Irland: Mythologie, Religion und Politik

Inhaltsstruktur

* Prolog
* Maeve und der Fluch von Ulster
* Politischer Abriss der Geschichte Irlands
* Interview mit John Anderson (Priester der Church of Ireland)
* Epilog
* Literaturempfehlungen
* Weiterführende Informationen

Prolog

Irland scheint seit Jahrzehnten, wenn nicht schon seit Jahrhunderten, Schauplatz eines christlichen Glaubenskrieges zu sein. Die irische Republik, die gemeinhin als katholisch gilt, erlebt seit vielen Jahren einen Tourismusboom, welcher der Bevölkerung wirtschaftlichen Aufschwung brachte und weswegen den Touristen auch sehr freundlich und aufgeschlossen begegnet wird. In Nordirland dagegen, welches als protestantisch gilt und das noch unter dem Einfluss der englischen Krone steht, besteht im Vergleich zur südlichen Republik geradezu Wohlstand. Dennoch sieht man hier viel weniger Touristen, denn Nordirland gilt als Kriegsschauplatz. Jahrzehnte bombte hier die IRA und trotz des in den letzten Jahren in Gang gekommenen Friedensprozesses beherrschen jeden Sommer, wenn die Märsche der Protestanten und Katholiken stattfinden, die Meldungen von gewaltsamen Anschlägen die Nachrichten.

Der Anlass, dieses eigentlich politisch erscheinende Problem zu behandeln, liegt darin, dass es wichtige Fragen des Christentums berührt.
Kämpfen hier tatsächlich Katholiken gegen Protestanten oder findet in Wirklichkeit etwas anderes statt? [Berthold Röth]http://www.powermetal.de/redaktion/anzeigen.php?redakteur=68 und Katrin Büker führten aus diesem Grund in Nordirland ein Interview mit einem protestantischen Pfarrer.

Zum globaleren Verständnis und zur thematischen Einstimmung erscheint es allerdings sinnvoll, zuvor eine Betrachtung nichtchristlicher Aspekte zu unternehmen. Zuerst möchten wir eine bekannte Legende aus der Mythologie Nordirlands (Ulster) wiedergeben und dann auch, in gebotener Kürze, einen groben Abriss der politischen Geschichte des Landes präsentieren. Nach dem Interview selbst folgt noch eine abschließende Betrachtung der politischen Situation.
Doch nun tauchen wir erst einmal ein in die Legendenwelt des mythenreichen Irlands:

Maeve und der Fluch von Ulster

Maeve ist die heroische Frauengestalt in der irischen Mythologie, die starke, unerbittliche Königin, vor der sogar die Erde erbebt.

Ein starker Prinz und Held des Volkes der Sidhe hielt um die Hand ihrer Tochter an. Der König an Maeves Seite fand diese Liaison gut, doch Maeve war beleidigt, da er nicht um ihre eigene Hand angehalten hatte. Es war die Zeit des Matriarchats und die Frauen konnten offen mit mehreren Männern ihre Sexualität ausleben. Sie stellte hohe, unerfüllbare Bedingungen, die dieser ablehnte. Aufgrund einer Intrige wurde er später von einem von Maeves Ungeheuern, über die sie befahl, schwer verletzt. Er überlebte nur, da ihm Maeves Tochter das Leben rettete. Dreimal fünfzig Frauen seines Volkes kamen ins Gebiet von Maeves Herrschaft, allesamt Priesterinnen und Heilerinnen, und innerhalb einer einzigen Nacht war er genesen.

Es war weiterhin nicht einfach in der Brautwerbung, Maeve blieb kalt und unerbitterlich. Sie zwang ihn – unter dem Vorwand, ihre Tochter zu beschützen – in die Kriegsvorbereitungen gegen das Volk von Ulster unter König Conchubar, da sie den „Braunen Stier von Cuilgne“ begehrte und gewaltsam in ihren Besitz bringen wollte. Dieser war der berühmteste Stier neben dem weißen Stier, den Maeve bereits besaß. Natürlich waren das mehr als gewöhnliche Stiere und sie stehen für die Erinnerung an das Zeitalter des großen Stierkultes. Königin Maeve und der König hatten das, was wir heute Gütertrennung nennen, und Maeves Besitz, die schon als Tochter des Großkönigs in die Ehe gegangen war, war dem ihres Gatten ebenbürtig. Die beiden Heere versammelten sich in der Nähe von Ulster und schon zu dieser Zeit waren die Krieger von Ulster geschwächt, da bereits der Fluch von Macha auf ihnen lag.

Über Macha gibt es zu viele Geschichten. Sie ist eine der großen Kriegsgöttinnen Irlands, die sich immer wieder inkarniert. Ihr besagter Fluch über Ulster geht auf folgende Begebenheit zurück: Müde von all ihrem bisherigen Wirken, ging sie unerkannt zu einem einfachen Mann aus Ulster, dessen Frau verstorben war und ihm die gemeinsamen Kinder zurückließ. Lange Jahre lebte sie im Verborgenen mit ihm und er erkannte mit der Zeit, wer sie wirklich war, schwor aber, es niemanden zu sagen. Eines Tages, als sie von ihm schwanger war und kurz vor der Entbindung stand, ging er alleine zu einem großen Fest des Königs von Ulster und trank zu viel Wein. In betrunkenem Zustand prahlte er, dass seine Frau schneller als alle Pferde Ulsters sei. Er wurde gefangen genommen und mit dem Leben bedroht, falls er nur geprahlt hätte. Macha wurde zum Königshof geschleppt. Sie wollte hochschwanger nichts unter Beweis stellen, aber der König von Ulster war unerbitterlich und forderte den Wettstreit. Macha beschwor das Volk, ihr beiseite zu stehen, aber es gab keinen, der Mitleid mit ihr gehabt hätte. So sagte sie zu, das Leben ihres Mannes zu retten, dafür aber niemals danach wieder zu ihm zurückzukehren. Das Rennen ging in die irische Folklore ein. Sie gewann unter Schweiß und Blut und gebar am Ziel einen Knaben und ein Mädchen – Machas Zwillinge. Sie verfluchte daraufhin alle Männer von Ulster bis in die kommenden Generationen.

Zurück zu den späteren Ereignissen: An der Seite der Männer von Ulster kämpfte gegen Maeve der größte Held der irischen Mythologie, Cuchulain, der kein Sterblicher, sondern der Sohn des Gottes Lugh war. Es war Machas Fluch, der ihn zwang, Ulster allein zu verteidigen.
Und es war ebenso ihr Fluch, der die Männer von Ulster später daran hinderte, ihm zu helfen, als er seinen einsamen Tod fand. Er allein verteidigte die Grenzen von Ulster und immer mehr von Maeves Kriegern wurden getötet. In letzter Auswegslosigkeit bot Maeve ihm die Tochter zum Lohn und diese willigte gegen ihre Herzensgefühle ein, um ihr eigenes Volk zu erretten. Dieser verschmähte sie, aber der Tauschhandel hatte sein Interesse geweckt. Er wollte nun an ihrer Stelle Maeve, die Mutter und Königin, selbst.

Allen möglichen Helden versprach daraufhin Maeve die Tochter zur Frau, wenn sie nur Cuchulain besiegen würden. Der Prinz der Sidhe, der um die Hand der Tochter angehalten hatte, war längst aufgrund all der Konflikte und des nicht endenden Blutvergießens spurlos verschwunden und hatte seine Liebespläne fallen gelassen. Maeves Tochter blieb begehrt, aber sie wollte niemanden und durfte auch nicht, denn sie war dem Willen ihrer Mutter ausgeliefert. Dann kam der Tag, an dem sie sich in einen Feldherrn aus dem feindlichen Ulsterland verliebte. Da kam Maeve ein neuer Schlachtplan in den Sinn. Sie redete ihrer Tochter zu, diesen Mann zu nehmen. Der Plan gelang und der Feldherr war der Tochter über alles ergeben. Er zog seine Heere ab und glaubte daran, wenn der Frieden danach käme, die Tochter heiraten zu können.
Insgeheim hatte aber Maeve auch schon zwölf Königen, die mit ihren Kriegern an ihrer Seite gekämpft hatten, die Tochter zur Frau versprochen, wenn der Sieg und Friede gekommen sei. Als sie das nun gegenseitig erfuhren, ging das Gemetzel um die Königstochter untereinander los. Als die Königstochter das fließende Blut und die Toten unter den Freunden sah und erkannte, dass sie der Grund dafür war, brachte sie sich aus Verzweiflung um.

Die Königin Maeve, heißt es, wurde später unter einer riesigen Steinpyramide auf dem Gipfel des Knocknarra begraben, der, in ganz Sligo sichtbar, bis heute nicht ausgegraben wurde. Die Königsburg von Ulster befand sich im Zentrum Nordirlands. Heute kann man in der Nähe von Armagh den mit Gras bewachsenen Ring einer großen Hügelfestung sehen. Diese wird Navan Fort genannt.

Politischer Abriss der Geschichte Irlands

Die einzige Art und Weise, den Konflikt um Nordirland heutzutage zu beschreiben, ist zu behaupten, es tobe ein Gotteskrieg zwischen Katholiken und Protestanten. Tatsächlich steht aber weder die Missionierung der jeweils anderen Gruppe im Vordergrund, noch streiten Protestanten in Nordirland um die Interpretationen von Enzykliken oder Glaubenssätzen. Obwohl der Konflikt die beiden Glaubensgruppen voneinander abgrenzt, hat er eigentlich keinen religiösen Charakter. Die Katholiken begreifen sich als Iren und wollen eine ganze Republik inklusive ihres Nordens, die Protestanten sehen sich als Briten und fühlen sich Großbritannien zugehörig.

Die Spuren Irlands reichen lange vor das Christentum zurück. Die gälischen Kelten eroberten Irland erst gegen 350 vor Christi. Die vermeintlichen Ureinwohner sind also die ersten bekannten Eroberer. Ab dem 5. Jahrhundert begann der Heilige Patrick das Christentum zu verbreiten und machte aus der Bevölkerung eines der strenggläubigsten Völker der Welt. Einen einheitlichen irisch-keltischen Staatsverband gab es zu keiner Zeit, mehrere Königsreiche bekriegten sich ständig untereinander. Im 12. Jahrhundert landeten die Normannen in Irland, besiegten die Kelten und brachten Irland unter die normannische Krone. Sie vermischten sich aber mit diesen und die keltische Kultur blieb erhalten. Im 16. Jahrhundert versuchte die englische Krone, Irland zu Großbritannien zurückzubringen. Die Kelten und Normannen akzeptierten das, wollten aber nicht die Weise des englischen Christentums übernehmen. Dadurch wurde Irland für Großbritannien zum Einfallstor der Gegenreformation und potenziellen Verbündeten für die Feinde Englands: Spanien und Frankreich. Ab diesen Zeitpunkt waren die Iren zum Spielball zwischen Anhängern und Gegnern der Reformation geworden. Königliche Truppen besiegten zusammen mit loyalen keltischen Stämmen 1601 das Königreich der O`Neills in Ulster, dem heutigen Nordirland. Das Königshaus floh nach Rom und König Elisabeth teilte Ulster unter Siedlern aus England und Schottland auf. Dies waren allesamt reformierte Protestanten. Diese Ansiedlung, die sich von 1608 bis 1610 vollzog, war der Ausgangspunkt der heutigen Auseinandersetzungen. 1641 nahmen die enteigneten (katholischen) Iren Rache an den protestantischen Siedlern und ermordeten mehr als 12.000 Protestanten in Ulster. In England herrschte gleichzeitig Krieg zwischen Krone und Parlament. Die Iren kämpften an der Seite der Krone gegen die protestantischen Siedler, die von Oliver Cromwells Parlamentsarmee unterstützt wurden. Zwischen 1689 und 1691 unternahm der abgesetzte englische König James II. von Irland aus den Versuch, die Macht in London zurückzuerobern. Die Truppen des katholischen James unterlagen in der Schlacht von Boyne 1690 dem protestantischen Wilhelm von Oranien.

Für Protestanten wie Katholiken in Irland ist diese Zeit ein Trauma. Die protestantischen Nachfahren feiern die Siege von Oliver Cromwell und Wilhelm von Oranien noch heute mit den jährlichen Paraden als Rettung vor dem katholischen Genozid; die Katholiken sehen den protestantischen Triumph im 17. Jahrhundert als Beleg für die britische Unterdrückung.

Geschichtlich gesehen, übte die protestantische Minderheit, die „gesiegt“ hatte, tatsächliche Willkür gegen die übrige irische Mehrheit. Diese wurde vom gesamten öffentlichen Leben ausgeschlossen. Die irischen Katholiken lebten fortan am Rande der Gesellschaft, verarmten, litten Hunger und arbeiteten als rechtlose Landarbeiter. Diese drakonische Bestrafung der Iren entfremdete sie dem englischen Königshaus, dem sie bislang loyal gewesen waren. Die englische Krone nahm ihnen 1728 das Wahlrecht. Der Kauf oder die Pacht von Farmland war ihnen verboten. Die Protestanten wurden immer mehr zur gehobenen Klasse, deren Leben sich nicht mehr von denen der Engländer unterschied. Die Katholiken bildeten Geheimbünde, die sich wie einst „Robin Hood“ zu wehren begannen.

1798 beginnt die Geschichte des irischen Republikanismus, als 30.000 Menschen ihr Leben verloren. Wohlhabende Presbyterianer hatten, begeistert von der Französischen Revolution, einige Jahre zuvor eine Bewegung für ein nationales, einiges Irland gegründet. Die Katholiken hatten zu dieser Zeit noch immer kaum Anteil am öffentlichen Leben. Und als England in den Krieg gegen Frankreich trat, sahen diese Iren ihre Chance und nahmen Kontakt zur französischen Revolutionsregierung auf und begannen den offenen Bürgerkrieg. Französische Flotten, die ihnen zu Hilfe kommen wollten, scheiterten wegen der Seestürme und kamen zu spät. Die Rebellion war bereits niedergeschlagen. Den damaligen Iren ging es gar nicht einmal um den Kampf gegen England, es war ein Armenaufstand ums nackte Überleben. Protestantische Iren standen wieder auf der Seite der englischen Armee gegen katholische Iren. Die erste Loge des protestantischen Oranierordens wurde gegründet, ganz Irland gehörte wieder zur britischen Krone. Zwischen 1845 und 1848 war das Elend so groß, dass es zur berüchtigten „Großen Hungersnot“ kam, die für die heutigen republikanischen Iren noch immer der endgültige Beweis englischer Unterdrückung darstellt. Ein Pilzvirus vernichtete den größten Teil der Kartoffeln und die gesunden Kartoffeln wurden allesamt nach England exportiert. Dieser versuchte Genozid brachte einer Million katholischer Iren den Hungerstod.

Zum Kämpfen waren die ausgehungerten Iren nicht mehr in der Lage. Aber in den Jahren danach begann immer wieder neu der Widerstand, der sich bis heute fortsetzt. Zwar errangen sie dadurch politisch auch immer wieder Zugeständnisse, doch diese mussten erkämpft werden. 1912 begannen die nordirischen Protestanten eine eigene Armee, die Unionisten, aufzustellen, die Englands Truppen zur Seite stand. Aber ihnen ging es nicht um die Unterstützung Englands, sondern in erster Linie um die Bekämpfung eines unabhängigen irischen Nationalstaates. Immerhin ging ihnen durch die sozialen Leistungen Englands weiterhin immer besser. 1913 gründeten daraufhin die Katholiken im Prinzip die heutige IRA.

1914 stand Irland erneut vor dem Bürgerkrieg. Der Kriegsausbruch zwischen England und Deutschland verhinderte dies. Beide irische Seiten stellten sich auf die Seite Englands. Die Katholiken erhofften dafür Belohnung und Autonomie. Als es klar wurde, dass das fruchtlose Phantasien bleiben, wechselten sie schnell das Lager und nahmen Kontakt zur deutschen Reichsregierung auf. Die Deutschen versprachen Waffenlieferungen. Die Iren begingen wieder offenen Aufstand und verloren erneut, die Waffen kamen nicht rechtzeitig an. 1916 wurden die Führer des Widerstandes in Dublin hingerichtet. Mittlerweile durfte aber wieder gewählt werden und die irischen Nationalparteien eroberten ihre demokratischen Sitze. Die Sinn Fein war auf Erfolgskurs. Die Mehrheit wählte sie, nur in Nordirland blieben sie natürlich in der Minderheit. Die nationale irische Republik wurde 1919 verkündet, aber auch diese musste gewaltsam erkämpft werden. England war zunehmend erstaunt über die plötzlichen militärischen Erfolge der Iren. 1921 konnten zwei unabhängige irische Parlamente gewählt werden. Das war die Geburtsstunde des heutigen Nordirlands. 1922 wurde der irische Staat gegründet, dessen Bevölkerung bis heute die Anerkennung einer wählenden Minderheit als eigenen Staat nicht verstehen kann. Um das Blutvergießen zu stoppen und die fortwährenden Kämpfe zu beenden, erkannte das irische Parlament schließlich die Zugehörigkeit Nordirlands zum Vereinigten Königreich auch im Rahmen des internationalen Rechts an. Diese offizielle Linie hält für die Republik zumindest seither den Frieden. Es ist aber klar, dass es genügend andere irische Parteien und Gruppierungen gibt, die seitdem immer wieder für einen gesamtirischen Nationalstaat eintreten. Die Gruppen, die gewaltsam dafür kämpfen, sind bis heute völlig uneinsichtig und äußerst kompliziert zu verstehen. Seit 1969 tobt der Bürgerkrieg der IRA gegen Nordirland und lodert selbst während des Friedensprozesses der jüngsten Jahre immer wieder gefährlich auf.

Die englandtreuen Nordiren sind selbst heute nicht davon zu überzeugen, dass für Irland eine eigene Gesamtnation das Vernünftigste und Naheliegendste sein könnte. 1921 wurde die Insel in sechsundzwanzig Grafschaften geteilt, die nicht mehr zum Vereinigten Königreich gehörten, und in sechs Grafschaften im Norden, die bis heute als Nordirland zu Großbritannien gehören. Daran hat sich nichts Wesentliches mehr geändert.

Dies war nun ein Überblick der politischen Entwicklung für das Verständnis der Grundsituation in Irland. Zuvor standen aber noch die mythologischen „Fakten“ aus der vorchristlichen Frühgeschichte. Es scheint, dass in Wahrheit Ulster bis heute einfach nur verflucht sein dürfte. Das Blutvergießen und Morden unter dem eigenen Volk reißt nicht mehr ab. Macha`s Fluch ist ungebrochen.

Um die Sichtweise eines Vertreters des gegenwärtigen Christentums zu diesen Konflikten betrachten zu können, entstand das folgende Interview.

Interview mit John Anderson (Priester der Church of Ireland)

Berthold & Katrin:
Dein Name ist John Anderson. Du bist Pfarrer der „Kirche von Irland“. Was für eine Kirche ist das? Hängt sie zusammen mit der „Kirche von England“?

John:
Die „Kirche von Irland“ ist Teil der anglikanischen Kirchengemeinschaft. Vor langer Zeit waren die „Kirche von Irland“ und die „Kirche von England“ eins, eine vereinte Kirche. Doch dann, im letzten Jahrhundert, wurde die „Kirche von Irland“ selbstständig. Der vorherige Zusammenschluss war dann nicht mehr Staatskirche von Irland und seitdem ist die „Kirche von Irland“ quasi die Schwesterkirche der „Kirche von England“, aber eine unabhängige Schwester.

Berthold & Katrin:
Mit 24 Jahren bist du der jüngste ordinierte Priester der „Kirche von Irland“. Schließt das auch die Republik Irland mit ein?

John:
Das tut es in der Tat, ja.

Berthold & Katrin:
Eure Kirche ist protestantisch, doch ihr habt das selbe Glaubensbekenntnis wie die katholische Kirche. Beide Kirchen beziehen sich in ihrem Glaubensbekenntnis auf die „heilige katholische Kirche“. Wo liegt der Unterschied?

John:
(lacht)… Hmm… das ist eine schwierige Frage.
Das Glaubensbekenntnis der Apostel wird von vielen Kirchen der Erde beibehalten und besonders hier in Irland. Doch wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen, sagen wir, dass wir an eine heilige katholische und apostolische Kirche glauben. Wir bestätigen damit unseren Glauben an ein ursprüngliches christliches Fundament, unabhängig von Raum und Zeit.
Und wirklich liegt der Unterschied zwischen katholischem und protestantischem Glauben mehr in den Strukturen und der Organisation der Kirchen als in irgendwelchen fundamentalen Glaubensunterschieden.

Berthold & Katrin:
Die katholische Kirche treibt einen großen Kult um die Person der Maria. Worauf begründet sich deiner Meinung nach diese Verehrung?

John:
Oh, die ganze Maria-Idee, ihre zentrale Funktion in der Kirche und ihre Verehrung wurde über die Jahre in der katholischen Tradition immer stärker. Auch die protestantische Tradition ignoriert Maria keineswegs. Sie hat eine sehr wichtige Rolle, welche von den ersten Kirchenvätern als Mutter Gottes definiert wurde, und daher darf sie nicht ignoriert werden. Aber nun ja, es ist schwierig zu erfassen, zumindest mir fällt es schwer zu verstehen, warum solch großer Nachdruck, solch eine Marienologie in der katholischen Kirche betrieben wird.

