseudo-Wissenschaften, die der echten Forschung schadeten und ihrem Ruf ernsten Schaden zufügten.

Nun brach sich „Die Wissenschaft der Vernichtung und Verteidigung (1939-1943)“ Bahn. Nach 1933 wurde allmählich deutlich, dass Hitler zielstrebig für einen neuen Krieg plante und die Wissenschaft als ein Instrument von vielen betrachtete, die ihm die dafür notwendigen militärischen Mittel entwickeln sollten. Die erzwungene Verklammerung von Ideologie und Forschung sorgte dafür, dass dies in Deutschland nur bedingt gelang.

Im Ausland klappte die Zusammenarbeit dagegen besser. „Die nationalsozialistische Atombombe (1941-1945)“ drohte und führte zur Entwicklung eines Gegen-Projekts, an dem sich – Treppenwitz der Geschichte – viele der von Hitler aus dem Land gejagten Physiker beteiligten. Cornwell schildert die eigentlich unlösbare moralische Zwickmühle, in der sich die Beteiligten sahen, als sie die gefährlichste Waffe aller Zeiten schufen, um einem skrupellosen Gegner zuvorzukommen.

Dieser gab unter dem Druck der feindlichen Übermacht in der zweiten Hälfte des Krieges jegliche Rücksicht und moralische Integrität auf. „Wissenschaft in der Hölle (1942-1945)“ zeigt deutsche Naturwissenschaftler als Kriminelle, die Sklavenarbeiter beim Bau wahnwitziger „Wunderwaffen“ einsetzten, grausame medizinische Menschenversuche durchführten und Methoden ersannen, die „Feinde“ des Regimes in Millionenzahl umzubringen.

1945 war dann der Tag der Abrechnung gekommen – scheinbar, denn tatsächlich gediehen nicht nur die Trittbrettfahrer, sondern auch die echten Verbrecher unter den deutschen Forschern „In Hitlers Schatten“ prächtig. Sie wurden gebraucht, um dem neuen Feind – den „Weltsozialismus“ – zu bekämpfen, waren auch sonst eine wertvolle Ressource und mussten daher bei Laune gehalten werden, um sie zur Mitarbeit zu bewegen.

So gibt es zum „Forschen für den Führer“ nicht nur eine Vorgeschichte, sondern auch eine ziemlich ungebrochene Fortsetzung: „Vom Kalten Krieg bis zum Krieg gegen den Terror“ zeigt die Naturwissenschaft auch nach 1945 permanent auf dem Kriegspfad. Die Erfahrungen der Nazi-Ära sowie die Neubeschäftigung vieler ihrer Repräsentanten mag dies mehr gefördert haben als es bisher klar war oder diskutiert werden wollte. Von Vergangenheitsbewältigung kaum eine Spur, so Cornwells Resümee, stattdessen wurde und wird verdrängt und nach altem Muster weitergemacht – mit den zu erwartenden Folgen für die Zukunft.

Adolf Hitler und seine Paladine waren an der Wissenschaft als Instrument für ihre wahnwitzigen Welteroberungspläne interessiert, aber zu dumm, ihre Möglichkeiten und Beschränkungen zu begreifen. Auf diesen kurzen Nenner lässt sich eine grundsätzliche These dieses faszinierenden Sachbuchs bringen. Tatsächlich klafft eine Lücke zwischen dem Selbstverständnis der Nazis als Repräsentanten des modernen Technik-Staates und der traurigen Realität, dass sie die wahren Genies des Landes längst in die Flucht geschlagen, aus ihren Stellen gedrängt oder gar eingesperrt und umgebracht hatten. Übrig blieben die mehr oder weniger fanatischen Mitläufer und Opportunisten, die um ihrer (oft obskuren) Forschungen und ihrer Karrieren willen bereit waren, die Prinzipien der Menschlichkeit aufzugeben.

Was den Verfasser zur einer echten Binsenweisheit bringt: Wissenschaftler sind auch nur Menschen. Intelligenz ist nicht identisch mit Weitsicht oder charakterlichen Qualitäten. So sollte es eigentlich sein, so war es manchmal. Vor allem ist sich in der Krise freilich jede/r selbst der/die Nächste.

Das Regime der Nazis bündelte unheilvoll diverse unschöne bis kriminelle Strömungen in Deutschland, die für sich allein genommen nur eine eingeschränkte Gefahr darstellten. Die Elemente, aus denen sich die Nazi-Wissenschaft zusammensetzte, waren schon lange da, wie uns John Cornwell überzeugend belegt. Sie wären ohne Hitler weiterhin präsent geblieben, aber sehr wahrscheinlich dort, wo sie hingehören: im politisch-gesellschaftlichen Abseits.

So aber wurde Nazi-Deutschland zum Schauplatz eines grausamen Planspiels: Was geschieht, wenn sowohl das Gesetz als auch die Moral außer Kraft gesetzt werden? Nicht nur die Forschung war davon betroffen. Sie fügt sich nur besser ins Gesamtbild, als dies womöglich bisher erkannt wurde.

John Cornwell legt seine Darstellung als Sachbuch mit Romanqualitäten an. Dies fördert zweifellos die Lesbarkeit, was angesichts des zunächst abschreckend wirkenden, weil „trockenen“ Themas wohl auch ratsam ist. Schon nach kurzer Lektüre bestätigt sich einmal mehr die alte Weisheit, dass es im Grunde kaum langweilige Geschichte/n gibt: Sie müssen nur interessant erzählt werden!

Das gelingt Cornwell, indem er die referierenden Passagen immer wieder mit biografischen Fallbeispielen durchsetzt und zusätzlich durch Anekdotisches auflockert. Das manchmal schwer verständliche Geschehen gewinnt auf diese Weise „Gesichter“. Dem Puristen mag dieses Vorgehen zu populistisch sein, aber es erfüllt seinen Zweck.

Ein informatives und gleichzeitig spannendes Sachbuch also. Der positive Eindruck wird allerdings durch die Tatsache verdunkelt, dass der Verfasser praktisch ausschließlich auf Sekundärliteratur zurückgreift und Quellen „aus zweiter Hand“ zitiert – eine aus der Sicht des Historikers zweifelhafte Methode, das „Forschen für den Führer“ eher als Zusammenfassung des Forschungsstandes denn als eigenständige Forschungsarbeit klassifiziert.

Tatsächlich ist John Cornwell als Historiker kein „Grundlagenforscher“, sondern in erster Linie Journalist mit dem Fachgebiet Wissenschaftsgeschichte. Als solcher darf er sich in der Tat darauf beschränken, die Ergebnisse von Kolleginnen und Kollegen zu raffen bzw. ein konzentriertes Gesamtbild aus ihnen zu destillieren. Unter dieser Prämisse erfüllt das Buch seine Aufgabe, zu informieren und zu unterhalten, allerdings vorbildlich.

Herbie Brennan – Das Elfenportal (Faerie Wars 1)

Henry glaubt nicht an Elfen. Er ist schließlich schon vierzehn! Früher, vor unendlich langer Zeit, als er noch ein Kind war – damals glaubte er die Geschichten über kleine, geflügelte Wesen, die guten Menschen drei Wünsche gewährten. Heute glaubt er nicht mehr an sie. Doch was, wenn ihm ein Elf begegnet?

Der Autor

Herbie Brennan hat zahlreiche Bücher für Kinder und Erwachsene geschrieben, die in mehr als fünfzig Ländern und in einer Gesamtauflage von über 7,5 Millionen Exemplaren erschienen sind. Nebenbei entwickelt er Spiele und Software und arbeitet fürs Radio. Er lebt in County Carlow in Irland.

Der Inhalt

Der Purpurkaiser herrscht gerecht über das Volk der Elfen. Die Lichtelfen sind zufriedene Untertanen, doch die Nachtelfen scheinen Übles zu planen. Das allein bereitet dem Kaiser schon genug Kopfschmerzen, doch zu allem Überfluss ist sein Sohn Pyrgus, der Kronprinz, verschwunden.

Pyrgus ist ein Tiernarr. Er kann es nicht ausstehen, wenn Tiere gequält werden. So entwendete er den Phönix aus dem Haus Lord Hairstreaks, wobei er unglücklicherweise ertappt wurde. Auf seiner Flucht gelangt er in die Leimfabrik Chalkhill & Brimstone, wo er das nächste erschütternde Erlebnis hat: Die Zauber-Klebe-Formel besteht in einem lebenden Kätzchen, das täglich dem Leim geopfert werden muss! Hier ist also wieder eine Rettungsaktion gefragt – doch diesmal wird Pyrgus prompt von den Wächtern der Fabrik festgenommen, fast zu Tode geprügelt und dem Geschäftsführer – Brimstone – vorgeführt, der gerade einen teuflischen Pakt mit Beleth, dem Fürsten der Dämonen, abgeschlossen hat. Zufälligerweise ist es Pyrgus, den der Dämon als Opfer verlangt, und so kommt Brimstone die Gefangennahme sehr gelegen.

Kurz vor dem Opfergang kommt es zu einem Zwischenfall, der Pyrgus aus dem Dämonenkreis befreit. Bevor Brimstone eingreifen kann, erscheint die Palastwache des Purpurkaisers und eskortiert Pyrgus zum Palast.

Politische Verwicklungen zwischen Licht- und Nachtelfen verlangen höchste Sicherheit für den Kronprinzen, und so soll Pyrgus durch das Elfenportal, das sich im Besitz der Kaiserfamilie befindet, in die Gegenwelt transportiert werden, um dort das Ende der Streitigkeiten zu erwarten. Eine einsame Insel in der Karibik ist das Ziel, doch als man nach gelungenem Transfer überprüfen möchte, ob es dem Prinzen gut geht, ist er nicht auffindbar. Offensichtlich wurde er durch Sabotage an einen anderen Ort befördert …

In der Gegenwelt: Henrys Eltern liegen im Streit. Die Mutter hat eine Affäre mit der Sekretärin ihres Mannes (!), und der soll darum aus dem Familienleben treten. Ob all dieser Ungerechtigkeiten bleibt dem vierzehnjährigen Jungen nur die zeitweilige Flucht. Er geht zu Mr. Fogarty, um dem alten Mann beim Aufräumen seines Hauses oder Gartens zu helfen. Kaum steht er vor dem bruchfälligen Schuppen, als Fogartys Kater einen Schmetterling einfängt. Henry, der sehr tierlieb ist, verbietet dem Kater seine Beute und fördert – keinen Schmetterling zu Tage, sondern ein geflügeltes kleines Menschlein, offenbar ein Elf! Henry glaubt nicht an Elfen, aber er weiß, dass Mr. Fogarty an sie wie auch an Außerirdische und dergleichen glaubt. Also bringt er seinen Fund in die Küche, und mit Hilfe des alten Mannes bringen sie ein Verstärkergerät zustande, das die Stimme des kleinen Wesens hörbar macht.

Henrys Weltanschauung ist über den Haufen geworfen. Es ist tatsächlich ein Elf, und zwar Pyrgus, der Sohn vom Purpurkaiser des Elfenreichs! Ärgerlich für Pyrgus ist, dass der Filter des Portals versagt haben muss und er nun in der lächerlichen Gestalt eines kleinen fliegenden Würmchens in der Gegenwelt ist. Auf jeden Fall ist allen klar, dass Pyrgus so schnell wie möglich in seine Welt zurückkehren muss. Dort steht mittlerweile eine große Konfrontation zwischen Nacht- und Lichtelfen bevor, und auch die Dämonen scheinen einen Plan zu haben …

Kritik

„Das Elfenportal“ mutet erstmal wie ein Jugendroman an – Vierzehnjährige, die in Abenteuer verstrickt werden und das Schicksal der Welt in den Händen halten. Doch Brennan verstrickt in dieser Geschichte Abenteuer gekonnt mit Fantasy, Ironie und Humor, zeigt auf diese Art nicht nur Ausschnitte aus dem – unheimlich vertrauten – Elfenreich, sondern auch Aspekte unserer Gesellschaft, des Familienlebens und des Klischees, dass scheinbar immer die Ehemänner Affären mit ihren Sekretärinnen haben, wenn eine Ehe zu Bruch geht.

Interessant ist auch die Verknüpfung der Elfengeschichte – klein, geflügelt, drei Wünsche – mit dem Außerirdischen-Mythos – dürre, graue, großköpfige Wesen mit riesigen Augen, die Unmengen Amerikaner entführen. Nach diesem Buch wissen wir, woher diese Außerirdischen kommen und was es mit unseren kleinen, niedlichen Elfchen auf sich hat. Und wir haben einen spannenden Einblick in das Leben der echten Elfen bekommen, das sich von dem unsrigen gar nicht so sehr zu unterscheiden scheint. Natürlich gibt es im Elfenreich andere Technik – dort als Magie bezeichnet – und andere Mythen, aber die Wesen scheinen zu fühlen wie Menschen, unabhängig davon, dass sie sich Elfen nennen.

Es hat auf jeden Fall nichts mit den Elben aus Tolkiens „Herrn der Ringe“ zu tun und steht also Abseits der Diskussion, ob die weit verbreiteten Fantasy-Elfen mit Tolkiens Elben identisch sind. Hier handelt es sich tatsächlich um diese kleinen, geflügelten Geschöpfe unserer Märchen, die – wie wir nun wissen – eigentlich gar nicht so klein und schon gar nicht geflügelt sind.

Der Konflikt zwischen Lichtelfen und Nachtelfen sowie den Dämonen ist facettenreich geschildert, und ein Lösungsansatz führt genauso in die Irre wie der nächste. Jede Partei ist überzeugt, die anderen zu durchschauen und hintergehen zu können oder ihnen überlegen zu sein, bis es im Finale zu einer überraschenden Wendung kommt, bei der auch der mysteriöse Mr. Fogarty eine Rolle spielt. Die Geheimnisse, die dieser Mann mit sich herumträgt, tragen allerdings nur noch zu Henrys Verwirrung bei. Ist ihm irgendwann aber auch egal, denn er trifft ja auf Holly Blue, die Schwester von Pyrgus.

Wo wir grad bei den Geschwistern sind: Comma, der Dritte im Bunde, steht nach Pyrgus in der Thronfolge. Und hier sieht man wieder einen Aspekt, der – da nicht eindeutig erwähnt – eventuell aus diesem Buch mehr macht als nur ein Jugendbuch. Mit Ironie wird deutlich, dass Comma zwar auch hintergangen wird, aber als einer der wenigen vom Verschwinden Pyrgus‘ profitiert hätte.

Fazit

Ein schnelllesiges Buch, wenn ich diesen Ausdruck mal kreieren darf. Und wirklich kurzweilig. Wie Mr. Colfer auf dem Umschlag bemerkt, ist dieser Plot durchaus der einen oder anderen Erweiterung fähig. Ein schönes Lesevergnügen, bei dem man nicht selten zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken angeregt wird. Empfehlenswert – mal wieder für jedermann!

Ein wenig Kritik am Einband: Es prangt das Symbol „dtv premium“ darauf. Aber bezieht sich das nur auf den Inhalt und nicht auf die Verarbeitung? Die Verklebung der Seiten lässt – zumindest bei meiner Ausgabe – doch sehr zu wünschen übrig.

Carter, Lin – Tolkiens Universum

Tolkiens „Der Herr der Ringe“ ist an sich schon ein Mammutwerk (meine Ausgabe beispielsweise hat nicht weniger als 1300 eng bedruckte Seiten) und auch (literatur)wissenschaftlich hat man sich immer wieder mit dem Roman auseinandergesetzt. Doch seit der Verfilmung durch Peter Jackson ist nochmal ein ganzer Stoß begleitender Bücher auf den Markt geschwemmt worden, die dem alten und neuen Fan Mittelerde, Elben und böse Zauberringe erklären sollen. Was da Wunder, dass sich auch der |List|-Verlag eine Scheibe vom Kuchen abschneiden wollte. Anders lässt es sich kaum erklären, dass der Verlag ein Buch aus dem Jahre 1969 ausgrub, es mit einem Cover versah, das frappant an das Design der Verfilmungen erinnert, und das Ganze kurzerhand 2002 in deutscher Erstfassung auf den Markt warf. Das Vorwort zur deutschen Ausgabe weist das Buch als „authentisches Dokument der allgemeinen Faszination aus, die Tolkiens mythisches Universum bereits vor Jahrzehnten ausübte.“ Damit ist bereits in blumigen Worten umschrieben, um was es sich bei Lin Carters „Tolkiens Universum“ eigentlich handelt – nämlich ein Buch, das höchstens noch literaturhistorisch von Interesse ist, ansonsten aber komplett veraltet daherkommt. Einsichten in die Grundlagen von Tolkiens Mythologie und die Fundamente seines Weltenentwurfs finden sich höchstens im letzten Teil von Carters Ausführungen.

Lin Carter war selbst Autor von Fantasyromanen; ein Mann vom Fach also. Er editierte für |Ballatine Books| die „Adult Fantasy“-Reihe und interessierte sich augenscheinlich für den Werdegang der Fantasy in der Weltliteratur. Dass ihn Tolkiens Werk, das bei vielen alten Mythen Anleihen nimmt, dabei besonders faszinierte, überrascht kaum. In „Tolkiens Universum“ versucht er nun, anderen Lesern diese Welt nahe zu bringen, schließlich war „Der Herr der Ringe“ zu diesem Zeitpunkt erst gute zehn Jahre auf dem Markt und begann erst langsam, seinen Kultstatus zu entwickeln. Carter betrat zu seiner Zeit also relatives Neuland und tastete sich dementsprechend vorsichtig an sein Studienobjekt heran.

Zunächst bringt er einige biographische Fakten zu Tolkien, seine universitäre Laufbahn als Professor, sein Interesse für alte Mythen und Legenden (hier nennt er besonders den „Beowulf“ und die [„Edda“) 62 und seine Beschäftigung mit der Form des Märchens.
Von da kommt er auf die Entstehungsgeschichte vom „Herrn der Ringe“ und eine erste kleine Rezeptionsgeschichte, die illustriert, dass ein so unhandliches Buch unmöglich einen einfachen Start haben kann. Dieser Teil von „Tolkiens Universum“ ist mäßig interessant, besonders unterhaltsam muten Carters Spekulationen über den Inhalt des [„Silmarillion“ 408 an, das zu dem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht war.

