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McCarthy, Cormac – Kein Land für alte Männer

Man darf sich natürlich fragen, ob der in Amerika längst zu den prominentesten Bestseller-Autoren zählende Cormac McCarthy hierzulande so markant hätte Fuß fassen können, hätten sich die renommierten Coen-Brüder sich nicht seines vielleicht stärksten Buches angenommen und für ihren Streifen 2008 mehrere Oscars eingeheimst. Insgesamt vier der beliebten Trophäen behielt der Film für sich, darunter auch diejenige für das beste adaptierte Drehbuch – ein Verdienst, der in erster Linie McCarthy zuzuschreiben ist, dessen pessimistische, ja fast schon völlig verzweifelte moderne Western-Story geradezu danach geschrien hat, auf die Leinwand gebracht zu werden. Wie so viele potenzielle Leser, hat auch der Rezensent sich erst mit dem Kinofilm beschäftigt und posthum den zugehörigen Roman gelesen. Macht dies überhaupt Sinn, mag man sich da fragen. Doch die unglaublich dichte Atmosphäre und dieser verträumt-abwesende, hoffnungslose Weltblick, den McCarthy hier über sein Medium, den Sherriff, nach außen trägt, beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja.

_Story:_

Eigentlich müsste Llewlyn Moss der glücklichste Mann der Welt sein; eher zufällig entdeckt er mitten in der Wüste einen Koffer, in dem sich ganze 2,4 Millionen US-Dollar verbergen. Doch der Anschein täuscht, denn in der Umgebung jenes Koffers befinden sich neun Leichen, eine zerstörte Heroin-Ladung, mehrere von Kugeln durchsiebte Wagen und eine Blutspur ins Nirgendwo. Dennoch beschließt Moss den Koffer an sich zu nehmen und das Risiko einzugehen, plötzlich zwischen die Fronten eines Drogenkrieges zu geraten. Als ihm die Gefahr bewusst wird, kehrt er zum Schauplatz des Verbrechens zurück, um seine Spuren zu verwischen – ein Fehler, denn vor Ort wartet bereits der skrupellose Killer Anton Chigurh, der sofort nach Moss‘ Leben trachtet und fortan alles daran setzt, den unbeteiligten Nutznießer um die Ecke zu bringen. Mit letzter Kraft gelingt Moss die erneute Flucht. Doch von nun an ist er an keinem Ort mehr sicher; nicht nur Chigurh schwört Rache, sondern auch die am gescheiterten Deal beteiligten Oberhäupter der Drogenmafia geben keine Ruhe mehr, bis Moss endgültig der Lebensatem ausgehaucht wird. Sheriff Bell, der seit Längerem mit der Verbrechensrate in seiner Provinz überfordert ist, beschreibt schließlich, wie sich das Leben im Wilden Westen verändert hat – und wie die Gewalt in der Nähe zur mexikanischen grenze ein Maß angenommen hat, welches jeglichen menschlichen Charakterzug aus den Augen verliert.

_Persönlicher Eindruck:_

Grundsätzlich ist „Kein Land für alte Männer“ ein sehr verstörendes Werk, da es sich immer wieder freizügig über die Grenzen der Genres hinwegsetzt, welchen es rein inhaltlich prinzipiell angehören könnte, darüber hinaus aber auch mit so vielen Kontrasten die Prioritäten verschiebt, dass man zwischenzeitlich nie so recht weiß, was man nun von McCarthys Geschichte halten mag.

Wie gehabt beginnt alles sehr spektakulär: Hauptakteur Moss macht den Fund seines Lebens und schaufelt sich durch seine zeitweilige Gier sein eigenes Grab. Doch es ist nicht nur dieser spannungsgeladene, selbstsüchtige Trip, den der Protagonist einschlägt, es ist vor allem das Szenario, in welches er hier eintaucht, das schließlich so einprägsam und erschreckend ist. Der Autor beschreibt sehr ausführlich, welche Spuren der Bandenkrieg hinterlassen hat, in den Moss hier unfreiwillig eintaucht. Kleinste Details sind maßgeblich, schaffen somit aber auch diese sehr spezielle Atmosphäre, die auch im Film zu spüren ist, die jedoch an dieser Stelle oftmals noch über die eigene Vorstellungskraft hinausgeht. Insofern ist es sicher schade, dass man immer wieder die Bilder der Kinoproduktion vor Augen hat – denn McCarthy spielt hier sehr deutlich mit den düsteren Fantasien und lässt die Gewalt auf eine zunächst banal-oberflächlich anmutende Art und Weise, dann aber mit eben jenen verstörenden Ambitionen aufflammen, die sich im Laufe des Buches immer wieder zu Wort melden.

Insofern hat der Autor von der ersten Seite an die Zügel fest in der Hand und eröffnet sich selber das Potenzial, die Story in alle erdenklichen Richtungen zu lenken: Wilde Verfolgungsjagden, brutale Schießereien, ein klassisches Road Movie, ein moderner Western: „Kein Land für alte Männer“ bedient sich sehr gierig in den einzelnen Segmenten, nutzt sie jedoch letzten Endes nur zur Ausschmückung des sehr pessimistischen Dramas, welches schließlich aus der Perspektive des ortsansässigen Sheriffs erzählt wird. Während Moss auf der Flucht die Hölle durchlebt und seine Häscher sich die Action auf sehr aggressive Art und Weise gegenseitig zuspielen, berichtet der prinzipientreue Beamte vom gesellschaftlichen Wandel, von der Macht des Kartells, von den grausamen Verbrechen, die zur Normalität geworden sind und schließlich auch von Unterdrückung, Erpressung und Intrigen, die nicht nur seine Provinz, sondern auf weite Sicht die ganze Menschheit spalten. Es sind philosophische Aspekte, die hier herangezogen werden und die auch sehr konkret zum Nachdenken anregen, auf diesem Weg aber schließlich auch über das hinausgehen, was der Film in seiner eher temporeichen Präsentation offenbaren konnte. Dass die Vorlage und die Adaption deswegen weit auseinanderliegen, bleibt jedoch ein Trugschluss – es ist lediglich so, dass hier noch viel mehr zwischen den Zeilen steht, die generelle Ausrichtung deswegen auch ein wenig auseinanderdriftet und der Tiefgang, jenes letzte Bisschen, hier noch besser herausgearbeitet werden kann, als es im dialogreichen, aber letzten Endes doch etwas stärker auf die Action ausgerichteten Kinostreifen.

Damit wäre die eingangs angeregte Diskussion über die Notwendigkeit, dieses Buch alsn Zusatzlektüre anzuschaffen, ebenfalls geklärt. „Kein Land für alte Männer“ betont zusätzliche Aspekte, legt den Schwerpunkt ein wenig anders und nimmt sich ein wenig mehr Zeit für die Charaktere, vor allem aber für die Person des Sheriffs. Die Wechsel zwischen der Hetzjagd auf Moss und den persönlichen Geschichten von Bell wirken hier noch nachhaltiger und lassen dem Buch daher im direkten Vergleich auch die Nase vorne behalten. Und eine solche Aussage zu einem Streifen zu treffen, der völlig zu Recht vier Oscars einfahren konnte, spricht wohl Bände im Bezug darauf, wie brillant McCarthys literarische Arbeit tatsächlich ist. Denn ganz unabhängig vom Erfolg von „No Country For Old Men“ – diese Geschichte sollte man unbedingt gelesen haben!

|Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Originaltitel: No Country For Old Men
ISBN-13: 978-3498045029|

_Cormac McCarthy bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Straße“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3648
[„Die Abendröte im Westen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4349

Lorentz, Iny – Juliregen

_Die |Trettin|-Trilogie:_

Band 1: „Dezembersturm“
Band 2: „Aprilwetter“
Band 3: _“Juliregen“_

_Die Ostpreußen-Saga_

Nach dem Erfolg der „Wanderhure“-Serie wagte sich das Münchener Autorenpaar Iny Klocke und Elmar Wohlrath anno 2009 an eine weitere zusammenhängende Story, die über mehrere Romane verteilt werden sollte. Die sogenannte „Trettin-Trilogie“ beschreibt die Geschichte von Lore und Fridolin, die in den harten Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs im späten 19. Jahrhundert zueinander gefunden und schließlich auch geheiratet haben. Diese Ereignisse werden in den beiden Bänden „Dezembersturm“ und „Aprilgewitter“ geschildert und landeten jeweils auf den einschlägigen Bestseller-Listen. Mit „Juliregen“ folgt nun das Ende der Geschichte und gleichzeitig eines der besseren Bücher von Iny Lorentz – ganz gleich, dass der legendäre Vierteiler, der dieser Trilogie vorausgegangen ist, erwartungsgemäß unerreicht bleibt.

_Story:_

Nach allen Querelen und Hindernissen, die Fridolin und Lore in ihrer jungen Partnerschaft bereits bewältigt haben, scheint das frisch vermählte Paar nun endgültig seinen Frieden gefunden zu haben. Gemeinsam mit ihren beiden Kindern beziehen sie in Berlin ein neues Herrenhaus, um dort die Leidenschaft ihrer Ehe zu genießen. Doch der Schein trügt, und neue Umstände beeinflussen die Harmonie, die sich die beiden über viele Jahre geschaffen haben. Fridolin geht als Teilhaber einer Bank pleite, als sie einem Betrüger auf den Leim geht. Den Trettins bleibt lediglich die Flucht nach vorne: Der Bankier sieht sich gezwungen, das Gut des Gauners zu übernehmen und mit seiner Familie aufs Land zu ziehen, um den Schaden auszugleichen und die Verluste möglichst gering zu halten. Außerdem winkt ihnen auf diesem Weg wieder ein engerer Kontakt zu Lores Freundin Nathalia, deren Anwesen ganz in der Nähe liegt, und von der sich die junge Familie in den schweren Zeiten Unterstützung erhofft.

Die jüngsten Machenschaften bringen den hinterlistigen Ottwald von Trettin auf den Plan, der sich einen Teil des großen Kuchens erhofft und den finanziellen Schaden der Familie für sich nutzen möchte. Doch Friodlin durchschaut seine Pläne und verwehrt ihm jedwede Zusage. Dies will der gewiefte Ottwald nicht auf sich sitzen lassen. Im Verbund mit seiner kreativen Mutter Malwine schmiedet er einige finstere Pläne, um den Trettins endgültig den Ruin zu bringen und Lore und Nathalia ein für allemal ins Unglück zu stürzen …

_Persönlicher Eindruck:_

Obschon „Juliregen“ im Grunde genommen Teil einer größeren Saga ist, gewährt das Lorentz-Pärchen seinen Lesern im Abschluss des dreiteiligen Epos sofortigen Zugang zur Story und schafft direkt die notwendige Unabhängigkeit, die den Roman auch als eigenständiges Werk funktionieren lässt. Zwar ist es hilfreich, den steinigen Weg von Fridolin und Lore miterlebt zu haben und ihre individuellen Schicksale im Hinterkopf zu haben, doch zum näheren Verständnis der Ereignisse in „Juliregen“ trägt dieses Vorwissen nur insofern bei, dass man die kurzen Rückblicke in die Vergangenheit der Eheleute schneller deuten kann. Diese Überlegung ist durchaus unterstützenswert, da sie zu einer sehr konzentrierten, fokussierten Arbeit führt und Lorentz nicht den Blick fürs Wesentliche verlieren lässt – und das Wesentliche ist in diesem Fall die Fehde zwischen Ottwald und Fridolin auf der einen sowie die ungesunde finanzielle Situation der Familie auf der anderen Seite.

Die Autoren greifen hierbei vor allem die gesellschaftlichen Verhältnisse des späten 19. Jahrhunderts punktgenau auf und beschreiben den Umschwung, in dem sich Wirtschaft und Industrie in dieser Zeit befinden. Die Zeit des Fortschritts hat auch die ländlichen Gutssitze eingeholt und zwingen die Protagonisten zum ständigen Umdenken, um ihren Stand und ihre Position auch weiterhin aufrechterhalten zu können. Und die Gefahr, diese Unabhängigkeit aufgeben zu müssen, den Luxus und die Lebensqualität aufs Spiel zu setzen, und dies wohlgemerkt auch noch aus einer Ungerechtigkeit heraus, dies ist das zentrale Thema des Buches und wird von den zwischenmenschlichen Elementen, einer Menge Verzweiflung und einer dezent angedeuteten Kriminalstory noch übergreifend weitergeführt.

Schade ist allerdings, dass die beiden Autoren diese guten Ansätze nicht mehr so konsequent wie noch zuvor auf die Charakterzeichnungen übertragen. Sieht man mal von der sehr lebhaften, für die damalige Zeit schon fast revolutionär auftretenden Nathalia ab, bleiben die tragenden Säulen des Romans zumeist blass. Fridolin, der zwischen gesunder Aggression, Zweckoptimismus und der nimmer endenden Hoffnung angetrieben wird, mag zwar ebenfalls etwas Positives ausstrahlen, bleibt im Grunde genommen aber in seiner Präsentation zu durchschnittlich und allerweltstauglich, als dass hier Akzente gesetzt werden könnten – und gerade von seiner Person, die in „Juliregen“ der Aktivposten der Story ist, muss man einfach mehr erwarten können. Doch letzten Endes steht er sich hier mit seiner Gattin leich, die im Prinzip nur eine untergeordnete Rolle spielt, auch wenn sie die entscheidenden Situationen der Handlung sehr intensiv erlebt und vor allem in den Schlusssequenzen imminent bedeutsam ist.

Dieser nicht mehr ganz so kleine Makel überträgt sich dann auch auf die Erzählatmosphäre; die Ansätze und der Grundstock der Erzählung sind lobenswert, die Umsetzung der einzelnen Entwicklungsschritte ebenfalls. Doch zu häufig gerät man an den Punkt, wo die Figuren ebenso austauschbar werden wie die inhaltlichen Fortschritte – und genau hier verliert „Juliregen“ dann einen Teil jenes Reizes, der vor allem in den ersten Kapiteln noch so schwerwiegend ist.

Als historischer Roman ist der Abschluss der Trilogie sicherlich den Genuss wert, vor allem wegen der feinen Verschmelzung von fiktiven und realen Elementen. Doch bei einer Autorenvereinigung wie dieser, von der man eben schon so manchen großen Moment vors Auge bekommen hat, erwartet man irgendwie ein bisschen mehr als eine Geschichte, die leicht über dem Durchschnitt liegt. Doch diesem Anspruch wird „Juliregen“ letzten Endes nur stellenweise gerecht!

|Broschiert: 704 Seiten
ISBN-13: 978-3426504154|
[www.droemer-knaur.de]http://www.droemer-knaur.de

_Iny Lorentz bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Kastratin“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=980
[„Die Ketzerbraut“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7226
[„Die Reliquie“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3766

Beckett, Simon – Voyeur

Eine ähnliche Einleitung hat es kürzlich bereits zu Simon Becketts eher durchschnittlichem Frühwerk „Tiere“ gegeben, hier sei sie noch einmal in Kurzform wiederholt: Der Bestseller-Autor, der mit seiner „David Hunter“-Serie zuletzt für mächtig Furore sorgte, hat auch einige schattige Kapitel in seiner literarischen Biografie zu verzeichnen. Hierunter fallen neben dem noch ganz ordentlichen, aber letzten Endes ebenso unspektakulären „Flammenbrut“ auch Titel wie „Obsession“ und das hier vorliegende „Voyeur“. Wer also mit Beckett via „Kalte Asche“ respektive „Die Chemie des Todes“ Bekanntschaft gemacht hat, sollte gewarnt sein: Die Klasse dieser Bücher konnte der seinerzeit stellenweise noch unbeholfen anmutende Autor in seiner ersten Phase als Schreiber nicht einmal im Ansatz erreichen.

_Story:_

Der kunstinteressierte Galerist Donald Ramsey hat eine ganz bizarre Vorstellung von Erotik. Das Liebesspiel als solches bewegt ihn nicht, Sex ist ihm sogar ein Gräuel, weshalb er hier auch sehr enthaltsam lebt. Lediglich die Beobachtung sexueller Handlungen erregt ihn vergleichbar mit seiner Begeisterung für die erotische Kunst. Doch Ramseys Ansichten ändern sich, als er seine Assistentin Anna dabei beobachtet, wie diese sich in den Räumlichkeiten der Galerie an- und auskleidet und sich für ein Treffen mit ihrem Lebensgefährten Marty vorbereitet. In diesem Moment entwickelt Ramsey nicht nur ein Verlangen für diese Frau, sondern steigert sich gleichermaßen in sehr obsessive Gefühle, die er aufgrund von Annas Lebenssituation jedoch nicht bedingungslos ausleben kann.

Als Donald schließlich erfährt, dass seine Partnerin und Marty sich dazu entschlossen haben, in die USA zurückzukehren, fasst Ramsey einen folgenschweren Entschluss: Er muss Marty aus dem Weg räumen und diese Entscheidung beeinflussen – und dazu ist ihm jedes Mittel recht. Sofort kommt ihm sein alter Gefährte Zeppo in den Sinn, der für jegliches Motiv über Leichen geht. Tatsächlich fehlt von Marty bald jede Spur – doch die Ermittler haben schon eine sehr diskrete Ahnung, wen sie dafür verantwortlich machen müssen …

_Persönlicher Eindruck:_

Rein inhaltlich wirft „Voyeur“ erst einmal keine besonderen Argumente auf, die das Buch mit allzu viel Kritik belasten könnten. Die Idee ist vielleicht nicht originell, aber immer noch gut genug, um der Thriller-Konkurrenz standzuhalten, und auch die Charaktere werden sehr anschaulich und ausführlich gezeichnet, sodass ein flotter, angenehmer Einstieg in die Story von der ersten Seite an gewährleistet ist. Und so verfolgt man Donalds emotionalen Wandel und schaut zu, wie aus einem ohnehin schon sehr eigenwilligen, eigenartigen Menschen ein regelrecht wahnhafter Typus wird, der von dem Wunsch, seine Assistentin zu besitzen und seine Fantasien mit ihr zu erproben, absolut besessen ist. So weit, so gut.

Was dem Roman jedoch im Zuge der sicher sehr feinen Persönlichkeitsstrukturen abgeht, ist ein Hauch von Spannung, eine vergleichbare Obsession, wie sie der Leser in den „Hunter“-Storys durchlebt. Die Handlung ist von Beginn an völlig durchschaubar und schafft es daher nicht wirklich, dieses Gefühl für Spannung zu kreieren, welches man aus Becketts jüngeren Werken kennen und lieben gelernt hat. Jeder Schritt kündigt sich bereits weit vorher an, und sein Vollzug ist lediglich eine Anekdote, die der Autor schon beschrieben hat, bevor sie dann die erwartete Umsetzung erfährt. Man weiß, dass Donald und Anna in irgendeiner Form Kontakt haben werden, man kann sich über Zeppos Erfolg sicher sein, aber auch der Umstand, dass das kriminelle Duo mit ihrer Masche in die Sackgasse läuft, wird hinlänglich vorbereitet und nimmt der Geschichte jedwedes Überraschungsmoment.

Selbst in der Schlussphase, in der sicherlich noch Spielraum für die eine oder andere halsbrecherische Wendung gewesen wäre, nimmt Beckett nicht den Mut auf, sich gegen das Konventionelle zu stellen und einer Art erotischem Erfahrungsbericht mit Thriller-Anleihen das Mindestmaß an Würze und Eigenständigkeit zu verpassen. Stattdessen rennt er jederzeit zielstrebig ins Offensichtliche und raubt sich selber das Potenzial zu jenem Nervenkitzel, den er im Vorwort noch beschreibt und der auch in „Voyeur“ Verwendung finden soll, am Ende aber wie ein völlig entfremdeter Begriff aufgenommen wird – denn wirklich herauskitzeln kann der Autor bei seinem Publikum weder Emotionen, noch das gewisse Prickeln, welches man an Seiten des aufregenden David Hunter auf jeder Seite verspürte.

„Voyeur“ hätte womöglich zur Kurzgeschichte getaugt, da der Kern der Story schnell erzählt ist und die Spielräume für etwas mehr freie Interpretation ausgelassen werden. Letztgenannten füllt Beckett stattdessen mit viel Geplänkel, langatmigen Dialogen, einem exorbitant ausgereizten, spannungsarmen Mittelteil und zum Schluss auch mit einer unerwarteten Unglaubwürdigkeit, die dem Plot das letzte bisschen Farbe rauben. Im Gegensatz zu „Tiere“ hat Beckett in seinem 92er-Debüt zwar wenigstens eine plausible Geschichte zu erzählen. Doch auch wenn „Voyeur“ nicht sein schlechtester Roman sein mag, so liegt es doch sehr ferne, den Erstling weiterzuempfehlen. Dafür ist man einerseits vom Autor selber weitaus Besseres gewohnt, kann sich andererseits aber auch bei der viel überzeugenderen Konkurrenz bedienen.

|Broschiert: 384 Seiten
Originaltitel: Fine Lines
ISBN-13: 978-3499249174|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

_Simon Beckett bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Chemie des Todes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2355
[„Kalte Asche“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4205
[„Leichenblässe“ (Hörbuch)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5625
[„Obsession“ (Hörbuch)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5853
[„Tiere“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=7202
[„Verwesung“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6978

Werner, C. L. – Angriff der Orcs (Der letzte Jäger 1)

_|Der letzte Jäger|:_

01 _“Angriff der Orcs“_
02 „Labyrinth der Goblins“
03 „Drachenjagd“

_Story:_

Er ist eiskalt, skrupellos und bleibt für seine Feinde unberechenbar: Sobald Brunner sich in den Kopf gesetzt hat, jemanden zu töten, sei es für das nächste Kopfgeld, oder auch aus rein persönlicher Motivation, kann sich sein Gegner darauf gefasst machen, nicht mehr mit dem Leben davon zu kommen. Brunner jagt, wird gejagt, bleibt jedoch stets der Sieger in seinem gefährlichen Spiel. Doch seine Taten hinterlassen Spuren und führen ihn in manches, gemeine, hinterhältige Schicksal. Denn dort wo er am meisten verletzlich ist, dort treffen ihn seine Feinde – und opfern seine Freunde, um sich an ihm zu rächen. Doch der Kopfgeldjäger findet immer seine Genugtuung. Wenn es nicht der Sold ist, der ihn antreibt, dann der Rachedurst, der ihn zur meist gefürchteten Kampfmaschine unter der Sonne macht …

_Persönlicher Eindruck:_

Als „Warhammer“-Kunde ist man ein gewisses Schwarz-Weiß-Denken inzwischen gewohnt – denn so gut und spannend manche Zyklen auch starten und fortgesetzt werden, so schwach und ideenarm sind manchmal die Kontraste, sobald die Franchise-Kriegsmaschinerie es mal wieder mit der Darstellung von Schlachten und brutalen Gefechten übertreibt und wichtige Merkmale wie Persönlichkeits-Charakterisitika oder eine zündende Story außen vor lässt.

C. L. Werner schützt sich vor dieser Gefahr ganz clever, indem er seinen Helden durch mehrere Kurzgeschichten treibt, die zwar schon aufeinander aufbauen, in ihrer episodischen Präsentation aber vorrangig dazu dienen, das Profil des Protagonisten zu schärfen und sein teils hasserfülltes, teils auch martialisches Vorgehen in irgendeiner Form zu rechtfertigen – doch gerade hier fehlen dem Autor oft genug die schlagkräftigen Argumente.

Brunner, der unnahbare Held der Geschichte(n), ist eine am Reißbrett entworfene Kriegsmaschine, die ihren Heil im Mord an unliebsamen Figuren sucht und sich dafür individuell auch noch fürstlich entlohnen lässt. Der Kopfgeldjäger geht keine Kompromisse ein und positioniert sich als eiskalter Killer dort ein, wo schon so viele „Warhammer“-Persönlichkeiten ihren Platz gefunden haben. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass Werner ihm sehr viel Freiräume lässt und sehr um eine punktgenaue Darstellung seines Charakters bemüht ist, dabei den Inhalt seiner Einzelmissionen aber gelegentlich zu kurz kommen lässt. Es ist zwar stets die Jagd, die in allen widerlichen und misanthropischen Zügen auf den Punkt kommt, doch letzten Endes geht es vorrangig darum, den Menschen als stählernes, gefühlsarmes Etwas in den Fokus zu rücken, welches lediglich dann Emotionen zeigt, wenn man sein Umfeld gefährdet. Doch auch dann reagiert er mit der einzigen Konfliktlösungsstrategie, die ihm übrig bleibt: Morden und seinem Job nachgehen – denn mehr als ein Job ist das, was Brunner hier durchzieht, nicht.

Unterm Strich kehrt daher auch relativ bald Langeweile ein, weil die etwas unbeholfene Motivsuche sehr schnell an ihre Grenzen stößt und vom anspruchsvolleren Leser bald nicht mehr als hinreichend zufriedenstellend angenommen wird. Werner will die finsteren Gedanken seiner Leitfigur zwar in irgendeiner Form auf die Atmosphäre übertragen, verliert sich hierbei aber allzu schnell in Zweckoptimismus, der von der Handlung nicht mehr getragen werden kann. Denn irgendwann ist jedes Kapitel durchschaubar, jeder Ansatz von Spannung zunichte und jede Aufbruchsstimmung dahin – nur eben, dass dies bei „Angriff der Orcs“ recht schnell der Fall ist.

Insofern kann man jemandem nicht verübeln, dass er/sie bei „Warhammer“-Geschichten nur in zwei Kategorien denkt. Es gibt die wirklich guten Storys, und es gibt den unteren Durchschnitt. Und zu den Letztgenanntem muss man leider auch den ersten Band von „Der letzte Jäger“ zählen!

|Broschiert: 384 Seiten
Originaltitel: Blood Money
ISBN-13: 978-3492291491|
[www.piper-verlag.de]http://www.piper-verlag.de/fantasy

Ahlers, Jörgpeter – Wunder von Björn, Das (Hörspiel)

_Das runde Leder_

Neben allerlei Fantasy- und Science-Fiction-Geschichten hat ein zentrales Thema den jugendlichen Hörspiel-Markt in den vergangenen Monaten übermäßig stark bevölkert: der Fußball. Nicht erst im Zuge der vergangenen Weltmeisterschaften ist das Interesse an der Nationalmannschaft, aktuelle auch an ihrem weiblichen Pendant unglaublich gestiegen und zieht sich bis hin zu den kleinsten Kickern. Dementsprechend scheint der Markt für Geschichten um das runde Leder derzeit sehr lukrativ.

Jörgpeter Ahlers hat dieses Potenzial erkannt und vor geraumer Zeit im Verbund mit dem NDR eine Geschichte erstellt, die sich ein wenig von den klassischen Heldengeschichten im Sport abgrenzt. Seine Titelfigur ist ein typischer Verlierer – und damit eben nicht die verehrenswerte Persönlichkeit, die bei reißerischen Franchises wie „Die wilden Kerle“ die Gunst des Nachwuchses sicher hat. Doch gerade dieser Umstand macht die Sache gleich viel sympathischer.

_Story:_

Der junge Björn ist schier verzweifelt: Seit Jahren versucht er bereits, in seiner Jugendmannschaft Anschluss zu finden, wird dabei aber immer wieder mit der traurigen Tatsache konfrontiert, dass er mit seinen Mitspielern nicht mithalten kann. Die Talentfreiheit wird ihm auch gerade wieder zum Verhängnis, als die wichtigsten Spiele der Meisterschaft anstehen und Björn nicht mal für den Kader nominiert wird. Platzwart Sparwasser erkennt die Traurigkeit des Jungen und will ihm mit außergewöhnlichen Mitteln zum Erfolg und zu mehr Zugehörigkeit in der Mannschaft verhelfen. Er schenkt Björn die sagenumwobenen Krakenhandschuhe, deren Träger sicher sein kann, jeden Ball zu halten. Beim ersten Training erweisen sich die Handschuhe tatsächlich als Wunderwaffe – und machen Björn zuversichtlich, endlich die Akzeptanz, die er sich so lange gewünscht hat, zu erfahren. Als das wichtige Spiel gegen die Jugendabteilung vom FC Bayern München ansteht, scheint sich das Schicksal jedoch erneut gegen den tapferen Björn zu wenden; die Handschuhe wurden in der vorherigen Nacht gestohlen. Nun muss der Fußballbegeisterte beweisen, dass er auch mit den üblichen Mitteln zum Wunderknaben taugt …

_Persönlicher Eindruck:_

Die Geschichte um den kleinen Björn ist eine allzu typische Erfahrung, die viele Jungs in ihrer ‚Laufbahn‘ als Fußballer durchleben müssen: Talentfreiheit als großes Problem, fehlende Akzeptanz als Folge – Kinder können in diesem Fall grausam sein, ohne sich dabei Gedanken darüber zu machen, wie es dem vermeintlichen Loser-Kandidaten eigentlich bei der Sache geht. Dieser Umstand wird von Hörspiel-Autor Jörgpeter Ahlers jedoch nicht allzu weit in den Vordergrund gestellt. Häme und Spott fallen im Gegensatz zu manch vergleichbarer Geschichte also komplett unter den Tisch, was dem Hörspiel auch einen sehr sympathischen, leichter zugänglichen Charakter verpasst.

Stattdessen geht es vielmehr darum, einem verzweifelten Jungen auf die Sprünge zu helfen und darzustellen, dass es sich immer lohnt, die Hoffnung nicht aufzugeben. Und dies geschieht im Rahmen der ca. 50-minütigen Inszenierung auch nicht. Björn ist sich seiner mangelnden Qualitäten bewusst, steckt den Kopf jedoch nicht in den Sand, sondern drängt sich beim Trainer auf, endlich seine Chance zu bekommen. Die Wendung mit den Wunderhandschuhen trägt zwar nicht gerade dazu bei, dass sich die Story realistisch weiterentwickelt, bringt aber ein wenig Humor in die ganze Sache, welcher schließlich auch noch von der erfinderischen Person des Platzwarts getragen wird. Ahlers beweist hier Kreativität, lehnt sich aber nicht zu weit aus dem Fenster, sodass der Kern der Handlung nie aus den Augen verloren wird – denn schließlich muss Björn sich am Ende auch ohne seine außergewöhnlichen Hilfsmittel beweisen.

Während die Geschichte sich wirklich sehr schön gestaltet und im angenehmen Fluss für Unterhaltung sorgt, ist die Inszenierung gelegentlich ein bisschen hektisch. Zwar sind die einzelnen Figuren klar herausgehoben und individuell identifizierbar, doch gerade in den Spielreportagen schwenkt man teilweise zu sehr zwischen den einzelnen Schauplätzen und sorgt ab und an für ein bisschen Verwirrung. Der Strang bleibt aber nichtsdestotrotz sehr linear und verstrickt sich nicht in Nebengeschichten, die dem Hauptplot in irgendeiner Form nicht mehr zuträglich wären. Insofern sind die hier genannten Kritikpunkte nicht von großer Tragweite und können schlussendlich auch gerne vernachlässigt werden.

Wem die „Wilden Kerle“ also zu arrogant und die „Teufelskicker“ zu heroisch sind, der darf sich gerne bei dieser netten Alternative bedienen – vielleicht auch gerade weil die Geschichte in sich abgeschlossen ist und nicht noch dutzende Male neu aufgekocht werden muss!

|CD-Spielzeit: 53:22 Minuten
ISBN-13: 978-3833725371|
[www.jumboverlag.de]http://www.jumboverlag.de

King, Stephen – dunkle Turm, Der (Graphic Novel – Band 1)

Stephen Kings monumentale Western-Endzeit-Saga „Der dunkle Turm“ ist nicht nur das ambitionierteste Werk des renommierten Horror-Autors, sondern auch eines der umfangreichsten Epen, die der moderne Fantasy-Markt je zu Gesicht bekommen hat. Ganze 34 Jahre verbrachte King damit, die sieben Bände fertigzustellen und die sehr komplexe Story reifen und gedeihen zu lassen. Mit dem Abschluss der Serie im Jahr 2004 schien er schließlich eine Jahrhundertaufgabe bewältigt zu haben, von der in der Folge noch oftmals die Rede sein sollte.

Das Potenzial von „Der dunkle Turm“ schien damit jedoch noch lange nicht erschöpft: unter anderem maachte sich auch der Comic-Markt an der Saga zu schaffen und versuchte aus dem Grundstock der Story noch mehr herauszuholen. Gemeinsam mit Peter David, Robin Furth, Jae Lee und Richard Isanove erarbeitete King schließlich eine Art Prolog zu seinem Meisterstück, der schlicht und einfach unter dem Hauptbanner „Der dunkle Turm“ veröffentlicht wird.

_Story:_

Das Schicksal von Roland Deschain ist in jenem Moment besiegelt, als er sich dazu entschließt, seinen Ausbilder herauszufordern und den Werdegang zum Revolvermann zu beschleunigen. Mit Geschick und Cleverness überlistet die junge Kämpfernatur den Nahkampfspezialisten und befreit damit auch seine engsten Freunde Cuthbert und Alain, mit denen er fortan durch die Baronie Majis reist, um für Recht und Ordnung zu sorgen.
Mit dem Segen seines Vaters begibt er sich auf die Suche nach den Gegenspielern des Bundes, die im Auftrag des intriganten Farson eine neue Revolte anzetteln wollen. Doch der angeblich gute Mann ist heimtückisch und schlecht und greift kompromisslos durch, wenn es um die bevorstehende Invasion seiner Kriegsmaschinerie geht. Derweil wird auch Roland von der Liebe geschwächt; als er eines Tages eher zufällig die hübsche Susan Delgado trifft, ist es um ihn geschehen. Doch das Mädchen ist dem Bürgermeister versprochen und soll in einer der nächsten Mondnächte von ihm entjungfert werden. Als Roland und seine Begleiter die Sache untersuchen, machen sie sich zu Feinden der Sheriffs und landen auf der Fahndungsliste an oberster Stelle. Doch Roland kennt keine Furcht: Ungeachtet der Hetzjagd, die um ihn und seine Freunde betrieben wird, kämpft er für seine Liebe und schwört, die verschwörerischen Pläne von Farson und dessen rechter Hand Martin, der einst seine Mutter verführte, zu durchkreuzen und ihrem Leben ein Ende zu bereiten …

_Persönlicher Eindruck:_

Einen Comic zu einer so komplexen Story, wie sie „Der dunkle Turm“ nun mal bietet, zu erstellen, ist mitunter ein riskantes Unterfangen: Setzt man nun voraus, dass der Freund der illustrierten Kunst Kings Original bereits kennt? Oder kann man völlig unvoreingenommen in die Welt von Roland Deschain eintauchen und dennoch uneingeschränkt genießen, was die Comic-Variante als Alternative zu den sieben Episoden des Kultwerkes bietet?

Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen, da es zweifelsohne einfacher ist, die Zusammenhänge zu verstehen, wenn man die Romanserie bereits verschlungen hat. Gerade dem Setting und den einzelnen Hintergründen zu Figuren wie Farson und auch Roland kann man definitiv besser folgen, wenn die Zuständigkeiten und Positionen geklärt sind, bevor man sich an die vermeintliche Vorgeschichte heranwagt. Andererseits wird man nicht zu tief ins kalte Wasser geschmissen, wenn man ohne Vorerfahrung in die Geschichte stürzt. Das Autorenteam gibt dem Leser genügend Zeit, sich mit der Umgebung und den wichtigsten Figuren vertraut zu machen, steigert schließlich das Tempo, verirrt sich aber niemals in Teilabschnitten, die einer näheren Erklärung bedürften – selbst wenn vor allem die Kapitel vier und fünf (von insgesamt sieben) etwas verzwickt sind und stellenweise auch von einer schwer vermeidbaren Hektik überlagert werden.

Die Story selber bleibt indes geheimnisvoll und wird von einer schwer greifbaren Spannung angetrieben. Es ist stellenweise kaum möglich, den Kern zu greifen, da sich die Geschichte immer wieder zu neuen Schwerpunkten verlagert und der übergeordnete Kampf zwischen Roland und Co. auf der einen und Farson und seinen Gefährten auf der anderen Seite immer wieder zugunsten der Abhandlung sehr fokussiert abgearbeiteter Nebenschauplätze weichen muss. Zudem erscheinen immer neue Figuren auf dem Tablett, werden hier eiskalt serviert, können aber über ihren Abgang noch nicht viel aussagen. Man kann lediglich ihre Motive abschätzen, jedoch nicht genau festlegen, welche Rolle sie in der weiteren Handlung noch einnehmen werden. Kings Comic-Team springt sehr häufig zwischen den Szenarien, lässt den Leser im Dunkeln tappen, gibt ihm aber dennoch das Gefühl, die absolute Kontrolle über den Plot zu gewinnen. Und genau mit diesem Wissen blättert man von Seite zu Seite, wartet auf neue Mysterien, wird stetig von unverhofften Entwicklungen überrascht, lernt aber erst auf den letzten Seiten, wie und wo man alles einzuordnen und zu sortieren hat.

Insofern steht die Comic-Ausgabe dem Original in gar nichts nach, selbst wenn die Komplexität hier nicht ganz so dominant auf die Story übergreift wie in der Romanvorlage. Doch was Spannung, Darstellung und Präsentation betrifft – wo zum Beispiel hat man sonst schon einmal einen so ironischen Erzähler erlebt – wird die Einzigartigkeit von „Der dunkle Turm“ auch in der illustrierten Fassung adaptiert und die Faszination bewahrt, die das teils verstörende Epos im Original auszeichnet. Zwar sei empfohlen, die sieben Bücher zunächst zu lesen, bevor man sich an die Nachwehen begibt. Doch auch als Einzelband und unabhängige Story ist das hier besprochene Werk dringend zu empfehlen – wenn nicht zuletzt in umgekehrter Form als Appetizer für das große Ganze!

|Softcover: 240 Seiten
Originaltitel: Dark Tower: The Gunslinger Born
Text: Robin Furth, Peter David
Zeichnungen: Jae Lee, Richard Isanove
ISBN-13: 978-3453265783|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de

Über 40 weitere Rezensionen zu Büchern und Hörbüchern von Stephen King findet ihr in [unserer Datenbank]http://buchwurm.info/book .

Ludwig, Manfred – Diego Drachenzahn (Gesellschaftsspiel)

_Begehrter Preis_

Die Auszeichnung für das „Kinderspiel des Jahres“ ist inzwischen mindestens genauso bedeutend wie die analog stattfindende Preisverleihung für den gleichnamigen Familienpreis. „Diego Drachenzahn“ konnte die heiß begehrte Trophäe im vergangenen Jahr erhaschen und mit seinem ausgewogenen Mix aus feinmotorischer Förderung und der Schulung der Beobachtungsgabe ein überzeugtes Statement auf Seiten der Jury erlangen.

_Spielinhalt:_

Verfaucht noch mal, denkt sich der ritterliche Drache Diego: Schon wieder hat er beim Feuerspucken sein Ziel verfehlt, damit aber womöglich auch sein Publikum auf die falsche Fährte geführt. Dabei sollte er eigentlich eines der fünf Ziele, welches ihm vorher ganz geheim anvertraut wurde, mit seinen drei Feuerkugeln treffen – andererseits geht er in der laufenden Runde leer aus.

In „Diego Drachenzahn“ stehen sich 2-4 Spieler gegenüber und wetteifern um den schnellen Zieleinmarsch. Jener kann nur dann erreicht werden, wenn man seine Murmeln geschickt in einem der fünf Zielfelder unterbringt, gleichzeitig aber auch im Zug der Mitspieler errät, wohin diese ihr Feuer gespuckt haben. Beides wird mit Punkten honoriert, wobei man gleichzeitig darauf achten sollte, seinen Mitspielern keinen zu heißen Tipp zu geben, welches Ziel man eigentlich treffen wollte. Wer schließlich geschickt zielt und rät und damit am schnellsten die Punkte für den Zieleinlauf sammelt, kann sich hier zum Ritter schlagen lassen.

_Spielmaterial:_

* 1 Drachenstadion
* 4 Drachen
* 3 Feuerkugeln
* 24 Karten
* 24 Plättchen
* 1 Spielanleitung

Das Spielmaterial gehört bereits zu den ganz besonderen Qualitäten von „Diego Drachenzahn“. Im Gegensatz zu vielen anderen Titeln wird hier die Schachtel direkt mit ins Geschehen einbezogen, was allerdings auch die Gefahr birgt, dass das Spiel nach langfristigem Gebrauch und ersten Verschleißerscheinungen ggf. nicht mehr bespielbar ist. Allerdings sind die Kartoneinlagen relativ stabil aufbereitet, so dass man hier lange brauchen wird, bis sich die einzelnen Teile wirklich abnutzen.

Davon abgesehen ist das Material relativ zweckdienlich, dafür aber leicht verständlich gehalten. Die Karten und Plättchen sind leicht verständlich illustriert, die Spielarena dementsprechend prima hierauf abgestimmt. Lediglich die Einkerbungen für die Feuerkugeln sind relativ schmal, so dass beim Spielaufbau immer mal wieder Geduld gefragt ist, bis alle Kugeln positioniert sind. Dafür ist die Gestaltung der vier Drachen-Holzfiguren wirklich sehr schön gelungen und ein weiteres Highlight des HABA-typischen, verlässlich starken Spielmaterials.

_Vorbereitung:_

Vor jeder Runde werden die Plättchen gut gemischt und zu einem oder mehreren Nachziehstapeln bereitgelegt. Jeder Spieler erhält anschließend einen Drachen und die sechs Karten in der zugehörigen Farbe. Der Drache wandert auf das Startfeld am Rand der Spielschachtel. Sobald ein Startspieler bestimmt ist, werden die drei Feuerkugeln bereitgelegt und das Spiel begonnen.

_Spielablauf:_

„Diego Drachenzahn“ wird in insgesamt drei Durchgängen gespielt, die allesamt gleich aufgebaut sind. Der jeweils aktive Spieler zieht hierbei ein Plättchen, prägt sich den Gegenstand ein, der dort abgebildet ist, und versucht nun, die drei Kugeln in das Feld zu ’schieben‘, welches genau jenes Symbol zeigt, welches auf dem Plättchen dargestellt ist. Die Kugeln werden dabei lediglich kurz angeschoben und müssen nun durch das Gefälle in der Spielarena in das richtige Feld rutschen. Gelingt dies, bekommt man für jeden ‚Treffer‘ genau einen Punkt. Nachdem dieser Part beendet ist, sind die übrigen Mitspieler an der Reihe. Sie müssen nun geheim raten, welches Feld der Spieler treffen wollte und hierzu die passende Karte verdeckt ablegen. Haben alle Spieler eine Karte ausgelegt, wird das Ergebnis gewertet. Eine Übereinstimmung bringt nun einen Punkt für die tippenden Spieler. Nachdem die entsprechenden Punkte auf der Zählleiste markiert worden sind, geht es im Uhrzeigersinn weiter bis schließlich drei Runden gespielt wurden. Gewonnen hat danach derjenige Spieler, der auf der Zählleiste die vorderste Position erreicht. Bei Gleichstand gibt es mehrere Gewinner.

_Persönlicher Eindruck:_

Die Spielidee hinter „Diego Drachenzahn“ ist wirklich toll, nicht zuletzt, weil das Spielmaterial sehr kreativ gestaltet wurde und darüber hinaus auch ein bisschen Action geboten wird. Man muss genau hinschauen, welches Feld der Drachenzahn-Spieler treffen wollte, in der eigenen Aktion aber auch möglichst viele Treffer erzielen, da man nur hier mehr als ein Feld weiterziehen darf. Insofern ist die Mechanik des Spiels sehr ausgewogen und bringt alleine schon aufgrund der witzigen Handlungsmöglichkeiten eine Menge Spaß.

Andererseits lohnt „Diego Drachenzahn“ erst wirklich, wenn mit voller Spielerzahl gespielt wird, da das Hin und Her ansonsten zu leicht durchschaubar wirkt und das Potenzial des Spiels (beispielsweise das verdeckte Tippen) nicht vollständig ausgeschöpft wird. Oder anders gesagt: Der Spielspaß ist bei vier Teilnehmern einfach viel größer. Kritisch angemerkt werden sollte noch, dass sich das System auf Dauer ein bisschen verbraucht, da man bei wachsender Übung immer leichter zielt und es daher auch sehr leicht zu erraten ist, welches Ziel der aktive Spieler treffen wollte. Selbst die Kleinsten entwickeln sehr schnell ein Gespür für die richtige Technik, sodass auf diesem Gebiet ein gewisser Verschleiß zu vermerken ist. Dennoch bleibt „Diego Drachenzahn“ ein sehr schönes, witziges und vor allem lebendiges Spiel – ob es deswegen aber „Kinderspiel des Jahres“ werden musste, sei mal dahingestellt. Unterm Strich entdeckt man nämlich bei genauerer Betrachtung doch einige Kritikpunkte, die leider auch nicht entschärft werden können. Für den vergleichsweise geringen Preis, für den der Verlag das Spiel in den Handel stellt, ist die Anschaffung aber zweifelsohne lohnenswert und wird das Spiel noch oft genug auf den Tisch bringen!

|Spielidee: Manfred Ludwig
Illustration: Peter Braun
Spieldauer: ca. 15 Minuten
Spielerzahl: 2-4 Spieler|
[www.haba.de]http://www.haba.de

May, Brian / Moore, Patrick / Lintott, Chris – Bang! – Die ganze Geschichte des Universums

Die Entstehung des Universums leicht gemacht? Kein Problem: „Bang!“ soll es möglich machen, zumindest wenn es nach Patrick Moore, Chris Lintott und Brian May geht. Nanu, Brian May? Der Mann, der hinter einer der wichtigsten Rockbands aller Zeiten steht und den Sound von Queen über mehr als drei Dekaden zu einer wahrhaftig einzigartigen Erscheinung in der Musiklandschaft erkoren hat? Ja, richtig! May, seines Zeichens nicht bloß Gitarrist und Studiomensch, sondern nach seiner Laufbahn auch wieder als Wissenschaftler aktiv ließ sich von seinen beiden Gefährten dazu inspirieren, einen fundierten, aber auch für jedermann leicht nachvollziehbaren Bericht über die Historie des Weltalls zu erstellen, indem der promovierte Astrophysiker sein Wissen mit jenem von Lintott und Moore vereinen konnte. Herausgekommen ist eines der besten, sehr gründlich recherchierten Werke zu jenem Themenbereich und dazu ein Buch, welches den Urknall ebenso formelfrei definiert und erklärt als wäre es das kleine Einmaleins. Ein Kinderbuch also? Mitnichten …

May und seine Kollegen von der BBC („The Sky At Night“) starten ihre Dokumentation sinngemäß mit dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren und geben bereits hier einen sehr ausführlichen, aber auch ausgewogen dargestellten Einblick in die Ereignisse, die zur Entstehung des Lebens und des natürlichen Wachstums führten. Das Trio bemüht sich dabei von Anfang an, mit wissenschaftlich vereinfachter Sprache die Grundlagen nahezubringen, physikalische Einheiten in diesem Zusammenhang zu erklären, entscheidende Entwicklungen darzulegen und überdies mit vielen Skizzen, Bildern und illustrierten Erläuterungen das Basiswissen aufzustellen, auf dem die insgesamt sieben Kapitel von „Bang!“ schließlich aufbauen können. In der Folge begibt man sich auf eine sehr informative Zeitreise, die den Beginn des Lebens, geografische Eigenheiten, astronomische Phänomene, spezifische Eigenheiten der Milchstraße und ihrer möglichen Nachbargalaxien und schließlich auch die konzentrierte Erweckung unserer Erde in den Mittelpunkt rückt und dies alles in einer bemerkenswert aufgearbeiteten Chronologie wiedergibt. Die drei Autoren visualisieren dabei nicht nur Essenzielles, sondern gehen vor allem in der frühen Entstehungsgeschichte etwas mehr in die Tiefe und verfolgend diesbezüglich den kontinuierlichen Ansatz der permanenten Versinnbildlichung. Schwierig verständliche Besonderheiten werden in Relation zu zeitgemäßen Ereignissen gestellt, und vor allem die physikalisch zunächst nur sehr speziell erklärbaren Tatsachen erfahren durch ihren Bezug zur weltlichen Realität eine Anschaulichkeit, die man in vielen ähnlich gelagerten Büchern schmerzlich vermisst.