Berthold & Katrin:
Nur um es noch einmal deutlich zu machen. Die irischen Katholiken sind römisch-katholisch, sie betrachten den Papst als Kopf der Kirche?

John:
Ja, in Irland, denke ich, haben wir zwar die verschiedensten Namen, doch wenn wir von „katholisch“ sprechen, meinen auch wir in der Regel die römisch-katholische Kirche. Der Ausdruck „katholisch“ an sich hat aber auch die Bedeutung von „universal“ und „weltweit“. So könnte ich mich selbst genauso auch als anglikanisch-katholisch bezeichnen. Natürlich stelle ich mich als Anglikaner vor.

Berthold & Katrin:
Wie alt ist die Kirche von Irland? Sie geht ja zurück auf St. Patrick, der das Christentum nach Irland brachte. Wer war er und wann kam er nach Irland?

John:
St. Patrick kam im Jahre 430. Er war vom Papst und der englischen Kirche beauftragt. Er verbreitete das Evangelium zuerst an der irischen Westküste, reiste dann durchs ganze Land und gründete Kirchen und Konvente und immer mehr Menschen schlossen sich seinem Glauben an.

Berthold & Katrin:
Wie alt ist die irische Kirche selbst? Patrick kam also etwa 430 und begann mit der Missionierung. Aber ab wann kann man von einer wirklichen Kirche mit ihren Strukturen sprechen und war diese damals auch römisch-katholisch?

John:
Ja, die Strukturen der Kirchen entwickelten sich in der westlich-christlichen Welt allesamt erst, nachdem Jesus gekreuzigt wurde. Zu der Zeit, als St. Patrick nach Irland kam, wurde das ausschließlich von der päpstlichen Zentrale in Rom gesteuert. Sobald er missionierte, kann man auch von einer Kirche in Irland sprechen, auch wenn sich das alles erst über die kommenden Jahrhunderte hinweg klarer strukturierte. Alle Sukzessionslinien gehen auf die Arbeit von St. Patrick zurück.

Berthold & Katrin:
Es wird gesagt, dass Irland das einzige Land in der Welt sei, das friedlich missioniert wurde. Es gab keine Kriege, keine Märtyrer. Wir interpretieren das als ein freiwilliges positives Akzeptieren des christlichen Glaubens durch die heidnische Bevölkerung. In esoterischen Kreisen wird gesagt, dass auch die Druiden die neue Religion unterstützt hätten. Ist das wahr und in welcher Weise haben Elemente des keltisch-heidnischen Glaubens in der Kirche überlebt?

John:
Ja, ich stimme dem zu, dass die irische Missionierung friedlich verlief. St. Patrick hatte aber dennoch auch anfängliche Probleme. Er musste seine Position vertreten können. Es gibt die Legende von der Begebenheit am Shamrock, wo er geprüft wurde von den irischen Hochkönigen von Tara. Er musste den Glauben an den alleinigen Gott begründen. Wie lautete der Rest der Frage?

Berthold & Katrin:
Welche Elemente des Heidentums in der irischen Kirche bis heute überlebt haben. Vielleicht im Gegensatz zu anderen christlichen Kirchen.

John:
Vor allem im Namen. Wir sprechen von einem keltischen Christentum. Das weist auf eine Besonderheit des von St. Patrick begründeten Christentums hin und grenzt es ab von den Strukturen der zentralen römisch-katholischen Kirche, wie sie in anderen europäischen Ländern gegeben sind. Das entstand in dieser Form aber noch nicht zu der Zeit, in welcher St. Patrick gelebt hatte. Das passierte alles erst in der daraus entstehenden Kirche. Ich weiß nur sehr wenig darüber. Ich kann nicht sagen, was von einem heidnischen Glauben bis heute überlebt oder wo sich was vermischt hätte.

Berthold & Katrin:
Als Deutsche sind wir sehr überrascht darüber, dass es in Nordirland eine so große Vielzahl christlicher Kirchen gibt. Wir dachten, da gebe es auf der einen Seite die Protestanten und ihnen gegenüber die Katholiken und dass diese beiden im Gegensatz zu anderen Ländern Europas sehr getrennt voneinander bestünden. Aber wir sehen nun eine Aufsplitterung der Protestanten in Baptisten, Methodisten, Presbyterianer, freie Presbyterianer. Vergesse ich noch welche? Welche Positionen vertreten so viele verschiedene Kirchen gegeneinander?

John:
Die protestantischen Kirchen haben sich überall zersplittert. Das passiert seit Beginn der Reformation. In Irland, speziell in Nordirland, hat jede Zeit ihre Anzahl von neuen protestantischen Kirchen mit sich gebracht. Es sind viele sehr kleine Zusammenschlüsse, in kleinen Kirchenhäusern, organisiert wie kleine Geschäfte. Diese sind unbedeutend. Bedeutend sind nur die etablierten alten Kirchen wie die Presbyterianer, Methodisten, die Kirche von Irland, auch die Baptisten. Aber diese stehen alle unter dem universellen Glauben, der sie wieder vereint und nicht voneinander trennt. Nur die vielen kleinen sind sehr unabhängig und arbeiten auf nicht-universaler lokaler Ebene.

Berthold & Katrin:
Mit etwas besorgten Augen schaut das Ausland auf Nordirland und dessen politische Auseinandersetzungen. Sehr interessiert wird der gegenwärtige Friedensprozess beobachtet. Seit Jahren gibt es diesen Bürgerkrieg, in welchem die IRA die Katholiken repräsentiert und die Briten die protestantische Seite. Ist denn dieser Konflikt hier tatsächlich eine Frage verschiedener Glaubenssysteme oder Religionen? Oder gibt es da noch ein anderes Geheimnis? Könntest du den Hintergrund des Krieges aus deiner Sicht beschreiben, denn nach Gesprächen mit vielen verschiedenen Menschen in Irland haben wir den Eindruck, dass niemand in der Lage scheint, darauf eine wirkliche Antwort geben oder überhaupt den Konflikt verstehen zu können.

John:
Ja, es ist schon sehr emotionalisierend, überhaupt den Terminus „Krieg“ zu verwenden. Zu automatisch machen das die meisten. Es ist so, dass wir einen Konflikt haben, den man aber nicht Krieg nennen darf. Wir können auch nicht sagen, die IRA würde die Katholiken repräsentieren und die Loyalisten die Protestanten. Es ist stattdessen so, dass das Land verschiedene politische Identitäten hervorgebracht hat, die sich irgendwie mit den religiösen Identitäten vermischt haben. Dadurch kann das nicht mehr so einfach voneinander getrennt werden. Der Kampf, wie er sich in den letzten 30 Jahren entwickelt hat, ist aber mehr ein politischer Konflikt zwischen Republikanern, Nationalisten, Unionisten und Loyalisten. Die verschiedenen Kirchen werden einfach von diesen politischen Aktivisten benutzt.

Berthold & Katrin:
In welcher Weise beteiligen sich die Kirchen am Friedensprozess? Was macht deine Kirche?

John:
Die Kirche von Irland sieht sich selbst als britische Kirche mit sowohl protestantischer wie katholischer Reform und Apostolik. Die Kirche von Irland gibt, wie auch alle anderen christlichen Kirchen im Lande, ihr Bestes, um den Frieden zu unterstützen, die verschiedenen politischen Seiten miteinander ins Gespräch zu bringen. Das passiert auch auf sehr persönlicher Ebene. Es gehört zur Struktur der Kirchen, Menschen zusammenzubringen. Es gibt natürlich keine Garantie, dass man auch auf uns hört und dass es zu dem Punkt kommt, wo man sich respektiert.

Berthold & Katrin:
Kannst du irgendeine Initiative nennen, die deine Kirche unternahm, um Katholiken und Protestanten zusammenzubringen?

John:
In der Kirche von Irland überhaupt oder speziell in meiner eigenen Gemeinde?

Berthold & Katrin:
In der eigenen Gemeinde.

John:
Es ist nicht so, dass die Kirchen untereinander abgegrenzt wären. Es gibt jede Menge ökumenischer Dialoge und auch Zusammenarbeit. Um ein Beispiel zu nennen: Als meine Gemeinde Spenden zum Wiederaufbau des abgebrannten Glockenturms sammelte, kamen die meisten der Spenden von der lokalen katholischen Bevölkerung. Da ging es nicht mehr um religiöse Fragen, da ging es einfach ums Helfen. Eine Kirche brauchte Hilfe und man war füreinander da. Die ganze christliche Gemeinde hilft in solchen Fällen gemeinsam.

Berthold & Katrin:
Also half die römisch-katholische Bevölkerung der protestantischen Bevölkerung, die protestantische Kirche wieder aufzubauen?

John:
Genau. Das passiert ständig. Gerät eine der Kirchen in Not und benötigt Hilfe, helfen alle anderen Kirchen dabei.

Berthold & Katrin:
Erstaunlich. Siehst du als junger Pfarrer einen Unterschied zwischen der jüngeren und der älteren Kirchengemeinde-Generation? Bezüglich der Arbeit am Friedensprozess?

John:
Ich persönlich habe nichts dergleichen bemerkt. Der Friedensprozess, der in den letzten Jahren in Gang gekommen ist, ist noch für jeden viel zu neu. Man kann da noch nichts sagen betreffs der Generationen, auch wenn der Krieg nun 30 Jahre währt. Aber ich glaube, jeder will jetzt Frieden und setzt sich dafür ein. Die Alten wie die Jungen, alle gemeinsam.

Berthold & Katrin:
Sind die Jüngeren in deiner Gemeinde engagiert im Friedensprozess? Interessieren sie sich aktiv für diese Entwicklungen?

John:
Was ich sagen kann, ist, dass die Jüngeren die alten Konflikte hinter sich gelassen haben. Vor allem verstehen sie nicht mehr, warum es Konflikte zwischen den Kirchen geben sollte. Sie nehmen auch einen anderen Standpunkt zum politischen Konflikt ein. Sie haben genug davon, aber sie wissen noch nicht, auf welche Weise das zu beenden ist. Nordirland verändert sich. Sie entwickeln ganz neue eigene politische Identitäten. Sie wollen etwas anderes und ändern sich in den Ansichten, die noch ihre Familien, die Eltern und Großeltern getragen haben. Es passiert etwas ganz Neues in diesem Land.

Berthold & Katrin:
Wie sehen sich die Leute in Nordirland: Britisch oder irisch?

John:
Kommt darauf an; die meisten sehen sich als Nordiren. Die meisten Unionisten sehen sich als Briten, wenn auch genauso als Iren. Die meisten der Nationalisten sehen sich als Iren, aber irgendwie dann doch auch britisch. Das bedeutet, es sind hier ganz einfach gleichzeitig zwei nationale Identitäten vorhanden. Es gibt zwei Pässe: den irischen und den britischen und vieles dergleichen mehr.

Berthold & Katrin:
Für uns als Deutsche ist es einfach so: Die Menschen, die in der Republik leben, sind die Iren. Diejenigen in Nordirland aber sind britisch, irisch oder britisch-irisch. Wir sehen ihre Suche nach einer Identität.

John:
Das könnte stimmen. Es ist hier nicht so, als würde man in der Republik leben und einfach wie die Leute dort Ire sein. Es herrscht ein sehr seltener Zustand, es gibt die Grenze im Land gegenüber dem Süden. Jeder sucht nach einer Lösung für dieses außergewöhnliche Identitätsproblem. Die einzige Hoffnung auf Frieden ist, dass dieses Identitätsproblem gelöst werden kann. Es ist notwendig, dass die Menschen ihre althergebrachten Konzepte hinter sich lassen. Und dass die sechs kleinen Länder Nordirlands gegenüber den sechsundzwanzig Ländern der Republik ein neues Verständnis ihrer selbst entwickeln.

Berthold & Katrin:
Mal etwas anderes. Wir sahen die Banner über den Straßen während des Monats Juli. Als Fremde konnten wir gar nicht glauben, was wir sahen. Sie sind voller Symbole der Freimaurerei: Hammer, Leiter, Schädel und Knochen und vieles dergleichen mehr. All das wird in den Städten präsentiert, während der Paraden zum 12. Juli. Wir empfanden das so, als würde das Land von den Freimaurern regiert, und kennen kein weiteres Land in der Welt, wo das so deutlich gezeigt würde. Kannst du uns dazu was sagen oder vielleicht die Symbolik der Zeichen erklären?

John:
Ich bin weder Freimaurer noch Mitglied des „Orange Order“ (Oranier). Deswegen kann ich diese Frage nicht wirklich beantworten. Soweit ich weiß, sind das die Objekte der Unionisten und Loyalisten, diese Sterne, Leitern… Aber auch christliche Symbole. Oder die Münze z.B. repräsentiert die britische Monarchie. Manche der Symbole glaube ich zu verstehen, viele Symbole kenne ich nicht und verstehe auch nicht ihren Sinn. Die einzigen, die wissen was das alles bedeutet, sind die Mitglieder des „Orange Order“.

Berthold & Katrin:
Du weißt also nichts über die Strukturen dieser Logen wie des „Orange Order“? Aber weißt du, ob es Katholiken, Protestanten oder Nicht-Religiöse sind?

John:
Der Orange Order ist eine protestantische christliche Organisation. Sie haben eine fundierte christliche Basis und weisen ihre Mitglieder ständig an, gottesgläubig zu leben. Sie sind Christen, die die britische Monarchie unterstützen. Deswegen sind diese Leute auch Mitglieder unserer Kirche und gehören den lokalen Gemeinden an.

Berthold & Katrin:
Gibt es neben dem Orange Order noch andere Logen?

John:
Ja. Neben den „Orange Lodges“ gibt es auch in der nationalen Gemeinschaft den „Ancient Order of Hibernians“ und der führt ebenso seine Märsche durch. Das Besondere dabei – was wohl niemand verstehen kann – ist die Tatsache, dass die beiden verfeindeten Organisationen dieselben Instrumente für die Aufmärsche benutzen. Sie tauschen sie je nach Bedarf gegenseitig aus. Ich persönlich finde das wundervoll und einen weiteren Beweis für die Kooperationsbereitschaft auf lokaler Ebene.

Berthold & Katrin:
Wer steht hinter den „Hibernians“?

John:
Da ich auch dort kein Mitglied bin, kann ich auch über diese Organisation wenig sagen. Jedenfalls repräsentieren die eher den katholischen Teil der Bevölkerung, die in der Mehrheit nationalistische Positionen vertreten.

Berthold & Katrin:
Wir würden gern noch von weiteren Beispielen für konkrete Zusammenarbeit zwischen Katholiken und Protestanten hören, nicht nur so absurd klingenden wie dem Austausch der Parade-Instrumente…

John:
Es geht ja über diesen Austausch hinaus. Was in den letzten zwei Jahren geschieht, gab es vorher nicht. Alle kommen zu den jeweiligen Paraden und diese haben jetzt den Charakter eines Karnevals angenommen. Jeder aus der Bevölkerung kommt und es spielt keine Rolle mehr, welche Gruppierung die Parade veranstaltet.

Berthold & Katrin:
Zurück zu religiöseren Dingen. In Deutschland wenden sich die Menschen von den Kirchen ab. Sie interessieren sich für andere Religionen. Dadurch beginnen die Kirchen mit den Religionen in Dialog zu treten und vermischen sogar die christliche Lehre mit östlicher Meditation und anderen Techniken. Das ist in Irland sicher nicht der Fall. Was denkst du über den Austausch von Gedanken und Methoden mit anderen Religionen, die nicht christlich sind?

John:
In Irland gibt es nur sehr begrenzt andere religiöse Richtungen und diese findet man auch nur in den großen Städten. Ich begrüße jeden Dialog, der dazu dient, die Gefühle und Gedanken unter den Mitmenschen zu verstehen. Aber hier gibt es zuerst mal viele verschiedene christliche Kirchen und das Vorrangige ist, dass diese miteinander reden, um sich selbst verstehen zu lernen und einig zu werden. Das ist die erste Priorität, bevor man mit denen reden kann, die von ganz außerhalb kommen.

Berthold & Katrin:
Also auch wieder ein Problem der Identität. Zusätzlich zur nordirischen Identität ist auch noch die gemeinsame Identität als Christen zu finden. Erst wenn ich weiß, wer ich bin, kann ich in die Welt hinausgehen, um andere Dinge zu finden?

John:
Ja. Unsere vorrangige Arbeit ist es, den Dialog mit den christlichen Kirchen zu führen, den Dialog mit jeder einzelnen Gemeinde. Für uns zum Beispiel ist das der Dialog mit den Presbyterianern und den Methodisten. Dies geschieht auf persönlicher Ebene, es ist nicht so, dass die ganze Kirche in einem offiziellen Dialog wäre.

Berthold & Katrin:
Es kommt auch nicht vor, dass andere Religionen von sich aus mit euch in den Dialog treten? Angenommen, der Dalai Lama würde Nordirland besuchen… ?

John:
Nein, wir haben keinerlei Erfahrung mit anderen Religionen. Dadurch wissen wir nur sehr wenig über sie.

Berthold & Katrin:
In Irland sind also keine anderen Religionen vorhanden und keine schaut nach Irland, um hier missionierend zu arbeiten. Buddhismus und New Age wäre hier wahrscheinlich etwas sehr Exotisches. Aber was ist mit der Alten Religion? Irland ist berühmt für seine Mythen und Feengeschichten und überall in der Welt bekannt als Insel des Heidentums. Von England ausgehend, findet eine große Renaissance des Druidentums und der Hexenreligion, „Wicca“ genannt, statt, die sich über die ganze Welt verbreitet. Hat die Alte Religion für irische Menschen von heute noch eine Bedeutung? Gibt es noch Menschen, die irgendeine Form des Heidentums praktizieren?

John:
Ich habe noch keine kennen gelernt. Aber dadurch, dass die Missionierung hier so friedlich verlief, könnte ich mir denken, dass keine alten Glaubenssysteme überlebt haben. Die christlichen Ideen wurden freiwillig anerkannt und als besser erachtet. Dadurch sind die meisten dieser alten Glaubensideen einfach ausgestorben. Es blieb nichts über die Jahrhunderte erhalten. Das Heidentum in Irland ist tot.

Berthold & Katrin:
Könnte es sein, dass die Marienverehrung für die Iren eine Fortsetzung der früheren Göttinnenverehrung darstellt? Es war ja für die frühen Christen sehr einfach, eine jungfräuliche Maria einer göttinnenorientierten Bevölkerung anzubieten. So bekamen sie zwar einen jungen Gott namens Jesus, aber hinter diesem stand weiterhin die Mutter Gottes.

John:
Ja, das weiß ich nicht. Da wäre ich auch vorsichtig. Die Mutter Gottes gibt es in allen christlichen Ländern der Welt. Aber wenn ich mir die Geschichte von St. Patrick und seinem keltischen Christentum anschaue, hatte darin die Mutter Gottes keinen bevorzugten Platz. Sie kann kein besonderer Grund für die Übernahme des christlichen Glaubens gewesen sein.

Berthold & Katrin:
Kennst du keinerlei Mitglieder in deiner Kirche, die in irgendeiner Form an Naturkräfte glauben, z.B., dass sie besondere Kraftplätze besuchen wie die Steinkreise und Gräber etc.? Welche die Ansicht vertreten, es wäre gut, sich dort aufzuhalten oder zumindest, dass man keinen Supermarkt daneben bauen dürfe?

John:
Natürlich gibt es ein Interesse, die historischen Denkmäler zu schützen. Das ist schon aus touristischen Aspekten notwendig. Aber das geschieht nicht aus religiösen Gründen.

Berthold & Katrin:
Die alte heidnische Geschichte ist aber gerade für Touristen ein wichtiger Grund, Irland zu besuchen. Vielleicht ist das in Nordirland nicht so der Fall, aber in der Republik sicherlich. Dort hören sie begeistert den mündlichen Überlieferungen zu, die von Feen, Geistern, Lapricorns und Banshees handeln. Dann besuchen sie gern all die Steinkreise.

John:
Irland ist ein rein christliches Land. Die Iren wissen, wie sie ihr Land touristisch verkaufen können und das ist der einzige Grund, warum sie den Fremden solche Geschichten aus alter Zeit erzählen. So einfach ist das. Wir wollen, dass die Menschen kommen, und wenn sie das brauchen, um zu kommen, geben wir es ihnen. (lacht).

Berthold & Katrin:
Wir sehen in Nordirland fast überall den Union Jack, die britische Flagge, hängen. Sobald wir aber selbst hier in Nordirland in Gegenden kommen, in denen sich wichtige alte Denkmäler und Steinkreise befinden, hängt stattdessen dort plötzlich die Fahne der irischen Republik. Es ist nicht zu übersehen, dass überall an solchen Plätzen keine protestantische, sondern eine durchweg katholische Bevölkerung lebt.

John:
Das ist mir noch nicht aufgefallen. Das kann auch nicht tatsächlich überall so sein. Mir ist das wirklich nicht aufgefallen.