Um seine Studie über den „Herrn der Ringe“ ordentlich vorzubereiten, bietet Carter dann eine Zusammenfassung sowohl des [„Hobbit“ 22 als auch des „Herrn der Ringe“. Auf nicht weniger als 60 Seiten erläuert er, worum es in den Büchern geht und man fragt sich zwangläufig, an welchen Leser diese Zeilen wohl gerichtet sein mögen. Carters Buch werden sicherlich nur zwei Arten Leser in die Hand nehmen: Diejenigen, die den „Herrn der Ringe“ kennen und tiefer in die Materie einsteigen wollen und diejenigen, die noch vorhaben, das Buch zu lesen. Beide Gruppen werden keine 60-seitige Inhaltsangabe benötigen. Für die einen ist sie überflüssig und für die anderen der ultimative Spoiler. Was Carter also mit diesem Teil seines Buches erreichen wollte, bleibt ungeklärt.

Im Anschluss daran nimmt er den Leser mit auf eine Tour durch die Weltliteratur und erklärt ihm, dass die Form des Epos eine Art Urformel der heutigen Fantasy ist und führt als Beweis unzählige bekannte und unbekannte Epen mitsamt Inhaltsangaben auf. Dies mag lesenswert sein, wenn man sich ohnehin für diese Form interessiert und mehr über „Edda“, „Nibelungenlied“, „Beowulf“ etc. erfahren will. Doch auch für diesen Leser ist Carters Buch nicht unbedingt zu empfehlen. Für einen Überblick bringt er einfach zu viel Material auf zu kleinem Raum und büßt dafür die Tiefe seiner Analyse ein. Seine Betrachtungen bleiben oberflächlich und polulärwissenschaftlich, höchstens ein kleiner Appetitmacher auf Texte wie die „Ilias“. Den Hunger muss man jedoch mit anderen Publikationen stillen. Auch bleibt er den Zusammenhang zwischen den genannten Epen und Tolkiens Schaffen schuldig. Vergleiche werden niemals gezogen und somit stehen Carters Betrachtungen zum Epos frei im Raum ohne direkt für die Tolkien-Analyse herangezogen zu werden.

Im letzten Teil kommt Carter dann endlich zur Sache und gräbt einige Primärtexte aus, die Tolkien beeinflusst und inspiriert haben. Der Mehrwert dieser Entdeckungen ist unterschiedlich. So ist es nicht gerade eine Erleuchtung, herauszufinden, dass „theoden“ (bei Tolkien der König Rohans) das angelsächsische Wort für „Fürst einen Stammes“ ist oder dass „myrkwid“ (engl. „Mirkwood“, dt. „Düsterwald“ – Legolas‘ Heimat) 17-mal in der „Alten Edda“ erwähnt wird. Schon erstaunlicher sind die inhaltlichen Zusammenhänge, wenn er beispielsweise den Sternenfahrer Earendil bis zur „Prosa-Edda“ zurückverfolgt und feststellt, dass die Figur (die ebenfalls Earendil bzw. Orvandel heißt) auch dort mit einem Stern in Verbindung gebracht wird. (Bei Tolkien wird Earendil mit seinem Schiff an den Himmel gesetzt und der Silmaril an seiner Stirn leuchtet den Bewohnern Mittelerdes als Stern der Hoffnung – entspricht dem Morgen- und Abendstern.)

Große Erleuchtungen bleiben bei der Lektüre also aus, was sicherlich dem frühen Entstehungsdatum von „Tolkiens Universum“ geschuldet ist. Wer sich für die Rezeptionsgeschichte Tolkiens interessiert, wird hier sicherlich fündig und kann an Carters Ausführungen ablesen, wie „Der Herr der Ringe“ damals aufgenommen wurde. Wer jedoch wirklich etwas über die Hintergründe des Romans erfahren will, der wird in diesem Buch hauptsächlich im Kreis herumgeführt. Eine Publikation neueren Datums ist da empfehlenswerter und materialreicher.

Michael Marrak – Imagon

Aus H. P. Lovecrafts Elder Gods-Mythos entstand eine Geschichte, die eindrucksvoller nicht sein könnte. Nichts könnte die unheimlichen Großen Alten deutlicher, glaubhafter schildern, nichts vor der Gefahr eindringlicher warnen, die dem Cthulhu-Mythos innewohnt.

Der Autor

Michael Marrak wurde 1965 in Weikersheim geboren, ist gelernter Großhandelskaufmann und besuchte das Berufskolleg für angewandte Grafik in Stuttgart. Mittlerweile lebt und arbeitet er als freier Schriftsteller und Illustrator in Hildesheim.

Inhalt

Der dänische Geophysiker Poul Silis hasst Schnee. Eines Tages wird er von seinem Institut auf eine merkwürdige Sache angesetzt: In Grönland wurde ein Krater im ewigen Eis entdeckt, dessen Ausmaße nur von einem gigantischen Meteoriten herrühren können – doch keine Station auf der Erde hat seinen Einschlag beobachtet. Es gibt weder die typischen Aufwerfungen des verdrängten Substrats, noch die charakteristische Impaktwolke über dem Gebiet.

Man behandelt den Vorfall mit strengster Geheimhaltung. Silis wird nach Grönland verschifft und trifft auf das Team seines ehemaligen Mentors, Professor DeFries. Es stellt sich heraus, dass der Krater die Spitze eines uralten Tempels in der Front eines Berges freigelegt hat – älter als das intelligente Leben auf der Erde! Unheimliche Symbole zieren den einzig erreichbaren Eingang. Und ebenso unheimlich ist: Silis wird von Alpträumen geplagt, in denen er den Tempel (in seiner Gänze) sieht – mit seinen Bewohnern, grauenhaften Wesen, die das Tageslicht scheuen …

In der Mitte des Kraters findet man ein mehrere Meter durchmessendes Schluckloch, durch welches das Schmelzwasser von den Freilegungsarbeiten am Tempel zurück unter das Eis fließt. Wieder beobachtet Silis unheimliche Phänomene: Das Wasser fließt in der arktischen Kälte kilometerweit und schert sich dabei um keinerlei physikalische Gesetze. So fließt es in einem breiten, flachen Rinnsal schnurgerade zum Schluckloch und überwindet dabei sogar meterhohe Hindernisse.

Ein Experiment am Schluckloch zeigt, dass es seinen Namen zu Recht trägt. Es verschluckt sowohl Rauch (der sich in Spiralen abwärts dreht) als auch Schall! Zwei sich gegenüberstehende Menschen mit dem Loch zwischen sich vermögen sich nicht mehr zu hören. Als eine Magnesiumfackel von Silis in das Loch geworfen wird, bebt der Boden und eine gewaltige Fontäne befördert die Fackel zurück ans Licht. Silis‘ Begleiter wird von einem geleeartigen Klumpen der Masse berührt, die in seinen Körper eindringt. Er verliert das Bewusstsein und Silis erfährt von DeFries merkwürdige Geschichten über die Großen Alten, die Älteren Götter und unheilige Wesen.

Silis‘ Begleiter ist dem Tode geweiht, Silis selbst zweifelt an seinem wissenschaftlichen Verstand wie auch an dem seines ehemaligen Mentors DeFries. Ein Inuit-Schamane verhilft ihm zu einer Traumbegegnung mit Sedmeluq – danach ist nichts mehr, wie es vorher war. Silis steigt in den Tempel hinab, auf der Suche nach Antworten. Er betritt eine gigantische Halle, die er aus seinen Träumen zu kennen glaubt. In ihrer Mitte befindet sich eine Mulde, in der sich eine tiefschwarze Masse bewegt, die Silis sofort als Qur identifiziert: Das unheilige Medium, dem die Älteren Götter entstiegen. Hier ist das Tor zur anderen Seite, das nicht geöffnet werden darf. Doch keiner der Wissenschaftler zieht Silis endgültig ins Vertrauen, denn sie wissen, dass er ein Imagone ist, der als Schlüssel zu dieser Welt von Sedmeluq ausersehen wurde …

Kritik

Man rätselt mit dem Protagonisten. Es gibt Bücher, in denen man stets mehr weiß als die Handlungsträger und allzu oft denkt: Oh Mann, dies und das ist doch so und so, siehst du das nicht?
In „Imagon“ ist das anders. Man weiß immer nur so viel wie Poul Silis, und das ist deutlich weniger als die meisten anderen in der Geschichte wissen. Es scheint, als würde das Wissen vor ihm verborgen werden, und so erfährt man nur Schritt um Schritt die erklärenden Verhältnisse, Erzählungen aus dem von DeFries zusammengetragenen ‚Taaloq‘ und eigenen Gedanken aus den Erlebnissen des Ich-Erzählers, eben Poul Silis.

Man wird ebenso wie er vor den Kopf gestoßen von Dingen, die in unserem Verständnis der Welt unmöglich sind. Aber man rutscht auch ebenso wie er in die Finsternis hinein und beginnt, an diese Dinge zu glauben, zweifelnd erst, dann mit wachsender Überzeugung. Es ist unheimlich, wie Marrak es schafft, uns Lesern über unwirkliche, aber äußerst plastische Erlebnisse des Erzählers einen Pseudomythos als wirklichen, uralten Mythos vorzulegen und uns schließlich glauben zu machen, dass die wichtigen Details des Mythos wahr sein könnten …

Was schließlich wirklich mit Poul Silis geschieht, will ich hier nicht verraten, denn das würde eine Menge der Spannung nehmen, die dem Buch innewohnt. Wer Marraks „Lord Gamma“ gelesen hat, kann eine Ahnung von der Vielfalt und Abstrusität haben, die zu dem mitreißenden und ebenso kalten, unheimlichen Roman werden, der mich nicht mehr losgelassen hat, bis ich mit den letzten Seiten an einem Ende angekommen war, das mich für einige Minuten hilflos zurückließ, ehe es mit seiner ganzen Aussagekraft durchdrang und als Ende bedeutungsschwer stehen blieb.

Vor einigen Jahren schrieb Michael Marrak eine Novelle mit dem Namen „Der Eistempel“, deren Plot wohl nach Größerem rief. Auf ihr basiert der vorliegende Roman, wobei die Novelle wiederum von Lovecrafts Elder Gods- oder Cthulhu-Mythos inspiriert wurde. Wenn man sich jetzt an Lovecrafts Roman „Berge des Wahnsinns“ erinnert (so man ihn kennt), wird man in „Imagon“ kein simples Remake finden, sondern eine echte, hervorragende, eigenständige Geschichte zu einem gemeinsamen Thema, dem Mythos um die Älteren Götter.

Fazit

„Imagon“ ist kalt, hart, unheimlich, bizarr und spannend, aber in keinem einzigen Moment wirkt er unglaubwürdig, zäh oder plakativ. Man glaubt dem Erzähler, dass er seine Geschichte erlebt hat und von ihr geprägt wurde; man glaubt auch dem Autor jegliche Details, als wäre er gar nicht vorhanden, sondern als handle es sich um Fachwissen des Geophysikers Poul Silis. Man ist geneigt, einen Punkt für das Ende abzuziehen, bis man noch einmal darüber nachgedacht und die Geschichte sich hat setzen lassen. Ich zumindest bin der Überzeugung, dass es kein anderes Ende hätte geben können. Darum Hut ab vor Michael Marraks Leistung – und volle Empfehlung!

Wer es gern solider mag, findet das Buch übrigens auch noch in der Originalausgabe von Festa (2002) als Hardcover unter der ISBN 3-935822-12-X.

Das Titelbild stammt übrigens von Marrak selbst, und der Roman wurde ausgezeichnet mit dem Kurd-Laßwitz-Preis für den besten deutschen SF-Roman des Jahres 2002!

Salvatore, R. A. – Invasion der Orks, Die (Die Rückkehr des Dunkelelf 1)

Die von dem in die USA emigrierten Schweizer Gary Gygax erfundene |Dungeons & Dragons|-Reihe („Verliese und Drachen“) – kurz D&D oder AD&D („advanced“) – darf sich rühmen, das populärste Fantasy-Rollenspiel der Welt und Urvater von Systemen wie dem in Deutschland bekannten DSA („Das Schwarze Auge“) oder Midgard zu sein.

Ein Welterfolg, der wie nicht anders zu erwarten auch auf jede erdenkliche Weise vermarktet wird. Vom ursprünglichen „Pen & Paper“-Rollenspiel wurden neben Zinnfiguren (Ral Partha), Kartenspielen und sonstigen Fanartikeln und Spielideen auch etliche Computerspiele („Pool of Radiance“, „Eye of the Beholder“, „Baldur’s Gate“) mehr oder minder inspiriert.

Auch auf dem Buchmarkt ist die Reihe erfolgreich, die der „Forgotten Realms“ oder deutsch „Die Vergessenen Reiche“ dürfte neben „Dragonlance“ die wohl bekannteste AD&D-Fantasywelt sein.

_Sympathieträger mit Burnout-Syndrom_

Maßgeblichen Anteil an der Popularität dieser Welt und eines ihrer schillerndsten Charaktere, dem Dunkelelfen Drizzt Do’Urden, hatte ihr Autor und Schöpfer, der 1959 geborene Amerikaner R. A. Salvatore. Salvatore hatte mit dem ersten Band der Vergessenen Reiche „The Crystal Shard“ / „Der gesprungene Kristall“ so großen Erfolg, dass er der wohl schillerndsten Figur, dem ganz entgegen der sonst bösartigen Natur seines Volkes „guten“ Drow Drizzt, eine eigene Trilogie, die |Saga vom Dunkelelf|, gewidmet hat.

Der krummsäbelschwingende Dunkelelf und seine Freunde, der Zwerg Bruenor, der Barbar Wulfgar, der Halbling Regis und Catti-brie (eine Menschenfrau – der so genannte Quotenmensch) kämpften sich fortan durch unzählige Abenteuer, bis hin zu dem Punkt, an dem Salvatore ein wenig die Ideen ausgingen. Die kurzweilige Action und Faszination einer gewaltigen, langsam auf gigantische Ausmaße gewachsenen Fantasywelt reichte nicht mehr – was nun?

Nach dem Ende des bösen Pendants von Drizzt, Artemis Entreri, und einigen faszinierenden Ausflügen in das legendäre Unterreich der Dunkelelfen, hatte Salvatore einige fatale Ideen: Ein bisschen viel Seifenoper, Wulfgar wurde zum Alkoholiker, von Dämonen gefoltert, er verliebte sich in Catti-brie, behandelte sie schlecht, musste über satte vier Bände von seinen Freunden vor sich und der Welt gerettet werden. Nachdem am Ende Drizzt selbst seine Zuneigung zu Catti-brie entdeckte und Wulfgar mit einer neuen Freundin und Familie versorgt und ein Intermezzo auf den Meeren Faerûns beendet worden war, konnte ich nicht anders als den Niedergang der einstmals so geliebten |Swords & Sorcery|-Reihe zu bedauern. Das war es wohl nicht, was die Fans lesen wollten. An die alten Klassiker kamen diese Romane bei weitem nicht mehr heran.

_Ein Neuanfang?_

Während Salvatore über einer Fortsetzung brütete, erschien mit dem „Krieg der Spinnenkönigin“ eine Reihe von Romanen von Jungautoren, die sich so in den Vergessenen Reichen ihre ersten Sporen verdienen durften, wie Richard Lee Byers mit dem ersten Band [„Zersetzung“ 183 in der Dunkelelfen-Metropole Menzoberranzan.

Der Altmeister selbst legt eine neue Trilogie vor, die bezeichnenderweise „Die Rückkehr des Dunkelelf“ (US: „The Hunter’s Blades“) heißt und mit den dank der Verfilmung des |Herrn der Ringe| derzeit sehr populären Orks aufwarten kann… sogar gleich mit tausenden davon:

_“Die Invasion der Orks“ / „The Thousand Orcs“_

Drizzt zieht mit seinen Freunden und Bruenor Heldenhammers Zwergensippe heim, nach Mithrilhalle. Alle sind froh über Wulfgar, der sein seelisches Gleichgewicht wiedergefunden hat. König Bruenor plant, auf dem Heimweg die Konkurrenz von Mithrilhalle, die Stadt Mirabar, aufzusuchen und den dort zusammen mit Menschen lebenden Zwergensippen einen Besuch abzustatten, Kontakte zu knüpfen und ein wenig Spionage zu betreiben – denn der Markgraf Elastul ist wegen der wirtschaftlichen Einbußen, die Mirabars Bergwerke und Schmieden wegen der überlegenen Qualität der Waffen und Erze aus Mithrilhalle erleiden, ausgesprochen feindselig gestimmt.

Der Besuch verläuft friedlich, jedoch verursacht er einen Bruch zwischen den seit Jahrhunderten mit den Menschen Mirabars zusammenlebenden Zwergen und dem Markgrafen, der ihnen auf unkluge Weise vorwirft, mehr auf ihre Verwandten aus Mithrilhalle zu achten denn auf die Interessen Mirabars.

Während Drizzt und Bruenor weiterziehen, wird dessen Wunsch, die geheimnisvolle Zwergenfeste Gauntlgrym zu suchen und so der Langweile des Herrschens in Mithrilhalle zu entgehen, auf ihm nicht unliebe Weise von Orks vereitelt:

Eine Schar Orks und Frostriesen hat einen Trupp Zwerge überfallen, und das Menschendorf, in dem die Überlebenden gepflegt wurden, niedergebrannt. Bruenor persönlich zieht mit einer kleinen Truppe Zwerge und seinen kampferprobten Gefährten den Orks entgegen, während er die anderen Zwerge nach Mithrilhalle schickt.

Doch alle haben die Gefahr unterschätzt: Der Ork Obould und die Frostriesin Gerti haben dank der Hilfe abtrünniger Dunkelelfen eine unheilige Allianz gebildet, die ein gewaltiges Heer in Richtung Mirabar entsendet hat. Die Orks überrennen das Dorf, in dem Bruenor sich verschanzt; der alleine hinter den feindlichen Reihen kämpfende Drizzt kommt zu spät und findet nur noch Leichen unter von den Frostriesen geschleuderten Steinen und eingestürzten Gebäuden, hält seine Freunde fälschlicherweise für tot. Während Bruenor verschüttet und abgeschnitten von seinen Zwergen ist und Drizzt ihren Tod betrauert, schickt Markgraf Elastul seine fähige Beraterin Shoudra Sternenglanz zwecks Sabotage nach Mithrilhalle …

_Ein Schritt in die richtige Richtung …_

Besondere Überraschungen und Finessen bietet die Handlung nicht gerade, andererseits zeichnet sich „Die Invasion der Orks“ durch viele der alten Stärken Salvatores aus, die vorhergehenden Bänden leider völlig abgingen.

