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Gülzow, Susa / Klingler, Walter / Fodor, Ladislas / Stemmle, R. A. / von Harbou, Thea / Jacques, N. – Testament des Dr. Mabuse, Das

_Die Welt als Irrenhaus, regiert vom Bösen_

Dreiste Verbrechen, wie sie nur Dr. Mabuse planen kann, halten Berlin in Atem – doch der sitzt streng bewacht in einer Nervenheilanstalt. Kommissar Lohmann und sein Assistent Krüger kommen einer Bande auf die Schliche, die von einem geheimnisvollen Mann gesteuert wird. Aber wer ist dieser Anführer? Irrenarzt Prof. Pohland schwört, dass es nicht Mabuse sein kann …

_Die Autorin_

Susa Gülzow arbeitet seit 1988 als Autorin, Regisseurin und Sprecherin. Aus ihrer Feder stammen beispielsweise die Hörspielfassungen von „Lucky Luke“, diversen Heinz-Erhardt-Filmen und „Dr. Mabuse“ sowie zahlreiche Synchronbearbeitungen.

Die Dr.-Mabuse-Reihe nach dem Krieg:

1) [Die 1000 Augen des Dr. Mabuse 945 (1957)
2) [Im Stahlnetz des Dr. Mabuse 1717
3) [Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse 1738
4) Das Testament des Dr. Mabuse (1962)
5) Scotland Yard jagt Dr. Mabuse (1963)
6) [Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse 6040 (1964)

_Die Inszenierung_

Die Regie führte 1962 Walter Klingler, die Musik lieferte Raimund Rosenberger, das Drehbuch stammt von Ladislas Fodor und R. A. Stemmle nach einem Original-Drehbuch von Thea von Harbou und der Figur von Norbert Jacques.

|Die Rollen und ihre Sprecher:|

Kommissar Lohmann: Gert Fröbe
Kriminalassistent Krüger: Harald Juhnke
Nelly: Senta Berger
Johnny Briggs: Helmut Schmid
Mortimer: Charles Regnier
Walter Rilla als Prof. Pohland
Sowie Wolfgang Preiss als Dr. Mabuse
u. v. a.
Erzähler: Wolf Frass

_Handlung_

Dr. Mabuse, das Genie des Bösen, sitzt sicher hinter den Gittern der Irrenanstalt von Dr. Pohland, schreibt und zeichnet. Eigentlich müsste er also ungefährlich sein. Doch das Gegenteil ist der Fall. Aber wie?

Als der Ganove Mortimer eine Gruft auf dem Friedhof betritt, bringt er einen neuen Rekruten der Bande mit. Der Neue staunt nicht schlecht, als sich an einer Wand des Raumes der Chef als Schatten an der Wand zeigt und eine unheimliche Stimme erklingt. Der Chef befiehlt den Überfalls auf einen Goldtransport – mit Hilfe einer Fallgrube. Wie kommt er nur auf solche genialen Einfälle, wundert sich der Neue, Eddie.

Der Überfall klappt wie geplant, und Kommissar Lohmann (Fröbe) und sein Assi Kürger (Juhnke) ärgern sich grün und blau. Der Wert des geraubten Goldes beträgt etwa 1,5 Millionen D-Mark. Kein schlechter Stundenlohn für eine Nacht Arbeit. Am Tatort findet Lohmann eine ungewöhnliche Sorte von Zigarette: eine Spezialanfertigung. Bankdirektor Heinrich verlangt die baldige Ergreifung der Täter.

Als der Chef seiner Bande den nächsten Überfall aufträgt, wagt es Eddie, die Tür zum Aufenthaltsraum des Chefs zu öffnen – er stirbt durch eine Kugel. Johnny Briggs, der Ex-Boxer (Schmid) soll ihn ersetzen, damit alles beim Unternehmen „Diamantenbörse“ klappt. Diesmal tritt die Bande als Fensterputzer auf, bevor sie die Bank betritt und den Tresor ausräumt. In null Komma nichts sind die Herrschaften wieder verduftet, und als Lohmann eintrifft, ist der Spuk vorüber. Auch diesmal entdeckt er die bewusste Zigarettenkippe – eine Art Signatur für eine bestimmte Person …

Lohmann will Dr. Mabuse sehen, und Dr. Pohland lässt ihn bis zu dessen Zelle vor. Mabuse schreibt und zeichnet, ganz harmlos, oder? Aber warum schreibt Mabuse dann in Spiegelschrift? Pohland nimmt alle Notizen mit. Angeredet von Lohmann, antwortet Mabuse nicht, sondern schreibt weiter. Lohmann sagt es Pohland nicht, aber er ist überzeugt, dass Mabuse der Kopf der Verbrecherbande ist, die die Bank ausgeräumt hat.

Johnn Briggs wird zum nächsten Coup abgeholt. Es geht um den Überfall auf den Zugwaggon einer Gelddruckerei. Doch diesmal hat sich ein Polizeispitzel in die Bande gemogelt und verpfeift das Vorhaben. Dumm nur, dass Krüger ihm kein Wort glaubt. So gelingt der Überfall, und fortan druckt die Bande in höchster Eile jede Menge Falschgeld. Als Lohmann wieder zu Mabuse vordringt, rastet ein anderer Patient der Anstalt aus: Mabuse habe ihn durch Gedankenübertragung bedroht. Plötzlich sieht sich Lohmann von einem Irren gewürgt …

_Mein Eindruck_

Die Wirkung des Film-Hörspiels lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Verunsicherung. Die Subversivität dieses Skripts ist allumfassend – Hut ab! Mabuse hat den netten Dr. Pohland zu seiner Marionette gemacht. Als Schattenmann gibt dieser dem Edelgangster Mortimer seine bzw. Mabuses Befehle, die zu drei großen Coups im Verlauf der Handlung führen. Mortimer hat beste Kontakte im Establishment, so etwa einen Anwalt. Er hat auch keine Mühe, die Stadtbank auszuspionieren. Ist es dumm oder dreist, dass er an jedem Tatort seine Unterschrift in Gestalt einer spezialgefertigten Dunhill-Zigarre hinterlässt? Genauso gut könnte er sagen: „Fangt mich doch, wenn ihr könnt!“

Das lässt sich Kommissar Lohmann nicht zweimal sagen. Doch obwohl Bankdirektoren ihn auf Knien um Schutz vor Mabuse bittet und er Mabuse auf die Finger schaut, kann er ihm nichts nachweisen. Denn das Verbrechen erfolgt ja durch den ehrenwerten Dr. Pohland! Dieser doziert als Gipfel der Ironie vor Studenten über das vorzügliche und bemerkenswerte Gehirn Dr. Mabuses. So wird das Böse zum Gegenstand der Bewunderung. Wenn das nicht subversiv ist.

