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Knaak, Richard A. – Quelle der Ewigkeit, Die (WarCraft: Krieg der Ahnen Buch 1)

Der Drachenmagier Krasus, die „humanoide“ Manifestation des uralten Drachen Korialstrasz, fühlt es als Erster: Etwas Unheilvolles greift nach der Wirklichkeit. Während er seinem Schüler, dem menschlichen Magier Rhonin, eine telepathische Botschaft schickt, um mit ihm gemeinsam der Bedrohung auf den Grund zu gehen, spüren auch die Orks das Nahen einer großen Gefahr und schicken den erfahrenen Veteranen Broxigar auf die Suche.

Als die Helden der Störung nahe kommen, werden sie durch einen dimensionalen Riss in die ferne Vergangenheit Kalimdors geschleudert, in eine Zeit, als die Quelle der Magie noch existierte und die Nachtelfen ein starkes Volk waren, als es weder Menschen noch Orks gab und die fünf machtvollen Aspekt-Drachen wohlwollend und kraftvoll der Schöpfung gegenüberstanden, sie noch nicht versklavt worden waren und „Neltharion, der Wächter der Erde“, noch nicht „Deathwing, der Zerstörer“ genannt wurde, in eine Zeit, kurz bevor die Brennende Legion zum ersten Mal über Kalimdor hereinbrach.

Broxigar gerät in die Gefangenschaft der Nachtelfen, für die der Ork nicht mehr als ein unbekanntes Tier ist, während Krasus und Rhonin unfreiwillige Gäste des weisen Waldgottes Cenarius werden.

Die junge elfische Priesterin Tyrande erkennt in Broxigar ein intelligentes Wesen und befreit ihn mit Hilfe ihres Freundes Malfurion Stormrage, eines Nachtelfen, der – von seinem Volk belächelt und verachtet – den „Weg des Druiden“ einschlug und zum Schüler Cenarius‘ wurde. Unterstützung erfahren die beiden durch Malfurions Zwillingsbruder, den Kriegsmagier Illidian, welcher selbst nach einer Prophezeiung eine wichtige Rolle in der Geschichte der Nachtelfen spielen wird.

Unterdessen weben in der Hauptstadt der Elfen Magier unter Führung Xavius‘, des korrupten, bösen Beraters der eitlen Königin Azshara, an einem Zauber, der ein Portal zur dämonischen Sphäre der Brennenden Legion öffnet, damit der Herr der Legion seine todbringenden Boten nach Kalimdor entsenden kann, auf dass sie sein Kommen der Welt offenbaren. Gleichzeitig werden die in ihrem Wesen magischen Nachtelfen in Folge des Rituals von der Quelle ihrer Macht und Magie abgeschnitten.

Krasus, der in der Vergangenheit nicht in der Lage ist, sich in seine Dracoform zu transformieren, macht sich auf die Suche nach den anderen Drachen, um sie eindringlich vor der Gefahr, die der Welt durch die Verzerrung der Wirklichkeit und die Ankunft der Brennenden Legion droht, zu warnen, während Rhonin, Tyrande und die beiden Brüder ihren Kampf gegen die Vorhut der Dämonen und den verschlagenen Xavius organisieren.

Dass der Autor sein Metier beherrscht, konnte er in zahlreichen Büchern unter Beweis stellen. „Die Quelle der Ewigkeit“ ist ein klassischer Sword-&-Sorcery-Roman. Mächtige Magier, Drachen, Dämonen und starke Krieger liefern sich Schlachten um eine exotische Welt, die sich nicht hinter den „Vergessenen Reichen“ Ed Greenwoods und R. A. Salvatores oder dem „Drachenlanze“-Zyklus von Margaret Weis und Tracy Hickman – zu welchem Knaak übrigens seinen Teil beiträgt – verstecken muss. Zwar fehlt Kalimdor hinsichtlich der politischen und kulturellen Gegebenheiten sowie der Fülle an Wesen, Unwesen und Gegenden noch die Komplexität Faerûns oder Krynns, aber die Welt von WarCraft ist jung und der Anfang vielversprechend.

Allerdings sind die Anlehnungen an die beiden großen Dungeons&Dragons-Settings unverkennbar. Auch wenn sich die Nachtelfen und Drachen im Detail von ihren Vorbildern mehr oder weniger deutlich unterscheiden, so hält sich die Originalität daher insgesamt in Grenzen. Dieses gilt auch für die Konstellationen der Protagonisten: zwei Brüder, die sich im Wettbewerb um die Gunst einer Frau zu entfremden scheinen, oder ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, wie es Krasus und Rhonin bzw. Cenarius und Malfurion repräsentieren, wurden schon zu oft bemüht, um den Leser vollkommen zu überzeugen.

Das actionorientierte Buch gewinnt eher durch die interessanten Charaktere und den epischen Handlungsbogen denn durch die explizite Ausarbeitung eines eigenständigen Rassen-Backgrounds. Die herausragenden Protagonisten sind dabei eindeutig Malfurion, sein Bruder Illidian und der Drachenmagier Krasus: Malfurion wegen seines rebellischen, unangepassten Wesens, Illidian, weil er an einem Scheideweg angekommen scheint, der ihn von seinem Bruder wegführen könnte, und Krasus wegen seiner relativen Machtlosigkeit in Verbindung mit der bevorstehenden Konfrontation mit Neltharion, dem späteren Deathwing. Der Rest des Ensembles – einschließlich Rhonin – spielt zumindest in diesem ersten Band der Trilogie noch keine nennenswerte Rolle bzw. geht über Fantasystereotypen kaum hinaus, wobei insbesondere Tyrande ob ihrer Gut-Elflichkeit sogar ein erhöhtes Nervpotenzial aufweist. Alles in allem kann man konstatieren, dass die Nachtelfen – um ein altes Rollenspiel-Phänomen zu bemühen – mehr wie Menschen mit spitzen Ohren erscheinen, als ein fremdartiges, nichtmenschliches Volk.

Rein stilistisch gibt es an Knaaks Text nichts auszusetzen, so dass die Lesefreude von dieser Seite nicht getrübt wird. Hinsichtlich der Handlung bleibt abzuwarten, ob der Autor in den Folgebänden die Logikprobleme, die Zeitreisegeschichten in der Regel mit sich bringen, umschiffen kann.

Fazit: Ein kurzweiliger, solider „Sword & Sorcery“-Roman, der in guter „Dungeon & Dragons“-Tradition die Welt von WarCraft mit Leben erfüllt. Interessante, vielschichtige Figuren und der Beginn eines Handlungsbogens, der eine wahrhaft epische Story erwarten lässt, machen diesen ersten Teil der „Krieg der Ahnen“-Trilogie zu einem Vergnügen nicht nur für PC-Spiele-Fans.

|Originaltitel: Warcraft: War of the Ancients Trilogy Book 1 – The Well of Eternity
Übersetzung: Claudia Kern|

_Frank Drehmel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Hanif Kureishi – My Beautiful Laundrette (Mein wunderbarer Waschsalon)

Wir würden weiße Wäsche waschen …

Hanif Kureishis Script des Films „My Beautiful Laundrette“ (dt. „Mein wunderbarer Waschsalon“) modernisierte in den Achtzigerjahren das englische Kino, indem es beispielsweise soziale Randgruppen in den Mittelpunkt der Handlung und Szenen ohne fließende Übergänge nebeneinander stellt, oder indem es aufzeigt, dass sich die englische und pakistanische Identität neu definieren müssen.

Der Plot

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Kureishi, Hanif – Buddha of Suburbia, The

_“What a mess everything had been“_

|Sex, Drugs und Rock ’n‘ Roll – „Genauso war es!“, werden die Dabeigewesenen nostalgisch seufzen. Die später Geborenen werden sich melancholisch wünschen, sie wären einige Jahre eher zur Welt gekommen. Hanif Kureishis Roman „The Buddha of Suburbia“ (dt. „Der Buddha aus der Vorstadt“) lässt die schrillen Siebziger in England wieder aufleben.|

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines ersten Romans war Kureishi bereits bekannt als Dramatiker und Autor von Filmskripten wie „My Beautiful Laundrette“ (dt. „Mein Wunderbarer Waschsalon“). Sein Erstlingsroman „The Buddha of Suburbia“ gewann den |Whitebread Prize| für den besten Roman des Jahres 1990 und wurde 1993 als TV-Serie von der |BBC| ausgestrahlt.

Der Roman steht in der Tradition des englischen Initationsromans (Fielding: „Tom Jones“ z. B.). Die Integrität einer jugendlichen Hauptfigur wird in der heuchlerischen Erwachsenenwelt getestet. Komisch und traurig zugleich sind die Erlebnisse des Helden im „Buddha of Suburbia“, bis er am Ende die Spielregeln dieser Gesellschaft akzeptiert und seinen Platz in ihr gefunden hat.

So begleitet der Leser den adoleszenten, vom Leben gelangweilten Karim Amir („an Englishman born and bred, almost“) auf seinem verzweifelten Versuch, den Londoner Vororten zu entkommen und dabei alle Möglichkeiten zu nutzen, die die 70er und das Leben selbst ihm bieten. Als erstgeborener Sohn aus einer Ehe zwischen einer weißen Engländerin und einem Vater pakistanischer Herkunft muss er mit ansehen, wie die Ehe seiner Eltern zerbricht, weil sein Vater Haroon eine Beziehung mit Eva eingeht, die sich ihrerseits von ihrem Ehemann getrennt hat. Karim folgt seinem Vater, der mit transzendentalem Geschwafel und Evas Hilfe zu einer Art Guru (ironisch: dem Buddha) aufsteigt und Botschaften verkündet wie |“Follow your feelings. All effort is ignorance. There is innate wisdom. Only do what you love.“| (dt. etwa „Folge deinen Gefühlen. Jegliche Anstrengung ist Ignoranz. Es gibt eine gottgegebene Weisheit. Tu nur, was du liebst.“). Wer hört da nicht die |Beatles| „All You Need is Love“ singen und sieht nicht, wie sich Massen bekiffter Amerikaner im Schlamm von Woodstock wälzen?

Im Verlaufe des Romans zieht die neue Familie nach London um, Karim entwickelt sich zum relativ erfolgreichen Schauspieler. Gemäß den Vorstellungen von freier Liebe erlebt er mit so ziemlich allem erotische Abenteuer, was ihm über den Weg läuft – u. a. mit seinem „Stiefbruder“ Charlie (der seinerseits zu einem gefeierten, international erfolgreichen Rockstar wird), mit seiner „Cousine“ (die sich, ebenso wie ihr Mann, mit den Problemen einer von ihrem Vater arrangierten Ehe auseinandersetzten muss) und mit einem Hund (oder besser der Hund mit ihm) – und an allen Orten, die man sich nur denken kann: im Bett, auf dem Boden, im Park, auf öffentlichen Toiletten. Natürlich darf auch die bei Kureishi übliche Szene nicht fehlen, in der ein Pärchen beim Sex beobachtet wird (pikanterweise sein Vater beim Begehen des Ehebruchs).