Berthold & Katrin:
Jetzt interessiert uns eigentlich auch, ob unsere Fragen für dich neu und ungewöhnlich sind oder ob du mit solchen Fragen auch in deiner alltäglichen seelsorgerischen Arbeit konfrontiert wirst. Auch falls das nicht so sein sollte, ob du dir vorstellen kannst, dass dir in Zukunft vermehrt solche Fragen gestellt werden könnten.

John:
Ja, es gibt vieler Art Fragen, welche die guten Menschen in Nordirland sich stellen, um ein tieferes und besseres Verständnis zu erlangen. Aber das sind mehr solche Fragen, wie man sich lokal organisiert, wie man zusammenlebt. Sie fragen nicht nach der Bedeutung von Symbolen auf Bannern. Sie wissen einfach, dass das Banner der Orange Lodge sind und das genügt ihnen. Solche Fragen können nur von Fremden gestellt werden. Hier ist das alles so normal, dass niemand danach fragt.

Berthold & Katrin:
Was war deine persönliche Motivation, Pfarrer zu werden?

John:
Ich empfand den starken Ruf Gottes und fühlte mich berufen, Pfarrer zu werden. Es bedurfte vieler Jahre, in welchen ich an mir arbeiten musste. Ich musste in mir prüfen, was Gott von mir wollte und ich musste die Kirche prüfen. Als ich die Schule verließ, war ich motiviert Theologie zu studieren. Ich ging zur Universität in Belfast und studierte zusammen mit Presbyterianern und Methodisten. Nach diesem wissenschaftlichen Studium wandte ich mich an die Kirche von Irland und fragte an, ob die mich darüber hinaus ausbilden würden. Als sie das akzeptierten, wechselte ich nach Dublin zum Trinity College.

Berthold & Katrin:
In deinem Studium wurdest du in vielen verschiedenen christlichen Glaubensanschauungen unterrichtet?

John:
Ja.

Berthold & Katrin:
Welche waren das?

John:
Oh… ja… da waren viele Richtungen und Traditionen. Ich studierte sie eigentlich ziemlich allgemein. Vor allem die Kirchen der Reformation. Warum sie sich abspalteten und wie sie heute beschaffen sind. Ich studierte Ökumene im Allgemeinen. Die ökumenische Bewegung innerhalb des Christentums. Es war nicht der Fall, dass wir tief in verschiedene Richtungen des Christentums eindrangen. Wichtiger war, dass wir alle gemeinsam in einem Klassenzimmer saßen, so vermischt in unseren christlichen Traditionen. Wir spiegelten uns in unseren Reaktionen auf Dinge, wir stellten uns Fragen zu diesen Dingen. Und aus diesen Fragen heraus lernten wir sehr viel. Es war eine wunderbare Gemeinschaft.

Berthold & Katrin:
Ihr habt euch nicht im Detail mit der Verschiedenheit der christlichen Traditionen auseinandergesetzt?

John:
Es wäre zu systematisch zu sagen, wir hätten das getan. Wir hatten eine Sicht auf die Entwicklung des Christentums von seinen Anfängen bis zur Gegenwart und einen kurzen Blick auf die vielen Sekten. Damit meine ich keine Häresie. Ich meine die Kirchengeschichte und ihre politischen Dimensionen. Ihr seht, ich weiß ein wenig über diese Dinge, aber nicht sehr viel über spezifische Kirchen.

Berthold & Katrin:
Beschreib mal einen alltäglichen Arbeitstag.

John:
Jeder Tag ist verschieden. An einem normalen Tag gehe ich morgens ins Krankenhaus, verbringe bis mittags mit Patienten. Am Nachmittag gehe ich in Privathäuser, in welchen ebenso Angehörige der Gemeinden krank sind. Ich schaue, wie es ihnen geht. Abends habe ich viel zu organisieren, manchmal gehe ich auch ins Pub, um zu sehen, wer da ist, oder zu einem Treffen. Als Kirche haben wir viele soziale Organisationen und ich treffe mich mit den verantwortlichen Leitern und unterstütze sie. Dazu gehören auch so Dinge wie die Bowling-Gruppe oder die Badminton-Gruppe. Einfach auch nur Hallo sagen.

Berthold & Katrin:
Was sind die wichtigsten Probleme der Menschen in Nordirland?

John:
Eines ihrer Hauptprobleme ist, dass sie sich abgeschnitten vom Rest der Welt fühlen. Nordirland wird gemieden, weil hier Krieg sei. Dabei sehnen sich alle hier nach wirklichem Frieden. Das ist gleichermaßen bei den Loyalisten auf der einen Seite wie bei den Republikanern auf der anderen Seite der Fall. Und natürlich die schon erwähnte religiöse Identität. Ich als Protestant habe keinerlei Angst vor den Katholiken. Aber ich könnte Angst vor einem Katholiken bekommen, der seine Religion nicht mehr praktiziert. Die gewalttätigen Republikaner und gewalttätigen Katholiken sind keine Katholiken, wie auch die gewalttätigen Loyalisten keine Protestanten sind. Diese sind in keiner Weise Christen. Das sind totalitäre politische Tiere. Sie benutzen das christliche Mäntelchen, um sich Solidarität zu verschaffen. Ich möchte, dass diese im Land isoliert werden. Christen achten das Leben und schätzen ihre Nachbarn.

Berthold & Katrin:
Gibt es etwas, das wir vergaßen zu fragen und was du den deutschen Lesern mitteilen möchtest?

John:
Ja, wenn ihr die Bilder der Gewalt, der Dunkelheit und der Brände in den Medien seht, kommt dennoch hierher. Damit ihr die Menschen seht, die hier leben. Denn die haben ihre Heimat, ihre Familie, sie gehen zur Schule und zur Arbeit. Ihr werdet sehen, ihr seid sehr willkommen. Die Menschen werden freundlich zu euch sein. Es wird euch hier alles sehr normal vorkommen. Seit vier Jahren geht von uns der Ruf nach Frieden zu euch hinaus. In Belfast herrscht der selbe Frieden wie in Dublin. Die Straßen sind abends voll, die Cafés sind auf. Das ist ein Zustand, den wir seit Jahren nicht mehr hatten. Ich bin darüber sehr glücklich. Die Angst ist verschwunden. Es hat sich viel verändert. Kommt bitte und schaut es euch an.

Berthold & Katrin:
Danke für das Gespräch.

Epilog

Der Krieg der IRA ist vorbei, aber die Diskussion und Aufarbeitung dessen, was seit 1969 geschehen ist, noch lange nicht. Die Gründung der provisorischen IRA in Nordirland vollzog sich aus denselben Gründen, die eigentlich auch heute unverändert bestehen. Die katholische Minderheit wird von gewalttätigen Unionisten brutal angegriffen, Kinder sind gefährdet, die Schulen zu besuchen und benötigen massiven Polizeischutz. Solch brutale Gewalt und deren militärische Unterstützung Britanniens machten damals den organisierten bewaffneten Widerstand unvermeidlich. Den Aktivisten, die in Widerstand traten, ging es nicht um historische irische Begebenheiten oder republikanische Ideen. Ihnen ging es einzig und allein darum, sich zur Wehr setzen zu müssen. Es gab keinen wirklichen Einfluss der republikanischen Bewegung auf die entstandene Bürgerrechtsbewegung. Diese radikalisierte sich ab dem berüchtigten „Bloody Sunday“, wo gezielt vom Militär eine der Bürgerrechtsdemonstrationen angegriffen wurde und vierzehn Zivilisten ums Leben kamen. Erst heute zeigt das Beweismaterial der Untersuchungskommission, dass das Töten auf höchster Ebene im britischen Parlament vorbereitet wurde. Der lange Krieg hatte begonnen, die Spirale drehte sich in einem fort. Auf Tote der einen Seite folgten Tote auf der anderen Seite. Ein harter Guerillakrieg wurde geführt, der von der Bevölkerung unterstützt wurde. Die IRA wurde in einen sektiererischen Kampf verwickelt, in dem sie dummerweise Protestantenbars in die Luft jagten. Eine Reaktion auf die vielen Katholiken, die von Protestanten getötet wurden. Jedoch entsprach das auch dem Plan des britischen Geheimdienstes. Nach diesem Muster gingen die Briten in all ihren kolonisierten Ländern vor. Das Morden unschuldiger Katholiken entsprach einem Plan der Einschüchterung, damit sich die Bevölkerung aus Angst heraus von der IRA distanzierte. Es war konterrevolutionärer Terror.

Eine Veränderung in der Gewaltakzeptanz innerhalb der IRA erfolgte mit dem Hungerstreik inhaftierter IRA-Mitglieder. Bobby Sands und acht weitere wurden einfach sterben gelassen, ohne auf irgendwelche ihrer Forderungen einzugehen. Die IRA ging daraufhin nicht in gewohnter Weise in den Krieg, sondern verstand, dass der bewaffnete Kampf erfolglos bleibt. Die neue Strategie war Stärkung einer parlamentarischen Bewegung. Gerade weil die Briten sofort den Krieg erklärt hätten, wenn die Teilung Irlands von 1921 aufgehoben würde, und weil die Briten für ihre Brutalität bekannt sind, mit welcher sie in China wegen der Kontrolle des Opium-Krieges ganze Städte bombardierten oder in Indien wegen den Kronjuwelen massenweise Inder abschlachteten, lag die neue Strategie darin, das Bewusstsein der englandtreuen nordirischen Bevölkerungsanteile verändern zu wollen. Dies scheint dennoch fast aussichtslos, denn diese sehen sich ja nicht als Iren, sondern als Briten. Nordirland ist ein undemokratischer Staat, der mit harten Gesetzen radikal seine katholische Minderheit unterdrückt. Den Briten gelang es sehr geschickt, in der Weltöffentlichkeit diese Realität als Religionskrieg zu verkaufen. Das ist falsch und stimmt genauso wenig wie anzunehmen, in Palästina würde wegen des Talmud oder Koran gekämpft. Es geht stattdessen immer um wirtschaftliche Interessen und Ausbeutung. Allerdings sehen sich die presbyterianischen Unionisten durchaus als auserwähltes Volk, sympathisieren deswegen mit Israel und finden ihre Machtherrschaft als göttlich vorherbestimmt.

Seit dem Friedensprozess akzeptieren die Republikaner auch die Realität des geteilten Irlands. Sogar Dublin hat im Karfreitagsabkommen Irlands in der Verfassung festgelegten Anspruch auf Nordirland aufgegeben. Aber ohne den bewaffneten Kampf wäre nie etwas erreicht worden. Die IRA hat gegenwärtig allen Grund misstrauisch zu sein. Im Grunde hat sie tatsächlich verloren; seit 1921 hatten sie keine solche Niederlage mehr erlitten. Die Sinn Fein hat sich dazu verpflichtet, britische Herrschaft zu verwalten, und die Briten demonstrieren diese Herrschaft eindrucksvoll, indem sie immer mal wieder kurzfristig die Exekutive des nordirischen Parlaments einfach außer Kraft setzen. Was der Sinn Fein zugestanden wird, hängt von der Laune der Briten ab. Alles verläuft nach britischem Plan und leider berichten die internationalen Medien über Nordirland nur, wenn es eine größere Operation der IRA gab. Was dort jetzt geschieht, wird ignoriert. Es hat sich in dreizig Jahren nichts verändert, die Oranier marschieren und schlagen ihre Trommeln, stellen ihren bewaffneten Oranier-Staat groß heraus. Die IRA gab ihre Waffen ab, ohne militärisch besiegt zu sein, was es in der 200-jährigen Geschichte des militanten irischen Republikanismus noch nie gegeben hatte. Das Ziel bleibt nach zweiundzwanzig Jahren bewaffneten Kampfes so unerreichbar wie je. Die Entwaffnung geschah auf Druck internationaler Ereignisse.

Im August 2001 wurden drei ehemalige IRA-Mitglieder, die wohl einfach nur Urlaub in Kolumbien machten, wegen angeblicher Unterstützung der dortigen Guerilla-Bewegung verhaftet. US-Präsident Bush schickte verärgert einen Sondergesandten zur Sinn Fein nach Nordirland, um Druck auszuüben, und mitten in den ersten Gesprächen fanden zum 11. September 2001 die Anschläge von New York und Washington statt. Der internationale Kampf von Bush gegen den Terrorismus drohte sich auch auf Nordirland auszudehnen. Um das zu verhindern, gab es keine Alternative mehr zur Entwaffnung. Immerhin brachte das wahlpolitische Veränderungen. Die Sinn Fein ist bereits seit Juni 2001 die stärkste politische Kraft im Norden und seit Mai 2002 errang sie auch den wahlpolitischen Durchbruch im Süden Irlands. Sobald sie parlamentarisch beide „Länder“ führte, gäbe es die Hoffnung auf ein vereintes Irland. Seit Juni 2002 ist erstmals auch ein Republikaner Bürgermeister von Belfast. Ebenso ist seit Juni 2002 offiziell bestätigt worden, dass es eine jahrelange Zusammenarbeit zwischen der Polizei und loyalistischen Paramilitärs gab, mit dem Ziel, politisch missliebige Personen auszuschalten. Aber dennoch werden heutzutage Katholiken und ihre Kinder von den radikalen Unionisten gewalttätig angegriffen.

Es herrscht kein wahrer Frieden in Nordirland, die Iren galten in der Geschichte schon immer als besiegt und sind doch wieder aufgestanden. Noch gibt es die Real IRA, die aber immer isoliert war, weil sie gegen alles kämpfte – nur nicht gegen den Feind, die Briten. Seit ihrem Anschlag auf das Einkaufszentrum in Omagh, wobei zu viele unschuldige Menschen starben, gibt es keinerlei Sympathie für sie. Die Republikaner sind müde geworden. Die gleichen alten Lügen Woche für Woche. Die Briten aus Nordirland zu verdrängen, war nicht das eigentliche Ziel, sondern, ein gerechtes sozio-ökonomisches System zu errichten. Seit dem Friedensprozess hat sich der Graben zwischen Arm und Reich um das Fünfzehnfache vergrößert. [Die Parallelen zum Palästinakonflikt sind frappierend. Anm. d. Lektors] Die Ungleichheit ist größer denn je. Gerechtigkeit lässt sich nicht unterdrücken, der Kampf um die Freiheit wird eines Tages wieder von Neuem beginnen.

Literaturempfehlungen

Peter Neumann
IRA – Langer Weg zum Frieden
240 S., Pb., Rotbuch 1999
ISBN 3-454-53043-6

Dieses Buch informiert über die Gründung, die Hintergründe, Ziele und möglichen Perspektiven der Irisch-Republikanischen Befreiungsarmee. Die politische Geschichte des unterdrückten Volkes wird historisch ausführlich aufgeführt und es wird gezeigt, warum auch in Zeiten des Friedensprozesses die Aussöhnung verhindert bleibt. Es ist die erste Monografie über die IRA in deutscher Sprache.

Kevin Bean / Mark Hayes (Hg.)
„Republican Voices“
Stimmen aus der Irisch-Republikanischen Bewegung
152 S., Pb., UNRAST 2002
ISBN 3-89771-011-0

Das Buch erzählt die Geschichte der IRA von innen. Mitglieder der IRA, die 30 Jahre lang aktiv mit der Waffe kämpften, beschreiben den Konflikt. Aus ihren Erzählungen wird deutlich, dass es sich nicht um einen mythologisch hergeleiteten nationalen Instinkt handelte und dass die IRA schon gar keine kriminelle Vereinigung war.

Andreas Kloevekorn
„Die irische Verfassung von 1937“

Entstehung und Rezeption
199 S., Pb., Franz Steiner 2002
ISBN 3-515-07708-1

Die Reaktionen auf die Einführung der irischen Verfassung von 1937 schwankten zwischen begeisterter Zustimmung und radikaler Ablehnung. Der Grund: Katholische, nationale und gälische Elemente dominierten auf symbolischer Ebene, und Dublin erhob ausdrücklich territoriale Ansprüche auf Nordirland. Der Autor untersucht die Entstehung der Verfassung vor dem Hintergrund der irischen Teilung, der komplexen Beziehungen zu Großbritannien und der innenpolitischen Polarisierung seit dem Bürgerkrieg von 1922/23. Er betont die Bedeutung von Regierungschef Eamon de Valera, der diesen Prozess weitgehend kontrollierte. Die Verfassung reflektiert die Werte ihrer Entstehungszeit, einer der Gründe, warum sie in den folgenden Jahrzehnten zunehmend kontrovers diskutiert wurde.

Weiterführende Informationen

Portal Irland: http://de.wikipedia.org/wiki/PortalIrland (wikipedia)
Hier findet man ausführliche Artikel zu allem, was zum Verständnis benötigt wird, einschließlich einer Darstellung der Geschichte, der Konfliktsituation sowie weiterer Linkempfehlungen zur Thematik.

Schacht, Andrea – dunkle Spiegel, Der

Köln im Jahre 1376. Der Erzbischof und die Stadt liegen mal wieder im Streit miteinander und der Erzbischof sowie andere einflussreiche Kleriker haben sich nach Bonn zurückgezogen, um abzuwarten, wie sich die Lage weiterentwickelt.

Almut Bossart, Tochter eines angesehenen Baumeisters, führt das zurückgezogene Leben in einem Beginenkonvent, einer religiösen Frauengemeinschaft, deren Anhängerinnen nicht in einem Kloster oder in einer Ehe leben möchten.
Als die Apothekerin erkrankt, bringt Almut an ihrer Stelle Arznei zum Hause des Weinhändlers de Lipa, wo der junge Jean de Champol, Sohn eines burgundischen Weingutsbesitzers, an schwerem Husten leidet. Wenige Tage später ist er tot, und der Verdacht des Mordes fällt auf Almut, da sie den Jungen als Letzte lebend gesehen hat. Sowohl der Inquisitor Johannes Deubelbeiß, der von der Schuld der jungen Begine überzeugt ist, als auch der Benediktiner Pater Ivo, der wiederum an ihre Unschuld glaubt, machen sich an die Aufklärung des Todesfalls.

Und auch Almut begibt sich auf die Suche nach dem Mörder, zumal sie an Jeans Sterbebett einen Spiegel fand, der sofort schwarz anlief, als sie ihn in die Nähe des Toten hielt und der von Dietke de Lipa stammt, der Frau des Weinhändlers. Hilfreich ist ihr dabei die stadtbekannte, als „maurische Hure“ verschrieene Aziza, der sie vorher aus einer unangenehmen Lage helfen konnte. Diese berichtet von gepanschtem Wein, der plötzlich an verschiedenen Stellen in Köln auftaucht, und von wiederum sehr gutem Wein, der auftaucht, wo es ihn vorher nicht gab. Wurden die Fässer vertauscht?

Es verdichtet sich immer mehr die Gewissheit, dass Jean diese Aktion bei Nacht und Nebel durchgeführt hatte. Doch für Pater Ivo, der sein Beichtvater war, steht fest, dass es nur unter Zwang geschehen konnte, denn de Lipa und der Junge waren einander sehr zugetan. Hat Dietke der Arznei Gift untergemischt, um die Aufmerksamkeit ihres Gatten zurückzugewinnen? Und was bedeutet der dunkle Spiegel?

Nett, aber auch nur das. Dies ist mein erster Gedanke am Ende dieser Lektüre.

Unsere Heldin Almut hat zwar Probleme, ihre Zunge im Zaum zu halten und das gibt durchaus mal Anlass zum Schmunzeln, aber den Leser mitreißen kann sie leider nur streckenweise. Dem Benediktiner Pater Ivo drückt ein Schuh aus vergangenen Zeiten, der Spannung im Leser erwecken kann, aber die Auflösung wird dem ganz und gar nicht gerecht. Die „maurische Hure“ Aziza entpuppt sich als ganz normales Frauenzimmer, und selbst der böse Inquisitor Deubelbeiß, von dem der Leser natürlich richtig hinterhältige Gemeinheiten erwartet, tut im Prinzip nichts Weltbewegendes, geschweige denn Spannendes.

Alle Charaktere sind zwar liebevoll von der Autorin gezeichnet, jedoch die richtigen Ecken und Kanten, die die Neugier des Lesers wecken, sind so abgeschliffen worden, dass alles wie Friede, Freude, Eierkuchen wirkt. Einziger Lichtblick in diesem zu oft umgerührten Brei ist der Apotheker Heinrich Krudener, der mit seiner verwirrten, zerknitterten und weisen Art für Abwechslung sorgt – doch dieser taucht leider, leider nur für wenige Seiten auf.

Das politische Geschehen, das zu dieser Zeit in Köln für Aufruhr sorgte, hat die Schriftstellerin geschichtlich so weit korrekt, allerdings viel zu oberflächlich mit eingebaut. Schade, bietet doch gerade der langwährende Streit zwischen Klerus und Stadt eine Menge Stoff, um der Handlung eine kräftige Würzung zu geben, so wie es bei Frank Schätzings [„Tod und Teufel“ 129 der Fall war.