Aber auch Lohmann ist nicht gegen Attacken gefeit. Im Irrenhaus, dieser Metapher für die neue Gesellschaft der Verbrecher, fällt er Pohland in die Hände, der ihn ebenfalls umpolen will. Nur das beherzte Eingreifen seines Assis und zweier Mitpatienten bewahrt Lohmann vor einem üblen Schicksal als Pohland-Mabuses Marionette. Selten wurde die Korrumpierbarkeit der Gesetzeshüter derartig offen angedeutet. In den USA hätte die Zensurbehörde MPAA den Film sofort aus dem Verkehr gezogen.

Dass auch Menschlichkeit und Liebe gegen ein Genie des Bösen keine Chance haben, belegt das Schicksal von Johnny Briggs (Helmut Schmid) und seiner Freundin Nele (Senta Berger). Der ehemalige Boxer Briggs bringt es nicht übers Herz, einen Bahn-Mitarbeiter zu erschießen, und wird deshalb von Mortimer zu Mabuse, dem Schattenmann, gebracht. Solche Insubordination wird lediglich als Verrat aufgefasst und mit dem Tode bestraft. Doch statt ein paar Kugeln ins Hirn ist die Strafe ganz nach dem Geschmack eines Hypnotiseurs: Briggs soll im Spiegelkabinett verrückt werden! Das klappt sogar, und so landen Johnny und Nele ebenfalls in der Irrenanstalt Pohlands.

Doch die Lage ist nicht hoffnungslos. Die Spannung wird durch die verschiedenen Spitzel, Verräter und Aufklärungsaktionen hoch gehalten, so dass Mabuse keineswegs freie Hand hat und für Lohmann Hoffnung besteht, Mabuse das Handwerk zu legen. Nur besteht eben die zentrale Ironie darin, dass Mabuse wie ein harmloser alter Mann aussieht, während der eigentliche Täter den weißen Kittel eines Irrenarztes trägt.

Am Schluss flüchtet Pohland nach Mabuses Tod und nimmt dessen Testament mit. In der nächsten Folge „Scotland Yard jagt Dr. Mabuse“ spielt es wieder eine Rolle. Es erweist sich aber als brisant genug, dass es jemand in seinem Tresor in die Luft jagt. Die Gefahr, die vom Bösen ausgeht, besteht also fort.

_Die Inszenierung_

Nach einer Fanfare in einem schrecklich miesen Sound, die zum Glück nur 30 Sekunden dauert, geht der Hör-Film sofort los. Es gibt keine Einleitung, lediglich eindringliche Musik, wie man sie aus den 1959 gestarteten Edgar-Wallace-Verfilmungen kennt. Die Musik dirigiert die Emotionen, die den Zuhörer (so wie einst den Zuschauer) erfüllen sollen: Beklemmung, Furcht, Entsetzen, aber auch romantische Gefühle, nach dem Finale schließlich Triumph und Erleichterung.

Schon nach wenigen Minuten gibt es die erste Leiche. Einige weitere werden folgen. Die Geräuschkulisse entspricht dem Niveau eines Edgar-Wallace-Krimis. Was mich jedoch völlig enttäuscht hat, ist die mickrige Qualität der Schüsse. Hier wurden offensichtlich nur Platzpatronen benutzt, deren Geräuschentwicklung doch sehr begrenzt ist. Aber es klingt einfach nach den Spielzeugpistolen, die wir Jungs beim Räuber-und-Gendarm- oder Cowboy-und-Indianer-Spielen benutzten (ich war immer der Indianer, logo!). Auch die Explosionen klingen eher nach einem zusammenkrachenden Haus als einer hochgehenden Ladung Sprengstoff.

Die Sprecher entsprechen den damaligen Schauspielern, ist ja klar. Herausragend fand ich Gert Fröbe als Kommissar Lohmann, Charles Regnier als Mabuses Handlanger Mortimer und das Paar Senta Berger und Helmut Schmid (der später eine denkwürdige Rolle neben einer doppelten Lilo Pulver spielen sollte). Schade, dass Harald Juhnke nicht zur Geltung kommt. Er darf mal wieder wie Harry bloß den Wagen holen und dumme Fragen stellen, um Fröbe die Gelegenheit zu geben, seine Weisheit herauszustellen.

Immerhin ist die Geräuschkulisse ziemlich realistisch, besonders in den Interieurs, aber auch auf der Straße. Schade, dass für den Effekt des Telepathiegeräts kein besonderer Sound gefunden wurde. Da der Mono-Sound keineswegs DD-5.1-Standard entspricht, knarren auch die Stimmen der Darsteller recht kernig und obertonlastig daher. Diese Qualität ist jedoch offenbar die des Originals, denn das Hörspiel wurde durchgehend, wie die DDD-Signatur auf der Hülle verrät, mit digitalen Mitteln hergestellt. Um mehr aus dem Original herauszukitzeln, wäre wohl ein teures Remastering nötig. Und das können sich meines Wissens nur die großen Studios leisten.

|Das Booklet|

Das Booklet umfasst zwölf Seiten, die sich sehen lassen können. Neben einem historischen Filmplakat sind hier nicht nur die Macher des Film detailliert vorgestellt, sondern auch die Verantwortlichen des Hörbuchs. Natürlich fehlt auch Produzent Sven Michael Schreivogel nicht. Er dankt mehreren Quellen, ohne deren Unterstützung das Produkt wesentlich magerer ausgefallen wäre, darunter der Tochter von Filmproduzent Artur Brauner, sowie den Erben von Norbert Jacques, dem Schöpfer der Figur des Dr. Mabuse.

Im Booklet sind zwölf Filmfotos in ausgezeichneter Qualität abgedruckt. Zu sehen sind:

Kommissar Lohmann: Gert Fröbe, u. a. als unfreiwilliger Patient des Irrenarztes Pohland;
Sein Kriminalassistent Krüger: Harald Juhnke, mit wilder Haartolle;
Nelly: Senta Berger neben Helmut Schmid als Johnny Briggs, ein smartes Liebespaar;
Mortimer: Charles Regnier, der sich mit einem dubiosen Schattenmann trifft;
Walter Rilla als Prof. Pohland, der sich über Gert Fröbe auf seinem Behandlungsstuhl freut;
sowie Wolfgang Preiss als Dr. Mabuse, an seinen Verbrechensplänen schreibend (in Spiegelschrift).

Außerdem ist ein Werkfoto von den Dreharbeiten zu sehen. Die letzte Seite führt die Trackliste auf.

_Unterm Strich_

Dieses Hörspiel verunsichert auf der ganzen Linie. Es gibt keine Maßstäbe, an denen sich der Filmfreund festhalten könnte: Weder triumphiert die Polizei, noch überleben Liebe und Menschlichkeit. Verrat reckt allenthalben sein hässliches Haupt, und die Zwielichtigkeit aller Beziehungen und Identitäten lässt sich am besten in der Irrenanstalt des Dr. Pohland-Mabuse symbolisieren.