Ebenfalls typisch für Kureishi ist, dass sein Protagonist sich mit seiner jugendlichen Verwirrung, mit Rassismus auf verschiedenen Ebenen, mit seiner Identitätsfindung und dem Finden eines Lebensziels sowie verschiedenen Formen des Zusammenlebens auseinandersetzten muss. London bietet dabei alle Möglichkeiten sich auszuprobieren: |“There were kids dressed in velvet cloaks who lived free lifes, there were thousands of black people everywhere, so I wouldn’t feel exposed, there were bookshops with racks of magazines, there were shops selling all the records you could desire; there were parties where girls and boys you didn’t know took you upstairs and fucked you; there were all the drugs you could use …“| (dt. etwa: „Es gab Kids in samtenen Umhängen, die ein freies Leben lebten, es gab überall Tausende Schwarze, so dass ich mich nicht exponiert fühlte, es gab Buchläden mit Regalen voller Magazine, es gab Läden, die alle Aufnahmen verkauften, die man sich nur wünschen konnte, es gab Partys, bei denen dich unbekannte Mädchen oder Jungen mit nach oben nahmen, um dich zu ficken, es gab alle Drogen, die man nutzen konnte …“).

Richtig lesenswert wird der Roman jedoch durch Kureishis Humor. Derbe Witze wechseln mit Ironie, Satire oder komischen Anekdoten. Tragikomisch wirkt zum Beispiel der Hungerstreik von Karims Onkel, der damit die arrangierte Hochzeit seiner Tochter mit Changez erpresst. Tragikomisch geht es weiter, wenn dieser Ehemann sich als beleibter Krüppel herausstellt, der nicht in der Lage ist, die Hoffnung seines Schwiegervaters, der sich für ihn fast zu Tode gehungert und Hilfe in seinem Geschäft erwartet hatte, zu erfüllen. Tragikomisch ist auch die Figur des Changez‘ an sich, der sein Wissen über England aus den Romanen Conan-Doyles bezogen hat und hoffnungsvoll in das gelobte Land kommt, um erfahren zu müssen, dass seine Frau lieber mit Karim und später mit anderen Frauen schläft als mit ihm und, dass er seinen pakistanischen Lebensstandard mit Villa und Dienern letztendlich für das Leben in einer Kommune aufgegeben hat.

Dem Autor gelingt es in seinem teilweise autobiographischen Roman, die asiatische und englische Kultur gegenüberzustellen und zu zeigen, wodurch Vorurteile auf beiden Seiten entstehen. Auf ironisch liebevolle Weise führt er den europäischen Leser in eine für ihn fremde Welt ein und zeigt die Auflösung der östlichen Traditionen und Religion in einer Welt sich mischender Kulturen und Völker. Nach knapp 300 Seiten entlässt Kureishi seine Leser mit dem guten Gefühl, dass das Leben zwar verwirrend und chaotisch sein kann, dass es jedoch nicht so bleiben muss.

Zweifelsohne ist „The Buddha of Suburbia“ ein Höhepunkt in Kureishis Schaffen. Ein komischeres, rührenderes, vielschichtigeres und ehrlicheres zeitgenössisches Werk, das soziale Probleme und jene des Erwachsenwerdens mit dieser Tiefgründigkeit behandelt, habe ich bisher weder von Kureishi noch von jemand anderem gelesen. Die Aussagen pendeln zwischen dem Vulgären und dem Ästhetischen, dem Komischen und Ernsthaften, zwischen schwerwiegenden Fragen und dem Lächerlichen sowie zwischen dem Sentimentalen und dem Obszönen.

Als Londonfan und Anhänger des Musikstils der Siebzigerjahre kommen mir das Setting des Romans und die Anspielungen auf Musiker und Bands dieser Zeit entgegen. Wenn man sich in der Musik der Siebziger auskennt (Beatles, Stones etc.) und die entsprechenden Songs im Ohr hat, kann man während des Lesens quasi einen „Soundtrack zum Buch“ hören. Außerdem findet man Anspielungen auf Künstler dieser und der Folgezeit, die auf der gleichen Schule in Bromley wie Hanif Kureishi waren. Die Geschichte des Stiefbruders Charlie „Hero“ ist angelehnt an die Geschichte von David Bowie. Erwähnt wird auch der spätere Billy Idol (Billy Broad).

Alles in allem ist „The Buddha of Suburbia“ ein lesenswerter Roman über das Aufwachsen in den Siebzigern – für mich ist es Hanif Kureishis bisher bester.

_Corinna Hein_
http://www.corinnahein.net/

|Eine deutsche [Neuauflage]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3499241129/powermetalde-21 ist für November 2005 geplant.|

Felten, Monika – Macht des Elfenfeuers, Die

Monika Felten hat wieder abgeräumt: nach dem Deutschen Phantastik-Preis 2002 für [„Elfenfeuer“ 349 nun den Deutschen Phantastik-Preis 2003 für die Fortsetzung. Und diesmal scheint mir die Auszeichnung verdienter, das Sequel ist besser als der erste Band: ein flott geschriebenes Fantasy-Abenteuer, konventionell zwar (doch wie viel Fantasy ist schon unkonventionell?), aber actionreich und bisweilen sogar richtig spannend.

Wir erinnern uns: In „Elfenfeuer“ erzählte die Autorin, wie die Auserwählte Sunnivah den finsteren Herrscher An-Rukhbar, Eroberer von Thale, besiegte und in seine Dimension zurücktrieb. Seitdem herrscht wieder Frieden, schon zweihundert Jahre lang. Kaum jemand erinnert sich noch der damaligen Gefahren. Die Nebelelfe Naemy allerdings, Sunnivahs Gefährtin, hat nichts vergessen, auch nicht, dass der Meistermagier des Finsteren Herrschers, Asco-Bahrran, niemals gefunden wurde und dass in der Zwischenwelt, die die Elfen zwecks schnellerer Fortbewegung durchqueren, damals ein Quarlin lauerte, der fürchterlichste Feind ihres Volkes. Ihre Bedenken finden allerdings wenig Gehör. Selbst die Elfen halten sie für zu misstrauisch. Die Menschen aber genießen ihren Wohlstand und sehen die schwachen Garnisonen an der Grenze zur Finstermark im Norden als ausreichend an. Doch dort leben noch immer die Cha-Gurrline, An-Rukhbars mörderische Krieger. Dunkelheit liegt über diesem Land – nicht einmal die Gütige Göttin vermag sie zu durchdringen.

Das kennen wir doch: Ein Dunkler Herrscher ist aus der Welt verbannt, sein etwas niederer Diener macht sich selbst zum Herrscher (denn Asco-Bahrran ist natürlich nicht tot), es gibt ein dunkles Land und dergleichen mehr. Nur dass diesmal kein Ring in einen feurigen Abgrund geworfen werden muss – Asco-Bahrran will seinen alten Herren aus der anderen Dimension zurück nach Thale holen, und dazu benötigt er Sunnivahs Amulett, das er mit Hilfe des Magiers Skynom auch erhält. Die Tage der Freiheit scheinen gezählt. Nun, jeder ahnt: Am Ende geht doch alles gut aus. Zum Glück vermeidet Monika Felten es, sich selbst zu wiederholen. Zwar taucht eine entfernte Verwandte Sunnivahs auf, Kiany, eine Heilerin mit Sehergabe, doch ist sie eher Objekt in den magischen und nichtmagischen Kämpfen als Heldin – es gibt keinen Aufguss der alten Berufungshandlung. Im Zentrum des Romans stehen diesmal die Nebelelfen (Naemy, ihr Sohn Tabor, die Priesterin Lya-Numi) und die Riesenalpe (Naemy und Tabor ist es gelungen, ein Nest der legendären Vögel zu entdecken und drei großzuziehen).

Wie gesagt, ist das Buch gut lesbar und oft spannend. Das lässt einen seine Mängel zum Teil übersehen. Ich finde die Namen von Personen und Orten oft wenig gelungen¹, überhaupt das ganze Bemühen um „fremde“ Atmosphäre nach wie vor etwas unglücklich („Sonnenlauf“ statt „Tag“, „Länge“ statt „Meter“ usw.). Mich plagt auch die Frage, warum Asco-Bahrran so versessen darauf ist, seinen alten Lord zurückzuholen – im ersten Teil kamen die beiden doch nicht sonderlich gut miteinander aus. Der Magier könnte schließlich selbst über Thale herrschen. Auch gibt zu denken, dass er seinen Trumpf, das heimlich gezüchtete Rudel Quarline, beim Angriff auf die Stadt viel zu früh ausspielt (aber das Böse ist eben böse und nicht logisch, deswegen verliert es auch immer). Doch diese Fragen kann man getrost hintanstellen und sich ein solide geschriebenes, handwerklich gut gemachtes Fantasy-Buch gönnen, das immer noch nicht der große Wurf, aber alles in allem durchaus empfehlenswert ist.

¹ Man spürt hier den Unterschied zum großen Meister: Bei Tolkien begann alles mit den Sprachen und Namen, deswegen sind seine Erfindungen auch sprachlich systematisch und dennoch wohlklingend und treffend; ein Name wie „Elrond“ verrät über seinen Träger allein schon durch den Klang der Vokale sehr viel. Felten hätte wenigstens Anklänge an bekannte Wörter (Thale im Harz, Tabor in Tschechien) vermeiden sollen. Auch ihre Doppelnamen-Manie ist strapaziös.

_Peter Schünemann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|

Crompton, Anne Eliot – Gawain und die Grüne Dame

Wieder einmal entführt Anne E. Crompton den Leser in die Welt der Artuslegenden (siehe auch [„Merlins Tochter“ 1154 ). Diesmal widmet sie sich dem laut Wilperts Lexikon der Weltliteratur „beste[n] Werk der mittelenglischen Artusdichtung“. Dieses „verbindet heimisch-germanische und französische Stiltraditionen und zeigt Bilder höfischer Kultur kontrapunktisch verbunden mit Schilderungen der wilden Natur und detailreicher Jagden. […] Das Werk zeigt den idealen Ritter in der höfischen Gesellschaft und auf einsamer Abenteuerfahrt.“

Da Crompton in ihrem Buch eine eigene Lesart des tradierten Stoffes anbietet, sei Wilpert auch noch zum Inhalt zitiert: „Der grüne Ritter soll im Auftrag der Fee Morgne [sic!] den Artushof demütigen. Gawain sucht auf mühsamen Wegen den Ritter, der zu einer Mutprobe (Kopfabschlagen) aufgefordert hatte. Im Schloß Bercilacs de Hautdesert kann er drei Tage den Verführungen der Schloßherrin widerstehen; am vierten trifft er den grünen Ritter, der ihm mit der Axt den Hals ritzt, da er einen lebenssichernden Gürtel, ein Geschenk der Dame, verheimlicht hatte. Der Ritter gibt sich als Bercilac zu erkennen und erklärt Gawain, dessen Tapferkeit und Tugend den Plan Morgnes zunichte gemacht haben, das Geschehen. Gawain schämt sich wegen seiner Feigheit; am Artushof wird er freudig empfangen und getröstet.“

