Isaac Asimov – Der Zweihundertjährige. SF-Erzählungen

Menschenrechte für Roboter

In dieser Story-Sammlung des Altmeisters, die Werke von 1966 bis 1976 versammelt, ist unter anderem die literarische Vorlage für den gleichnamigen SF-Film mit Robin Williams in der Titelrolle enthalten. Asimov präsentiert hier den ersten „weiblichen“ Roboter, was wohl einen Widerspruch in sich darstellt. Diese Storysammlung aus dem Jahr 1976 enthält elf Erzählungen und ein Gedicht von Isaac Asimov.

Der Autor


Isaac Asimov, geboren 1920 in Russland, wuchs in New York City auf, studierte Biochemie und machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte.

Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch 1938 an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell. Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Stories. Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Später verknüpfte er die Foundation mit den Robotern – Aliens blieben wie eh und je außen vor, außer sie waren menschliche Mutanten.

Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien. Im Magazine of Fantasy and Science Fiction hatte er jahrelang eine regelmäßige Kolumne, in der er sich mit zahlreichen wissenschaftlichen Fragen befasste.

Die drei Grundregeln der Robotik (laut Klappentext):

1. Ein Robot darf kein menschliches Wesen verletzen oder durch Untätigkeit gestatten, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird.
2. Ein Robot muss den ihm von einem menschlichen Wesen gegebenen Befehlen gehorchen, es sei denn, ein solcher Befehl mit Regel Eins kollidieren.
3. Ein Robot muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel Eins oder zwei kollidiert.

Die Erzählungen

1) Im besten Mannesalter (The Prime of Life, 1966)

Das Gedicht macht sich selbstironisch über die Kritik am Meister selbst lustig. Es leitete die Spezialausgabe 1966 des „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ ein. Diese korrigierte Version enthält den hebräischen Gruß „Mazel Tov“, was „Viel Glück“ bedeutet. Eine begleitende Geschichte erklärt die Änderung der Originalversion.

2) Weibliche Intuition (Feminine Intuition, 1969)

Susan Calvin, die Robotikpionierin bei US Robots, ist in den verdienten Ruhestand gegangen, und übernimmt ihr Nachfolger Clinton Madarian als Robotpsychologe. Sein Forschungsleiter ist nach wie vor Peter Bogert. Zusammen entwickeln den ersten Prototyp der JN-Baureihe. Das Besondere daran müssen sie vor dem Aufsichtsrat verteidigen, wo ihnen besonders der Hauptaktionär Scott Robertson auf den Zahn fühlt. Der Zweck ist vorgegeben: die Suche nach einem optimal bewohnbaren Planeten in dieser Galaxis.

Und jetzt das! Was fiele ihnen denn ein, einen „unzuverlässigen“ Roboter zu konstruieren? Sie wollen einen „kreativen“ Roboter bauen, einen mit „Intuition“. Und weil das Kürzel JN genauso gut für einen „John“ wie eine „Jane“ stehen könne, könnte man das JN-Modell auch gleich als „weiblichen“ Roboter verkaufen. Heftige Diskussionen sind die Folge.

Fast fünf Jahre und eine halbe Milliarde Dollars später ist Jane-5 der perfekte Robot, den Madarian mit nach Flagstaff zum Observatorium hat fliegen lassen. Nun ist sein Flugzeug mit JN-5 an Bord abgestürzt, nachdem es von einem Meteoriten getroffen wurde. Der Verlust der beiden ist umso schlimmer, weil der der Ertrag des gesamten Projekts verlorengegangen ist. Madarian sagte Bogert in seinem letzten Telefonanruf, dass Jane-5 hat offenbar drei Sternsystem mit habitablen Planeten im Umkreis von 80 Lichtjahren gefunden. Und weil der überlichtschnelle Flug inzwischen erfunden worden ist, stehe nun der Weg zu den Sternen offen. Aber mit Madarian und JN-5 ist diese Information verloren.

Bogert und Robertson sind schließlich ziemlich am Boden zerstört und verfallen auf eine letzte rettende Idee: Sie könnten ja mal Susan Calvin fragen. Denn Madarian sagte ja etwas von einem „letzten Zeugen“. Einen der Astrophysiker kann er nicht gemeint haben, das wurde schon geprüft. Als die lebende Legende Susan Calvin sich alles berichten lässt, kommt sie auf den einzigen logischen Schluss: Der letzte Zeuge war Madarians Chauffeur, der ihn zum Flughafen fuhr. Dieser Mann hatte Jane-5 noch nie sprechen gehört und war „erschrocken“, nicht etwa „erstaunt“.

Um wen es sich handelt und welche Systeme Jane-5 gefunden müssen die Herren selbst herausfinden. Ansonsten lautet die Antwort: „weibliche Intuition“!

Mein Eindruck

Die Idee für einen „weiblichen“ Roboter geht auf die Herausgeberin und spätere Verlegerin Judy-Lynn Benjamin, spätere del Rey, zurück. Sie war wütend, dass Asimov ihre Idee woanders als bei ihr verwertete und bereitete ihm schweres Ungemach. Er wusste sich zu verteidigen. Auch diese Story war exklusiv von MFSF bestellt worden. So erzählt er es in seiner Vorbemerkung.

Insgesamt sehen nicht nur die Männer ganz allgemein, sondern v.a. die Mitarbeiter von US Robots in dieser Story ganz schön alt aus. Der Autor spart nicht mit ätzendem Sarkasmus, besonders von Seiten Susan Calvins. Das macht die Lektüre recht vergnüglich und unterhaltsam.

