Tanya Huff beendete den vierten Teil ihrer Serie um die Privatermittlerin Vicki Nelson mit einem ziemlichen Paukenschlag: Von einer wahnsinnigen Wissenschaftlerin blutig geschlagen, lag sie im Sterben. Um ihr Leben zu retten, machte sie Henry – seines Zeichens Vampir – unsterblich. Natürlich verändert so ein extremer Schritt die Beziehungen aller handelnden Figuren zueinander und so braucht der Leser erstmal ein Weilchen, um sich in den veränderten Bedingungen zu arrangieren, die Tanya Huff im letzten Band der Serie, „Blutschuld“, vorstellt.
„Blutpakt“ ist bereits der vierte Roman um die Privatdetektivin Vicki Nelson, ihren vampirischen Sidekick Henry Fitzroy und ihren Kumpel aus Polizeitagen, Mike Celluci. Eigentlich war sie selbst einmal Polizistin gewesen – eine ziemlich erfolgreiche sogar, was ihr den Spitznamen Victory eingebracht hat. Doch dann zwang sie eine fortschreitende Augenkrankheit, den Dienst zu quittieren. Als selbstständige Privatdetektivin befasste sie sich zunächst mit den üblichen treulosen Ehemännern, bevor sie per Zufall auf Henry Fitzroy stieß. Das Übernatürliche hat sie seitdem nicht mehr losgelassen, weder privat noch beruflich.
Im vierten Teil der Blut-Reihe geht es – im Gegensatz zu den vorangegangenen Romanen – sehr schnell sehr ernst zu. Vickis Mutter, die der Leser bisher immer nur als nervtötende Stimme am anderen Ende des Telefons kannte, stirbt unerwartet. Zumindest für Vicki, denn was diese nicht wusste ist, dass ihre Mutter schon seit einer Weile an einer Herzkrankheit litt. Sie wohnte in Kingston, also macht sich Vicki sofort auf, um die Beerdigung zu organisieren und die Sachen ihrer Mutter zu ordnen. Natürlich bekommen Mike und Henry schnell Wind davon, dass Vicki die Stadt verlassen hat und folgen ihr (jeder in seinem eigenen Wagen natürlich), um ihr in dieser schweren Stunde beizustehen.
Und eine schwere Stunde ist es wahrlich! Denn bei der Beerdigung stellt sich heraus, dass der Sarg ihrer Mutter leer ist. Stattdessen finden sich darin nur ein paar Sandsäcke. Der Bestatter ist untröstlich, Vicki ist wütend und die Polizei ist ratlos. Sie nimmt sich der Sache zwar an, doch wird bald klar, dass die Polizei kaum Kapazitäten hat, sich der Suche nach verschwundenen Leichen zu widmen.
So ist es an Vicki, Henry und Mike, herauszufinden, wie und warum die Leiche ihrer Mutter verschwunden ist. Vicki bietet die zunächst fruchtlose Suche eine willkommene Abwechslung, da sie sich mit handfester detektivischer Arbeit befassen kann anstatt sich mit dem Tod eines geliebten Menschen auseinandersetzen zu müssen. Mike und Henry dagegen machen sich zu recht Sorgen um den Gemütszustand der Freundin und erwarten praktisch täglich einen Nervenzusammenbruch. Umso mehr, als sich herauskristallisiert, was tatsächlich mit ihrer Mutter passiert ist. Denn eine kleine Gruppe ambitionierter Wissenschaftler forscht über Bakterienkulturen, die, in Leichen eingepflanzt, diese wieder „funktionieren“ lassen. Nur braucht man für solch eine Forschung natürlich „Freiwillige“ …
Der Showdown gestaltet sich demnach ungewohnt actionlastig – es wird, ganz klassisch, viel herum gerannt und kaputt gemacht. Und im letzten Moment wird auch noch Vicki von der durchgeknallten Wissenschaftlerin übel verletzt, mitten im brennenden Universitätsgebäude. Was also tun?
Es geht ungewohnt ernsthaft zu in „Blutpakt“. Sicher, die Reibungspunkte zwischen den Charakteren bestehen weiterhin: Mike und Henry buhlen immer noch um Vickis Gunst, während Vicki die taffe Frau spielt, die eigentlich niemanden braucht. Doch als dieser unerwartete Todesfall über das Trio herein bricht, rücken alle drei näher zusammen. Mike und Henry geben ihr Bestes, ihre Differenzen zumindest auf Eis zu legen, damit sie für ihre Freundin da sein können. Und im Verlauf der Handlung erwischt sich Mike mehr und mehr dabei, dass er anfängt, Henry nicht nur als Nebenbuhler zu sehen, sondern als anständigen Kerl, den er respektieren muss und kann. Diese Veränderungen in der Beziehung zwischen den beiden bleiben immer minimal und subtil. Nie wird Huff hier plakativ, nie lässt sie ihre Charaktere einen Schritt weitergehen als unbedingt nötig. Auch am Ende von „Blutpakt“ wird es keine Männerfreundschaft zwischen Mike und Henry geben. Sie werden sich nicht gemeinsam ein Baseballspiel ansehen und feststellen, dass sie sich eigentlich schon immer mochten. Aber sie nähern sich an, und diese Entwicklung zu verfolgen ist ein wahres Lesevergnügen.
Die wahre Hauptfigur ist jedoch natürlich weiterhin Vicki. Eigentlich hatte sie nicht wirklich ein enges Verhältnis zu ihrer Mutter. Meist war sie genervt von ihren Anrufen (die stets kamen, wenn sie unter der Dusche stand) und ihren Versuchen, Vicki ins Gewissen zu reden, was ihr Privatleben und ihre berufliche Zukunft angeht – wobei Ratschläge die eine Sache sind, mit der Vicki nun überhaupt nicht umgehen kann. Das Mutter-Tochter-Verhältnis war also angespannt, doch in dem Moment, als Majory Nelson so plötzlich stirbt, wird klar, dass es doch auf Liebe fußte. Vicki lässt alles stehen und liegen, um in ihre Vergangenheit einzutauchen. Plötzlich ist sie nicht mehr Victory Nelson, Ex-Polizistin und Privatschnüfflerin. Plötzlich ist sie nur noch Vicki, die Tochter. Ihre Unfähigkeit, sich wenigstens für einen Moment so weit gehen zu lassen, dass sie um ihre Mutter trauern kann, ist das zentrale Problem des Romans. Tanya Huff ist hier – neben dem Krimiplot, den wahnsinnigen Wissenschaftlern und den auferstandenen Leichen – ein treffendes und einfühlsames Porträt einer Frau gelungen, die zwar trauert, aber nicht weiß, wie sie mit solch einem Verlust umgehen soll.
Abschließend muss natürlich noch etwas zu Huffs augenzwinkerndem Humor gesagt werden. So ernst “Blutpakt” auch daherkommt, es führt konsequent Huffs Reise durch die bekanntesten Motive der Horrorliteratur fort. Im vierten Band sind wir nun tatsächlich beim Frankensteinschen Monster angelangt. Die Grabräuber sind moderner geworden, sie arbeiten mittlerweile mit Computern und setzen ihren Leichen kleine Motoren ein, um sie am Laufen zu halten. Doch de Idee bleibt dieselbe: Wie lässt sich der Tod überlisten? Wie lässt sich eine Leiche erwecken? Und hat diese Leiche dann Gefühle, Wünsche, Ängste? Ist sie dann immer noch ein Mensch?
„Blutpakt“ versucht, auf diese Fragen Antworten zu finden. Doch wer Huffs Wahl des Horrormotivs für diesen Roman urkomisch findet, der ist nicht allein. Mike Celluci beispielsweise formuliert es, in seiner typisch fatalistischen Haltung, folgendermaßen: „Werwölfe, Vampire, Mumien – ich hätte damit rechnen müssen!“
Tanya Huff ist nicht nur eine unglaublich unterhaltsame und kurzweilige Schriftstellerin, sie hat auch einen sehr subtilen Sinn für Humor. Eine derartige Eigenschaft wirkt sich eigentlich auf jeden Roman günstig aus, doch die Tatsache, dass Huff Urban Fantasy schreibt, macht die Sache noch sympathischer. Und so nimmt sie weder sich selbst, noch ihre fünfteilige Blut-Reihe bierernst. Man kann beim Lesen praktisch spüren, wie die Autorin einem von Zeit zu Zeit verschwörerisch zuzwinkert.
Schließlich passiert es nicht alle Tage, dass man in einer Romanreihe auf einen Vampir trifft, der nicht nur der uneheliche Sohn von Heinrich VIII ist, sondern der auch noch im Toronto der 1990er Jahre lebt und sich seine Brötchen mit dem Verfassen rühriger Liebesschnulzen verdient. Sein momentanes Projekt nennt sich „Geißeln der Liebesmüh“, doch wird er im Verlauf der Romanhandlung von „Blutlinien“ kaum Gelegenheit dazu bekommen, es zu beenden. Vampir Henry Fitzroy plagt sich nämlich mit seinen ganz eigenen Geißeln der Liebesmüh in Form der forschen Vicki Nelson. Vicki ist ihres Zeichens Ex-Cop und Privatdektivin. Zur Zeit teilt sie Henrys Bett – wenn sie nicht gerade mit ihrem besten Freund Mike Celluci den Matratzentango tanzt. Die beiden Männer finden es alles andere als perfekt, die Geliebte teilen zu müssen, doch Vicki ist auf dem Ohr, das für monogame Lebensführung zuständig ist, praktischer Weise taub. Und so bilden Vicki, Mike und Henry eine irgendwie funktionierende, aber nicht ganz rund laufende Dreiecksbeziehung.
Vicki hat sich auf übernatürliche Kriminalfälle spezialisiert – wohl irgendwie naheliegend, wenn man mit einem Vampir schläft. Und so ist es auch kaum überraschend, dass sie sich plötzlich in einen Fall um eine ägyptische Mumie verwickelt sieht, die zwar nicht gerade die Weltherrschaft übernehmen will, aber trotzdem zumindest vorhat, Toronto politisch zu unterwandern.
Dabei fängt alles ganz normal an: Im Museum wird ein Sarkopharg angeliefert. Doch als die Wissenschaftler ihn öffnen, um die Mumie zu untersuchen, sterben nacheinander eine Reinigungskraft und dann der Kurator der ägyptischen Sammlung an Herzversagen. Die Mumie verschwindet (im Anzug des Kurators) und macht es sich in diesem Jahrtausend bequem, während sie den Mitarbeitern des Museums die Erinnerungen verwirrt, weswegen diese plötzlich überzeugt sind, dass der Sarkopharg von Anfang an leer war.
Detective-Seargant Mike Celluci lässt sich jedoch nicht so schnell ins Boxhorn jagen. Ihm erscheint die ganze Sache leicht fischig, doch da sein Vorgesetzter ihn von dem Fall abzieht, heuert er Vicki an, um weitere Ermittlungen anzustellen.
Gleichzeitig träumt Henry tagsüber ständig von einer hell strahlenden Sonne. Als Vampir hält er das für kein besonders gutes Zeichen und befürchtet nun, dass er kurz vor dem Wahnsinn oder dem Selbstmord steht. Vollkommen verunsichert wendet er sich an Vicki, die ihn beaufsichtigen soll, damit er auch ja nichts Unüberlegtes tut (wie zum Beispiel ein ausgiebiges Sonnenbad zu nehmen).
Im ersten Roman der Reihe, „Blutzoll“, präsentierte uns Huff neben dem Vampir einen bösen Dämon, den es zu besiegen galt. Im zweiten Teil, „Blutspur“, ging es dann um Werwölfe. Und nun, im dritten Teil, sind die Mumien dran – das Triumvirat der klassischen Horrorliteratur ist perfekt. Dabei schafft es Huff durchaus, dem ausgeleierten Charakter der wiederauferstandenen Mumie doch noch eine frische und spannende Seite abzugewinnen. Tawfik, wie sich die Mumie nennt, ist keineswegs ein hirnloses, in Klopapier eingewickeltes Monster, das mit leicht steifen Schritten und leerem Blick durch die Handlung schreitet. Tawfik ist ein tragender Charakter, dessen Präsenz schon dadurch unterstrichen wird, dass mit ihm – und nicht etwa mit Vicki Nelson, der eigentlichen Protagonistin der Reihe – der Roman beginnt. Huff erzählt teilweise aus Tawfiks Perspektive und macht so die Beweggründe und Handlungsmotive einer 3000 Jahre alten Mumie durchaus verständlich und nachvollziehbar.
Und doch muss die machthungrige Mumie natürlich gestoppt werden. Dabei gibt es allerlei Verwicklungen und ausweglose Situationen. Abgesehen vom offensichtlichen Krimiplot lebt der Roman hier vor allem von der Dynamik zwischen Vicki, Henry und Mike. Die beiden Männer liefern sich Wortgefechte, wann immer es ihnen möglich ist. Und Vicki, stur und emanzipiert, ist auch nicht auf den Mund gefallen.
„Blutlinien“ bietet für jeden Geschmack etwas. Der Vampirfan bekommt einen sympatischen und faszinierenden Vampir, in dessen illustre Vergangenheit Huff auch gern einmal eintaucht, wenn die Handlung es erlaubt. Für Liebhaber tougher Dämonenjägerinnen gibt es Vicki, die in ihrer unsentimentalen und unromantischen Art einen wunderbaren Gegensatz zu Henry bildet. Abgerundet wird der Cocktail durch Mike, der mit seinem gekränkten Mannesstolz Sympathiepunkte sammelt und der zupacken kann, wenn mal Not am Mann ist.
Und so ist Tanya Huff auch mit dem dritten Roman der Blut-Reihe ein spannender und actiongeladener Pageturner gelungen. Wer große Mengen Blut und großkalibrige Waffen sucht, wird hier nicht fündig werden. Dafür bietet Huff allen anderen einen pfiffigen Plot und unglaublich liebenswerte Charaktere in einem straff durchkomponierten Roman ohne Längen. Und nachdem man die letzte Seite umgeblättert hat und gierig nach dem Folgeband „Blutpakt“ greift, fragt man sich zwangsläufig, welchen Topos der Horrorliteratur Huff als nächstes aufgreift, um ihm eine Verjüngungskur zu verpassen. Frankensteins Monster wäre zum Beispiel eine nahe liegende Wahl!
In „Blutzoll“, dem Auftaktroman von Tanya Huffs „Blood“-Serie, versuchte die Protagonistin Vicki Nelson gerade, sich damit abzufinden, dass ihre Augen zu schlecht sind, um noch bei der Polizei zu arbeiten. Stattdessen hatte sie sich als Privatdetektivin selbstständig gemacht. Offensichtlich lernt man in diesem Job die interessantesten Leute kennen, denn sie traf bei ihren Ermittlungen in einem Mordfall nicht nur auf einen Vampir, sondern wurde auch zum Blutopfer für einen Dämon auserkoren (eine zweifelhafte Ehre, die in der Regel tödlich endet).
Zu Beginn des zweiten Teils, „Blutspur“, ist Vickis Begegnung mit dem Dämon schon ein paar Monate her. Mittlweile scheint Vampir Henry eine feste Instanz in ihrem Leben zu sein, auch wenn er sich bisher weigert, noch einmal ihr Blut zu trinken – schließlich hatte sie erst kürzlich einen Großteil davon eingebüßt und muss sich nun erst erholen. Ihre Beziehung zu ihrem Ex-Partner Mike hat sich auch größtenteils normalisiert. Sie reden wieder miteinander, sie bekocht ihn und steckt ihn auch schon mal ins Bett, wenn er zu überarbeitet ist, um solche Kleinigkeiten selbst zu meistern.
Die Idylle wird jäh gestört, als Henry Vicki um Hilfe bittet. In der Nähe von Toronto lebt eine befreundete Familie von Werwölfen; inkognito natürlich. Trotzdem scheint jemand ihr Geheimnis erraten zu haben, denn bereits zwei der Familienmitglieder sind in Wolfsgestalt erschossen worden. Da die Familie nicht zur Polizei gehen kann, ohne ihre wahre Natur zu enthüllen, hoffen sie darauf, dass Vicki den Mörder finden kann.
Also fahren Henry und Vicki hinaus aufs Land, um sich auf der Schaffarm der Heerkens – sicherlich das perfekte Berufsbild für eine Gruppe von Werwölfen – umzusehen. Vicki braucht zunächst eine Weile, sich an das Gewusel aus Mensch und Wolf zu gewöhnen, auch weil die Werwölfe durchaus andere Moralvorstellungen vertreten als Menschen. Während Henry also gewöhnlich den Tag verschläft, sieht sich Vicki in dem kleinen Wäldchen um, aus dem die tödlichen Schüsse gekommen sein müssen. Zwar findet sie den Baum, auf den der Schütze offensichtlich geklettert ist, doch hilft ihr diese Erkenntnis kaum weiter. Denn es gibt einfach keine Verdächtigen …
Zur gleichen Zeit in Toronto nagt an Mike die Eifersucht. Streng genommen waren er und Vicki nie wirklich ein Paar, und trotzdem will er diesem Henry nicht einfach so das Feld überlassen. Irgendwas muss an dem Typen doch faul sei, findet er. Also stellt Mike heimlich Nachforschungen an und kommt bald zu einer beunruhigenden Erkenntnis, von der er findet, dass er sie Vicki möglichst sofort mitteilen muss. Und so fährt er auch zur Schaffarm, nur um mitten zwischen die Werwölfe, Henry und den Todesschützen zu geraten.
„Blutspur“ geht genauso rasant weiter, wie „Blutzoll“ aufgehört hat. Wieder präsentiert Huff ihrer Leserschaft einen übernatürlichen Kriminalfall, den es mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu lösen gilt. Und auch wenn Huff die Auflösung der Mordfälle hier etwas weiter hinauszögert, so liefert sie dem Leser doch wieder alle Indizien auf dem Silbertablett. Um das „Whodunit“ geht es nicht in erster Linie, sie führt also etwas anderes im Schilde.
In „Blutzoll“ war der Krimiplot Aufhänger für eine Kritik an der reißerischen und verantwortungslosen Berichterstattung der Massenmedien. In „Blutspur“ dagegen hat sich Huff eine neue moralische Grundsatzfrage ausgesucht, an der sie sich abarbeiten kann: den Gegensatz zwischen Recht und Gerechtigkeit. Da die Werwölfe eben kein menschliches Gericht anrufen können, ohne sich selbst bloßzustellen, nehmen sie das Recht selbst in die Hand. Die Frage, ob – und wenn ja, wann – Lynchjustiz zu akzeptieren ist, wird immer wieder im Roman gestellt. Ganz zu Anfang ist es Vicki, die sich mit dem Problem trägt, ob sie den Mörder den Werwölfen ausliefern kann (die ihn töten werden). Später ist es Mike, der die gleichen Fragen stellt, obwohl er gleichzeitig weiß, dass ihnen nicht viele Alternativen bleiben. Letztendlich wird der Gerechtigkeit genüge getan, nicht dem Recht.
Interessant an dem Roman ist vor allem die Beschreibung der Werwölfe. Sie werden weder romantisiert noch als blutgierige Bestien dargestellt. Stattdessen sind die Heerkens eigenbrötlerische Schafzüchter mit wenig Hang zu ordentlicher Lebensweise (offensichtlich hat wirklich niemand in dieser Familie einen Putzfimmel, denn so viele Wollmäuse wie hier gibt es sonst in keinem Buch). Wie Vicki schnell feststellt, ticken sie einfach grundsätzlich anders: So kann sie sie beispielsweise nicht davon abhalten, nachts in Fellgestalt hinauszugehen – und das, obwohl die Werwölfe verstehen, welches Risiko sie damit eingehen. Sie versuchen Vicki zu erklären, dass der Instinkt, ihr Revier abzulaufen und zu markieren, einfach stärker ist, doch das wiederum kann Vicki nicht nachvollziehen. Solche Missverständnisse gibt es häufiger und Vickis Geduld wird wiederholt auf die Probe gestellt. Letztendlich jedoch dienen diese Szenen hauptsächlich Huffs außerordentlich origineller und erfrischender Interpretation des Werwolf-Mythos.
Natürlich werden auch die drei Hauptcharaktere Vicki, Henry und Mike weiterentwickelt. Vicki und Henry tun |es| endlich, wenn auch völlig unromantisch auf einer Klappliege in einer Abstellkammer. Und Mike, der in „Blutzoll“ noch etwas blass blieb, darf sich hier, vom grünen Monster getrieben, zum rechthaberischen Macho aufspielen, nur um sich letztendlich doch wieder als ehrlicher und zuverlässiger Kerl zu erweisen. Die Rivalität zwischen Henry und Mike wird sicher auch in den folgenden Bänden der Serie eine Rolle spielen. Die beiden dabei zu beobachten, wie sie immer wieder aneinandergeraten, ist einfach zu amüsant und unterhaltsam, als dass Huff diesen Handlungsfaden so schnell wieder aufgeben wird.
Erwähnenswert ist außerdem der Handlungsort des Romans. Während in „Blutzoll“ noch Toronto eine zentrale Rolle spielte, ist es nun London – ein verschlafenes Städtchen irgendwo auf dem Land. Die Städter, allen voran Vicki und Mike, tun sich reichlich schwer damit, sich ans Landleben zu gewöhnen: Sie kämpfen mit widerspenstigen Büschen und Horden von Mücken und vermissen die Großstadt offensichtlich mit jeder Faser ihres Wesens.
Kurzum: „Blutspur“ ist ein ebenso überzeugender Pageturner wie Huffs Erstling „Blutzoll“. Vicki Nelson erweist sich einmal mehr als taffe Privatdetektivin, die nicht gut darin ist, ihre Schwächen zuzugeben, Hilfe anzunehmen oder in irgendeiner anderen Art und Weise gefühlsduselig zu werden. Außerdem zeigt sie sich äußerst anpassungsfähig: Einmal davon überzeugt, dass es Vampire gibt, hat sie nun auch mit anderen übernatürlichen Daseinsformen kein Problem. So wirft sie auch mal für einen jungen Werwolf Stöckchen, ohne dass sie daran etwas Seltsames finden könnte. Wieder ein gelungener Krimi!
Bis vor acht Monaten war Vicki Nelson noch eine der erfolgreichsten Ermittlerinnen in der Mordkommission von Toronto. Dann jedoch wurde bei ihr eine fortschreitende Augenkrankheit festgestellt, die sie für den Außendienst untauglich machte. Einen Bürojob wollte sie jedoch auf keinen Fall, und so kündigte sie lieber bei der Polizei und machte sich als Privatdetektivin selbstständig. Ihr ehemaliger Partner und unregelmäßiger Bettgenosse Mike Celluci hat ihr diesen Schritt allerdings übel genommen. Seit ihrer Kündigung haben sie kein Wort mehr miteinander gewechselt. Dumm nur, dass Vicki gleich am Anfang von Tanya Huffs „Blutzoll“ auf Mike stoßen wird, da sie zufällig Zeugin eines brutalen Mordes wird.
Als sie nach einem missglückten Date mit der U-Bahn nach Hause fahren will, wird auf den Gleisen ein junger Mann getötet. Die Leiche bleibt zurück, mit herausgerissener Kehle und völlig blutleer. Die herbeigerufene Polizei – und vor allem ihr Ex-Partner Celluci – stehen vor einem Rätsel. Bald stellt sich jedoch heraus, dass es sich um eine Mordserie handel muss. Weitere Opfer werden gefunden, die alle auf die gleiche Weise ermordet wurden. Zwischen den Opfern besteht keine Verbindung und die Polizei tappt völlig im Dunkeln. Es fehlen sowohl Tatverdächtige als auch ein Motiv. Die lokale Presse hat allerdings kein Problem damit, die Morde zu erklären: Mit großen Aufmachern behauptet das städtische Revolverblatt, dass die Morde von einem Vampir begangen wurden.
Das wiederum gefällt Henry Fitzroy gar nicht, denn Henry ist tatsächlich ein Vampir. Er befürchtet, dass die reißerische Berichterstattung sein unauffälliges Leben als Autor billiger Liebesschnulzen gefährdet. Er vermutet, dass die Morde tatsächlich von einem wild gewordenen Vampir verübt wurden, und macht sich auf, diesen Vampir zu finden und zu vernichten.
Vicki dagegen wird von der Freundin des ersten Opfers angeheuert, um den Mörder zu finden. Logisch, dass sich Vickis und Henrys Wege im Verlauf der Ermittlungen kreuzen werden. Und natürlich braucht es sowohl die Privatdetektivin als auch den Vampir, um den eigentlichen Bösewicht zu finden und unschädlich zu machen.
„Blutzoll“ ist der Auftakt zu Tany Huffs fünfteiliger Blood-Serie. Bereits 1991 auf Englisch erschienen, brachte der kleine Fantasyverlag |Feder & Schwert| die Serie 2004 auf den deutschen Markt. Nachdem dann die TV-Adaption „Blood Ties“ auf |RTL 2| anlief, übernahm |Egmont LYX| die Romanserie.
„Blutzoll“ ist ein wirklich unterhaltsamer Pageturner mit einem übernatürlich angehauchten Mordfall und überzeugend gezeichneten Charakteren. Natürlich lebt der Roman vor allem von der Protagonistin Vicki Nelson. Mit ihr präsentiert Huff ihren Lesern eine taffe und kompetente Frau, die mitten im Leben steht und sich auch von ihrer Nachtblindheit und von ihrem nicht vorhandenen peripheren Sehvermögen nicht in der Verbrecherjagd einschränken lässt. Vicki ist Realistin und völlig unromantisch. Als Mike wieder in ihr Leben stolpert, macht es beiden nichts aus, mal hier und da die Nacht miteinander zu verbringen, ohne dass große Gefühlsbekundungen folgen würden.
Vicki hält nichts von großen Gefühlen, das muss auch Vampir Henry Fitzroy bald feststellen. Eigentlich ist er der klassische romantische Held – gutaussehend, verführerisch, loyal und auch bereit, für die Dame seines Herzens den Kragen zu riskieren. Doch bei Vicki beißt er damit auf Granit. Zwar findet sie ihn anziehend und es werden in „Blutzoll“ auch schon erste Körperflüssigkeiten ausgetauscht (Blut, die Rede ist selbstverständlich von Blut!), doch viel weiter kommt der arme Henry mit seinen Avancen nicht.
Es ist gerade Vickis spröde Art, die den Reiz der Geschichte ausmacht. Da hat sie zwei Männer, die an ihr interessiert sind, und keinen von beiden mag sie erwählen. Mit Mike verbindet sie eher eine klassische Kumpelfreundschaft und mit Henry eine Art schwebende Romanze, bei der aber nie Fakten geschaffen werden. Es wird geflirtet, aber jeder legt sich in seinem eigenen Bett zur Ruhe.
Tanya Huffs Vampir ist natürlich von anderen Romanen beeinflusst. So bedient sich Huff bei einschlägigen Quellen, reinterpretiert diese aber originell und mit einem Augenzwinkern. So wird Henry beispielsweise in einem Club Rotwein angeboten. „Nur ein stärkerer Mann als Henry Fitzroy hätte dieser Vorlage widerstehen können,“ heißt es daraufhin. Und so lehnt Henry das Getränk mit den Worten, „ich trinke niemals … Wein“, ab. Ebenfalls interessant ist Henrys Einstellung zur Religion. Tanya Huff macht hier eindeutig einen Gegenentwurf zu Anne Rices vom Christentum enttäuschten Vampiren auf. Ihr Henry Fitzroy, vor 450 Jahren als unehelicher Sohn Henry VIII. geboren, ist ein guter Katholik. Während die bodenständige Vicki in brenzligen Situationen lieber Fäuste sprechen lässt, ist Henry nicht abgeneigt, auch mal himmlischen Beistand anzurufen. Dieses friedliche Nebeneinander von Vampirismus und Religion ist erfrischend. Es trägt auch dazu bei, Henry unproblematisch zu gestalten: Ja, er ist faszinierend, geheimnisvoll und attraktiv. Er hat allerdings kaum etwas von der Düsternis, von denen Vampire in der Regel umgeben sind. Er hadert nicht mit seinem Schicksal, sondern stattdessen wie jeder Schriftsteller mit der leeren Seite, denn wenn er seine Abgabetermine nicht einhält, kann er seine Miete nicht zahlen. Wie prosaisch, wie menschlich!
Hinter den kurzweiligen und durchweg sympathischen Hauptfiguren droht der Krimiplot von Zeit zu Zeit etwas zu verblassen, vor allem dann, wenn Huff sich eigentlich kaum Mühe gibt, den wahren Mörder zu verheimlichen. Sie erzählt aus verschiedenen Perspektiven, unter anderem eben auch aus der des Mörders (bzw. Mordsgehilfen). Das nimmt relativ schnell die Spannung aus den Ermittlungen – man wartet hauptsächlich darauf, dass Vicki und Henry dem Bösewicht endlich auf die Schliche kommen statt selbst zu knobeln, was denn des Rätsels Lösung sein könnte.
„Blutzoll“ überzeugt trotzdem. Die Handlung wird nie langweilig und mit den Hauptfiguren identifiziert man sich als Leser mehr als gern. Huff erzählt mit gekonnter Leichtigkeit: Ihre Personen gelingen ihr mühelos, und auch das Setting wirkt plastisch und real – wohl auch, weil die Autorin viele Jahre in Toronto gelebt hat. Diese Stadt, die auf der Karte der Fantasy wohl eher ein weißer Fleck ist, avanciert bei ihr selbst zum Protagonisten. Toronto lebt, brodelt und die Charaktere bewegen sich entlang der Lebensadern dieser Stadt – um Blut zu trinken, Mörder dingfest zu machen und Dämonen aufzuspüren. Ein lesenswerter Krimi mit fantastischem Einschlag.
|Originaltitel: Blood Ties
Ins Deutsche übertragen von Claudia Wittemund
351 Seiten
ISBN-13: 978-3-8025-3648-9|
http://www.Egmont-Lyx.de
http://www.bloodtiestv.com
_Tanya Huff auf |Buchwurm.info|:_
[„Blutzoll“ 123 (frühere Ausgabe)
[„Blutlinien“ 407
[„Hotel Elysium“ 1481 (Die Chroniken der Hüter I)
[„Auf Teufel komm raus“ 1995 (Die Chroniken der Hüter II)
[„Hüte sich wer kann“ 2545 (Die Chroniken der Hüter III)
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