Im Großen und Ganzen ist „Der dunkle Spiegel“ für lange, dunkle Winterabende durchaus zu empfehlen, ist die Story doch an sich recht ansprechend und logisch aufgebaut. Empfehlenswert ist das Buch auch aufgrund eines flüssigen, bildhaften Schreibstils, der das eigentlich vorhandene Potenzial der 48-jährigen Autorin Andrea Schacht aufzeigt, die mit ihrer Familie in der Nähe von Köln lebt und bereits insgesamt fünf Romane veröffentlicht hat.

Und soll ich euch was sagen? Ich hole mir auch noch den bereits erhältlichen zweiten Teil, [„Das Werk der Teufelin“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=1764 , weil ich einfach wissen möchte, ob sie es dort schafft, Spannung |und| nette Unterhaltung zustande zu bringen. Also kann das Buch ja gar nicht so schlecht gewesen sein – oder aber ich mag „nette“ Bücher. Ich lasse es euch wissen.

Queen, Ellery – nackte Tod, Der

Nach harten Arbeitswochen möchte sich Kriminalschriftsteller und Detektiv Ellery Queen einen erholsamen Urlaub am Meer gönnen. Ein alter Freund, der ehemalige Richter Avra Macklin, begleitet ihn zum Spanish Cape an der Atlantikküste, wo ein kleines Ferienhaus auf sie wartet. Doch die Reisenden finden die Haustür aufgebrochen – und im Inneren gefesselt die junge Rosa Godfrey, die eine abenteuerliche Geschichte erzählt: Mit ihrem Onkel David Kummer ist sie am Vorabend von einem piratenhaften Seemann namens „Captain Kidd“ überfallen und entführt worden. Kummer wurde von Kidd auf ein Boot verschleppt und später anscheinend über Bord geworfen.

Fatalerweise hat der Pirat den falschen Mann erwischt: Eigentlich sollte es einem gewissen John Marco an den Kragen gehen. Der ist Gast im Haus von Rosas Eltern Walter und Stella Godfrey. Walter ist ein steinreicher Wallstreet-Hai, dem praktisch das gesamte Cape gehört. In seiner Villa tummeln sich im Sommer stets viele Besucher. Marco würde der Gastgeber freilich gern an die Luft setzen, da dieser ein Auge auf Tochter Rosa geworfen hat.

Seinen Fehler hat Kidd offenbar rasch ausgebügelt: Als Queen und Macklin Rosa in ihr Elternhaus bringen, ist dort bereits die Polizei eingetroffen: Auf einem bequemen Stuhl am Strand sitzt John Marco – erdrosselt, nackt unter einem altmodischen Umhang.

Wer hat den Mann umgebracht, wieso wurde er anschließend entkleidet? Inspector Moley fühlt sich überfordert und bittet den berühmten Ellery Queen um Schützenhilfe. Die Schar der Verdächtigen ist identisch mit den Bewohnern von Godfreys Villa. Nach und nach stellt sich heraus, dass sie alle gute Gründe gehabt hätten, sich Marcos zu entledigen: Der hat sich seinen Lebensunterhalt als Gigolo verdient, der die umgarnten Damen anschließend als Erpresser kräftig zur Ader ließ.

Bis Queen endlich Licht am Ende des Ermittlungstunnels erblickt, muss er sich tüchtig belügen lassen, schier endlos widersprüchliche Beweise sortieren – und vor weiteren Attacken des Mörders auf der Hut sein, der zwar einen entscheidenden Fehler begangen, aber leider eine geradezu übernatürlich geniale Art der Tarnung für sich entdeckt hat …

Ein einsam gelegene Haus am Meer, erbaut auf einer Halbinsel, umgeben von schroffen Klippen – oder anders gesagt: Hier kommt niemand heimlich hinein oder hinaus. Wenn sich also ein Mord ereignet, dann befindet sich der Täter garantiert unter den Bewohnern. Damit sind die Weichen gestellt für einen archetypischen „Whodunit“-Krimi, in dem Mörder, Verdächtige, Opfer und natürlich diverse Gesetzeshüter unter einer Käseglocke behaglicher Isolation einander zur Gaudi des Lesers belauern.

Die Karten liegen offen auf dem Tisch: Ellery Queen und sein Publikum stoßen zeitgleich auf die für die Lösung des Falls relevanten Spuren. Offen bleibt die Frage, wer mit solcher Fairness mehr anzufangen weiß. Der Verfasser möchte selbstverständlich mit einem gewissen Vorsprung als Erster durchs Ziel gehen. Ist der Leser wenigstens guter Zweiter, wird er (oder sie) zufrieden auch zum nächsten Roman aus der bewährten Feder greifen.

Wer würde nicht gern solcher Verkaufslist auf den Leim gehen, da doch die Manipulation des Lesers ebenso elegant wie unterhaltsam gelingt? „Der nackte Tod“ ist ein hochkarätiger Krimispaß, der meisterhaft die „klassischen“ Regeln des Genres ausspielt. Wir kennen sie alle, aber wir lieben sie, so lange sie nur geschickt variiert werden. Das ist hier jederzeit garantiert.

Der Originaltitel ist übrigens ein hübsches Wortspiel: „Spanish Cape“ ist einerseits der Ort des Geschehens. Andererseits ist ein Cape das einzige Kleidungsstück, das die Blöße John Marcos – der ein Spanier ist – verhüllt.

Sie alle haben Dreck am Stecken. Irgendwie steht es ihnen auch ins Gesicht geschrieben. Manchmal so deutlich wie dem unglaublichen „Captain Kidd“, der nicht nur aussieht wie sein berüchtigtes historisches Vorbild, sondern sich auch so zu benehmen weiß. Mit seinem Auftritt findet Ellery Queen (der Autor) den idealen Einstieg in das vorliegende Abenteuer.

Auf Walter Godfreys feudalem Spanish-Cape-Anwesen tummeln sich zwar deutlich feinere, aber ganz sicher nicht vornehmere Zeitgenossen. Der Hausherr hat sein Vermögen auf höchstens halbwegs legale Weise erworben. Die meisten Gäste können nicht einmal das von sich behaupten. Ein zwielichtiger Abenteurer, eine Mitgiftjägerin, gleich drei Ehebrecherinnen zählen zu ihnen – und das sind nur die Sünder, die unser Detektiv mühelos enttarnt. Leid können sie uns nicht tun. Ellery Queen – der Ermittler wie der Autor – gönnt ihnen daher auch kein Happy-End. Als das Rätsel von Spanish Cape endlich gelöst ist, verlassen Queen und Macklin eine von den Ereignissen fast völlig zerstörte Gesellschaft.

Noch ganz andere Abgründe tun sich sehr bald in Gestalt von John Marco auf. Den lernen wir nur als Leiche kennen. Er ist aber lebendig genug in der Erinnerung seiner geplagten Opfer. Unerbittlicher Parasit, bösartiger Erpresser, zynischer Weiberheld – die Liste seiner Verfehlungen ist fast so lang wie seine Verfolger zahlreich sind. Heute mutet Marcos „Geschäft“ reichlich altmodisch an. Manche prominente Dame vermarktet ihre Schäferstündchen inzwischen selbst. Aber 1935 konnte „Schande“ eine Karriere in der gesellschaftlichen Elite noch zerstören. Insofern ist Marcos nacktes Ende – ein Skandal, der immer wieder schockiert angesprochen wird – eine Art ausgleichender Gerechtigkeit.

Ellery Queen erleben wir dieses Mal nicht an der Seite seines Vater. Inspektor Richard Queen bleibt zu Hause in New York. Die Stadt wird zu eng für einen Detektiv, der seinen Genius gern möglichst ungewöhnlichen Fällen widmet. Das verlangt letztendlich auch sein Publikum, das einen Tapetenwechsel ebenso schätzt.

Der Filius braucht anscheinend trotzdem einen weisen, alten Mann an seiner Seite. Diese Rolle übernimmt Richter Macklin, ein rüstiger, höchst unwürdiger Greis, der zusätzlich für die (sparsamen) Heiterkeitseffekte in dieser Geschichte verantwortlich ist.

Mehr als vier Jahrzehnte umspannt die Karriere der Vettern Frederic Dannay (alias Daniel Nathan, 1905-1982) und Manfred Bennington Lee (alias Manford Lepofsky, 1905-1971), die 1928 mit „The Roman Hat Mystery“ als Kriminalroman-Autoren debütierten. Dieses war auch das erste Abenteuer des Gentleman-Ermittlers Ellery Queen, dem noch 25 weitere folgen sollten. [„Chinesische Mandarinen“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=222 ist neunte und letzte Fall der „1. Queen-Periode“, die neun Romane der Jahre 1929 bis 1935 umfasst, welche stets das Wort „Mystery“ im Originaltitel tragen und als klassische „Wer war es?“-Krimis zum Mitraten konzipiert wurden.

Dabei half das Pseudonym. Ursprünglich hatten es Dannay und Lee erfunden, weil dies eine Bedingung des besagten Wettbewerbs war. Ohne Absicht hatten sie damit den Stein der Weisen gefunden: Das Publikum verinnerlichte sogleich die scheinbare Identität des „realen“ Schriftstellers Ellery Queen mit dem Amateur-Detektiv Ellery Queen, der sich wiederum seinen Lebensunterhalt als – Autor von Kriminalromanen verdient!

In den späteren Jahren verbarg das „Markenzeichen Queen“ zudem, dass hinter den Kulissen zunehmend andere Verfasser tätig wurden. Lee wurde Anfang der 60er Jahre schwer krank und litt an einer Schreibblockade, Dannay gingen allmählich die Ideen aus, während die Leser nach neuen Abenteuern schrieen. Daher wurden viele der neuen Romane unter der mehr oder weniger straffen Anleitung der Cousins von Ghostwritern geschrieben.

Wer sich über Ellery Queen – den (fiktiven) Detektiv wie das (reale) Autoren-Duo – informieren möchte, stößt im Internet auf eine wahre Flut einschlägiger Websites, die ihrerseits eindrucksvoll vom Status dieses Krimihelden künden. Vielleicht die schönste findet sich unter http://neptune.spaceports.com/~queen : eine Fundgrube für alle möglichen und unmöglichen Queenarien.

„The Spanish Cape Mystery“ wurde bereits 1935, im Jahr seines Erscheinens, von Hollywood verfilmt. Unter der Regie von Lewis D. Collins spielte Donald Cook den Ellery Queen. Albert DeMond verfasste das Drehbuch – und wem diese Namen rein gar nichts sagen, der sollte sich nicht grämen: Dies ist ein sogenanntes „B-Movie“, eine Schöpfung der 1930er Jahre. Um das Publikum auch während der Wirtschaftskrise in die Kinos zu locken, wurde ihm eine Doppelvorstellung geboten. Vor dem teuer produzierten, mit Stars gespickten Hauptfilm lief ein durchschnittlich 70 Minuten kurzer, billiger „Aufheizer“. Gern waren dies Episoden von Serien, die durch den Fortsetzungseffekt einen weiteren Anreiz für die Zuschauer boten. Auch Ellery-Queen-Streifen wurden so heruntergekurbelt. Aus heutiger Sicht sind sie freilich wieder reizvoll anzusehen, da „billig“ einst nicht identisch mit „Schund“ war. Auch „The Spanish Cape Mystery“ ist deshalb durchaus unterhaltsam.

Simon Winchester – Der Mann, der die Wörter liebte

winchester-mann-cover-2000-kleinJedes Wort der englischen Sprache soll ermittelt, erforscht und erläutert werden: Das „Oxford English Dictionary“ benötigt bis zur Vollendung sieben Jahrzehnte. Unter den Mitarbeitern ist ein wahnsinniger Mörder, dem die Forscherarbeit Halt und Trost bietet … – Autor Winchester findet für sein Thema – die eigentlich wenig spannende Geschichte des genannten Wörterbuchs – den idealen Einstieg über die Biografie von W. C. Minor: Ein Geisteskranker leistet Großes im Rahmen eines wahnwitzigen Projekts. Das Ergebnis ist ein Sachbuch mit Thriller-Qualitäten.
Simon Winchester – Der Mann, der die Wörter liebte weiterlesen

Vaz, Mark Cotta – Hinter der Maske von Spider-Man – ein geheimer Blick hinter die Filmkulissen

Mit Spider-Man wurde einst eine Comicfigur erschaffen, die immer populärer wurde. Anlässlich der Verfilmung durch Regisseur Sam Raimi („Evil Dead“, „Army of Darkness“, „Darkman“, „The Quick and the Dead“, „The Gift“ und aktuell „Spider-Man 2“) erschien „Hinter der Maske von Spider-Man“. Ein opulentes Buch, das Eindrücke und Insiderwissen widerspiegelt.

Das Buch ist in drei Teile und insgesamt neun Kapitel untergliedert. Jedes Kapitel beschäftigt sich ausgiebig mit einem Aspekt des Spider-Man-Films. Dabei wird auch auf die Comicabenteuer des Netzschwingers eingegangen und ausgiebig der Film beleuchtet. Allerdings verliert der Autor kein Wort über andere Spider-Man-Filme, wie zum Beispiel die unsäglichen frühen Streifen amerikanischer oder gar japanischer Herkunft. Doch das ist auch nicht die Aufgabe des Buchs.

Der neugierige Leser bekommt neben dem gut übersetzten und schön angeordnetem Text auch viele Farbfotos zu sehen, die fast alle Abschnitte des Films abdecken. Seien es nun die Darsteller, die Kulisse, die Leute hinter der Kamera, die Stuntmen, die Tricktechniker und vieles mehr. Hier werden keine Wünsche offen gelassen und auch der Erfinder Spider-Mans (Stan Lee) kommt zu Worte. Dabei legt er großen Wert darauf, dass niemand den Bindestrich in Spider-Man vergisst. Immerhin soll der Netzschwinger sich von seinem Konkurrenten Superman abheben.

Neben Stan Lees Vorwort sind überall im Buch Auszüge aus diversen Comicheften des Fassadenkletterers zu finden. Allerdings sind sie amerikanischer Herkunft und dementsprechend die Sprechblasen mit englischen Worten gefüllt. Doch reicht hier Schulenglisch aus, um die wenigen Texte zu übersetzen. Die Auszüge dienen vor allem der Dokumentation von Spider-Mans Herkunft und Werdegang.

Dort werden auch die Unterschiede zwischen Comic und Film von Mark Cotta Vaz herausgearbeitet. Durch seine enge Zusammenarbeit mit den Machern des Films ist er in der Lage, viele der offenen Fragen zu beantworten. Vor allem Fans werden sich an die verstrahlte Spinne erinnern, die Peter Parker biss. Im Film ist die Spinne jedoch genetisch verändert. Auch das Verhältnis zwischen Peter und Mary Jane wird ein wenig anders dargestellt und der Leser entdeckt in diesem Buch die – logische – Erklärung dazu. Sam Raimi hat sich seine Gedanken zu dem Film gemacht und lässt sie durch Vaz nach außen dringen. Vor allem für Fans eine nette Geste.

Neben der Durchleuchtung des Mythos „Spider-Man“ steht der Kinofilm im Mittelpunkt. Ausführlich werden die Tricks erklärt, die Probleme aufgezeigt und die Darsteller ins rechte Rampenlicht gerückt. Dabei tritt Insiderwissen zutage, das in einem „Making of…“, zum Beispiel, kaum zu finden sein wird. Mark Cotta Vaz hat hier ausführlich und detailliert gearbeitet, was nun seinen Lesern zugute kommt. Dabei bringt er sein großes Fachwissen mit ein und zeigt mittels Querverweisen und sekundären Informationen weitere Details auf.

Neben ausführlichen Informationen über Spider-Man selbst, werden dem Leser auch die Darsteller nahe gebracht. Seien es nun Toby Maguire, Kirsten Dunst oder Willem Dafoe. Die hochkarätige Besetzung findet ebenso Beachtung wie die Maskenbildner oder Tricktechniker. Ausführlich beschreibt er die akribische Arbeit, die für den Film betrieben wurde, und zeigt seinen Lesern, wie genau dieses oder jenes funktionierte. Zum Beispiel erklärt er den scheinbar unkomplizierten Anzug Spider-Mans, in dem allerdings viel Know-how steckt. Für den Anzug wurden immerhin „Muskelpakete“ konstruiert und aufgedruckt, um die perfekte Illusion zu erzeugen. Selbst die Spinne wurde vom Tiertrainer in ein „Kostüm“ gesteckt, wie man dem Buch entnehmen kann.

Abgerundet wird der positive Gesamteindruck durch abschließende Filmfotos. Außerdem sind einige Storyboard-Sequenzen enthalten, die für den Film vorhergesehen waren, später aber nicht realisiert wurden. Ein informatives und flüssig zu lesendes Buch, das einfach Spaß macht und dem Leser Spider-Man nahe bringt. Sehr empfehlenswert.

_Günther Lietz_ © 2002
mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/

Europa rüstet für den Krieg

Mit Lichtgeschwindigkeit ist Europa von der Nachkriegsordnung in eine Vorkriegszeit geraten. Den Krieg gegen Jugoslawien feierten die EU-Eliten als „Geburtsstunde“ des „neuen Europa“. Gewaltige Rüstungsprogramme ermöglichen Europa die globale Angriffskriegsfähigkeit. Der österreichische Soziologe und Journalist Oberansmayr zeichnet mit seinem Buch die Herausbildung der militärischen Supermacht historisch nach.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Europa geteilt und Westeuropa wurde militärisch den USA im Kampf gegen den kommunistischen Außenfeind unterstellt. Frankreich hatte das am wenigsten gepasst und so befasste es sich bereits 1950 mit Plänen für eine eigenständige europäische Armee. Nur aufgrund der Vorbehalte gegen den einstigen Kriegsgegner Deutschland scheiterten diese Pläne. Deutschland wurde dadurch allerdings nicht behindert, sondern konnte innerhalb der NATO durchaus militärisch wachsen. Die westdeutschen Machteliten gehörten zu den Gewinnern der Nachkriegskonstellation, was Frankreich gar nicht gefiel. Der Preis, den Deutschland für seine Militarisierung allerdings zahlen musste, war seine Spaltung. Das sowjetische Angebot, den Osten zugunsten eines entmilitarisierten Gesamtdeutschlands aufzugeben, wurde sowohl von den USA wie auch Westdeutschland entschieden abgelehnt.

Konrad Adenauer sah in einer europäischen Armee den besten Weg, den deutschen Osten wiederzuerlangen. Franz Thedieck (CDU), Staatssekretär 1952 im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen sah „das Herzstück Europas, Böhmen, Mähren und Schlesien überschwemmt von einer asiatischen Flut“. 31 von den 38 Generälen der neu gegründeten Bundeswehr waren schon Mitglieder des Generalstabs von Hitlers Wehrmacht gewesen. General Adolf Heusinger 1949: „Der Eintritt in die Europa-Armee wird es uns ermöglichen, unsere frühere Kampffront völlig wieder herzustellen“. Jacob Kaiser (CDU), Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, 1952: „Ein wahres Europa kann nur gebildet werden, wenn die deutsche Einheit wieder hergestellt wird. Sie umfasst außer Deutschland auch Österreich, einen Teil der Schweiz, die Saar und Elsaß-Lothringen“. Franz Josef Strauß, Verteidigungsminister ab 1957, kämpfte energisch für eine deutsche Nuklearmacht.

Frankreich unter Charles de Gaulle trieb diese Entwicklung der Atombombe aber im Alleingang an, ohne Deutschland und ohne Italien. 1961 legte Frankreich den Entwurf für eine über die EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) hinausgehende Union der europäischen Staaten vor. Die Benelux-Länder lehnten ab, weil es ohne Beteiligung Großbritanniens nach französisch-deutscher Vorherrschaft aussah. Frankreich und Deutschland machten einen Alleingang mit dem deutsch-französischen Vertrag über Zusammenarbeit von 1963 (Èlysee-Vertrag). Das missfiel nun aber auch den USA. Frankreich wollte Europa damit unabhängig gegenüber den USA machen. Doch die inzwischen stärker „atlantisch“ orientierte Regierung unter Kanzler Ludwig Erhard zeigte sich wenig interessiert. 1966 tritt Frankreich aus der NATO aus. Deutschland wurde wichtiger. 1969 schlug der deutsche Kanzler Willy Brandt die Gründung einer europäischen Währungsunion vor, um sich vom Dollar als Leitwährung zu emanzipieren. Ende der 70er Jahre wurde das Europäische Währungssystem (EWS) eingeführt, aber schon da ging bereits das Gespenst der „Eurosklerose“ um. Großbritannien, seit 1973 Mitglied der EG, reagierte in traditioneller Anlehnung an die USA ohnehin allergisch auf deutsche Vormachtsbestrebungen.

Ab den 70er Jahren wurden ethnische Spannungen in den Nachbarländern geschürt. Der BND (Bundesnachrichtendienst) arbeitete auf die Verschärfung des Konflikts zwischen Zagreb und Belgrad hin. Unmittelbar vor dem Tode Titos war der deutsche Geheimdienst zu einem aktiven Gestalter der Balkanpolitik geworden. Der Innenminister Kroatiens, Krajacic, handelte nur noch in Absprache mit BND-Instituten und Ustacha-Repräsentanten im Ausland. Die Saat dieser Balkanpolitik ging Anfang der 90er Jahre auf.