3) Der Wasserschlag (Waterclap, 1970)

Stephen Demerest ist ein Angehöriger der Sicherheitstruppe von Lunar City, die kürzlich den Verlust von 20 Menschenleben durch mangelnde Sicherheit hinnehmen musste. Seitdem ist er besessen von Notfallsystemen. Er hat beschlossen, dass dieser Tag, den er auf der Erde verbringt, sein letzter sein soll: Er will sich an Ocean City rächen. Denn Ocean City, das Tausende von Metern in der Tiefe des Puerto-Rico-Grabens liegt, hat Lunar City Fördergelder des Planetarischen Entwicklungsausschusses PEA in Millionenhöhe weggeschnappt: Fördergelder für Notfallsysteme.

Per Tiefseekapsel und Hochdruckschleuse gelangt Demerest ins Zentralmodul der Anlage von Ocean City. John bergen, der Leiter, begrüßt ihn nichtsahnend. Dass dessen Frau Anette hochschwanger ist, überrascht und verunsichert Demerest: In zwei Monaten soll das erste Kind in Ocean City zur Welt kommen. Dennoch wagt er es, John Bergen auf die ungerechte Verteilung der Fördergeld des PEA anzusprechen und sich indirekt zu beschweren. Er zückt eine selbstgebaute Laserpistole und beginnt, ein Notfallsystem nach dem anderen auszuschalten. Schon bald wird die Wassersäule, die über Ocean Citys Kapseln steht, mit 1000 atü (Atmosphärenüberdruck) durch die Andockschleuse hereinbrechen und alles zerstören.

Doch in der Minute Aufschub, um die ihn Anette Bergen bittet, zeigt sie ihm auf, was er wirklich zerstören würden, nämlich das geheime Projekt Allwelt. Von diesem PEA-Projekt hat Demerest noch nie gehört. Ist ja auch bloß Mitgliedern der PEA-Führungsebene bekannt. Es umfasst die Ergebnisse der Projekte Lunar- und Ocean-City, um Kolonien auf den Monden des Jupiter gründen zu können. Mit der Vernichtung von Ocean-City würde er auch das, was ja in Lunar City, seiner Heimat, angestrebt wird, zum Scheitern verurteilen…

Mein Eindruck

Wieso heißt die Story nicht „Schlag ins Wasser“? Unter dieser Redewendung könnte sich der deutsche Leser wenigstens etwas vorstellen. Doch der titelgebende Wasserschlag ist eine Art Spezialeffekt, der zur Wirkung der Handlung nicht unerheblich beiträgt. Man stelle sich einen gewaltigen Gongschlag vor.

Die dramatisch zugespitzte Geschichte befasst sich mit dem Problem, wie eine Behörde wie die fiktive PEA ihre Fördergelder verteilen soll und kann. Das klingt nach einer trockenen, bürokratielastigen Angelegenheit. Doch der Autor macht daraus ein Drama auf Leben und Tod. Es wird noch verschärft durch Anette Bergens Schwangerschaft mit dem ersten unterseeisch geborenen Baby. Was der Selbstmordattentäter nicht weiß: Anettes „Projekt Allwelt“ ist erstunken und erlogen. Nicht sie, sondern ihr Mann John ist Mitglied im PEA. Und er will es gleich nächstes als Antrag in den Ausschuss einbringen.

4) Dass du seiner eingedenk bist (That Thou Art Mindful of Him, 1974)

Susan Calvin ist seit 100 Jahren Geschichte, ebenso Peter Bogert, aber die drei Grundregeln der Robotik bestehen immer noch. Inzwischen ist Keith Harriman der Forschungsleiter. Er erklärt George Zehn, dem letzten Prototyp seiner neuesten Baureihe JG, dass die altgewohnten US-Robots sich nicht mehr verkaufen, denn der Einsatz im Weltall und auf dem Mond sei nicht mehr gefragt. Außerdem besäßen immer mehr Menschen den Frankensteinreflex: Sie fürchten sich vor ihrer eigenen Schöpfung.

Folglich muss ein neuer Typ von Robot her, der für die misstrauische Erdbevölkerung taugt, und JG-Zehn soll ihn formen: den ersten Robot mit Urteilsvermögen. Das ist eine knifflige Sache, denn die drei Robotgesetze, erlauben nur gewissen Spielraum beim Handeln eines Robots. Besonders die Sache mit dem Gehorsam im 2. Gesetz ist zwar gut für Menschen, aber hemmend für Robots.

Die US-Regierung setzt dem Hauptaktionär Robertson eine Gnadenfrist: höchstens zwei Jahre noch, dann wird US Robotics verstaatlicht und liquidiert. Unter diesem Zeitdruck gelingt es Harriman, JG-10 mit allem verfügbaren Wissen zu füttern, doch wie George zehn sagt, fehlt etwas: Er war noch nie in Kontakt mit der äußeren physischen Welt. Denn dagegen gibt es leider harte Gesetze der paranoiden Menschen. Aber es gibt Robertsons Grundstück auf dem Lande, und hier gelten nicht die Gesetze der Regierung. Hier sieht George erstmals Insekten, Vögel, Eichhörnchen und Bäume. Da kommt ihm eine Idee.

Seine zweite Bedingung: Er möchte mit einem ebenbürtigen Gegenüber Gedanken austauschen, also mit JG-9. Dieser George hat zwar ein leistungsschwächeres Gehirn, aber schon bald ist er auf der gleichen Wellenlänge. Er hat ebenfalls Urteilsvermögen, und zusammen beraten sie Zehns Einfall. Diesen demonstriert Harriman einige Zeit später vor dem Regierungsvertreter Gunnar Eisenmuth: Ein Robo-Vogel, der schädliche Insekten im Fluge fängt. Damit hat Eisenmuth eigentlich kein Problem. Schon bald produziert US Robotics Vögel, Würmer, Insekten und vieles mehr, das ökologisch wertvoll ist. (Denn Ökologie hat Priorität.)

