Zwei unerfahrene Freunde kaufen ein Wrack, an dessen Bord sie einen Schatz vermuten. Finstere Konkurrenten, die Südsee-Fremde und andere Schwierigkeiten bescheren ihnen statt eines Vermögens vor allem immer neue Abenteuer … – Der von Autor Stevenson und seinem Stiefsohn verfasste Roman ist ein vergnügliches, Komplikation auf Verwicklung häufendes Abenteuer mit sachter Sozialkritik.
Das geschieht:
Das 19. Jahrhundert neigt sich seinem Ende zu. Weltweit jagen die Menschen dem schnellen Dollar hinterher. Verehrung ist dem sicher, der ihn erhascht. Wie ihm das gelingt, ist nebensächlich; kriminelle Abkürzungen auf dem Weg zum Reichtum gelten als Kavaliersdelikt und in der Geschäftswelt als Ritterschlag: Schlechte Zeiten für einen Amerikaner wie Loudon Dodd, Künstler und herzlich ungeschickt darin, sich am Tanz um das Goldene Kalb zu beteiligen. Dabei wurde er hineingeboren in eine Familie erfolgreicher Kapitalisten und vom Vater in eine Börsenkarriere gezwungen, die als immerhin grandioser Fehlschlag abrupt endete.
In Paris versucht sich Dodd als Bildhauer und Maler, bis ihn der Bankrott und Tod des Vaters in die Armut treibt. Dodd nimmt notgedrungen Abschied von der Bohemè und macht sich auf nach San Francisco, wo ihm sein bester Freund Jim Pinkerton eine Stelle angeboten hat. Der ist ein Börsenspekulant und Kleinunternehmer, der eines Tages ein Wrack kaufen will, um die Ladung zu bergen und auf eigene Rechnung zu verkaufen. Die Brigg „Flying Scudd“ lief vor der Südsee-Insel Midway auf ein Riff, wo sie nun recht sicher hängt und auf einen entschlossenen Ausschlachter („wrecker“) wartet. Auch der zwielichtige Winkeladvokat Harry D. Bellairs will die „Flying Scudd“ erwerben. Offenbar befindet sich eine große Menge Opium an Bord. Damit ließe sich ein Vermögen machen. Die Freunde ersteigern das Wrack, doch es kostet sie jeden Cent. So tief haben sie sich in Schulden gestürzt, dass die Frist, die ihnen bis zum Bankrott bleibt, nur neunzig Tage beträgt!
Während Pinkerton in San Francisco die Kredithaie bei Laune hält, schifft sich Dodd auf der „Norah Creina“ in die Südsee ein. Unter dem Kommando des grimmigen Kapitäns Nares beginnt eine Reise mit tausend Hindernissen, an deren Ende nicht Piraten und eine Schatzinsel, sondern viel größere (wenn auch nicht angenehmere) Überraschungen warten – und dann geht der Trubel erst richtig los …
Ein seltsames Buch …
Ein Lesespaß der seltenen Art ist dieser Roman, der sich schwer in eine Schublade stecken lässt. Ist dies wirklich der im deutschen Untertitel angesprochene „Criminalroman“, oder nicht eher eine Abenteuergeschichte, die Züge eines Entwicklungsromans aufweist und immer wieder Einschübe über ganz unterschiedliche Themen (Börsenalltag, Kunst, Schifffahrt, Werbung, Versicherungswesen – und das ist nur eine Auswahl!) bietet? Es trifft durchaus zu, was die strenge Kritik schon vor einem Jahrhundert gegen dieses Buch vorbrachte: Es ist ein Werk, dem inhaltliche Disziplin fehlt. Ganz deutlich zerfällt es in drei Teile (Loudon Dodds Künstler- und Wanderjahre, der Schiffbruch der „Norah Creina“ und die Geschichte des Norris Carthew), die nur mühsam zusammenfinden. Was ihm an Stringenz fehlt, macht dieser Roman allerdings durch Schwung, Witz und erstaunliche Aktualität wett.