Die Autorin behält dieses Schema im Wesentlichen bei, setzt aber die Akzente anders und erzählt eine (wesentliche und ausgedehnte) Vorgeschichte: Gawain, auf Erkundungsfahrt im Norden, erreicht ziemlich mitgenommen ein kleines Dorf. Dort wird ein Fest gefeiert – und kaum werden die Dorfbewohner seiner ansichtig, krönen sie ihn anstelle eines jungen Burschen zum Maikönig und machen ihn zum Mann der Maikönigin. Das ist Gwyneth, die (grün gekleidete) „Grüne Dame“, Angehörige einer Familie von Weisen Frauen (oder Hexen, wenn’s beliebt) – und eine äußerst sympathische, lebenslustige junge Frau, kräftig, lebendig, reizvoll, kein Burgfräulein oder dergleichen Ziergewächs mit Hoher Minne und all dem idealen Kram … Gawain muss bei ihr liegen und sie lieben, und zwar täglich, damit die Saaten gut gedeihen. Er hat denn auch Spaß daran, genau wie am guten Essen und am „Rittertraining“ mit den männlichen Dorfbewohnern; er weiß nicht, dass der Maikönig am Ende des Sommers den unsichtbaren Mächten, der Göttin geopfert wird. Als er es durch Zufall erfährt, erpresst er Gwyneth durch Liebesentzug – und da sie ihn wirklich liebt, willigt sie ein, gemeinsam mit ihm zu fliehen. Sie lässt sogar ihre Tochter zurück …

Natürlich endet die Geschichte nicht mit dieser Flucht (der Grüne Ritter tritt auch noch auf, keine Sorge), aber man erkennt schnell, dass Crompton zum einen die Traditionen feministisch geprägter Fantasy aufgreift (ohne sich freilich mit Werken wie „Die Nebel von Avalon“ messen zu können), zum anderen (gleichfalls tradiert) die alte Religion der Göttin, der Hexen und Druiden mit der neuen des Christengottes konfrontiert. Ihre Sympathien sind dabei eindeutig auf Seiten der Frau gegen den Ritter, auf Seiten der Göttin gegen Christus und Maria, auf Seiten des Alten gegen das Neue. Dennoch, und das ist angenehm zu lesen, verfällt sie nicht in Schwarzweißmalerei: Auch die Grüne Dame hat ihre dunklen Seiten, ist nicht nur Opfer, und Gawain wird nicht verteufelt – er macht Fehler, begeht Verrat (auch an seiner Ritterehre), aber er ist tapfer genug, sich der eigenen Schuld zu stellen. Und es ist schließlich ein Mann, der Druide Merry, Vater von Gwyneths Tochter, der entscheidend dazu beiträgt, dass der Hass erlischt, dass beide gelernt haben, was sie lernen müssen. Für Gawain freilich endet das Abenteuer nicht nur durch den Streich mit der Axt schmerzlich: Er erlebt die Schmerzen einer neuen Selbsterkenntnis und eines neuen Anfangs.

„Gawain und die Grüne Dame“ wird schnörkellos erzählt; auffällig ist die Eigenart der Autorin, ihre Protagonisten (vor allem die Titelfiguren) mit sich selbst reden zu lassen. Gwyneth tritt in ihren Kapiteln als Ich-Erzählerin auf, die das eigene Handeln reflektiert, aber auch Zwiesprache mit den Mächten (und Dämonen) der Natur hält, während Gawain quasi über zwei innere Stimmen verfügt, eine ermahnt ihn immer wieder, moralisch zu handeln. Das Werk wirkt homogen, denn es erzählt nur einen Zeitraum von gut eineinhalb Jahren, und Crompton konzentriert sich ganz auf die Vorgänge im bzw. beim Dorf und das Innenleben der beiden Hauptfiguren, einen kurzen, nötigen Ausflug an den Artushof ausgenommen. Auch Merlin oder Artus selbst treten nur in Nebenrollen auf, nichts wird hinzugefügt, was nicht nötig wäre. Es gelingt der Autorin, ihre eigene märchenhafte Geschichte zu schaffen und Probleme wie Mysterien zufriedenstellend aufzulösen (wobei, was auch gut ist, ein Rest Geheimnis bleibt). All dies macht das Buch zu einem durchaus empfehlenswerten Stück Lesestoff.

|Orginaltitel: Gawain and Lady Green
Übersetzt von Birgit Oberg und Birgit Reß-Bohusch|

_Peter Schünemann_
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Anne Eliot Crompton – Merlins Tochter

Der wievielte Artus/Merlin/Morgaine/…-Roman ist das eigentlich? An die zehn habe ich rezensiert, gelesen weit mehr. Die Highlights waren Mary Stewarts Merlin-Zyklus und natürlich MZBs „Die Nebel von Avalon“; den Tiefpunkt markierte Susan Shwartz’ „Der Wald von Broliande“. Und alle mischten die Karten neu, besetzen Rollen um, rückten Verhältnisse in ein anderes Licht…

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Samuels, Mark – weißen Hände und andere Geschichten des Grauens, Die (Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek 4)

Wenn es keine Kleinverlage gäbe, müsste man sie erfinden, damit man solche Bücher lesen kann – Bücher wie dieses, Werk eines 1967 geborenen Autors, der in der Verwaltung eines Londoner Unternehmens arbeitet, zwei Storysammlungen veröffentlicht hat, eine dritte vorbereitet, an einem Roman schreibt und dennoch nicht an seine Karriere als Berufsautor glaubt – „eine leider wohl realistische Einschätzung der Lage, denn von anspruchsvoller Phantastik kann heutzutage wahrscheinlich kaum jemand existieren“ (siehe das exzellente Nachwort von Thomas Wagner, S. 206).

Doch es gibt BLITZ, [BLITZ]http://www.blitz-verlag.de macht diese – phantastische! – Reihe, also können wir Mark Samuels sogar auf Deutsch lesen. Andernfalls wäre uns etwas entgangen, und wir hätten es nicht einmal gewusst. Wie viele begabte Autoren finden nicht den Weg in britische, deutsche, US- und anderswo beheimatete Verlage? Wie viele phantastische Geschichten bleiben in Schubladen liegen oder werden bestenfalls auf Websites dargeboten? Gedanken, die traurig stimmen.

Aber „Die weißen Hände und andere Geschichten des Grauens“ haben wir: neun Storys, übersetzt von Monika Angerhuber, die uns verschiedene Facetten des Unheimlichen nahe bringen. Wie zum Beispiel die Titelgeschichte: Da stößt der Ich-Erzähler, der über viktorianische Horrorautoren schreiben will, auf einen exzentrischen Literaturtheoretiker, der eifersüchtig den Nachlass der fast vergessenen Lilith Blake hütet und behauptet, ihre Geschichten würden nicht von übernatürlichen Phänomenen erzählen, sondern selbst solche sein; im Übrigen sei Lilith Blake nicht wirklich gestorben, sondern träume in ihrem Sarg; und wer ihr letztes Manuskript „Die weißen Hände und andere Erzählungen“ lese, der würde die Welt anders sehen, würde alles verstehen … Der Erzähler, zu Anfang skeptisch, entwickelt nach und nach eine Obsession für die Blake und ihr Werk …

Oder nehmen wir „Appartement 205“. Darin besucht ein seltsamer nächtlicher Gast einen Medizinstudenten. Der entdeckt, dass sein Besucher nur wenige Türen weiter wohnt; aber als er Appartement 205 öffnen lässt, um Klarheit über den merkwürdigen Mann zu erhalten, entdeckt er diesen nicht, dafür ein seltsames Gemach mit einem Stuhl und einem Spiegel. Er macht den Fehler, hineinzusehen – und erfährt Dinge über die Realität, die er sich nicht hätte träumen lassen.

Folgt „Die Sackgasse“ – eine Geschichte über einen Mann und seinen ersten Arbeitstag in den Büros der Ulymas-Organisation; doch dieser Tag verläuft weder so wie erwartet, noch geht er zu Ende wie erhofft. Man spürt, dass Samuels weiß, wovon er schreibt; und den Albtraum, in den der Protagonist gerät, kann man getrost in den Kontext des Werks des Bureau-Angestellten Dr. Franz Kafka stellen.

Wie „Die Suche nach Kruptos“ den Geschichten Jorge Luis Borges’ nachempfunden ist: Ein Student der Metaphysik reist 1940 dem vergessenen Philosophen Thomas Ariel nach, um dessen letztes Werk – „Kruptos“ – aufzuspüren. Ariel ist freilich seit sechzig Jahren irgendwo im Norden Finnlands verschwunden, aber vielleicht findet man ja noch dieses Buch, das Hauptwerk eines kühnen Theoretikers, dessen Schriften die Drucker sich zu drucken weigerten? Nun: Die Protagonisten dieser Geschichten finden immer etwas, doch nie das, was sie finden wollten … Wer „Die Bibliothek von Babel“ liebt, wird von dieser Geschichte begeistert sein; ebenso von den anderen, seien sie nun hier genannt worden oder nicht.

Zwei Vorbilder habe ich schon angesprochen, weitere kommen hinzu, Lovecraft etwa (Das ist nicht tot, was träumend liegt …) oder Ligotti, dem „Vrolyck“ und „Kolonie“ zu verdanken sind. Doch Samuels kann es sich leisten, seine Vorbilder zu nennen oder erkennen zu lassen, denn er schafft durchaus eigenständige Texte. Was hier zu lesen ist, verrät viele Einflüsse, ist aber nicht Kafka oder Ligotti, nicht Lovecraft oder Borges, sondern eben Samuels – ein Autor, der mit diesen seinen Kollegen freilich eines teilt: Er stellt den hilflosen Menschen in eine Welt voller undurchschaubarer Vorgänge, macht seine Protagonisten zu Opfern unbegreiflicher Mächte, lässt sie nur reagieren, nicht agieren. Damit antwortet er – wieder wie die genannten Schriftsteller, zu denen auch Philip K. Dick, Robert Aickman und Algernon Blackwood gehören – auf die Verwerfungen der Moderne, die nicht nur traditionelle Lebensweisen zerstört, sondern auch Sicherheiten anderer Art (zum Beispiel den Schutzkonsens der Moral); die oberflächliche Illusionen an die Stelle des tiefgründigen Denkens setzt und den Menschen von sich selbst, seiner Arbeit und seinen Mitmenschen entfremdet. „Gott“ oder „Hoffnung“ kommen in diesen Geschichten nicht vor, wohl weil sie in der heutigen Welt auch nicht mehr zu existieren scheinen; der Mensch wird zum Traum, zur Puppe, zur Hülle für Fremdes, er verliert nicht nur den Sinn seines Lebens, sondern oft auch seine Existenz. Dies beschwört Samuels mit starken Bildern und intensiver Sprache. Zitiert sei als Beispiel der Schluss von „Kolonie“:

|“Wir alle sind verloren in der weiten, endlosen Nacht, die wir selbst sind. Wir wandern, hoffnungslos und auf ewig verlassen, durch unsere eigenen geheimen Höllenkammern. So wie die Schatten von der Nacht verschluckt werden, so rufen unsere Seelen nach ihrem Ursprung. Und alles, was dann noch bleibt, ist die Wahrheit: Die Worte der toten Sprache können nicht entziffert werden, und alles ist schwarz und eisig und trostlos, ohne einen Sinn oder eine endgültige Lösung …“|

Wahrlich: Das ist kein Buch für Optimisten. Aber welcher Liebhaber dunkler Phantastik wäre schon Optimist …???

Band 1: [„Grausame Städte“ 1018
Band 2: [„Das Alptraum-Netzwerk“ 1023
Band 3: [„Spuk des Alltags“ 1142

_Peter Schünemann_
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Frey, Alexander Moritz – Spuk des Alltags (Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek Band 3)

Alexander Moritz Frey kannte ich bis zum Eintreffen dieses Buches noch gar nicht; dabei hat Thomas Mann seinen Roman „Solneman der Unsichtbare“ gelobt als Ausdruck des „Allerbesten, was die phantastische Literatur hervorgebracht“ hat (vgl. das Nachwort von Marco Frenschkowski, S. 233). Und Rein A. Zondergelds „Lexikon der phantastischen Literatur“ bemerkt: „F., der 1933 Deutschland verließ, gehört zu den wichtigen, heute aber weitgehend vergessenen Vertretern der großen Blüteperiode der deutschen Phantastik zwischen 1900 und 1930.“ Der Emigrant Frey, 1957 verarmt in Zürich verstorben, findet sowohl hinsichtlich seiner Sprache als auch in puncto ideologischer Haltung Gnade vor den Augen des bisweilen unerbittlichen Zondergeld – völlig zu Recht, wie dieses Buch beweist, ein kleines Juwel deutscher phantastischer Literatur.

Der Titel ist Programm. In „Spuk des Alltags“ kommt kein Grauen aus dem schwarzen Abgründen jenseits der Sterne, lauert kein böses Wesen in der Kanalisation einer Kleinstadt in Maine. Was hier geschieht, ist nicht fremd: eine alte Frau bittet einen jungen Mann, ihr nach Hause zu helfen; ein Friseur plaudert mit einem Kunden über Zeitungsnachrichten; eine Mutter nennt ihren Sohn arbeitsscheu … so banal nehmen die Katastrophen, die Schrecken und Psychodramen ihren Anfang.

Jeder Titel der elf Erzählungen besteht aus nur einem Wort, das mit „Ver-“ beginnt: „Verhexung“, „Verneinung“, „Verfolgung“ etc. – diese Texte bleiben nicht isoliert voneinander, sondern bilden ein Ganzes, eine Studie über das seltsame, vielgesichtige Wesen Mensch. Und keine Geschichte lässt kalt. Wenn sich ein Teil des Schloss-Spuks in „Vermummung“ als recht irdisch-fleischlich erweist, schmunzelt man (und auch die Rache, die hier das echte Gespenst nach 200 Jahren nimmt, ist eher komisch). Wenn in „Verwesung“ ein Elternmörder Tagebuch schreibt, während nebenan im Schlafzimmer die Leichen liegen, gibt es keinen „Knalleffekt“ (Frey setzt auf Stimmungen, nicht auf Pointen); aber man fühlt den sich steigernden Wahnsinn des hilflosen Mörders mit. Gleichermaßen erschüttern der innere Monolog des Verbrechers in „Verfolgung“ und der des ehemaligen Frontsoldaten in „Verzweiflung“ – der eine versucht, seine Tat zu rechtfertigen, der andere muss sich Schuld und (Selbst-)Verrat eingestehen. (Frey diente im selben Bataillon wie Adolf Hitler, kannte diesen persönlich, zog aber genau entgegengesetzte Schlussfolgerungen aus dem Krieg – und musste daher emigrieren, als sein „alter Kamerad“ an die Macht gelangte).

Die Geschichten fesseln jedoch nicht nur durch Thema, Aufbau und Spannungsbogen; Frey ist auch ein Meister expressionistisch gefärbter Sprache, die mit starken Bildern operiert, mit Wortneuschöpfungen, Synästhesien, mit gewohnten Wörtern in unüblichen Kontexten. Und er brilliert mit inneren Monologen; beste Beispiele: die drei zuletzt genannten Erzählungen. Doch auch wo er in der dritten Person erzählt (in „Verneinung“ oder dem schwarzsatirischen „Versammlung“ etwa), kommen die Gedanken der Hauptfiguren, ihre Ängste und Schwächen deutlich zum Ausdruck. Vor allem Ängste und Schwächen, denn fast jede Erzählung läuft auf die Zerstörung von Rationalität oder Leben (oder beidem zugleich) hinaus. Die bekannte Welt zeigt ihre unheimliche Seite, der gewohnte Alltag gebiert das Grauen, das die alltäglichen – freilich selten schuldlosen – Protagonisten nach und nach verschlingt. (Hier fühlt man sich manchmal an Kafka erinnert.)

Kurz und gut: Dieser dritte Band der Serie „Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek“ setzt das Konzept, Besonderes zu bieten, erfolgreich fort. Zu den Erzählungen treten kongenial die exquisiten Innenillustrationen von Otto Nückel (dem Original von 1920 entnommen), und das ebenso informative wie analytisch fundierte Nachwort von Marco Frenschkowski. Diese Wiederentdeckung Freys für ein heutiges Lesepublikum muss man hoch schätzen.

Band 1: [„Grausame Städte“ 1018
Band 2: [„Das Alptraum-Netzwerk“ 1023

_Peter Schünemann_
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O’Shea, Pat – Meute der Mórrígan, Die

Pat O’Shea, Jahrgang 1931, hat 13 Jahre an diesem Roman gearbeitet, und es hat sich gelohnt. 1985 erschien dieses wundervolle, heitere Buch für Kinder und Erwachsene bei |Oxford University Press|, 1995 erschien eine gebundene Fassung beim |Verlag Freies Geistesleben|, 2001 präsentierte es der |Deutsche Taschenbuch Verlag| auch denjenigen hiesigen Lesern, die Englisch nicht (so gut) beherrschen oder Originallektüre scheuen. Die lange Verzögerung hat das Werk nicht verdient, aber besser spät als nie. Freunde guter Kinderbücher werden es mögen, Freunde irisch-keltischer Mythologie ebenso.

Worum geht es? Eines Tages findet der zehnjährige Pidge in einem Antiquariat ein paar alte Blätter, eins davon zeigt ein kompliziertes Muster, das sich beim näheren Hinsehen als eine Schlange offenbart – die böse Schlange Olc-Glas. Es ist mit einem zweiten Blatt zusammengeklebt, auf dem ein Bannspruch des Heiligen Patrick höchstselbst geschrieben steht; aber nun lösen sich beide Blätter voneinander, und allerlei merkwürdige Ereignisse nehmen ihren Anfang. Seltsame dünne Leute mit spitzen Zähnen interessieren sich sehr für Pidge und seine fünfjährige Schwester Brigit, in ein benachbartes Glashaus ziehen die zwei merkwürdigen Damen Melody Mondlicht und Breda Ekelschön ein, und die neue Stute, die Pidges Vater just an diesem Tag gekauft hat, beherbergt eine unheimliche Präsenz. Schnell begreifen die Geschwister, dass sie das Schlangen-Blatt vor Feinden verbergen müssen. Eine fast unlösbare Aufgabe, denn Melody, Breda und das Wesen in der Stute (das diese zum Glück bald verlässt) sind Macha, Bodbh und die Mórrígan, drei Schlachtendämoninnen oder auch Kriegsgöttinnen, die eins sind. Sie bieten all ihre Kraft auf – nicht nur, um das Blatt zu bekommen, sondern auch, um Pidge und Brigit daran zu hindern, einen Stein mit dem Blut der Mórrígan zu finden. Oder besser: Sie wollen diesen Stein an sich bringen. Kann die Mórrígan ihn in die Hände kriegen, kann sie ihr schwach gewordenes Blut mit diesem Tropfen wieder stark machen, Olc-Glas töten und sich seine Bosheit einverleiben; die gesamte Schöpfung wäre dann von ihr bedroht. Gelingt es den Geschwistern, den Stein zu behalten, können sie mit dem Blut Olc-Glas vernichten und die Welt retten. Zum Glück helfen ihnen die guten Götter: der Dagda, Angus Óg, der Gott der Liebe, und Brigit, die Göttin des Herdfeuers; es helfen auch der mythische Held Cúchulain, viele Tiere und andere Geschöpfe.

Pat O’Shea schreibt mit einer geradezu übersprudelnden Fülle von Einfällen und mit ständig präsentem, feinsinnigem Humor, den Übersetzerin Bettine Braun gekonnt ins Deutsche übertragen hat. Die Diktion und der Reigen skurriler, liebenswerter Figuren erinnern stark an Lewis Carroll; wer Bücher wie „Alice im Wunderland“, „Der Zauberer der Smaragdenstadt“ oder „Der kleine Prinz“ mag, wird dieses Buch ebenfalls liebgewinnen. Es ist für Kinder zum Lesen oder Vorlesen geeignet, auch für kleinere, denn es bietet eine einfache und dennoch kunstvolle Sprache, hält mit den Geschwistern zwei starke Identifikationsfiguren bereit und beinhaltet – ohne zu moralisieren – sehr viel Lebensweisheit, auf fast beiläufige, aber einprägsame Art vorgetragen. Ein sehr schönes Beispiel ist die Unterhaltung mit dem Fuchs Curu, dem vielleicht besten Freund der Kinder, der sich bitter über die Fuchsjagd beklagt und beweist, dass Füchse nicht Schädlinge, sondern sehr nützlich sind, auch wenn sie einmal ein Huhn stehlen. (Wer danach noch immer ein Fan dieses Mordsports ist, dem kann nicht mehr geholfen werden.)

Spannung und auch gruselige Momente kommen natürlich nicht zu kurz, jedoch zerstören diese Szenen, bei allem Ernst, nicht den heiteren Zauber des Buches. Man erkennt die Sicht der Autorin: Zum Leben gehört auch das Gefährliche und Dunkle, ohne dass die Schönheit des Ganzen darunter leidet. Pidge und Brigit müssen viele Abenteuer und Gefahren bestehen, und manchmal wird sich beim Vorlesen ein kleines Kind vielleicht auch unter die Decke verkriechen, aber doch immer mit der festen Gewissheit, dass am Ende alles gut ausgeht. Und noch öfter wird geschmunzelt werden; zwar entbehrt dieser Roman jeder hemdsärmligen Comedy, doch der feine Humor ist überall präsent, bis in die liebevolle Zeichnung der Nebenfiguren hinein (einer davon, dem Wachtmeister, der am Ende geläutert wird, gehört sogar der Epilog). Selbst die Vertreterinnen des Bösen, zumindest Melody und Breda, haben lustige Szenen und wirken bisweilen eher skurril als finster. Es ist überhaupt erstaunlich, wie Pat O’Shea die Götter- und Heldengestalten Irlands zum Leben erweckt und dem Leser nahe bringt. Gleiches gelingt ihr mit der Landschaft der Grünen Insel, die auch die Landschaft der Anderswelt Tír-na-nÓg ist, in der die Geschwister den größten Teil ihrer Abenteuer bestehen müssen und die eine liebevoll gezeichnete Kulisse für die Handlung bildet, nicht in langen Schilderungen ausgewalzt, aber ständig präsent und einprägsam in den Details.

Kurzum: ein großartiges Buch!

|Orginaltitel: The Hounds of the Mórrígan
übersetzt von Bettine Braun|

_Peter Schünemann_
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Murphy, Pat – Geisterseherin, Die (Magic Edition Band 1)

„Magic Edition“ ist eine weitere neue Reihe des [BLITZ-Verlages,]http://www.blitz-verlag.de und mit diesem Buch startet sie exquisit. Pat Murphy versteht es, faszinierend, spannend und berührend zugleich zu erzählen. Faszinierend: denn die Handlung ihres Buches dreht sich um die Maya-Kultur. Spannend: denn in den Ruinen von Dzibilchaltún lauern genügend Gefahren auf die Archäologen. Und berührend: Murphy versteht es, das Innenleben der drei weiblichen Hauptfiguren dem Leser nahezubringen.