Und so kommt es, dass JG-10 und JG-9 in irgendeinem Lagerraum verstauben und einander – sehr langsam – durch Gedankenaustausch auf eine geniale Idee bringen: Robots sind per definitionem ebenfalls „menschliche Wesen“. Folglich müssen sie nur noch die drei Grundregeln der Humanik formulieren…

Mein Eindruck

Was ist der schlaueste Robot? Eine Gefahr für die Menschen, ganz klar. An diesen Punkt führt der Erfinder der Robotgesetze den Leser. Mit hintersinnigem Humor präsentiert er die Alternative zu den humanoiden Robots: Insektenfänger und dergleichen. Das eigentlich Erstaunliche an dieser Entwicklung ist die Priorität, die die Ökologie hier in den USA innehat. Das kann man von Donald Trumps Unterstützern nicht behaupten. Doch Asimovs Amerikaner haben auf die harte Tour lernen müssen, wie sich eine Öko-Katastrophe auswirkt. Wie die Robots diese abgewendet haben, verrät er indes nicht.

Die JG-Robots sind arbeitslos und obsolet. Die ironische Pointe kann folgerichtig nur daraus bestehen, dass sie sich vom Sklaven- zum Menschenstatus aufschwingen. Alles nur eine Fragen der Definition: Was ist ein „menschliches Wesen“? Es ist nur eine Frage des Standpunkts.

Die Überschrift zitiert den achten Psalm.

5) Fremdling im Paradies (Stranger in Paradise, 1974)

Man schreibt das Jahr 553 nach der nicht näher bezeichneten „Katastrophe“. Die Fortpflanzung ist streng reglementiert, ebenso die Anzahl der Kinder in einer Familie. Das ist der Hintergrund für die peinliche Entdeckung, dass Anthony und William Brüder aus ein und derselben Familie sind und, obwohl fünf Jahre voneinander entfernt separat in Jugendbewahranstalten aufgewachsen, fast genau gleich aussehen.

Wie auch immer, William wird Psychologe und Genetiker und nennt sich „Anti-Aut“, weil er sich mit Autisten befasst und diese untersucht. Sein Bruder Anthony ist Telemetriker und entwirft Computer und Roboter. Er stößt beim Projekt Merkur immer wieder auf die Schwierigkeit, ein neues Gehirn für einen weitgehend selbständig agierenden Robot zu entwerfen, der auf dem Merkur forschen soll. Da stößt er auf Williams Fachartikel und -vorträge über Autisten, insbesondere über Randall. Er macht einen entsprechenden Vorschlag, wird aber zu seiner Überraschung ernstgenommen. Wenig später entsteigt dem Flieger ein Mann, der genauso aussieht wie er selbst. Wie kann das sein?

Anthonys Chef hat kein Problem mit einem Doppelgänger seines klügsten Robotdesigners, ganz im Gegenteil. Sobald die moralischen Probleme – jede Andeutung von Familie ist verpönt – ausgeräumt sind, kann der Entwurf des Merkur-Robots vorangehen. Sie dauert viele Monate, denn der kleine Robot muss wie in Kind alles neue lernen, und alles muss programmiert werden. Denn die Fernsteuerung funktioniert durch die Entfernung zwischen Terra und Merkur nur mit sieben Minuten Verzögerung, was viel zu lange wäre.

Die beiden „Brüder“ nehmen eine Abkürzung: Irgendwie bauen sie das Gehirn Randalls oder dessen Abbild in den Merkur-Roboter ein. Dieser Merkur-Randall erwacht zwar als Fremder auf dessen Oberfläche, doch ihm kommt es hier wie im Paradies vor (was die Überschrift erklärt).

Mein Eindruck

Die Story der beiden Brüder und ihres „Kindes“ Randall-Robot wirkt ziemlich konstruiert, was vor allem daran liegen könnte, dass die vorausgehende „Katastrophe“ in keinster Weise erklärt wird. Klar ist nur, dass das Bevölkerungswachstum streng reguliert wird – daher die „Jugendbewahranstalten“, von denen mehrfach die Rede ist (und die schlimmsten Missbrauch befürchten lassen).

Kein Wunder, dass es dabei zu Fällen von Autismus kommt, sollte man erwarten. Der Autor beschreibt Autismus wie eine schlimme Geisteskrankheit, erwähnt aber nie das Asperger-Syndrom. Wie auch immer: Ein Autist wie Randall ist ein hoffnungsloser Fall, daher macht es ja nichts, wenn man seinen Geist auf den Merkur schickt. Randall hingegen ist der titelgebende „Fremdling im Paradies“: Die Nähe zur gewaltigen Sonne erzeugt bei ihm Euphorie und fantasievolle Wahrnehmungen, ähnlich wie bei einem Synästhesisten (Töne als Farben, wie bei Jimi Hendrix).

Frauen kommen nur als „Bettgenossinnen“ vor, was ja kein Wunder ist, wenn Familien verpönt sind. Niemand hat einen Familiennamen, niemand kennt seine Herkunft. Ein Beiname wie „Anti-Aut“ ist da schon Programm und eine klare Botschaft. Von den beiden Brüdern hat v.a. Anthony, der Telemetriker, ein Problem mit der „Brüderschaft“, William ist da abgeklärter. Auf die Beziehung der beiden wird viel Text verwendet: Sie sind ja ein Elternersatz für Randall, den Merkur-Robot.