„Treasure Island“ (1883, dt. „Die Schatzinsel“) und „The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ (1885, dt. „Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde“) sind zwei Klassiker der Literatur, die beide dem Hirn eines einzigen Mannes entsprangen, was nicht so bekannt ist, wie man annehmen möchte. Doch Robert Louis Stevenson (1850-1894) war als Unterhaltungsschriftsteller ein Vollprofi; das musste er auch sein, da seine Kunst eher schlecht als recht bezahlt wurde. Besonders vor seinem Durchbruch mit den beiden erwähnten Titeln galt es für ihn fix mit der Feder zu sein, wollte er sich und seine Familie an Gehaltvollerem als dem sprichwörtlichen Hungertuch nagen lassen. Obwohl Stevenson nicht alt geworden ist, geriet sein Werk eindrucksvoll – und das schließt neben der Quantität die Qualität ausdrücklich ein!
Vieles ist heute nur noch den Fachleuten bekannt. „The Wrecker“, entstanden 1892, wurde in Deutschland sogar erst 1994 zum ersten Mal vollständig unter dem (nicht sehr gelungenen aber korrekten) Titel „Der Ausschlachter“ veröffentlicht. Hierzulande galt dieser Roman der Kritik nicht viel, die ohnehin scheel auf jene Literatur blickt, die Denkanstöße liefern und gleichzeitig unterhalten möchte. Außerdem ist „Der Ausschlachter“ ja nicht der reine Stevenson: Er schrieb das Buch gemeinsam mit seinem Stiefsohn Lloyd Osborne. Dass dies dem Vergnügen keinerlei Abbruch tut und Stevenson selbst mit dem Ergebnis der Zusammenarbeit zufrieden war – sie wiederholten es zwei weitere Male -, rettete es nicht vor dem Ruch des Obskuren.
… mit turbulenter Geschichte
Im Ausland dagegen wird „Der Ausschlachter“ dagegen hoch in Ehren gehalten und gilt sogar als eines der besten Werke Stevensons. Dem kann man zustimmen. Kennt man dann noch die Entstehungsgeschichte, wird das Vergnügen, das die Lektüre erzeugt, sehr viel verständlicher. Wir werden darüber nicht im Dunkeln gelassen: Zwar dauerte es, bis „Der Ausschlachter“ den Weg nach Deutschland fand, aber sie Übersetzung ist vorzüglich. Dem Werk schließen sich gleich drei Nachworte an, in denen zunächst Fanny Stevenson, Gattin des Meisters und spätere Verwalterin des literarischen Nachlasses, dann Lloyd Osborne und schließlich die Übersetzerin Hanna Neves Auskunft über die turbulenten Umstände geben, unter denen „Der Ausschlachter“ entstand.
Robert L. Stevenson führte nie, was man schon zu seiner Zeit gern ein „geregeltes Leben“ nannte. Ein schweres Lungenleiden machte ihn schon in jungen Jahren praktisch zum Invaliden; es ist keinesfalls übertrieben, wenn man sich den Schriftsteller mit dem Gerichtsvollzieher um die Wette schreibend und dabei Blut hustend vorstellt. Erst in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre entwickelte sich Stevensons Karriere auch finanziell deutlich zum Besseren. Im großen Stil konnte er nun seinen alten Traum vom Reisen verwirklichen, den er schon in seiner Jugend verfolgt hatte: Loudon Dodds französischen Erlebnisse oder seine Abenteuer in San Francisco speisen sich aus dieser Quelle.
Überhaupt griff Stevenson für den „Ausschlachter“ ausgiebig auf seine Lebensgeschichte zurück. Der Leser merkt, dass dieser Mann aus den wenigen Jahren, die ihm vergönnt waren, etwas gemacht hat! 1888 zog es ihn in die Südsee; nicht die schlechteste Wahl für einen lungenkranken Schotten, den das heimische Klima beinahe umgebracht hatte. Nach einer langen Kreuzfahrt ließ sich Stevenson mit Gattin Fanny und Stiefsohn Lloyd zunächst auf dem abgelegenen Samoa-Inselchen Apemama nieder, beschloss dann aber doch, der Zivilisation nicht ganz so rigoros zu entsagen, und ließ nach einer längeren Irrfahrt auf der Insel Apia ein Haus errichten, wo er bis zu seinem frühen Tod am 3. Dezember 1894 recht zufrieden lebte und arbeitete: „Der Ausschlachter“ entstand zwischen 1888 und 1891 unter recht abenteuerlichen Verhältnissen in der Südsee und erschien zunächst in Fortsetzungen, erst 1924 als Buch.