Natürlich darf man auf der anderen Seite nicht erwarten, dass „Bang!“ die Quintessenz zu dieser so umfangreichen Thematik ist. Hierzu fehlt es den drei Initiatoren nicht nur an Zeit und Raum in ihrer Darstellung, sondern folgerichtig auch an Tiefgang bei vielen Einzelheiten. Dies bedeutet keinesfalls, dass May, Moore und Lintott lediglich an der Oberfläche kratzen, doch da die Motivation hinter „Bang!“ vorrangig darin besteht, eine Summe aus Basiswissen und zusammengefassten wissenschaftlichen Thesen zu erstellen und diese universell nachvollziehbar zu machen, muss man sich natürlich auf das Wesentliche konzentrieren. Allerdings ist genau jener Ansatz das lobenswerte Element dieser Veröffentlichung, da es den womöglich bedeutsamsten Teil der Weltgeschichte bündelt, ihn zugänglich macht und ihn nicht als abschreckendes, ausschließlich für die Forschung relevantes Konstrukt zurücklässt. Dafür steckt nicht nur zu viel Detailliebe und Herzblut in der umfangreichen Präsentation (man beachte schließlich mal die reiche Bebilderung dieses Bandes), sondern auch eine Masse an Inhalt und fundierter Recherche, die für eine solche ‚Familienausgabe‘ absolut einzigartig ist – und wahrscheinlich auch erst einmal bleibt. „Bang!“ schließt ein (schwarzes) Loch im themenspezifischen Sachbuch-Segment mit hochtrabenden Ambitionen und einer absolut souveränen Verbundarbeit, die als Wissensgrundlage eigentlich einen angestammten Platz in jedem Haushalt finden sollte.

Dass „Die ganze Geschichte des Universums“ im KOSMOS-Verlag erscheint, bringt zuletzt noch ein kleines Schmunzeln – besser hätte es letztendlich ja gar nicht passen können. Doch dies nur als Anekdote zum Schluss …

Weitere Infos gibt es im Übrigen bei [www.bangubiverse.com]http://www.banguniverse.com .

|Gebundene Ausgabe: 192 Seiten
ISBN-13: 978-3440111253|
[www.kosmos.de]http://www.kosmos.de

Badde, Paul – Grabtuch von Turin, Das (oder das Geheimnis der heiligen Bilder)

_Original oder Fälschung?_

Als das berühmte Grabtuch von Turin im vergangenen Jahr erstmals nach jahrzehntelanger Verhüllung wieder der Öffentlichkeit übergeben und damit auch sichtbar gemacht wurde, starteten gleichzeitig auch wieder jene altbekannten Spekulationen über die Echtheit und Originalität des historischen Relikts. Während Theologie und Wissenschaft sich in zwei Lager spalten, die auf der einen Seite belegen wollen, dass die Herkunft des Leinens keinesfalls aus jener Zeit stammen kann, andererseits aber aufgrund historischer Belege darauf schließen möchten, dass es sich hierbei tatsächlich um jenes Stück Stoff handelt, mit dem der Leichnam von Jesus von Nazareth seinerzeit bedeckt worden sein soll, wird gleichzeitig eine Art Fanatismus um jenes Tuch gestartet, der vor allem im Bereich des christlichen Glaubens seinesgleichen sucht. Ob es sich nun um ein Original oder doch um eine Fälschung handelt, will Paul Badde in seinem aktuellen Buch, welches er einzig und alleine der Geschichte um dieses vermeintliche Grabtuch widmet, gar nicht erst klarstellen. Stattdessen legt er schlichtweg die Fakten auf den Tisch, umrahmt diese mit vielen prächtigen Bildern und gibt der Faszination für eines der wichtigsten Relikte der Weltgeschichte einen völlig neuen Rahmen.

Dennoch lässt sich der Autor hin und wieder auf eine Gegenüberstellung der Pro- und Kontra-Fakten ein und beschäftigt sich näher mit den Aussagen von Kritikern, Zweiflern und den ihnen gegenüberstehenden Gläubigen. Dabei ist immer wieder interessant zu sehen, wie er sich gegen die wissenschaftlichen Fakten sträubt und selbst die frühzeitig eingesetzte Radiokarbon-Methode als keinen hundertprozentigen Beweis für die falsche Herkunftseinschätzung akzeptiert. Mit jenem Vorgang wurde 1988 geprüft, aus welcher Epoche der Stoff stammt, der unter bestimmten Lichtverhältnissen die Fassade eines Mannes entlarvt, der offenkundig mit diesem Tuch in Berührung gekommen ist – und bekanntermaßen wies bei der Analyse alles darauf hin, dass das Tuch in etwa um das 13. Jahrhundert entstanden sein muss. Umgekehrt sieht Badde keine Widersprüche im Beweis der Echtheit des Tuches, zu der er – so liest man es nicht nur zwischen den Zeilen – aufgrund seiner jahrelangen Studie und der umfassenden Gegenüberstellungen ganz klar tendiert. Der Autor scheint selbst vom Kult infiziert und von der Begeisterung angesogen, die jene Geschichten, die vor allem im Mittelalter immer wieder mit diesem Tuch in Zusammenhang gebracht wurden. Und so schildert er voller Begeisterung, wenn auch nicht zu stark vom Hype um jenen Gegenstand geblendet, wie das Tuch seinen Weg durch die europäische Geschichte gemacht hat, wo es Station machen musste, wie oft es verschollen war, wie häufig man befürchten musste, es sei auf seinem Weg zerstört worden und schließlich, wie heftig teilweise die Diskussionen verliefen, die um diese Thematik entbrannt waren.

Und gerade diese umfassenden Schilderungen machen „Das Grabtuch von Turin oder das Geheimnis der heiligen Bilder“ zu einer absolut lesenswerten Veröffentlichung, vorrangig geprägt von den jüngeren wissenschaftlichen Betrachtungen, hierbei mit vielen Widersprüchen gegenübergestellt, dann wieder von der Euphorie gelenkt, die ein solcher Fund auszulösen imstande ist und schließlich von Baddes sehr persönlichem Bezug zum Thema abgerundet, der unterm Strich womöglich die größte Bedeutung in diesem Buch hat. Nicht zu vergessen ist hierbei das tolle Bildmaterial, welches teilweise bekannt, teilweise aber auch sehr exklusiv ist und Baddes historischen Pfad beispielhaft zum Leben erweckt und maßgeblich dazu beiträgt, dass seine Dokumentation ganzheitlich aufregend wirkt – und gerade dieser Umstand hebt „Das Grabtuch von Turin oder das Geheimnis der heiligen Bilder“ sehr deutlich aus der Masse derartiger Werke heraus und weckt schließlich die Faszination für diese doch sehr spezielle Thematik!

|Hardcover: 160 Seiten
ISBN: 978-3629022615|
[www.droemer-knaur.de]http://www.droemer-knaur.de

Lorentz, Iny – Ketzerbraut, Die

_Iny Lorentz:_

Seit das Münchener Autorenpaar Ingrid Klocke und Elmar Wohlrath unter dem inzwischen als Selbstläufer bekanntem Pseudonym Iny Lorentz die Welt der Historienromane erobert hat, ist den beiden Schreibern ein Platz in den Bestseller-Listen quasi garantiert. Insbesondere die Geschichten um „Die Wanderhure“, die endgültig für den Durchbruch sorgten, gelten als denkwürdige Zeitzeugnisse der Renaissance des Genres und haben großen Anteil daran, dass vergleichbare Schreiber wie Wolf Serno und Sabine Ebert ihre Serien und Einzelromane trotz einiger weniger spektakulärer Inhalte wieder großflächiger an den Mann oder die Frau bringen konnten. Dennoch musste man zuletzt erkennen, dass die hiesigen Autoren nicht mehr ganz so bewegende, dafür umso deutlicher vorhersehbare Geschichten entwarfen. Exemplarisch hierfür sei der letzte Roman „Die Rose von Asturien“ genannt, der im Schmalz der Liebesgeschichte gefangen blieb, die wertvollen historischen Elemente dabei aber nicht mehr ergreifend herausarbeiten konnte.“Die Ketzerbraut“ soll diesen Umstand mit einer etwas härteren Story und einprägsameren Charakteren nun wieder umkehren.

_Story:_

München zu Beginn des 16. Jahrhunderts: Die angesehene Bürgerstochter Genoveva reist mit großen Erwartungen nach Innsbruck, wo sie den Sohn eines Geschäftspartners ihres wohlhabenden Vaters ehelichen soll. Doch die Kutsche wird unterwegs aufgehalten, ausgeraubt und der mitreisende Zwillingsbruder von den Gaunern ermordet. Veva selber fällt in die Hände der Räuber, wird jedoch nach wenigen Tagen von Benedikt Haseleger aus ihrem Versteck befreit und in den Schoß ihrer Familie begleitet.

Doch die unverhoffte Rettung scheint für Veva eher Fluch als Segen, da ihr infolge des Überfalls nachgesagt wird, sie sei nicht mehr rein. Verzweifelt versucht ihr Vater, seine Tochter doch noch unter die Haube zu bekommen, und landet schließlich beim bereits berüchtigten Frauenheld Ernst Rickinger. Jener genießt allgemein ein sehr dürftiges Ansehen, da er die Schriften Luthers verbreitet und zudem jedem Rockzipfel hinterherjagt. Auf Bestreben von Vevas strengem, aber auch schwer krankem Vater gehen die beiden in Augsburg den Bund der Ehe ein und sollen fortan von Jakob Fugger ‚erzogen‘ werden. Allerdings können die beiden ihr Glück zunächst nicht finden. Der als Ketzer verschriene Rickinger steht weiterhin im Dienste der Lutheraner, Vevas Häscher haben derweil noch eine Rechnung zu begleichen, und ihr neuer Ehemann verbirgt überdies noch einige weitere Geheimnisse, die die erzwungene Liebe auf eine harte Probe stellen …

_Persönlicher Eindruck:_

Die Herangehensweise, die Iny Lorentz in ihrem neuen Roman wählen, scheint auf den ersten Blick sehr gut gewählt. Im Gegensatz zu ihren vorherigen Titeln geht das Paar in „Die Ketzerbraut“ von der ersten Seite an sehr zielstrebig zu Werke und werfen ihre Leserschaft sofort ins kalte Wasser: Der Überfall auf die Kutsche leitet den Text ein, die Geschehnisse scheinen sich schon in den ersten Kapiteln zu überschlagen, und während man ansonsten sehr viel Zeit darin investieren muss, den anschaulichen Charakterzeichnungen zu folgen und die tragenden Persönlichkeiten der Geschichte kennenzulernen, ist es hier zunächst die Ausgangssituation, die gesteigerte Priorität genießt.

In diesem Sinne zeigt die Spannungskurve schon zu Beginn sehr steil nach oben und eröffnet dem Buch alle erdenklichen Möglichkeiten – und diese werden von Lorentz genutzt. Auch weiterhin geht es Schlag auf Schlag und man findet, ganz ungewohnt, kaum einmal Raum und Luft, die prägenden Ereignisse auf sich beruhen zu lassen und die Struktur der Erzählung anzunehmen. Erst mit der Eheschließung, die als Abschluss einer Serie von bewegenden Geschehnissen zu betrachten ist, geschieht ein erster Cut, der eine angenehme Ruhe in den Plot bringt, leider aber auch ein wenig abgehackt erscheint. Wurde man anfangs regelrecht überfallen, befindet man sich nun auf der Suche nach spannungsfördernden Ausweichmöglichkeiten, die dann aber nur behäbig gefunden werden – und leider auch nicht mehr so temporeich inszeniert werden, wie dies noch auf den ersten 200 Seiten der Fall war.

Nun mag Tempo im Rahmen eines Lorentz-Romanes kein typisches Qualitätsmerkmal sein, schließlich zählen hier andere Werte und Eigenschaften. Doch gerade die Art und Weise, wie das Autorenpaar sich hier für einen sehr wendungsreichen Start und eine wirklich sehr gelungene Inszenierung einsetzt, weiß zu begeistern und weckt Erwartungen, die man vorab vielleicht gar nicht haben konnte. Umso enttäuschender ist daher, dass man sich im Laufe des Textes immer mehr in unbedeutsamen Entwicklungen verstrickt, dabei oftmals auf (manchmal sehr anstrengende) Wiederholungen zurückgreift und der Geschichte zuletzt auch gar nicht erst einen Spannungsaufbau ermöglicht, wie er anhand der zentralen Inhalte durchaus umsetzbar gewesen wäre. Was könnte schließlich in einer vermeintlichen Liebesgeschichte einen aufregenderen Kontrast darstellen als einige mysteriöse Verschwörungen bzw. Geheimnisse auf Seiten des Bräutigams, die alles in Frage stellen, was diese, wenn auch erzwungene, Liebe eigentlich ausmachen sollte. Leider machen die beiden Autoren aus diesen Voraussetzungen – und unter Berücksichtigung ihrer fabelhaften Reputation – zu wenig. Zwar werden die einzelnen Stränge konsequent weiterverfolgt und auch logisch ausgearbeitet, doch gerade diese prägenden Passagen, dort wo man wirklich mehr Tiefe verlangt hätte, scheinen in diesem Zusammenhang beliebig und weniger bedeutend, obschon sie es sein müssten, die der Story Leben einhauchen und ihr eine dementsprechend lebendige Kolorierung schenken.