6) Das Leben und Streben des Multivac (The Life and Times of Multivac, 1975)

Das weltumspannende Computernetz, das die letzten fünf Millionen Menschen „Multivac“ nennen, sorgt dafür, dass alle bis ins hohe Alter gesund, sicher und glücklich leben können. Doch es gibt Ausnahmen. Simon Hines steht vor Gericht, weil er es gewagt hat, eine Datenstation (vulgo „Terminal“) Multivacs anzugreifen.

Der Held der Geschichte ist jedoch der Mathematiker Ronald Bakst, der Augenzeuge von Hines‘ Tat. Er hat bislang im Kongress als Abgeordneter neben 14 weiteren Mitgliedern sein Amt versehen. Zu den anderen gehört Noreen, seine Ex-Frau, mit der er Kinder hat. Sie ist in ihren Achtzigern, er hat schon zehn Dekaden auf dem Buckel. Sie bedauert ihn nach seiner Aussage, denn nun sitzt nicht nur Hines, sondern auch er in U-Haft. Noreen muss da etwas missverstanden haben, denn sie behandelt ihn voll Verachtung.

Doch Bakst hat einen Plan. Er bietet Multivac in einem „Interview“ an, ihm den Algorithmus für die genetische Erschaffung des idealen Menschen zu geben, eines Menschen, der Multivac kritiklos verehrt. Der Hintergedanke dabei besteht darin, dass das Computernetz einen wachsenden Anteil seiner Rechenkapazität darauf verwenden wird, den Algorithmus auf sein genetisches Wissen anzuwenden, um zu einer Lösung des (unlösbaren) Rätsels zu gelangen. Schon bald kommt es zu ersten Ausfällen, harmlos Pannen wie etwa der Ausfall der Kommunikationsnetze.

Dies bleibt nicht geheim. Zwei Monate später wird Bakst vor Gericht gestellt. Dieses besteht aus seinen Kollegen im Kongress. Er soll seine Kooperation mit Multivac verteidigen oder als Verräter an der Menschheit zu ewiger Einsamkeit verbannt werden. Doch er hat den einzigen verwundbaren Punkt in Multivacs Netz gefunden, verteidigt er sich, und schaltet diesen Schalter um. Stille und Schweigen, selbst die letzten Roboter stehen still…

Mein Eindruck

Dies ist die Geschichte des Aufstands der Menschen gegen das Computernetz, das die Welt beherrscht. Offenbar muss man dafür Mathematiker sein, um einen Computer auszutricksen. Kein Wunder, dass niemand diesen Wunderknaben versteht! Wo doch Computer so eine tolle Sache sind. Warum man ihn aber einsperrt, habe ich nicht verstanden, und auch die Kritik seiner Frau konnte ich nicht nachvollziehen, denn schließlich ist er ja nur ein unschuldiger Zeuge, oder etwa nicht?

Vielleicht hat aber auch die Übersetzerin das Original nicht verstanden. Dass sie von Computern und Netzwerken nicht die geringste Ahnung hat, zeigt sich immer wieder in ihrer hilflosen Wortwahl, wenn sie versucht, für einen englischen Ausdruck wie „Terminal“ eine deutsche Entsprechung zu finden. Weil es die anno 1978 nicht gab, musste sie selbst kreativ werden. Was aber ist unter einer „optischen Textur“ zu verstehen, die in einem Rechner stecken soll? Wir würden heute einfach „Glasfasernetz“ dazu sagen. Frau Simon hätte sich einfach ein Handbuch von IBM besorgen müssen.

7) Worfeln (Winnowing, 1976)

Seit fünf Jahren sitzt Dr. Aaron Rodman in einem enger werdenden, unsichtbaren Gefängnis aus Vorschriften und Verboten. Damals, am ersten Tag des 21. Jahrhunderts, hielt er einen Uni-Vortrag über ein Lipoprotein, das leider jeder als ein Virus missverstand. Das LP würde jede Zellmembran individuell und nicht vorhersagbar verändern.

Das ließ einige Leute aufhorchen, darunter Mr. Peter Affare, den neuen Leiter der World Food Organisation. Der sucht Rodman neuerdings öfter auf, um Schach mit ihm zu spielen. Und skrupellose Vorschläge anzudeuten. Denn seit die Weltbevölkerung auf sechs Milliarden Menschen angeschwollen ist, greift eine Hungersnot wie eine Pandemie um sich. Was könnte es schon schaden, ein paar überflüssige Esser aus dem Rettungsboot Erde zu entfernen, solange der Rest überlebt?

Der Haken dabei, den Rodman aufzeigt: Viele dieser „überflüssigen Esser“ sind bewaffnet. Mit Atomraketen. Sie würden sich dafür revanchieren, vergiftet worden zu sein, solange sie können. Dann dürfen sie es halt nicht merken, wendet auch der Landwirtschaftsminister ein – und setzt Rodman die Pistole auf die Brust.

Doch Rodman hat einen Plan. Er hat bemerkt, dass sowohl der Minister als auch Mr. Affare außerordentlich wohlgenährt aussehen. In der finalen Sitzung, in der er zum Schein nachgibt, lässt er daher eine Platte voll Sandwiches verteilen. Nicht die frischesten, wie Affare murrt, und der Kaffee habe auch schon bessere Tage gesehen. Aber alle beißen zu. Und nehmen so das LP-basierte Gift in sich auf. Das nennt Dr. Rodman Worfeln: die Spreu vom Weizen trennen…

Mein Eindruck

Der Autor, der sich hier des damals (nach 1968) heißen Themas „Bekämpfung der Überbevölkerung“ annimmt, scheint hier einen seltenen Anfall von schwarzem Humor gehabt zu haben. Er ließ das Ende wirklich makaber ausfallen. Aber ist das wirklich so, könnte sich mancher Leser fragen. Der Professor der Biochemie wusste immerhin ganz genau, was ein Lipoprotein ist, was DNA und was die Boten-RNA sind. Zwei völlig verschiedene Dinge.