Das Drehbuch ist schon ziemlich ausgetüftelt. Doch auch beim ersten Anhören ist die Essenz leicht zu kapieren: Grusel, Spannung, (sehr wenig) Romantik und (sehr viel) Terrorismus gehen hier eine bemerkenswerte Verbindung in einem Thriller ein, der heute leider schon wieder vergessen ist. Die antifaschistischen Untertöne des Fritz-Lang-Films von 1933 fehlen in den Fortsetzungen, dafür kamen Action und ironischer Humor besser zum Zuge. Ansonsten ist dieser erste Film einer Trilogie ziemlich grimmig. Gert Fröbe hat aber in „Goldfinger“ wesentlich besser gespielt.

Das Booklet zu der qualitativ hochstehenden Hörbuchproduktion wartet mit zwölf interessanten Fotos zum Film und mit einem Bild zum Dreh in Berlin auf. Die Filmfotos ergänzen die Informationen zu zahlreichen Mitwirkenden damals und heute.

Wenn der Rest der Reihe ebenso gut produziert wird, könnte das Thema „Dr. Mabuse, der Staatsfeind Nr. 1“ eine Wiederauferstehung mit Langzeitwirkung feiern. Der Käufer erhält für sein Geld einen reellen Gegenwert. Der Preis erscheint mir der Ausstattung angemessen.

|66 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-8218-5389-5|
http://www.eichborn.de

Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse

„Ich war es nicht, es war Dr. Mabuse!“

Letztlich ist der Irrenarzt Pohland in der Nervenheilanstalt gelandet, kann aber entkommen. Nun will er sich der Erfindung von Prof. Larsen bemächtigen – einem Todeslaser, der über Satellit jeden Punkt der Erde zerstören kann. Geheimdienstmajor Bob Anders erhält den Auftrag, Larsen und die Waffe zu schützen …

Die Autorin

Susa Gülzow arbeitet seit 1988 als Autorin, Regisseurin und Sprecherin. Aus ihrer Feder stammen beispielsweise die Hörspielfassungen von „Lucky Luke“, diversen Heinz-Erhardt-Filmen und „Dr. Mabuse“ sowie zahlreiche Synchronbearbeitungen.

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anonym / Färberböck, Max / Rohrbach, Günter – Anonyma. Eine Frau in Berlin (Hörspiel)

_Bescheidene Umsetzung: Besser den Film sehen!_

Das Original-Hörspiel zum Film von Max Färberböck, der seit dem 23. Oktober 2008 in den Kinos gezeigt wird.

April 1945. Die Rote Armee marschiert in Berlin ein. In einem halb zerstörten Wohnhaus werden die Frauen Opfer von Vergewaltigungen. Eine von ihnen ist ANONYMA (Nina Hoss), einst Journalistin und Fotografin. In der Not fasst sie den Entschluss, sich einen russischen Offizier zu suchen, der sie beschützt. Und es geschieht, worauf sie am wenigsten gefasst war: Es entsteht eine Beziehung zu dem Offizier (Evgenij Sidikhin), die sich wie Liebe anfühlt, wäre da nicht die Barriere, die sie bis zum Ende Feinde bleiben lässt. (Verlagsinfo)

_Die Macher_

|Autorin: anonym|. Alle Zitate aus: „Anonyma. Eine Frau in Berlin. Tagebuchaufzeichnungen vom 20. April bis zum 22. Juni 1945.“ © Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 2003.

|Regisseur Max Färberböck|

Der Absolvent der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) sammelte erste Erfahrungen am Theater, u. a. als Regieassistent von Peter Zadek am Schauspielhaus in Hamburg. Es folgten Theaterinszenierungen in Heidelberg, Köln, Italien und Argentinien, bevor er mit drei Folgen von „Der Fahnder“ (1990) seine Fernseharbeit begann. Er schrieb und inszenierte die bei Publikum und Presse gleichermaßen erfolgreichen, preisgekrönten TV-Movies „Schlafende Hunde“ (1992) sowie „Einer zahlt immer“ (1993) und schuf 1993 die Fernsehfigur „Bella Block“ und realisierte zwei Folgen: „Die Kommissarin“ (1994), für die er mit dem Adolf Grimme Preis in Gold ausgezeichnet wurde, und „Liebestod“ (1995). Mit „Aimée und Jaguar“ (1999) gab Färberböck dann sein überaus erfolgreiches Kinodebüt. Das von Günter Rohrbach produzierte Drama eröffnete 1999 die Internationalen Filmfestspiele Berlin und erhielt eine Nominierung für den |Golden Globe|. Seinen Hauptdarstellerinnen Juliane Köhler und Maria Schrader brachte „Aimée und Jaguar“ den |Silbernen Bären|, den |Bayerischen Filmpreis| und den |Deutschen Filmpreis| als Beste Darstellerinnen ein.

Max Färberböcks zwei Jahre später realisierter Fernsehfilm „Jenseits“ gewann 2001 den Fernsehpreis des SWR und wurde beim Internationalen Fernsehfestival von Monte Carlo mit zwei |Goldenen Nymphen| ausgezeichnet. Der Kinofilm „September“ (2002), der bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes in der Reihe |Un Certain Regard| Premiere feierte, war eine unmittelbare Auseinandersetzung Färberböcks mit den Folgen des 11. Septembers 2001 in Deutschland.

|Produzent Günter Rohrbach|

Nach seinem Studium der Germanistik und Philosophie mit anschließender Promotion war Günter Rohrbach vor allem als Filmkritiker tätig. Ab 1961 arbeitete er beim WDR, wo er ab 1965 Fernsehspielchef und ab 1972 auch Unterhaltungschef war. Von 1979 bis 1994 war er Geschäftsführer der |Bavaria-Film| in München und seit 1992 nebenamtlich tätig als Abteilungsleiter und Honorarprofessor an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in München. Seit 1994 arbeitet er als freier Produzent. Neben zahlreichen Fernsehspielproduktionen produzierte Günter Rohrbach über 40 Kinofilme und wurde dafür vielfach ausgezeichnet, darunter mit mehreren Bundesfilmpreisen und Bayerischen Filmpreisen, dem Adolf-Grimme-Preis, zwei |Goldenen Kameras| sowie Nominierungen für den |Oscar| und den |Golden Globe|.