So hat Salvatore angenehm vielfältige Handlungsebenen miteinander verknüpft, von dem Ork Obould und seinem dümmlichen Sohn Urlgen und ihrem Bündnis mit den Frostriesen bis hin zu den vier Dunkelelfen, die aus verschiedenen Gründen das Unterreich verlassen und Asyl an der Oberfläche suchen mussten, wo es vor allem den in ihrer Heimat von den Drow-Frauen unterdrückten Männern ausgesprochen gut gefällt. Dabei kommt der Humor nicht zu kurz, schon der Prolog, der Überfall auf die kleine Zwergenschar, liest sich sehr angenehm, wie auch spätere Dialoge der Orks recht kurzweilig sind.

|“‚Warum kämpfen wir überhaupt gegen die verdammten Zwerge?‘ wagte ein anderer aus der Gruppe zu fragen. Obould drehte sich um und versetze ihm einen Hieb, der ihn zu Boden warf. So viel zu diesem Diskussionspunkt.“|

Angenehm auch die differenzierte Darstellung des Zusammenlebens der Zwerge und Menschen in Mirabar, bei der mir besonders die gelungene und glaubhafte Darstellung der schönen und klugen Sceptrana Shoudra Sternenglanz, der menschlichen Beraterin Elastuls, gefallen hat. Die Handlung ist kurzweilig, humorvoll und in gewissem Sinne sogar originell, die Dialoge des Markgrafen mit seinem überschätzten Alchemisten, dem Gnom Nanfoodle, sind gut durchdacht und eine gelungene Umsetzung des Klischees des chaotischen Gnomen-Alchemisten, der bei seinen Versuchen, die Qualität des Erzes zu verbessern, vermeintlich große Erfolge erzielt, die sich bei genauerer Betrachtung aber als ganz gewöhnliche Legierungen mit höherwertigen Metallen erweisen …

Salvatore packt aus, was die Vergessenen Reiche an Kulturen, Abenteuern und Rassen zu bieten haben, was mir sehr gut gefallen hat, leider hat sich meine Begeisterung im letzten Drittel merklich gelegt.

Neben zwei Mondelfen und ihren Pegasi konnte er es sich nicht verkneifen, Dick und Doof, pardon, Pikel und Ivan, die lustigen Kameraden des Zwergenklerikers Cadderly, ebenfalls in das Kampfgebiet zu schicken. An beiden scheiden sich die Geister, jedoch hätte ich es begrüßt, wenn stattdessen den bereits vorgestellten neuen Figuren mehr Raum eingeräumt worden wäre, als dieser das Buch unnötig in die Länge ziehende Episode mit den Elfen und den beiden Zwergen. Diesen Platz hätte man auf den Charakter des Markgrafen verwenden können, der nur selten glänzt und oft inkonsistent als dümmlich die Zwerge vergrätzender Tyrann dargestellt wird, was nicht zu der nachvollziehbareren Darstellung seiner klugen Berater wie Agrathan und Shoudra passt, denen Salvatore wohl einen Maulkorb verpassen musste, um ihren Herren unberaten ins Verderben rennen zu lassen.

Unpassend zu dem derben, einfachen Humor ist auch der leidige Versuch, Drizzt und seinen Gefährten tiefere Gefühle verleihen zu wollen. Bei diesem kampflustigen Haufen wirken tiefenpsychologische Erklärungsversuche einfach nur lächerlich, zum Beispiel rettet Wulfgar seine ehemalige Liebe Catti-brie, die nun die Gefährtin von Drizzt ist, wofür Drizzt ihm dankt, was ihn aber beleidigt, weil es unter Gefährten ja selbstverständlich ist und es so wirkt, als wäre das, was er getan hat, mehr, als er von ihm erwarten könne. Inklusive der Befürchtung, Wulfgar könne wieder ein Auge auf Catti-brie werfen … Mit diesen Liebesgeschichten und Wulfgars Alkoholproblemen hat Salvatore einige seiner schlechtesten Romane verbrochen, warum wärmt er diesen alten Käse also noch einmal auf, er stinkt zum Himmel.

_Unterm Strich …_

Nach dem überzeugenden, humorvollen und gelungenen Auftakt enttäuscht das Ende leider sehr, ein Rückfall in bekannte Unarten. So leuchtet es nicht ein, wie fünf Frostriesen Drizzt weit vom Kampfgebiet wegjagen können, hat er doch schon ganz andere Monster mit dem Dönermesser zu Konfetti verarbeitet. Leichtgläubig scheint der Elf auf seine alten Tage auch zu werden – stammt nicht von ihm auch der Spruch, er glaube nicht an den Tod einer Person, solange er nicht ihre Leiche mit eigenen Augen gesehen habe, und selbst dann gäbe es unter Umständen noch Zweifel? Bruenors Helm und ein Haufen Steine überzeugen ihn jedenfalls, dass alle mausetot und erschlagen sind.

Schade, einige hundert Seiten weniger, ein überzeugenderes Ende und der Roman hätte fast wieder an alte Ruhmeszeiten anschließen können. So ist er zwar empfehlenswert, aber auch nur für Fans der Vergessenen Reiche, als Einstieg ist er schon wieder viel zu komplex, trotz der verlockenden „Orks“ im Titel. Auf ganzer Linie überzeugen können jedoch Lektorat und Übersetzung, Regina Winter hat sich bis auf einen kleinen Lapsus (Aegis-fang statt Aegisfang für Wulfgars Hammer) keinerlei Fehler geleistet und den Roman sehr flüssig und gut zu lesen übersetzt, was besonders bei den lebendigen Diskussionen der Orks und des Alchemisten mit Elastul angenehm auffällt.

Trotz der Wermutstropfen ist „Die Invasion der Orks“ ein kurzweiliger, unterhaltsamer Fantasyroman für Rollenspieler. Zwar, wie nicht anders zu erwarten, kein anspruchsvolles Meisterwerk, aber ein Schritt in die richtige Richtung und ein Beweis dafür, das Salvatore nicht umsonst der Altmeister der Vergessenen Reiche ist.

Ekkehard Sauermann – Neue Welt-Kriegs-Ordnung

Der Autor des Buches, auf das nachfolgend Bezug genommen wird, ist Professor an der Humboldt-Universität in Berlin und seine Arbeit ist die wohl erste wirkliche politische Analyse der neuen Weltlage nach den Attentaten auf das World Trade Center, das als Standard- und Nachschlagewerk bezeichnet werden kann.

Die neue Weltordnung beginnt nicht mit den Anschlägen, sondern lange zuvor. Erstes Zeichen ihrer Effektivität war allerdings der Jugoslawienkrieg, wo die völkerrechtswidrige Komplizenschaft anderer Staaten von den USA erfolgreich eingefordert wurde und auch das heute noch funktionierende personifizierte antiserbische Feindbild vom „Diktator Milosevic“ aufgebaut wurde. Mit dem Verfahren gegen ihn ging es der USA vor allem darum, nachträglich eine Legitimation für den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien zu erhalten. Zum anderen wird eine Verurteilung von Milosevic und anderen jugoslawischen Repräsentanten als Kriegsverbrecher ein Zeichen für die Zukunft setzen: Den Repräsentanten aller Staaten, die sich den USA in irgendeiner Weise entgegenstellen, wird damit vor Augen geführt, auf wessen Seite in jedem dieser Fälle das Recht ist, wer im Rahmen der „Neuen Weltordnung“ über das Völkerrecht bestimmt und mit welchen Nachdruck dieses „Recht“ gefunden und vollstreckt wird. Dass Milosevic und seine Staatsorgane die ihm von der NATO und der Bundesregierung angehängten Verbrechen größtenteils gar nicht verübt haben, will bis heute niemand wirklich wissen.

Auch nach dem Inferno vom 11. September standen die Täter innerhalb von Minuten fest. Und obwohl die US-Regierung bis heute der Öffentlichkeit jeden Beweis für ihre Behauptung, Bin Laden sei es gewesen, schuldig geblieben ist, bestreitet die Friedensbewegung auch dieses Mal die Schuldzuweisung nicht, sondern ruft wieder nur nach anderen als militärischen Waffen zum gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen Feind. Nachhilfeunterricht für die westlichen Bevölkerungen wäre dringend angeraten.

Nach dem Scheitern des Kommunismus sind natürlich die Ideologien des Islam die einzigen nennenswerten Kräfte, die sich der neuen Ordnung der globalisierten Welt – mit Amerika an der Spitze – entgegenstellen. Verschärft wird das Ganze von Ideen wie denen Huntingtons, der die Nachfolge von Oswald Spengler angetreten ist. Dieser war zwar kein Nationalsozialist, gehörte aber zu den geistigen Wegbereitern des Nationalsozialismus. In seinem „Untergang des Abendlandes“ ging er von acht Hochkulturen mit eigenen Zivilisationen aus, zwischen denen keine Verständigung oder Übergänge möglich seien. Deswegen sah er nur die Möglichkeit des Krieges als ewige Form höheren menschlichen Daseins und Deutschland wurde damals die Rolle zugewiesen, die letzte Entscheidungsschlacht für das Abendland zu führen.

Huntington setzt bei solchen Kulturmodelle an und befindet, dass der Westen kein heutiges Problem mit gewalttätigen islamistischen Minderheiten hat, sondern dass das Christentum und der Islam bereits seit 1400 Jahren im Krieg miteinander stünden. Der Konflikt liegt aber in der Ähnlichkeit der monotheistischen, missionarischen gemeinsamen Merkmale, in denen kein anderer Glaube gestattet ist. Die analogen Konzepte des „Dschihad“ und des „Kreuzzugs“ unterscheiden diese beiden Religionen zusammen mit dem Judentum von allen anderen Kulturen.

Die seit der Kolonialisierung Arabiens sich immer mehr zuspitzende Lage eskalierte endgültig mit der Einmischung des Westens in den afghanischen Bürgerkrieg durch die Sowjetunion und das militärische Engagement der USA im ersten Golfkrieg 1990/91, wo diese in einem inner-islamischen Konflikt intervenierte. In Huntingtons „Kampf der Kulturen“ geht es allerdings dennoch auch um machtpolitische und ökonomische Interessen. Der Golfkrieg war der erste um Ressourcen geführte Krieg zwischen Kulturen nach dem Kalten Krieg. Es ging darum, ob der Großteil der Erdölreserven der Welt von der saudi-arabischen und von Emirats-Regierungen kontrolliert würde, deren Sicherheit von der westlichen Militärmacht abhing, oder von unabhängigen antiwestlichen Regierungen.

Der im Kampf der Kulturen erscheinende islamische Fundamentalismus muss natürlich als Ergebnis der Begegnung mit dem Kolonialismus und Neo-Kolonialismus gesehen werden. Er steht am Ende der geschichtlichen Wirkung der ehemaligen Kolonialmächte und des Westens der letzten rund 150 Jahre, in denen das „islamische Haus“ gründlich umgeräumt wurde. Das Feindbild vom „Islamischen Fundamentalismus“ ist nur möglich, da der Islam als statische Religion und Kultur im Sinne von Rückständigkeit und Barbarei gesehen wird und die Einwirkung des „Westens“ als Vermittlung der „Moderne“. Das ist aber nicht tatsächlich so, denn es gibt in der arabischen Welt auch Marxisten, revolutionäre Demokraten, linke Liberale usw., und diese sind immer der eigentliche Feind der USA gewesen. Gegen diese Kräfte wurde der islamische Fundamentalismus durch die USA mobilisiert und aufgerüstet.

Die Militarisierung des islamischen Fundamentalismus ist eine besondere Leistung der Führung der USA in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gewesen. Auch die israelische Führung hatte den Islamismus, speziell die |Hamas|-Bewegung, zunächst begünstigt, weil sie die Hauptgefahr in den nationalistischen Kräften der PLO sah. Der israelische Geheimdienst Mossad hat in diese Richtung eine Reihe verdeckter Operationen durchgeführt und islamische Gruppen in einem solchen Ausmaß durchsetzt und unterwandert, dass – gerade auch in der Gegenwart – schwer auszumachen ist, wer die eigentlichen Drahtzieher terroristischer Aktionen von Palästinensern sind. Hier muss die gleiche Frage gestellt werden wie beim Anschlag vom 11. September, wer die eigentlichen Nutznießer sind. Die Rolle von Mossad und CIA bleibt immer verschwiegen.

Die alten Kolonialstaaten verteidigten – trotz UNO und Völkerrecht – das „Besitzrecht“ an ihren Kolonien, und die Länder der „Dritten Welt“ konnten ihr von der Weltgemeinschaft formal verbürgtes nationale Existenzrecht nur durch entschlossenen Widerstand durchsetzen. Die Rechtfertigung für barbarische Bombenkriege mit völkerrechtlich geächteten Splitterbomben gegen eine elendes und zerstörtes Land wie Afghanistan, das keinen Krieg erklärt hatte und überhaupt keinen Krieg führen wollte und sich auch kaum wehren kann, ist eine schwierige Aufgabe. Deswegen wird solch ein Land dann zum Hort von etwas außergewöhnlich Bösem gemacht, das die ganze Welt in tödlicher Weise gefährdet. Dieses Böse macht man in einer Person fest: Osama Bin Laden. Dieser wird von den |Taliban| beschützt und diese wiederum regieren über das afghanische Land. Also wird mit allen Mitteln das Land zerbombt, um die Taliban zu vernichten und damit wird auch Bin Laden getötet. Und dann hat man sein weltweites Netzwerk vernichtet. Ziemlich simpel, solche absurden Rechnungen.

In der Realität hatte Bin Laden nur eine geringe Rolle bei den Taliban gespielt und wurde von den USA zur Hauptfigur aufgewertet. Pervers ist natürlich, dass die Taliban in heutiger Form von den USA gegründet wurden, die mit CIA und Pakistans ISI den afghanischen Dschihad in einen globalen Krieg aller islamischen Staaten gegen die Sowjetunion verwandeln wollten. Der islamische Dschihad wurde von den USA und Saudi-Arabien zu einem bedeutenden Teil mit den Fonds finanziert, die der Drogenhandel im Goldenen Halbmond abwarf. Die US-Waffenlieferung an die Mudschaheddin wurden kontinuierlich erhöht und die CIA spielte bei der militärischen Ausbildung die Schlüsselrolle.

Es geht nicht nur ums Öl, sondern auch um den internationalen Drogenhandel, zwei Drittel des Opiums im Wert von mehreren Milliarden Dollar werden dort produziert. Mit diesem Drogenhandel wurden auch die Bosnische Moslemische Armee und die Kosovo-Befreiungsfront UCK finanziert und ausgerüstet. Auch in Tschetschenien wurden die Hauptführer der Rebellen, Schamil Basajew und Al Khattap, in CIA-geförderten Lagern in Afghanistan und Pakistan ausgebildet und indoktriniert. In grausamer Ironie wird aber der islamische Dschihad von der Regierung Bush als eine Bedrohung Amerikas dargestellt und für die terroristischen Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon verantwortlich gemacht. In der Realität sind dieselben Organisationen aber das Schlüsselinstrument der militärisch-geheimdienstlichen Operationen der USA auf dem Balkan und in der früheren Sowjetunion.

Der islamische Fundamentalismus in Gestalt der Taliban ist natürlich zu verurteilen. Er war das strengste islamische System in unserer Welt. Vor allem Frauen wurden unterdrückt wie nirgends. Sie durften ihre Häuser nicht verlassen, weswegen 25.000 Familien von Kriegerwitwen den Hungertod starben. 80 Prozent der Afghanen gehören allerdings der sunnitischen |Hanafi|-Sekte an, der liberalsten aller vier sunnitischen Schulen. Das Glaubenssystem ist dezentral organisiert. Seit Jahrhunderten wollte der traditionelle afghanische Islam deswegen ein Minimum an Staat. Auch sind die Sufi-Orden recht bedeutend, die sich schon seit dem Mittelalter in Reaktion auf Autorität und Gesetz bildeten. Die afghanischen Mullahs waren nicht dafür bekannt, dem Volk den Islam aufzuzwingen und haben sich 1979 auch nicht den radikalen Mudschaheddin-Parteien angeschlossen. Der Durchbruch des islamischen Fundamentalismus Afghanistans kam nicht aus der Historie des Landes, sondern vornehmlich aufgrund der US-Tätigkeiten.

In den Kämpfen gegen eine vom CIA militarisierte Taliban hatte die traditionelle islamische Führerschaft allerdings keine Chance und verlor die zahlreichen Bürgerkriegskämpfe innerhalb des Landes. Es war wie überall in der arabischen Welt. Der Genius der frühen muslimischen-arabischen Zivilisation – die multikulturelle und multireligiöse Vielfalt, die Vielvölkerei – wurde durch eine brutale Diktatur mit engstirniger Theologie, gegründet durch den Westen, ersetzt. Damit die USA dann diese Stellung ins Gegenteil verkehren und zum Beginn eines weltumspannenden Krieges zu machen konnten, mussten sie alle Elemente der Wahrheit herausfiltern, entfernen und ins Gegenteil umformen.

Wenn man jeden anklagte, der Bin Laden gefördert hat, dann würden die USA in enger Verbundenheit mit Saudi-Arabien und Pakistan auf der Anklagebank ganz vorne sitzen und die Taliban nur am Rande. Bin Laden zu finden – tot oder lebendig – war der größte und kostspieligste Misserfolg in der bekannten Militärgeschichte, geprägt von ungewöhnlicher Dummheit, Peinlichkeit und Lächerlichkeit und – angesichts der sinnlosen Vernichtung unschuldiger Menschen und ihrer Existenzgrundlagen – von äußerster Gewissenlosigkeit und Brutalität. Wenn es aber wirklich darum gegangen wäre, die entscheidende Brutstätte von Bin Laden zu treffen, dann hätten die USA Pakistan bombardieren müssen.

Tatsächlich schien der ehemalige CIA-Mann Bin Laden 1998 umgekippt zu sein, indem der den Dschihad gegen Amerika ausrief und versuchte, einen Dachverband „Internationale islamische Front für den Dschihad gegen Juden und Kreuzritter“ zu organisieren. Deren Manifest orientierte sich allerdings auf Aktionen im arabischen Raum, dessen islamische heilige Orte seit Jahren von den USA besetzt sind und dessen Reichtum geplündert wird. Auf diese Organisation aber bezieht sich interessanterweise das Feindbild der USA gar nicht, sondern sie wählten stattdessen ein ominöses Netzwerk „Al Quida“. Irgendwie scheint das bedrohlicher zu klingen, obwohl die Übersetzung einfach „die Datenbank“ bedeutet (wörtlich: die Basis von Daten). Hinter einer solchen Datei verbirgt sich für die Amerikaner eine streng geheime Terroristenorganisation. Sachlich ist das völlig abwegig, denn in dieser Datei sind lediglich alle Dschihadisten erfasst, die im Auftrag der USA gegen die Sowjetunion gekämpft hatten.