Offenbar war es ihm völlig ernst mit den Argumenten, die Rodman gegenüber Affare etc. vorbringt: Das Worfeln kann wirklich schwer hinten losgehen, wenn das Vergiften von Menschen auffliegt und die Gegenreaktion in brutale Verteilungs- und Vergeltungskriege mündet. Die Sandwich-Kur ist nur ein kleiner Vorgeschmack dessen, und Rodman kann man diese Vorwarnung nicht verübeln.

Die Story belegt Asimov weitreichende Kenntnisse, wie Wissenschaft und Politik in Konflikte geraten. Darf sich die Wissenschaft, verkörpert von Rodman, vor den Karren der Politik spannen lassen, um einen „positiven Effekt“ zu unterstützen? Wie weit ist die Ethik hierbei vertretbar?

8) Der Zweihundertjährige (The Bicentennial Man, 1976)

Die Familie des Abgeordneten Gerald Martin kauft einen einfachen Haushaltsroboter von US Robotics. Weil seine Seriennummer mit NDR beginnt, nennt Litte Miss (Mandy) ihn der Einfachheit halber „Andrew“ nennt. Durch Zufall entdeckt sie, dass er über künstlerische Fähigkeiten verfügt: Er kann aus jedem Stück Holz ein Kunstwerk machen. Sie trägt es fortan an einem Halsband.

Ihr Vater indes wird sich über die wirtschaftlichen Möglichkeiten klar. Er spannt Andrew als Künstler und vor allem für die Möbelproduktion ein. Das damit gescheffelte Vermögen hinterlegt er auf einem gesonderten Vermögen für Andrew. Das Geld wird jedoch zu einem Problem, da Roboter wie Sklaven nichts besitzen dürfen, sondern vielmehr selbst Besitz sind. Also bittet Andrew seinen Herrn um Freiheit. Der jedoch lehnt entrüstet ab, doch lässt er sich von Mandy überreden, damit vor Gericht zu gehen. Weil sich auch dort für Andrew einsetzt, wird Andrew der erste freie Roboter.

Doch Freiheit existiert nur so lange, wie man sie verteidigen kann. Als sich Andrew auf den Weg zur Staatsbibliothek macht, um dort für sein Buch über die Geschichte der Roboter zu recherchieren, stellen sich ihm zwei junge Rabauken in den Weg. Sie befehlen ihm, sich auszuziehen und sich selbst zu zerlegen, damit sie seine Einzelteile verkaufen können. Das erste und das zweite Robotergesetz ((https://de.wikipedia.org/wiki/Robotergesetze)) hindern Andrew daran, Regel Nr. 3 anzuwenden, den Selbstschutz. Nur das Auftauchen von George, der ihn schon per Heli suchen lässt, bewahren Andrew vor einem vorzeitigen Ende seiner Existenz.

Die mit 83 Jahren schon betagte, aber noch rüstige Mandy „überredet“ ihren Sohn dazu, Andrew die Rechte zu verschaffen, die auch jedem Menschen zur Selbstverteidigung zugesprochen werden. Als dieser Prozess von George erfolgreich beim Supreme Court zu Ende gebracht wird, kann Mandy zufrieden die Augen schließen und sterben. Schon längst hat auch ihr Vater seine Augen für immer geschlossen. Fortan treten George und sein Sohn Paul, ebenfalls ein Jurist, für Andrews Rechte als freier Roboter ein.

Aber Andrew will auch bei seinem Hersteller US Robots recherchieren, stößt aber auf Widerstand. Ein zweites Anliegen bei US Robots besteht darin, dass Andrew seinen hundert Jahre alten Körper durch einen neuen, menschlichen ersetzen möchte. Paul macht dem heutigen Vorstandsvorsitzenden klar, dass alles andere Nötigung und Beleidung wäre, wogegen er Klage einreichen würde. Der CEO gibt nach und Andrews Gehirn, das inzwischen gar nicht mehr hergestellt wird, erhält einen funkelnagelneuen Menschenkörper.

Weil dieser Körper für Zerfall anfällig ist, verlegt sich Andrew auf die Entwicklung von Prothesen für alle möglichen Körperteile. Er verbringt fünf Jahre auf dem Mond, um die dort lebenden Menschen durch Prothesen besser ihrer Umgebung anzupassen. Als Leiter des Projekts ist er es gewohnt, Befehle zu erteilen, was einen klaren Verstoß gegen das 1. Robotergesetz darstellt. Zurück auf der Erde muss er feststellen, dass die Menschen immer noch das Recht haben, ihn einfach zu verschrotten. Woran kann es nur liegen, dass er immer noch nicht hundertprozentig selbstbestimmt leben kann? Offenbar fehlt ihm noch etwas, um als Mensch zu gelten.