1983 sah Otto Habsburg, Kaiserenkel und Europa-Abgeordneter der CSU, die Chance, die EG als „politischen Körper, in dem sich die Weltmacht Europa heranbildet“ neu zu strukturieren. 1984 erklärten die Außen- und Verteidigungsminister der sieben damaligen Mitgliedsstaaten in ihrer „Erklärung von Rom“, gemeinsam im Bereich der wehrtechnischen Grundlagen und der industriellen Wartung eingeführter Waffensysteme zusammenzuarbeiten, um die Führungsmacht USA auszuhebeln. Deutschland sah über eine atomare europäische Verteidigung die Möglichkeit, das ABC-Waffenverbot umgehen zu können. 1988 schritt man zu ersten militärischen Taten und entsandte europäische Minenräumboote in die Nahost-Golfregion. Dieser erste Einsatz außerhalb des NATO-Bündnisgebietes wurde auch mit deutschen Soldaten unter General Klaus Naumann vollzogen, der damit seine „höhere“ Karriere durchstartete. Beim NATO-Angriff 1999 war er dann Vorsitzender des NATO-Militärausschusses in führender Position.

Parallel dazu liefen die Zentralisierung der Rüstungsindustrie und Ankurbelung der Rüstungsforschung zur Herstellung eines gesamteuropäischen Rüstungsmarktes an. Bisheriger Kern der europäischen Verteidigung ist die deutsch-französische Brigade. Die früh verstorbene Galionsfigur der Grünen, Petra Kelly, war eine der entschiedensten Gegnerinnen dieses Rüstungswahns, die jetzige Gallionsfigur Joschka Fischer dagegen einer der Hauptbetreiber dieser Entwicklung. Der Zusammenbruch der realsozialistischen Systeme wirkte als enormer Katalysator. General Naumann 1993: „Es gelten nur noch zwei Währungen auf der Welt: wirtschaftliche Macht und militärische Mittel, sie durchzusetzen“.

Die Amerikaner jedoch sind nicht bereit, den „Platz an der Sonne“ zu teilen. 1992 entwarfen sie den „No Rivals“-Plan und metzelten zuvor hunderttausende Iraker nieder, um der Welt die Botschaft von der „New World Order“ (Bush sen.) einzubrennen: dass es selbstmörderisch sei, die Hegemonie der USA in Frage zu stellen. Die Militarisierung Europas darf ihrer Ansicht nach nur unter strikter politischer, organisatorischer und militärtechnologischer Abhängigkeit zu den USA geschehen. Die europäischen Vorstellungen dagegen sind andere und gleichen denen der Politik Hitler-Deutschlands. Mit der deutschen Wiedervereinigung verschoben sich die Kräfteverhältnisse innerhalb der EU zugunsten Deutschlands. Joschka Fischer 1992 (noch vor seiner Zeit als Außenminister): „Deutschland soll eine Art `sanfte Hegemonie über Europa` bekommen, eine Übermacht, die ihm aufgrund seiner Größe, seiner wirtschaftlichen Stärke und seiner Lage auch zusteht“.

Das Konzept vom „Europa der Regionen“ läuft darauf hinaus, die kleinen Nationalstaaten zugunsten der ökonomischen Herrschaft des größten Nationalstaates – Deutschland – aufzulösen. Uraltprinzip: Teile und herrsche! „Der Osten ist als Aktionsraum für die deutsche Außenpolitik zurückgekehrt“ (Strategiepapier der CDU/CSU-Fraktionen zur Europapolitik (Schäuble/Lamers). Deutschland übernahm von Anfang an die Schrittmacherrolle bei der Zerstörung Jugoslawiens, indem es bei der Anerkennung von Slowenien und Kroatien voranpreschte. Die Amerikaner bezeichneten diesen Krieg als „Genscher-War“, denn erstmals wollten weder die USA noch die anderen Europäer (mit Ausnahme Österreich) dem Kriegskurs Berlins folgen. Die deutschen Eliten pokerten hoch, um diesen Krieg durchzusetzen, und riskierten sogar die Spaltung der EU. Sie setzten sich durch. Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) übernahm die deutsche Kontrolle des kroatischen Geheimdienstes für 800 Millionen DM in bar. Die US-Militärzeitschrift „Defense Foreigns Affairs Strategic Policy“ 1992: „Der Krieg in den früheren jugoslawischen Republiken wird durch ein massives und komplexes System von Waffenlieferungen per Schiff nach Kroatien und Bosnen-Herzegowina, finanziert und organisiert von Deutschland, angeheizt“. Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung: „Deutschland hat hier ein Verbrechen begangen“.

Ab 1996 baute der BND systematisch die Verbindung zur kosovarischen Untergrundsarmee UCK auf. Deutschland legte in der NATO ein Veto gegen die Unterbindung des Waffenschmuggels für die UCK ein. 1998 fordert Deutschland bei der NATO-Tagung in Brüssel ein direktes militärisches Eingreifen der NATO im Kosovo. Die USA änderten ihre Ansicht, denn sie sahen nun die Gefahr, dass die NATO an Bedeutung verlieren könnte, und übernahmen 1999 die militärische Führung beim NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien, nicht zuletzt, um die militärische Separation der EU von den USA zu verhindern – und erreichten das Gegenteil.

Die deutsche Präsidentschaft beim EU-Gipfel in Köln gab den Startschuss für eine – von der NATO unabhängige – EU-Interventionstruppe. Die deutsche Politik im Balkan geht in bewährter Weise weiter. Auch bei den letzten Kämpfen in Mazedonien hatte Deutschland mitgemischt, denn über den deutschen Besatzungssektor im Kosovo sickerten viele UCK-Kämpfer nach Mazedonien ein und destabilisierten nach bewährtem Muster das labile Land. Die Zerschlagung des blockfreien jugoslawischen Staates war notwendig, damit vor der EU-Erweiterung den Osteuropäern vorgeführt wurde, dass es zur Unterwerfung keine Alternative gäbe. Wer Weltmacht werden will, muss vor allem dafür sorgen, dass keiner mehr aus der Reihe tanzt. Wie gewohnt – ähnlich wie bei der Entmachtung Rumäniens und dem perversen Abschlachten von dessen Präsidenten (siehe auch http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=8 ) – wurden Nachrichten propagandagemäß gefälscht. Als die Untersuchungsergebnisse eines finnischen Ärzteteams die Meldung von einem „serbischen Massaker“ im Ort Racak nicht bestätigen wollte, hielt Fischer sie unter Verschluss und erzählte dagegen der Öffentlichkeit ungeniert: „Racak war für mich der Wendepunkt zum Krieg“ (1999).

General Naumann 1992: „Die Bundeswehr muss zum Alleingang bereit sein, wenn die NATO noch nicht handeln kann oder will“. Naumann 2003: „Die Bundeswehr muss die Soldaten wieder mit dem Tod vertraut machen“. Großbritannien, die weder beim Eurokorps noch bei der Währungsunion beteiligt sind, merkten inzwischen, dass sie mit massivem Bedeutungsverlust aus dem EU-Zentrum herauskippen könnten und versuchen sich an die Spitze der europäischen Militarisierung zu setzen, um deren Zentralisierung unter deutsch-französischem Kommando zu verhindern.

Der nächste große Coup war die Vorbereitung einer europäischen Verfassung, über die an anderer Stelle genügend berichtet wird (siehe http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=9 sowie http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=10 ). Die Zusammensetzung des Konvents ist aufschlussreich: Nur zwei von 65 stimmberechtigten Mitgliedern des Konvents waren deklarierte Gegner der EU-Militarisierung bzw. des Jugoslawien- und Afghanistankrieges (Jens Peter Bonde aus Dänemark und Sylvia Yvonne Kaufmann aus der BRD). Die Aufhebung der Vetomöglichkeit war Kernstück der neuen Verfassung. 310 der 460 Artikel, also ¾, wurden nie im Konvent diskutiert, sondern direkt zwischen den Außenämtern in Paris und Berlin ausgemauschelt.

Schwierigkeiten machen jedoch die neuen Ostmitglieder in der EU. Diese Länder sehen sich einer wirtschaftlichen Kolonisierung deutscher Konzerne gegenüber und lehnen sich deswegen militärisch eher an die USA an. Polen und Tschechen ordern Rüstungsprojekte bei den USA anstatt bei den europäischen Firmen, und im USA-Krieg gegen den Irak stellten sich weitere sieben Länder des „neuen Europa“ an die Seite der USA. Das „alte Europa“ formierte sich aber ebenso: Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg. In „ihrem“ Verfassungsentwurf ist die militärische Aufrüstung festgeschrieben. Abrüstungsbefürworter sind damit faktisch Verfassungsfeinde {Gegner des marktwirtschaftlichen Kapitalismus im Übrigen ebenso. – Anm. d. Lektors}.

Ein „Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten“ kontrolliert die EU-Mitgliedsstaaten drauf hin, ob sie ihrer Verpflichtung nachkommen. Aufstandsbekämpfung überall in der Welt ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates ist ebenso in der Verfassung enthalten. Auf die Idee, den Kampf gegen den „Terrorismus“ in Verfassungsrang zu erheben, ist bislang nicht einmal Rumsfeld gekommen. Der Kampf gegen Terrorismus richtet sich nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Es besteht genügend Interpretationsraum, um politische Opposition zu kriminalisieren. Um zu verhindern, dass Staaten einfach so wieder austreten könnten, wurden die Austrittsbedingungen geändert. Bislang kann das noch jedes Land autonom entscheiden, mit Annahme der Verfassung jedoch nur noch mit Zustimmung der Mehrheit im europäischen Parlament. Und auch wer dort nicht drin ist, wird okkupiert. In Bosnien-Herzegowina und im Kosovo hat die „westliche Wertegemeinschaft“ Kolonialregimes errichtet. Der „Hohe Repräsentant“ der westlichen Staatengemeinschaft verfügt dort über volle Exekutivrechte in allen zivilen Angelegenheiten. Er kann Parteien auflösen, Wahlergebnisse annulieren, gewählte Präsidenten, Regierungschefs und Bürgermeister abberufen, Richter entlassen, Gesetze oktroyieren und neue Behörden schaffen und tut es auch. Zum Beispiel gab es 2002 153 solcher Kolonialerlässe. 2001 überfiel man einfach die staatliche Bank, sprengte alle Tresore und nahm alles Geld und Wertpapiere mit.

In der Vergangenheit stellte sich Europa – von der Öffentlichkeit in dieser Art kaum wahrgenommen – sehr unrühmlich auf die Seite der Völkerrechtsverbrecher in Afrika (Ruanda), Afghanistan und manch anderer Region. Palästina ist als Mitgliedsstaat der EU fest eingeplant, um ein Gegengewicht zum zur USA gehörenden Israel zu schaffen. Das Europäische Parlament will bis 2009 Kriege in der Größenordnung des Jugoslawienkriegs als eigenständige EU-Kriege führen können. Das wurde von der Mehrheit des Europäischen Parlaments in einer Entscheidung vom 23.10.2003 beschlossen. Die Ausgaben für Rüstung sind gigantisch und sie werden nicht wie andererseits die sozialen Haushalte im Maastrich-Defizitskriterium eingerechnet. Auch der Weg der EU zur Atommacht geschieht geräuschlos. Bis 2008 wird eine neue Generation von atomaren Langstreckenraketen entwickelt, ebenso wird bis dahin eine neue Generation an Atom-U-Booten einsatzbereit sein. Der seit Jahrzehnten angestrebte Zugriff Deutschlands auf die Atombombe hat sich verwirklicht. Mit europäischen Atomstreitkräften sieht sich Deutschland nicht mehr an die Atomwaffensperrverträge gebunden und nutzt seine Atomanlagen für militärische Forschung. Der von Rot-Grün beschlossene schrittweise Ausstieg aus der Atomenergie ist eine Farce. Der Reaktor Garching II bei München ging erst 2003 in Betrieb.

Bis 2008 wird das europäische Programm GALILEO mit einem Netz von 27 künstlichen Himmelskörpern die Erde umkreisen, den gesamten Planeten im Auge haben und mit der Genauigkeit von einem Meter den USA überwachungsmäßig um Jahre voraus sein. Hauptsitz des Instituts ist in Deutschland, das Milliarden Euro dafür zahlt. Bemerkenswert, wo doch behauptet wird, die Staatskasse sei leer und wo massive Sozialkürzungen beschlossen sind. Die in den Medien verbreitete Behauptung, GALILEO sei ein rein ziviles Projekt, ist schlicht eine Lüge. GALILEO bringt das US-Monopol auf High-Tech-Blitzkriege ins Wanken. Es gibt noch mehr Weltraumprojekte als nur dieses System, und Deutschland ist nach den USA und Russland das dritte Land mit Radarüberwachung aus dem Weltraum.

Einer der größten Akteure ist die Deutsche Bank, größte Bank Europas, und wiederum größter Aktionär von Daimler-Chrysler, der wiederum größter Aktionär des kontinental-europäischen Rüstungskonzerns ist. Damit wird auch verständlich, wieso erst vor kurzem durch die Nachrichten ging, dass Amerika die Deutsche Bank aufkaufen wolle. Wer für Angriffskriege rüstet, will nicht Reichtum produzieren, sondern andere ausplündern. Francois Mer, französischer Wirtschaftsminister, 2002: „Der Direktor der Deutschen Bank meint: Das beste Mittel, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, ist ein Krieg. Ich denke wie er“. Aus dem Geschäftsbericht der europäischen Rüstungsindustrie 2001: „Unsere Verpflichtung ist es, für alle unsere Aktionäre Mehrwert zu schaffen. Wir halten, was wir versprechen“. Die Rüstungsinvestitionen liegen 50 Prozent über dem Höchststand des kalten Krieges, dabei ist es ein Wettrüsten zwischen den Konkurrenten West-West geworden, mit dem Preis des Sozialabbaus, der schon jetzt die Erde in eine historisch beispiellose Spaltung von Reichtum und Armut, Macht und Ohnmacht gerissen hat. Hinter den Planern der EU stehen Kräfte, die künftig mit zwei Räuberbanden anstatt nur einer die Welt unsicher machen und unter sich auf aufteilen wollen. Das 20. Jahrhundert endete, wie es begonnen hatte: Mit einem gemeinsamen Kolonialkrieg der großen Nationen, um ihre imperialen Interessen durchzusetzen.

Weiterführende Informationen:

[Europäische Union]http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%E4ische_Union (|wikipedia|)

[Europäische Verfassung]http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%E4ische_Verfassung (|wikipedia|)

[Es begann mit einer Lüge:]http://online.wdr.de/online/news/kosovoluege/ |Monitor|-Dokumentation des WDR über den Kosovo-Krieg

[German Foreign Policy:]http://www.german-foreign-policy.com/ Informationen zur deutschen Außenpolitik (mit zahlreichen Artikeln und Berichten zur Rüstungsentwicklung sowie Militärbündnissen und -planungen)

[Europa: Friedensmacht oder Militärmacht?]http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Europa/Welcome.html Beiträge zur Zukunft Europas von |Friedenspolitischer Ratschlag|, AG Friedensforschung, Uni Kassel

[EU für „Präventivkriege“ und „robuste Interventionen“. Die „Hard-Power“-Verfassung]http://www.imi-online.de/2003.php3?id=638 (G. Oberansmayr in: |guernica| Nr. 03/2003)

[“Spektakuläre Erfolge” im Waffenhandel]http://www.lebenshaus-alb.de/mt/archives/002291.html (|Lebenshaus Schwäbische Alb|)

[Europa: Militär & Rüstung]http://www.bessereweltlinks.de/book12c.htm

[Deutschland: Militär & Rüstung]http://www.bessereweltlinks.de/book12e.htm

[Deutschland: Rüstungsexport]http://www.bessereweltlinks.de/book16c.htm

[EU-Armee – ein Papiertiger]http://www.juergen-elsaesser.de/de/artikel/home/jw040524euroarmee.html

[Die militärische Machtentfaltung der Europäischen Union]http://www.linksnet.de/drucksicht.php?id=1236 von Lothar Schröter (UK) in: |UTOPIE kreativ|, H. 164 (Juni 2004), S. 530-534

[Im Gleichschritt, marsch]http://www.jungewelt.de/2004/06-17/004.php Brüsseler Gipfel will mit europäischer Verfassung vor allem die Militarisierung der EU voranbringen

[EU macht mobil]http://www.jungewelt.de/2004/06-16/001.php »Friedensgutachten 2004« vorgelegt. Scharfe Kritik an EU-Aufrüstung und deutschen Militäreinsätzen

_Gerald Oberansmayr
[Auf dem Weg zur Supermacht]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3853712169/powermetalde-21
Die Militarisierung der Europäischen Union
144 Seiten, Paperback, |ProMedia| 2004
ISBN 3-85371-216-9 _

Interview mit Kai Meyer

|Das nachfolgende Interview führte _Valentino Dunkenberger_ im April 2004 im Auftrag unseres Kooperationspartners [X-Zine]http://www.x-zine.de. Wir bedanken uns für die freundliche Leihgabe der Kollegen.|

[Kai Meyer]http://www.kai-meyer.com wurde am 23. Juli 1969 in Lübeck geboren und ist im Rheinland aufgewachsen. Er hat in Bochum einige Semester Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studiert {sowie Germanistik und Philosophie – Nachtrag d. Lektors} und anschließend mehrere Jahre als Journalist für eine Tageszeitung gearbeitet. Sein erstes Buch veröffentlichte er 1993 im Alter von 24 Jahren. Seit 1995 ist er freier Schriftsteller und gelegentlicher Drehbuchautor. Mittlerweile werden seine Romane in vierzehn Sprachen übersetzt. Er lebt mit seiner Frau Steffi, ihrem Sohn Alexander und Hund Motte am Nordrand der Eifel. (Quelle: Autoren-Homepage)
Für September 2004 ist sein nächster phantastisch-historischer Roman [„Das Buch von Eden“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3785721749/powermetalde-21 als Hardcover und Hörbuch in Planung und wird bei |Lübbe| erscheinen, seine bei |Loewe| veröffentlichte |Wellenläufer|-Trilogie fand kürzlich erst ihren Abschluss, außerdem sind die ersten Bände der siebenteiligen |Mythenwelt|-Reihe in Kooperation mit anderen Autoren erschienen.

_X-Zine: _
Hattest du schon immer den Wunsch, Schriftsteller zu werden, oder gab es da einen Wendepunkt in deinem Leben, an dem du dich entschlossen hast, ein Buch zu schreiben?

_Kai Meyer: _
Ich wollte schon sehr früh Geschichten erzählen, ganz gleich in welcher Form. Mit siebzehn, achtzehn wollte ich eigentlich zum Film, vorher dachte ich einmal, ich könnte vielleicht Illustrator oder Comiczeichner werden. Zum professionellen Schreiben kam ich mit neunzehn durch meinen allerersten Versuch, ein Drehbuch für einen Kurzfilm zustande zu bringen. Aus dem Film wurde nichts, und so habe ich mich hingesetzt und begonnen, das Ganze als Roman aufzuschreiben. Nach etwas über dreißig Seiten habe ich mich gefragt, für wen ich das eigentlich mache, habe den Stapel mit einem höflichen Anschreiben eingetütet und an Michael Schönenbröcher bei |Bastei| geschickt. Damals dachte ich, das könnte etwas für die „Dämonenland“-Serie sein. Er hat mir dann einen sehr ausführlichen und sehr freundlichen Brief geschickt, in dem er mir erklärt hat, warum er den Roman nicht gebrauchen konnte – damals wurden in der Serie nur Nachdrucke veröffentlicht –, hat ihn aber an die Taschenbuchredaktion weitergeleitet. Dort wusste mein späterer langjähriger Lektor Reinhard Rohn auch nichts damit anzufangen und reichte die Seiten an die Redakteurin der „Mitternachtsroman“-Reihe weiter. Von ihr bekam ich schließlich eine Zusage, allerdings unter gewissen Auflagen. Meine Geschichte war eher gedacht in der Tradition von italienischen Horrorfilmen wie „Suspiria“; statt dessen wurde dann ein Gruselroman „für Frauen“ daraus – was immer genau das heißen mag.
Auf diesem Wege habe ich aber Reinhard Rohn kennen gelernt, der mir zwei, drei Jahre später die Chance gab, mein erstes Buch zu schreiben, einen True-Crime-Roman mit dem Titel „Der Kreuzworträtsel-Mörder“. Von da an ging es beständig aufwärts. Der eigentliche Durchbruch kam zwei Jahre später mit meinem ersten Hardcover „Die Geisterseher“, der erste große Erfolg mit [„Die Alchimistin“ 73.

_X-Zine: _
Woher nimmst du die ganzen Ideen für deine Bücher? Sind das spontane Einfälle oder dauert es seine Zeit, bis du die Grundstruktur eines neuen Romans ausgearbeitet und vor Augen hast?