Nichtsdestotrotz ist „Die Ketzerbraut“ ein guter, insgesamt auch lesenswerter Roman, was vor allem damit zu begründen ist, dass Klocke und Wohlrath stilistisch mal wieder sehr souverän agieren und ihre partiellen inhaltlichen Schwächen damit auch weitestgehend kaschieren können. Zwar muss man hier und dort ein paar Längen in Kauf nehmen, maßgeblich initiiert von den angesprochenen Eigenzitaten, doch summa summarum wird man nicht bereuen, „Die Ketzerbraut“ gelesen zu haben. Nur einen Gedanken sollte man sich in mehreren Aspekten wiederholt aus dem Kopf streichen: Dieses Buch ist auch schon wie seinen jüngeren Vorgänger keinesfalls so brillant wie „Die Wanderhure“. Dafür ist die Story einerseits zu leicht durchschaut und die Figuren auf der anderen Seite nicht mit der vergleichbaren Leidenschaft gezeichnet.

|Hardcover: 720 Seiten
ISBN-13: 978-3426662441|
[www.droemer-knaur.de]http://www.droemer-knaur.de

_Iny Lorentz bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Kastratin“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=980
[„Die Reliquie“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3766

Morris / Goscinny, René – Lucky Luke – Gesamtausgabe 1987-1991

Die Jahre 1987-1991 haben in der langen Geschichte des Western-Helden Lucky Luke von vielen besonderen Ereignissen geprägt. Unter anderem zeichnen sie einige der ersten Werke auf, in denen Gründervater Goscinny nicht mehr aktiv an den Abenteuern beteiligt war. Ferner wurde die Serie in jener Zeit mit einigen bedeutsamen Preisen geehrt, einerseits für Stammtexter Morris, der die höchste Auszeichnung der Stadt Paris für seine Arbeiten erlangte, andererseits ein besonderer Preis der Weltgesundheitsorganisation, die „Lucky Luke“ dafür ehrte, dass der Hauptdarsteller dem Rauchen entsagte und damit eines der typischsten Charakteristika aus mehr als 35 Jahren Comic-Geschichte aufgab. Doch auch inhaltlich hatte jene Zeit es wirklich in sich, wie die Gesamtausgabe (die inzwischen bereits 20. ihrer Art) eindrucksvoll dokumentiert. Die hierzulande bei Ehapa vertriebene Reihe verzeichnet mit den Episoden 55, 56 und 63 drei der wichtigsten Comics jener Ära.

_Inhalt:_

|“Das Alibi“|

Ein renommierter Geschäftsmann bittet Lucky Luke darum, seine durchtriebene Tochter zur Vernunft zu bringen, indem der Cowboy ihr die raue Seite des Wilden Westens präsentiert. Luke inszeniert mit den unbeschränkten finanziellen Mitteln Raufereien, Schießereien und Überfälle – doch die zähe Dame scheint den Szenarien mehr als gewachsen …

|“Athletic City“|

Der schmächtige Bubi wird von Kindesbeinen auf verhöhnt: Kraftlos, ungeschickt und klein, wie er ist, wird aus ihm nie ein richtiger Mann. Als einige Damen ihn erneut mit seinen fehlenden Manneskräften aufziehen wollen, hilft Lucky Luke ihm mit wochenlangem Training auf die Beine. Doch der Muskelprotz, der nun aus ihm geworden ist, bleibt ein Sonderling, der nicht der Norm entspricht …

|“Olé Daltonitos“|

Gerade erst aus dem Gefängnis entlassen, überfallen die Daltons eine Kutsche mit vier begabten Stierkämpfern. In der nächsten Stadt nehmen sie deren ruhmreiches Leben an, müssen sich folgerichtig aber auch in der Arena beweisen – und das wird den vorlauten Banditen ehr schnell zum Verhängnis …

|“Ein Pferd verschwindet“|

Als Lucky Luke morgens aufwacht, findet er einen merkwürdigen Brief, den die Entführer von Jolly Jumper hinterlassen haben. Alsbald begibt er sich auf die Suche nach seinem geliebten Hengst, entdeckt aber nicht den Hauch einer Spur. Schließlich lacht er sich einen neuen Gaul an, der ihm bei der Wiederbeschaffung seines Vierbeiners helfen soll – und stößt dabei auf alte Bekannte …

|“Der Pony-Express“|

Der Postverkehr zwischen Ost- und Westküste lahmt und bringt vor allem den Empfängern der Sendungen reichlich Unruhe. Der erfinderische William H. Russell heckt einen Plan aus, nach dem die Kutschen demnächst innerhalb weniger Tage ihr Ziel erreichen sollen – und heuert hierzu niemand geringeren als Lucky Luke an. Gemeinsam wählen sie die schnellsten Reiter und geschicktesten Helden aus, mit deren Hilfe ein reibungsloser Transport gewährleistet werden soll. Doch die Betreiber der Eisenbahn versuchen alles, um die Pläne der Herrschaften zu sabotieren …

|“Gedächtnisschwund“|

Als die Daltons bei einem vergeblichen Ausbruchsversuch erfahren, dass Amnesie-Patienten problemlos aus dem Knast entlassen werden, spielen sie den Gesetzeshütern ebenfalls einen Gedächtnisschwund vor. Der Plan scheint zu funktionieren, da ihr zeitweiliger Aufpasser Lucky Luke keine verdächtigen Machenschaften bei seinen Beobachtungen entdecken kann. Dennoch bleibt der Cowboy hartnäckig und wartet auf das kleinste Indiz, welches die vier Brüder entlarven könnte …

_Persönlicher Eindruck:_

Die mittlerweile bereits 20. Folge der „Lucky Luke Gesamtausgabe“ hat es mal wieder in sich: Auf mehr als 150 Seiten verteilen sich zunächst vier Kurzgeschichten und schließlich die Komplettepisoden um den Pony-Express und die erfinderischen Daltons – und diese Mischung harmoniert sehr gut.

Gefallen findet man vor allem am Kontrastprogramm von Morris und Co. Es sind nicht ausschließlich die Daltons, die eine zentrale Rolle in den sechs Geschichten einnehmen, auch wenn sie hier und dort immer mal wieder präsent sind. Die Jahre 1987 bis 1991 haben ferner auch Episoden hervorgebracht, in denen Luke sich ganz anderen brisanten Situationen ausgesetzt sieht, so zum Beispiel im dauerhaften Kleinkrieg mit den Eisenbahn-Betreibern, die mit aller Macht versuchen wollen, die Konjunktur der Postkutsche zu untergraben. Genau jene illustrierte Erzählung ist schließlich auch das Highlight des schmucken Hardcover-Bandes, weil sie einerseits sehr erfinderische Wendungen nimmt, andererseits aber auch mit einem sehr ironischen Humor glänzt, der auch über die lockere Zunge der beiden Hauptdarsteller Lucky Luke und Jolly Jumper hinausgeht. Dem gegenüber ist die zweite Geschichte mit Überlänge nicht ganz so überragend, da es Morris gerade zum Schluss nicht mehr ganz so gut gelingt, die Kurve zu bekommen und die Story glaubhaft auf den Punkt zu bringen. Bisweilen muten die inhaltlichen Irrungen zu abgedreht an, und selbst wenn man dies als eines der Merkmale der „Lucky Luke“-Historie längst kennt, würde man sich wünschen, dass auf den letzten Seiten etwas mehr Stringenz geboten wäre.

Die Kurzgeschichten wiederum leben gerade wegen ihres Wortwitzes, ihrer charmanten Darsteller und den vielen Augenzwinker-Momenten auf. Wenn die übergewichtige Tochter ihrem Vater zeigt, was eine Harke ist und schließlich den Überfällen von Indianern ebenso trotz wie den rauen Sitten in den Saloons, bleibt kein Auge trocken. Aber auch die Wandlung vom Strich in der Landschaft zum Muskelprotz ist ein Augenschmaus, lediglich noch übertroffen von den unbeholfenen Daltons, die sich in der Arena vom Stier auf die Hörner nehmen lassen und sich ein weiteres Mal mehr zugemutet haben, als sie mit ihrer Cleverness und ihrer Aggressivität bewältigen können.

Hinzu kommen schließlich einige Anekdoten und Linernotes, in denen man ein wenig mehr über die historische Einordnung jener Comics erfährt, in denen aber auch der Wandel auf Seiten der Illustratoren dokumentiert wird. Claude Guylouis, der unter mehreren Pseudonymen eine entscheidende Rolle zu dieser Zeit spielte und die Geschichten um den coolen Helden mit dem weißen Hengst maßgeblich prägte, wird beispielsweise näher vorgestellt, weiterhin aber auch einige Randbemerkungen zu diesen drei hier versammelten Kapiteln angeführt. Dies in Kombination mit den sehr interessant gemischten, teils historisch belegten, teils humorvollen Themen macht auch die „Gesamtausgabe 1987-1991“ zu einem wertvollen Stück Comic-Geschichte, die sich nicht nur beinharte Fans der „Lucky Luke“-Reihe zwingend ins Regal stellen sollten!

|Hardcover: 158 Seiten
ISBN-13: 978-3770421527|
[www.ehapa-comic-collection.de]http://www.ehapa-comic-collection.de

Meyer, Kai – Herrin der Lüge

_Story:_

Gemeinsam mit ihrem Bruder Faun und ihrem strengen Vater reist die junge Saga von Stadt zu Stadt, um mit ihrem Gauklerzirkus ihren Lebensunterhalt einzustreichen. Auf der Burg Lerch hat die Reise jedoch ein jähes Ende: Faun wird für eine Gaunerei eingekerkert, seine Schwester ebenfalls für schuldig erklärt. Doch die Herrscherin Violante erfährt alsbald von Sagas besonderer Fähigkeiten, die Menschen mit ihren Lügen zu vereinnahmen. Der ihr eigene Lügengeist soll dazu dienen, neue Mitstreiter zu manipulieren und ein Heer von Jungfrauen anzuwerben, mit denen Violante schnellstmöglich ins Heilige Land einmarschieren will, um ihren schmerzlich vermissten Gatten zu suchen. Saga soll die neue ‚Magadalena‘ werden, eine ganze Armee anführen und schließlich als Machtwerkzeug der Gräfin zur Geheimwaffe werden.
Ohne jegliche Alternative lässt sich das junge Mädchen auf den Pakt ein und führt tatsächlich in wenigen Tagen eine kleine Streitmacht zusammen, die gemeinsam mit ihr und Violante nach Jerusalem ziehen soll. Allerorts schließen sich neue Frauen dem Lügenmarsch an, lassen sich verführen und von der vermeintlich edlen Motivation beeindrucken. Doch die Reise ist beschwerlich und fordert nicht nur Durchhaltevermögen, sondern auch das Geschick in der Schlacht. Eine Menge Blut muss fließen, bis das feminine Heer im Land der Kreuzzüge Station machen kann, nur um dort eine furchtbare Wahrheit anzuerkennen …

Derweil hat sich Faun aus dem Kerker der Burg befreien und die Verfolgung aufnehmen können. Unterwegs trifft er die geheimnisvolle Tiessa, mit der er die Reise, immer dicht auf den Fersen seiner Zwillingsschwester, fortsetzt. Lediglich der Wunsch und der unbändige Wille, Saga aus den Klauen ihrer neuen Vorgesetzten zu befreien und weiteres Unheil abzuwenden, treibt ihn weiter an. Doch auch er muss feststellen, dass eine Menge Opfer gebracht werden müssen, um dem Pfad der Jungfrauen weiter folgen zu können – und dass Saga inzwischen nicht mehr die Person ist, die seinerzeit mit ihm von Burg zu Burg gewandert ist …

_Persönlicher Eindruck:_

Dass Kai Meyer zu den wohl bedeutsamsten Autoren auf dem hiesigen Markt zu zählen ist, bedarf sicher keiner expliziten Erwähnung mehr. Seine Romane, die immerzu von einer Kombination aus düsteren Fantasy-Elementen, historischer Grausamkeit und einer immensen Abenteuerlust gezeichnet sind, finden regelmäßig ihre Position in den Bestseller-Listen und sind längst mehr als Geheimtipps für geschichtlich interessierte Buchliebhaber.

„Herrin der Lüge“ reiht sich nun perfekt in die Anthologie des Schreibers ein und gehört zu den ambitioniertesten, aber auch heftigsten Werken, die seiner Feder bis dato entsprungen sind. Die Geschichte ist fiktiv, wenn auch in einem realen Setting platziert, bewahrt sich aber diese typische Härte und diese dichte Atmosphäre, für die sein Werk in all den Jahren immerzu gerühmt wurde. Und dennoch: Irgendwie ist das 800 Seiten starke Mammut-Stück im Katalog eines Kai Meyer immer noch etwas Besonderes.

Wirklich hervorzuhaben sind hier zu aller erst die feinen Charakterzeichnungen, die sich in „Herrin der Lüge“ auch über die offenkundigen Protagonisten hinweg bewegen. Natürlich sind es Faun und besonders Saga, dazu die tyrannische Violante und die schüchterne, undurchdringliche Tiessa, die mit viel Liebe zum Detail ihr Profil gemalt bekommen. Aber überdies gibt sich Meyer auch unheimlich viel Mühe, all die Weggefährten, Randfiguren und Streckenpartner in Szene zu setzen, die allesamt eine mehr oder weniger elementare Rolle in der Geschichte einnehmen. Der Autor erzielt durch diese personenverliebte Darstellung schnell individuelle Sympathiewerte, selbst bei denjenigen Charakteren, deren Motive eher anrüchig oder gar egoistisch und abstoßend sind, schlichtweg, weil man sich schnell in deren eingängige Positionen hineinversetzen kann. Selbst Violante, zu der man aufgrund ihrer selbstverliebten Züge und ihrer kompromisslosen Vorgehensweisen schnell eine Abneigung entwickeln sollte, findet eine gewisse Identifikation, da ihr handeln jederzeit nachvollziehbar bleibt und zwischenzeitlich auch menschliche Züge ausgegraben werden, die man bei einer offensichtlich bösen Persönlichkeit nicht dringend vermutet.

Ähnlich umfangreich gestaltet Meyer daher auch die Schauplätze und die teilweise sehr kontrastreichen Szenarien. Obschon Saga und Faun mit ihrer jeweiligen Anhängerschaft die gleichen Orte bereisen und identische Stationen antreffen, weicht die Beschreibung und Präsentation der einzelnen Stätten dank einer völlig anderen Schwerpunktgestaltung doch immens voneinander ab. Der Autor gibt einem nie das Gefühl, zwei gleiche Begebenheiten ein zweites Mal zu erleben, wenngleich dies rein logistisch betrachtet permanent auf der Hand liegt. Doch mit viel Fantasie, der Gabe, jedes kleinste Detail sehr markant und einprägsam zu gestalten, und schließlich dem Umstand, sehr ausschweifend zu werden, ohne den Kern aus den Augen zu verlieren, entwickeln sich selbst die kleinen Dinge in „Herrin der Lüge“ zu einem atemberaubenden Erlebnis, welches auch abseits des inhaltlichen Themenschwerpunkts viele Highlights postiert. Was dies betrifft, ist Kai Meyer erwartungsgemäß wieder sehr souverän und gerade zum Schluss unantastbar.