Da wäre zuerst Elizabeth Butler: einundfünfzig, zielstrebig, erfolgreich, Autorin mehrerer viel gelesener Bücher über die Maya und die Archäologie (Kostproben aus ihrem neuen Manuskript fügt Murphy harmonisch ins Buch ein). Außerdem ist Elizabeth verrückt, aber nicht, weil sie vor Jahren Selbstmord begehen wollte und von ihrem Ehemann in die Psychiatrie eingeliefert wurde, sondern weil sie tote Menschen sieht, zum Beispiel die Maya von Dzibilchatún – keine Geister, nein, diese Menschen selbst und das, was sie zu Lebzeiten taten. Daher rühren Elizabeths Erfolge, aber auch ihre Isolation von ihren Mitmenschen: Ihre „Gesichte“ sind ihr vertrauter als Zeitgenossen, die sie entweder schlecht behandelt haben oder einfach nicht interessieren. Sie lebt ganz für die Archäologie, die es ihr ermöglicht hat, sich aus einer erstickenden Ehe zu lösen und auf eigene Füßen zu stellen, unabhängig von einem „Ernährer“. Der Preis dafür war der Verlust ihrer Tochter Diane.

Diane Butler: Sie fliegt Hals über Kopf nach Mexiko, zu ihrer Mutter, die sie fünfzehn Jahre nicht gesehen hat. Ihr Vater ist unverhofft gestorben, ihr Geliebter (verheiratet) hat die Beziehung beendet und sie daraufhin gekündigt, denn der Geliebte war zugleich der Chef. Diane weiß nicht so recht, was sie in Mexiko will, aber ihre Mutter nimmt sie ins Team auf. Bald zeigt sich, dass sie die gleiche Fähigkeit wie Elizabeth hat, wenn auch nicht so ausgeprägt. Aber sie ist sich lange nicht klar darüber, dass es überhaupt eine Fähigkeit ist – sie hält, was sie sieht, für Tagträume.

Die dritte wichtige Frau ist Zuhuy-Kak, Priesterin der Mondgöttin zu der Zeit, als die Tolteken das Reich der Maya angriffen. Sie opferte ihre Tochter für den Sieg ihres Volkes, musste aber dennoch erleben, wie dieses den Eindringlingen unterlag. Von den Eroberern wegen ihrer übernatürlichen Fähigkeiten gefürchtet, sollte sie im heiligen Cenote-Brunnen von Chichén Itzá geopfert werden, überlebte den Sturz aber, was sie zur Botin machte, die den Willen der Götter verkündet – und sie sorgte dafür, dass die Tolteken keine Freude an ihrem Sieg hatten. Dennoch findet sie keine Ruhe, auch wegen ihres scheinbaren Versagens beim Opfer. Sie nimmt mit Elizabeth Kontakt auf und möchte die Macht der Mondgöttin wieder herstellen, indem nun Diane geopfert werden soll.

Genug Zündstoff also, um eine wirklich spannende Handlung in Gang zu setzen und ständig zu beschleunigen – und Pat Murphy macht das vorzüglich. Ihre Kenntnisse über die Maya und das Leben der Archäologen sind hervorragend, ein lebendiges Bild des vergangenen Volkes und des Daseins der Forscher entsteht. Dazu schafft sie psychologisch tiefgründig angelegte, glaubwürdige Figuren. Auch verzichtet sie auf billigen Geister-Horror und simple Gut-Böse-Konstellationen. Es gibt in dem Buch keine moralisch vorbildliche Gestalt, aber auch keine plakativ schlechte. Lebensechte Konflikte wirken als treibende Kräfte und verleihen dem Figurentableau Nähe. Murphy erzählt von Leuten, deren Probleme nicht ungewöhnlich sind, auch wenn sie in einer ungewöhnlichen Kulisse zum Tragen kommen. Was den Menschen in diesem Buch geschieht und wie sie damit umgehen, erscheint vertraut: Es geht um Freiheit, Selbstverwirklichung und um die Alternative, vor Schwierigkeiten davonzulaufen oder sich ihnen zu stellen. Das ist interessanter als Gegrusel oder Gemetzel. „Die Geisterseherin“ erweist sich in jeder Hinsicht als kleines Juwel einer stark realitätsbezogenen Phantastik.

© _Peter Schünemann_
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Hardwick, Michael – Fluch von Baskerville, Der (Sherlock-Holmes-Criminal-Bibliothek Band 1)

Es ist gar nicht so einfach, über Michael Hardwick etwas mehr zu erfahren, als der knappe Verlagstext hergibt, zumal die Notiz 1:1 von einer englischen Site übernommen wurde, die einem dann laufend von der Suchmaschine präsentiert wird. Der Vermerk, Hardwick sei der Erste, „dem seit Christopher Morley das ‚Sign of the Four‘ der |Baker Street Irregulars of America| verliehen wurde“, klingt beeindruckend, obwohl es dem Normalleser wenig sagen mag. Über das „Sign of the Four“ wenigstens liest man, es sei „eine der denkbar höchsten Auszeichnungen für einen Verehrer von Sherlock Holmes, der sich um ihn verdient gemacht hat“; nun gut. – Hardwick, so die Notiz weiter, war Leiter des Bereichs Drama bei der BBC und deren führender Drehbuchautor. Sein Roman „Prisoner of the Devil“ „wird von vielen als das beste Sherlock-Holmes-Abenteuer angesehen, das nach dem Tod Conan Doyles geschrieben wurde“ (wer auch immer diese ominösen „Vielen“ sein mögen). Einiges schrieb Hardwick zusammen mit seiner Frau Molly. Und er ist mittlerweile verstorben. Lebensdaten werden nicht genannt. Genau so fehlen Originaltitel, Erscheinungsjahr und Copyright des vorliegenden Buches. Daher von mir ein paar Ergänzungen: John Michael Drinkrow Hardwick (1924 – 1991) verfasste insgesamt 14 Sherlock-Holmes-Pastiches, darunter Theaterstücke, Romane und 1985 die besagte Autobiographie. „Prisoner of the Devil“ kam 1979 heraus, und das hier zu besprechende Buch erschien 1987 unter dem Titel „The Revenge of the Hound“ (also „Die Rache des Hundes“ – nix mit „Fluch“ und „Baskerville“).

In diesem Abenteuer schreiben wir das Jahr 1902. Queen Victoria ist tot, Edward VII. hat den Thron bestiegen. Das „Viktorianische Zeitalter“ ist dahin, Europa und die Welt stehen vor großen Veränderungen. Der deutsche Kaiser W Zwo macht durch militärische Umtriebe besorgt. Und was halten eigentlich Russland und Frankreich von der Macht des British Empire?

Doch auch für den Meisterdetektiv wird sich einiges ändern. Zum einen steht Dr. Watson zum dritten Mal auf Freiersfüßen, eine junge Amerikanerin ist die Glückliche. Zum anderen meint Holmes, seine Zeit sei abgelaufen: Die moderne Gesellschaft mache die Menschen dermaßen gleich, dass seine Methode, aus individuellen Einzelheiten zu deduzieren, sich bald erledigt haben werde. Dabei ist er kein Fortschrittsfeind, er nutzt eifrig das Telefon und sagt diesem für die Polizeiarbeit eine große Zukunft voraus. Ansonsten aber hat sich in der Baker Street 221B nicht viel verändert. Die gute Mrs. Hudson sorgt immer noch fürs leibliche Wohl, und immer noch führt man bei Drinks und einer Pfeife Rededuelle am Kamin – wie die Fans des Meisterdetektivs es lieben. Hardwick kennt seinen Holmes ausgezeichnet, das Buch ist voll von Bezügen zu anderen Fällen und von genau nachempfundenen Figuren. Und es gelingt ihm, selbst einen guten Holmes-Fall zu konstruieren, mit genug Verwirrung, Spannung und Flair.

Zuerst kommen Gerüchte auf, der Hund von Baskerville treibe nun in Hampstead Heath sein Unwesen – jedenfalls wurde ein Landstreicher von einer mysteriösen Bestie angefallen. Dann stößt man bei Straßenbauarbeiten in Tyburn auf die Gebeine gehenkter Verbrecher – und mit Watsons Hilfe werden Oliver Cromwells Knochen samt seines Schwertes identifiziert (Cromwell wurde nach Wiedererrichtung der Monarchie aus seiner Gruft geholt und nachträglich „hingerichtet“). Bald darauf stiehlt jemand Knochen und Schwert, was Holmes nicht freut, denn er meint, in diesen unruhigen Zeiten könnten solche „Reliquien“ benutzt werden, um einen Umsturz herbeizuführen. Außerdem verschwindet in Lausanne Lady Frances Carfax. Diesen Fall kennen wir von Doyle selbst; Hardwick parodiert die Eingangsszene der Geschichte recht witzig. Ebenfalls entnimmt er der Vorlage, dass Watson an Holmes’ Stelle auf den Kontinent reisen muss und dort unverhofft auf den Meister trifft, der undercover operiert. Dann folgt wieder Hardwick pur: Als die beiden mit der Fähre nach England zurückkehren, wird an Bord ein chinesischer Steward ermordet. Außerdem sucht Mycroft Holmes seinen Bruder auf und lädt ihn zum König ein, der Holmes bittet, von der Frau eines Industriellen einen Brief zurückzuerlangen, den Edward dieser Dame geschrieben hat, als er noch Prince of Wales war (Irene Adler lässt grüßen, worauf Hardwick selbst hinweist). Was noch? Das Denkmal für Cromwells „Henker“ Charles II. vor Victoria Station wird enthauptet, und der vom Hund angefallene Landstreicher verschwindet spurlos: so viele Puzzleteile. Man hofft und wünscht nur, es möge Hardwick gelingen, sie zu einem stimmigen Ganzen zu fügen – alles muss schlüssig miteinander zu tun haben, oder der Autor hat versagt.

Hardwick schafft es. Am Ende ergibt alles einen Sinn, haben wir einen Fall mit brisantem politischen Hintergrund, in dem sogar Karl Marx eine kleine Rolle spielt, und das nicht nur, weil das Geschehen auf Highgate Cemetery kulminiert. Hat sich der Leser streckenweise gefragt, was das alles soll, wird er nun reichlich entschädigt – die Schluss-Szenen sind exzellent gelungen. Ansonsten bilden rätselhafte Morde, ein undurchsichtiger Lord, Bestien, Verkleidungen, Verfolgungen, Grüfte, Geheimbünde und ein wie immer ratloser Inspektor Lestrade genau die Mischung, auf die man hofft. Gewiss fragt man sich, ob Watsons Heiratspläne im Buch noch eine andere Funktion haben als die, den Meister anfangs abzulenken, oder ob nicht ein etwas zu großer Zufall die beiden gerade an Bord des Schiffes führt, auf dem der Steward ermordet wird, was wiederum mit allem anderen in Verbindung steht. Ich fand die Anhäufung immer neuer Fälle bis zur Hälfte des Buches mitunter ein wenig zu verwirrend und manche Anspielung auf „Der Hund von Baskerville“ allzu raffiniert … doch hilft die Sympathie für den großen fiktiven Briten, solche Dinge wegzustecken und einfach weiterzulesen. Was Hardwick jedenfalls sehr gut beherrscht, ist das Sherlock-Holmes-Milieu mit all seinen Facetten, mit den Eigenheiten der beiden Hauptfiguren und ihren immer interessanten Wortgefechten. Dies ist also eindeutig ein gutes Abenteuer des unsterblichen Detektivs.