Andrews großes Ziel ist es nun, vom Weltparlament offiziell als Mensch anerkannt zu werden. Dessen Vorsitzende des Komitees für Technik und Naturwissenschaften erklärt ihm jedoch, eines der wesentlichsten Merkmale eines Menschen sei seine Sterblichkeit; da Andrew aber theoretisch ewig leben könne, treffe diese Definition auf ihn nicht zu. Deshalb verändert Andrew mithilfe eines Robo-Chirurgen seinen Körper derart, dass ein natürliches Altern einsetzt. Im Jahr 2205 stirbt er schließlich im Alter von 200 Jahren, wenige Stunden nachdem das Weltparlament seine Menschlichkeit anerkennt und er als der älteste Mensch, der je gelebt hat, in die Geschichte eingeht. Sein letzter Gedanke gilt „Little Miss“ Mandy.

Mein Eindruck

Menschenrechte für Roboter, das ist das Grundthema dieser verfilmten Novelle. Ein kniffliges und vielseitiges Thema, das für die Hauptfigur einen sehr langen Werdegang zur Folge hat. Von einem gemachten Wesen zu einem gewordenen Wesen zu werden, ist schwieriger, als alle Beteiligten sich vorgestellt haben. In der Novelle gelingt es dem Autor nicht, alle Motive Andrews zu nennen, aber er lässt erahnen, dass Andrew so sein will wie seine geliebte Mandy.

Anders als der Film lässt die Novelle jedoch alle Beziehungen zu erwachsenen Frauen (im Film Mandys Enkelin Portia) und Androidinnen („Galatea“) außer Acht, was die Handlung zu einer Art Essay über Menschwerdung macht. Die Spannung und emotionale Wirkung halten sich daher sehr in Grenzen. Die menschlichen Figuren sind gerührter als Andrew selbst.

Immerhin gelingt es dem Autor, hier die Entwicklung von Robotern und Androiden über 200 Jahre hinweg zu entwerfen. Jeder hat das Bild eines autonom, aber gehorsam agierenden künstlichen Menschen im Kopf, doch die Firma US Robots demonstriert, dass auch andere Betriebsmodelle realisierbar sind. Um sich beispielsweise vor weiteren Ansprüchen Andrews zu schützen, entwickelt die Firma Roboter ohne Gehirn, denn die Befehlseinheit lässt sich in einen Server und einen Client spalten: Ein potentiell immer größerer Zentral-Server steuert eine wachsende Zahl von Clients, die sich in Mobileinheiten befinden. Andrew sieht das Risiko in dieser Konstruktion sofort: Allmacht. Dieses Thema haben andere Autoren aufgegriffen.

9) Marching in (dito, 1976)

Jerome Bishop, Komponist und Posaunist, wird gebeten, eine sogenannte „Irrenanstalt“ zu besuchen. Dr. Cray ist dort die Psychotherapeutin. Sie will ihn zunächst als Gutachter, später als Berater hinzuziehen, um depressive Patienten zu helfen, wenn nicht sogar zu heilen. Bishop wird neugierig, als sie ihm zeigt, wie von den Gehirnströmen eines Patienten erst ein EEG und dann per Laserstrahl eine Aufzeichnung angefertigt wird.

Die Laserstrahlaufzeichnung, so Dr. Cray, könne erstens akustisch wiedergegeben werden, zweitens optisch. Man habe festgestellt, dass das Ohr eine geringere Auflösung aufbringe als das Auge. Deshalb empfehle sich die optische Wiedergabe jenes Musikstücks, das er, Bishop, komponieren werde. Ein erster Selbstversuch überzeugt Bishop von der Richtigkeit dieser These: eine melancholische Melodie direkt aus einem depressiven Verstand.

Nun sucht er das Gegenstück, das die Depression aufheben soll, durch einen optimistischen Rhythmus, wenn nicht sogar eine entsprechende Melodie. Es käme auf einen Versuch an. Bishop kommt zu Cray, um ihr ein Stück vorzuführen, das sie sogleich bei einer Patientin anwendet. Es handelt sich um „When the Saints Are Marching in“.

Mein Eindruck

Der Autor, selbst ein Flüchtling aus Russland, war schon immer ein Menschenfreund, weshalb man ihn allgemein neckisch den „guten Doktor“ nannte. Hier wirft er einen Blick ins Jahr 2001, in dem sich die Welt in keinem guten Zustand befindet. Das macht viele Menschen depressiv. Die Therapie, auf die Dr. Cray durch Bishops Fachartikel stößt, ist ungewöhnlich: akustische und optische Behandlung mit geeignetem Material.

Futuristisch war anno 1976, als die Story erschien, lediglich die Technik des Lasers. Der war damals gerade aus der Maser-Technik entwickelt worden, seine Vorteile waren klar: unglaublich hohe Auflösung, die sog. Sampling-Rate. Schon wenige Jahre später wurden die Compact Disc (CD) und die Laserdisc entwickelt, die schon Richtung DVD gingen.

10) Altmodisch (Old Fashioned, 1976)

Ben Estes und Harvey Funarelli sind als Astromineralogen im Asteroidengürtel unterwegs. Da wird ihr kleines Raumschiff von einem unbekannten Objekt getroffen, der die Steuerung und die Kommunikation zerstört. Wie können sie sich bemerkbar machen, damit ein Robotschiff von Vesta zu ansteuert und das Schiff repariert? Ben Estes entdeckt, dass das unbekannte Objekt ein Schwarzes Loch sein muss, denn es ist erstens nicht zu sehen und zweitens verschluckt weitere Materie. Und es könnt sich auf Kollisionskurs mit der Erde befinden.