Bleibt noch der enorme Umfang des Buches, der auch im Hinblick auf das nicht wirklich komplexe Storyboard, viele Tücken in sich birgt, über die der Autor aber niemals stolpert. Vermeintliche Längen werden durch rasante Wechsel und spektakuläre Wendungen umschifft, zunächst weniger bedeutsam anmutende Entwicklungen behalten ihre Spannung dank der angesprochenen Detailverliebtheit, die bereits zu Beginn sehr komplett erscheinenden Charaktere liefern dennoch immer wieder Raum für Wachstum, und da die Geschichte bis zur letzten Seite auch nicht durchschaubar ist, sind die Aufregung und das Abenteuer in jedem kleinen Fetzen des Buches garantiert. Damit ist Meyer mal wieder das gelungen, woran ein mittlerweile recht hoher Teil der historisch motivierten Schreiber scheitert: Die Vergangenheit lebendig zu machen, die Phantastik real erscheinen zu lassen und darüber hinaus Figuren zu erschaffen, die auch nachhaltig in Erinnerung bleiben. Ob „Herrin der Lüge“ daher Meyers bestes Werk ist, mag man angesichts seines hochwertigen Katalogs nun nicht behaupten. Fakt ist jedoch, dass der deutsche Autor wiederholt eine Geschichte kreiert hat, die zur saisonalen Spitze gehört, aber auch darüber hinaus als zeitloses Werk Gewicht haben wird. Stark! Einfach nur sehr stark!

|Broschiert: 848 Seiten
ISBN-13: 978-3404158911|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

_Kai Meyer bei |Buchwurm.info|:_
[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Dschinnland“ 5340 (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
[„Dschinnland“ 5635 (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
[„Wunschkrieg“ 5744 (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
[„Wunschkrieg“ 5641 (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
[Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ 5809 (Graphic Novel)

|Die Alchimistin – Das Hörspiel:|
1) [„Der Stein der Weisen“ 5052
2) [„Das Erbe des Gilgamesch“ 5155
3) [„Die Katakomben von Wien“ 5220
4) [„Das Kloster im Kaukasus“ 5263
5) [„Die Unsterbliche“ 5379
6) [„Die Schwarze Isis“ 5406
7) [„Der Schatz der Templer“ 5427
8) [„Der Alte vom Berge“ 5448

|Die Sieben Siegel|:
01 [„Die Rückkehr des Hexenmeisters“ 6209
02 [„Der schwarze Storch“ 6210
03 [„Die Katakomben des Damiano“ 6211
04 [„Der Dornenmann“ 6212
05 [„Schattenengel“ 6213
06 [„Die Nacht der lebenden Scheuchen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6580
07 [„Dämonen der Tiefe“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6581
08 [„Teuflisches Halloween“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6582
09 [„Tor zwischen den Welten“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=6583

Edwardson, Åke (Ake) – letzte Winter, Der

Mit „Der letzte Winter“ geht offenkundig eine Ära zu Ende – und somit ist der doppeldeutige Titel von Åke Edwardsons Roman auch durchaus wörtlich zu nehmen, da sich der schwedische Autor nach dieser zehnten Episode endgültig von seinem langjährigen Wegbegleiter Erik Winter verabschieden wird. Der letzte, sehr sentimentale Fall um einige eigenartige Morde und damit einhergehende Verstrickungen ist somit vielleicht auch der zeitweilige, womöglich endgültige Abschied des mehrfach ausgezeichneten Bestseller-Schreibers von der Krimi-Bühne. Fragt sich also, ob Edwardson ihn auch mit Würde vollzieht.

_Story:_

Der Tod seines einstigen Begleiters Bergenholm lastet immer noch schwer auf Erik Winters Gemüt. Zurückgezogen und nur noch schwerlich zu motivieren verbringt der Star-Kommissar seinen Urlaub auf dem gemeinsamen Anwesen seiner Familie in der Nähe des Meeres. Doch die Idylle ist begrenzt; als eines Tages eine Leiche vor seinem Feriendomizil angeschwemmt wird, wird Winter wieder gnadenlos vom Ermittler-Alltag eingeholt.
Derweil steht auch das Morddezernat in Göteborg Kopf. Die Leiche einer Frau gibt den Beamten Rätsel auf, da die Umstände ihres Mordes kaum nachvollziehbar sind. Ihr Ehegatte behauptet, er sei morgens aufgewacht und habe seine Frau in jenem erbärmlichen Zustand aufgefunden. Für die Polizisten steht alsbald fest, dass er nicht nur der Hauptverdächtige, sondern auch der einzig mögliche Täter ist. Kurz darauf bringt ein ähnlicher Tathergang die Ermittler jedoch in Zweifel. Die aufstrebende junge Polizistin Gerda Hoffner, die ebenfalls einige düstere Kapitel ihrer Vergangenheit aufzuarbeiten hat, war an beiden Tatorten zugegen und hat bereits erste Vermutungen. Eines Tages beschließt sie, ihr Wissen Erik Winter anzuvertrauen und die Ermittlungen auf diese Weise voranzutreiben. Während Winter sich endlich wieder seiner Leidenschaft hingibt und an der Aufklärung des Falles arbeitet, beginnt für seine junge Kollegin die Zeit des Grauens – sie ist zu tief eingedrungen und wird nun selber zum Spielball des Mörders …

_Persönlicher Eindruck:_

Krönender Abschluss oder erzwungener Schwanengesang? Åke Edwardson hatte es in der Hand, dem ruhmreichsten Kapitel seiner Karriere als Schriftsteller die Krone aufzusetzen und mit einem letzten Paukenschlag würdig abzutreten. Allerdings hat der Autor von „Der letzte Winter“ sich hier offenkundig zu sehr auf sein Reputation und diejenige seines Protagonisten verlassen, der ihm immerhin neun exquisite, gefeierte Fälle geliefert hat. In seiner abschließenden Geschichte knüpfen Autor und Hauptdarsteller allerdings nur noch marginal an die alten Glanzzeiten an; zu gequält die Story, zu farblos die Charaktere, zu mühevoll die gesamten Ansätze.

Bereits der Einstieg ist von einer Schwerfälligkeit begleitet, von der man sich leicht herunterziehen lässt. Winter ist gezeichnet vom schweren Verlust, sein Kontrapart Hoffner leidet unter dem Ende einer Beziehung, und die hierdurch ausgelöste Melancholie zieht sich wie ein endloser Schleier über die Handlung und gibt vor allem den kriminalistischen Inhalten kaum Spielraum. Dies versucht Edwardson damit zu kaschieren, dass er viele Eckpunkte der Story geheimnisvoll gestaltet und vor allem die Entwicklungen in den Mordfällen sehr offen gestaltet. Alles ist möglich, jede Wendung wäre nachvollziehbar. Doch gerade dadurch wirken viele Schritte schwammig und beliebig, manchmal auch weit hergeholt. Dass es die Beamten beispielsweise mehrfach nach in eine schwedische Urlaubsprovinz in Spanien zieht, scheint ein Notanker zu sein, da die Story an Ort und Stelle nicht mehr weiterkommen kann. Doch auch hier hinkt die Aufklärungsarbeit, einmal mangels Tempo, andererseits aber auch wegen der ermüdenden Schreibweise, die jeglichen Anflug von Spannung leider auch schon wieder nach wenigen Seiten killt.

Erst nach zwei Dritteln nimmt „Der letzte Winter“ etwas mehr Fahrt auf und bringt die einzelnen Puzzlestücke zusammen. Und dennoch bleibt die Erzählung relativ unspektakulär und wird dem Vermächtnis der Kriminal-Ikone Erik Winter nur sehr, sehr eingeschränkt gerecht. Und diese Lücke kann auch von seinen neuen Sidekicks nicht gefüllt werden, wenngleich Gerda Hoffner als zweite entscheidende Persönlichkeit eine ganz gute Figur abgibt. Es ist einfach nicht zu übersehen, dass Edwardson im Bezug auf seine Romanfigur deutliche Ermüdungserscheinungen aufweist und sich nicht mehr in dem Maße auf ihn und sein Umfeld einlassen kann, wie es Winter und auch die Leserschaft verdient hätten. Zu behaupten, die Story sei durchweg langweilig, wäre vielleicht übertrieben, doch sie schleppt sich sehr behäbig durch viele langatmige Kapitel, mutet im Spannungsaufbau einige Entbehrungen zu und kommt selbst im relativ reserviert ausgearbeiteten Finale nicht so recht auf den Punkt.

Insofern fragt sich, ob der Autor sich mit diesem eher halbgaren Titel überhaupt einen Gefallen getan hat. Die Möglichkeit, Winter zu begraben, hätte bereits nach dem letzten Buch bestanden, ohne hierbei offene Fragen zu hinterlassen. Derart unbefriedigend wie im zehnten Teil dieser Serie möchte man ihn nämlich nicht aus seiner Arbeit entlassen, muss aber schließlich akzeptieren, dass die Ambitionen des schwedischen Bestseller-Schreibers heuer nicht mehr ganz so groß sind, wie sie es einst waren. Oder zumindest spürt man nicht, dass dem bei der Erstellung von „Der letzte Winter“ noch so war. Die Winter-Reihe endet daher mit ihrer schwächsten Episode – und das ist unter Berücksichtigung der vielen großartigen Momente dieser fortgesetzten Geschichte, sehr bedauerlich!

|Hardcover: 512 Seiten
Originaltitel: Den sista vintern
ISBN-13: 978-3550087134|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de

_Åke Edrwardson bei |Buchwurm.info|:_
[„Rotes Meer“ (Hörbuch]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5192
[„Segel aus Stein“ (Hörbuch)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5274
[„Zimmer Nr. 10“ (Hörbuch)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2792

Nevo, Eshkol – Wir haben noch das ganze Leben

_Story:_

Alle vier Jahre werden die vier Jugendfreunde Churchill, Amichai Ofir und Juval für eine kurze Zeit fanatisch; in allen schwierigen Lebenssituationen ist es ihnen bis hierhin gelungen, ihre Leidenschaft für den Fußball zu teilen und die Weltmeisterschaften um das begehrte Leder gemeinsam zu verfolgen. Dies ist 1998, zur Zeit des Weltereignisses in Frankreich, nicht anders. Gemeinsam schauen sie in ihrer Tel Aviver Wohnung das Finale und nutzen auf Anraten Amichais die Gelegenheit, ihre persönlichen Ziele und Träume zu notieren, um sie bei der nächsten WM dann auch für alle anderen publik zu machen und zu bewerten.

Jedoch entpuppen sich die hier verankerten Sehnsüchte und Hoffnungen schon bald als Traumschlösser, die mit dem Alltag der Endzwanziger kaum mehr zu vereinbaren ist. Vor allem Juval, der sich sein Familienglück wünscht, muss eine schwere Zeit durchleben, da sich seine Geliebte Jaara eines Tages für seinen besten Freund Churchill entscheidet. Aber auch Ofir, der mit seinem Job in der Werbebranche unzufrieden ist, und Amichai müssen schwere Schicksalsschläge durchleben und verlieren ihre Ziele zwischenzeitlich gänzlich aus den Augen. Es scheint Churchill vorbehalten, sein Glück zu finden und für seine Zielstrebigkeit und Offenheit belohnt zu werden: Doch auch ihn ereilt der Einbruch, zunächst im beruflichen Alltag, dann auch in der Liebe – ganz zur Freude von Juval, der seinem Freund diesen Fehltritt nie wirklich verzeihen konnte. Doch was ist wirklich stärker? Ist es die Freundschaft unter vier gleichgesinnten Männern oder doch die von Missgunst und Leid erfüllten Einstellungen, die sich zwischen jenen beiden Sportereignissen ansammeln? Vier Jahre später bekommt das Quartett schließlich die lang ersehnte Möglichkeit, das Leben der jüngeren Vergangenheit Revue passieren zu lassen …

_Persönlicher Eindruck:_

Eshkol Nevo hat mit seinem aktuellen Roman definitiv etwas Besonderes, irgendwie aber auch Eigenartiges geschaffen. „Wir haben noch das ganze Leben“ ist kein Buch, welches von Spannung, einer nachvollziehbaren Stimmungskurve oder rasanten Wendungen lebt – auch wenn es hier vor allem auf emotionaler Ebene genügend sphärische Wechsel gibt, die hiermit vergleichbar wären. Allerdings hat der Autor völlig andere Ambitionen, eigene Sehnsüchte und Ansprüche an sein Schriftwerk, die viel tiefer gehen als es so mancher beeindruckende Thriller oder Krimi je erreichen könnten.

Nevo taucht ab in die Welt vier gleichaltriger Männer, die so viele Leidenschaften teilen, darunter die des Fußballs, die sie auch in den außergewöhnlichsten Situationen zu einer Zusammenkunft bewegen. Selbst Krankenhausaufenthalte und die Berufung zur Armee haben ihn dies nicht nehmen können und somit einen Fixpunkt geschaffen, an denen sich die Freundschaft als oberflächlicher gemeinsamer Nenner immer klammern kann. Ausgehend hiervon erstellt der Autor das Profil eines jeden einzelnen von ihnen, angefangen beim selbstbewussten, teils auch überheblichen Churchill über den rationalen Ofir bis hin zu Juval und Amichai, die wesentlich sensibler sind, gerade deswegen aber auch zu den schicksalsgeplagten Personen im Rahmen der Handlung avancieren. Und was Nevo aus diesen Charakteren, die an sich so gewöhnlich und bodenständig sind, denen jegliche Extravaganz abgeht, herausholt, ist zunächst beeindruckend, später einzigartig und am Ende einfach nur faszinierend.

Was dieses Buch so einzigartig macht, ist die Art und Weise, wie man mit den vier tragenden Säulen, sprich den Hauptfiguren, umgeht. Sie sind so gewöhnlich, absolut nicht befremdlich, in irgendeiner undefinierbaren Form aber doch unnahbar, da sie mit ihren persönlichen Tiefschlägen leben müssen und Situationen durchleben, die an sich so alltäglich sind, die aber am Ende doch so bewegend und schwierig sind, weil sie dann wieder sehr individuell und einzigartig bleiben. Man kann sich sehr gut in den dominanten Churchill hineinversetzen, dem selbstbewussten, manchmal auch egoistischen Menschen, der seine Ziele vielleicht am deutlichsten vor Augen hat und nicht so viel investieren muss, um diese auch zu erreichen.

Er ist ein fortschrittlicher Typ, oftmals auch verwöhnt und mit dem größten Durchsetzungsvermögen ausgestattet, gerade deswegen aber auch so anfällig für Misserfolge und Rückschläge, sodass seine Entwicklung vielleicht auch am ehesten nachzuvollziehen ist. Dem gegenüber steht der introvertierte Juval, ein von Melancholie und gelegentlichen Selbstzweifeln angetriebener Charakter, der viele positive Grundzüge in sich trägt, mit denen man auch sofort sympathisiert. Und dennoch bleibt er ein bekannter Fremder, eine Romanfigur, mit der man sich anfreundet, deren Leid man teilt, zu dem aber doch eine sehr angenehme Distanz gewahrt wird, die einem nie das besondere Element raubt. Und so kann man auch mit den übrigen Protagonisten fortfahren: Sie wirken vertraut, dies aber nur bis zu einem gewissen Punkt, von dem an man dann auch wieder zu spüren bekommt, dass ihre Persönlichkeit speziell bleibt und vielleicht doch nicht so einfach mit hiesigen Lebenssituationen vergleichbar sind, da so viele Faktoren diese Geschichte bestimmen, die in unserer Gesellschaft heute verloren gegangen sind oder einfach nicht mehr mit mancher, anti-emotionaler Entwicklung in Einklang zu bringen sind, die den Europäer des 21. Jahrhunderts bestimmen.

Insofern wagt Eshkol Nevo einen kontinuierlichen Rückzug zur Basis des Menschlichen, bringt Probleme auf den Punkt, die so nah und doch so fern sind, vereint diese in den Persönlichkeitsstrukturen dieser vier Menschen und erzählt währenddessen noch eine wunderschöne Geschichte, die zum Träumen einlädt, aber auch nie den Gedanken verliert, wie hart und ernst der Alltag ist und immer sein wird. Dass die politischen Entwicklungen in Israel hierbei auch eine bestimmte Rolle spielen, die vereinzelten Erwartungen ans Leben der vier Männer aus Tel Aviv stark von den unsrigen differenziert werden und Werte aufgegriffen werden, die stellenweise wie ein Relikt aus einer vergessenen Zeit anmuten, unterstreicht diesen außergewöhnlichen Eindruck eines Buches, welches vielleicht Personen wie Du und Ich in den Vordergrund bringt, aber an entscheidenden Stellen immer so weit abhebt, dass man das eigentlich Gewöhnliche als etwas Spektakuläres, Intensiver, aber leider nicht mehr permanent Greifbares wahrnimmt – und in der Selbstreflektion auch so akzeptieren muss.