© _Peter Schünemann_
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Ursula K. Le Guin – Die Erzähler (Hainish-Zyklus)

Wieder erzählt Ursula Le Guin eine Geschichte aus ihrem „Hainish“-Universum, dem Universum der Liga, die hier Ökumene¹ heißt. Die junge Terranerin Sutty arbeitet als Beobachterin der Ökumene auf Aka, einem Planeten, der zweiundsiebzig Jahre vor der erzählten Zeit zum ersten Mal angeflogen wurde – von einem terranischen Schiff. Die Umstände des Besuches bleiben lange im Dunklen, aber die Folgen liegen sofort klar vor Augen: Die Körperschaft (die herrschende Beamtenschicht Akas) propagiert den rückhaltlosen Fortschritt, macht aus der Wissenschaft eine Quasireligion und aus der Mitgliedschaft in der Ökumene das Paradies; andererseits dürfen sich nur vier Fremdweltler auf Aka aufhalten, noch dazu in ihrer Bewegungs- und Informationsfreiheit sehr eingeschränkt.

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William Nicholson – Der Windsänger

Dieses Buch ist das erste von William Nicholson, doch kennt ihn vermutlich jeder… zumindest jeder Kinogänger. Nein? Nun: „Nell“? „Shadowland“? „Gladiator“? Zu diesen Filmen hat der Engländer die Drehbücher (mit-)geschrieben; ein Profi im Mediengeschäft also. Und man merkt auch seiner ersten Buchveröffentlichung an, dass er’s kann: diesem exzellent geschriebenen Fantasy-Roman „für Kinder“, den auch Erwachsene verschlingen werden. Ich habe knapp fünf Stunden gebraucht, um das Buch zu lesen, und fand hinterher nur schade, dass es schon zu Ende war.

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Stackpole, Michael A. – Weg des Richters, Der

„Vom Autor der besten BATTLETECH-Romane“ (Cover) ist in meinen Augen nicht unbedingt eine Empfehlung. Hätte mir meine Stammbuchhändlerin, eine große Fantasy-Kennerin, dieses Buch nicht wärmstens empfohlen, hätte ich wohl kaum einen Blick hineingeworfen – und einen hervorragenden Roman verpasst.

Stackpole führt uns in die Welt eines längst zerbrochenen Imperiums, auf dessen Trümmern sich neue Reiche gegründet haben. Doch eine Konstante gibt es nach wie vor: die Tahlion, Hüter des Gleichgewichts und des Rechts, ein Orden geradezu legendärer Kämpfer, Falkenreiter, Magier und Rechtsprecher, zu Hause in der uneinnehmbaren Stadt Tahlianna; von dort senden sie ihre Boten aus. Ihre Soldaten führen die Armeen aller Reiche, was meist eine Machtbalance garantiert. Geleitet werden die sieben Tahlion-Klassen von Hochwaltern, welche wiederum dem Meister unterstehen. Eine besondere Gruppe bilden die Dienstleister, angeführt von Seiner Exzellenz, einer Figur, die nur in wenigen Szenen auftritt, aber höchst zwiespältig und ebenso interessant ist. Die spektakulärste Klasse jedoch sind die Rechtsprecher. Ihr Training ist extrem hart, denn sie müssen praktisch alles können, selbst ein wenig Magie beherrschen. Als Einzelkämpfer durchstreifen sie das Land, um Verbrecher zu eliminieren und andere gefährliche Aufträge zu erfüllen; man schätzt ihre Dienste, aber man fürchtet sie auch, denn sie können ihre Feinde töten, indem sie ihnen die Seelen nehmen.

Nolan, Ich-Erzähler und Hauptfigur des Buches, ist einer von ihnen. Als er zwölf war, wurde seine Familie von Eroberern aus dem Reich Hamis getötet, und er machte sich allein auf den Weg nach Tahlianna, um Rechtsprecher zu werden und den Mord einmal zu rächen. Dank seines Mutes und seines Willens wird Nolan in den Orden aufgenommen. Er durchläuft eine doppelt harte Schule, denn eigentlich ist er für einen Novizen schon zu alt. Stackpole wechselt stets zwischen zwei Handlungssträngen: Ein Kapitel erzählt vom aktuellen Auftrag Nolans, das nächste von wichtigen Stationen seiner Ausbildung, und so fort. Allmählich entsteht ein intensives Bild des Haupthelden, eines nachdenklichen, mutigen und gerechten Mannes; zugleich lernt man die Tahlion-Gesellschaft als eine (spartanische) Utopie kennen. Der Autor schildert dabei auch Details wie die Einnahme des Essens und die Vergabe der Zimmer, doch gerade diese machen das Buch über die spannende Handlung hinaus interessant. Beeindruckend ist das Mysterium, das hinter den Tahlion steht und besonders die Rechtsprecher betrifft; stark angetan hat es mir das Reinigungsritual, das sie durchlaufen müssen, wenn sie eine Seele genommen haben. Hier erfährt man auch, wieso die Richter ihre Macht nicht missbrauchen können. Doch das Bild des Ordens ist kein ganz und gar lichtes – Stackpole zeigt auch, dass politisches Geschäft bisweilen nicht nur edle Mittel erfordert …

Die Handlung spitzt sich zu, als König Tirrell von Hamis von unbekannten Attentätern beseitigt werden soll. Nolan scheint der einzige geeignete Kandidat zu sein, um den König zu retten. Er besteht die erforderliche Prüfung, lehnt jedoch den Auftrag ab: Schließlich müsste er den Mann beschützen, dessen Soldaten seine Familie ausgelöscht haben. Aber Seine Exzellenz, der Politiker hinter den Kulissen, vermag ihn auf drastische Weise umzustimmen – und die Geschichte geht äußerst spannend weiter, mit unerwarteten Umschwüngen und Enthüllungen …

„Der Weg des Richters“ hat alles, was sehr gute Fantasy braucht: eine schlüssig und komplex konstruierte Welt, Kämpfe, Magie, den Weg eines Jungen zum Helden, Konflikte und Gefahren, Bestien in Menschen- und anderer Gestalt, Barden und Lieder, Liebe, Rivalität und Verrat … Stackpole schrieb das Buch 1986, vor Beginn seiner eigentlichen Karriere. Der Text wurde abgelehnt: Für den Erstling eines unbekannten Autors sei er zu lang. Doch verschaffte die Talentprobe dem Autor seinen ersten BATTLETECH-Auftrag. Es folgten STAR WARS-Romane, schließlich ein veröffentlichter Fantasy-Roman – und endlich konnte auch „Der Weg des Richters“ erscheinen.

Zum Glück!

_Peter Schünemann_
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Baxter, Stephen – Orden, Der (Kinder des Schicksals 1)

Baxter ist einer dieser SF-Autoren, an denen sich die Geister der Kritiker scheiden. Das mag daran liegen, dass seine Bücher von so unterschiedlicher Art – oder Qualität – sind. Mir hat sein |Xeelee|-Zyklus recht gut gefallen, „Zeitschiffe“ wurde von anderen heftig kritisiert und auch für seine „Multiversum“-Trilogie konnte ich mich nicht so begeistern. Wenn er tatsächlich einer der „weltweit bedeutendsten Autoren naturwissenschaftlich-technisch orientierter Science Fiction“ ist, dann steht es um Letztere wohl ziemlich schlecht.

Das Buch „Der Orden“ (der Originaltitel „Coalescent“ war wohl zu gewagt fürs deutsche Publikum) ist zumindest zu neunzig Prozent keine naturwissenschaftlich-technisch orientierte Science-Fiction. Für etliche hundert Seiten schien es mir sogar, als hielte ich da seinen ersten Versuch in den Händen, Mainstream-Autor zu werden. Aber dann dringt das Phantastische doch noch durch, wenn auch zäh und wirr. Überhaupt ist der Gesamteindruck des Romans einer von Langeweile. Ich fürchte, die einzige Spannung, die sich bei mir einstellte, rührte von der Erwartung her, dass irgendwann doch mal irgend etwas Interessantes passieren müsse.

Die Haupthandlung um einen Mann namens George Poole findet in der Gegenwart oder ganz nahen Zukunft statt. Im Nachlass seines verstorbenen Vaters findet er ein Foto von sich mit einer Schwester, die er nicht kennt. Er beginnt ein wenig herumzuforschen, aber irgendwie halbherzig. Schließlich findet er heraus, dass seine Eltern seine Zwillingsschwester Rosa aus Geldnot zu einem christlichen Orden gaben, der in Rom sitzt. Seitdem hat er nie wieder etwas von ihr gehört. (Dass er ihre Existenz vergessen hat, obwohl sie bis zum 5. Lebensjahr in der Familie war, ist nur eine von vielen Ungereimtheiten.) Poole geht nach Rom und findet sie und den Orden sogar.

Eine zweite Handlung spielt in Britannien zum Ende der römischen Herrschaft. Und jawohl, Baxter kann sich natürlich nicht enthalten, König Artus einzuflechten, obwohl das für die Handlung vollkommen unnötig ist. Regina, eine Tochter aus gutem Hause, erlebt den Niedergang der Zivilisation in Britannien im Laufe ihres Lebens am eigenen Leib. Nachdem sie etliche Stationen hinter sich gebracht hat, darunter die der Geliebten von Artus, landet sie in Rom, wo sie „dank ihres starken Charakters“ – oder was immer – in einem Orden vestalischer Jungfrauen die Führungsrolle übernimmt.

George Pooles Familie stammt von dieser Regina ab, und dass sie es tatsächlich belegen kann, hängt mit der Besessenheit des geheimen Ordens zusammen, Aufzeichnungen anzulegen.

Wie sich zeigt, leben heutzutage Tausende weiblicher Ordensmitglieder tief unter Rom in der so genannten „Krypta“, ohne dass die Außenwelt davon weiß. Man handelt mit historischen Informationen, Genealogie usw., schließlich kann man auf 1600 Jahre alte lückenlose Aufzeichnungen zurückgreifen. Aber das ist nicht alles. Poole und sein Kumpel Peter, ein Verschwörungstheoretiker, finden heraus, dass die „Schwestern“ zu einer Art Mutanten geworden sind. Sie bilden einen „Schwarm“ (im Original vermutlich das übliche hive), existieren wie ein Ameisenhaufen nur zum Selbstzweck der Existenz des Ordens, eine Sache, die Regina damals in Gang gebracht hatte. Einige von ihnen sind dazu verdammt, als Gebärmaschinen zu fungieren, während andere ihr ganzes Leben lang nicht einmal geschlechtsreif werden können. Diese Mutation, die allem widerspricht, was man über die Geschwindigkeit der Evolution weiß, ist eine weitere Ungereimtheit des Buches.