Unter Fachleuten ist auch die Einflussnahme einer Al Quida wie auch einer „Islamischen Front“ auf die begangenen Anschläge – speziell auch die des 11. September – mehr als umstritten. Vor allem gehört die weltweit funktionierende Kommandozentrale, die in Afghanistan gesessen habe, der Welt der Märchen an. Unsinnig ist es auch, eine Beteiligung der Taliban an internationalen Aktionen zu behaupten. Die Taliban hätten Bin Laden auch ausgeliefert, aber ihre Bedingung, dass ihr Regime dafür anerkannt würde, wurde nicht erfüllt. Der unbedeutende Bin Laden war längst zur Belastung für sie geworden.

Im Zuge der Neuen Weltordnung gilt es aber auch ebenso, den Blick von diesen Krisengebieten auf die Innenpolitik der westlichen Ländern zu werfen. Bush hat mit einem Ministerium für Heimatschutz und Staatssicherheit (Jahresbudget 38 Milliarden Dollar, über 170.000 Mitarbeiter) ein perfektioniertes Spitzel- und Denunziantensystem geschaffen, wo schätzungsweise 12 Millionen „Heimatschützer“ bei der Überwachung ihrer Nachbarn und Kollegen tätig sind. Nach dem Anschlag 2001 wurden neue Militärgerichte gegen terrorismusverdächtige Ausländer geschaffen. Solche Sondergerichte hat es bisher nur für die Aburteilung von Nazi-Saboteuren im Zweiten Weltkrieg gegeben. Die Öffentlichkeit wird völlig ausgeschaltet. Sie erfährt nicht, wer verhaftet wird (mittlerweile einige tausend in den USA lebende Araber und Angehörige anderer Volksgruppen), und das Strafmaß, der Ort und die Zeit der Verurteilung bleiben verborgen. Die Urteile gehen bis zur Todesstrafe. Während ansonsten bei Militärtribunalen Einstimmigkeit gefordert wird, reicht hier eine Mehrheitsentscheidung zur Verurteilung aus. Mit dieser Verordnung ist ein Standard eingeführt worden, der nur in Militärdiktaturen üblich ist. Die Sondergerichte können weltweit abgehalten werden. Weder Senatoren noch Mitglieder des Repräsentantenhauses wurden vor der Einführung von Bush zu diesen Gesetzen in irgendeiner Weise überhaupt konsultiert.

Eigentlich ist die imperiale Strategie der USA auch darin deutlich zu sehen, dass selbst nach dem Ende des Kalten Krieges amerikanische Truppen im Ausland stationiert bleiben. Nach dem Wegfall des Erzfeindes aus dem Kalten Krieg sind die Amerikaner auf ein monsterhaft konstruiertes Feindbild angewiesen, um die Strukturen zur endgültigen Durchsetzung der Weltvorherrschaft auszubauen. Jedem, der sich bemüht, die Hintergründe zu durchschauen, müsste das alles eigentlich ersichtlich sein. Aber die Manipulierung und Gedankenkontrolle funktionieren, die Masse fällt auf die ihren eigenen Interessen entgegenstehende Politik herein und glaubt an die konstruierten Lügengespinste. Von einem Krieg gegen den Terrorismus zu sprechen ist einfach nur Propaganda, solange der Krieg nicht wirklich gegen den Terrorismus zielt.

Unter Terrorismus versteht man neuerdings auch nur Handlungen, die gegen die USA und ihre Verbündeten begangen werden, die zahlreichen eigenen Terrorakte bleiben ausgeklammert. Diese eigenen Programme basieren auf nationalsozialistischen Vorbildern: Offiziere der deutschen Wehrmacht wurden um Rat gefragt und deren Handbücher benutzt, um weltweit aufständische und rebellierende Gruppen mittels counter-insurgency zu bekämpfen. Diese Aktionen aufzuzählen wäre zu mühsam. Es reicht von Kuba über Nicaragua – wo die illegale Gewalt der USA vom Weltgerichtshof erfolglos verurteilt wurde – bis hin zur Zerstörung der pharmazeutischen Fabrik im Sudan. So grausam der Anschlag aufs World Trade Center auch war, ist er kaum vergleichbar mit viel weiter reichenden Aktionen der USA zuvor.

Nur als Beispiel soll nochmals die Fabrik im Sudan dienen, die 90 Prozent der pharmazeutischen Medikamente im Sudan herstellte und aufgrund deren Fehlen dann nach vorsichtigen Schätzungen bereits innerhalb eines Jahres Zehntausende an den Folgen sterben mussten. Als unmittelbare weitere Folge dieser Bombardierung mussten die Hilfsorganisationen ihre Mitarbeiter evakuieren, weswegen nach Schätzungen der UNO zweieinhalb Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind. Solche Aktionen sind genauso terroristisch und verheerender wie der World-Trade-Anschlag. Der Unterschied ist allerdings, dass die Täter bekannt sind.

Wenn sich die Bürgerrechtsbewegungen angesichts der 11.-September-Attentate mit Kritik und Aktionen weiterhin so zurückhalten, verstärkt sich nur mehr der Kreislauf der Gewalt und sie helfen zudem den reaktionärsten Gruppen im politisch-ökonomischen Machtsystem, deren Pläne durchzusetzen, die der amerikanischen Bevölkerung und dem Ausland großen Schaden zufügen und sogar das Überleben der Menschheit bedrohen. Die in den USA herrschenden Gruppen haben den Kräften der „Anti-Kriegspartei“ ohnehin ebenso den Krieg erklärt, da diese der Verwirklichung ihrer aggressiven Ziele weit hinderlicher sind als irgendwelche „Terroristen“. Diese Machthaber haben der Vernunft und dem Gewissen den Krieg erklärt. Alle demokratischen und friedliebenden Gruppen, denen bisher noch nicht offen dieser Krieg erklärt wurde, müssen diese Situation begreifen und dürfen nicht abwarten, bis sie auch unmittelbar betroffen sind.

Die Chance des weltumspannenden Kriegsabenteuers der USA liegt darin, dass sie übertrieben haben könnten. Die Familie Bush hat, wie Mathias Bröckers es aufzeigt, eine sehr merkwürdige Geschichte. Großvater Prescott Bush war Vermögensverwalter von Fitz Thyssen, einem der Hauptfinanziers von Hitler. Prescot wurde 1942 in den USA verurteilt. Georg Bush sen. hat als Chef der CIA in den 70er Jahren Saddam Hussein als starken Mann gegen den Iran aufgebaut. Als US-Präsident zog er gegen ihn in den Golfkrieg. Bush jr. hat das Geld für seine erste Ölfirma in den 70er Jahren von einem Vermögensverwalter der Bin-Laden-Familie erhalten. Im Januar 2001 hatte die frisch installierte Bush-Regierung FBI und CIA angewiesen, alle Untersuchungen in Sachen Bin Laden einzustellen. John O`Neill, Top-Bin-Laden-Fahnder, schmiss daher im Juli 2001 frustriert seinen Job. Er starb als Sicherheitschef im WTC. Dies nur als eines der unzähligen Verschwörungspuzzles.

Jedem ist klar, dass es in den Konflikten vornehmlich ums Öl geht. Die USA sind entschlossen, diese Ressourcen unter ihre Kontrolle zu bringen, potenzielle Konkurrenten auszuschalten, die Region politisch und militärisch für sich zu sichern und Transporte von den Ölfeldern zu den in Frage kommenden Häfen bereitzustellen. Die derzeitige Kampagne wird von einer Fraktion aus der Energiewirtschaft angeführt, zu der die Bush-Familie gehört. Zusammen mit den Rüstungsfirmen hat es diese Gruppierung geschafft, sowohl Bush sen. als auch seinen Sohn an die Spitze wählen zu lassen. Die Leute hinter Bush jun. sind diejenigen, die die amerikanische Administration führen.

Gedeckt durch den Krieg in Afghanistan, haben die USA inzwischen die weitreichende Kontrolle über jene drei islamischen Nationen bekommen, die in der Nähe der kaspischen Ölfelder liegen: Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisien. Die ganze Region ist jetzt unter amerikanischer Herrschaft, sowohl politisch als auch militärisch. Alle potenziellen Konkurrenten, Russland und China eingeschlossen, sind beiseite gedrängt. Damit ist es nunmehr auch möglich, die lange geplante Erdöltrasse durch Afghanistan zu realisieren. Das reicht den USA aber längst nicht. Sie sind es gewohnt, mit militärischer Gewalt und Geld überall abhängige Regierungen zu installieren. Eine Pipeline um den Iran herum ist lang, eine mitten hindurch wäre viel kürzer. Dazu muss nur das Ayatollah-Regime beseitigt und durch eine pro-amerikanische Regierung ersetzt werden. Dies ist ebenso geplant wie es der jetzige Krieg gegen den Irak seit langer Zeit war, für den es keine schlüssigen Argumente gibt. Die Neue Weltordnung steht vor ihrem finalen Durchbruch mit dem Preis des unglaublichen Zivilisationsbruchs. Die „Achse des Bösen“-Liste ist lang und verspricht einen langen Krieg (und auch Atomerstschläge sind kein Tabu mehr, selbst nicht gegen Länder, die selbst nicht über Nuklearwaffen verfügen). Genannt werden als Angriffsziele neben Russland und China auch der Irak (inzwischen geschehen), Iran, Libyen, Syrien und Nordkorea. Pakistan natürlich ebenso, wenn es unsicher würde.

Mit dem Anschlag auf das World Trade Center und der dann verlangten „Antiterror-Allianz“ verschafften sich die USA den Freibrief, den sie benötigten. Mit dieser überraschend aus der Taufe gehobenen „Koalition“ ist ein Modell für die künftige Form der Weltbeherrschung geschaffen worden: uneingeschränkte Dominanz der USA, ohne bestimmte, gemeinsam festgelegte Prinzipien und Regeln – eine Art weltumspannender Absolutismus, wie er in religiösen Phantasien oder reaktionären Utopien beschrieben wird. Der faschistische Staatsrechtler Carl Schmitt hat 1922 in seiner „Politischen Theorie“ definiert: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“. George W. Bush hat diesen über die gesamte Weltgesellschaft verhängt.

Die Souveränität einzelner Staaten wurde prinzipiell aufgehoben, insofern militärische Operationen gegen „Terroristen“ dies erforderlich erscheinen lassen. Die Kampagne gegen den internationalen Terrorismus stellt einen Eroberungskrieg mit vernichtenden Konsequenzen für die Zukunft der Menschheit dar. Dieser von den USA und Großbritannien geführte Kreuzzug verstößt gegen das Völkerrecht und stellt eine Verletzung des Wortlauts der Charta der Vereinten Nationen dar. Er ist nicht nur illegal, sondern kriminell. Er erfüllt den Tatbestand dessen, was bei den Nürnberger Prozessen als schwerstes Verbrechen galt: Verschwörung gegen den Weltfrieden. Die politischen und militärischen Machthaber der USA vergehen sich nicht nur am eigenen Volk und den vom Krieg unmittelbar betroffenen Völkern, sondern auch an jenen, deren Regierungen sie als Komplizen in ihre Kriegsverbrechen einspannen und zu Mitschuldigen werden lassen. Sie vergehen sich an der Weltgemeinschaft, an der Menschheit.

So weit mein Versuch, die politische Faktenlage aufzulisten. Hinsichtlich der Gegenentwürfe zur neoliberalisierten und globalisierten Welt setzt sich der Autor Professor Sauermann aber auch ausführlich mit Kritikern wie Noam Chomsky und Chalmers Johnson sowie mit Bassam Tibi, Samuel Huntington und Hardt/Negri auseinander. Eine mehr als wichtige Studie, gerichtet an alle Menschen auf der Welt, die noch den Mut und die Kraft haben, sich den destruktiven Kräften entgegenzustellen.

Ekkehard Sauermann – Neue Welt-Kriegs-Ordnung
Die Polarisierung nach dem 11. September 2001
579 Seiten, Paperback, |Atlantik| 2002
ISBN 3-926529-43-1

Clive Barker – Hellraiser

Frank Cotton hat auf der Jagd nach dem ultimativen Vergnügen das Tor zur Hölle der Zenobiten aufgestoßen. Sie setzen Lust mit Schmerzen gleich und verschaffen Frank einen unvergleichlichen Abgang. Aber aus dem Jenseits begehrt er die Rückkehr in seine Welt. Seine ihm hörige Schwägerin Julia lockt ihm Menschenopfer in seine Höhle, von denen er sich nährt, bis die Zenobiten bemerken, dass ihnen ein Opfer entkommen ist … Horror-Novelle von bemerkenswerter Intensität, düster, böse, blutig, konsequent auf ein Happy-End verzichtend – eines der besten Werke des sonst gern allzu wortgewaltigen Clive Barker.
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Mace, Stephen – Dem Himmel das Feuer stehlen

„Dem Himmel das Feuer stehlen“ – ein solcher Titel lässt vor meinem inneren Auge Prometheus erscheinen, wie er – dem Verbot des „Allvaters“ Zeus zuwiderhandelnd – das Feuer der Erkenntnis vom Sonnenwagen des Helios stiehlt, um es den von ihm geschaffenen Menschen zu schenken. Der Untertitel „Eine Technik zur Erschaffung individueller Zaubersysteme“ scheint ebenfalls Großes zu verheißen: Hat der amerikanische Magier Stephen Mace hier tatsächlich eine Art richtungsweisendes Modell entwickelt, welches es dem willigen Adepten ermöglicht, ein individuelles, auf ihn persönlich ausgerichtetes Zaubersystem maßzuschneidern? Und falls ja, läuft dies gar auf einen prometheischen Akt hinaus, welcher die schöpferische Kraft den „göttlichen“ Entitäten entreißt, um sie wieder in die Hände des Menschen zurückzulegen?

Um die Antwort gleich vorweg zu geben: Nein, Mace tut etwas ganz anderes. Wer mit dem Titel dieses dünnen Buches aus dem |Bohmeier|-Verlag ähnliche Dinge assoziiert hat wie ich, braucht ab hier eigentlich gar nicht mehr weiterzulesen. Andererseits sind persönliche Erwartungen immer eine recht subjektive Angelegenheit. Lassen wir den Titel also mal außen vor und schauen, was das Buch inhaltlich zu bieten hat.

„Dem Himmel das Feuer stehlen“ ist laut Auskunft des Autors eine Synthese aus den magischen Lehren von Abramelin, Aleister Crowley, Austin Osman Spare sowie der persönlichen Erfahrungen von Stephen Mace selbst. Das Resultat dieser Verschmelzungsarbeit beruht, wie bereits zu Beginn des Buches deutlich wird, auf einem einzigen magischen Paradigma: Dem so genannten „Geistermodell“. Dieses Modell ist bezeichnend für den traditionellen Schamanismus, aber auch (zumindest teilweise) für Magier wie Franz Bardon oder Gregor A. Gregorius, sowie die Magie des |Golden Dawn| und des O.T.O. (vgl. etwa „Schule der hohen Magie“ von Frater V.D.). Es basiert auf der Grundannahme, der Magier interagiere mit real existierenden, externen Wesenheiten. Mace fügt hier noch ergänzend hinzu, dass wir „Geister“, „Götter“ und „Dämonen“ auch als Aspekte unserer Psyche interpretieren könnten. Der inhaltliche Rahmen ist jedoch festgesteckt – daran kann angesichts der im Buch vorgestellten Techniken überhaupt kein Zweifel bestehen. Paradigmenwechsel werden hier gar nicht erst in Betracht gezogen.

Ich werde im Folgenden nicht die praktische Effizienz der einzelnen beschriebenen Techniken bewerten. Ob und inwiefern Magie im Einzelnen funktioniert, ist eine Frage der persönlichen Überzeugung und Erfahrung. Zur Debatte steht allerdings sehr wohl, was Mace verspricht, und was er davon einhalten kann. (Es ist ein beliebter Trick in der Okkultbranche, sich auf vage Andeutungen zu beschränken, um auf kritische Nachfrage hin zu verkünden, der „wahre“ Adept würde sich das Nötige schon von selbst zusammenreimen.) In erster Linie geht es hier also um folgende Leitfragen:

* Ist das von Mace beschriebene Modell in sich schlüssig und kohärent?

* Vermittelt es Inhalte und Techniken, welche in dieser Form neu sind?

* Kann der Leser anhand dieses Modells ein vollständiges Zaubersystem erschaffen, oder benötigt er darüber hinausgehend noch weitere Informationen?

Was mir gleich zu Beginn negativ auffällt: Viele Kapitel sind nur ein oder zwei Absätze lang. Dies führt unter anderem dazu, dass dieses Buch es bei gerade einmal 78 Seiten auf stolze 23 Kapitel bringt. Ich zitiere mal das vollständige (!) Kapitel Nr. 3, „Das Feuer vom Himmel stehlen“:

|“In diesem Essay bieten wir eine Technik an, welche Individuen dazu benützen können, um exakt auf ihre eigenen unbewußten Realitäten zugeschnittene Zaubersysteme zu erschaffen. Indem er unseren Anweisungen folgt, kann der Leser (oder die Leserin) sein unter der Bewußtseinsschwelle liegendes Selbst dazu anregen, seine eigenen Symbole zu entwerfen, um die Kräfte, die er darin findet, darzustellen. Sein Resultat wird in der Essenz eine persönliche Sprache der Kraft sein, eine, die nur für ihn selbst von Bedeutung ist, doch voll Potential, da es seine eigene Seele ist, die sich auf diese Art und Weise ausdrückt.“|

Es geht also um die Erschaffung persönlicher Symbolismen innerhalb des Paradigmas „Geistermodell“, nicht etwa um die „Erschaffung persönlicher Zaubersysteme“. Letzteres würde nämlich implizit voraussetzen, dass jeder Magier mit dem Geistermodell arbeitet. Wenn man davon einmal absieht, besteht aber immerhin noch die Möglichkeit, dass Mace ein paar interessante Anregungen zur Erschaffung persönlicher Riten vermittelt.

Zunächst erläutert Mace, dass Magie a) das Führen eines magischen Tagebuchs und b) hartes Training erfordert. Soweit nichts Neues. Sodann stellt Mace ein Bannungsritual vor, welches ihm vorgeblich durch seinen Lehrer Frater O.T.L. übermittelt wurde. Bei diesem vorgefertigtem Ritual fallen mir spontan zwei Kritikpunkte auf: Zum einen ist es keineswegs erwiesen, dass Bannungsrituale überhaupt notwendig sind (vgl. etwa Frank Lerch). Zum anderen mag es tatsächlich einen bestimmten Glaubenssatz im Unterbewusstsein verankern, wenn man sich regelmäßig vorstellt, man sei von einer Hülle aus weißem Licht umgeben. Weshalb dies aber nun dazu führen soll, „viele der gewohnten Abwehrhaltungen aufzugeben“, ist mir auch nach wiederholter Lektüre nicht ganz klar.