Wenn die vier Herren sich schließlich zur WM 2002 in ihrem Wohnzimmer sammeln und die offengelegten, schriftlich verankerten Träume ins Gespräch bringen, wähnt man sich am Ende einer Traumreise durch den Alltag – und am Ziel eines vierjährigen Erlebnisses mit allen Höhen und Tiefen, die das Leben mit sich bringt. Die Wirkung dessen in Worte zu fassen, scheint derweil unmöglich. Doch „Wir haben noch das ganze Leben“ ist wohl am besten mit den banalen Begriffen ’schön‘ und ‚beeindruckend‘ zusammenzufassen. Und all dies mit der hier gebotenen Kontinuität aufrechtzuerhalten, ohne einen Einbruch in einer vermeintlich langatmigen Passage zu erleben oder bei der verzweifelten Suche nach Spannung aufzugeben, macht Nevos Titel zu einer sehr universellen Arbeit, in die sich wirklich jeder Liebhaber der modernen, gesellschaftlich inspirierten Belletristik auf Anhieb verlieben wird. Ganz bestimmt!

|Broschiert: 440 Seiten
Originaltitel: Mashala echat yamina
ISBN-13: 978-3423247900|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de

Lupano, WIlfried (Autor) / Augustine, Virginie (Zeichner) – Alim der Gerber 3: Der weiße Prophet

_Alim der Gerber_
Band 1: [„Das Geheimnis des Wassers“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6260
Band 2: [„Die Verbannung“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6261
Band 3: _“Der weiße Prophet“_
Band 4: „Dort wo die Blicke brennen“

_Story:_

Alim hat sich inzwischen mit seiner Gefangenschaft abgefunden und reist als dämonisches Mitbringsel des selbst ernannten Hexers Um’Guz durch die Lande. Als die beiden auf den Karawanenführer Gumseh stoßen, der in Alim jemanden erkennt, der den Leuten ähnelt, die sein Volk befreit haben, gelingt es ihm, Alim nach zehnjähriger Abhängigkeit loszueisen. Doch der Gerber ist nicht wirklich glücklich; seine Tochter wurde ihm entrissen, und auch zu Pepeh besteht kein Kontakt mehr. Als Gumseh ihn in die Stadt Birrmo führt, erhofft er sich einen Neuanfang – doch davon kann erst einmal nicht die Rede sein.

Birrmo wurde nämlich inzwischen von Kholeb unterworfen, jenem finsteren Herrscher, der die übrigen Mitglieder des Iasubiner-Rates töten ließ, weil er lediglich sich selbst als den legitimen Nachfolger von Jesameth akzeptieren möchte. Als Torq Djihid die neue Stadt aufsucht, sieht Kholeb seine Errungenschaft jedoch in Gefahr und speist den Kriegsherren zunächst mit einem Posten in der Ferne ab. Doch der große Anführer ist auf Djihids Hilfe angewiesen, als er erfährt, dass die Suche nach dem großen Propheten auf einer geheimnisumwitterten Insel ihr Ende finden wird. Kholeb plant eine Expedition unter der Führung von Torq Djihid – und an der Seite von Alim, Gumseh und Um’Guz, die mehr oder weniger zufällig in die Geschehnisse geraten sind, nun aber nicht mehr fliehen können. Wird Alim nun endlich seine Tochter wiederfinden?

_Persönlicher Eindruck:_

Vermutete man nach den ersten Episoden noch eine etwas variantenreichere Geschichte aus 1001 Nacht, muss man spätestens mit der Veröffentlichung von „Der weiße Prophet“ einsehen, dass „Alim der Gerber“ weit über die typischen Fantasien der Märchen aus Fernost hinausgeht. Die Story ist inzwischen unheimlich komplex geworden, spielt sich parallel auf vielen voneinander abhängigen, vorerst aber noch losgelösten Ebenen ab und springt dann auch noch durch die Zeit, da Inhalte aus der erzählerischen Vergangenheit und der aktuellen Jetztzeit aufeinander aufbauen, auch wenn ihr Zusammenhang stellenweise noch nicht ganz so transparent ist, wie man es sich zu gegebenen Zeiten der Handlung wünschen würde.

Im dritten Band wagt Autor Lupano zudem einen ziemlich großen Schritt in die Zukunft und lässt die bisherigen Ereignisse vorerst hinter sich. Eine kurze Rückblende auf die Trennung von Alim und Bul geht der eigentlichen Story voraus, bevor man dann eine ganze Dekade nach vorne blickt und die Charakterprofile dementsprechend auch ziemlich stark verändert. Der einst lebenslustige, manchmal auch dreiste Alim ist ein gebrochener Mann, einem Sklaven gleich, und hat seinen Zweckoptimismus nahezu gänzlich über Bord geworfen. Die alten Bande sind getrennt, die Verbindungen zu seiner Tochter ebenso abgebrochen wie sein eigenartiges Bündnis mit dem greisen Pepeh, und überdies hat sich auch die Situation im Land sehr krass verändert, weil der große Anführer Kholeb inzwischen einen echten Triumphzug gestartet hat, sich über göttliche Gesetzte hinwegsetzen konnte und nun kurz davorsteht, das gesamte Volk zu unterwerfen.

Mitten in dieses Szenario wird der Leser schließlich hineinkatapultiert, teils natürlich mit einer gewissen Vorahnung, die auf den Geschehnissen der vorangegangenen Episode fußt, dann aber auch wieder eiskalt erwischt, weil die Schritte, die der Autor hier wagt, schon relativ groß sind und den gesamten Handlungskomplex noch immens erweitern. Die Ausgangssituation hat sich komplett verändert, die einzelnen Charaktere sind partiell nicht mehr wiederzuerkennen oder werden im Kern der Story sogar gänzlich ausgespart – und damit muss man sich erst einmal auseinandersetzen, bevor man wieder zum zentralen Punkt der Erzählung zurückfindet und sich auch wieder ungehemmt darauf einlassen kann.

Das Risiko, welches Lupano hiermit eingeht, wird aber langfristig belohnt, weil einige entscheidende Fäden wieder aufgenommen werden und vereinzelt auch Passagen aus der Vergangenheit peu a peu abgerundet werden. Die wichtigen Figuren bleiben erhalten, ihre Motive sind durchschaubar, und da man die vorrangigen Eckpunkte der Story irgendwann auch wieder griffbereit vor sich sieht, verliert man sich auch nicht in irgendwelchen konfusen Entwicklungen, die zwar irgendwie präsent sind, sich aber am Ende nicht durchsetzen.

Ganz nebenbei verliert der Autor auch jene Ironie nicht aus den Augen, die relativ zielgerichtet, aber nicht erzwungen oder gewollt über dem Ganzen schwebt. Religiöser Fanatismus wird hier ebenso mit einem süffisanten Beigeschmack eingeflochten wie die Leichtgläubigkeit des einzelnen Volkes oder die Tyrannei eines unterm Strich sehr ungeschickten Führers. Dieser Biss in Kombination mit der sehr guten, wenn auch nicht immer leicht durchschaubaren Story zeichnet „Der weiße Prophet“ und insgesamt auch „Alim der Gerber“ aus und verpassen der Serie auch im dritten Kapitel ein Format, welches man nicht nur gerne weiterempfiehlt, sondern von dem man auch künftig noch eine ganze Menge erwartet. Jetzt ist es nur noch am Autor selber, die einzelnen Bausteine geschickt zusammenzusetzen und die vielen offenen Fragen zu beantworten. Doch angesichts der gewagten, aber klugen Entwicklungen, die die Serie derzeit durchlebt, braucht man sich diesbezüglich wohl keine Sorgen machen – denn auch wenn viele Inhalte chaotisch zusammengewürfelt wirken, so geht das Gefühl nie verloren, dass Lupano alle Zügel fest in der Hand hält und die Story ungeachtet ihrer unkonventionellen Verzwickungen ihren Weg geht. Und das unterscheidet einen guten Comic von einem herausragenden, welcher „Alim der Gerber“ bis hierhin definitiv ist!

|Graphic Novel: 56 Seiten
ISBN-13: 978-3940864956|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

Dufaux, Jean (Autor) / Xavier, Philippe (Zeichner) – Feuertrichter, Die (Kreuzzug 4)

_|Kreuzzug|:_

Band 1: [„Simoun Dja“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5720
Band 2: [„Der Qa’Dj“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5722
Band 3: [„Herr der Maschinen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7213
Band 4: [„Die Feuertrichter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7214

_Story:_

Gunther von Flandern hat den Aar besiegt und seine Freiheit erkämpft; nun bricht er auf, um dem Djinn sein Friedensangebot zu machen und mit seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen. Wider Erwarten zeigt sich der einstige Geliebte seiner Mutter gefügig und akzeptiert die Auflagen, die Gunther ihm für einen letzten Blick auf das Bild seiner Mutter abverlangt. Doch Gunther muss dennoch einen herben Rückschlag einstecken, als er erfährt, dass sich Syria von Arkos in den Sultan verliebt hat …

Derweil rüsten sich der Herr der Maschinen und die Kreuzritter für die Schlacht gegen die Verfechter des halben Mondes. Vor den Toren von Hierus Halem kommt es zu einem blutigen Gefecht mit herben Verlusten auf beiden Seiten. Doch welchem Sinn dient dieser Krieg? Als eine unverhoffte Eskorte die Moslems unterstützt, nimmt die Schlacht eine kaum mehr für möglich gehaltene Wendung. Und auch Gunther, der das Kriegstreiben aus der Ferne begutachtet, trifft einen Entschluss, der maßgeblich zum Ausgang der Kämpfe beiträgt …

_Persönlicher Eindruck:_

Auch wenn nicht alle Fragen beantwortet und nicht alle Glieder der Kette zusammengefügt werden, so muss man Jean Dufaux doch wenigstens zugestehen, seinen „Kreuzzug“ mit einem versöhnlichen Ende abzuschließen. Ruckartig greift er die wesentlichen Kapitel der Handlung wieder auf, führt sie zu einem erträglichen Ende, muss aber gezwungenermaßen auch einen großen Teil des Potenzials, den diese Serie von Beginn an hatte, opfern, um die Erzählung schlussendlich doch noch rund ins Ziel bringen zu können.

Unbefriedigend ist lediglich die kurze Abhandlung der Dauerfehde zwischen Christen und Moslems, die hier zwar eine interessante philosophische Wendung nimmt, der man jedoch am Ende nicht mehr die Beachtung schenkt, welche sie aus der Inszenierung der vorherigen drei Bände eigentlich hätte einnehmen können. Dies folgt ferner auch daraus, dass die Zwiste zwischen den wichtigsten Figuren nicht ausgiebig ausgetragen werden. Eleonore und Syria können ihren individuellen Verrat nicht angemessen sühnen, der Sultan und seine dämonischen Verbündeten werden Opfer von Zeit und Raum, die beide nicht mehr in adäquatem Maße zur Verfügung standen, der Herr der Maschinen, im letzten Band noch Titelträger, bekommt kaum mehr Beachtung, und da auch die Geschichte um das Schicksal von Aar und Djinn viel zu plötzlich abgeschlossen wird, ereilt „Die Feuertrichter“ genau jenes Schicksal, welches man vorab bereits erahnte: Es ist ein gedrungener, inhaltlich oftmals erzwungener Schlussteil einer zunächst viel versprechenden, stellenweise aber zu hektisch und zu konfus ausgearbeiteten Comic-Reihe.

Dass „Die Feuertrichter“ trotz allem dennoch die beste und meist überzeugende Folge der Serie ist, liegt vorwiegend daran, dass die einzelnen Passagen der Story separat abgehandelt und nicht wieder bunt vermischt werden. Es ist eine Struktur zu erkennen, von der die Handlung auch schon früher hätte profitieren können und die manche übermäßige Konfusion sicher hätte ausschließen können. Sei es drum: Der „Kreuzzug“ ist beendet, halbwegs versöhnlich, aber leider nicht durchweg begeisternd. Auch wenn der Qualitätsstandard im Splitter Verlag, so wie es hier auch immer wieder betont wird, ein recht hoher wird und Dufaux‘ Reihe ihm zumindest in illustrativer Hinsicht gerecht wird, so muss man festhalten, dass dieser Vierteiler zu den schwächeren Serien im Verlagsprogramm gehört.

|Hardcoverl: 56 Seiten
ISBN-13: 978-3940864550|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

_Philippe Xavier bei |Buchwurm.info|_:
[„Das verlorene Paradies 1: Hölle“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3712
[„Das verlorene Paradies 2: Fegefeuer“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3713
[„Das verlorene Paradies 3: Paradies“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3721
[„Das verlorene Paradies 4: Erde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4045

Dufaux, Jean (Autor) / Xavier, Philippe (Zeichner) – Herr der Maschinen (Kreuzzug 3)

_|Kreuzzug|:_

Band 1: [„Simoun Dja“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5720
Band 2: [„Der Qa’Dj“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5722
Band 3: [„Herr der Maschinen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7213
Band 4: [„Die Feuertrichter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7214

_Story:_

In den finstersten Höhlen sucht Gunther von Flandern mit seinem Weggefährten Osarias vergeblich nach dem Aar; erst nachdem er eine nahezu unlösbare Prüfung besteht und gegen eine Armee aus Untoten den Sieg einfährt, offenbart sich jene Kreatur, die einst von seiner Mutter und einem intriganten Djinn gezeugt wurde. Der Aar trachtet nach Gunthers Leben, will die Wahrheit nicht akzeptieren – und gibt sich schließlich dem Duell mit seinem ungleichen Halbbruder hin.

Unterdessen scheint sich die Zeit von Robert von Tarent dem Ende zuzuneigen. Als er vor seinem Heer und dem Volk von Hierus Halem spricht, findet er nicht den nötigen Zuspruch und muss mit ansehen, wie sich ein einflussreicher Ordensbruder gegen ihn stellt. Auch Eleonore ist verwirrt, weiß jedoch, dass Robert von der Macht des Spiegels geblendet ist und unter seinem Einfluss leidet. Der Herr von Tarent muss sich der Glaubensfrage im Kampf stellen und gegen den Herrn der Maschinen antreten – und somit auf grausame Art und Weise über sein Schicksal und das von Eleonore streiten …

_Persönlicher Eindruck:_

Immerhin: Jean Dufaux ist es in der dritten von vier Ausgaben seiner historischen Fantasy-Reihe gelungen, etwas Ordnung in den Plot zu bringen und statt Chaos und Verwirrung eine gewisse Stringenz zuzulassen. Nichtsdestotrotz bewegt sich die Handlung immer noch auf zu vielen Ebenen und bringt gleichzeitig noch versteckte Mythen ein, die der ohnehin schon übermäßigen Komplexität nicht gerade entgegenwirken. Und auch wenn „Herr der Maschinen“ ein wenig Klarheit in verschiedenen Einheiten der Erzählung bringt: Zerfahren und inkonsequent scheint der „Kreuzzug“ des französischen Autors immer noch zu sein.

Dufaux bringt es schlichtweg nicht zustande, Teile der Geschichte abzuschließen oder zumindest vor dem anstehenden Toreschluss – der folgende Band wird gleichzeitig auch der letzte sein – für strukturierte Verhältnisse zu sorgen. Die Geheimnisse um Gunther werden zwar halbwegs geklärt, jedoch bleibt alleine hier noch so viel Spielraum für die Fortsetzung, dass man alleine hiermit sicher die anstehenden 50 Seiten füllen könnte. Gleichzeitig ist das Schicksal Roberts ein entscheidender Punkt in der Handlung, der einer entsprechenden Nachbearbeitung bedarf und einen gleichen Teil ausmalen dürfte. Und dann wären da noch verschiedene Liebschaften, eigenartige Beziehungen, weiterführende Intrigen und unstete Charakterzeichnungen, die man auch gerne rund hätte, bevor man sich aus dem Treiben verabschiedet.