Die Vorräte reichen für höchstens zwei Wochen. Die Raumanzüge sind unbeschädigt, verfügen also noch über genügend Sauerstoff für einen Raumspaziergang. Funarelli ahnt nicht, was sein Kollege vorhat, als dieser außenbords geht. Weil das Schiff von Gesteinsbrocken umgeben ist, die mit gleicher Geschwindigkeit fliegen, ist es leicht, sie mit einem Stahlnetz einzusammeln. Dann beginnt Ben, einen Brocken nach dem anderen in das Schwarze Loch zu werfen. Denn er weiß, dass jeder Treffer mit einem Röntgenblitz beantwortet wird. Er braucht zwei Durchgänge, bis es funktioniert.

Funarelli fragt, was Benn denn nun mit dem Steinewerfen erreicht habe. Ganz einfach: Die Röntgenblitze war in einem altmodischen Muster angeordnet: dem Morse-Code für SOS.

Mein Eindruck

Baseball im Weltall – der Autor hatte schon immer etwas für Volkssportarten der Amerikaner übrig. Sich einem Schwarzen Loch auf Steinwurfweite zu nähern, mag zunächst etwas ungesund wirken. Doch Ben Estes erwähnt selbst, dass die neuesten Theorien (Stephen Hawking usw.) keine Größenbegrenzung für solch eine Singularität nennen. Es muss also kein Monster sein, dass einen zwischen Sternen nichtsahnend erwischt, sondern kann die Größe eines Baseballs oder, naja, eines LKW aufweisen. Je nachdem, wieviel Materie es schon hat fressen können…

11) Der Zwischenfall bei der Dreihundertjahrfeier (The Tercentenary Incident, 1976)

Am 4. Juli 2076 findet vor dem Washington Monument, dem Obelisken, eine große Feier statt. Seit zwei Jahren ist Präsident Winkler im Amt, und allgemein gilt er als Süßholzraspler, Schürzenjäger und Dummschwätzer, kurzum ein Flopp. Er soll eine Rede halten, und selbstverständlich wird er dabei vom Secret Service beschützt. Der Agent Edwards überfliegt in 600 Metern Höhe die Menge und hat quasi einen Logenplatz auf das Unglaubliche, was dann geschieht.

Der Präsident verschwindet in einem weißen Wölkchen – und erscheint dann wieder auf der Tribüne. Nix passiert, winkt Winkler, und die Menge, schon einer Panik nahe, ist erleichtert. Doch Edwards hat etwas gesehen, scheidet aus dem Secret Service aus und stellt seine eigenen Ermittlungen an. Am 13. Oktober 2028 bekommt er einen Termin bei Privatsekretär des Präsidenten, einen gewissen Janek. Er hätte da ein paar Fragen wegen des Attentats auf Präsident Winkler. Des Attentats? Janek stellt sich erst dumm, dann ungläubig und schließlich erklärt er Edwards für wahnsinnig.

Denn wie sollte es möglich sein, dass der MENSCH Winkler durch einen ROBOT Winkler ersetzt worden wäre, ohne dass es jemand gemerkt hätte? Und ein Robot kann ganz bestimmt einen Menschen töten, denn das verbietet das erste Robotgesetz. Vielmehr sollte Edwards dankbar dafür sein, dass Winkler den Weltrat zusammengehalten und den Weltfrieden bewahrt habe. Selbst wenn er heute keine Schürzen mehr jage. Und dieser ominöse Desintegrator, von dem niemand etwas gehört habe, existiere einfach nicht: Damit wurde bestimmt niemand getötet und in ein Rauchwölkchen aufgelöst.

Edwards muss unverrichteter Dinge wieder gehen, wenn auch mit der Absicht, die Firma „US Robots and Mechanical Men“ aufzusuchen. Janek ist froh, wieder mal davongekommen zu sein. Aber eins ist klar: Er würde den Desintegrator erneut einsetzen müssen, diesmal an einem möglichst einsamen Ort…

Mein Eindruck

Eine ziemlich brisante Story, allerdings in der schlichten Form eines Dialogs vorgetragen. Der Präsident ein Robot, darf das sein? Nein, kann das sein? Natürlich schmettert Janek als aalglatter Politiker sämtliche Vermutungen ab, und der wackere, aber unbequeme Edwards wird schon bald ein vorzeitiges Ende nehmen.

12) Geburt eines Begriffs (Birth of a Notion, 1976)

Der SF-Fan Simon Weill hat ein Problem: Seine Zeitmaschine funktioniert zwar, doch er weiß nie, ob er seine Mäuse und Kaninchen in die Zukunft oder die Vergangenheit geschickt hat. Immerhin sind ein sechs Karnickel zurückgekehrt. Als er selbst zwischen „Tempoden“ gerät, fühlt er sich durch die zeit geschleudert, doch wohin bzw. wann?

Er findet sich auf einer Parkbank in Manhattan wieder. Alles ist sehr friedlich und sauber, keine Flugzeuge am Himmel, kaum Autos auf den Straßen am Rande des Parks. Ihm ist schwindlig, aber ein netter Herr um die vierzig spricht ihn freundlich an. Er stellt sich als Herausgeber von Fachzeitschriften vor: „Scientifiction“ heiße sein neuestes Magazin, doch er sei noch nicht ganz zufrieden mit dem Titel.

Sie tauschen Ideen miteinander aus, wenn aus Weills Gestammel wenig hilfreich erscheint. Er begreift, dass er wohl Mitte der 1920er Jahre gelandet ist. Nach einer Weile, gibt er eine zündende Idee weiter. Hugo Gernsback will sein neues Magazin „Amazing Stories“ nennen. Doch als sich bedanken will, ist sein Gesprächspartner schon wieder verschwunden.