Im nächsten Kapitel, „Beschwörungen“, erläutert Mace, wie ein Magier seine psychische Energie kanalisieren soll, um Veränderungen gemäß seines Willens zu bewirken. Die zu beschwörenden „Geister“ stehen innerhalb dieses Paradigmas für die einzelnen Aspekte der eigenen Psyche. Mace geht hier von einem dualistischen Prinzip aus: Stärke, was gut für dich ist, und schwäche, was schlecht für dich ist. Gerade aus psychologischer Sicht ist diese Strategie jedoch äußerst zweifelhaft. Unsre „schlechten Angewohnheiten“ resultieren nämlich oftmals aus unbewussten Ängsten, Wünschen und Sehnsüchten, welche eigentlich etwas Positives für uns bedeuten. Das Problem ist also eher kommunikativer Natur, weil wir uns in diesen Fällen nicht bewusst machen, was wir |eigentlich| wollen. Anstatt den „inneren Schweinehund“ (wer will schon so genannt werden?) zu exorzieren, sollte man sich also lieber mit ihm symbolisch in Verbindung setzen, um ihn zu befragen, weshalb er sich so verhält, wie er es tut.

Leider stellt sich an dieser Stelle auch heraus, dass Mace sein magisches Modell auf Moralvorstellungen aus der judäochristlichen Mystik stützt:

|“Wenn du Magie benutzt, um ‚zu bekommen‘ (ob Reichtum, deinen Fick oder deine Rache), statt ‚zu erkennen‘ oder ‚einzutauschen‘ oder ‚zu machen‘, wirst du eine Mauer zwischen dir und dem Rest des Universums errichten – zwischen dem Empfänger und dem Empfangenen – und dich auf diese Weise von der Quelle deiner Kraft ausschließen.“|

Auf die Idee, dass auch das individuelle Selbst eine Quelle der Kraft sein kann, scheint Mace noch nicht gekommen zu sein. Da ist es natürlich um so verständlicher, dass er noch kurz zuvor behauptet hat, in der magischen Theorie verschmelze „unser unbewußtes Gemüt letztendlich mit jenem Gottes“.

Die traditionellen Magiesysteme (Mace nennt hier Kabbala, Voodoo und Rosenkreuzertum) haben bei ihren Beschwörungen mit der Technik ritueller Identifikation gearbeitet. Mace stellt als Alternative das Prinzip von Austin Osman Spares „aktivem Vergessen“ vor. Im anschließenden Kapitel folgt dazu noch eine Anleitung zur Sigillenerschaffung gemäß Spares Ideen. Diese Technik wurde bereits in etlichen anderen Büchern |en detail| beschrieben, weshalb ich hier auf eine erneute Wiederholung verzichte.

Im nächsten Kapitel geht es um die „errettende Gnade des Fehlschlags“. Hinsichtlich eines Argumentes muss ich Mace hier absolut beipflichten: Anstatt sich seinen Willen passiv von der Welt aufoktroyieren zu lassen, ist es auf jeden Fall besser, zunächst an sich selbst zu arbeiten. Ansonsten besteht stets die Gefahr, dass Wünsche in Erfüllung gehen, die man bei näherer Betrachtung eigentlich gar nicht gehabt hätte. {Anm. d. Lekt.: Willkommen in der Konsumgesellschaft.}

Ansonsten kommen hier wieder die Moralvorstellungen des Weißlicht-Magiers durch: Handle nie selbstsüchtig, attackiere andere nur zu Verteidigungszwecken usw. Als Beispiel führt er Kollegen an, welche diese Grundsätze missachteten, und danach „Schicksalsschläge“ erlitten. Ich bin überzeugt: Wenn diese Kollegen nicht fiktiver Natur sind, dann haben sie zumindest seine moralischen Prinzipien geteilt. Wer davon überzeugt ist, in magischer Weise „gesündigt“ zu haben, muss sich auch nicht wundern, wenn der Schaden dreifach zurückkommt.

Nachdem die theoretische Basis errichtet wurde, geht es nun an die rituelle Praxis. Mace bekräftigt noch einmal, dass sein Modell auf der psychologischen Ebene arbeite. Die dabei nun folgenden Kapitel über das automatische Zeichnen, das Konzipieren persönlicher Buchstaben, die Astralprojektion, den heiligen Schutzengel, die Todesstellung und die Erstellung von Talismanen haben alle eines gemeinsam: Nach der Lektüre ist man zwar informiert, was die einzelnen Techniken bezwecken sollen, und wer dies in der magischen Historie bereits getan hat, aber wie man dies selbst konkret bewerkstelligen soll, bleibt weiterhin offen. Meist bleibt es bei Anmerkungen wie „lade eine Sigille darauf und meditiere über das Ergebnis“. Mich hat beim Lesen öfter das Gefühl beschlichen, dass Mace mit Vorliebe dann ein neues Kapitel beginnt, wenn es eigentlich zum Kern der Sache kommen müsste.

Ich will nicht abstreiten, dass Maces Beschreibungen der einzelnen Themenbereiche durchaus in sich schlüssig sind, aber für Anfänger sind seine Ausführungen aufgrund der geringen Informationsdichte ungeeignet, und wer sich entweder anderweitig oder autodidaktisch das entsprechende Wissen angeeignet hat, braucht „Dem Himmel das Feuer stehlen“ nicht mehr.

Die abschließenden Betrachtungen von Mace zu Thelema sowie sein „Ritual des Ungeborenen“ sind im Grunde am Thema vorbei geschrieben. Um zu meinen obigen Leitfragen zurückzukehren:

Das Buch ist in einer pragmatischen Sprache gehalten, und grobe logische Schnitzer sind mir nicht aufgefallen. Die Übergänge und Abgrenzungen zwischen den Symbolismen des Geistermodells und seinen psychologischen Grundlagen werden jedoch bestenfalls angerissen. Wirklich neu waren für mich nur die Ausführungen zu einigen Techniken von Spare, was aber vermutlich daran liegt, dass ich Spare bisher noch nicht im Original gelesen habe. Zu den moralischen Überzeugungen von Mace habe ich mich ja oben schon geäußert.

Es heißt zwar „Don`t judge a book by its cover“, aber es ist wohl nicht besonders unfair, wenn ich nach der Lektüre von „Dem Himmel das Feuer stehlen“ sage, dass ich gerne mal ein Buch über die Erschaffung individueller Zaubersysteme gelesen hätte.

Jane Stanton Hitchcock – Hexenhammer

Das geschieht:

John O‘Connell, passionierter Sammler alter Bücher und Handschriften, wird in seinem vornehmen New Yorker Stadthaus ermordet. Tochter Beatrice ordnet die verwüstete Bibliothek und stellt dabei fest, dass ein bestimmtes Buch gestohlen wurde: jener Grimoire – eine Sammlung von Zaubersprüchen – aus dem Jahre 1670, den der Vater ihr erst am Vorabend seines Todes stolz gezeigt hatte. Ebenfalls anwesend war der italienische Antiquar Giovanni Antonelli, ein alter Freund der Familie, der sein eindringliches Interesse an dem Grimoire gezeigt und O‘Connell auf einen Verkauf angesprochen hatte, den dieser allerdings ablehnte. Doch Antonelli ist nicht der Mörder, wie die von Beatrice informierte Polizei herausfindet.

Der joviale Pater Morton möchte die Bibliothek ihres Vaters für das Duarte-Institut erwerben. Am dieser privaten Einrichtung werden angeblich philosophische Studien getrieben. Beatrice ist vorsichtig und gewarnt; Simon Lovelock, ein Antiquar aus New York, hält Morton für einen Lügner und das Duarte-Institut für einen gefährlichen Geheimbund. Dass beides zutrifft, bestätigt Stephen Carson, Beatrices Ex-Gatte, der sich als Journalist in Südamerika aufgehalten hat. Dort ist er auf die Spur einer ultrarechten kirchlichen Geheimtruppe gestoßen, die sich „Defensores Fidei“ nennt und von Inigo Duarte, einem fundamentalistischen Ex-Priester aus dem Kreis um Papst Pius XII., gegründet wurde.

Die selbst ernannten „Verteidiger des (wahren) Glaubens“ haben ihr Hauptquartier in Duartes ‚Institut‘ aufgeschlagen. Von dort planen sie, die Welt von der Sünde zu befreien – mit allen Mitteln, was Mord keineswegs ausschließt! Besonders gefährdet sind Frauen, denn die „Defensores“ haben zu ihrer ‚Bibel‘ den „Hexenhammer“ – ein 1487 verfasstes Handbuch für Hexenjäger – erkoren. Sie blasen zur modernen Hexenjagd und jagen Frauen, die sich politisch und kulturell betätigen und dabei liberale Ziele verfolgen. Noch reichen die finanziellen Mittel nicht, um den ‚Kreuzzug‘ auszuweiten. Deshalb ist der Grimoire für die „Defensores“ wichtig: Es stellt den Schlüssel zu einem gewaltigen Vermögen dar, das einst Nazi-Marschall Hermann Göring heimlich auf ein Schweizer Bankkonto schaffen ließ, wo es noch heute liegt!

Als Beatrice den Grimoire in einem geheimen Versteck findet, begibt sie sich auf die Suche nach der Wahrheit und gerät in eine ungeheuerliche Verschwörung, die die durch die verbotenen Archive des Vatikans direkt in die Fänge der „Defensores“ führen soll …

Sie brauchen die Dunkelheit (oder Dummheit)

Uralte Geheimbünde und ihre Verschwörungen haben seit jeher Konjunktur. Templer, Rosenkreuzer, Freimaurer und Illuminaten stellen nur die Spitze dieses schlüpfrigen Eisbergs dar. Selbstverständlich bedient sich auch die moderne Populärkultur der einschlägigen Vorbilder und vor allem Vorurteile. Wie Pilze, die nur im Verborgenen richtig gedeihen, schießen solche Sekten oder Kulte förmlich aus dem Boden. Heute gehören sie meist der katholischen Kirche an und werden aus dem Vatikan ferngesteuert. Das wirkt ‚realistisch‘ und ist außerdem werbetauglich skandalträchtig.

Zu geheimen Organisationen gehören geheimen Machenschaften = Histörchen über finsteres Treiben hinter den Kulissen der ‚offiziellen‘ Weltgeschichte, wo solche Munkel-Orden angeblich seit ewigen Zeiten die Fäden ziehen. Meist startet diese ‚alternative‘ Geschichtsschreibung mit der Suche nach dem Heiligen Gral, bezieht die Merowinger, später die Tempelritter und ganz sicher die dumpf mythentümelnden Nazis ein. Da über viele frühe Kapitel der Menschheitsgeschichte praktischerweise nicht viel bekannt ist, kann man die Fragmente so zusammensetzen, wie man es gern hätte, und die Lücken mit allerlei selbst gebrautem ‚Wissen‘ füllen. ‚Sachbuch‘-Autoren wie Michael Baigent und Richard Leigh sind durch solche Märchen berühmt geworden

Der König der pseudo-historischen Schaumschlägerei heißt heute Dan Brown. Ihm sollte man keinen Vorwurf machen, denn er will sein Publikum als Romanautor unterhalten. Dass ihm manche/r glaubt, was er sich zu diesem Zweck ausgesponnen hat, ist nicht Browns Schuld. Seinen Job erledigt er jedenfalls ordentlich, was sich von Jane Stanton Brown ganz sicher nicht behaupten lässt.

Böse Männer – weise Frauen

Adolf Hitler bekommt seinen obligatorischen Gastauftritt im „Hexenhammer“, mit dem Hitchcock ihre Version der Schauermär von den Schattenmännern präsentiert. Sie hat sich sichtlich Mühe gegeben, ist tief in einen Sumpf unbewiesener Mythen, Halbwahrheiten und Lügen hinabgestiegen und hat aus dem, was sie dort fand, ein wüstes aber zunächst packendes Garn gestrickt, dem die kurze Inhaltsangabe nicht annähernd gerecht werden kann.

Leider mochte sich die Autorin nicht auf den Unterhaltungswert ihrer Komplott-Story verlassen: Eine ‚Botschaft‘ musste her, um das Werk aus den Untiefen schnöder Kolportage hinauf in die lichten Gefilde ‚richtiger‘ Literatur zu ziehen. Hitchcock fand sie nach einem Salto rückwärts in die feministische Steinzeit, indem sie die Hexenverfolgungen des Mittelalters und der frühen Neuzeit als patriarchalischen Vernichtungskrieg der Männer gegen die Frauen umdeutet, der diese von den Schalthebeln der Macht fernhalten sollte. Den „Hexenhammer“ erhebt sie zum Manifest dieses Hexen-Holocaustes.

Nun hat die „Vernichtung der weisen Frauen“ – so der Titel eines in den frühen 1980er Jahren zum Bestseller avancierten Sachmärchenbuches – als monokausale ‚Erklärung‘ der Hexenjagden längst ausgedient. Doch ein harter Kern verblendeter Brachial-Historiker, die Geschichte nicht deuten, sondern mit subjektiv ausgewählten und interpretierten Fakten nach eigenen Vorstellungen inszenieren, wollen von der lieb gewonnenen Chauvinisten-Verschwörung nicht lassen – und genau diesen ist Hitchcock auf den Leim gekrochen. Sie geht sogar noch weiter und sieht „die Männer“ – aus ihrer Sicht offensichtlich ein isomorpher Haufen, der bei konspirativen Treffen – wohl auf verschwiegenen Fußballplätzen oder vielleicht im Internet – regelmäßig seine Ränken schmiedet und auch heute noch im erbitterten ‚Kampf‘ (sie meint dies buchstäblich!) gegen die Frauen steht.

Triumph des Willens (und der Lächerlichkeit)

Aber Hitchcock weiß Rat, wie frau sich behaupten kann: Sie muss dem Vorbild der Hexen folgen und die urzeitliche Kraft des ewig Weiblichen neu entfachen! Beatrice, die graue Maus, entdeckt denn auch bald „die Wölfin“ in sich – und siehe! Nun ist sie frei – frei, sich einen feurigen Latin Lover von der Straße fürs Bett zu fangen oder einem degenerierten italienischen Adligen mit der Rute den welken Arsch zu gerben: Rollen also, über die sich die „starke Frau“ der Gegenwart nach Hitchcock definiert.

Ein erster Gipfel der Peinlichkeiten wird erklommen, als Beatrice in einem Sado-Maso-Laden ein Lack-und-Leder-Kostüm erwirbt, um so als „Hexe“ (sic!) verkleidet ihrem Ex- und bald-wieder-Ehemann im Schlafzimmer entgegenzutreten. Der Schreck über diesen Anblick fährt Stephen tüchtig ins Gemächt, was sich ungünstig auf die geplante Liebesnacht auswirkt. Beatrice findet Trost in der Vorstellung, dass wohl der Schock, statt des ‚Weibchens‘ plötzlich einer ebenbürtigen oder sogar überlegenen ‚Frau‘ gegenüberzustehen, Stephens Lenden lähmte, ohne dass ihr bzw. ihrer geistigen Mutter auch nur der Gedanke kommt, sie habe sich durch den halloweenesken Auftritt, bzw. die bonsaipsychologische Deutung der Situation doppelt lächerlich gemacht.

Der „Hexenhammer“ fällt im letzten Drittel endgültig vom Stiel. Das große Finale Nr. 1 in den Gewölben der modernen Inquisition – nun in den Vereinigten Staaten beheimatet – ist derartig lächerlich misslungen, dass man sich für die Autorin fremdschämen muss. Schäumende Irre im Taumel sadistischer Frauenmartern, dazwischen die Heldin, die ihren Peinigern zwischen Streckbank und Scheiterhaufen hoch erhobenes Hauptes die Leviten liest, während praktisch jede Person, die bisher im Roman Erwähnung fand, plötzlich unter einer Kapuze (männlich) oder vor dem Tribunal (weiblich) der „Defensores“ zum Vorschein kommt.

Letzte Bausteine zur Vollendung des perfekten Machwerks

Finale 2 – der Schurke wird gestellt – mutet in seiner konsequenten Meidung von Logik und Spannung wie eine Parodie auf die alten James Bond-Film an. Aber Hitchcock meint es offensichtlich durchaus ernst; sie ist ohnehin außerstande, der schon lange in Demenz dahintaumelnden Story noch einmal Leben einzuhauchen.

Die drastischen Schwächen der Handlung werden durch Hitchcocks kümmerliches schriftstellerisches Talent und – in verhängnisvoll logischer Konsequenz – die Figurenzeichnung unterstrichen. Wo die betuliche Umständlichkeit zunächst sehr gut zum Kosmos etwas weltfremder Buchsammler und Antiquare passt, versagt die Autorin sogleich, wo sich der Handlungsbogen über die ganze Welt zu spannen beginnt. Die angeblich so furchtbaren „Defensores“ erheben sich nie über Butzemann-Niveau. Pater Morton gibt schmierenkomödiantisch den feisten, bigotten, hinterlistigen Pfaffen, Graf Borzamo den italienischen (oder besser felliniesken) geilen Grafen, Antiquar Lovelock den tragischen Helden als – sic! – „Ritter“, der jeglichem Sex und sonstigen Schweinereien abhold ist und daher überleben darf. Und die Spinne im Zentrum des Netzes … Nun, so einen dämlichen Bösewicht hat nicht einmal Colin Forbes in seiner unsäglichen „Tweed“-Reihe jemals verbrochen!

In welchem Maße die Unerfreulichkeiten auf das Konto der steifen und unbeholfenen Übersetzung gehen, muss offenbleiben. Wie der „Hexenhammer“ in die noble btb-Reihe geraten ist, bleibt unklar. Die inhaltlichen wie formalen Unzulänglichkeiten dieses Machwerks dürften dort eigentlich nicht unbemerkt geblieben sein. Der offensichtliche Erfolg auch in Deutschland lässt indes noch mehr Unbehagen aufkommen: Es gibt einen Markt für solchen Bockmist!

Autorin

Jane Stanton Hitchcock wurde am 24. November 1946 als Jane Crowley in New York City geboren. Als sie 1992 einen ersten Roman veröffentlichte, hatte sie bereits mehrere Drehbücher und Theaterstücke verfasst. Ein erstes Stück („New Listings“) wurde bereits 1968 aufgeführt; Crowley hatte gerade das College abgeschlossen. Ihr erster Thriller („Trick of the Eye“) wurde für einen Edgar Allan Poe Award und einen Hammett Prize nominiert.

Mit ihren zweiten Ehemann, dem Journalisten Jim Hoagland, lebt Hitchcock heute in Washington, D. C.

Taschenbuch: 544 Seiten
Originaltitel: The Witches Hammer (New York : Dutton 1994)
Übersetzung: Christa Seibicke
http://www.randomhouse.de/btb

Der Autor vergibt: (0.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (6 Stimmen, Durchschnitt: 1,33 von 5)

Martin, Jack – Halloween II – Das Grauen kehrt zurück

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind, dort in der kleinen Stadt Haddonfield im US-Staat Illinois? Dr. Sam Loomis ist’s, Psychiater von Beruf und aus Berufung Wächter am Portal der Hölle. Dieses stand bisher hinter den dicken Mauern von Smith’s Grove, der Anstalt für geisteskranke Kriminelle, und dahinter lauerte fünfzehn Jahre geduldig Michael Myers auf seine Stunde. Am 31. Oktober 1963 war er im zarten Alter von sechs Jahren zum Schwestermörder geworden, nachdem ein böser Geist aus keltischer Vorzeit in ihn gefahren war; es musste wohl so kommen, ist doch der Tag vor Allerheiligen, Halloween genannt, nichts als das notdürftig christianisierte, aber uralte, im Kern absolut heidnische und grimmige Samhain-Fest, das die Lebenden mit den Toten und Dämonen feiern, die in dieser Nacht auf die Erde zurückkehren dürfen.

Pünktlich zu Halloween 1978 ist Michael Myers zurück in Haddonfield, wo er dort anknüpft, wo er vor anderthalb Jahrzehnten vom Arm des Gesetzes unterbrochen wurde. Durch eine Maske gut getarnt, mischt er sich unter die feiernde Jugend, massakriert drei allzu lebenslustige Teenager und will sich gerade dem vierten widmen, als Dr. Loomis, der seiner blutigen Spur gefolgt ist, dem mörderischen Treiben mit sechs Pistolenkugeln ein Ende bereitet. Doch er hat sich zu früh gefreut; während die junge Laurie Strode, Michaels letztes Opfer, verletzt ins Haddonfield Memorial Hospital transportiert wird und die überforderte Polizei des Ortes im Bund mit der Presse die Stadt endgültig in ein Tollhaus verwandelt, muss Loomis feststellen, dass Michael sich auch körperlich zum Unmenschen entwickelt hat: Er ist schon wieder auf den Beinen und meuchelt auch durchlöchert unerbittlich weiter.

Die wilde Verfolgungsjagd wird fortgesetzt und endet im Feuer eines explodierenden Benzintanks, nachdem der Flüchtige dem Kühler eines Streifenwagens in die Quere kam. Doch ist die völlig verkohlte Leiche wirklich die des Michael Myers? Das herauszufinden wird Zeit kosten – Zeit, die der natürlich quicklebendige Maskenmann nutzen kann, sich unbemerkt ins weiter oben erwähnte Krankenhaus zu schleichen. Während der stets misstrauische Dr. Loomis die tranige Polizei noch vor dem Ergebnis der Obduktion zu einer neuerlichen Fahndung bewegen will, tappt Michael bereits durch die Gänge. Er sucht Laurie, um sie ihren verblichenen Freunden hinterherzuschicken. Dafür hat er gute Gründe, die er aus unerfindlichen Gründen, aber zur Freude des Lesers sogar bekannt gibt: In seiner alten Schule hat er sich zwischen zwei Morden die Zeit genommen, ein schönes Bild zu malen, das die 1963 so rüde voneinander getrennte Familie Myers zeigt. Seltsamerweise lassen sich darauf nicht zwei, sondern drei Kinder erkennen. Der entsetzte Loomis erfährt erst jetzt, dass Michael noch eine weitere Schwester hat, deren Identität von den Behörden bisher sorgfältig geheim gehalten worden war. Doch Michael erinnert sich ihrer sehr wohl und rüstet zu einem Wiedersehen der unvergesslichen Art …

Tja, ich denke, wir müssen hier nicht dreimal raten, wer denn besagte Schwester sein könnte. Es zu verraten, heißt allerdings auch den einzigen originellen Gedanken zu enthüllen, mit dem diese missratene Fortsetzung des Horror-Klassikers „Halloween“ von 1978 aufwarten kann. Der unerwartete, aber deshalb nicht weniger spektakuläre Erfolg des Erstlings machte die Rückkehr des Michael Myers unvermeidbar; Hollywood ist da unerbittlich. („Halloween IX“ ist in Vorbereitung …) Drei Jahre dauerte es trotzdem; Zeit genug, sich eine plausible Story auszudenken, sollte man meinen, doch in dieser Hinsicht erwartete das Publikum eine schlimme Enttäuschung – es sollte nicht die einzige bleiben. Für „Halloween II“ nahm nicht mehr John Carpenter, sondern der weitgehend unbekannte Rick Rosenthal im Regiestuhl Platz; für ihn sollte dies das fragwürdige Debüt und der Höhepunkt seiner ansonsten bis heute im B-Movie-, Video- und TV-Bereich dahindümpelnden Karriere sein. Carpenter ist von einer Mitschuld am „Halloween II“-Desaster aber nicht freizusprechen, weil er ein „Drehbuch“ verbrach, das nichts als eine Nummernrevue myerscher Metzeleien präsentiert und diesem fragwürdigen Konzept den im ersten Teil so klug und kundig ins Leben gerufenen Mythos opfert.

Dem Roman zum Film gelingt es indes, das Niveau der Vorlage noch weit zu unterbieten. Zunächst gilt es den Autoren zu verteidigen: Welche Funken konnte Jack Martin aus dem Drehbuch-Desaster „Halloween II“ schlagen? Michael Myers stolpert durch die Nacht und killt, wer ihm dabei über den Weg läuft, während er sein kleines Schwesterlein sucht. Dabei legt er sein Messer bald beiseite und arbeitet mit den Instrumenten, die er am jeweiligen Tatort vorfindet. Weil die Handlung schließlich in einem Krankenhaus spielt, bietet sich Michael eine breite Palette hervorragend zweckentfremdbarer Instrumente, deren Einsatz die Kamera liebevoll in den Mittelpunkt rückt. Für den Splatter-Fan hat das einen gewissen Unterhaltungswert, zumal die Spezialeffekte auf diesem Gebiet auch 1981 schon einen hohen Standard besaßen.

(Dem deutschen Grusel-Freund fiel es lange Jahre schwer, dies nachzuvollziehen, da „Halloween II“ zu den Filmen gehört, derer sich die Zensur – hierzulande euphemistisch „Bundesprüfstelle“, „Freiwillige Selbstkontrolle“ usw. genannt – besonders liebevoll annahm.) Das gilt allerdings nur im Kino oder vor dem Bildschirm, während ein Buch schon ein wenig mehr Substanz verlangt. Das hatte sogar Curtis Richards, minderbegabter Zeilenschinder und Autor des Romans zum ersten „Halloween“-Streifen, begriffen (und sich dann zwecks Erweiterung der Story allerlei hanebüchenen Schwachsinn einfallen lassen, der in dieser Fortsetzung natürlich wieder kommentarlos unter den Tisch fällt).

Martin versucht indessen nicht einmal, das Drehbuch zu einer eigenständigen Geschichte aufzubessern, sondern beschränkt sich auf die lieblos-schlampige Nacherzählung der ohnehin schlichten Handlung. Da rächt es sich wohl, dass Filmroman-Autoren in der Regel nicht nur notorisch unfähig, sondern auch unterbezahlt sind, aber mussten denn schon wieder die arglosen Leser die Zeche bezahlen? (Achtung: Das ist eine rhetorische Frage. Natürlich mussten sie, und sie tun es ja freiwillig immer wieder.)

Die groben Schnitzer der Vorlage stechen in diesem trübsinnig stimmenden (und kongenial übersetzten!) Machwerk immerhin nicht so deutlich ins lektüregelähmte Hirn. Mir persönlich gefällt in Sachen unfreiwilliger Komik Michael Myers‘ weiter oben beschriebener Ausflug in seine Schule am besten. Selbstverständlich ist der einzige Zweck dieser hirnrissigen Episode, Dr. Loomis stellvertretend für uns Zuschauer/Leser auf die verlorene Schwester hinzuweisen und die keltischen Wurzeln des Dämons, der Michael steuert, offen zu legen. Loomis selbst ist bis zur Karikatur des besessenen Wissenschaftlers degeneriert, Laurie Strode wirkt wie ein übrig gebliebener Gast in ihrer eigenen Geschichte, und das übrige Personal wird so rasch von Michael Myers abgeschlachtet, dass dem Verfasser keine Zeit mehr für eine auch nur halbwegs überzeugende Figurenzeichnung blieb. Immerhin sorgt Martin im Vergleich zum ersten Teil für Gerechtigkeit: Michael Myers erwischt nicht mehr nur die ungehorsamen, bösen, geilen Jungs und Mädchen – er killt sie nun alle ohne Ansehen von Rasse, Religion oder Leumundszeugnis.

Es soll dem Leser erspart bleiben, auf weitere Defizite dieses Bändchens hingewiesen zu werden – die Liste wäre gar zu lang und ermüdend. Bleibt noch anzumerken, dass Martin unverdrossen wieder angeheuert wurde, als es darum ging, die „Halloween“-Blutwurst im Jahre 1982 zum dritten Mal aufzuwärmen. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte …

Erik Hornung – Die Nachtfahrt der Sonne. Eine altägyptische Beschreibung des Jenseits

Ägypten war, ist und bleibt faszinierend – gerade für uns Europäer! Schließlich betrachteten schon die alten Griechen Ägypten als Ursprungsland der Weisheit und des Mysteriums. Und die alten Griechen stehen mit ihrem Denken am Anfang des Abendlandes. Ausgehend und weggehend (durch die römische Interpretation) vom griechischen Denken hat sich unser für selbstverständlich gehaltenes Begreifen von Wesen und Wahrheit, von Göttern und Menschen, von Dingen und Sachen, kurz von allem herausgebildet. Durch diese Verbindung des alten Griechentums mit Ägypten wird sich Letzteres vielleicht dereinst als eine der dunkel verborgenen Wurzeln Europas erweisen.

Einen Beitrag für die Suche nach dieser ins Geheimnis hinabreichenden Wurzel ist das Buch „Die Nachtfahrt der Sonne“ des bekannten Ägyptologen Erik Hornung. Wie eigentlich all seine Bücher wendet sich auch diese „altägyptische Beschreibung des Jenseits“ – so der Untertitel – an ein größeres Publikum, dem Hornung die Ägyptologie nahe bringen will. Seiner Ansicht nach sollte Ägypten nicht als ein gelehrtes Thema für den Elfenbeinturm, sondern als inspirierend-kontrastrierender Beitrag zur heutigen Kultur und Sinnsuche begriffen werden (siehe meine [Rezension 238 zu Hornungs „Das geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluss auf das Abendland“). Der Leser darf sich also auf ein Buch freuen, das mit viel Freude an farbiger Schilderung und spannender Erkenntnisvermittlung aufwarten kann.

Mein Eindruck

Das Thema des Buches ist eine erläuternde Reise durch die Welt der beiden frühesten ägyptischen Unterweltbücher des Neuen Reiches – das „Amduat“ und das „Pfortenbuch“. Beide „Bücher“ sind auf Papyrus in Grabkammern und auf Sarkophagen meist königlicher Toter zu finden. Sie wurden dort vor ungefähr dreitausendfünfhundert Jahren aufgezeichnet, wobei das „Amduat“ hundert Jahre älter als das „Pfortenbuch“ ist. Diese Unterweltbücher haben die ägyptischen Vorstellungen vom Jenseits auf eine vorher nie gekannte Weise systematisiert und mit einer Fülle verschiedenster Götter und Wesenheiten ausgestattet, denen wiederum immer komplexere Verbindungen von Attributen zugeschrieben wurden.

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der ägyptischen Gottesvorstellung, dass die Götter ständig neue Aspekte anziehen, der Reichtum ihres Wesens also kontinuierlich zunimmt. Die Götter können für den Ägypter nie in ihrer ganzen Fülle erschöpft werden. Er kann beispielsweise im Skarabäus den Sonnengott Re in seiner morgendlichen Gestalt wahrnehmen oder im Ibis den Gott Thot erblicken, der Gott kann im Anblick dieser Tiere anwesend sein und erfahren werden, aber weder Skarabäus noch Ibis sind der ganze Gott Re oder Thot. Die Gottesgestalten sind für diesen Moment in diesen Tieren da, aber die Tiere werden niemals mit der Gottheit selbst verwechselt. Für das Verständnis der oftmals tiergestaltigen ägyptischen Götter sollte der Leser sich diese Tatsache vor Augen halten.

Auch der Held des vorliegenden Buches kann in Tiergestalt erscheinen bzw. mit einem Tierkopf auf menschlichem Körper. Es handelt sich um den Sonnengott, der als Amun-Re mit Widderkopf und der Sonnenscheibe darüber auftritt sowie als Chepri in der schon erwähnten Gestalt des Skarabäus-Käfers mit der Sonnenscheibe in den vorderen Greifarmen (später gibt es auch Darstellungen mit Menschenleib und einem Käfer als Kopf!). Dieser „heilige Pillendreher“ wird mit der Sonne in Verbindung gebracht, weil er seine Mistkugel in der Erde vergräbt und somit an den Untergang der Sonne am Abend erinnert. Außerdem steigen die jungen Käfer – wie von selbst entstanden – aus dem Sand, worin sie für den Ägypter der Morgensonne gleichen.

Untergang und Aufgang der Sonne sind die beiden Eckpunkte, zwischen denen sich die Handlung der kultischen Bücher abspielt. Die Fahrt der Sonnenbarke durch die Unterwelt, das Totenreich, steht in deren Mittelpunkt. Der Begriff „Amduat“ bezeichnet eigentlich alle Totenbücher – er bedeutet: „der in der Unterwelt ist“, wobei eben der Sonnengott gemeint ist. Das „Amduat“ heißt im Original „Buch des verborgenen Raumes“. Alle Sterblichen müssen sich der Erfahrung des verborgenen Raumes nach ihrem Tod stellen. Die Unterweltsbücher sind aber nicht ausschließlich auf das Jenseits orientiert. Hornung schreibt dazu: |“Wer aber die Sonne auf ihrer täglichen Fahrt begleitet, wirft schon als Lebender einen Blick in jene Tiefe, die in uns beginnt. Deshalb die häufigen Vermerke in diesen Büchern, dass alles, was sie vom Reich der Toten berichten, auch für ‚die Lebenden auf Erden nützlich‘ sei“| (S. 7).

Das Buch hält sich an die Gliederung seiner Vorlagen in zwölf Stunden, die auf acht Kapitel aufgeteilt werden, zuzüglich eines Kapitels über die Quellen und die früheren Jenseitsvorstellungen des Alten Reiches. Bei den jeweiligen Stunden beschreibt Hornung an erster Stelle die Vorstellungen des „Amduat“ und später im Kapitel die des „Pfortenbuches“. Diese zwölf Stunden aber sind nicht nur die Zeit, die wir mit Uhren messen können. Denn diese zwölf Stunden dauern eine „Ewigkeit“. Während der Sonnengott auf seiner Barke durch die Unterwelt fährt, wird er von vielen Göttern, Wesenheiten und den seligen Toten begleitet. Vielen dieser Wesenheiten und insbesondere den Verstorbenen verhilft er durch sein Licht zu einem Leben, das eine Stunde, d. h. ein Menschenalter dauert, bevor sie wieder in die Dunkelheit zurücksinken. Der Sonnengott holt die seligen Toten aus der Verborgenheit in die Unvorborgenheit, stellt sie als Seiende in neues Leben hinein. Drei helfende Götter verkörpern seine Macht: Sia, der „Durchblick“, das „Erkennen“, Hu, das „Wort“, der „Ausspruch“ und Heka, der „Zauber“. Wenn Amun-Re weiterzieht, klagen die zurückgelassenen Wesen um den vorübergehenden Verlust ihres jenseitigen Daseins. Daher ist es ein ausdrücklicher Wunsch des verstorbenen Ägypters, im Gefolge der Sonnebarke mitziehen zu dürfen – teils ganz wörtlich, da die Barke von der unterweltlichen Gemeinschaft über die Untiefen mit einem Seil gezogen wird. Zwischen den „eigentlichen“ Göttern und den seligen Toten wird übrigens nie genau unterschieden.

Doch der Sonnengott zieht weiter, denn er fährt seiner Regeneration entgegen. Damit die Welt der Schöpfung Bestand haben kann, muss sie erneuert werden. Diese Schöpfungswelt aber wird von den Gefahren der Unterwelt bedroht, besonders durch die urweltliche Schlange Apophis. Apophis erscheint nicht als eine normale Schlange, sondern als ein riesiger Wurm ohne Sinnesorgane. Sie ist das Nichtsein selbst, sie verkörpert die Nicht-Welt vor der Schöpfung und damit den bedrohlichen Aspekt des Urzustandes. Ein anderer Urgott dagegen – das Urgewässer Nun – zeigt dessen helfendes Gesicht. Bei der Neugeburt der Sonne ist es Nun, der sie mit seinen Armen aus dem Wasser wieder an den Himmel hebt. Das Nichtsein des Urzustandes wird also nicht nur negativ konnotiert, sondern bildet geradezu die Voraussetzung für die Regeneration der Sonne.

Der erschlagene mumiengestaltige Gott Osiris ist natürlicherweise der Herrscher der Unterwelt. Sein Sohn Horus, der falkenköpfige kriegerische Gott, steht am Steuer der Sonnenbarke. Amun-Re und Osiris verschmelzen auf eine eigentümliche Weise miteinander. Osiris erscheint als Körper und Amun-Re als Ba der Sonne. Der Ba ist der aktive Teil der „Seele“ und wird häufig in Vogelgestalt dargestellt. Das Wort „Seele“ muss hier in Anführungszeichen stehen, weil es nicht mit den christlichen und modernen Konzepten von Seele verwechselt werden darf. Die Bas haben durchaus materielle Bedürfnisse, so dass ihnen beispielsweise im Pfortenbuch Kraut gespendet und Brot gegeben wird. Vom Körper unterscheidet ihn vor allem seine Unabhängigkeit von der Erdenschwere: Er kann sich also in die Lüfte erheben und an jeden Ort gelangen. Zur Verschmelzung von Amun-Re und Osiris bemerkt Hornung auf Seite 95: |“(…) in der Tiefe der Unterwelt vereinigen sich Re und Osiris zu e i n e m Körper und sind voneinander nicht mehr zu trennen, auch wenn sich ihre Verbindung spätestens am Morgen, beim Sonnenaufgang, wieder löst. Und da sich auf diese Weise die Vereinigung von Ba und Körper immer wieder vollzieht, kann man in Re den Ba des Osiris, in Osiris den Körper des Re sehen.“| Nur durch diese Vereinigung kann die verjüngte Morgengestalt der Sonne entstehen. Auch die seligen Toten erlangen ihre Wiedergeburt über diesen Prozess der Vereinigung von Ba und Körper.