_Kai Meyer: _
Jeder hat Ideen für Geschichten. Der Mann am Bankschalter, die Frau in der Supermarktschlange. Allerdings behandeln die Wenigsten ihre Ideen mit dem nötigen Respekt und der angemessenen Ernsthaftigkeit, sei es, weil sie einfach kein Interesse daran haben oder aber schlichtweg keine Zeit für das, was die meisten anderen Leute „Spinnereien“ nennen. Für uns Autoren sind Ideen Kapital, und das meine ich nur am Rande im finanziellen Sinne. Ich notiere mir unendlich viele Einfälle, manchmal Unfug, oft aber eben auch eine wirklich gute Idee, aus der dann tausend Seiten werden können. Aus solchen Grundideen baue ich mir über mehrere Wochen oder Monate hinweg ein Exposé, also eine Art szenisches Konzept, an dem ich mich beim eigentlichen Schreiben des Romans entlang arbeite.

_X-Zine: _
Was für Bedingungen brauchst du, um gut und viel schreiben zu können? Musst du dazu ganz allein sein oder brauchst du im Gegenteil Menschen um dich herum? Könntest du uns beschreiben, wie dein Arbeitsplatz ungefähr aussieht?

_Kai Meyer: _
Ein Rundblick über meinen Schreibtisch: Neben all dem technischen Schnickschnack wie Monitor, einem neuen und einem alten PC (den ich seit mindestens einem Jahr wegräumen will), Drucker usw. sehe ich unter anderem ungefähr fünfzig Bücher herumliegen, eigene und von anderen Autoren; eine Ablage aus Plastikfächern, deren obere beiden Etagen unter den Papierbergen, die sich darauf auftürmen, gebrochen sind; viele, viele lose Zettel und Blätter, darunter ein paar handschriftliche Leserbriefe, die ich schon lange hätte beantworten sollen; das Foto eines Mädchens, das gedacht hat, sich bei mir für die Verfilmung der |Merle|-Trilogie bewerben zu können (ein Trugschluss); die aktuelle VÄRTTINA-CD „Iki“; die Fahnen meines neuen Romans „Das Buch von Eden“, der im September erscheint; Quittungen für meinen Steuerberater; eine Sideshow-Skulptur von Tolkiens Hexenkönig auf seinem Flugungeheuer; zwei „Fighting Furies“-Piratenfiguren aus den 70ern; die Videokassette des russischen Märchenfilms „Das gestohlene Glück“; eine leere Kaffeetasse; den chinesischen Roman „Die Rebellen vom Liang Schan Moor“ (auf dem die ähnlich betitelte TV-Serie basiert); ein Kaktus; eine |Merle|-Schneekugel, die mir der |Loewe|-Verlag geschickt hat; ein Foto von mir vor dem Pub „The Eagle and the Child“ in Oxford aus dem letzten Jahr; eine Schreibfeder, die ich noch nie benutzt habe; und, ähem, ein paar Hundehaare, was bei zwei Hunden nicht ausbleibt.

Und das ist nur das, was auf meinem Schreibtisch steht. Die übrigen knapp 80 Quadratmeter meines Arbeitszimmers sehen genauso chaotisch aus, mit zig Stapeln aus Büchern, die sich überall auf dem Boden auftürmen; Bücherregalen, in die keine einzige lose Seite mehr passt; Kinoplakaten von fragwürdigen Filmen aus den 80er Jahren (u.a. „Der Zauberbogen“ und „Metalstorm“ …); ein uralter Flipper, der leider nicht mehr funktioniert; allerlei Actionfiguren, etwa zur Comicserie „Bone“; zwei Ledersofas, die halb unter Büchern und Comics begraben sind; und viel zu viele DVDs, die ich vermutlich nie im Leben anschauen werde.
All das brauche ich manchmal zum Schreiben – und manchmal lenkt es mich derart ab, dass ich lieber im Wohnzimmer oder, im Sommer fast immer, im Garten arbeite.

_X-Zine: _
Du bist mit 34 Jahren noch ziemlich jung, hast aber schon, wenn ich richtig informiert bin, an die vierzig Bücher geschrieben. Hast du einen bestimmten Maßstab, wie viel du am Tag schreibst?

_Kai Meyer: _
Ich versuche, zehn Manuskriptseiten am Tag zu schreiben, fünfmal die Woche – niemals am Wochenende. In der Regel brauche ich für einen Roman, je nach Länge, zwischen drei und sechs Monaten. An „Das Buch von Eden“ habe ich fast ein Jahr gesessen.

_X-Zine: _
Du hast großen Erfolg mit deinen Büchern, sowohl in Deutschland als auch im Ausland. Wie gut kannst du von dem, was du mit dem Schreiben verdienst, leben?

_Kai Meyer: _
Ganz gut. Als ich mich 1995 selbstständig gemacht habe, habe ich mir als Limit gesetzt, im ersten Jahr mindestens so viel zu verdienen wie vorher als fest angestellter Redakteur bei einer Tageszeitung. Mittlerweile ist es ein Mehrfaches davon.

_X-Zine: _
Demnächst wird deine sehr erfolgreiche „Merle“-Trilogie verfilmt. Wie und vor allem warum kam es zu der Entscheidung, diese als Zeichentrickfilm umzusetzen und nicht als Realverfilmung, was ich persönlich sehr schade finde?

_Kai Meyer: _
Ganz einfach: Es war das erste seriöse Angebot einer Produktionsgesellschaft. Deutsche Produzenten – bis auf ganz wenige Ausnahmen – können mir noch so oft erzählen, dass sie die |Merle|-Bücher real umsetzen könnten. Ich würde ihnen, nach diversen Erfahrungen im Filmgeschäft, kein Wort glauben. Aber eine Zeichentrickverfilmung ist machbar. Und die Trickompany ist das beste Animationsstudio, das wir in Deutschland haben. Abgesehen davon, dass der Regisseur Michael Schaack und der Produzent Thomas Walker sehr nette und vor allem realistische Leute sind, was in dieser Branche keineswegs selbstverständlich ist.

_X-Zine:_
Ich habe mich ein wenig auf deiner [Homepage]http://www.kaimeyer.com umgesehen und war recht erstaunt, wie viel Zeit du dir für diese Seite und deine Fans nimmst. Ich finde das sehr lobenswert, denn es gibt nicht mehr sehr viele Autoren, die einen so guten Kontakt zu ihren Lesern pflegen! Folgere ich daraus richtig, dass dir deine Fans sehr am Herzen liegen?

_Kai Meyer: _
Klar, sonst würde ich das alles nicht machen. Das Ganze bedeutet eine Menge Arbeit – dessen technische Seite mir zum Glück abgenommen wird –, aber eben auch eine Menge Spaß. Ich kann mittlerweile schon gar nicht mehr recht nachvollziehen wie es war, als ich noch keinen so nahen Kontakt zu meinen Lesern hatte. Sicher, manchmal wird es auch ein wenig zu viel des Guten – die üblichen Fragen wiederholen sich ja sehr, sehr oft, gerade in E-Mails -, aber insgesamt überwiegen die angenehmen Seiten mit großem Vorsprung. Vor allen Dingen die Arbeit an der Rubrik „Journal“, eine Art Blog oder Arbeitstagebuch, ist klasse. Mittlerweile wird sie im Monat von 8.000 bis 9.000 Leuten gelesen, was eine ganz ordentliche Zahl für eine nicht-kommerzielle und weitgehend nicht beworbene Website ist.

_X-Zine: _
Du hast gerade zum neuen Jahr ein Projekt abgeschlossen, das unter dem Titel „Das Buch von Eden“ im Herbst auf den Markt kommt. Wieso liegt zwischen Schreiben und Veröffentlichung eine so große Zeitspanne?

_Kai Meyer: _
Tatsächlich ist sie diesmal sogar sehr kurz. Ich habe das Buch am 31. Dezember abgegeben. Im Mai müssen die fertig gedruckten Leseexemplare für Buchhändler und Medien vorliegen. Damit bleiben für Lektorat, Fahnenkorrektur, Titelbild, Innenillustrationen, Satz und die übrige Herstellung gerade einmal etwas über vier Monate. Das ist sensationell knapp. Zwischen Mai und September, dem offiziellen Erscheinungstermin, läuft dann noch die erste Pressearbeit.

_X-Zine: _
Kannst du uns schon Näheres darüber verraten?

_Kai Meyer: _
Der Roman spielt im Hochmittelalter. Es geht um die Suche nach dem wahren Standort des Gartens Eden. Im Prinzip ist es eine Queste, die Geschichte einer Odyssee durch das mittelalterliche Europa und den Orient. Sehr episch, sehr umfangreich. Die Hauptfiguren sind gerade einmal sechzehn Jahre alt, aber sie werden unter anderem von Albertus Magnus und ein paar anderen wunderlichen Gestalten begleitet.

_X-Zine: _
An welchem Projekt arbeitest du gerade? Worum handelt es sich dabei?

_Kai Meyer: _
Ich beginne in den nächsten Tagen ein neues Jugendbuch mit dem Arbeitstitel „Aurora“. Auch über die Arbeit daran werde ich auf meiner Homepage wieder Tagebuch führen. Aber es ist noch ein wenig früh, um jetzt schon etwas über den Inhalt zu verraten.

_X-Zine: _
Vielen Dank für das Interview! Ich wünsche dir noch ganz viel Erfolg für deine Zukunft!

Hartwig Hausdorf – Die Rückkehr der Drachen

Auf der Voodoo-Wissenschaft-Schiene reisendes ‚Sachbuch‘, das stets nur zweifelhafte ‚Beweise‘ für, aber nie gegen „Die Rückkehr der Drachen“ liefert, dabei aus trüben Quellen fischt, sich in ein Gespinst nie belegbarer Kreuzverweise verwickelt, aus Legenden und realen Naturphänomenen abenteuerlich Traumsaurier konstruiert sowie sich überhaupt im Besitz der einzigen, nur von Blinden & Blöden negierten Wahrheit wähnt: amüsant als Kompendium längst bekannter Pseudo-‚Rätsel‘, dies aber eindeutig unfreiwillig = ein überflüssiges (Mach-)Werk. Hartwig Hausdorf – Die Rückkehr der Drachen weiterlesen

Vinge, Vernor – Eine Tiefe am Himmel

Das All ist seit Jahrtausenden von der Menschheit besiedelt, aber außerirdische Intelligenz wurde dabei bislang nicht entdeckt. Als vom sogenannten EinAus-Stern nahe des galaktischen Zentrums nichtmenschliche Funksignale aufgefangen werden, scheint sich der Traum eines Erstkontaktes zu erfüllen. Das Händlervolk der |Dschöng-Ho| rüstet eine Flotte aus, um sich bei den Aliens umzusehen. Der Stern ist schon für sich genommen seltsam genug, da er in langen Zeitabständen pulsiert und auch schon mal für Jahrzehnte verlöscht.

Bei der Ankunft müssen die |Dschöng-Ho| allerdings feststellen, das sie nicht die Einzigen sind, welche sich für die Fremden interessieren. Eine zwischenzeitlich in die Barbarei versunkene Zivilisation in der interstellaren Nachbarschaft des EinAus-Sterns hat sich wieder weit genug erholt, um ebenfalls eine Expedition losschicken zu können. Leider ist die soziale Entwicklung der spöttisch „Aufsteiger“ genannten Neuankömmlinge weit hinter ihren technischen Möglichkeiten zurückgeblieben: Ihre faschistisch anmutende Gesellschaft ist auf der Versklavung und Ausbeutung Schwächerer aufgebaut. In einem Überraschungsangriff übernehmen sie auch die Schiffe der Dschöng-Ho. In den Kämpfen werden die Schiffe beider Parteien allerdings so schwer beschädigt, dass ein weiterer Weltraumflug nicht mehr im Bereich des Möglichen liegt.

Die |Aufsteiger| nutzen skrupellos das überlegene technologische Know-how der |Dschöng-Ho| für ihre Zwecke, nachdem sie alle Führungspersönlichkeiten der Händler exekutiert haben. Der Rest der versklavten Händler ist von der kaum vorhandenen Gnade der |Aufsteiger| abhängig. Die Versklavung wird durch exzellente Biotechnologie gewährleistet, welche in das Gehirn der Opfer eingreift und sie zu willenlosen Robotern macht. Wer von den Händlern gerade nicht benötigt wird, kommt in die Schlafkammern und wird „auf Eis“ gelegt.
Trotz all der scheinbaren Erfolge der |Aufsteiger| ist die übrig gebliebene Wirtschaftsbasis der verbliebenen Flotte viel zu gering, als dass ein langfristiges Überleben möglich scheint. Ohne Unterstützung einer planetaren Wirtschaft würde die Menschheit im System nach wenigen Jahrzehnten untergehen. Die planetaren Bewohner sind so wenig menschlich, wie man es nur sein kann: Sie stammen von einer Art Riesenspinne ab. Obwohl sie sich inzwischen an die Ökologie des Planeten gut angepasst haben, spricht doch vieles dafür, dass es sich bei ihnen keineswegs um Eingeborene handelt; die menschlichen Wissenschaftler vermuten eher, dass sie Nachfahren gestrandeter Raumfahrer sein könnten. Würde man ihnen ihre Geheimnisse entreißen können, hätte sich die Expedition trotz aller Verluste doch noch gelohnt! Vorerst müssen die |Aufsteiger| allerdings noch ein paar Jahrzehnte warten, denn die derzeitige technische Entwicklung wäre etwa mit der Erde um 1900 vergleichbar.

Aber während die |Aufsteiger| nun die Versklavung der Spinnen planen, proben die letzten überlebenden Händler den Aufstand…

Wie hält man eine Rebellion im Gang, wenn jedermann jederzeit überwacht wird und selbst Gedanken nicht mehr frei sind? Dieses Buch behandelt einen echten Alptraum eines Überwachungsstaates, in dem alle Menschen nur Verfügungsmasse der Aristokraten darstellen. Dagegen erscheint einem das geschilderte Leben des demokratischeren Spinnenvolkes fast schon als romantisches Idyll. Trotz ihrer körperlichen Fremdartigkeit sind die Spinnen geistig der Menschheit stark verwandt. Ich wäre ja von dieser Spiegelung menschlicher Denkungsart auf Aliens ein wenig enttäuscht gewesen, wenn Vinge nicht einen echten Kunstgriff angewandt hätte: Wir bekommen die Spinnen nämlich nicht direkt geschildert, sondern eher durch die Augen einer menschlichen Übersetzerin. Jede unpassende Vermenschlichung würde demnach das Werk dieser Sklavin sein, welche zu Analogien greift, um ansonsten nicht vermittelbare Gedankenwelten verständlich zu machen.

Vinges Werk wurde hoch gelobt und hat mir ebenfalls gut gefallen. Er hat sich auch jede billige direkte Kritik am ach so bösen Menschen verkniffen, selbst wenn sein Spinnenvolk im Vergleich mit den Aufgestiegenen als die Liebenswertere von beiden Lebensformen erscheint. Auch bei den Menschen gibt es „Gute“, während die Spinnen ebenso ihren Teil an bösartigen Intriganten aufweisen können. Mir hat das Buch wirklich gut gefallen, und die Geduld, mit der die Händler um ihre Freiheit kämpfen, hat durchaus etwas Bewegendes. Ich kann es auf alle Fälle empfehlen.
Die „Tiefe am Himmel“ des Buchtitels benennt übrigens ein lebenswichtiges Überwinterungsversteck in der Spinnensprache…

_sgo_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht, dem großen deutschsprachigen Onlinemagazin für Fantasy, Science-Fiction, Horror und Rollenspiele.|

Europa ohne Demokratie?

Die Europäische Verfassung soll dazu dienen, die nach dem Kalten Krieg neu eingetretenen Ostblockstaaten auf einen unumkehrbaren Markt der Gesetze des Profits und der Logik des Kapitals festzuschreiben. Dies geschieht im Hau-Ruck-Verfahren, wo ein Konvent in nur eineinhalb Jahren einen Entwurf schuf, der jetzt verabschiedet wurde (und noch durch die Mitgliedstaaten der EU ratifiziert werden muss).

Demokratie spielt im Entwurf keine wesentliche Rolle, dagegen die marktwirtschaftliche Absicherung und militärische Aufrüstung um so mehr. Das verläuft seit der Spaltung bezüglich des Irakkrieges zwar sehr schleppend, dafür gehen die Vorhaben, die Monopolunternehmen Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands im militärisch-industriellen Bereich zu einer europäischen Rüstungsagentur zu vereinen, um so schneller voran. Der Philosophie des Neoliberalismus mit seiner freien Marktwirtschaft wird keine Alternative gestattet.

Interessant ist wohl auch, dass der Konvent eine reine Männerdomäne war, die 83 Prozent stellten. Unter den letztlich zwölf Stimmberechtigten gab es nur eine einzige Frau. Die Europäische Verfassung wurde somit fast unter Ausschluss der Frauen konzipiert. Aber auch in sonstiger Hinsicht stellte die Zusammensetzung des Konvents eine sehr groteske Verzerrung der politischen Realitäten in der Europäischen Union dar. Alles blieb in der Hand des strengen Präsidiums unter der Leitung von Giscard d`Estaing. Die Debatten wurden, trotz der multinationalen Zusammensetzung, ohne Übersetzung – nicht mal ins Englische – nur auf Französisch geführt. Natürlich sowieso auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zwar gab es einige Foren, die aber eine Farce waren, wo sich bestimmte Interessenvertreter jeweils drei Minuten äußern durften. Kritiker waren selbst dort ausgeschlossen.

Zu Recht wird bezweifelt, ob die von Giscard d`Estaing selbstherrlich am Ende als Konsens verkündeten Positionen überhaupt die einer Mehrheit waren. Schon gleich zu Beginn des Konvents gab es von Seiten der gewählten Abgeordneten des Europaparlaments Unterschriftensammlungen und eine mehrheitliche Kritik an der Arbeitsweise der Verfassungsentwurf-Gremien. Dies wurde ignoriert.
Eigentlich hätte die Verfassung bereits vor der Osterweiterung im Dezember 2003 verabschiedet werden sollen, war aber gescheitert. Nicht wegen der grundlegenden Inhalte, sondern wegen der Machtverteilung um die Vormachtstellung von Deutschland und Frankreich.

Die ganze Diskussion geht bislang an der Öffentlichkeit völlig vorbei und dies durchaus mit Absicht, denn seit dem Vertrag von Maastricht 1992 sind die europäischen Bürger misstrauisch. Sie haben früh erkannt, dass das Kapital die sozialstaatlichen Absicherungen massiv abbaut. Beitrittsabstimmungen in den Ländern – auch für den Euro – wurden so lange wiederholt, bis das Ergebnis passte und die manipulative Propaganda aus den eigentlich klaren Neins doch Zustimmung erschuf.

Das gefeierte neue Europa findet keine Sympathie, die Wählerstimmen zu den Europawahlen gehen kontinuierlich in die Tiefe. Das Europäische Parlament ist tatsächlich auch eine absurde Konstruktion. Es hat gegenüber den Kommissionen keinerlei Rechte und kann auch keine Gesetzesinitiativen einbringen. Die wichtigsten Teile der Politik der Europäischen Union sind außerhalb von parlamentarischer Kontrolle. Die mittels Wahlen ausgeübte Souveränität der europäischen Völker erstreckt sich nicht auf die zentrale Institution. Stellung darf man allerdings beziehen, aber, technisch unmöglich, von den Mitgliedsstaaten innerhalb einer Frist von sechs Wochen gefordert. Einspruch wird zugelassen, wenn dies neun der fünfundzwanzig Länder innerhalb dieser Frist gelingt. Für den Deutschen Bundestag ist das nicht zu schaffen, denn auch die Landesparlamente müssten noch Stellung beziehen. An begründete Stellungnahmen der Zivilgesellschaft ist dabei gar nicht zu denken. Aber selbst wenn es neun Ländern einmal fristgemäß gelänge, Einspruch zu erheben, kann die Kommission an ihrer Entscheidung festhalten und den Parlamenten bliebe nur der Weg der Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Auch das dürfte wenig Chancen haben, denn die Beweggründe der einzelnen Staaten werden unterschiedlich sein und der Gerichtshof darf auf keine nationalen Einwände eingehen, sondern muss auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage entscheiden. Die nationalen Parlamente der fünfundzwanzig Staaten haben keine wirksame Kontrolle mehr zur Wahrung ihrer Rechte. Das Europäische Amt für Rüstung unterliegt dann sowieso nicht einer Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs.

Wer überwacht eigentlich all diese Kommissionen? Eine spannende ungeklärte Frage. Es ist überaus wichtig, sich mit der europäischen Thematik auseinanderzusetzen. Was da gerade geschieht, ist für eine westliche Demokratie völlig unglaublich.

Zur weiterführenden Information: die [Europäische Verfassung]http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%E4ische__Verfassung bei |wikipedia| – mit einigen zusätzlichen Verlinkungen ins Netz

Verlagsinformation zum Buch:
|Die Europäische Union ist auf dem Weg zur Weltmacht. Ihre Osterweiterung schafft einen Binnenmarkt, der größer ist als der der USA. Und auch die Bildung einer globalen Militärmacht Europa droht weiteren Auftrieb zu bekommen. Gleichzeitig steht die demokratische Legitimität der EU auf tönernen Füßen. Die legislativen Rechte des Europäischen Parlaments und seine Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Exekutive sind weniger als bescheiden und entsprechen nicht einmal grundlegenden Normen parlamentarischer Demokratie. Daß der vorliegende Text für eine EU-Verfassung diesen Mangel an Demokratie festschreibt, ist der Öffentlichkeit noch kaum bewußt. Und auch nicht, daß er die permanente Aufrüstung wie den weiteren neoliberalen Sozialkahlschlag zur Verfassungspflicht erhebt. Höchste Zeit für eine breite öffentliche Debatte.|

_Andreas Wehr
[Europa ohne Demokratie?]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3894382724/powermetalde-21
Die europäische Verfassungsdebatte – Bilanz, Kritik und Alternativen
154 Seiten, Paperback, PapyRossa 2004
ISBN 3-89438-272-4 _

Fehn, Oliver – Schule des Teufels, Die

Oliver Fehn ist auf dem Gebiet des deutschsprachigen Satanismus kein Unbekannter. Literarisch hat er sich bisher als Co-Übersetzer von Anton LaVeys „Satanischen Essays“ (erschienen bei |Second Sight Books|) und als Autor von „Satans Handbuch“ (erschienen im |Bohmeier|-Verlag) hervorgetan. Laut Verlagsinfo hat Fehn (Jahrgang 1960) ursprünglich Theologie studiert, sein Studium aber dann aufgrund ideologischer Differenzen abgebrochen und sich in einer Vielzahl von Jobs versucht. Mit der „Schule des Teufels“ liegt nun sein persönlicher Output zum zweiten Mal in Buchform vor.

Das Buch soll, wie Fehn in seinem Vorwort erläutert, als eine Art Brückenschlag verstanden werden. Seit Anton Szandor LaVey in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts die Grundlagen des modernen Satanismus explizit gemacht hatte, ist von Seiten der Church of Satan aus nicht mehr viel Neues über den großen Teich geschwappt. Gleichzeitig lässt der Satanismus als subkulturelle Strömung im deutschsprachigen Raum LaVey-feindliche Tendenzen erkennen, ohne einen konsistenten Gegenentwurf präsentieren zu können. Satanismus im Deutschland des 21. Jahrhunderts bedeutet – entgegen der „aufklärerischen“ Bemühungen vorgeblicher Sektenexperten – keine gesellschaftliche Bedrohung, sondern in erster Linie eine plakative Mischung aus invertchristlichen Motiven, anarchistischen Versatzstücken und ästhetischen Elementen, welche der Black-Metal- bzw. Gothicszene inhärent sind. Um dieser Trivialisierung entgegenzuwirken, versucht Fehn die Ideen LaVeys weiterzuentwickeln und an unseren kulturellen Standard anzupassen – die [„Satanic Bible“ 117 wurde schließlich im Kalifornien der 60er Jahre geschrieben, und es ist somit nicht verwunderlich, wenn dies bei Interessenten der Gegenwart für Irritationen sorgt. Nun könnte man argumentieren, dass ein intelligenter Satanist in der Lage sein müsse, die komplexen Hintergründe seiner Weltanschauung selbständig nachzuvollziehen, aber gerade für Neulinge kann ein wenig Orientierungshilfe sicherlich nicht schaden. Ich werde daher im Folgenden diskutieren, was die „Schule des Teufels“ im Wesentlichen zu leisten vermag und wer von seiner Lektüre gegebenenfalls profitieren könnte.

Im ersten Kapitel, „Vorsicht, Seelenfresser! oder Warum das Böse überlebensnotwendig ist“, schildert Fehn in einfacher Sprache, weshalb das gesellschaftlich Heterogene immer ein wichtiger Faktor sein wird. Die christlichen Ideen der „Schuld“ und des „Bösen“ haben eine dualistische Weltsicht produziert, welche essenzielle Bestandteile des menschlichen Lebens einfach ausklammern will. Diese Erkenntnis ist freilich nicht neu. Frater Eremor z.B. hat bereits in seinem [„Kraftstrom des Satan-Set“ 6 sehr anschaulich beschrieben, dass der moralische „Biomüll“ die Tendenz hat, ein unheimliches Eigenleben zu entwickeln. Ein Satanist muss die Ganzheit seines Wesens analysieren, was bedeutet, dass er auch vor gesellschaftlichen Tabus nicht die Augen verschließen darf.

Im zweiten Kapitel, „Geschichten vom Schicksalsschlaf oder Wie lange braucht ein Ritual, bis es zu wirken beginnt?“, entwirft Fehn einen theoretischen Überbau für rituelle Magie, welcher inhaltlich an LaVeys Essays „Das Zahlenschloss-Prinzip“ und „Phantasien aus dem Tartarus“ angelehnt ist. Zunächst nimmt Fehn eine methodische Unterscheidung zwischen „objektiver“ und „subjektiver“ Realität vor. Das bedeutet, der satanische Magier kann nur im Rahmen der naturgesetzlichen Grenzen, welche das objektive Universum festlegt, operieren. Veränderungen durch magische Rituale erfolgen daher zunächst innerhalb des subjektiven Universums bzw. (um im NLP-Jargon zu sprechen) der „Landkarte der Realität“ eines Individuums. Das Kriterium für erfolgreiche Magie ist dabei innerhalb des fehnschen Paradigmas ihre intersubjektive Überprüfbarkeit – ein geglückter Zauber manifestiert sich in der materiellen Welt und kann somit zwar nicht unbedingt kausal zurückverfolgt werden, aber es ist ggf. „objektiv“ erkennbar, dass die postrituellen Zustände dem Willen des Magiers entsprechen. Satanische Magie wirkt also indirekt – durch die rituelle Veränderung seines Unterbewusstseins nimmt der Satanist eine Korrektur der Kausalverhältnisse zu seinen Gunsten vor. Entscheidend ist hier vor allem, dass der Satanist das Ziel seines Rituals vorerst „vergessen“ muss, sobald der magische Prozess seinen Lauf genommen hat. Der Wille soll ja aktiv in die materielle Welt eingebettet werden, und nicht weiterhin passiv im Kopf des Satanisten herumspuken.

Kapitel 3, „Schleichwege zum Teufel oder Schwarze Magie für die Hosentasche“, vermittelt ein paar Rituale aus dem Bereich „lesser Magick“. Das „Instant-Ritual“ basiert auf einem sympathetischen Prinzip und wurde in ähnlicher Form bereits in der „Satanic Bible“ beschrieben. Die „Entlade-Methode“ ist denkbar einfach: Der Satanist staut ein negatives Gefühl auf und „pustet“ es auf einen seiner Kontrahenten. Der „magische Wille“ wird hier also nicht auf Papier oder Wein, sondern einfach auf einen Luftzug übertragen. Abschließend listet Fehn noch ein paar Dämonen- und Götternamen zwecks ritueller Anrufung auf. Ziel soll hier sein, das Wesen der angerufenen Entität in seinen momentanen Gemütszustand zu integrieren. All dies kann m.E. funktionieren, wenn der Magier davon überzeugt ist, aber im Grunde ist mir dieses Kapitel zu simpel gestrickt.

Kapitel 4, „Von menschlichen Fleischfressern und Humankaninchen oder Satans Energieerhaltungsgesetz“, beschäftigt sich mit individuellem Durchsetzungsvermögen. Souveränität ist, wie Fehn treffend bemerkt, auch in der modernen Zivilisation größtenteils immer noch auf animalische Verhaltensweisen zurückzuführen. Emotionen (von Fehn in diesem Kontext als „Energien“ definiert) können gemäß des fehnschen Paradigmas weder einfach verloren gehen, noch ohne weiteres in andere „Energieformen“ transformiert werden. Sie können allerdings von einem Subjekt auf ein anderes oder sogar auf unbelebte Objekte übertragen werden. Ferner können bestimmte Menschentypen für bestimmte „Energien“ prädestiniert sein. Wer Angst ausstrahlt, bekommt Aggression zurück. In diesem Sinne sollte ein Satanist daher laut Fehn seinen „Energiehaushalt“ gemäß seines Willens ausbalancieren. Hat er zu wenig oder zu viel von einer bestimmten Emotion, so muss er sein Verhalten gegebenenfalls ins Gegenteil verkehren, um das Kausalverältnis der „Energieströmungen“ zu korrigieren. Ich will nicht abstreiten, dass dieses Modell brauchbare Arbeitshypothesen produzieren kann, aber mir persönlich ist es einfach zu esoterisch.

Kapitel 5, „Wo kommen all die Teufel her? oder Wie der Mensch seinen Zecken-Gott erschuf“, beschreibt jenes Phänomen, welches in der jungschen Psychologie als „Archetyp“ und im traditionellen Okkultismus als „Egregor“ bezeichnet wird. Es ist im Grunde völlig egal, ob Leute wie Buddha, Jesus Christus oder Elvis Presley jemals existiert haben – im „kollektiven Unterbewusstsein“ erzeugen sie eine eigendynamische Struktur. Auf diese Weise entstehen jene Entitäten, welche gemeinhin als „Götter“ oder auch „Dämonen“ bezeichnet werden. Ich selbst empfehle in diesem Kontext zur persönlichen Erbauung die Lektüre von Terry Pratchetts Roman „Einfach göttlich“ 😉

Kapitel 6, „Satans Selbstverteidigungskurs oder Kann man sich vor magischen Angriffen schützen?“, analysiert die Möglichkeiten magischer Angriffe und Verteidigungen. Fehn sieht (wie auch LaVey) bereits in den Suggestionstechniken der Werbeindustrie magische Attacken. Diese „Subliminals“ wirken dann besonders effizient, wenn der Empfänger der Werbebotschaften gerade geistig abwesend oder sogar in Trance ist. Das Gleiche gilt für gezielte Attacken von feindlich gesonnenen Personen, wobei hier noch der sympathetische Faktor hinzu kommt, wenn der Kontrahent Magie anwendet. Magische Angriffe erfordern laut Fehn primär a) kausale Verhältnismäßigkeit und b) räumliche Erreichbarkeit. Die entsprechende Verteidigungsstrategie besteht daher folgerichtig in a) Vorenthaltung persönlicher Gegenstände und b) räumlicher Distanz.

In Kapitel 7, „Stairway to Hotel California oder Starb John Denver, weil er den Teufel traf?“, widerlegt Oliver Fehn einmal mehr das alte Märchen vom satanischen „Backwardmasking“. Überflüssig.

Kapitel 8, „Das Zeichen im Gesicht der Schafe oder Satans neue Kampfstrategien für den Alltag“, beschäftigt sich primär mit dem Schließen von den physiologischen Merkmalen eines Menschen auf seinen Charakter. Diese recht spekulative Technik erfordert m.E. präzise wissenschaftliche Kenntnisse; Fehn allerdings versucht sich in einem eher laienhaften Rundumschlag. Insofern eine äußerst zweifelhafte Angelegenheit. Die sinnigste Anmerkung dieses Kapitels wäre noch, dass die Qualität eines Magiesystems sich nicht an den moralischen Überzeugungen seines Erschaffers bemisst.

Kapitel 9, „Die vier magischen Geheimnisse oder Wie wir zu vollautomatischen Göttern werden“, greift inhaltlich das zweite Kapitel wieder auf. Vom Standpunkt der Kausalität aus betrachtet, wirken wir alle permanent „magisch“, aber aufgrund unserer beschränkten Sinne erkennen wir nie das vollständige Potenzial, über welches wir verfügen. Unsere „Landkarte“ versperrt uns den Zugang zu etlichen Ressourcen. Durch die „magische“ Manipulation unseres Unterbewusstseins wird gemäß Fehns Paradigma dieser Missstand ausgeglichen und wir können das „Gewebe“ der Kausalität für uns arbeiten lassen. Die „vier magischen Geheimnisse“, welche Fehn in diesem Kontext vorstellt, lassen sich dabei im Grunde zu einem einzigen Prinzip zusammenfassen: Separation. Abseits von den Konventionen der homogenen Gesellschaft verfügt der Satanist über einen unabhängigen Raum, in welchem er sich sammeln und seine Eingriffe in das ökonomische System präzise planen kann.

Kapitel 10, „Jekyll, wo ist dein Hyde? oder Die Angst vor dem Bösen macht uns böse“, greift wiederum Kapitel 1 auf. Fehn analysiert den moralischen Umbruch, welcher im Deutschland der letzten Jahrzehnte erfolgt ist. Das Christentum (welchem ja sowieso eine Tendenz zur Säkularisierung innewohnt) ist inzwischen mehr oder weniger dem „Gutmenschen“ gewichen. Anstatt Probleme und Tabus direkt anzugehen, neigen die Gutmenschen zur „politisch korrekten“ Verdammung und Zensur – was eben jene Bedrohung durch das Heterogene erst |ermöglicht|. Robert Steinhäuser ist nicht Amok gelaufen, weil er SLIPKNOT gehört hat, aber in einer Gesellschaft, welche sich offen und ehrlich mit Gewalt auseinandersetzen würde, hätte ihm SLIPKNOT vielleicht genügend Kompensationsmöglichkeiten für seine Aggressionen geboten. Fehn fasst seine soziale Bestandsaufnahme folgendermaßen zusammen:

„Sucht euch die dümmste, stupideste Person im Lande, die den größten potentiellen Gefahrenherd darstellt – und gratuliert ihr. Sie ist der ungekrönte Herrscher über all unsere Gesetze, all unsere Entscheidungen.“

Für mich ein Highlight dieses Buches!

Kapitel 11, „Reservate der Fantasie oder Satans Heilmittel gegen Depressionen“, hingegen fällt wieder ab – es ist nichts als ein dreister Verschnitt aus LaVeys Essays „Ein Heilmittel gegen Melancholie oder Wie man D.P.s vermeidet“ und „Geschlossene Erlebniswelten – einige neue Vorschläge“. Kann im Original – nun, origineller nachgelesen werden. Für Satanisten kann dieses Kapitel allerdings ein Anreiz sein, sich mal etwas ausführlicher mit ihrer Kindheit zu befassen und diese als Ressource zu begreifen – frei nach Erich Kästner: „Nur wer erwachsen wird, und dennoch ein Kind bleibt, ist ein Mensch.“

Kapitel 12, „Jeder Tag ein Fest in eurem Herzen! oder Die Satanischen Feiertage“, ist ein Katalog von Feiertagen, die alle irgendwie mit Satanismus in Verbindung gebracht werden können. Nett.

Kapitel 13, „In der Schule des Teufels oder Fundamentalsätze der niederen Magie“, vermittelt noch ein paar Tricks und Kniffe für den Alltagsgebrauch: 1. Wenn man vom Mob gemieden werden will, verpasse man sich absichtlich einen schlechten Ruf. (Meiner Erfahrung nach reicht es allerdings völlig aus, man selbst zu sein; das hält die Idioten mindestens genauso sicher fern.) 2. Wer sich über Bagatellen aufregt, möge sich die wirklich relevanten Probleme ins Gedächtnis zurückrufen (ja, klingt plausibel). 3. Mache Bekannten bewusst, dass deine Freundschaft auf Unabhängigkeit basiert (sehr wichtig). 4. Entferne falsche Freunde bzw. psychische Vampire aus deinem Leben (essenziell). 5. Sei ein Gentleman. Mit Höflichkeit erreicht man mehr als mit unkultiviertem Benehmen (korrekt, sofern man keine Perlen vor die Säue wirft).

Der Anhang des Buches gliedert sich in verschiedene Sektionen. Fehns Aphorismensammlung ist von recht schwankender Qualität. Mein Favorit: „Satanismus ist die einzige Religion, für die man zu dumm sein kann.“ Die „Hymnen“ braucht dagegen kein Mensch. „Satans Neues Testament“ ist ein pseudobiblischer Text aus Fehns Feder, welcher in der Tradition von Miltons „Paradise Lost“ steht. Ich finde den Text recht gelungen, aber Michael Aquinos „Diabolicon“ ist größtenteils noch um einiges besser. Die abschließenden FAQ haben sicher auch ihre Existenzberechtigung, aber jener Text, welcher sich an satanische Kids richtet, wird wohl höchst selten zu den richtigen Empfängern finden, vermute ich.

Unterm Strich hat Oliver Fehns „Schule des Teufels“ einen guten Eindruck bei mir hinterlassen. Man braucht das Buch natürlich nicht, wenn man sich bereits mit der übrigen Fachliteratur vertraut gemacht hat. Aber der eine oder andere Neuling wird hier vielleicht ein paar nützliche Impulse vermittelt bekommen. Ich erinnere mich dabei unweigerlich daran, was Marcel Reich-Ranicki einmal über Dietrich Schwanitz‘ „Campus“ gesagt hat:

„Ich bin für dieses Buch. Ich freue mich, daß ich es gelesen habe.“

Dan Simmons – Fiesta in Havanna

1942 beschließt der patriotische (und gelangweilte) Schriftsteller Ernest Hemingway, auf eigene Faust Krieg gegen die Nazis zu führen, ohne dafür die tropische Gemütlichheit der Karibik zu verlassen; wie der Zufall will, stolpern er und seine ebenso untauglichen Kampfgefährten über echte Saboteure, woraufhin aus Spaß bitterer Ernst wird … – Autor Simmons spinnt ein Abenteuer-Garn, das gerade so in sein historisches Umfeld eingepasst ist, dass die Illusion von Wahrscheinlichkeit entsteht; in dieser Kulisse lässt Simmons unterhaltsam die Puppen tanzen.
Dan Simmons – Fiesta in Havanna weiterlesen

Crichton, Michael – Timeline

In Arizona wird ein Mitarbeiter der Firma ITC aufgefunden, der im Krankenhaus unter mysteriösen Umständen stirbt. In seinem Besitzt befindet sich der Ausschnitt eines Grundrisses. In Frankreich arbeiten Archäologen in der Dordogne. Hauptsponsor der Ausgrabungen ist ITC. Als nun der Forschungsleiter, Professor Edward Johnston, den Grundriss zugespielt bekommt, erkennt er sofort, dass die Zeichnung zu einem Kloster gehört, das gerade erst ausgegraben wird. Es kann gar keine Pläne geben. Johnston fliegt in die USA und stellt seinen Geldgeber zur Rede.

Kurz darauf entdecken Johnstons Gehilfen und Studenten eine Kammer. Dort finden sie ein Papier aus dem Mittelalter, auf dem sich ein schriftlicher Hilferuf des Professors befindet – und eines seiner Brillengläser. Doch wie kann das sein? Etwas später setzt sich der Chef von ITC – Robert Doniger – mit den Leuten des Professors in Verbindung. Mittels der Quantentheorie ist es gelungen, eine Zeitmaschine zu entwickeln. Johnston unternahm einen kleinen Ausflug und ist seitdem verschollen.

Chris, Katherine und André reisen ihrem Professor hinterher. Doch im französischen Mittelalter geht einfach alles schief. Zusätzlich zerstört ein Unfall das ITC-Labor. Außerdem werden erst nach und nach einige Punkte offenbart, die Doniger im Vorfeld einfach unter den Tisch fallen ließ. Unter anderem befindet sich bereits eine Person der Gegenwart in der Vergangenheit und erweist sich als größter Feind der Rettungsmannschaft. Diese findet zwar Johnston, allerdings sind sie ständig auf der Flucht. Scheinbar will jeder die Fremden töten …

Michael Crichton ist vor allem durch seine verfilmten Romane bekannt geworden („Congo“, „Jurassic Park“ etc.). Auch „Timeline“ schlägt in diese Kerbe und wurde von Regisseur Richard Donner verfilmt. Doch zurück zu Crichtons Roman.

„Timeline“ ist spannend zu lesen, besitzt ein ordentliches Tempo und räumt mit einigen Vorurteilen über das Mittelalter auf. Michael Crichton hat ordentlich recherchiert, wie man auch den Quellenangaben entnehmen kann. Alleine der Auftakt des Romans ist gelungen. Hier gleitet der Bestsellerautor langsam von der Realität in die Fiktion, nimmt auch während des gesamten Romans schon mal Bezug auf Personen oder Firmen der Gegenwart. Dadurch gewinnt sein Roman auch an Glaubwürdigkeit. Leider besitzt der Roman auch viele Schwachstellen, über die Crichtons guter Ruf nur schwerlich hinwegtäuschen kann.

Alleine die Motivation Donigers ist sehr merkwürdig. Er steckt sein ganzes Geld – und das seiner Teilhaber – in ein Zeitreiseprojekt, um später authentische Freizeitparks eröffnen zu können. Na ja, etwas Dümmeres als Argument ist Crichton {nach dem „Jurassic Park“ – Anm. d. Lekt.} wohl nicht eingefallen, der Doniger eigentlich als cleveren Kopf in Szene setzt.