„Herr der Maschinen“ ist als Übergang daher auch nur mäßig befriedigend, selbst wenn der Autor zwischenzeitlich mal das Heft in die Hand nimmt und beginnt, einzelne Passagen besser zu sortieren. Doch insgeheim stehen immer noch zu viele ungelöste Kernpunkte im Raum und gestalten das komplette Fundament der Story arg schwammig. Dufaux hat viele Tore geöffnet, bekommt nun jedoch Schwierigkeiten, sie ruhigen Gewissens schließen zu können. Ob ihm das im noch verbleibenden Kapitel gelingt, ohne bestimmten Teilen der Erzählung ihre Bedeutung zu nehmen, bleibt fraglich. „Herr der Maschinen“ zeigt den Ansatz von Ordnung, ist aber dennoch nicht der erhoffte Befreiungsschlag, der nun nur noch in „Die Feuertrichter“ durchgesetzt werden kann.

|Hardcover: 56 Seiten
ISBN-13: 978-3940864390|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

_Philippe Xavier bei |Buchwurm.info|_:
[„Das verlorene Paradies 1: Hölle“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3712
[„Das verlorene Paradies 2: Fegefeuer“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3713
[„Das verlorene Paradies 3: Paradies“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3721
[„Das verlorene Paradies 4: Erde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4045

Le Breton, Ronan (Autor) / Grenier, Sébastien (Zeichner) – Schlacht von Cad Goddun, Die (Arawn 3)

_|Arawn|:_

Band 1: [„Bran, der Verdammte“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7207
Band 2: [„Blutsbande“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7209
Band 3: [„Die Schlacht von Cad Goddum“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7211

_Story:_

Maths Verrat an seinem düsteren Bruder Arawn lastet schwer auf dem düsteren Herrscher. Der einst Verstoßene stellt ein immens großes Heer auf, um Math zu rächen und seine Geliebte Deirdre zu befreien. Schnell gelingt es ihm, in der blutigen Schlacht die Oberhand zu gewinnen und Math an den Rand einer Niederlage zu bringen. Doch in letzter Verzweiflung schaltet sich die parteiische Mutter Siamh ein, fordert Maths leiblichen Bruder Kern auf, das Blatt mit seinem Einfluss zu wenden und stürzt Arawn an den Rand der Verzweiflung. Doch der erfahrene Krieger gibt nicht auf und steht Math schließlich doch Auge in Auge gegenüber. Als er jedoch von seinem Bruder und Widersacher erfährt, dass Deirdre ein Kind erwartet und beide den Tod Maths ebenfalls nicht überleben würden, muss Arawn einlenken. Vom Betrug gezeichnet, ziehen die Brüder wieder ihres Weges. Doch die bittere Niederlage und die betrügerischen Machenschaften von Kern und Engus machen ihm schwer zu schaffen. Einsam und verlassen sinniert er in seiner einst so prunkvollen Festung über seinen Tod – bis ihn eine unverhoffte Botschaft erreicht …

_Persönlicher Eindruck:_

Die große Schlacht hat sich bereits im letzten Band angedeutet, nun startet Ronan Le Breton mit einem sehr detaillierten Vollzug des kriegerischen Treibens zwischen Math und Arawn auf der einen und ihren zunächst unabhängigen Brüdern Engus und Kern auf der anderen Seite. Und wie erwartet, zieht der Autor im Verbund mit seinem hier fantastisch aufgelegten Zeichner Grenier eine immense Blutspur durch die 48 Seiten des Comics, die jedoch nicht einzig und allein von den blutigen Gefechten geprägt werden. Gerade im zweiten Abschnitt der Geschichte öffnen sich die vier wichtigen Figuren auch auf emotionaler Ebene, dies zwar nicht mit sonderlich viel Tiefgang, jedoch erfährt man hier erstmals sehr genau, wie die Brüder zueinanderstehen, welche Position jeder einzelne von ihnen einnimmt, wie man ihr weiteres und auch bisheriges Vorgehen einschätzen kann und inwiefern man demnächst Zweckbündnisse und Einzelgänge der verschiedenen Parteien erwarten kann.

Ansonsten führt „Die Schlacht von Cad Goddun“ die Story konsequent fort und bringt nach dem Schaulaufen in der letzten Episode nun die Kür auf dem Schlachtfeld. Erneut werden Schädel gespalten, Blutlachen angelegt, zertrennte Körper durch die Lufft gewirbelt und heroische Propaganda betrieben – ganz so, wie man es bereits vorab erahnen konnte. Der Unterschied zu „Blutsbande“ besteht allerdings darin, dass die Story ein winziges bisschen komplexer wird, da sie sich nicht allein auf Arawns Pfad konzentriert, sondern auch die Motive seiner Kriegsgegner offen legt. Hierzu war bislang nur episodisch und oberflächlich etwas bekannt; nun wachsen hier verschiedene Passagen zusammen und geben der Handlung einen übergeordneten Sinn, nicht zuletzt wegen der intriganten Vorgänge, die von Siamh ausgehen.

Insofern darf man mit dem dritten Mand von „Arawn“ durchaus zufrieden sein, da er einerseits das Erwartete liefert, andererseits aber noch ein wenig mehr Potenzial aus den Gegebenheiten herausschlägt. „Die Schlacht von Cad Goddun“ ist sicherlich die beste Ausgabe bis hierhin und weckt die Hoffnung, dass sich „Arawn“ auf Dauer doch noch zu einem Highlight der epischen, illustrierten Fantasy mausern wird.

|Hardcover: 48 Seiten
ISBN-13: 978-3868691184|
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Schmidt, Karla – Kind auf der Treppe, Das

_Story:_

Die junge Leni Draugur betrachtet ihr Leben als ein einziges Zerwürfnis mit ihrer eigenen Seele. Nach dem Tod ihrer Mutter hat das isländische Mädchen nie wieder die Harmonie finden können, nach der sie sich immer gesehnt hat. Als ihre Ehe mit dem gewalttätigen Magnus sich schließlich als schwerwiegende Katastrophe herausstellt, aus der sie völlig traumatisiert flieht, kommt sie nicht mehr zur Ruhe. Denn der Gedanke, der sie auf ihrer Flucht am meisten beschäftigt: Hat sie Magnus umgebracht? Oder lebt der brutale Isländer noch?

Als sie bei ihrer launischen Schwester Zicky in Berlin aufschlägt und versucht, sich dort wieder auf die Beine zu bringen, wird sie mit weiteren merkwürdigen Ereignissen konfrontiert. Ein spindeldürrer, kaum zugänglicher Junge sitzt im Treppenhaus des Wohnkomplexes und scheint dort völlig verloren. Gleichzeitig macht ein von den Medien als Schulwegmonster bezeichneter Mörder die Gegend unsicher und zieht eine heftige Blutspur hinter sich. Und wäre dies nicht schon genug, wird Leni in der Nachbarschaft Zeugin einiger zerrütteter Familienverhältnisse, muss sich mit Zickys Verzweiflungen herumschlagen und wirft zudem ein Auge auf deren blinde, musikalische Mitbewohnerin. Gerade in dem Moment, in dem für Leni ein Fortschritt erkennbar ist, wird sie dann aber doch wieder von der Vergangenheit eingeholt – und von den Ereignissen in ihrer neuen Umgebung.

_Persönlicher Eindruck:_

„Das Kind auf der Treppe“ gehört zu jener Kategorie Psycho-Thriller, die man einerseits nicht frühzeitig aufgeben will, weil das Interesse für die Charaktere auf jeden Fall geweckt wurde, von denen man aber ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr viel erwartet, weil die Story und ihre vielen erschreckenden Elemente einen nicht wirklich mitreißen und man auch nicht begierig ist, ihr Ende zu erfahren.

Das relativ blutige Intro schürt diesbezüglich jedoch noch ganz andere Erwartungen. Mit einem Ruck wird man in den Strudel der Gewalt hineingesogen, den Leni in ihrer Ehe erlebt, und mit der sie sich schließlich auch auf allzu brutale Art und Weise wieder aus der seelischen Gefangenschaft befreien muss. Alleine mit diesen bleibenden Eindrücken werden Erwartungen geweckt, die Karla Schmidt aber im weiteren Verlauf ihrer Geschichte nur noch bedingt bis gar nicht erfüllen kann. Die plötzliche Isolation der Hauptdarstellerin mag zwar logisch sein, ihr eingeschüchtertes, introvertiertes Naturell ebenfalls, doch im gleichen Maße eine Reihe von Nebensträngen aufzubauen, Leni dort mit hineinzuziehen und schließlich jeglichen Kern aus den Augen zu verlieren, macht „Das Kind auf der Treppe“ zwischenzeitlich zu einem hilflosen Unterfangen, aus dem sich die Story trotz ganz gutem Finale nicht meehr so recht befreien kann.

Der Autorin gelingt es schlichtweg nicht, Beziehungen zwischen den einzelnen Eckpunkten herzustellen und die verschiedenen Ereignisse zusammenwachsen zu lassen. Hinzu kommt, dass ihre tragenden Persönlichkeiten für sich betrachtet viel zu stark sind, ihre einprägsame Individualität im Rahmen der Erzählung aber nicht befriedigend ausleben können. Der Zwist zwischen Leni und ihrer Schwester verdient beispielsweise viel mehr Aufmerksamkeit, als der ziemlich reduzierte Plot ihm anbieten kann, muss sich aber schließlich dem steten Wechsel der Szenarien und der daraus resultierenden, fehlenden Tiefe beugen. Gleiches gilt für die Ängste, die die Protagonistin in sich trägt. Schmidt formt schon auf den ersten Seiten das Potenzial für einen wirklich spannenden Thriller, verliert die zugehörigen Versatzstücke aber allzu schnell wieder aus den Augen und gibt besonders die reißerischen Inhalte leichtfertig aus der Hand. Dies führt zwar zu der angenehmen Entwicklung, dass jede Effekthascherei von vorneherein außen vor bleibt, hätte aber an mancher Stelle auch hilfreich sein können, gerade dort, wo die Handlung ihre Längen hat und die Tragik einzuschlafen droht.

Zum Schluss bleiben daher auch viele Fragen, wobei die präsenteste ist, worin nun die Grundaussage des Romans besteht und inwiefern eine Weiterempfehlung überhaupt berechtigt ist. Unterm Strich beinhaltet „Das Kind auf der Treppe“ nämlich einige sehr gute Ansätze. Doch in der Nachbetrachtung muss man trotzdem festhalten, dass die Ausarbeitung größtenteils dürftig ist, weil die Autorin viel zu oft, und das mit einer erschreckenden Konsequenz, an der Oberfläche bleibt.

|Broschiert: 320 Seiten
ISBN-13: 978-3492257817|
[www.piper-verlag.de]http://www.piper-verlag.de/piper/index.php

Le Breton, Ronan (Autor) / Grenier, Sébastien (Zeichner) – Blutsbande (Arawn 2)

_|Arawn|:_

Band 1: [„Bran, der Verdammte“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7207
Band 2: [„Blutsbande“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7209
Band 3: „Die Schlacht von Cad Goddum“

_Story:_

Nachdem die vier Brüder ihre individuellen Prüfungen bestanden haben, reisen sie unabhängig voneinander in die Welt, um ihren Herrschaftsansprüchen auch Taten folgen zu lassen. Arawn ist es bereits gelungen, das Zepter von König Gresholm zu übernehmen und dessen Festung einzunehmen. Lediglich das Herz seiner Gemahlin Deirdre bleibt ihm versagt. Als Gresholm versucht, seinen Thron durch eine Hinterlist zurückzuerlangen, erntet er den Tod – und Deirdre die Hilflosigkeit, Arawn voll und ganz ausgeliefert zu sein.
Derweil gelingt es auch Kern, Math und Engus auf ihrer Reise Spuren zu hinterlassen und sich die Kronen verschiedener Ländereien zu sichern. Ihre Mutter Siamh ist von Stolz erfüllt und führt die ungleichen Geschwister in der Burg Arawns wieder zusammen. Doch dort kommt es während eines Gelages zum Eklat: Der gewaltsame Math schürt die Feindschaft unter den Brüdern erneut und bringt Arawn zur letzten verbliebenen Entscheidung. Von nun an herrscht Krieg!

_Persönlicher Eindruck:_

Es war schon irgendwie so, dass man nach dem ersten band der neuen Fantasy-Reihe nicht so recht einschätzen konnte, ob man das jetzt tatsächlich gut finden sollte, was Ronan le Breton Sébastien Grenier in „Arawn“ respektive „Bran der Verdammte“ zustande gebracht hatten. Die Story ließ entscheidende Elemente wie Spannung und eine entsprechende Distanz zu bekannteren Reihen aus dem Comic-Metier missen und zeichnete sich lediglich durch die gelungenen Illustrationen, im Umkehrschluss aber auch durch sehr viel Gewalt und Brutalität aus.

Mit dem Blick auf die Fortsetzung „Blutsbande“ gerichtet, muss man zumindest dem Autor attestieren, inhaltlich einige bedeutsame Schritte nach vorne gemacht zu haben. Die Story wirkt lebendiger und scheint nicht mehr so dominant in der Rückblende von Arawn gefangen, aus der der Plot sich ja letzten Endes zusammensetzt. Es entstehen leichte Entwicklungsspielräume, da Le Breton sich darauf einlassen kann, seinen Charakter etwas mehr Individualität zu schenken und nicht bloß das Handlungskonstrukt als Gesamtes zu betrachten. Zwar ist die übergeordnete Geschichte um die vier Brüder, die allesamt zu der einen Gottheit werden wollen, stets präsent, wird aber hier gleich von mehreren Seiten angepackt, mit deren Einfluss sich dann auch viel eigenständigere Charakterprofile herausarbeiten lassen. Die Story findet schließlich mehr zu ihrem Kern, bleibt dort aber nicht einzig und allein eingeschlossen – und dies ist ein durchaus positiveer Entwicklungsschritt.

Andererseits scheint die Blutrünstigkeit auch in der zweiten Episode kein Ende zu nehmen. Menschen werden geköpft, Schwerter jagen durch Kehlen, Messer werden gewetzt, und überdies fließt mehr rote Flüssigkeit als in jedem bekannten und vergleichbaren Comic. Dies mag hin und wieder der Erzählung angepasst sein, führt auch zu dieser dominanten, finsteren Atmosphäre, die „Arawn“ permanent überdeckt und irgendwie auch ausmacht, könnte aber hier und dort sicher ein wenig Zensur erfahren. Denn nicht selten, hier sei beispielsweise die Ermordung Gresholms genannt, schlagen die beiden schreibenden und zeichnenden Akteure gewaltig über die Stränge und erfordern im Grunde genommen auch eine festgeschriebene Altersvorgabe für diese Serie.

Brutalität und Blutrausch auf der einen, Fantasy mit sehr anständigem Background auf der anderen Seite. „Arawn“ wächst in beide Richtungen, weiß sich aber im Vergleich zum Debüt-Album in „Blutsbande“ deutlich zu steigern. Wer phantastische Comics mag und sich auch von plumpen Schlachten nicht abschrecken lässt, sollte ruhig mal in Le Bretons aktuellstes Werk hineinschauen!

|Hardcover: 48 Seiten
ISBN-13: 978-3868691177|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu