Olive Anderson hat die Frau noch nie gesehen, die sich in einer kalten Winternacht ungefragt an ihren Tisch im Restaurant setzt. Dem Kellner gegenüber behauptet die Fremde, mit ihr verheiratet zu sein. In Wahrheit ist Olive die Gattin eines angesehenen Politikers, doch ihre Ehe mit Michael Anderson hat sich bereits nach einem halben Jahr in einen Albtraum verwandelt. In ihrer Einsamkeit lässt Olive sich auf ein Gespräch mit der Unbekannten ein. Und die scheint einige Geheimnisse aus Michaels Vergangenheit zu kennen. Zum Beispiel, dass in seinem Umfeld schon mehrere Frauen verschwunden sind. Und Olive könnte die Nächste sein … (Verlagsinfo)
Mein Eindruck:
Nordostengland, kurz vor Weihnachten: Die Mittdreißigerin Olive ist auf der Flucht vor ihrer toxischen Patchworkfamilie und will in einem Hotel alleine zu Abend essen. Das Restaurant ist voll von ausgelassenen Gästen, es herrscht Feierstimmung, nur zwischen Olive und der fremden Frau, die sich einfach zu ihr gesetzt hat, ist die Atmosphäre angespannt. Zunächst, weil Olive angesichts der Dreistigkeit der Unbekannten verärgert ist, dann weil sie die andere Frau seltsam faszinierend findet, und sich dem, was sie bietet, nicht entziehen kann.
Man lernt auch Garry, einen Constable bei der Verkehrspolizei, kennen: er ist zwei Mal durch die Prüfung zum Detective gefallen und er macht viele Fehler, die er dann verschlimmbessert. Das Einzige, das er wirklich gut kann, ist sicher fahren, bei jedem Wetter. Er hat gerade wieder Mist gebaut, als er den Auftrag bekommt eine Ermittlerin bei Schnee und Eis zu einem Politiker zu fahren, der seine Frau vermisst melden will. Es handelt sich dabei um Olive, die Garry aus Schulzeiten kennt, und er sieht diesen Vermisstenfall als Gelegenheit zu zeigen, was er kann.
Erzählt wird in der dritten Person, aus Olives sowie Garrys Sicht. Olives Erlebnisse mit der unbekannten Frau und Garrys Ermittlungen wechseln sich ab. Dabei erfahren die Lesenden einiges aus der Vergangenheit der beiden und erhalten Einblicke in Olives Leben als Ehefrau, Stiefmutter sowie “Stiefschwiegertochter” – sie lebt mit zwei Stieftöchtern im Teenageralter in einem Haus, das der Mutter der verstorbenen Ehefrau ihres Mannes gehört.
Die verschiedenen Erzählstränge bzw. Zeitebenen bringen allmählich mehr und mehr gefährliche Geheimnisse perfide Manipulationen sowie finstere Pläne ans Licht. Hier ist nichts wie es scheint und die Grenze zwischen Opfern und Tätern ist teilweise sehr unscharf. Man erfährt zudem viel über die verborgenen Talente sowie Träume des Sonderlings Garry – Interessantes, Aufschlussreiches, Überraschendes.
Die Autorin
Sharon Bolton, geboren im englischen Lancashire, hat eine Schauspielausbildung absolviert und Theaterwissenschaft studiert. Ihr Debütroman »Todesopfer« machte sie über Nacht zum Star unter den britischen Spannungsautor*innen. Seitdem wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Dagger in the Library für ihr Gesamtwerk. Sharon Bolton lebt mit ihrer Familie in Oxford. (Verlagsinfo)
Fazit:
“Winternacht” ist ein ereignis- und temporeicher Thriller mit vielen Facetten und Wendungen. Die komplexen, rätselhaften Begebenheiten bringen anhaltende Spannung mit sich und die zwischenmenschlichen Aspekte rund um Garry sind oft herrlich humorvoll gestaltet. Die vielen verschiedenen Verbrechen bzw. deren Hintergründe finde ich einerseits raffiniert, andererseits in Teilen nicht ganz überzeugend. Insgesamt ist “Winternacht” jedoch auf jeden Fall ein packendes Leseerlebnis mit ein bisschen Gesellschaftskritik, die geschickt nebenbei in die Handlung einfließt.
E-Book: 480 Seiten
Originaltitel: The Fake Wife
Aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger
ISBN-13: 978-3-641-31588-7
www.penguin.de
Die Autorin vergibt: