Alle Beiträge von Michael Drewniok

Wellington, David – letzte Vampir, Der

_Das geschieht:_

Der Krieg zwischen Mensch und Vampir schien 1983 mit dem Sieg der Lebenden über die lebendigen Toten beendet zu sein, als Special Deputy Jameson Arkeley den Schlupfwinkel des Vampirfürsten Piter Byron Lares aushob und diesen mitsamt seinen letzten Getreuen dem Feuertod überantwortete. Es ‚überlebte‘ nur die Vampirfrau Justinia Malvern, die seitdem in einer geheimen Forschungsstation gefangen gehalten wird.

Zwei Jahrzehnte später ruft man im US-Staat Pennsylvania State Trooper Laura Caxton an den Schauplatz einer spektakulären Fahrerflucht: Zurück blieb nur ein Arm, der vom Körper getrennt eindeutige Lebenszeichen zeigt. Das ruft Arkeley auf den Plan, der vampirisches Wirken erkennt und den Fall im Namen des FBI an sich zieht; Caxton ernennt er kurzerhand zu seiner Assistentin.

Offensichtlich flammt der Krieg mit den Untoten wieder auf. Es ist Malvinias Brut, die im Untergrund neue Kräfte geschöpft und sich mit Zombie-Sklaven umgeben hat. Nun sind die Vampire bereit für eine blutige Rückkehr. Arkeley haben sie dabei nie vergessen; sie fürchten, bewundern und hassen ihn nicht grundlos, denn ihr alter Feind reagiert nicht nur auf ihre Attacken, sondern trägt den Kampf unverzüglich in die Reihen der Blutsauger, um deren Aufstand möglichst im Keim zu ersticken. Dabei ist Arkeley jedes Mittel recht.

Wohl oder übel folgt ihm Caxton in immer neue Vampir-Schlupfwinkel, in denen das Grauen auf sie lauert. Gnadenlos formt Arkeley sie zu einer Kriegerin in ’seinem‘ Kampf. Schwäche und Widerspruch duldet er nicht, denn je näher Arkeley und Caxton den Vampiren kommen, desto härter schlagen diese zu, um sich endlich ihrem eigentlichen Ziel widmen zu können: Die Erde soll von ihnen beherrscht und die Menschheit als Schlachtvieh unterdrückt werden …

_Die Freiheiten des lebendigen Todes_

„Subtil“ ist zweifellos das falsche Attribut für dieses wahrlich monströse Vampir-Spektakel! Schon der (Original-)Titel gleicht einer Breitseite: 13 Kugeln fasst das Magazin der Pistole Marke Glock, die Vampirjäger Arkeley ausgiebig zückt. David Wellington scheint den Entschluss gefasst zu haben, möglichst das Gegenteil der derzeit so erfolgreichen und beliebten Schmuse-Vampir-Schmonzetten zu verfassen. Dabei schießt er zwar mehrfach über das Ziel hinaus, leistet aber insgesamt gute und gründliche Arbeit.

Vampire sind zwiespältige Gestalten. Das betrifft nicht nur ihren Status als lebende Tote bzw. Untote. In der Literatur stehen sie bereits im 19. Jahrhundert (und viele Jahre vor „Dracula“) für die Befreiung des Menschen von den Regeln und Zwängen, denen er sich im (lebendigen) Alltag ausgesetzt sieht. Der Vampir hat sich ihrer entledigt. Er muss sich nicht mehr vom Gesetz, vom schnöseligen Chef und von der Schwiegermutter gängeln lassen. Auch an Vorschriften in Liebesdingen hält er sich nicht mehr. Vampire greifen sich je nach Geschlecht Frauen und Männer, wenn es sie nach ihnen gelüstet.

Diese Freiheit geht nach dem Willen derer, die Vampir-Geschichten schreiben, mit Disziplinlosigkeit einher: Die Untoten bedienen sich ihrer besonderen Talente eigennützig. Bis zur Beanspruchung der Weltherrschaft ist es anschließend offensichtlich nur noch ein kurzer Schritt, den alle großen Vampire zu gehen pflegen; die Entwicklung eines psychotischen Cäsarenwahns scheint sogar integrales Element der Vampir-Werdung zu sein. Der Mensch ist dem Vampir nur Vieh, das ihm sein Blut bietet bzw. zu bieten hat. Dass dieses Verhältnis im Detail doch sehr viel fragiler und nuancenreicher ist, wird von zahlreichen Schriftstellern thematisiert und letztlich übertrieben: Der Vampir wird zum platonisch-skrupulösen Liebhaber zögerlicher Jung-Maiden, die ihm sogar den Blutgenuss verleiden.

_Hart aber herzlos_

Zu dieser zahnschwachen Vampir-Kategorie gehören die Blutsauger des David Wellington ganz sicher nicht. Sie verlieren mit dem Tod die Bedürfnisse und Bedenken ihrer menschlichen Erst-Existenz und verwandeln sich mit Haut und Haar in kluge, gierige, bösartige Nachtmahre. Man muss ihr Herz zerstören, um sie umzubringen; ansonsten kann man sie mit Kugeln spicken, ohne sie dadurch aufzuhalten. Silber, Kreuze, Knoblauch und andere tradierte Instrumente des Vampir-Tötens sind nutzlos, Licht schwächt die Blutsauger höchstens. Wer von ihnen getötet wird, kann von ihnen – eine Hommage an Pennsylvanias Horror-Großmeister George A. Romero? – in einen Zombie-Sklaven verwandelt werden. Der Kampf gegen diese Kreaturen wird zu einem Hauen, Stechen und Schlachten, wobei die daraus resultierenden Begleiterscheinungen vom Verfasser mit großer Liebe zum Detail beschrieben werden.

Ein solcher Gegner benötigt einen Verfolger, der sogar aus noch härterem Holz geschnitzt ist. Jameson Arkeley erfüllt diesen Anspruch. Er hat sein Leben der Jagd auf Vampire geweiht und sich darüber in einen Zeitgenossen verwandelt, der sich zumindest psychisch seinen Todfeinden stärker angenähert hat als ihm lieb sein kann oder von ihm zugegeben würde. Wie weit Arkeley auf diesem Weg bereits gegangen ist, verdeutlicht sein Umgang mit der neuen Partnerin Laura Caxton, für die das Hetzen von Vampiren Neuland bedeutet. Caxton sorgt nicht nur für das ‚menschliche‘ Element, indem sie Unsicherheit, Furcht, Verzweiflung und ähnliche Gefühle signalisiert. Sie repräsentiert außerdem den Leser, der sich Fragen zum Geschehen stellt, die Caxton an Arkeley weiterleitet.

_Ein Krieg im Zeitraffer-Tempo_

Der Kampf gegen die Blutsauger findet offensichtlich unter Zeitdruck statt. Wellington baut dies geschickt ein: Vampire gilt es rasch zu erwischen, bevor sie sich allzu stark vermehren. Tempo wird außerdem vorgelegt, weil sich die Vampire und ihre Verbündeten sehr nachdrücklich PS-starker Automobile und Motorräder bedienen. Zudem steht Arkeley auf dem Standpunkt, dass man sich in eine offensichtliche Falle stürzen muss, bevor diese sich planmäßig schließt. Diese aggressive Taktik ist erwartungsgemäß unsicher, was für neuerliche Stakkato-Gefechte und ein weiteres Emporschnellen des ohnehin eindrucksvollen Bodycount-Quotienten sorgt.

„Der letzte Vampir“ ist kein raffiniert gestricktes Garn. Stilistisch bleibt der Verfasser denkbar schnörkellos, wobei dies ein freundliches Urteil ist. Voran, voran, so lautet die Devise Wellingtons, der auf diese Weise den Ursprung seiner in Fortsetzungen entstandenen Romane als „serials“ enthüllt. Die dünne Charakterisierung erinnert an die „Underworld“-Filme, in denen ebenfalls der mit Action-Episoden gespickte Weg das Ziel ist. Trivial bis trashig setzt Wellington seine Mär in Szene. Auch deshalb ist „Der letzte Vampir“ ein Antipode zum aktuellen Romantik-Vampir, wie ihn u. a. Stephanie Meyer kreierte.

Während dieser vor allem als sexfreie Projektions-Figur über eine Schar pubertierender Jungmädchen kommt, liefert Wellington Alternativ-Stoff für die harten Jungs. Der Schrecken, der blutig wirkt, aber nicht ist, bleibt stets oberflächlich. Wellingtons Vampire weisen keine besondere Intelligenz auf, die allein sie wirklich einschüchternd machen könnte. Exakte Vorstellungen über eine untote Weltherrschaft scheinen sie nicht zu haben. Ihre Bösartigkeit ist vordergründig, ihre düsteren Drohungen wirken eher komisch, und ihre Zombie-Knechte sind es mit Sicherheit.

„Der letzte Vampir“ ist eine jederzeit leichte Lektüre. Autor Wellington hat sie so konzipiert und umgesetzt. Das wird durch die Geschwindigkeit bestätigt, mit der diesem ersten Roman zwei Anschlussbände folgen konnten, die das Konzept des Radau- und Action-Horrors aufnahmen, ohne ihm Anregungen geben zu können oder zu wollen. Wie Meyer & Co. findet Wellington ein bzw. ’sein‘ Publikum, das genau solche anspruchsarmen, aber unterhaltsamen Spektakel goutiert.

_Der Autor_

David Wellington wurde 1971 in Pittsburgh (US-Staat Pennsylvania) geboren. Er studierte an der Syracuse University (US-Staat New York) und an der Pennsylvania State University und arbeitete als Archivar in der Bibliothek der Vereinten Nationen.

Seine Schriftsteller-Karriere startete Wellington abseits der üblichen Verlagsschiene. Er postete erste Romane im Rahmen seines Blogs, setzte sie auf diese Weise dem Urteil seiner Leser aus und berücksichtigte Kritik für die letztlich erfolgende Drucklegung seiner Werke, die aufgrund des enormen Publikumsechos nicht lange auf sich warten ließ. Dieses Prozedere garantierte ihm den gewünschten Zugriff auf seine Stoffe, die ungleich rabiater und kompromissloser daherkommen als das Gros des modernen Mainstream-Horrors. Dabei sind Wellingtons Protagonisten eigentlich klassisch: Er schreibt über Vampire, Zombies und Werwölfe, die er indes einer radikalen Neugestaltung unterzieht und jeglicher Romantisierung entkleidet.

Wellington hat die Online-Veröffentlichung als Lockmittel und Testversion beibehalten. Auch „Thirteen Bullets“ lässt sich gratis lesen. Solche Großzügigkeit kann sich der Verfasser inzwischen leisten, da seine Romane im Buch nicht nur in den USA, sondern auch in vielen anderen Ländern der Welt veröffentlicht werden.

Websites:

– http://www.brokentype.com/davidwellington
– http://www.thirteenbullets.com

Die „Vampir“-Trilogie von David Wellington erscheint im |Piper|-Verlag:

(2007) Der letzte Vampir („Thirteen Bullets) – TB Nr. 6643
(2007) Krieg der Vampire („99 Coffins“) – TB Nr. 6645
(2008) Vampirfeuer („Vampire Zero“) – TB Nr. 6721

_Impressum_

Originaltitel: Thirteen Bullets (New York : Three Rivers Press/Random House 2007)
Übersetzung: Andreas Decker
Deutsche Erstausgabe: November 2007 (Piper Verlag/Piper Fantasy 6643)
381 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-492-26643-7
http://www.piper-verlag.de

Clifton Adams – Tanz im Hexenkessel

Vier blindwütige Geschwister tragen ihre Blutfehde in eine kleine Westernstadt. Weitgehend auf sich selbst gestellt, muss der Marshal sich ihrer erwehren … – Vor der Kulisse einer selbstvergessen feiernden Stadt spielt sich die bekannte aber interessant variierte Geschichte vom einsamen Gesetzeshüter im Kampf gegen eine Übermacht von Gegnern ab, die hier von krankhaftem Hass getrieben werden. Clifton Adams – Tanz im Hexenkessel weiterlesen

Ken Bruen/Jason Starr – Crack

Ein selbst ernannter Dealer-König und eine schöne aber stets in Schwierigkeiten steckende Frau entfesseln in New York einen Krieg zwischen der Drogenmafia, der irischen IRA, der Polizei und diversen Psychopathen … – Hart an der Grenze zur Parodie pfeift dieser Trash-Krimi auf Moral oder Logik und setzt eine Kettenreaktion absurder und gewaltreicher Zufälle in Gang: witzig in Handlung und Stil, aber nichts für nervenschwache Gemüter.
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Victor Gunn – Auf eigene Faust

Gunn Faust Cover 1982 kleinDer bizarre Mord an einer Tante wird nur durch den gefährlichen Alleingang eines hartnäckigen Ermittlers als Element einer perfiden Verschwörung entlarvt – falls der Täter nicht schneller als sein Verfolger ist … – Der vierte Teil der lang laufenden Serie zeigt einen noch deutlich aktiveren Bill Cromwell in einem kuriosen Fall, der sich so zeitlos und ohne Bezug zur realen Gegenwart nur im englischen Kriminalroman ereignen kann: altmodisch aber nostalgisch unterhaltsam.
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R. Austin Freeman – Der steinerne Affe

freeman-affe-cover-kleinEin scheinbar perfektes Verbrechen ruft den genialen Kriminologen Dr. Thorndyke auf den Plan; aus einem Häuflein arsengetränkter Menschenasche rekonstruiert er ein meisterhaftes Mordkomplott, das vor vielen Monaten eingefädelt wurde … – Routiniert und ein wenig altmodisch mischt Autor Freeman den klassischen „Whodunit“ mit einem „Howdunit“. Am Ende des unterhaltsamen, aber recht statischen und mit blass gezeichneten Figuren besetzten Krimis sind alle Fragen zufriedenstellend geklärt.
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Le Fanu, Joseph Sheridan – schwarze Vorhang, Der

Drei bisher in Deutschland nicht veröffentlichte unheimliche Geschichten des Schriftsteller Le Fanu (1814-1873) erzählen von Unrecht und Leidenschaften in einer Intensität, der selbst der Tod kein Ende setzen kann. Irische Heimatfolklore, Phantastik und früher Krimi gehen eine heutzutage seltsam anmutende, aber weiterhin spannende Verbindung ein: eine rundum erfreuliche Veröffentlichung!

_Inhalt_

– |Der schwarze Vorhang. Ein Kapitel aus der Geschichte einer Familie aus Tyrone| („A Chapter in the History of a Tyrone Family“, 1839), S. 7-56: Wie es in dieser vergangenen Zeit üblich ist, wird eine junge Frau mit einem älteren Lord zwangsverheiratet. Der hütet nicht nur das Geheimnis finanzieller Nöte, die durch die Mitgift der Ehefrau gelindert werden könnten, sondern auch die Existenz einer quicklebendigen Erstgattin, die ihren Status als Herrin des Hauses mit dem Dolch zu wahren gedenkt …

– |Aus den geheimen Aufzeichnungen einer irischen Gräfin| („A Passage in the Secret History of an Irish Countess“, 1839/“The Murdered Cousin“, 1851), S. 57-100: Als der Vater stirbt, wird sein Bruder, ein ruinierter Spieler und (allerdings nie verurteilter) Mörder, zum Vormund der einzigen Tochter und Erbin. Als diese sich weigert, ihren Cousin, einen Wüstling, zu ehelichen, lässt der Onkel die Maske fallen; nun soll ein zweiter perfekter Mord ihn in den Besitz des brüderlichen Vermögens bringen …

– |Abenteuer eines Totengräbers| („The Sexton’s Adventure“, 1851), S. 101-109: Nachdem sich Saufkumpan Slaney ruiniert eine Kugel in den Schädel jagte, ist Totengräber Martin schlagartig abstinent geworden. Eines Nachts muss er feststellen, dass Slaney ihn für sein Ende verantwortlich macht und zu sich in die Hölle nehmen will, in die ihn sein Selbstmord gebracht hat …

– |Nachwort von Alexander Pechmann: Joseph Sheridan Le Fanu – Der unsichtbare Prinz|, S. 111-119

_Das Böse ist stärker als der Tod_

Joseph Sheridan Le Fanu ist der frühe Meister gleich mehrerer Literaturgenres. Er schrieb Gruselgeschichten, die sich der irischen Folklore ebenso kundig bedienten wie der profunden Kenntnis jener dunklen Seiten der menschlichen Psyche, die eher noch unheimlicher als Gespenster, Kobolde oder andere Nachtmahre wirken können. Auch die Kriminalliteratur darf Le Fanu zu ihren Ahnen zählen, denn entkleidet man Erzählungen wie „Aus den geheimen Aufzeichnungen einer irischen Gräfin“ ihrer übernatürlichen Elemente, bleibt ein lupenreines „Locked Room Mystery“ zurück: Der scheinbar unmögliche Mord im von innen verschlossenen Raum ist beileibe keine Schöpfung von Arthur Conan Doyle & Co.! Le Fanu war ihnen um Jahrzehnte voraus, und er wusste bereits, worauf es ankam: Zwar mag es im Haus des bösen Onkels spuken, doch was das präparierte Mordzimmer betrifft, gestattet Le Fanu keine übernatürlichen Tricks! Wie der ‚perfekte‘ Mord gelingen konnte, wird offen und logisch enthüllt, und als besonders perfiden, aber die Spannungsschraube ordentlich anziehenden Einfall lässt der Verfasser die unglückliche Gräfin die Vorbereitungen zur eigenen Ermordung machtlos beobachten.

_“A damsel in distress“_

Nicht nur in dieser Hinsicht wirken Le Fanus Geschichten bemerkenswert modern. Sowohl in „Der schwarze Vorhang“ als auch in den „Aufzeichnungen einer irischen Gräfin“ steht eine weibliche Figur im Mittelpunkt der Ereignisse. Es handelt sich zwar vordergründig um die klassische „Jungfrau in Nöten“, doch weitet Le Fanu dieses Klischee zum – durchaus anklagend eingesetzten – Movens einer Handlung, die nur durch die gesellschaftliche Realität des 19. Jahrhunderts möglich wird: Die Frau ist keine selbstständige Person, sondern erstens Tochter und zweitens Ehefrau und Mutter. Le Fanu arbeitet das daraus entstehende Elend in seine Erzählungen ein. Wenn die junge Frau aus „Der schwarze Vorhang“ erst von den eigenen Eltern und dann von einem ihr ausgesuchten Gatten dominiert wird, entspricht das realen Verhältnissen. Le Fanu thematisiert das persönliche Elend der hilflosen und zur Ehe gepressten Tochter, das auf seine Weise mindestens ebenso unheimlich wirkt wie der spätere Auftritt einer geistesgestörten Furie oder der Spuk des titelgebenden Vorhangs.

Auch die „irische Gräfin“ der zweiten Erzählung mag zwar von Adel und vermögend sein, doch das nützt ihr gar nichts in einer strikt maskulinen Welt. Im Gegenteil macht ihr Status sie zum idealen Opfer: Der Vater hat sie dem Onkel als Mündel unterstellt, obwohl er von dessen üblem Ruf wusste; er vertraute diesem seine Tochter auf Gedeih und Verderb an, um zu zeigen, dass er an die Unschuld des Bruders glaubte. Die Wahrheit klammerte er dabei aus. Nun ist die Tochter dem Onkel ausgeliefert: Wird sie den eigenen Cousin nicht heiraten, wodurch ihr Vermögen juristisch in seine Verfügungsgewalt übergeht, will der Onkel sie ermorden und danach beerben. Die eigene Cousine kann der jungen Gräfin nicht helfen, denn dem Vater und Vormund ist es gestattet, die beiden jungen Frauen „zu ihrem Besten“ daheim einzusperren.

_Die Hölle kann warten_

Irdische Gerechtigkeit ist ein Faktor, an den Le Fanu nicht glauben mag. Es gibt zwar eine Justiz, doch die ist parteiisch. Wenn jemand hängt in den hier gesammelten Geschichten, so höchstens ein Pechvogel, dessen Wort vor Gericht nichts gilt. Ein angesehener Adliger kann der übelste Unhold sein, doch seine Privilegien sichern ihm beinahe unbeschränkte Immunität. Ein Meineid ist da noch das geringste Vergehen.

Wenn es die Schurken schließlich doch erwischt, wirkt dies nicht selten wie eine Pflichtübung. In „Der schwarze Vorhang“ ist es der gute, alte Wahnsinn, der dem Schuldigen ein bitteres Ende beschert. (Freilich nimmt er seine Geheimnisse mit ins Grab; Le Fanu verweigert seinen Lesern eine Aufklärung der rätselhaften Ereignisse, die sie sich selbst zusammenreimen müssen.) In „Aus den geheimen Aufzeichnungen …“ munkelt die Erzählerin von einem grausigen Tod, den der mörderische Vater und sein Sohn auf der Flucht erlitten, ohne Details zu nennen; das Schicksal hat sie gerichtet. Und in „Abenteuer eines Totengräbers“ ist es das Opfer persönlich, das demjenigen, der sein Ende verschuldete, hinterherjagt: Irgendwann, so Le Fanu, erwischt es den Bösewicht, und wo irdische Gerichte versagen, nehmen sich höhere Mächte letztlich der Sache an. Dass es so kommen wird, deuten oft dunkle und zunächst unerklärliche Vorzeichen an.