Nebenbei erwähnt werden immer mal astronomische Entdeckungen, wenn man so will. Zu Reginas Zeiten erscheinen Lichter am Himmel – vielleicht Novae? Zu Pooles Zeiten entdeckt man weit außerhalb des Sonnensystems im Kuiper-Gürtel eine geometrische Formation, dann wird dunkle Materie beobachtet … aber was soll’s? Nichts davon hat irgendeine Bedeutung für die Handlung! Es erscheint wie belangloses Geplapper des Autors, wie übrigens so vieles in dem dicken Band.

Eine weitere Person, das Mädchen Lucia aus dem Orden, spielt für einige Kapitel eine Hauptrolle, sie versucht dort auszubrechen, aber das gelingt ihr letztlich nicht. Schließlich soll der Vollständigkeit halber noch die Handlungsebene 20000 Jahre in der Zukunft erwähnt werden, die gegen Schluss ein paarmal auftaucht und so brutal wie sinnlos ist.

Keine der handelnden Personen konnte mein Interesse oder meine Sympathie wecken. Ob in Vergangenheit oder Gegenwart, alles ist einfach nur scheußlich und abstoßend. Vielleicht soll das widerwärtige Leben im Frühmittelalter zeigen, wieso Regina schließlich dazu kam, den Orden so und nicht anders zu begründen. Was dabei herauskommt, sind menschliche Ameisen. Eine Gemeinschaft, die in Arbeitsdrohnen und Gebärmaschinen aufgeteilt ist und vollkommen unerklärlicherweise neben der normalen menschlichen Gesellschaft existieren konnte, ohne dass je etwas darüber bekannt wurde.

Für eine gewisse Zeit dachte ich, Baxters Buch sei feministisch, weil es zunächst wie etwas anmutete, das LeGuin, McCaffrey oder Zimmer-Bradley verzapft haben könnten. Sein Bild von den Frauen, die hier hauptsächlich auftreten, wurde dann aber eher zum Gegenteil. Er stellt sie wie geistlose Brüterinnen hin, die nur die Fortpflanzung um ihrer selbst willen im Kopf haben, instinktgeleitete Gruppenwesen, die von der Erhaltung von „Blutlinien“ faseln und alles und jeden für dieses Ziel opfern. Kein Wunder, dass der Verschwörungstheoretiker Peter sie als Bedrohung für die Menschheit ansieht.

Sicher hat Baxter seine historischen Hausaufgaben gemacht, ich kenne mich da nicht genug aus, um sagen zu können, ob alles korrekt ist, was er sehr ausführlich zur Zeit des Niederganges Roms zu sagen hat. Seine Einbindung eines sozusagen „historischen“ Artus finde ich überflüssig, außerdem haben andere das schon besser gekonnt. Wer sich für diese Zeit interessiert, wird jedoch echte historische Romane lesen, nicht Bücher, die durch Sprünge in die Gegenwart verwirren und mit esoterischen Philosophierereien nerven. Baxter beschreibt ohnehin nur die überaus bedrückende Atmosphäre des Verfalls von Kultur und Zivilisation.

Alles in allem, ein langatmiges, enttäuschendes Werk, das auf der fragwürdigen Idee aufbaut, dass sich Menschen am Rande des Existenzminimums zu „Schwärmen“ zusammenrotten, um zu überleben. Warum beobachten wir das dann eigentlich nicht heutzutage allerorten?

_Wilko Müller jr._
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Thomas Ligotti – Das Alptraum-Netzwerk (Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek Band 2)

Wirtschafts-Horrorstorys?? Gut, der Job ist für viele Menschen oft Horror oder schlicht die Hölle, aber trotzdem lässt der Untertitel aufmerken: ein neues Subgenre? Oder muss es Wirtschaftshorror-Storys gelesen werden – das alltägliche Grauen in Geschichten dargestellt?

Oder kündigt die Etikettierung dunkle Ironie an?

Alles trifft zu. Die Wirtschaftsabläufe, deren Abbild den äußeren Rahmen für das Schicksal der Protagonisten Ligottis und zugleich für die philosophischen Betrachtungen des Autors liefert, sind eine der Manifestationen des absolut … Bösen(??). Bei aller Düsternis dieser Darstellung vermisst man aber auch den sprichwörtlichen schwarzen Humor nicht; und, ja, Ligotti zeigt Menschen, die unter ihrem Büro-Alltag leiden, Angehörige der Mittelklasse, die aufgefressen werden von Status- und Karrieredenken, vom täglichen Konkurrenzkampf und der täglichen Sinnlosigkeit.

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Korb, Markus K. – Grausame Städte (Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek Band 1)

Wenn jemand sich mit seiner schlafenden Liebsten in ein Zimmer eingeschlossen hat und einen recht einseitigen Dialog mit ihr hält, weiß der versierte Leser von Horrorstorys: Besagte Liebste ist tot, der angebliche Geliebte hat sie umgebracht und erklärt nun sich selbst und dem Publikum, wie es dazu kommen konnte. Man findet diese Konstellation immer wieder in immer neuen Variationen. Interessant an diesen ist nicht mehr das Was, sondern das Wie – Schafft es der Autor, dem Leser die Zerrissenheit des Protagonisten nahe zu bringen, die Welt außerhalb des gestörten Geistes von diesem verfremdet darzustellen und so das eigentliche Grauen zu erzeugen, das nicht den äußeren Zutaten (der Liebsten entnommene Eingeweide, eine Badewanne mit Natron etc.) entfließt? Markus K. Korb gelingt es, in „Concetta“, der ersten Geschichte des Venedig-Zyklus seines Buches – mit dem zugleich eine neue Reihe von [BLITZ]http://www.blitz-verlag.de startete: Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek (Herausgeber: gleichfalls Markus K. Korb).

Das Buch, von Gustav Wölkl wirklich schön illustriert, besteht aus zwei Zyklen zu je 4 Geschichten, die in den grausamen Städten Venedig und Berlin spielen. Es ließe sich an dieser Stelle viel Kluges über Parallelitäten innerhalb der Zyklen und zwischen diesen sagen, doch da dies bereits Eddie M. Angerhuber in ihrem fundierten Nachwort tut, seien alle Interessenten an eben dieses verwiesen. Hier kommt im Folgenden vor allem der Leser zu Wort, der sich von der Atmosphäre hat anrühren lassen oder keinen Zugang zu einer Geschichte gewann.

Insgesamt erst einmal: Mir erscheint dieser Einstieg in eine neue Reihe gelungen. Der „innere Bezug zu Poes Ideenwelt“, den Herausgeber Korb in einem kurzen Vorspruch beschwört, ist zweifelsohne gegeben, ebenso das Aufgreifen Poe’scher Motive und der Anspruch, sich nicht „in bloßen Nachahmungen“ zu erschöpfen, sondern „Eigenständigkeit und Originalität“ zu besitzen. Freilich ist in diesem Kontext „Originalität“ ein sehr hohes Wort, genau wie die Bemerkung, die in der Reihe erscheinenden Werke sollten innovativ sein und die Phantastische Literatur fortentwickeln. Leiser Zweifel: Wird diese Latte nicht – wenigstens gelegentlich – gerissen werden? Welchem Autor kann man schon bescheinigen, im Phantastischen innovativ und ein Fortentwickler zu sein? Mir fallen Namen wie Hoffmann, Poe, Kafka, Ligotti ein, aber schon bei Lovecraft komme ich ins Grübeln, denn in Sprache und Komposition ist er nicht innovativ, man könnte allenfalls seine Kosmogonie in die Waagschale werfen. Auch fragt man sich natürlich, ob Autor Korb einlösen kann, was Herausgeber Korb verspricht. Es wäre schon viel, finde ich, wenn einem gute Geschichten erzählt würden oder wenn man, wie im Nachwort beschworen, hier ein Forum schafft für die vorhandenen deutschen Talente, die Chancen brauchen, veröffentlicht und gelesen zu werden. Bei derlei Ankündigungen wäre mir ehrlich gesagt wohler. Denn so gut mir z. B. „Concetta“ auch gefallen hat – innovativ ist die Story nicht.

Es gibt in diesem Buch auch andere Texte, die mir eher wie Versuche vorkommen. „Carnevale a Venezia“, ein weiterer innerer Monolog, schickt einen Professor der Kunstgeschichte mitten im Karneval einer seltsamen Maske hinterher – zuerst scheint es sein Schwager zu sein, dann ein Privatdetektiv, den seine Frau auf ihn angesetzt hat, dann die Frau selbst. Am Ende fragt der Ich-Erzähler, ob er einem Phantom gefolgt ist, um dann fortzusetzen: „… tat ich das nicht schon seit Jahren? Habe ich nicht stets eine Idee, eine menschliche Vorstellung von Unsterblichkeit verfolgt? Kann es sein, dass diese Idee für eine kurze Zeit in der magisch aufgeladenen Luft des venezianischen Karnevals Gestalt angenommen hat?“ So leitet der Autor zum eigentlichen Thema des Textes hin, das in einer Vision gipfelt, die dem Protagonisten den Verfall der „ewigen“ Kunst und des Menschenwerkes zeigt: Venedig wird versinken, die Touristen werden mit U-Booten durch seine unterseeischen Kanäle fahren, in nicht allzu ferner Zeit. Nun gewinnen auch die relativ langen Ausführungen des Professors zu den Kunstwerken der Stadt ihren Sinn, aber mir scheint, dass dieser Text nicht organisch gewachsen ist, dass der Umschwung „Schwager / Detektiv / Frau – Idee“ doch allzu krass und unmotiviert erfolgt.

„Das Ikarus-Prinzip“ hingegen ist eine gelungene Geschichte über einen Einbrecher, der den Dionysos-Rubin aus dem Palazzo Dario stehlen will und dabei ein mysteriöses Erlebnis hat. Korb hält bis zum Schluss alles offen, es gibt mehrere Erklärungen für das Geschehen, erst das Ende deutet an, welche Lesart den Vorzug gewinnt. Der Reiz resultiert hier aus gekonnt inszenierter Unbestimmtheit, die schließlich gebührend aufgelöst wird.

Es folgt mit „Insel der Gräber“ – die Friedhofsinsel San Michele fasziniert Korb – eine Geschichte, zu der ich ein zwiespältiges Verhältnis habe. Ich finde sie gut, denn sie greift das Sujet des ahnungslosen Protagonisten auf, der ungewollt und plötzlich aus dem normalen Alltag in das Grauen hinübertritt. Der Ministrant Paulo wollte ja nur einmal sehen, wo auf San Michele die Toten ruhen, ein Jungenstreich, nichts weiter … Was daraus wird, ist bis hin zum wahrhaft monströsen Ende gut erzählt. Der Autor findet für die venezianische Sage vom Lagunengott oder -unhold eine originelle (ja, hier passt das Wort!) und natürlich grauen-volle Erklärung. Ich habe nur das Gefühl, dass die Bezüge zu Lovecrafts Kosmos die Originalität des Werkes schmälern; wenn das Wort „Shub-Niggurath!“ fällt, ist eigentlich (fast) alles klar. Ein wenig schade!

Auch in „Tief unten“, der abschließenden Geschichte des Berlin-Zyklus, verarbeitet Korb Mythologisches. Diesmal ist es die germanische Saga vom Ende der Welt, von den Ragnarök, denen ein langer Winter vorausgeht, an dessen Ende die letzte Schlacht geschlagen wird, aus welchem Anlass der Fenris-Wolf von seiner Fessel loskommt. Korb verlegt die Handlung in das Berlin einer nicht allzu fernen dystopischen Zukunft: Russland/China und die USA bedrohen einander wieder einmal mit Atomraketen, und in Deutschland feiern Faschos blutige Urständ. Wer kann, zieht sich zurück, zum Beispiel in die Welt der Bunker unter der Stadt, wo schräge Endzeit-Partys steigen. Auf einer solchen erhält der Caver Woffo von einem zwielichtigen Ungarn eine Karte mit dem Weg zu einem noch unentdeckten Nazi-Bunker. Er sucht ihn auf und findet dort einerseits eine V3, deren Zählwerk gegen Null rast, andererseits geht ihm auf, dass der unterirdische See in der Nähe des Bunkers etwas viel Monströseres beherbergt, nämlich Fenris, der nur noch ein Opfer braucht, um loszukommen … Bei allem Respekt vor dem Engagement dieses Warntextes: Ich halte ihn für den schlechtesten des Buches. Die Mischung zweier Handlungsstränge – Nazis provozieren den Dritten Weltkrieg und leiten zugleich die Ragnarök ein – überspannt den Bogen völlig, zumal die Vorstellung, Fenris hause unter Berlin und steige als riesiges Monster aus dem See empor, den Mythos ins Banale hinüberzieht. Hier wäre weniger eindeutig mehr gewesen.

„Wir sehen alle besser aus in Schwarz und Weiß“, der dritte Text des Zyklus, variiert abermals das Concetta-Motiv: innerer Monolog, gestörter Geist, umgebrachte Eltern, stumme Zwiesprache mit der Mutter, die der verlorene Sohn auf den richtigen Weg bringen wollte, schließlich wiederum (wie im „Ikarus-Prinzip“) ein Sprung in die Tiefe. Doch was mir hier gefällt, was die Geschichte auch besser als „Concetta“ macht, ist die Wahnidee hinter dem Ganzen: Der Erzähler meint, dass die Farben lügen; nur eine Welt in Schwarz-Weiß wie die der alten Filme scheint ihm ehrlich zu sein, und es ist seine Mission, dies allen Leuten zu verkünden – was er konsequent bis zum Ende tut. Ein schöner, dichter Text, der das Prädikat „originell“ zumindest im Fach „Wahnvorstellung“ verdient.

Besessen ist auch der Künstler, der in „Insomnia“ Werke der Weltkunst nachschafft – in einer brodelnden Atmosphäre des Berlin der Zwanziger, in der alles möglich scheint. Zum wirklich gelungenen Sujet, zum rasanten Erzählton kommt hier noch das, na ja, morbid Reizvolle des Ratespiels hinzu: Welches Kunstwerk ist gemeint? Und: Korb spielt in diesem Text seine Stärke der atmosphärisch dicht und detailgetreu gezeichneten Milieus voll aus. Die übrigens belebt auch die schwächeren Texte. Die grausame Stadt, nicht der einzelne Mensch, ist jeweils das Üble, Böse – die menschlichen Täter lassen sich von ihr nur infizieren und setzen handelnd um, was sie vorzeichnet.

Genaues Milieu schildert auch „Der Schlafgänger“ – für mich der Höhepunkt des Buches, eine Geschichte, die den hohen Anspruch wirklich einlöst. Mit brutaler Präzision stellt Korb den alltäglichen Horror des Lebens einer Arbeiterfamilie um 1892 dar. Bei dieser mietet sich täglich von sieben bis drei ein Schlafgast ein – das hilft der Familie, ihr mageres Budget aufzubessern. Details werden sparsam, aber gezielt und daher äußerst effektiv eingesetzt – allein die Überlegung, nach drei dann noch einen zweiten Gast aus einer anderen Schicht aufzunehmen, spricht Bände! Der Ich-Erzähler, der sich als Erwachsener an alles erinnert, beobachtet nun, wie der mysteriöse, Furcht erregende Fremde sich allnächtlich seinem kleinen Bruder nähert, der von Tag zu Tag schwächer wird. Der Junge findet bei den Erwachsenen kein Gehör für seine Befürchtungen und beschließt, selbst zu handeln … Das klassische Vampir-Sujet? Nicht wirklich. Beeindruckend: die Darstellung der schließlich enthüllten Gestalt des Fremden, noch beeindruckender aber: wie der Autor die scheinbar klare Geschichte am Ende umkippen lässt. Wieder arbeitet Korb mit der Unbestimmtheit – aber was in „Carnevale a Venezia“ leicht enttäuscht und in „Das Ikarus-Prinzip“ nicht übers Bekannte hinausgeht, lenkt hier den Blick unerwartet in die Abgründe der Seele, des Vorurteils und der Schuld. Der Leser wird gleich mit hineingelockt … So ist „Der Schlafgänger“ auch ein Spiel mit Versatzstücken und Erwartungen. Ich bin von dieser Geschichte schlichtweg begeistert.

Sie zeigt auch, was Eddie M. Angerhuber im Nachwort beschwört und was der Vorspruch programmatisch deklariert: Es gibt Talente in der deutschen Phantastik, die ihre Wurzeln in der internationalen, aber auch in der großen nationalen Tradition des Genres haben. Man muss ihnen nur die Gelegenheit geben, öffentlich wahrgenommen zu werden. Freilich wird nicht jeder Text – des Buches und, denke ich, auch der Reihe – als innovativer Geniestreich gelten können, aber Perlen finden sich hier und anderswo unstreitig. Man muss sie nur aus der Tiefe holen. Das ist freilich ein riskantes Unterfangen – aber Verleger, die kein Risiko eingehen, verdienen den Namen nicht.

Leser übrigens auch nicht …

_Peter Schünemann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|

Bujold, Lois McMaster – Paladin der Seelen (Chalion Band 2)

„Paladin der Seelen“ ist eine Art Fortsetzung von [„Chalions Fluch“. 517 Das Buch spielt einige Jahre nach den dort geschilderten Ereignissen in der gleichen Fantasy-Welt, die Autorin vermeidet es aber, die früheren Hauptpersonen noch einmal auftreten zu lassen. Bei dem, was diese durchzumachen hatten, wäre es wohl auch schwierig, da noch einen draufzusetzen. Stattdessen nimmt sie eine Randfigur des ersten Buches, die frühere Königin Ista, und schildert deren weiteres Leben.

Ista hatte ein tragisches Schicksal. Von den Göttern als junges Mädchen für eine Aufgabe ausgewählt, an der sie einst scheiterte, verbrachte sie Jahrzehnte in tiefer Depression als Opfer des „Fluchs von Chalion“, weggeschlossen in einer entlegenen Burg. Mit dem Brechen des Fluchs ist sie nun zwar befreit, weiß aber mit ihrem Leben nichts anzufangen.
Hier beginnt nun das Buch. Es ist eine Wonne, wie Bujold die Spannung aufbaut, Hinweise gibt, Fäden knüpft und den Leser in den Bann zieht.

Der Originalverlag |Eos| weiß das wohl, nutzt das auch aus und gibt dem potenziellen Leser auf seiner Website sechs Kapitel zum Schnuppern. (Eine digitale [Schnupperfassung]http://www.amazon.com/gp/reader/0380818612/ gibt es auch bei amazon.com nachzulesen.) Bei mir haben diese sechs Kapitel jedenfalls bewirkt, dass ich mir das Buch sofort vorbestellt habe – und ich habe keinen Cent davon bereut!

Man darf sich Ista nicht als altes Mütterchen vorstellen, mit 40 Jahren ist sie zwar aus der Jugend heraus, vor allem in einer Welt, die von der Anlage ungefähr unserer Renaissance entspricht, hat aber durchaus noch den Blick für einen knackigen Po bei einem Mann. Von ältlichen Gouvernanten und Haushofmeistern überwacht, bleiben ihr aber nur ihre Träume. Allerdings fangen die Götter an, sich in diese Träume einzumischen …

Ista bricht aus ihrem goldenen Käfig aus. Sie schafft es, eine Pilgerfahrt bewilligt zu bekommen, und was wie eine bessere Landpartie beginnt, gerät schnell aus den Fugen. Immer mehr Dämonen nisten sich in Tieren und auch Menschen ein, feindliche Truppen schleichen sich durch die Lande – und Istas Träume werden immer heftiger.

Nach einer Reihe von lebensgefährlichen Abenteuern ist sie wieder in – scheinbarer – Sicherheit und begegnet dort dem Mann ihrer Träume in Person. Leider liegt er im Sterben. Oder doch nicht? Was hat es mit seinem Halbbruder auf sich? Die Fairness gebietet, nicht zu viel zu verraten, da ich niemandem den Lesespaß verderben will. Jedenfalls hat Ista, nachdem alles vorbei ist, wieder ein Ziel im Leben, und eine Aufgabe, die sie ausfüllt.

Das Buch weist zunächst ein eher langsames Tempo auf, das aber öfters sehr schnell ins Dramatische umschlagen kann, wobei das Verwirrspiel der Rätsel vielschichtig, doch absolut logisch ist. Als Leser wird man trotzdem immer wieder überrascht, und das Ende ist, wenngleich nicht als „Happy“, so doch als befriedigend zu bezeichnen.

Man sollte „Chalions Fluch“ vorher gelesen haben. Es ist zwar nicht unbedingt notwendig, aber das dortige Geschehen bildet nun einmal den Hintergrund und den Auslöser für die hier geschilderten Ereignisse. (Abgesehen davon ist „Chalions Fluch“ ein Buch, das kein Fantasy-Freund verpassen sollte!)

Das einzig Traurige ist, dass es wieder einige Zeit dauern wird, bis Bujold ihren nächsten Roman fertig gestellt hat.

_[Dr. Gert Vogel]http://home2.vr-web.de/~gert.vogel/index.htm _

Whitley Strieber – Der Kuss des Vampirs

Miriam Blaylock ist eine Hüterin. Ihr Herde – ihr Vieh – sind Menschen. Sie ist eine Jägerin, die das Blut des Viehs zum Überleben braucht. Mehr als viertausend Jahre schon. Paul Ward ist CIA-Agent. Seine Profession ist das Jagen. Seine Beute: Vampire.

Miriam will in Thailand die asiatische Konklave aufsuchen, eines jener Treffen von Hütern, die einmal im Jahrhundert stattfinden. Obwohl sie unter ihresgleichen als Außenseiterin gilt, treibt sie die Suche nach einen geeigneten Partner, mit welchem zusammen sie einen letzten leiblichen Nachkommen zeugen will. In Asien angekommen, muss sie feststellen, dass sämtliche Hüter des Kontinents vernichtet wurden. Überstürzt flieht sie nach Paris, den Urheber des Massakers – Paul Ward – dicht auf ihren Fersen. Dort kann sie ihm zum zweiten Mal knapp entkommen, während auch die Pariser Vampire vollständig vernichtet werden. Als geborene Kämpferin und Jägerin beschließt sie, Paul in ihrem Domizil in Manhatten eine tödliche Falle zu stellen. Doch auch Paul ist mehr als nur ein Mensch …

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