Zu seinen Produktionen zählen Filme wie Rainer Werner Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ (1980), Wolfgang Petersens „Das Boot“ (1981), Peter Zadeks „Die wilden Fünfziger“ (1982), Hajo Gies „Schimanski – Zahn um Zahn“ (1985), Dominik Grafs „Die Katze“ (1987) und „Die Sieger“ (1994), Peter Timms „Go, Trabi, go“ (1991), Helmut Dietls „Schtonk!“ (1992), Rainer Kaufmanns „Die Apothekerin“ (1997) und „Kalt ist der Abendhauch“ (1999), Jan Schüttes „Fette Welt“ (1998), Max Färberböcks „Aimée & Jaguar“ (1999) und Hermine Huntgeburths „Die weiße Massai“ (2005) und „Effi“ (2008). Seit 2003 zeichnet er an der Seite von Senta Berger als Präsident der |Deutschen Filmakademie| verantwortlich.

|Musik: Zbigniew Preisner|

Der polnische Komponist Zbigniew Preisner erlangte Weltruhm durch seine langjährige Zusammenarbeit mit dem 1996 verstorbenen Regisseur Krzysztof Kieslowski. Preisner gewann 1994 einen |César| für seine Musik zu Kieslowskis „Drei Farben: Rot“, 1996 bekam er einen weiteren |César| für seine Musik zu Jean Beckers „Eliza“. 1997 wurde Zbigniew Preisner bei den Berliner Festspielen mit dem |Silbernen Bären| für die Musik zu dem dänischen Film „The Island on Bird Street“ (Regie: Soren Kragh-Jacobsen) ausgezeichnet. Des Weiteren komponierte er u. a. für drei Filme von Agnieszka Holland, „Der Priestermord“ (1988), „Hitlerjunge Salomon“ (1990) und „Der geheime Garten“ (1993). 1992 schrieb er die Musik zu Louis Malles „Das Verhängnis“.

Die Erzählerin: Ursula Illert

_Handlung_

|Zitat: ANONYMA, Montag, 23. April 1945, 9 Uhr früh
„Beim Bäcker hieß es, die Russen stünden nun bei Weißensee und Rangsdorf. Im Rangsdorfer Strandbad habe ich oft gebadet. Ich spreche es versuchsweise laut vor mich hin: ‚Die Russen in Rangsdorf‘. Es will nicht zusammenklingen. Im Osten heute feurig roter Himmel, endlose Brände.“|

Es sind die letzten Tage des Krieges, April 1945 in Berlin. Im Keller eines halb zerstörten Wohnhauses kauern die Menschen und warten. Sie haben die Bombennächte überstanden und auch den Artilleriebeschuss. Die meisten von ihnen sind Frauen und sie ahnen, was sie erwartet. Der Einmarsch der Roten Armee in Berlin steht unmittelbar bevor.

Da ist die stets hilfreiche Witwe (Irm Hermann), da sind die lebenslustigen Schwestern Bärbel (Jördis Triebel) und Greta (Rosalie Thomass), die ältere Buchhändlerin (Katharina Blaschke), die Likörfabrikantin (Maria Hartmann), deren Mann sie einer Jüngeren wegen sitzen ließ, das lesbische Liebespaar Steffi (Sandra Hüller) und Lisbeth (Isabell Gerschke), die resolute Achtzigjährige (Erni Mangold), das verzweifelte Flüchtlingsmädchen (Anne Kanis), da sind Mütter mit ihren Kindern und auch ein paar ältere Männer, aus denen der Krieg alle Kraft herausgesogen hat.

Vor allem aber ist da die knapp dreißigjährige Anonyma (Nina Hoss), dereinst Journalistin und Fotografin. Sie wird die Ereignisse der nächsten Tage für ihren Lebensgefährten Gerd (August Diehl) festhalten, der vor Jahren an die Ostfront verschwand.

|Zitat: ANONYMA, Sonntag, 13. Mai
„Über Berlin läuten die Glocken zum Sieg der Alliierten. Irgendwo steigt in dieser Stunde die berühmte Parade, die uns nichts angeht. (…) Liebe? Die liegt zertreten am Boden. Und stünde sie wieder auf, so würde ich ständig darum bangen, fände keine Zukunft darin, wagte nie mehr, Dauer zu erhoffen. (…) Trotzdem reizt das dunkle und wunderliche Abenteuer des Lebens. Ich bleibe schon aus Neugier dabei; und weil es mich freut, zu atmen und meine gesunden Glieder zu spüren.“|

Es werden Tage der Schrecken und widersprüchlichsten Erfahrungen. Anonyma wird, wie die meisten Frauen, von den Siegern mehrfach vergewaltigt. Doch sie taugt nicht zum Opfer. Mit Mut und dem unbedingtem Willen, ihre Würde zu verteidigen, fasst sie einen Entschluss. Sie wird sich „einen Wolf“ suchen, einen russischen Offizier, der sie vor den anderen schützt. Als Gegenleistung wird sie mit ihm schlafen – freiwillig. Und es geschieht, worauf sie am wenigsten gefasst war: Der höfliche, melancholische Offizier Andrej (Evgeny Sidikhin) weckt ihr Interesse, ja, es entsteht eine Beziehung, die sich wie Liebe anfühlt. Und doch schwindet nie die Barriere, die beide nicht vergessen lässt, dass sie feindlichen Lagern angehören.

Auch die anderen Frauen entwickeln ihre Strategien, mal schnoddrig, mal unterwürfig, auf kleine Vorteile bedacht. Und es zeigt sich, dass auch die sowjetischen Soldaten nach menschlicher Nähe verlangen. Sie nisten sich ein in diesem zerbombten Haus. Und schließlich werden Sieger und Besiegte sogar das Ende des Krieges zusammen feiern. Denn etwas vereint sie doch: Sie sind – nach einem langen Krieg – dem Tod entronnen.

|Zitat: ANONYMA, Freitag, 27. April 1945, Tag der Katastrophe, wilder Wirbel – notiert
Samstag Vormittag
„Es begann mit Stille. Allzu stille Nacht. Gegen Mitternacht meldet Fräulein Behn, daß der Feind bis an die Schrebergärten vorgedrungen sei und die deutsche Linie bereits vor uns liege. Ich konnte nicht einschlafen, probierte in Gedanken mein Russisch aus, übte Redensarten, von denen ich annahm, daß ich sie nun verwenden könnte. (…) Gegen 18 Uhr ging es los. Einer kam in den Keller, Bullenkerl, stockbesoffen, fuchtelte mit seinem Revolver herum und nahm Kurs auf die Likörfabrikantin. Die oder keine. Er jagte sie mit dem Revolver quer durch den Keller, stieß sie vor sich her zur Tür. Sie wehrte sich, schlug um sich, heulte – als plötzlich der Revolver losging. Der Schuß hallte wischen die Balken, in die Mauer, ohne Schaden anzurichten. Darob Kellerpanik, alle springen auf, schreien …