_Ein Geschenk an die (deutschen) Leser_

J. S. Le Fanu gehört zu den Autoren, deren Werke zumindest hierzulande nur einem recht kleinen Leserkreis bekannt sind. Selten erschienen seine Romane und Erzählungen, wobei Letztere meist über unzählige Sammlungen verstreut wurden. Die kleine |Achilla Presse| bringt mit „Der schwarze Vorhang“ nunmehr den zweiten Le-Fanu-Band heraus. Der monumentalen Ausgabe des Romans „Checkmate“ (1871, dt. „Schachmatt“) folgt dieses Bändchen mit drei zuvor unveröffentlichten Geschichten.

Als willkommene Zugabe folgt ihnen ein Nachwort des Übersetzers und Herausgebers Alexander Pechmann, der über Le Fanus Leben und Werk informiert und die drei Erzählungen dort verortet. Da der Verfasser als Schriftsteller ein ökonomisch denkender Profi war, griff er eigene Ideen immer wieder neu auf, arbeitete sie um oder in spätere Werke ein.

Als Buch ist „Der schwarze Vorhang“ ein kleines, aber feines Schmuckstück. Nicht nur fest, sondern auch sauber gebunden, in einem schmucken Schriftfont gedruckt und mit einem Lesebändchen versehen, wird es zweifellos ganze Lesergenerationen überdauern – und das hat es auch verdient!

_Der Autor_

Joseph Thomas Sheridan Le Fanu wurde am 18. August 1814 in der irischen Stadt Dublin geboren. Von 1833 bis 1837 studierte er Jura am Trinity College zu Dublin. 1838 erschien im „Dublin University Magazin“ Le Fanus erste Kurzgeschichte. 1845 veröffentlichte der Autor mit „The Cock and Anchor“ einen ersten (Historien-)Roman, der deutlich den Einfluss des Schriftstellers Walter Scott (1771-1832) verrät, den Le Fanu sehr verehrte.

Als Jurist war Le Fanu nie tätig. Stattdessen wurde er Journalist. Ab 1837 war er Eigentümer oder Miteigentümer mehrerer Zeitschriften. Die damit verbundenen Pflichten schränkten seine schriftstellerische Tätigkeit stark ein. Erst nachdem er 1861 Besitzer und Eigentümer des „Dublin University Magazine“ geworden war, schrieb Le Fanu wieder selbst.

1844 heiratete Le Fanu Susanna Bennett. Als sie 1858 starb, fiel Witwer Joseph in eine tiefe Depression, die er nie überwand. Er zog sich völlig aus der Öffentlichkeit zurück und vergrub sich in seinem Haus am Merrion Square. In Dublin nannte man ihn den „unsichtbaren Prinzen“. Seine Produktivität wurde von diesem Lebensstil nicht beeinflusst. In den Jahren nach 1858 veröffentlichte Le Fanu ein bis zwei Romane pro Jahr sowie diverse Kurzgeschichten und Novellen. Er schrieb Historienromane, Krimis und immer wieder Geistergeschichten. 1872 schuf Le Fanu mit [„Carmilla“ 993 nicht nur eine frühe Vampir-Figur. Carmilla alias Mircalla Karnstein war zudem lesbisch, was Le Fanu zwar zeitgenössisch zurückhaltend, aber doch eindeutig thematisierte. Knapp ein Vierteljahrhundert später veröffentlichte Bram Stoker (1847-1912), der Le Fanu sehr schätzte, „Dracula“. Der Vampir wechselte das Geschlecht, doch das Element der ‚verbotenen‘ erotischen Ausstrahlung übernahm und steigerte Stoker.

Der „unsichtbare Prinz” starb am 7. Februar 1873 in seiner Heimatstadt Dublin. Er wurde auf dem Friedhof von Mount Jerome bestattet. Sein Werk fiel zunächst der Vergessenheit anheim, doch seine schriftstellerischen Qualitäten blieben auch den Nachgeborenen nicht verborgen. 1923 ließ Montague Rhodes James, seines Zeichens Historiker, Literaturwissenschaftler und selbst einer der größten Verfasser von Geistergeschichten, Le Fanus verstörende Spukgeschöpfe in der Sammlung „Madame Crowl’s Ghost and Other Tales of Mystery“ wieder aufleben. Heute genießt Le Fanu den literarischen Ruhm, der ihm zusteht.

_Impressum_

Originalzusammenstellung
Übersetzung: Alexander Pechmann
Deutsche Erstausgabe: Januar 2009 (Achilla Presse Verlagsbuchhandlung)
120 Seiten
EUR 15,00
ISBN-13: 978-3-940350-09-1
http://www.achilla-presse.de

Clegg, Douglas – Vampyricon 1: Priester des Blutes

_Das geschieht:_

In der später „Bretagne“ genannten Region Frankreichs wird er irgendwann im 12. Jahrhundert geboren: Aleric Atheffelde, Sohn einer Hure und eines unbekannten Vaters. Der Großvater lehrt ihn die Familiengeschichte; angeblich entstammt Aleric einem vornehmen und vormals mächtigen Geschlecht. Doch die Realität sieht anders aus. Aleric wächst in einer elenden Hütte auf, bis er in die Dienste des Barons Trevor de Whithors treten kann. Dessen Jagdmeister nimmt ihn unter seine Fittiche. Als Falkner kann Aleric sein Geschick im Umgang mit den Vögeln des Waldes ausspielen.