Die Zeitreise selbst wird vom Autoren auch recht verständlich erklärt. Der Mensch wird im Computer gespeichert, in der Gegenwart zerstört und in der Vergangenheit neu aufgebaut. Eine Vergangenheit, bei der es sich allerdings um ein Paralleluniversum handelt. Dadurch wundert sich der Leser nur, warum ein Paralleluniversum Einfluss auf unsere Gegenwart in Form eines Hilfebriefs und eines Brillenglases nehmen kann. Und egal wie ähnlich es in der parallelen Vergangenheit zugeht, authentisch wäre es nicht. Außerdem zerstört die Maschine den Körper des Reisenden. Nun, damit wäre die Person tot. Auch wenn sie woanders wieder aufgebaut wird, was ist mit der Seele und sämtlichen theologischen {und philosophischen – Anm. d. Lekt.} Fragen, die dadurch aufgeworfen werden? Doch darum kümmert sich Crichton erst gar nicht. Ein weiterer Gedankengang: Wenn der Mensch vorher gespeichert wird, warum muss er erst zerstört werden, um woanders wieder aufgebaut werden zu können? Tatsächlich könnte man ihn einfach kopieren. Crichton findet zwar eine Antwort, aber die ist sehr fadenscheinig.

Tatsächlich sieht der Roman aus, als wäre eine Filmvorlage gebraucht worden, die man schön umsetzen kann. Im Kino werden selten tiefer gehende Fragen gestellt, dort soll ein Film nur zwei Stunden lang unterhalten. Das Buch trägt dem Film Rechnung. Die Protagonisten sind nur am Laufen und es gibt ständig blutige Actionszenen. Und am Ende einen überraschenden Schluss.

„Timeline“ ist ein feiner Roman, der Spaß macht und kurzweilig unterhält. Aber es ist kein großer Schlag, sondern siedelt sich mehr im Mittelfeld an. Schade, hier hätte Crichton mehr von seinem Talent zeigen können. Der Stoff besitzt genug Potenzial, das leider verschenkt wurde. Trotzdem lesenswert.

_Günther Lietz_ © 2004
mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/

Fetjaine, Jean-Louis – Vor der Elfendämmerung

„Vor der Elfendämmerung“ ist der Auftakt zu einer Trilogie, die auf eine außergewöhnliche Art die Artussage nacherzählt. Außergewöhnlich deshalb, weil es zunächst überhaupt nicht um Artus geht.

Der Zwergenkönig Baldwin kommt in die Hauptstadt des Königreiches Logres. Um einen Zwergenkönig, noch dazu einen so alten, dazu zu bewegen, seinen Berg zu verlassen, muss schon etwas Außergewöhnliches passiert sein. Doch der König gibt sich reserviert. Erst auf der Ratsversammlung des folgenden Tages lässt er die Katze aus dem Sack: Der Zwergenkönig Troin wurde ermordet. Von einem Elf! Elfenkönig Llandon und seine Königin Lliane fallen aus allen Wolken.
Eine Komission wird ausgesandt, bestehend aus zwei Elfen, zwei Zwergen und zwei Menschen mit jeweils einem Pagen, die den beschuldigten Elfen finden und zurückbringen sollen. Doch sie werden verfolgt, und schon bald lichten sich ihre Reihen. Wer ist der Verfolger? Und welches Ziel verfolgt er?
Während die Komission mit den Widrigkeiten der Reise kämpft, ziehen sich dunkle Wolken über der Hauptstadt Loth zusammen…

Wie gesagt, von Artussage ist noch nicht viel zu spüren. Lediglich die angedeutete Mythologie der Kelten, die das grobe Gerüst für die Geschichte stellt, sowie einige Namen – Gorlois, Uther, Igraine, Tintagel – deuten darauf hin, was der eigentliche Kern der Geschichte ist. Aber auch wirklich nur der absolute Kern! Der keltische Anteil ist mit den magischen Artefakten der Elemente – Kessel, Stein, Speer und Schwert – bereits erschöpft, und die Handlung ist frei von den gewohnten christlich-mittelalterlichen oder neuheidnischen Interpretationen. Dieses Buch ist Fantasy in Reinform.
Natürlich spielt das Christentum trotzdem eine Rolle, allerdings eine eher untergeordnete: die Mönche und Priester sind nicht, wie anderswo, Vertreter eines selbstständigen Machtfaktors, sondern reduziert auf Handlanger des Menschenkönigs. Religion ist in dieser Version kein Thema. Hier geht es um Macht:

Die Welt, die Fetjaine zeichnet, ist trist und trübselig. Verhangener Himmel, ständiger Nieselregen, Nebel, Kälte, graubraunes Gras, eintönige Ebenen, Leere. In den Sümpfen kommen außerdem noch Gestank und Mücken dazu. Überhaupt nicht geheimnisvoll. Nur deprimierend.
In diese Grundstimmung sind die Charaktere eingebettet. Zunächst die der Völker insgesamt: Elfen, Zwerge und Menschen. Seit der großen Schlacht gegen den Dunklen Herrn sind sie Verbündete. Doch der Bund steht auf äußerst wackligen Füßen. Die Zwerge, aufgrund ihrer Körpergröße empfindlich und von übertriebenem Ehrgefühl, hegen sowohl Verachtung als auch Misstrauen für die Elfen, und lassen sie das auch deutlich spüren. Die Elfenkönige wissen um diese Eigenschaften der Zwerge, doch die hitzköpfigeren von ihnen tun sich enorm schwer mit ihrer Selbstbeherrschung, zumal ein Teil von ihnen vor dem großen Krieg mit dem Dunklen Herrn grausame Verfolgung durch die Zwerge zu erdulden hatte. Dazwischen die Menschen, mit beiden Völkern freundschaftlich verbunden und stets damit beschäftigt zu vermitteln.

Der Tod des Zwergenkönigs Troin bringt die unsichere Allianz noch mehr ins Wanken. Die Zwerge beschuldigen die Elfen des Mordes und des Diebstahls eines silbernen Kettenhemdes, und fordern Genugtuung. Der Mörder soll bestraft werden. Die Elfen dagegen wollen zunächst den Beschuldigten finden und befragen, denn sie bezweifeln seine Schuld. Es gibt zu viele Ungereimtheiten, die die Zwerge jedoch nicht interessieren. Krieg droht!

Die Komission hat von vornherein schlechte Chancen, denn die Parteien spielen ein doppeltes Spiel. Die Zwerge haben verschwiegen, dass ihnen nicht nur ein zwar teures, aber im Grunde läppisches Kettenhemd gestohlen wurde, sondern auch Caledfwch, das Schwert der Göttin Dana, der Talisman des Volkes der Zwerge, der ihr Überleben garantiert: Excalibur. Sie haben den Erben des ermordeten Königs Troin als Pagen in ihre Gruppe eingeschmuggelt, und der fanatische Zwerg ist eine wandelnde Zeitbombe.
Die Menschen dagegen haben auf diese wichtige Mission zwei ihrer jüngsten und unerfahrensten Krieger mitgeschickt. Während diese auf dem Weg nach Norden sind, verwandelt sich die Stadt Loth ganz allmählich in ein Heerlager.
Und keiner der Angehörigen der Komission weiß, dass auch noch die Gilde ihre Finger im Spiel hat, die Gilde der Diebe und Mörder.
Irgendjemand rüttelt ganz gehörig an den Grundfesten der bestehenden Ordnung, und zwar mit Absicht. Das wird im Laufe der Handlung immer deutlicher, und es wird auch deutlich, wer da rüttelt. Allmählich wird die Reise der Komission zu einem Wettlauf mit der Zeit.

Wir haben hier also sozusagen die Vorgeschichte zur Vorgeschichte der eigentlichen Sage vor uns. Das zeigt sich allerdings hauptsächlich am Anfang und am Ende der Geschichte, wo Merlin das erste Mal ernsthaft auftaucht und die Geburt Morganas voraussagt, der Tochter von Uther und Lliane.
Dazwischen haben wir eine Handlung, die davon völlig unabhängig, aber durchaus interessant angelegt ist. Die Komission schleppt aufgrund ihrer Zusammensetzung die schwelenden Konflikte der Völker mit sich herum, die im Laufe der Reise immer stärker an die Oberfläche dringen, parallel dazu eskaliert die Sache auch auf höherer Ebene. Allerdings fehlt dem Ablauf der Geschehnisse der Schwung. Es ist, als hätte die trübe Grundstimmung des Buches dem Autor so aufs Gemüt geschlagen, dass er den Handlungsverlauf nicht mehr vorantreiben, sondern nur noch mitschleppen konnte. Die Spannung bleibt dabei fast völlig auf der Strecke.
Was deutlich rüberkommt, sind die Stimmungen, sowohl die Tristesse der Landschaft, als auch das bunte und gefährliche Treiben in der Stadt der Gnome. Die Charaktere der verschiedenen Völker sind gut herausgearbeitet, wenn auch die Vorstellung von blauhäutigen Elfen etwas gewöhnungsbedürftig und die Darstellung der Zwerge manchmal ein wenig übertrieben ist und damit ins Klischeehafte abzurutschen droht. Aber das reicht nicht.
Die Charaktere der handelnden Einzelpersonen bleiben ziemlich blass und ohne Tiefe, von ihren Gedanken erfährt man nichts. Soziale Strukturen und geographische Gegebenheiten sind nur skizziert. Schade, daraus hätte man mehr machen können!
Zwar ist das gesamte Potenzial von Fetjaines Entwurf längst nicht ausgeschöpft: Merlin kam bisher nur am Rande vor, die Dämomen ebenso, und am Ende des Buches weiß nur der Leser, wer die Intrige wirklich angezettelt hat. Allerdings neigen Fortsetzungen auch bei einem schwachen Anfang nicht unbedingt zur Steigerung, mein Interesse an den Folgebänden hält sich deshalb in Grenzen.

Sprachlich gesehen ist das Buch nicht schlecht. Fetjaine schreibt kompakt, aber elegant. Seine Sätze sind lang und voller Nebensätze, aber nicht verschachtelt. Insgesamt liest es sich sehr angenehm. Allerdings wären gelegentliche Absätze hilfreich. Wenn mitten im Text plötzlich aus dem Blickwinkel einer anderen Person erzählt wird, sorgt das kurzzeitig für Verwirrung.
Das Lektorat ist ganz in Ordnung. Außer einem gröberen Schnitzer sind mir nur zwei kleinere Tippfehler aufgefallen. Auch das Cover des Buches finde ich recht gelungen. Der Vergleich mit Tolkien dagegen hinkt wieder mal! Fejaines Elfen haben keinerlei Ähnlichkeit mit Tolkiens Elben, genausowenig wie die Menschen. Seine Gnome kommen bei Tolkien überhaupt nicht vor. Magie ist viel seltener und auch anders. Und Fetjaines Welt ist keine erfundene, sie ist die wirkliche Welt aus einer anderen Sicht heraus. Man hüte sich also vor falschen Erwartungen. Das betrifft auch alle, die vom Blickwinkel der Artussage aus an das Buch herangehen. Der Autor selbst hat seine Geschichte als Elfentrilogie bezeichnet, und das ist gut so.

Jean-Louis Fetjaine studierte Philosophie und mittelalterliche Geschichte und arbeitete dann als Journalist und Verleger. Er hat mehrere humoristische Bücher veröffentlicht, bevor er sich mit seiner Elfentrilogie der Fantasy zuwandte. Der zweite Band ist unter dem Titel „Nacht der Elfen“ erschienen, der dritte Band trägt den Titel „Stunde der Elfen“. Im Oktober dieses Jahres erscheint „Der Weg des Magiers“. Im Original trägt das Buch den Titel „Le pas de Merlin“, die Vermutung liegt also nahe, dass es zumindest mit der Trilogie in Verbindung steht. Nichts Genaues war dazu aber nicht zu finden, ebensowenig eine Homepage des Autors.

Die europäische Verfassung im globalen Kontext

Wenn Europa weltpolitisch mitreden will, geht der Weg an einer Verfassung nicht vorbei. Europa will mit einer Stimme sprechen, aber die Realität erscheint ganz anders.
Der Irak-Krieg zeigte das drastisch. Von den drei Großen waren Deutschland, Frankreich und Russland (wenngleich Letztere allerdings nicht zur EU gehörend sind) antiamerikanisch (im Sinne des derzeitigen außenpolitischen Kurses der US-Regierung). England dagegen war völlig auf Kurs mit den USA und zeigte dies durch einen sehr überraschenden Paukenschlag mit einer gemeinsamen Erklärung von vier weiteren EU-Regierungschefs (Dänemark, Italien, Portugal, Spanien) zur Unterstützung der amerikanischen Irak-Politik, dem sich sogar drei weitere Regierungschefs aus den damals noch nicht angehörenden Beitrittsländern Polen, Tschechien und Ungarn anschlossen. Damit war Europa politisch gespalten und keine wünschenswerte einheitliche Linie mehr vorhanden.

Die Initiative für eine Verfassung ging von Deutschland aus. Im deutschen Bundestag wurde 1995 die Idee einer europäischen Charta behandelt und von 1999 bis 2000 wurde unter Bundespräsident Roman Herzog die Grundrechtcharta vorgelegt. Gerade diese Menschenrechte stoßen auf Blockaden, England kennt in seiner nationalen Verfassung keine Menschenrechte und wehrt sich vehement, solche in eine europäische Verfassung aufzunehmen. In Nizza war im Dezember 2000 die Grundrechtcharta zwar schon feierlich verkündet worden, ist aber nicht rechtsverbindlich. Ungeachtet dieser Tatsache wird sie von der europäischen Gerichtsbarkeit bis hin zum Europäischen Gerichtshof seitdem angewandt. Juristisch sehr zweifelhaft. Interessant im Buch sind auch viele Beispiele darüber, was da bislang überhaupt vor dem Gericht verhandelt wurde, denn der europäische Bürger bekommt davon ja überhaupt nichts mit. Dass Grundrechte in eine Verfassung gehörensollte – abgesehen von der englischen Position – keine Frage sein, denn schon bei der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten sollte man doch wissen, ob diese bereit sind, grundlegende Menschenrechte anzuerkennen. Konkretes Beispiel sind die derzeitigen Beitritsverhandlungen mit der Türkei. Da muss es um die Abschaffung der Todesstrafe, das Verbot der Diskriminierung von Minderheiten oder das Folterverbot und um Selbstverständlichkeiten wie Rundfunk- und Pressefreiheit gehen – nur um ein paar Rechte aus der Grundrechtcharta zu nennen. Eine Verfassung, die keine Grundrechte garantiert, sollte den Namen „Verfassung“ gar nicht verdienen.

Eigentlich sollte die Verfassung mit dem historischen Eintritt der zehn Ostblockländer im Mai 2004 schon eingeführt sein, aber dies ist nicht der Fall. Sieht man sich die Diskussionen – in welche die Bürger nicht einbezogen sind – an, gleicht auch alles einer Farce. Dies zeigt sich an einfachen Sätzen, die in diesem eigentlich seriösen Buch eher einer Satire gleichen:

|“Bei der Konstituierung des Konvents prägte der Konventspräsident Giscard d`Estaing den unbestreitbar richtigen, eindrucksvollen Satz: ‚Der Konvent ist der Konvent‘. Dies lässt sich nicht bestreiten und zeigt, dass es gelegentlich die Notwendigkeit gibt, unterschiedliche Perspektiven zu erkennen und sich gegenseitig zu überzeugen.“|

Bei der Diskussion zur Europäischen Verfassung lohnt sich ein Vergleich zur Verfassung der Vereinigten Staaten, da diese verschiedenen Staaten durchaus – wenn auch anders als im Vergleich zu Europa – ähnliche Beweggründe hatten. Bis diese sich letztlich durchsetzen konnte, war übrigens auch ein Prozess vonnöten, der fast hundert Jahre andauerte. Die Unabhängigkeitserklärung von Thomas Jefferson 1776 beendete das Joch von der englischen Krone, ähnlich will sich Europa heute wohl wiederum von der Vormachtstellung der USA lossagen, weswegen die USA das „alte Europa“ sehr argwöhnisch beäugen. Die Grundfragen, die es bei einer Verfassung zu beachten gibt, sind denen der USA von vor nunmehr 215 Jahren also ähnlich. Der große Unterschied ist allerdings, dass Europa kein Klon der USA werden will. Genau wie damals ist aber längst nicht vorhersehbar, wo künftig die geographischen Grenzen Europas überhaupt einmal sein werden.

Vorbildhaft am Beispiel USA allerdings wäre bereits deren Grundrechtekatalog |Bill of Rights| von 1791, der sehr demokratisch eingeführt wurde und ein Dokument der amerikanischen Bürger darstellt. Im Gegensatz zur europäischen Diskussion, von denen die Bewohner der Nationalstaaten überhaupt nichts inhaltlich mitbekommen und wo die Verantwortlichen an der Realisierung arbeiten, als wären sie in einem „Geheimbund“.

Eine europäische Identität ist aber auch durchaus etwas anderes bei all der kulturellen und sprachlichen Vielfalt. Wir Europäer sprechen keine einheitliche Sprache und sind stolz auf eine „Einheit in der Vielfalt“. Keine Kultur darf dominieren, um das demokratische Miteinander zu gewährleisten. In den USA sprachen eigentlich alle schon hauptsächlich englisch. Diese sprachliche und kulturelle Problematik wird aber auch in einem künftigen Amerika kommen. Um 1900 waren noch 90 % aller Amerikaner europäischer Abstammung (davon 25 % deutsch) und das ist mittlerweile auf 70 % gesunken. 90 % der jetzigen Einwanderer kommen aus dem spanisch sprechenden Raum. Kalifornien hat keine weiße Mehrheit mehr und Texas wird in 20 Jahren mehrheitlich spanisch sprechen.

Angst machen den USA der eingeführte Euro und auch eine eventuelle europäische Armee, die die NATO schwächen könnte. Andererseits blickt man aber auch mit Interesse und Respekt auf die europäischen Bemühungen. Es stehen ja tatsächlich auch konkrete Bestrebungen dahinter, die UNO, welche keinen Frieden organisieren kann, und die WTO, die keine Gerechtigkeit organisieren kann, mit europäischen Ideen zu reformieren.

Ganz unterschiedliche Meinungen gibt es zum Amt eines europäischen Präsidenten. Tony Blair (England) will einen Superpräsidenten wie in den USA. Deutschland will diesen nicht, schon gar nicht von einem obskuren europäischen Rat am Ende gegen den Bürgerwillen eingesetzt. Giscard d`Estaing (Frankreich) will einen Wahlkongress für den Präsidenten mit dem gesamten Europarat und gleich vielen Abgeordneten der angeschlossenen Nationalstaaten. Personalentscheidungen aus einem Kongress mit über 1.400 Mitgliedern zu treffen, dürfte sehr schwierig werden.

Information über all diese Dinge bleibt wichtig, und mitreden zu können, sollte auch möglich sein. Ein Blick ins Internet auf das |Institut für Europäisches Verfassungsrecht| lohnt, um aktuell zu bleiben: http://www.whi-berlin.de

_Ingolf Pernice / Walter-Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht (Hrsg.)
[Die europäische Verfassung im globalen Kontext]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/383290512X/powermetalde-21
Forum Constitutionis Europae – Band 5
136 S., Pb., NOMOS 2004
ISBN 3-8329-0512-X _

Reginald Hill – Ins Leben zurückgerufen

Das geschieht:

1963 starb auf dem Landsitz von Lord Ralph Mickledore Pamela, Gattin des US-amerikanischen Diplomaten James Westropp, durch einen Schrotschuss in die Brust. Als Täter identifizierte der mit dem Fall beauftragte Superintendent Tallantire Sir Ralph höchstpersönlich, der mit der Verstorbenen ein Verhältnis unterhielt. Mickledore fand für seine Bluttat eine Komplizin: Cecily Kohler, das Kindermädchen der Westropps, war angeblich ebenfalls die Geliebte des Lords und diesem hörig.

Sir Ralph wurde kurz vor der Abschaffung der Todesstrafe 1964 gehängt. Noch unter dem Galgen hatte er seine Unschuld beteuert. Cecily Kohler verbüßte eine lange Haftstrafe. Nie gelang es, die ganze Wahrheit ans Tageslicht zu bringen, denn unter den Gästen befanden sich an dem verhängnisvollen Wochenende auf Mickledore ein Minister, zwei hochrangige Diplomaten sowie ein reicher und spendabler Geschäftsmagnat – Männer, die alle Hebel in Bewegung setzten, sich aus dem Ermittlungsverfahren zu stehlen. Reginald Hill – Ins Leben zurückgerufen weiterlesen

Stephen King: Wolfsmond (Der Dunkle Turm 5)

Weiterhin ziehen Revolvermann Roland von Gilead und seine Gefährten dem Dunklen Turm entgegen, der Zentrum und Stütze des Universums darstellt. In der Mittwelt – Ort der Handlung – tun sich Dimensionsportale, Zeitfallen u. a. Hindernisse auf. Zusätzlich aufgehalten wird die Gruppe von den Bewohnern eines Grenzdorfes, das von einer Horde maskierter Finsterlinge belagert wird. Gemeinsam nimmt man den Kampf gegen eine gewaltige Übermacht auf … – Der fünfte Band der „Dark-Tower“-Serie ist ein Episoden-Epos mit enormen Längen, das Substanz durch Geschwätz, nur vorgeblich geheimnisvolle Andeutungen und das Recycling früheren King-Werken ersetzt. Zwar gelingen dem Verfasser durchaus fesselnde Szenen, die aber durch generellen Leerlauf entwertet werden: ein Buch für jene, die wissen wollen, wie‘s weitergeht. Stephen King: Wolfsmond (Der Dunkle Turm 5) weiterlesen