Da haben sie mich. Die beiden haben hier gelauert. Ich schreie, schreie … Hinter mir klappt dumpf die Kellertür zu. Der eine zerrt mich an den Handgelenken weiter, den Gang hinauf. Nun zerrt auch der andere, wobei er mir seine Hand so an die Kehle legt, daß ich nicht mehr schreien will, in der Angst erwürgt zu werden. Beide reißen an mir, schon liege ich am Boden. Aus der Jackentasche klirrt mir etwas heraus. Es müssen die Hausschlüssel sein, mein Schlüsselbund. Ich komme mit dem Kopf auf der untersten Stufe der Kellertreppe zu liegen, spüre im Rücken naßkühl die Fliesen. Oben am Türspalt, durch den etwas Licht fällt, hält der eine Mann Wache, während der andere an meinem Unterzeug reißt, sich gewaltsam den Weg sucht.“|

|ANONYMA, von Samstag, 16. Juni, bis Freitag, 22. Juni 1945
„Ich habe Gerd inzwischen meine Tagebuchhefte gegeben (es sind drei Kladden voll geworden). Gerd setzte sich eine Weile drüber hin, gab mir dann die Hefte zurück, meinte, er könne sich nicht durchfinden durch mein Gekritzel und die vielen eingelegten Zettel mit den Steno-Zeichen und den Abkürzungen. ‚Was soll denn das heißen?‘ fragte er und deutete auf Schdg. Ich mußte lachen: ‚Ja, doch natürlich Schändung.‘ Er sah mich an, als ob ich verrückt sei, sagte nichts mehr.“|

Für seine „Verbrüderung mit dem Feind“ wird der Major strafversetzt, kurz nachdem Anonymas Gatte Gerd aus dem Krieg heimgekehrt ist. Doch schon nach zwei Tagen hält er nicht mehr aus, aus ihren Notizbüchern über von all dem zu erfahren, was sie und die anderen Frauen getan haben. Voll Abscheu verschwindet er ins Nirgendwo.

_Anmerkungen_

|Anmerkungen von Günther Rohrbach, Produzent des Films:|

Es ist das letzte große Tabu des II. Weltkriegs. Bis heute gibt es, auch in der Wissenschaft, darüber nur wenige Veröffentlichungen, kein Standardwerk, keine verlässlichen Zahlen. Hunderttausende Frauen sind vor allem im Osten Deutschlands in den letzten Kriegswochen vergewaltigt worden. Manche Schätzungen bewegen sich zwischen einer und zwei Millionen, zuverlässig sind sie nicht. Wie sollten sie auch, denn kaum jemand hat darüber öffentlich gesprochen, am wenigsten die Frauen selbst. Sogar in den Familien gab es so etwas wie einen Schweigebann. So groß wie das Leid war die Scham, auch und gerade dem eigenen Mann, den eigenen Kindern gegenüber.

Soweit sich die Wissenschaft überhaupt dem Thema näherte, stützte sie sich auf die wenigen schriftlichen Zeugnisse, die ihr zugänglich waren. Historiker arbeiten nach Aktenlage. Mündliche Recherchen sind ihnen fremd. So waren es Journalisten wie Erich Kuby („Die Russen in Berlin 1945“) und vor allem die Filmemacherin Helke Sander, die die fundiertesten Beiträge zum Komplex der Vergewaltigungen geliefert haben. Helke Sanders Film „Befreier und Befreite“ erschien Anfang der 90er Jahre zusammen mit dem gleichnamigen Buch. Ergänzend zu zahlreichen persönlichen Zeugnissen wird hier erstmals auch versucht, den bestürzenden Umfang der Ereignisse mit Zahlen zu unterlegen. Gegenüber der Methodik dieser Ermittlung mag es Zweifel geben, unzweifelhaft ist aber, dass es hier um eine Größenordnung geht, deren erfolgreiche Verdrängung durchaus skandalös genannt werden kann. In den Kriegen der Männer waren die Frauen seit jeher eine mehr oder weniger selbstverständliche Beute. Heute nennt man das Kollateralschäden. Daran hat sich, folgt man den Berichten aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus dem Irak oder Afghanistan, bis in unsere Gegenwart hinein nichts geändert. Dennoch war das Ausmaß der Vergewaltigungen von 1945 extrem und beispiellos.

Die Tabuisierung dieser Ereignisse hat viele Gründe. Der wichtigste: Die eigene schwere Schuld hat es den Deutschen jahrzehntelang schwer, ja unmöglich gemacht, sich auch mit jenen Verbrechen der Nazizeit und des Krieges zu beschäftigen, bei denen sie sich selbst als Opfer sehen konnten. Diese Haltung war im Nachkriegsdeutschland weitgehend unumstritten. Erst in letzter Zeit hat man, nicht ohne kritische Begleitgeräusche, damit begonnen, in diesem oder jenem Falle eine andere Perspektive zuzulassen. Zweifellos hat es auch eine Rolle gespielt, dass bei den Vergewaltigungen die Täter vor allem Soldaten der Roten Armee waren, die Opfer Bürger der DDR. Es war gerade in der DDR politisch nicht opportun, die Befreier mit einem solchen Makel zu belasten. So war es eine große Ausnahme, wenn Bert Brecht in seinem Arbeitsjournal unter dem Datum vom 25.10.1948 mit aller Vorsicht und im Bemühen um Gerechtigkeit folgendes schrieb:

|[Zitat] „immer noch, nach den drei jahren, zittert unter den arbeitern, höre ich allgemein, die panik, verursacht durch die plünderungen und vergewaltigungen nach, die der eroberung von berlin folgten. In den arbeitervierteln hatte man die befreier mit verzweifelter freude erwartet, die arme waren ausgestreckt, aber die begegnung wurde zum überfall, der die siebzigjährigen und die zwölfjährigen nicht schonte und in voller öffentlichkeit vor sich ging. Es wird berichtet, dass die russischen soldaten noch während der kämpfe von haus zu haus, blutend, erschöpft, erbittert, ihr feuer einstellten, damit frauen wasser holen konnten, die hungrigen aus den kellern in die bäckereien geleiteten, die unter trümmern begrabenen ausgraben halfen, aber nach dem kampf durchzogen betrunkene horden die wohnungen, holten die frauen, schossen die widerstand leistenden männer und frauen nieder, vergewaltigten vor den augen von kindern, standen in schlangen an vor häusern usw …“ [Zitat Ende]|

Nicht zuletzt waren es die Frauen selbst, die eine Auseinandersetzung mit diesem Thema verhinderten, weil sie kein Interesse daran hatten, mit dem, was sie trotz allem auch für ihre Schande hielten, erneut konfrontiert zu werden. Auch in der von dem Historiker Rolf-Dieter Müller im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegebenen zehnbändigen Gesamtdarstellung des II. Weltkriegs werden die Vergewaltigungen nur beiläufig behandelt. Auch hier keine Zahlen – man beschränkt sich auf die pauschale Formulierung „Hunderttausende“ und resigniert vor der Unmöglichkeit einer zuverlässigen Quantifizierung mit dem Begriffspaar „zahllos und namenlos“.

|Anonyma|

Wann immer freilich in den vergangenen Jahrzehnten die Verbrechen an den Frauen im Berlin des Jahres 1945 zum Thema wurden, hat man sich nicht zuletzt auf die Tagebuchaufzeichnungen der Anonyma unter dem Titel „Eine Frau in Berlin“ berufen. Sie sind bis heute die einzige authentische Veröffentlichung, die es über die Massenvergewaltigungen des letzten Krieges gibt. Es ist bezeichnend, dass die Autorin ihren Namen auch Jahrzehnte nach den geschilderten Vorgängen nicht genannt hat. Wir haben ihren Wunsch, auch über den Tod hinaus anonym zu bleiben, respektiert, obwohl der Name an anderer Stelle inzwischen öffentlich geworden ist.