Unermüdlich lernt und müht er sich – und zieht sich die Todfeindschaft seines Halbbruders Corentin zu, der ebenfalls am Hofe des Barons lebt. Das wird sich rächen, denn eines Tages verliebt sich Aleric in Alienora, die schöne Tochter des Barons; ein Sakrileg, zumal diese Liebe erwidert wird. Corentin schwärzt seinen Bruder an. Aleric wird gefangen gesetzt und in die Sklaverei verkauft. Als Soldat muss er im Heiligen Land an vorderster Front gegen die Sarazenen kämpfen.

Wider Erwarten schlägt sich Aleric buchstäblich gut als Krieger. Doch als er die frommen Worte von der ‚Befreiung‘ Palästinas als blutige Lüge erkennt, macht er sich davon. Tief in der Wüste gerät er an einen verwunschenen Ort, der von Vampiren und Ghulen bewohnt wird. Hier lockt ihn die uralte Vampyr-Priesterin Pythia in ihren Bann und verwandelt ihn in einen Blutsauger.

Die scheinbare Unsterblichkeit bedeutet indes keineswegs Unverwundbarkeit. Über Aleric schwebt zudem der Fluch einer uralten Prophezeiung, die ihn als düsteren Messias der Vampyre ankündigt – ein Schicksal, dem sich Aleric von nun an ebenso eifrig wie verzweifelt stellt …

_Vampire (endlich) einmal (etwas) anders_

Das frühe 21. Jahrhundert steckt zumindest in den Bereichen Unterhaltungsliteratur und Film fest zwischen den Fangzähnen der Vampire. Was die Freunde der Phantastik eigentlich erfreuen sollte, relativiert sich bei näherer Hinsicht: Tatsächlich dominiert vor allem das untote Weichei mit Beißhemmung, dessen ‚erotische‘ Wirkung sich darauf beschränkt, den Träumen pubertierender Jungmädchen vage Gestalt zu verleihen. Darüber hinaus springen die Fabrikanten schmalztriefender Liebesromane auf den Zug der Zeit auf und ersetzen den blankbrüstigen Piraten, den schwarzlockigen Clanskrieger oder den tiefäugigen Prinzen flugs durch den blankbrüstigen, schwarzlockigen und tiefäugigen Vampir-Fürsten. Für die nicht auf diesen Leim kriechenden Leserinnen gibt es darüber hinaus die pseudo-emanzipierte Vampirfrau, der zwischen Nachtshopping und der auch durch den Tod nicht unterbrochene Suche nach Mr. Right gerade die Zeit bleibt, ihr Publikum mit den komischen Seiten der Nachzehrer-Existenz zu entzücken.

Auf der Strecke bleibt in dieser Schleimlawine des allzu Trivialen der Vampir als Nachtschattengeschöpf der uneingeschränkt fremden und eher menschenfeindlichen Art. Dieser Vampir beschränkt sich nicht auf die Offenbarung erotischer i. S. verbotener Freuden, sondern stellt eine alternative Lebensform neben dem Homo sapiens dar. (Vielleicht nennt Clegg sie auch deshalb „Vampyr“, um sie von den Larifari-Edwards der Moderne abzugrenzen.)

Diesen Kreaturen widmet Douglas Clegg seine „Vampyricon“-Trilogie. Sie schildert nicht nur den verschlungenen ‚Lebensweg‘ des Vampyrs Aleric, sondern enthüllt auch die geheime Geschichte seiner Artgenossen, die in einer nur mehr mythischen Vorzeit die wahren Herrscher auf Erden waren, bis sie entthront und in die Verdammnis gestürzt wurden.

_Horror-Historienroman der gelungenen Art_

Aleric wird in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts geboren. Bis Pythia ihn in einen Vampyr verwandelt, vergehen beinahe zwei Jahrzehnte. Eine mysteriöse, erst im Verlauf der Handlung enthüllte Verbindung zu den Vampyren existiert von Geburt an; sie bleibt lange Andeutung, denn Autor Clegg nimmt sich viel Zeit, nicht nur seine Hauptfigur, sondern auch die Welt, in der sie lebt, mit Leben zu erfüllen.

„Priester des Todes“ bietet vor allem in dieser ersten Hälfte einen düsteren und recht realistischen Blick auf das Mittelalter. Clegg thematisiert die aus heutiger Sicht grausamen Verhältnisse, das Fehlen jedes sozialen Netzes, die brutale hierarchische Ordnung der Gesellschaft, die Gnadenlosigkeit der Gesetzgebung, die Allgegenwärtigkeit von Hunger, Krankheit, Kälte und Tod, verkneift sich aber die moralisierende Wertung, die allzu viele Historienromane ungenießbar macht. Clegg möchte deutlich machen, dass diese Welt ist, wie sie ist, und hat Recht damit: Die Maßstäbe der Gegenwart lassen sich auf die Vergangenheit nicht anwenden.

Immer wieder stellt Clegg den Bluttaten der Vampyre die Grausamkeit der Menschen gegenüber. Alle Untoten ihrer Epoche sind nicht annähernd so blutrünstig wie die Kreuzzügler, die ihren „heiligen“ Krieg im „heiligen“ Land führen. Im Namen Gottes werden unsägliche Gräuel verübt, die Clegg ebenso nüchtern wie wirkungsvoll beschreibt.