Eine wichtige Rolle spielen an vielen Stellen des Buches die Bestrafung der Feinde des Sonnengottes und das Totengericht. Mit den Feinden sind diejenigen gemeint, die im Leben gegen die Ordnung der Maat handelten. Wer hingegen im Leben den Göttern die Maat darbrachte, brauchte sich vor diesen Strafen nicht zu fürchten. So stellt die Darbringung der Maat an die Götter durch den Pharao ein häufiges ägyptisches Motiv dar. |“Maat ist die richtige Ordnung der Dinge, die bei der Schöpfung gesetzt wurde, aber durch Tun oder Sprechen der Maat immer neu errungen werden muss. Sie ist Maß, Ausgewogenheit und Gerechtigkeit (…)“| (S. 24) Außerhalb des Umkreises der Maat regiert das Chaos. Wird die Maat verletzt, tritt eine andere heilige Ordnung, die der Rache, an ihre Stelle, um die Schöpfung zu schützen – eine Ordnung, die für den Menschen aber leidvoll ist. In der Unterwelt bedeutet die Anwesenheit der Maat die Garantie des Fortbestandes der Schöpfung auch nach dem Tode.

Unterm Strich

Erik Hornungs spannender Trip durch die Welten des altägyptischen Jenseits wirft auch den Heutigen betreffende Fragen auf. Wo liegen die Wurzeln unserer abendländischen Kultur? Was sagt es uns, dass wir in Ägypten eine Hochkultur sehen, die den Tod nicht wie die moderne Welt verdrängt und tabuisiert, sondern ihn ins Leben integriert? Können wir eine Bezug zu den Bildern des Mythos und der Götter wiedergewinnen, die dem Ägypter eine Verbindung zu einer höheren Wirklichkeit und einen festlichen Glanz auf seinem Leben schenkten?

Nach dem Willen des Autors soll sein Buch den verschiedensten Lesarten gerecht werden: Die Ideen der alten Ägypter könnten mit dem Verstand erklärt werden, man könne sich an ihrer Poesie erfreuen, sie können als Träume der Psyche, als ein Gang ins Unbewusste oder als esoterische Weisheit verstanden werden. Hornung selbst versucht nachzuvollziehen, was die Ägypter sich bei dieser Bilderfülle dachten. Wie immer versteht er es, den Leser damit zu fesseln. Zahlreiche Illustrationen aus den Unterweltbüchern veranschaulichen auch optisch die erläuterten Zusammenhänge und erleichtern den Zugang zu ihrer Welt. Wer sich nach der Lektüre weitergehend mit diesem Thema beschäftigen will, sei auf die im selben Verlag erschienene Übersetzung der Unterweltbücher („Ägyptische Unterweltsbücher“) von Erik Hornung verwiesen. Vielleicht vermag so mancher Leser den Lauf der Sonne dann mit anderen Augen zu betrachten …

Taschenbuch: 238 Seiten
ISBN-13: 978-3760812007

Vormals Artemis & Winkler Verlag, inzwischen beim Patmos-Verlag.

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (6 Stimmen, Durchschnitt: 1,33 von 5)

Hoffmann, Markolf – Nebelriss (Das Zeitalter der Wandlung 1)

Mit seinem Debüt-Werk „Nebelriss“ liefert Markolf Hoffmann den ersten Teil der phantastischen Trilogie |Zeitalter der Wandlung| ab.

Eine ganze Welt steht vor dem Untergang – oder vielleicht doch nur vor dem Aufbruch in ein neues Zeitalter?

|Gharax| heißt diese Welt, sie umfasst vier Königreiche (Arphat, Candacar, Gyr und Kathyga), ein selbsternanntes Kaiserreich (Sithar) und die Ländereien eines zunehmend unberechenbaren Gildenrates (Troublinien).
Nach Jahren des Friedens sehen sich die Völker Gharax mit einer Gefahr konfrontiert, die nur in den fast vergessenen Legenden der magischen Logen und religiösen Orden Erwähnung findet. |Goldéi| heißen die zweibeinigen echsenartigen Eindringlinge, die ein Königreich nach dem anderen im Handstreich erobern. Die Zauberer und Priester schweigen und glauben in ihrer unermesslichen Arroganz, sie könnten dem Feind entgegentreten und ihn in die Schatten der Legenden zurückdrängen. Nachdem Candacar und Gyr von der Übermacht der Angreifer vernichtend geschlagen sind und der Herrscher von Kathyga vor den goldgeschuppten humanoiden Reptilien sein Haupt gebeugt hat, um seinem Volk ein brutales Massaker zu ersparen, marschieren die Goldéi in Richtung der Grenzen der letzten beiden freien Reiche.

Sithar, dessen naiver und ungesitteter Kaiser Akendor seine Macht an |das Gespann|, zwei machthungrige und intrigante Fürsten des Thronrates, abgegeben hat, war einstmals ein Teil des Königreiches Arphat, bevor es sich im Südkrieg vor 348 Jahren von dessen Herrschaft lossagen konnte. Trotz des tief verwurzelten gegenseitigen Hasses dieser beiden Reiche, wagt es Fürst Baniter Geneder, der ewige Gegenspieler |des Gespanns|, eine Gesandtschaft nach Arphat zu führen, um ein Bündnis mit der grausamen Königin Inthara zu schließen …

In der Kirche Tathrils steht ein Machtwechsel kurz bevor und so erreichen auch hier die Intrigen eine kritische Phase, in der es sich entscheiden wird, welchen Kurs die Priesterschaft in der kommenden Zeit einschlägt. Nhordukael, ein junger Priester und der ergebene Diener des Kirchenoberhaupts, trägt inmitten dieses aufkeimenden Tumults einen Glaubenskrieg in seinem Inneren aus …

An einem anderen Ort wird ein junger Eleve, ein Schüler der Magie, aus der Hand der Goldéi befreit. Laghanos weiß um ihre Pläne, die magischen Quellen, die vor über einem Jahrtausend von dem mächtigen Zauberer Durta Slargin gebändigt und unterworfen wurden, zu befreien. Erreichen die Reptilien ihr Ziel, könnten große Teile der Welt im Chaos der Natur vergehen …

Markolf Hoffmann wurde 1975 in Braunschweig geboren und lebt derzeit als Student der Geschichte und Literaturwissenschaft in Berlin. Schon während seiner Schullaufbahn nahm er an einigen Schreibwettbewerben teil und erhielt sogar den ersten Preis im Literaturwettbewerb des FDA Baden-Württemberg. 1996 absolvierte er sein Abitur und erhielt den Scheffelpreis für hervorragende Leistungen im Fach Deutsch. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit und dem Studium engagiert er sich zudem in Kurzfilmprojekten und war 1998 mit dem Film „Schnittfehler“ (Buch und Regie) im Auswahlprogramm des Internationalen Jugendfilmfestivals |up-and-coming| vertreten. 1999 ging er als Stipendiat des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes für ein Jahr nach London. Der Themenschwerpunkt seines Studienaufenthalts war die |Britische Literatur der 90er Jahre|.
Seine ersten Veröffentlichungen erschienen im Jahr 2003 – die Kurzgeschichte „Ein meisterliches Mahl“ in der Anthologie |Tolkiens Geschöpfe| (Heyne) und die Erzählung „In Poseidons Armen“ in der Anthologie |Matrixfeuer| (|Phönix|-Verlag).

Nebelriss – so nennen die Bewohner eine Schlucht am nördlichen Rande des Hochlands, der Grenze zwischen Sithar und Arphat. Alten Legenden zufolge werden in ihr die Wolken geboren, um dann über die Welt zu ziehen und sie mit Regen zu belohnen oder mit Stürmen zu strafen.
Über diese Schlucht führt die alte Brücke von Pryatt Par, die auch Fürst Baniter Geneder beschreiten muss, um seine Gesandtschaft in das verfeindete Königreich Arphat zu führen.

Markolf Hoffmann nimmt den geneigten Leser mit auf eine atemberaubende Reise, in deren Verlauf er mit seiner leidenschaftlich düsteren Erzählweise eine Welt zum Leben erweckt. Viele liebevoll arrangierte Details, die manchmal wie die Requisiten in einer gemütlichen Taverne anmuten, machen den Reiz dieser bis ins Kleinste ausgearbeiteten Welt aus. „Nebelriss“ birgt ein unvergleichliches Erlebnis für alle Freunde phantastischer Literatur. Seine mitreißende Art und die stilistisch eindrucksvolle Sprache bringen ein literarisches Werk zum Vorschein, welches international seinesgleichen sucht.

Dem Autor ist etwas gelungen, was gerade in der phantastischen Literatur leider eine Rarität ist; er hat eine komplexe und vielseitige Geschichte erschaffen, wie sie sonst nur das Leben selbst zu erzählen vermag. Die Protagonisten, wie auch wichtige Nebenfiguren, zeigen auf ihrem Weg neben ihren Stärken ebenso ihre Schattenseiten und der eine oder andere wächst unerwartet über sich selbst hinaus – es gibt keinen schillernden Helden in einer goldenen Rüstung und genauso wenig finden sich schwarze Drachen auf einem Hort aus purem Gold oder menschenfressende Trolle. Hier geht es nicht um den immerwährenden Kampf zwischen Gut und Böse, vielmehr geht es um eine dem Untergang geweihte Welt, in der die einzelnen Personen ihrer Bestimmung nachgehen, um ihren Platz in der neuen Ordnung zu finden. Bei seinen Figuren hat Markolf Hoffmann großen Wert darauf gelegt, dass sie natürlich erscheinen und eine Konsistenz im Denken und Handeln aufweisen. Aus der Sicht des jeweiligen Charakters erscheint sein Streben gut und richtig, auch wenn es für einen anderen bedeuten mag, dass ihm daraus Unannehmlichkeiten erwachsen oder er gar mit dem Rücken an die Wand gedrückt wird. Selbst die unheilbringenden Goldéi, welche danach trachten, eine längst vergangene Ordnung wieder herzustellen, scheinen ein gerechtes Ziel zu verfolgen – natürlich nur aus ihrer Sicht. Auf Grund dieser menschlichen Züge, der Stärken und Schwächen und der teils eigennützigen Zielen fällt es schwer, einen eindeutigen Sympathieträger auszumachen.

Gestattet mir ein paar Worte zum Buch selbst. Das Cover-Artwork ist wahrlich eine gelungene Arbeit von Christopher Vacher, doch auch wenn es die teils bedrückende Atmosphäre der Geschichte malerisch widerzuspiegeln vermag, so habe ich doch meine Schwierigkeiten, es in einen Kontext zum Roman zu bringen – mag sein, dass es einen Teil des Rochenlandes darstellt oder die |Augen von Talanur| im Yanur-Se-Gebirge in Arphat. Auf jeden Fall macht das Buch allein schon wegen des Einbandes auf sich aufmerksam.
Sollte der geneigte Leser und Liebhaber phantastischer Literatur nun allerdings auf die Idee verfallen, das Buch umzudrehen, um sich mittels des Klappentextes einen Einblick in die Geschichte zu verschaffen, so erfährt er eine herbe Enttäuschung, denn die Art und Weise, wie hier versucht wird, dem potenziellen Leser das Buch schmackhaft zu machen, zielt wohl eher auf die falsche Zielgruppe ab. Ganz oben der unnötige und völlig irreführende Vergleich mit J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“, direkt gefolgt von ein paar allgemein gehaltenen Phrasen, die eher zu einer |Sword & Sorcery|-Reihe passen. Warum nur, lieber |Heyne|-Verlag, erachtest du das, und dann in dieser Form, als unbedingt erwähnenswert? Ich möchte noch auf ein weiteres Manko hinweisen; ich finde es ziemlich schade und auch ein wenig irritierend, dass von außen nichts darauf hindeutet, dass es sich um den ersten Teil einer Trilogie handelt. Auf der Vorderseite finden nur der Verlag, der Autor und der Titel des Romans – nebst einem Verweis darauf, dass es sich eben um einen Roman handelt – Erwähnung und auch auf dem Buchrücken steht nichts von einer Trilogie. In diesem Zuge sei erwähnt, dass wegen des Verkaufs der Fantasy-Reihe von |Heyne| an den |Piper|-Verlag der zweite Teil dieser Trilogie, „Flammenbucht“, – und hoffentlich auch der abschließende dritte Teil – bei Piper erscheint, und zwar zeitgleich mit der Neuveröffentlichung dieses ersten Bandes im November 2004.

Nun aber wieder zu den erfreulichen Seiten dieses Buches, nämlich den ersten. Dort findet der Leser ein Aufstellung der |dramatis personae|, eine Karte der Welt Gharax und die dazugehörige Legende. Da der Roman ohne ein großartiges Präludium direkt ins Geschehen einsteigt, mag die Erläuterung, wer wohin gehört und welches Amt er dort bekleidet, dem einen oder anderen Leser hilfreich sein; ich persönlich liebe derart komplexe Stories und habe sie, während ich mich von der Welt und den Personen habe entführen lassen, nicht benötigt. Bei der Rezension war sie mir allerdings eine große Hilfe, da ich so ohne größeres Suchen die Schreibweise von Orten und Personen nachschlagen konnte. Meines Erachtens ist diese Idee eine angenehme Bereicherung für das Buch. Die Karte entstammt der Feder von Markolfs Schwester, Hjördis Hoffmann, und erlaubt dem Leser trotz ihrer geringen Größe, den Wegen Baniter Geneders und denen der Goldéi geographisch zu folgen.

Und damit kommen wir auch schon zu einem weiteren, wie ich finde, sehr gelungenen und ungewöhnlichen Leckerbissen, den Markolf Hoffmann seinen Lesern bietet: die [Nebelriss-Homepage,]http://www.nebelriss.de die er eigenhändig pflegt. Neben einem reichhaltigen Angebot an Hintergrundinformationen bietet der Nachwuchsautor seiner Leserschaft eine kostenlose Probe seines Könnens. In der Rubrik „Online-Konzept“ hat er eine kurze Vorgeschichte, „Der Preis des Verrats“, in Form eines Briefwechsels verfasst, mit dem der geneigte Leser einen kleinen Einblick in die Welt Gharax und die Bedrohung durch die Goldéi erlangen kann. Der kathygische König Eshandrom hat seinen Ratgeber Pushindra in das Nachbarreich Candacar entsandt, damit dieser den Gerüchten über eine gesichtete Invasionsflotte goldgeschuppter Echsen auf den Grund gehe. In zehn kurzen Kapiteln, die bereits in den Wochen vor der Veröffentlichung von „Nebelriss“ auf der Homepage präsentiert wurden, wird dieser Briefverkehr wiedergegeben.
Ein ähnliches Konzept ist auch im Vorfeld der Veröffentlichung von „Flammenbucht“ geplant.

Abschließend bleibt mir nur noch, euch einige wunderschöne Leseabende mit „Nebelriss“ bei Kerzenschein und einem guten Glas Wein zu wünschen.

Dietmar Arnold/Ingmar Arnold/Frieder Salm – Dunkle Welten. Bunker, Tunnel und Gewölbe unter Berlin

Berlin unten: die frühen Jahrzehnte

Wo‘s finster wird und tröpfelt, dorthin zieht es den Normalbürger normalerweise nicht. Das ändert sich, wenn er (oder sie) glaubt, es gäbe am verschmähten Ort etwas Besonderes zu sehen (oder einzustecken). Dennoch machen sich die meisten Bewohner Berlins wohl selten Gedanken darüber, dass sich unter ihrer großen Stadt eine weitläufige, leere, düstere, verwunschene Welt erstreckt, ohne die sie jedoch gar nicht existieren könnten.

Dabei liegt der Gedanke nahe: Wo viele Menschen auf engem Raum leben, wird dieser rasch knapp und teuer. So weicht man gern unter die Erde aus, wenn dies möglich ist. Schon im 17. Jahrhundert lassen sich entsprechende Aktivitäten nachweisen; eigentlich recht spät im Vergleich zu anderen Städten, doch leider wurde Berlin auf einer ziemlich sandigen Fläche mit hohem Grundwasserstand errichtet, wo das Graben kompliziert wird. Dietmar Arnold/Ingmar Arnold/Frieder Salm – Dunkle Welten. Bunker, Tunnel und Gewölbe unter Berlin weiterlesen

E.-E., Marc-Alastor – Adulator (De Joco Suae Moechae 2)

Mit „Adulator“ setzt Marc-Alastor E.-E. seinen Dark-Fantasy-Zyklus „De Joco Suae Moechae“ fort. Wieder steht sein Antiheld Kriecher im Mittelpunkt, der schon in dem nach ihn benannten Vorgänger [„Kriecher“ 319 mit einem glänzenden Einstand überzeugte. „Adulator“ schließt nahtlos an den Vorgängerband an, ist jedoch keine Sammlung miteinander verknüpfter Kurzgeschichten in Episodenform, sondern diesmal ein zusammenhängender Roman mit ungewöhnlichen, wechselnden Erzählperspektiven. Der Autor nennt „Adulator“ ein Schauerspiel, und damit verspricht er nicht zu viel…

Knapp sechzig Jahre sind vergangen, seit Kriecher die Stadt Innocenz als einen Zufluchtsort für Verfemte und Ausgestoßene gründete. Mittlerweile ist die Stadt verfallen, die einstige Zuflucht wird nur noch von untoten Monstern bevölkert. Denn Fürst Adulator – niemand anders als Kriecher – ernährte sich in seinem Tempel von der Lebensenergie der Bewohner.