Aus sicherer Entfernung
Lloyd Osborne beschrieb die offenbar inspirierte und harmonische Zusammenarbeit, die einen sichtlich gelösten Stevenson zeigen, der sich von den verhassten Konventionen der viktorianischen Gesellschaft zu lösen beginnt und sich völlig dessen bewusst ist, dass er hier keinen Literaturklassiker entstehen lässt. „Der Ausschlachter“ sollte die Reisekasse füllen und möglichst viele Leser finden. Dass Stevenson sein Talent trotzdem nicht vergeudete und mit seinem Stiefsohn ein turbulentes aber hochklassiges Garn spinnt, spricht für einen Mann, der dieser Welt mehr gegeben hat als einen einbeinigen Piratenkoch, dessen Pagagei „Piaster, Piaster!“ krächzen kann.
So spart Stevenson nicht mit boshaften aber eleganten Seitenhieben auf die zeitgenössischen brachialkapitalistischen Praktiken – was er überspitzt dargestellte, wirkt in der globalisierten Gegenwart erschreckend alltäglich. Skrupellose, buchstäblich grenzenlose Gier und die Bereicherung auf Kosten derer, die sich wehren können oder den Praktiken, denen sie ausgesetzt sind, hilflos gegenüberstehen, sind offensichtlich keine modernen Phänomene. Gleichzeitig stellen sie keine vergangenen Schrecken einer klüger gewordenen Gegenwart dar.
In diesem Punkt haben Stevenson und Osbourne offensichtlich eigene Erfahrungen gemacht. Vor allem der Ältere musste viel Dreck fressen als Lohnschriftsteller. Man merkt Stevenson das Vergnügen an, aus sicherer Entfernung wenigstens mit der Feder jene zu pieken, die ihm das Leben sauer gemacht hatten, und ansonsten sein Garn zu spinnen, ohne sich verpflichtet zu fühlen, es sorgfältig zu wickeln. Das Ergebnis ist entspannte Literatur des 19. Jahrhunderts, die genau diese Wirkung während der Lektüre entfaltet.
Autoren
Robert Louis Stevenson (1850-1894) ist einer der berühmtesten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. An dieser Stelle wird auf eine biografische Skizze verzichtet – das Internet ist eine Fundgrube für jene, die sich über ihn informieren möchten. Auf Stevensons Mitautor trifft dies nicht zu, weshalb hier einige Hintergrundinfos folgen.
Samuel Lloyd Osbourne (geb. 7. April 1868) wurde im Alter von 12 Jahren der Stiefsohn von Robert Louis Stevenson, nachdem dieser 1880 seine Mutter Fanny geheiratet hatte. Osbourne studierte Maschinenbau an der University of Edinburgh. Er zeigte ebenfalls schriftstellerisches Talent; gemeinsam mit Stevenson schrieb er drei Romane, die heute als literarische Klassiker gelten, und wurde später selbst ein produktiver Autor. Mit seinem Stiefvater und seiner Mutter ließ sich Osbourne 1890 auf Samoa nieder. Nach Stevenson Tod (1894) blieb er auf der Südseeinsel und repräsentierte ab 1897 als Vize-Konsul einige Jahre die USA.
Sein späteres Leben verlief unstet. Osbourne heiratete mehrfach und kehrte nach Europa zurück. Er schrieb nun hauptsächlich für das Theater. Bis 1941 lebte er in Südfrankreich. Als die USA in den II. Weltkrieg eintraten, siedelte in nach Kalifornien über. Dort ist er am 22. Mai 1947 gestorben.
Taschenbuch: 509 Seiten
Originaltitel: The Wrecker (London : Cassell & Company 1892)
Übersetzung: Hanna Neves
http://www.dtv.de
Der Autor vergibt: