Jodi Taylor – Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv (The Chronicles of St. Mary’s, Band 1)

Überraschungen in der Kreidezeit

Madeleine „Max“ Maxwell wollte Archäologin werden, um Abenteuer zu erleben, unfassbare Entdeckungen zu machen und gelegentlich die Welt zu retten. Doch die Wirklichkeit holt sie ein: Archäologen verbringen ihre Zeit in Museen zwischen staubigen Büchern und noch staubigeren Fundstücken, die niemanden interessieren.

Da erhält sie ein besonderes Jobangebot. Wenn sie die Zusatzausbildung übersteht – und die wenigsten tun das – wird sie Abenteuer erleben, die jene von Indiana Jones wie einen Sonntagsspaziergang aussehen lassen. Und wenn sie überlebt, wird sie wenigstens ein paarmal die Welt retten… (Verlagsinfo)

Die Autorin

Jodi Taylor war die Verwaltungschefin der Bibliotheken der Grafschaft North Yorkshire und so für eine explosive Mischung aus Gebäuden, Fahrzeugen und Mitarbeitern verantwortlich. Dennoch fand sie die Zeit, ihren ersten Roman „Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv“ zu schreiben und als E-Book selber zu veröffentlichen.
Nachdem das Buch über 6.000 Leser begeistert hatte, erkannte endlich ein britischer Verlag ihr Potenzial und machte Jodi Taylor ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte. Seit dem schreibt sie an vier Zyklen.
Ihre Hobby sind Zeichnen und Malerei, und es fällt ihr wirklich schwer zu sagen, in welchem von beiden sie schlechter ist.“ (korrigierte, erweiterte Verlagsinfo)
Zur Bibliographie: https://en.wikipedia.org/wiki/Jodi_Taylor#Bibliography.

Die Romane um St. Mary’s

Just One Damned Thing After Another (June 2013)
A Symphony of Echoes (October 2013)
A Second Chance (February 2014)
A Trail Through Time (July 2014)
No Time Like the Past (February 2015)
What Could Possibly Go Wrong? (August 2015)
Lies, Damned Lies, and History (May 2016)
And the Rest is History (April 2017)
An Argumentation of Historians (May 2018)
Hope For the Best (May 2019)

Hier listet die Autorin ihre St. Mary’s-Romane und -Kurzgeschichten in der korrekten Reihenfolge auf:
https://joditaylor.online/blogs/news/chronicles-of-st-marys-reading-order.

Handlung

Die junge Archäologin Madeleine „Max“ Maxwell erhält ein besonderes Jobangebot: nämlich die Geschichte aus eigener Erfahrung zu erleben. Nun, denkt Max, alles ist besser, als in staubigen Museen zu versauern, in denen schreiende Kinder unschätzbar wertvolle Artefakte demolieren. Aber wie soll man Geschichte am eigenen Leib erleben? Das erfährt sie erst, als sie den Vertrag unterschrieben und das Kleingedruckte, wie üblich, ignoriert hat. Von nun an wird das St. Mary’s Institut der Thirsk-Universität der Ort ihrer neuen Zusatzausbildung. Aber um was genau geht es hier? Die Dozenten sind extrem vorsichtig, was dieses nicht ganz unwichtige Detail angeht.

Zeitreisen!

Verblüfft kapiert sie nach einer Weile, dass hier am St. Mary’s Zeitreise tatsächlich möglich ist. Die Dozenten benutzen computergesteuerte Kapseln, die auf Sprachbefehle reagieren. Regel Nr. 1: Man darf nicht in die Ereignisse eingreifen. Regel Nr. 2: Man muss überleben, um von dem Gesehenen berichten zu können. Letzteres erweist sich als gar nicht so einfach, wie es scheint. Allzu viele Expeditionsmitglieder seien spurlos verschwunden oder schwer verletzt zurückgekehrt, sagt einer der Dozenten bedauernd. Doch Kopf hoch! Dafür gibt es ja die ZUSATZAUSBILDUNG!

Diese besteht aus: Verkleiden und sich unauffällig machen, Survivaltraining für harte Umgebungen, Kampfsportausbildung für Begegnungen mit „negativen Elementen“, was auch immer darunter zu verstehen ist (vermutlich Soldaten und andere Knochenbrecher). Die Ausbildung ist hart, so hart, dass es viele aus dem Jahrgang nicht schaffen. Max hält durch. Gerade noch so. Sie orientiert sich an Sussman, der einfach die Ruhe weg hat und sicher ist, der Beste zu werden.

Erste Exkursionen

Der erste Test: Doch von einem Shrewsbury des 14. Jahrhunderts ist weit und breit nichts zu entdecken, vielmehr ragt am Horizont ein riesiges Gebirge in den Himmel. Dies ist definitiv nicht Großbritannien. Nach über 14 Tagen – Chief Farrell hat mehr oder weniger „zufällig“ viel Proviant verstaut – erwacht der Computer wieder zum Leben und sie kann zurückkehren. Die wichtigste Erkenntnis: Sie hat die ganze Zeit über die Nerven behalten und das Vertrauen in ihre Dozenten nicht verloren.

Erste Exkursionen verlaufen zur Bestürzung der Überlebenden häufig tödlich. Manchester 1819? Kevin Grant wird von einem Säbel der Kavallerie beinahe in Stücke gehackt. Der Bauernaufstand des Wat Tyler? Der Prüfling wird niedergetrampelt und stirbt im Hospital von St. Mary’s Als Max endlich ihre erste Mission mit Mr. Peterson absolviert, geht scheinbar alles glatt, bis auf den merkwürdigen Umstand, dass ihnen auf der Baustelle der Westminster-Kathedrale fast ein zehn Tonnen schwerer Granitblock auf den Kopf fällt. Noch ahnen sie nichts Böses, aber das wird sich bald ändern…

Ins Feuer

Der nächste Einsatz führt Max und ein kleines Team ins Jahr 1916 an die Front der Somme, genauer gesagt: zu einem schlossartigen Krankenhaus, das sich hinter den Feldlazaretten befindet. Sie sollen im Auftrag der Thirsk-Uni klären, ob dieses Schloss seinerzeit vom Feind in Brand geschossen wurde – oder von der eigenen Artillerie. Ein Jahrestag nähert sich, und die Klärung dieses Zweifelsfalles ist dringlich.

Als das erwartete Feuer wirklich ausbricht, geschieht dies nicht irgendwo an einer der Mauern oder Wände, sondern in der Wäschekammer, und zwar genau in dem Augenblick, als Max davorsteht. Spät kann sie beim Debriefing Farrel vom stechenden Geruch einer Chemikalie erzählen – viel später. Denn sofort bricht Chaos aus. In dessen Verlauf müssen die im Schloss einquartierten Verwundeten evakuiert werden. Viel später fällt Max auch das sonderbare Verhalten von Sussman auf: Er schickt sie zurück ins Feuer.

Zu den Sauriern

Nachdem sie in letzter Sekunde hat entkommen können, gesteht ihr Chief Leon Farrell, wer er wirklich ist: ein Mann aus der Zukunft. Wow! Das muss sie erst einmal verarbeiten. Und dass er einen Rivalen namens Ronan in den Weiten der Geschichte hat, der ihm wegen einer Liebesgeschichte ans Leder will, ist auch schwer verdauliche Kost. Doch Farrell druckst noch wegen einer anderen Sache herum, und Max fragt sich unwillkürlich, was das wohl sein könnte. Auf die Idee, dass er sie lieben könnte, kommt sie – noch – nicht.

Als sie von Institutsleiter Bairlow damit beauftragt wird, eine Exkursion in die Zeit vor 67 Mio. Jahren zu leiten, ist dies für sie der Ritterschlag. Folglich will sie alles ganz besonders gut machen. Alle Aufgaben werden sauber eingeteilt, und so fällt ihr nicht weiter auf, dass sich Sussman für besondere Aufgaben wie die Astronomie besonders interessiert.

Nachdem es die Kapsel geschafft hat, weder in der Flanke eines Vulkans noch unter der Meeresoberfläche zu materialisieren, erteilt Max der Tür den Befehl, sich zu öffnen. Ein Schwall Kreidezeitluft dringt heraus. Sie stinkt umwerfend würzig wie eine Jauchegrube. Sobald die Crew diesen Schock überwunden hat und sich die Nase zuhält, begibt sie sich auf die erste Expedition.

Schon bald trifft Max auf eine geheimnisvolle Organisation, die die oberste Zeitreise-Regel (Nicht eingreifen!) missachtet. Sie hat eine Art Safari für Saurier und zahlende Zeitreisende eingerichtet! Steckt dieser mysteriöse Ronan dahinter, fragt sich Max empört. Sie muss zusehen, wie gefangene Echsen gefangen, freigelassen und zum Spaß abgeknallt werden. Bevor sie jedoch irgendetwas unternehmen kann, erhält sie von Sussman einen harten Schlag auf den Hinterkopf und verliert das Bewusstsein…

Mein Eindruck

Dies ist der Auftakt zu einer dramatischen Wendung in der Mitte des Buches, die unsere Heldin grundlegend verändern wird. Denn das Institut muss natürlich Max und Peterson retten, dabei aber auch den Verlust mehrerer anderer Mitarbeiter verschmerzen. Bis alle Dinge rekapituliert werden können, vergeht eine ganze Weile, nicht nur in der Zielzeit, sondern auch zu Hause, in der leicht fortgeschrittenen Zukunft. (Der Roman erschien als gedrucktes Buch 2013.) Wie diese Krise ausgeht, ist höchst bedauerlich, denn Max wird des Instituts verwiesen.

Doch dieser niederschmetternde Moment hält nicht lange an. Nach nur drei Monaten wird sie auf mirakulöse Weise von einer gewissen Mrs. Partridge entdeckt, aufgepäppelt und zurückgeholt. Hinter dieser Wohltäterin dürfen wir gerne die Muse der Geschichtsschreibung (Clio) vermuten, aber auch handfestere Interessen. Würde man nämlich das St. Mary’s Institut mit Hogwarts College vergleichen, so würde man viele Parallelen entdecken. Und wie jenes Lehrinstitut für Zauberlehrlinge würde man auch hier eine feindliche Übernahme feststellen: Die Dozentin Barclay hat das Kommando übernommen und eine Schreckensherrschaft errichtet.

Kann unsere wackere Heldin ihre Freunde und Gefährten (und ihren Geliebten) diese Schurkin aus dem Amt treiben? Das ist ja wohl das Mindeste! Gleich darauf macht Max eine sensationelle Entdeckung: Sie hat etwas getan, was eigentlich den Prinzipien der Zeitreise widerspricht: Sie hat etwas aus der fernen Vergangenheit zurückgebracht. Dies wird die Arbeit von St. Mary’s grundlegend revolutionieren – und die Thirsk Uni weltberühmt machen, wetten?

Die Übersetzung

Die Übersetzerin Marianne Schmidt hat genau den feinen britischen Humor getroffen, der auf der hellen Seite des Sarkasmus beheimatet ist. Die Botschaft verbirgt sich also zwischen den Zeilen und im doppelten Boden dieses Humors. Glücklicherweise sind die meisten Leser heute damit vertraut oder zumindest intelligent genug, diese Art von Humor entschlüsseln zu können

S. 155: „möglicherwiese“ statt „möglicherweise“.

Es gab noch einen weiteren Druckfehler, aber den konnte ich in Ermangelung eines Schreibgeräts nicht notieren. Da alle anderen Wörter korrekt geschrieben wurden, kann ich einen erfreulichen Mangel an Fehlern feststellen.

Unterm Strich

Ich habe diesen furios und humorvoll erzählten Abenteuerroman mit Genuss und Spannung gelesen. Er erinnert an gewisse Harry-Potter-Romane und hat eine Hogwarts-ähnliche Institution zum Mittelpunkt. Dass sich die Autorin bestens mit solchen Institutionen auskennt, dürfen wir ihrer Biografie – siehe oben – entnehmen. Am Anfang muss man sich ein wenig durch die Kapitel der Ausbildung arbeiten, sich die Namen der vielen Ausbilder und Lehrlinge merken – denn ein Namensverzeichnis glänzt durch Abwesenheit, ebenso wie ein Lageplan des Instituts. (Vielleicht kommt die Autorin in den Folgebänden noch dazu, diese Details nachzutragen.)

Erst mit den Exkursionen geht der Spaß so richtig los. Der Leser sollte sich sofort fragen, was hier schiefläuft, denn unsere Heldin tut es nicht. Das spricht zwar nicht gerade für ihren Scharfsinn, wohl aber für das Geschick ihrer Schöpferin, ihre Leser zu überraschen. Dreh- und Angelpunkt des Buches ist die Kreidezeitexpedition. Dieses Rätsel aufklären, beschäftigt Max und die Dozenten bis zum Schluss. Der Leser sollte also genau aufpassen, was passiert, was gesagt wird und wer so gerade wo befindet. Am besten verwandelt sich der Leser gleich in Sherlock Holmes.

Romantik

Als Frau ist die Autorin stark am emotionalen Erleben ihrer Heldin interessiert – und ihre Leserinnen hoffentlich auch. Wissenschaftliche Aspekte wie die genaue Funktionsweise der Zeitmaschine bleiben jedenfalls erfreulich unerklärt. Dafür erfahren wie alles haarklein über jede Herzensregung in Maxwells Busen. Ihre Sym- und Antipathien teilen die Belegschaft des Instituts genau in zwei Gruppen ein: weiß und schwarz. Leider ist das Herz kein Geigerzähler. Und so kommt es, dass sie sich in puncto Sussman gründlich täuschen lässt.

Die Romanze mit Leon Farrell, der sich endlich gegenüber Max in einem Moment des Wagemuts erklärt, verläuft wie eine Achterbahn. Auf Seite 265/66 erfreut eine deftige Sexszene den (nicht nur weiblichen) Leser, doch die natürlichen Folgen der Empfängnis – Max ist ein wahres One-hit-Wonder – lassen nicht lange auf sich warten: Sie ist schwanger. Die Freude der Entdeckung dauert etwa zwanzig Minuten, bevor… nein, hier darf nicht zuviel verraten werden!

Als Auftaktband der Maxwell-Serie erfüllt dieses Buch viele Erwartungen, ließe sich aber noch verbessern (siehe oben). Das Motto lautet: Weiblicher „Indiana Jones“ tritt H.G. Wells! Ich freue mich jedenfalls auf die Fortsetzungen.

Taschenbuch: 510 Seiten
Originaltitel: Just One Damn Thing After Another, 2013
Aus dem Englischen von Marianne Schmidt.
ISBN-13: 9783734162084

www.blanvalet.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)