Die damals von Kriecher verschonte Elfenkönigin Gvynlane Keridwen hat mittlerweile Zuflucht im Kaiserreich der Menschen gefunden. Sie sendet den Druiden Frater aus, um Adulator um Hilfe zu bitten und erneut in mit ihm in Kontakt zu treten. Denn die Göttin Medoreigtulb hat ihren Vernichtungsfeldzug erfolgreich forgesetzt und droht nun dem dekadent und selbstherrlich gewordenen Kaiserreich mit Krieg, fordert die Herausgabe der Elfenkönigin. Die Menschen unterschätzen die Boshaftigkeit und Finesse Medoreigtulbs, deren Kreuzzug bereits schon etliche Götter zum Opfer gefallen sind.

Kann Kriecher wirklich helfen, baut die Elfenkönigin ihre Hoffnungen auf Sand? Bis Kriecher in Aktion tritt, wird Medoreigtulb schon viel Unheil angerichtet haben, das Leben Gvynlanes wird nur noch von dem Scaintysten (entspricht in etwa einem Templer) Clacharc beschützt, der mit ihr im Netz der Verräter unterzugehen droht.

Die Geschichte ist, wie nach „Kriecher“ nicht anders zu erwarten, angenehm düster und bedrohlich. Die böse Göttin Medoreigtulb fasziniert erneut mit ihrer Verderbtheit, während die das Licht und Hoffnung symbolisierende Elfenkönigin nur von schwachen, zerstrittenen und untereinander intrigierenden, zum Teil bereits auf Seiten der Göttin stehenden Menschen beschützt wird. Der naive Kaiser der Menschen lädt mit ihr quasi den Teufel in seine Hallen ein, und lässt sich von ihm verführen.

Wieder werden zahlreiche neue Charaktere eingeführt, die Welt des Geisterdrachen erweitert. Das hat leider ein wenig den Verlust des Fokus auf Kriecher zur Folge, den ich neben Medoreigtulb für die faszinierendste Figur halte. Stattdessen werden die unheimlich komplexe Welt Praegaia und viele ihrer zahlreichen Figuren wieder nur angerissen, man spürt deutlich: Das hier ist alles nur die Spitze eines Eisbergs, die leider so ein wenig im luftleeren Raum hängen bleibt. Der Leser kann jedoch über ein Schlüsselwort im Roman Zugang zum [Geisterdrachen-Archiv]http://www.geisterdrache.de/ erhalten und so ein wenig mehr über die Welt und die oft nur skizzierten Charaktere erfahren.

„Adulator“ bedient sich einer anderen Erzählperspektive als Kriecher. Aus der Ich-Perspektive des Druiden Frater werden seine Erlebnisse in Innocenz und mit Kriecher beschrieben. Frater steht zu Kriecher in einer besonderen Verbindung, die sich erst am Ende des Romans offenbaren wird und die Geschichte in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt, was gut zum zwiespältigen Wesen Kriechers passt. Auch schlechte, alte Bekannte Kriechers aus seinem Leben als Mensch, wie sein Rivale Colubridas, werden ihm auf Seiten der dunklen Göttin begegnen.

Die hoffnungslos-düstere Atmosphäre ist es, die „Adulator“ auszeichnet. Eine faszinierende, düstere Vielfalt an Wesen, Religionen, Göttern und menschlichen Schwächen, die von der boshaften Medoreigtulb ausgenutzt werden, was für einige geradezu perfide Überraschungen sorgen wird.

Gespannt wartet man ab, wie Kriecher sich entscheiden und weiterentwickeln wird. Ist er noch zu retten oder doch nur einfach ein Mörder ohne Hoffnung? Wie wird die Geschichte enden? So viel sei verraten: Ein Happy-End gibt es genretypisch nicht. Dafür aber einige Überraschungen, die Lust auf mehr machen.

So empfiehlt es sich nicht nur, es ist zwingend erforderlich, den ganzen Zyklus „De Joco Suae Mochae“ zu lesen. Denn sonst verpasst man den die Romane überspannenden Handlungsbogen der Metamorphose Kriechers. Sprachlich ist Marc-Alastor E.-E. der Konkurrenz weit voraus, was seinem innovativen Werk nur gut tut. Für sich kann „Adulator“ gefallen, aber nicht vollständig überzeugen. Ein wenig der undankbare Mittelband des Zyklus, der hoffentlich bald seinen Abschluss mit „Tetelestai!“ finden wird. Künftige Zyklen bieten hoffentlich mehr Einblicke in die faszinierende Welt des Geisterdrachen, umfangreichere Romane würden hier vielleicht Abhilfe schaffen. So wird oft Interesse geweckt und auf ein „Später“ ohne Garantie vertröstet, was ein wenig bedauerlich ist, so hält sich zum Beispiel der namengebende Geisterdrache wieder einmal sehr im Hintergrund.

Das schöne, düster wirkende Cover ist im Stile „Kriechers“ gehalten, insofern verwundert ein wenig die im Buch verwendete Formatierung: Dieselbe Schriftart wie im Vorgänger, nur kleiner, dafür hat man innen und außen einen wesentlich breiteren Rand, was besonders störend auffällt, wenn man Kriecher und Adulator nacheinander liest.

Mit „Adulator“ beweist Marc-Alastor E.-E. erneut sein Talent für atmosphärische, düstere Szenarien mit episch breitem Hintergrund. Wer eine düstere, anspruchsvolle Lektüre sucht, findet wohl kaum eine bessere Alternative in der deutschen Fantasy. Man wünscht sich nur, der Autor würde einmal eine etwas umfangreichere (Adulator hat 328 Seiten) Geschichte in Angriff nehmen, die faszinierende Welt Praegaia schreit geradezu danach, endlich ihre vielen Geheimnisse zu offenbaren.

_Der „De Joco Suae Moechae“-Zyklus:_
[Kriecher 319
(exklusiv über den [Blitz-Verlag]http://www.blitz-verlag.de/ zu beziehen)
Adulator (ISBN 3-89840-482-X)
Tetelestai! (noch nicht erschienen)

Wer mehr über die Welt Praegaia, den Autoren Marc-Alastor E.-E. sowie die Dark-Fantasy-Serie „Geisterdrache“ und ihre Zyklen wissen möchte, wird hier fündig:

http://www.geisterdrache.de/
http://www.marc-alastor.de/
http://www.praegaia.de/

Bitte beachtet auch mein [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=22 mit dem Autor Marc-Alastor.

King, Stephen – Tommyknockers – Das Monstrum

Mitten im schönen US-Staat Maine liegt dort, wo die Wälder tief und die Menschen recht rustikal sind, das kleine Städtchen Haven. Viel los ist hier nicht, die Bürger bleiben gern unter sich, und Touristen verirren sich nur selten in diese Gegend. So gefällt es Roberta „Bobbi“ Anderson, beliebte Autorin viel gelesener Western-Romane, aber privat nach schwerer Kindheit und Jugend in persönlichen Dingen eher auf Abstand bedacht und daher recht zufrieden in der einsam gelegenen Waldhütte eines verstorbenen Onkels hausend. Gesellschaft leisten ihr dort wenigstens zeitweise Jim Gardener, einst ein viel versprechender Dichter und erfolgreicher Universitätsdozent, heute ein ausgebrannter Alkoholiker und ungebremst auf dem Weg in den Untergang, sowie der Beagle Peter, doch Letzterer wohl nicht mehr lange, denn er ist im ehrwürdigen Hundealter von zwölf Jahren eindeutig auf die Zielgerade des Lebens eingebogen.

Bobbi streift nach einem harten Tag hinter der Schreibmaschine (wir schreiben das Jahr 1988) gern durch die ausgedehnten Wälder hinter ihrem kleinen Haus. Bei einem dieser Spaziergänge stößt sie zufällig auf ein merkwürdiges metallenes Artefakt, das harmlos aus dem Boden ragt. Erst neugierig geworden, dann aber erfasst von einem seltsamen inneren Drang, beginnt Bobbi zu graben. Sie legt Teile eines Objektes frei, das offensichtlich riesengroß und rund ist. Obwohl Bobbi es nicht glauben mag, drängt sich ihr die Schlussfolgerung auf, hier auf eine der berühmten Fliegenden Untertassen gestoßen zu sein, die vor vielen, vielen Jahren abgestürzt ist und vom Schutt der Äonen begraben wurde, aber dabei völlig unbeschädigt blieb – außen und vor allem innen …

Was nun tun? Die Frage stellt sich Bobbi nur kurz, denn sie ist längst in den Bann ihres Fundes geraten, der auf unheimliche Art ihr Denken und Handeln bestimmt. Zwar registriert sie durchaus, dass der klapprige Peter sich plötzlich verjüngt, aber das hält sie nicht davon ab, im Wald zu graben … und zu graben … und zu graben. Auch der entsetzte Jim Gardener kann den unheiligen Zauber nicht brechen, als er Bobbi wieder einmal besucht. Das Verhängnis ist längst über Haven und seine Bewohner gekommen: Die „Tommyknockers“, Geister oder Dämonen, die den Menschen der Sage nach des Nachts in böser Absicht auflauern, treten in der Gestalt außerirdischer Untoter auf. Erst ist es nur die unglückliche Bobbi, die Stück für Stück ihren freien Willen verliert, um sich dann in einer aberwitzigen Metamorphose in ein Wesen aus einer anderen Welt zu verwandeln. Dann kommen die Tommyknockers auch über die unglücklichen Bürger des gar nicht mehr idyllischen Haven – und sie planen schon für die Zukunft, um endlich zu vollenden, was ihnen einst misslang: die biologische Unterwanderung und Übernahme der gesamten Menschenwelt …

|“Es war eine Fliegende Untertasse. Sie waren von der Air Force abgetan worden, von denkenden Wissenschaftlern, von Psychologen. Kein Science-Fiction-Autor mit einem Funken Selbstachtung baute eine in seine Geschichten ein … Sie waren der älteste Heuler in einem Buch. Fliegende Untertassen waren mehr als passé; allein schon die Vorstellung war ein Witz, und nur Wirrköpfe und religiöse Exzentriker räumten ihnen überhaupt noch Platz ein, und selbstverständlich die Regenbogenpresse …“|

Klar, dass ein mit allen Wasser der Schriftstellerei gewaschener Vollprofi wie Stephen King da nicht widerstehen konnte und ausprobieren wollte, ob er quasi mit einer auf den Rücken gebundenen Schreibhand das uralte Klischee mit neuem Leben erfüllen konnte. Nun, in gewisser Weise ist es ihm zweifellos grandios gelungen, doch in den Chor der Begeisterung mischt sich die Stimme der Kritik, die da verkündet, dass nicht nur die Tommyknockers schon lange mausetot sind.

Aber Vorsicht: „The Tommyknockers“ entstand bereits im Jahre 1984. Da lagen „Akte X“ und tausend Epigonen noch in der Zukunft. Kings spukiges Alien-Garn ist daher längst nicht so abgedroschen, wie es dem heutigen Leser erscheinen mag. Trotzdem blieb dem Roman schon damals das Wohlwollen der Kritik versagt (nichts Neues für Stephen King). Auch die Resonanz des Publikums blieb verhalten. Das hieß noch lange nicht, dass es sich beim Buchkauf zurückhielt: Auch die „Tommyknockers“ fuhren wieder einmal Rekord-Geldernten ein. Und doch schien dieser Geschichte das gewisse Etwas zu fehlen, das King-Werke wie „Shining“ oder „Salem’s Lot“ (dt. „Brennen muss Salem“) in den Rang ewiger Klassiker erhob.

Was es ist, lässt sich nur nach langem Nachsinnen in Worte fassen. Unvoreingenommen (neu) gelesen, ist „The Tommyknockers“ nämlich eine sehr vergnügliche Tour-de-force durch Science-Fiction u n d Horror, was ja an sich schon gar nicht so einfach ist. Doch King lässt hier etwas geschehen, was er bis dato besser im Griff hatte: Er verschleppt die Geschichte, überfrachtet sie mit überflüssigen Nebenhandlungen und bläht sie dadurch unnötig auf. Daran mussten wir Fans uns nach 1990 leider gewöhnen, denn Kings Romane wurden zunehmend geschwätziger und seelenloser. Nach eigenem Geständnis war dies eine Folge seiner zunehmend schlimmer werdenden Alkohol- und Drogensucht. Nachträglich versteht man natürlich besser, wieso King den quälenden Seelennöten und Delirien des Jim Gardener so viel Spielraum gibt: In gewisser Weise schrieb er gegen ganz persönliche Dämonen an.

Die seltsame Episodenhaftigkeit wird durch die eigentümliche Dreiteilung der Geschichte unterstrichen. Teil 1 schildert die Entdeckung des Raumschiffs durch Bobbi Anderson und führt Jim Gardener ein. Teil 2 – mit Abstand der bessere – wirft einen Blick auf das Kleinstadtleben von Haven, das durch die Tommyknockers einen bemerkenswerten, wenn auch unguten Aufschwung erfährt. Teil 3 leitet zwar das große Finale ein, wechselt aber noch einmal die Perspektive und wirft Bobbis Schwester Anne, den Schrecken ihrer Kindheit, in die Handlung. Das führt zu weiteren, jetzt störenden Verzögerungen: Anne hätte eindeutig früher auftreten müssen, wenn sie nicht überhaupt als Figur überflüssig ist. Jetzt sollte sich alles nur noch um die Apokalypse in Haven drehen, die weiß Gott spektakulär genug ausfällt. Die böse Schwester kann vor dieser Kulisse kein Profil gewinnen, und ihr schauriges, verdientes Ende lässt den Leser kalt.

„The Tommyknockers“ erzählt eine recht zeitlose Geschichte. Auch heute bleibt die völlige Abwesenheit von Handys, PCs oder des Internets praktisch unbemerkt: Selbst wenn es das alles schon 1988 gegeben hätte, wäre es in dieser Story überflüssig gewesen. Eindeutig anachronistisch wirken dagegen die besonders im ersten Teil beschworenen Visionen vom drohenden Untergang der Menschheit durch außer Kontrolle geratende Atomkraftwerke. 1988 waren Tschernobyl und Harrisburgh brutale Gegenwart, die wenig Gutes für die Zukunft hoffen ließ. Die daraus erwachsenden Ängste fanden Eingang auch in die Unterhaltungsliteratur dieser Zeit. Solche Passagen fallen auch heute noch auf, aber sie regen nicht mehr zum Nachdenken an (Sagen denn den Jüngeren unter uns die beiden gerade genannten Ortsnamen überhaupt noch etwas?), weil die Katastrophe dann doch ausblieb. In den aktuellen King-Werken werden uns später ähnliche Anachronismen amüsieren.

Ganz der Alte ist King mit seiner Prämisse geblieben, dass Außerirdische auch nur Menschen (und nicht zwangsläufig die Elite des Universums) sind. Als solche ließ er sie nach 1988 nun schon mehrfach über die Erde herfallen. Mal laden sie High-Tech-Schrott ab und bescheren den neugierigen Findern die Überraschung ihres Lebens („From a Buick Eight“, 2002, dt. „Der Buick“), dann wieder planen sie eine Invasion der etwas offensiveren, aber einfältigen Art („Dreamcatcher“, 2001, dt. „Duddits – Dreamcatcher“) – und manchmal rammen sie eine Fliegende Untertasse unangespitzt in den Waldboden des schönen, aber dank King von Vampiren, Zombies und ähnlichen Unholden ohnehin viel geplagten US-Staates Maine. Die Parallelen zwischen „The Tommyknockers“ und den beiden anderen Werken sind erstaunlich, wenn man sie in kurzem Abstand liest. Sie können mit Fug und Recht als Variationen desselben Themas bezeichnet werden, ohne dass King deshalb ein Vorwurf gemacht werden könnte. Er ist stets der erste (kluger Mann …), der darauf hinweist, dass ihm schon lange nichts wirklich Neues mehr einfällt … eigentlich nie eingefallen ist, denn auch die viel gelobten Frühwerke stützten sich stets auf Genreklassiker. Vampire, Werwölfe, Mutanten: Wenn King überhaupt jemals ein „neues“ Monster erfunden hat, dann den (schon wieder außerirdischen) Gestaltwandler, den er in „It“ (dt. „Es“) 1986 in die dankbare Welt setzte, die offenbar schon auf ihn gewartet hatte: Heute ist man seiner freilich auch längst überdrüssig, nachdem er in viel zu vielen B- und C-Movies sein Unwesen getrieben hat.

Pennywise, der finstere Clown aus „It“ bekommt übrigens auch in „The Tommyknockers“ seinen Cameo-Auftritt, und dieselbe Ehre erfährt David Bright, Rasender Reporter aus „The Dead Zone“ (1979, dt. „Das Attentat“). Die wenigen überlebenden Tommyknockers erleiden ein Schicksal, das man selbst ihnen nicht gewünscht hätte: Sie fallen dem wiedererstandenen „Shop“ in die Hände, den 1980 das „Feuerkind“ Charlie („Firestarter“) in Schutt und Asche gelegt hatte. King liebt es, zwischen seinen Werken solche Verbindungen herzustellen (auch etwas, das er inzwischen übertreibt). Er greift dabei aber auch auf die Schöpfungen von Kollegen zurück; so ist Hugh Crane, der zwielichtige Gründervater Havens, natürlich eine Reminiszenz an den gleichnamigen Erbauer des furchtbaren „Hill House“, dem Regisseur Robert Wise 1962 ein filmisches Denkmal setzte („The Haunting“, dt. „Bis das Blut gefriert“)..

„The Tommyknockers“ wurde inzwischen (und wie die meisten Stephen-King-Geschichten schlecht) verfilmt: 1993 als aufwändig in Szene gesetzter TV-Zweiteiler mit Marg Helgenberger als Bobbi Anderson und Jimmi Smits als Jim Gardener – drei Stunden lähmender Langeweile, die den Zuschauer wünschen lassen, selbst von den Tommyknockers überfallen zu werden, damit das Elend endlich sein Ende hat.

Stephen R. Donaldson – Der Spiegel ihrer Träume (Mordants Not)

Als die ungeliebte und vernachlässigte Tochter reicher Eltern hat Terisa Morgan viel Zeit, sich ausgiebig im Spiegel zu bewundern. Ihre Einsamkeit wird durch einen mittelalterlichen Besucher unterbrochen, der mitten durch einen Spiegel in ihr Zimmer spaziert und sie bittet, ihm doch nach „Mordant“ zu folgen … was Terisa auch tut.

Dort auf Schloss Orison angekommen, traut Terisa ihren Augen nicht: Sie ist im Mittelalter gelandet, Magie gibt es auch – allerdings nur eine einzige Form, die sogenannte Imagomantie. Die Imagomanten Mordants vermögen durch ihre Spiegel fremde Wesen zu erblicken und sie in ihre Welt zu rufen, oder selbst durch den Spiegel an den Ort zu reisen, den sie in ihm sehen.

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