Es hat Versuche gegeben, die Authentizität dieses Dokumentes in Zweifel zu ziehen. Überzeugend waren sie nicht. Ein Gutachten Walter Kempowskis hat sie im Übrigen widerlegt. Die Ereignisse selbst sind ohnehin unumstritten.

Die Anonyma hat in der Zeit vom 20. April bis 22. Juni 1945 in Berlin Tagebuch geführt und diese Aufzeichnungen unter Anleitung ihres Mentors Kurt W. Marek (dem berühmten „C. W. Ceram“ bei |Rowohlt|) erstmals 1954 in New York in englischer Übersetzung veröffentlicht. Das Buch wurde auf Anhieb ein großer Erfolg. Nach etwa einem Dutzend weiterer ausländischer Ausgaben erschien das Buch Ende der 50er Jahre auch in Deutschland – und blieb weitgehend unbemerkt. Zu kurz war damals noch der Abstand, zu frisch waren die Wunden. Ohnehin war man in jenen Jahren vor allem damit beschäftigt, die Ereignisse des II. Weltkriegs möglichst aus dem kollektiven Gedächtnis zu verdrängen.

Es war allerdings nicht nur der Inhalt, der die Leser abschreckte, sondern vor allem der Ton, in dem die Anonyma ihre Erlebnisse verarbeitet hatte. Er ist frei von jeder Larmoyanz, kein Opfer-Pathos, kein Mitleidsappell. Anonyma schildert diese Wochen des Grauens und der Verfolgung selbstbewusst und mit jener schnoddrig sachlichen Kühle, die so typisch ist für die Berlinerin. Sie hat sich nicht unterkriegen lassen, so wenig wie viele der Frauen in ihrer Umgebung, ihr Überlebenswille war groß und stark. Und sie hat sich auch nicht gescheut, sich zu prostituieren, wenn anders das Weiterleben nicht gewonnen werden konnte.

Aber genau das, ihre Bereitschaft, das scheinbar Unmögliche zu tun, mit kühner Entschlossenheit die Gesetzlichkeiten der bürgerlichen Moral zu ignorieren und es auch noch trotzig niederzuschreiben, hat die deutschen Zeitgenossen der 50er Jahre empört. Ihr Bild von der deutschen Frau ließ nichts anderes zu als den Opfergang, im Zweifel bis zum Letzten.

Als Hans Magnus Enzensberger zu Beginn dieses Jahrhunderts das Buch wieder aufgriff und es in seiner „Anderen Bibliothek“ veröffentlichte, war die Resonanz überwältigend positiv. Befördert vom Enthusiasmus der Kritiker enterte das Buch auf Anhieb die Bestsellerlisten. Erneute Veröffentlichungen in zahlreichen Ländern waren die Folge.

|Der Film|

Der Film stellt sich dem Thema in seiner ganzen Komplexität, das heißt, er erzählt keine Opfergeschichte. Er verschweigt also nicht, wer in diesem Krieg die Angreifer, wer die Täter waren. Es ist kein Film über arme deutsche Frauen und böse russische Soldaten. Dennoch weicht er den harten Fakten nicht aus. Das ist ein schmaler Grat, auf dem er sich bewegt, aber es ist möglich, weil die Anonyma für sich selbst die mutige Entscheidung getroffen hat, kein Opfer sein zu wollen. Sie hat uns überdies die Chance gegeben, das zu vermeiden, was in vergleichbaren deutschen Filmen immer wieder geschieht, dass nämlich die Hauptfiguren aus dem politischen Kontext der Nazizeit herausgelöst und ideologisch entschuldet werden.

Wir haben uns dem Problem gestellt, dass die Anonyma ein Teil des Systems war. „War ich selber dafür? Dagegen?“, schreibt sie in ihrem Tagebuch, „Ich war jedenfalls mittendrin und habe die Luft eingeatmet, die uns umgab und die uns färbte, auch wenn wir es nicht wollten.“ Sie war Journalistin, da hatte sie nicht viele Möglichkeiten, den Ansprüchen derer zu entkommen, die dieses Land regierten. Sie hat Texte geschrieben, wie sie damals geschrieben wurden, auch von Journalisten, die später den demokratischen Geist der Bundesrepublik repräsentierten.

Wir haben uns auch bemüht, den russischen Soldaten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie waren zum großen Teil einfache Bauern, denen man dieses reiche Deutschland als Beute versprochen hat, als Ausgleich für erlittenes Leid. Kein anderes Volk hat auch nur annähernd so viele Opfer gebracht. Von den über 50 Millionen Toten des II. Weltkriegs waren mehr als die Hälfte Bürger der Sowjetunion.

Den Rahmen des Films bilden die Vergewaltigungen und die mutige Selbstbehauptung, mit der eine Gruppe von Berliner Frauen versucht, damit umzugehen. In seinem Kern aber erzählt der Film eine hochdramatische Geschichte zweier Menschen, die Feinde sind und die dennoch ein starkes Gefühl füreinander entwickeln. Wir stützen uns dabei auf vorsichtige Andeutungen der Tagebuchautorin, erlauben es uns aber, darüber hinauszugehen.

„Der Krieg verändert die Worte“, sagt Anonyma zu ihrem Beschützer, „Liebe ist nicht mehr das, was es war.“ Als am Ende Gert, ihr Mann, zurückkehrt, erleben wir das wahre Drama dieser Geschichte. Die Frauen haben, jedenfalls in ihrer Mehrheit, ihre Verletzungen tapfer ertragen. Es waren die Männer, die es nicht schafften.

_Mein Eindruck_

Was die Inhaltsangabe und Rohrbachs Anmerkungen verschweigen, sind die verräterischen Aktionen auf beiden Seiten. Der Major, Andrej, verbrüdert sich mit dem Feind und wird dafür strafversetzt – Sibirien. Aber zuvor kam es zu einem schweren Verstoß gegen die Sicherheitsbestimmungen der Russen durch die Bewohner des Hauses, in dem Anonyma lebt.

Alle Deutschen sollten selbstverständlich ihre Waffen abgeben. Doch Anonyma hat in ihrer Dachwohnung einen jungen deutschen Soldaten geduldet, der bewaffnet war und Essen von den Russen stahl. Sie brachte es nicht übers Herz, ihn durch Verrat nach Sibirien zu schicken. Doch Petka, ihr erster „Kavalier“, durchsuchte das Haus bis zum Dach auf der Suche nach einem weiblichen Ersatz für die vorenthaltene Anonyma. Er stößt auf das schlesische Flüchtlingsmädchen, das zur Freundin des jungen deutschen Soldaten geworden ist. Der Soldat schießt auf den russischen Gegner, der sich an dem Mädchen vergreifen will.

Alles fliegt auf, und das ganze Haus muss Sanktionen der Russen erdulden. Nun hat der Rivale des Majors, Oberleutnant Andropov, Oberwasser und nutzt die Chance, ihn auszubooten und versetzen zu lassen. Für das Verstecken des deutschen Soldaten muss sich Anonyma Vorwürfe von ihren deutschen Mitbewohnern anhören, sogar von Eckart, dem alten Volkssturmangehörigen.

Verrat ist eben auf beiden Seiten zu finden und meist durch das definiert, was dem jeweiligen Machthaber nützt. Die Frauen mussten sich durch dieses moralische Minenfeld hindurchlavieren. Anonyma will nicht zur Beute aller werden und stellt sich unter den Schutz eines einzigen dieser „Wölfe“, des Majors. Sie hintergeht ihn, indem sie verschweigt, wen sie in der Dachwohnung beherbergt. Da sie selbst aber machtlos ist, kann sie niemanden wirklich schützen. Es kommt zur Katastrophe.

Aber sie wird überleben. Sie erinnert an die Deutsche Lena Brandt in Soderberghs Film [„The Good German“,]http://www.powermetal.de/video/review-1044.html der auf dem Roman „In den Ruinen von Berlin“ von Joseph Kanon beruht. Gerade die Deutschen haben dafür einige Redensarten erfunden. „Not kennt kein Gebot“ und „Nach dem Fressen kommt die Moral“.

Doch der Film ist nicht zynisch oder kaltschnäuzig inszeniert, sondern steht auf der Seite der Menschen, nicht auf jener der Geschichtsschreibung oder irgendeines Systems. Deshalb nimmt er keine Verurteilungen vor. Das fand ich sehr positiv. Allerdings sind viele Szenen ohne Dialoge geschrieben, sondern wurden für Blicke und Gesten inszeniert. Dies wird dem Hörspiel zum Verhängnis …

_Die Inszenierung des Film-Hörspiels_

Mehr als einmal gibt es lange Szenen in diesem Film, in denen kaum ein Wort gesprochen wird. Kennt der Hörer den Film noch nicht, muss er sich Gesten, Mienen und Blicke vorstellen. Das fällt schwer in einem Film, der so von Emotionen getragen ist wie dieser. Mehrmals habe ich die Machart des Films mit [„Die Welle“]http://www.powermetal.de/video/review-1622.html verglichen. Dort gibt es aber wesentlich mehr Dialoge, da sich der ganze Film um Kommunikation und Gemeinschaft dreht.

Eigentlich sollte es in „Anonyma“ ebenfalls darum gehen, doch es fehlen die Worte. Und wenn es sie mal gibt, dann an den entscheidenden Stellen in russischer Sprache. Einer der entscheidenden Nachteile des Hörspiels besteht im Fehlen von Untertiteln. Entscheidende Stellen des interkulturellen Dialogs – Anonyma spricht ja auch russisch! – gehen so verloren.

Alle diese Mankos könnte die Erzählstimme auffangen – tut sie aber nicht. Die Aufgabe der Erzählstimme besteht vielmehr darin, Gedanken wiederzugeben, also sehr Intimes, sowie geschichtliche Zusammenhänge, also sehr Allgemeines. Dazwischen liegt die Sphäre des Films, mit den genannten Leerstellen.

Am meisten geärgert hat mich die entscheidende Szene zwischen Anonyma und dem heimgekehrten Gatten Gerd. Wir hören jede Menge Möbelrücken, Poltern und Kratzen – möglicherweise versucht er, in der Dachwohnung sein früheres Fotoatelier einzurichten. Diesem galt seine erste Frage an seine Frau, nicht etwa ihrem Wohlbefinden. Die Musik steigert sich zu dramatischen Dimensionen, doch immer noch fällt kein Wort, was doch auf die Dauer etwas unbefriedigend ist. Ob sie nun miteinander schlafen oder nicht – wir können es uns nur vorstellen. Und das ist viel zu wenig, wie sich herausstellt.

|Sound & Geräusche|

Bei einem Film-Hörspiel kann man auch einen anständigen SOUND erwarten. Der wird zum Glück auch geliefert, wenn auch nicht in DD 5.1, sondern nur in Stereo. Das reicht aber völlig aus, um gewaltige Explosionen und Granateinschläge sowie Gewehr-Salven im Wohnzimmer oder Kopfhörer des Zuhörers losdonnern zu lassen. Ich bin selbst mehrmals zusammengezuckt, mir wurde mulmig im Magen. Erst angesichts dieser Gewalten kann man sich den Überlebenskampf in den Berliner Häuserschluchten einigermaßen vorstellen.

|Musik (Original-Score)|

Der Score von Zbigniew Preisner ist klassisch instrumentiert. Er muss mit leisen Tönen gegen die Geräusche des Überlebenskampfes ankommen. Vielfach ist ein leises Piano zu hören, auch eine junge russische Solosängerin und eine Sopranistin, die eine Kantilene singt. Einmal spielt der „Major“ Andrej selbst am Piano eine schöne Melodie, vielleicht Chopin. Am besten gefielen mir die Stellen, in denen es dramatischer und flotter zuging; dann spielt das ganze Orchester mit. Ob der Komponist auch für die russische Party- und Tanzmusik zuständig war, kann ich nicht sagen.

Der Abspann und Ausklang wird von einem einzelnen Piano bestritten, das mit seinem Klang die verschwindende Erinnerung charakterisiert, auch wenn diese noch so schmerzhaft und traurig sein mag. Dieser Ausklang dauert immerhin fast 120 Sekunden lang.

_Unterm Strich_

Man sollte vor dem Hören dieser Produktion meiner Ansicht nach den Film gesehen haben. Als Appetizer taugt das Hörspiel ebenso wenig wie als Souvenir. Die Geschichte an sich wird zwar deutlich und klanglich anschaulich dargestellt, aber das Fehlen von Erzählkommentaren (und Untertiteln) an entscheidenden Stellen hat mich mehr als einmal geärgert und frustriert. Der Preis von knapp 20 €uronen ist erheblich zu hoch für diese bescheidene Leistung.

Dennoch habe ich keinen Zweifel, dass dies ein wichtiger Film für deutsche Zuschauer ist und wesentlich zur Aufklärung über ein dunkles Kriegskapitel beiträgt. So wie „Die Welle“ über das Entstehen des Faschismus aufgeklärt hat, so erhellt „Anonyma“ das bestehende Verhältnis zwischen Deutschen und Russen. (Man lese dazu die Anmerkungen von Produzent Rohrbach.)

|120 Minuten auf 2 CDs
ISBN-13: 978-3-8218-6300-9|
http://www.eichborn-lido.de
http://www.anonyma.film.de

Jonathan Carroll – Fieberglas / The Marriage of Sticks

Entdeckungsreise ins Ich einer Zauberin

Miranda Romanac ist eine attraktive Frau mittleren Alters, die mit seltenen Büchern handelt und eigentlich ein erfülltes Leben führt. Nur der Mann fürs Leben fehlt ihr noch und sie hofft, auf einem Klassentreffen ihrem Ex-Freund James zu begegnen, für den sie immer noch romantische Gefühle hegt. So kommt es einem Schock gleich, als sie erfährt, dass James Stillman drei Jahre zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.

Nach New York zurückgekehrt, lernt sie den reichen Kunsthändler Hugh Oakley kennen, der lange Zeit mit James befreundet war. Sie verlieben sich und alles scheint sich wieder zum Guten zu wenden. Doch dann wird Miranda von einer Folge unerklärlicher Ereignisse heimgesucht, die ihr buchstäblich den Teppich unter den Füßen wegziehen.… (Quelle: Amazon.de)
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Bertram Weisshaar – Einfach Losgehen

Richtung Horizont

„Eine Wanderung an der eigenen Haustüre zu beginnen, scheint mir sehr naheliegend, wortwörtlich das Nächstliegende. Das Überraschende dabei ist: Schon nach wenigen Minuten verändert sich etwas. Jeder Schritt hier, alles ist mir doch so vertraut, unmittelbares Wohnumfeld, und doch ist es ein bisschen so, als wäre es mir nun ein wenig fremd, als wäre ich schon nicht mehr von hier.“

Der Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Gehen. Er spürt nach, wie sich unsere Wahrnehmung verändert, wie wir den Raum gehend begreifen können und warum Spaziergänge so wichtig für uns sind.
Bertram Weisshaar verführt uns mit seinem Buch zum Wandern und Streunen. Denn: Nichts führt dichter in die Welt hinein als das Gehen. Los geht`s. (Verlagsinfo)

Inhalt und Eindrücke

Weisshaars Buch „Einfach Losgehen“ trägt noch zusätzlich den schönen Untertitel: „Vom Spazieren, Streunen, Wandern und vom Denkengehen“ und ist in drei Abschnitte untergliedert:

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[NEWS] Sarah Perry – Nach mir die Flut

An einem heißen Sommertag beschließt John Cole sein Leben hinter sich zu lassen.
Er sperrt seinen Buchladen, den nie jemand besuchte, zu und verlässt London. Nach einer Autopanne sucht er Hilfe, verirrt sich und gelangt zu einem herrschaftlichen, aber heruntergekommenen Anwesen.
Dessen Bewohner empfangen ihn mit offenen Armen – aber hinter der seltsamen Wohngemeinschaft steckt ein Geheimnis. Sie alle kennen seinen Namen, haben ein Zimmer für ihn vorbereitet und beteuern, schon die ganze Zeit auf ihn gewartet zu haben. (Verlagsinfo)

Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
Originaltitel: After me comes the flood
Eichborn

Stephan Brüggenthies – Der geheimnislose Junge (Lesung)

Das Kinderbordell im Schloss der Liebe

Ein Essen mit den Eltern seiner jugendlichen Freundin? Zbigniew, sprich Dz-big-niäff, Meier, Hauptkommissar im KK51 der Kölner City-Polizei Stolkgasse, hat ziemlich schlechte Laune, bevor er von seinem türkischen Kollegen Zeynel in einen vermeintlichen Routinefall hineingezogen wird: Ein Junge wird von seinen Eltern vermisst. Je mehr Meier über das vermögende Elternhaus und den wohlbehüteten Schüler eines Kölner Elitegymnasiums in Erfahrung bringt, desto sicherer ist er, dass der 15-jährige Timo einfach abgehauen ist.

Kurz darauf wird in Turin der Torso eines Jungen gefunden, der missbraucht und grausam verstümmelt wurde. Auf seinem Rücken eingezeichnet: eine Karte von Frankreich. Und obwohl der tote Junge nicht Timo ist, glaubt Zbigniew Meier an einen Zusammenhang. Auf eigene Faust macht er sich auf den Weg nach Houlgate in der Normandie – an jenen Ort, an dem Timo mit seiner Familie den letzten Urlaub verbracht hat und an dem sich sein Leben entscheidend verändern sollte. (Verlagsinfo)
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Tobias O. Meißner – Hiobs Spiel – Traumtänzer

_Handlung_

Und weiter geht das wilde Höllenspiel um den Posten als Herrscher des Wiedenfließ. Wie auch im ersten Buch hat der junge, aber ehrgeizige Hiob Montag sich zum Ziel gemacht, den Herrscher des Wiedenfließ zu stürzen und selber über die Schicksale der Menschen bestimmen zu können. 78 Punkte sind das Ziel, und inzwischen fehlen nur noch 71. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn der Gegenspieler nicht anfinge aufzurücken.

_Schreibstil_

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Annegret Held – Die letzten Dinge. Roman

Der Alltag in einem Altersheim – klingt eigentlich nicht unbedingt nach dem Thema eines großartigen Romans. Wer will darüber schon eine Geschichte lesen? Diese dunklen Winkel des Lebens klammert man doch am liebsten so lange aus, wie man es noch kann. Lieber so lange ignorieren, bis sie irgendwann Realität werden. Aber bis dahin will man lieber nicht zu viel darüber hören. Na ja, es kommt allerdings immer darauf an: Es gibt Menschen, die führen uns so sanft, freundlich und mit einem Augenzwinkern an einen so düsteren Ort, dass man selbst ein Altersheim glatt noch lieb gewinnen könnte. Annegret Held kann so etwas.

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Dave Barry – Dave Barry erklärt, was ein echter Kerl ist

Es gibt Männer und es gibt Kerle – dies ist die Prämisse, von der Dave Barry ausgeht. Während Erstere relativ unauffällig daherkommen, sind es Letztere, die als politisch unkorrekte Quertreiber gegen die Regeln einer auf Gleichberechtigung und Gleichbehandlung ausgerichteten Gesellschaft auftreten. Kerle sind geistig einfach gestrickt – wortkarg, wenn es um Gefühle geht, aber offen in der Präsentation diverser Körperfunktionen; sie haben eine eigenwillige Auffassung von körperlicher Hygiene, zwischenmenschlichen Beziehungen und ehelicher Treue. Sport steht bei ihnen zuzeiten höher im Kurs als die Bedürfnisse ihrer Familie, sinnlose Wetten mit vorprogrammiert peinlichem Ausgang locken sie an wie das Licht die Motten.

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