Mein Eindruck

Hugo Gernsback war nicht irgendwer, kein einfacher Einwanderer aus Luxemburg, sondern der Mann, der die Science Fiction erfand. Diese Entstehungsgeschichte lässt sich in jeder SF-Historie nachlesen. Er begann mit Zeitschriften für Elektrobastler, wenn ich mich recht entsinne, und ging dann dazu über, Geschichten für diese Bastler aus dem Fundus der Zukunftsliteratur – Wells, Verne usw. – abzudrucken. Das vermittelte ihn das Gefühl, die Zukunft zu gestalten.

Schließlich deckte auch dies die Nachfrage nicht, und so schrieb er selbst einen Zukunftsroman mit dem rätselhaften Titel „Ralph 124C41+“. Das reichte aber bald auch nicht, und sobald er etwas Kleingeld hatte, heuerte er Autoren an, die für ihn solche Stories verfassten. Asimov hat selbst dieses versunkene literarische Reich der Pulp Fiction erforscht und in Anthologien publik gemacht. E.E. „Doc“ Smith und die „Futurians“ dürften zu den bekanntesten Autoren der Prä-Campbell-Ära gehören, die ab 1939 von Asimov & Co. geprägt wurde.

Der kleine Beitrag hier soll humorvoll die Entstehung von „Amazing Stories“ erinnern, vermutlich anlässlich eines Jubiläums: 50 Jahre? Das kommt hin.

Die Übersetzung

S. 8: „Edward L. Freeman“ wird genannt. Der Mann hieß Edward L. Ferman.

S. 11: Hier ist von „Ed Ferman“ die Rede, also die korrekte, verkürzte Namensform.

S. 50: „Kein Druck der Welt hindert Wasser daran, bei einer Temperatur von 374 Grad Celsius (oder Fahrenheit?) zu Dampf zu werden.“ Das ist schon richtig, denn Wasser braucht tatsächlich nur 100°C, um auf Meereshöhe zu Dampf zu werden. Aber warum ausgerechnet 374°C?

S. 103: “Dros[o]phila melanogaster”: Das O fehlt. Gemeint ist die Fruchtfliege.

S. 112: “Mit einer Art kalten Professionalismus…“: Hier müsste aber entweder der Dativ oder der Genitiv stehen, also entweder „kaltem Professionalismus“ oder „kalten Professionalismus‘“.

S. 118: Das gleiche Problem, das die Übersetzerin mit bestimmten Fällen hat. „Während immer länger werdenden Zeitabschnitten“ müsste korrekt „während immer länger werdender Zeitabschnitte“ heißen.

S. 122: Auch mit amerikanischen Zeitangaben hat die Übersetzerin ein Problem. “Der 7-4 war in Dallas ein Feiertag…“: Weil aber in den USA zuerst der Monat, dann der Tag genannt wird, lautet die korrekte Lesart „4.7.“, also der Unabhängigkeitstag. Damit ist der genannte Feiertag plausibel gerechtfertigt.

S. 138: Manchmal testet die Autorin die Intelligenz des Lesers. „Ein zäherer Geruch stieg von seinen Füßen auf. Silikate in verschiedenartigster Zusammensetzung.“ Nun, Geruch ist meiner Erfahrung nach nie zäh, und warum dies nun der Geruch von Silikaten – also Sand – sein sollte, entzieht sich meinem Verständnis.

S. 145: Multivac ist “zusammengesetzt aus Draht, optischer Textur und Mikrowellen.“ Unter Mikrowellen werden heutzutage Funkwellen und elektromagnetische Einheiten verstanden. Unter „optischer Textur“ könnte man sich zur Not ein Glasfasernetz vorstellen.

S. 207: “die Tötung der Personalität“: Diese 1:1-Übersetzung von „personality“ meint wohl den Begriff „Persönlichkeit“.

Zum deutschen Titel: „Der Zweihunderthährige“ lässt im Unterschied zu „The Bicentennial MAN“ die entscheidende Frage offen: Ist Andrew ein Roboter oder ein MENSCH? Man muss schon die ganze Story lesen, um die Antwort auf diese Frage zu erhalten.

Unterm Strich

Fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung wissen diese SF-Erzählungen leider nicht mehr zu beeindrucken. Die eine oder andere mag sich als bissig oder witzig erweisen, aber es gibt auch Beiwerk wie das Gedicht am Anfang, das einfach überflüssig ist. Aber der Verlag war wohl froh, überhaupt wieder ein Werk des Großmeisters vorlegen zu können, drei Jahre nach dessen Roman „The Gods Themselves“, dessen deutscher Titel „Lunatico“ lautet.

Aber nicht einmal die titelgebende Novelle, die mit Robin Williams in der Titelrolle verfilmt wurde, konnte mich überzeugen. Was ihr fehlen, sind die emotionalen Beziehungen, die den Charakter Andrews hervorheben würden, zu Frauen und Androidinnen. Zum Glück gibt es sowohl eine Romanversion (von Robert Silverberg) als auch die Verfilmung, die diesen Aspekt berücksichtigen. Ich halte den deutschen Storytitel für nicht besonders gelungen, denn er ignoriert den zentralen Unterschied zwischen Roboter und Mensch, den Andrew zeit seiner Existenz überwinden will.

Kurz gesagt, muss man diese Geschichten nicht kennen, und die Titelnovelle hat nur noch durch die Filmversion eine verlängerte mediale Halbwertszeit. Die vielen Druck- und Übersetzungsfehler rechtfertigen einen Punktabzug.

Taschenbuch: 252 Seiten.
O-Titel: The Bicentennial Man and Other Stories, 1976
Aus dem Englischen von Elisabeth Simon.
ISBN-13: 9783453305311

www.heyne.de

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