_Eine Welt neben der Realität_

Dabei schleicht sich nach und nach ein mystischer Unterton ein. Clegg geht in seinem Weltentwurf von einer weitgehend parallelen, aber nicht deckungsgleichen Evolution bzw. Historie aus. Die Menschheit ist deutlich älter als ihre Überlieferungen. Der Autor nutzt dies, um eine gemeinsame Frühgeschichte von Menschen und Vampyren zu konstruieren, wobei diese in einer noch früheren, endgültig im Dunkel der Mythologie versunkenen Ära ihren Anfang nahm.

Clegg geht von der Prämisse aus, dass die Relikte der alten Vampyr-Macht in der Wüstenei des Nahen Ostens verborgen liegen. Dies ist uraltes Kulturland, über das sie einstmals herrschten. Sie teilten und teilen es mit weiteren sagenhaften „Dämonen“ wie den leichenfressenden Ghulen oder gar nicht zauberhaften Meerjungfrauen. Längst hat eine schleichende Degeneration eingesetzt; die stolzen Kreaturen der Nacht haben sich in unstete und kulturlose Wegelagerer verwandelt, die im Schutz der Dunkelheit ihre Opfer reißen. Wie es sich für einen düsteren Helden ziemt, unterliegt Aleric nicht diesem Fluch. Für ihn sieht das Schicksal eine besondere Rolle vor.

Bereits aufgrund seiner Geburt sind Aleric die Augen geöffnet. Schon bevor er zum Vampyr wird, erkennt er, dass die Vergangenheit auch in seiner bretonischen Heimat keineswegs tot ist. Aleric wird am Rande eines riesigen Waldes geboren, in dem die Welt der Alten – die Clegg in die Gestalten keltischer Geistwesen kleidet – immerhin schattenhaft erhalten blieb. Sie steht auf der Kippe, denn die von einer diffusen, aber letztlich durchaus konkreten Urangst erfüllten Menschen setzen zu ihrer endgültigen Vernichtung an. Noch sind sie nicht siegreich, denn selbst die Christenkirche, die dem „Heidentum“ mit Feuer und Schwert entgegentritt, ist in sich uneins: So duldet sie später als Häretiker verfolgte geistliche Orden mit oft wunderlichen Regeln.

_Ist nicht neu, liest sich aber gut_

Vor allem in den ersten beiden Dritteln gelingt Clegg die Kombination aus Realismus und ‚echter‘ Phantastik inhaltlich wie formal. Zwar ist die Geschichte nicht neu, aber sie wird gut entwickelt und mit dem notwendigen Schwung erzählt. Clegg gelingen starke Situationsbeschreibungen und Charakterbilder. Sie kommen selten über einschlägige (Fantasy-)Klischees hinaus, funktionieren jedoch im Rahmen dieser Handlung gut. Erst im letzten Drittel übertreibt es der Verfasser, wenn in den Ruinen der Totenstadt Alkemara Rätsel und Visionen einander förmlich jagen. Jetzt verfällt Clegg in jenen weihevoll-schwülstigen Ton, der die ‚großartigen‘ Enthüllungen an den Rand der Lächerlichkeit und manchmal darüber hinaus bringt.

Positiv anzumerken ist der Bruch mit anderen ausgelaugten Motiven. Die Liebe zur schönen Alienora spielt zwar eine wichtige Rolle, doch lässt Clegg sie nie zur erwarteten Lovestory ausarten. Sie nimmt eine unerwartete Richtung (und wird zweifellos im weiteren Verlauf der Handlung eine wichtige und düstere Rolle spielen).

Auch Alerics Verbindung mit der Vampyrin Pythia ist nicht klischee-, aber kitschfrei. Clegg schafft es, die ihr innewohnende Erotik als etwas Fremdartiges und Bedrohliches sowie letztlich Geschlechtsneutrales zu definieren – als Instrument des Vampyrs, den sicherlich keine Liebe mit den Menschen verbindet. Unter diesem Vorzeichen verwundert es nicht, dass sich auch Aleric und sein Vampyr-Gefährte Ewen sehr nahe kommen; der homosexuelle Clegg thematisiert Homosexualität seit jeher in seinem Werk, ohne darin eine Berufung zu sehen oder seine Leser ausdrücklich missionieren zu wollen – als interessant entwickelter Aspekt geht es in die Handlung ein und bereichert sie.

Als „Priester des Blutes“ ausklingt, harrt eine große Geschichte ihrer Fortsetzung. Auf die freuen sich zumindest diejenigen Leser, die „Geschichte“ nicht als kunterbunte Folie und „Vampire“ nicht als Projektionsgestalten ihrer schmachtvollen Träume betrachten bzw. missachten. Mit der Einführung einer dritten, noch schattenhaften Macht neben den Vampyren sind die Weichen für die Fortsetzung gestellt, auf man gespannt sein darf und ist.

_Der Autor_

Douglas Clegg wurde am 1. April 1958 in Alexandria im US-Staat Virginia geboren. Schon früh interessierte er sich für phantastische Literatur, wobei er nach eigener Auskunft durch Edgar Allan Poe, die Bibelgeschichten des Alten Testaments und das TV-Programm inspiriert wurde: ein Cocktail aus sehr unterschiedlichen Ingredienzien, der sein Werk nachhaltig formte.

Clegg studierte Englische Literatur in Washington. Dort arbeitete er nach seinem Abschluss als Lehrer, wurde später für den Verlag |Ziff-Davis| tätig und zog 1986 nach Los Angeles, wo er von einem Nachrichtensender angestellt wurde. Nebenbei schrieb Clegg Rezensionen und Artikel. 1987 entstand „Goat Dance“ (dt. „Bockstanz“), sein Romandebüt, für das der Verfasser von der „Horror Writers Association“ ausgezeichnet wurde.

Der frühe Douglas Clegg hatte mit Veröffentlichungsproblemen zu kämpfen. Lange erschienen seine Romane ausschließlich als Taschenbücher. Dass „The Infinite“ 2001 (!) als erstes Hardcover erscheinen konnte, verdankte Clegg zu einem Großteil der Findigkeit, mit der er das Internet als Medium nutzte, um auf sein Werk aufmerksam zu machen. „Naomi“ gilt als erster Roman überhaupt, der (ab Mai 1999 in wöchentlichen Fortsetzungen und mit großem Erfolg) online gestellt wurde.

Clegg ist ein fleißiger Autor, der jährlich mindestens einen neuen Roman vorlegt und sich dabei auf die Genres Horror und Dark Fantasy konzentriert. Unter dem Pseudonym „Andrew Harper“ schrieb Clegg zwischen 1997 und 2004 drei Thriller mit Mystery- und Splatter-Elementen. „Bad Karma“ wurde 2002 verfilmt.

Über seine Arbeit informiert Douglas Clegg auf seiner vorbildlichen Website: http://www.douglasclegg.com.

Außerdem führt er ein „live journal“: http://douglas-clegg.livejournal.com.

Ein aufschlussreiches Interview gab Clegg dem Internet-Magazin |ChiZine|: http://www.chizine.com/douglas__clegg__interview.htm.

Die „Vampyricon“-Trilogie erscheint im |Blanvalet Verlag|:

(2005) The Priest of Blood („Priester des Todes”) – TB 24442
(2006) The Lady of Serpents („Die kalte Königin”) – TB 24455 [erscheint April 2010]
(2007) The Queen of Wolves (noch kein dt. Titel)

_Impressum_

Originaltitel: The Priest of Blood – The Vampyricon 1 (New York : Ace Books 2005)
Übersetzung: Jutta Swietlinski
Deutsche Erstausgabe: Juni 2009 (Blanvalet Verlag/TB Nr. 24442)
416 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-442-24442-3
http://www.blanvalet.de

Mo Hayder – Ritualmord [Jack Caffery 3]

In der englischen Hafenstadt Bristol werden Leichenteile gefunden, die aus einem organisierten Handel mit Zauber-Fetischen stammen. Zwei Polizisten müssen mit Hochdruck ermitteln, bevor ein neues Opfer ‚verarbeitet‘ wird … – Der dritte Band um den psychisch labilen Polizisten Jack Caffery beeindruckt erneut durch blutige, groteske und die Grenze zum Horror nicht nur streifende Szenen, lässt aber die Intensität der ersten beiden Romane vermissen: solides Krimi-Handwerk mit einer wirren und durch unnötige Abschweifungen beeinträchtigten Handlung.
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Mørk/Moerk, Christian – Darling Jim

_Das geschieht:_

In dem kleinen irischen Städtchen Melahide bei Dublin wird ein bizarres Mordrätsel zwar offenbart aber nicht gelöst: Moira Walsh, die vor einigen Monaten zuzog, hat in zwei Zimmern eines zum Privatgefängnis ausgebauten Hauses ihre Nichten Fiona und Roisin nicht nur festgehalten, sondern durch Essensentzug und Rattengift langsam und qualvoll sterben lassen. In einem letzten Kraftakt griff Fiona die irre Tante an und brachte sie um, konnte sich und ihre Schwester aber nicht mehr befreien.

Der erfolglose Jung-Postbote Niall Cleary stößt beim Sichten der eingehenden Paketsendungen auf ein Tagebuch, das Fiona in den letzten Tagen ihrer Kerkerhaft verfasste. Ihm entnimmt er, dass Aoife, eine dritte Schwester, in die Gewalt der Tante geraten war, aber flüchten konnte. Seitdem ist sie verschwunden.

Auch Roisin hat ein Tagebuch geschrieben, das Niall an sich bringen kann. Diese Aufzeichnungen enthüllen die Geschichte von „Darling Jim“ Quick, den die Walsh-Schwestern drei Jahre zuvor in ihrer Heimatstadt Castletownbere kennengelernt hatten. Mit ihnen allen sowie mit der Tante hatte der charmante junge Mann angebändelt und die Familie gegeneinander aufgehetzt, denn Jim war ein bösartiger Psychopath. Außerdem war er ein brutaler Raub- und Serienmörder, der mit enormem Geschick alle Indizien verschwinden ließ.

Nachdem er auch die Schwestern immer heftiger attackierte, beschlossen die in ihrer Not, den Peiniger zu ermorden. Doch Jim hatte dies vorausgesehen und einen neuen Plan geschmiedet, der seinen Tod einkalkulierte und die Walsh-Frauen in den endgültigen Untergang treiben sollte …

_Eine irische, aber irdische Krimi-Tragödie_

Irland … grünes Land der Trolle und der IRA, bewohnt von rothaarigen Schönheiten und trinkfesten Geschichtenerzählern. Klischee reiht sich an Klischee, eine Kette, die schier unzerreißbar ist. Weshalb Christian Mørk es gar nicht erst versucht, sondern sich ihrer erfindungsreich bedient, ihren Unterhaltungswert nutzt und sie ansonsten der verdienten Lächerlichkeit preisgibt.

Denn selbstverständlich ist auch Irland im 21. Jahrhundert angekommen. Was der Urlauber, der das Land wieder verlassen kann, als Idylle schätzt, ist für die Einwohner, die bleiben müssen, nicht selten eine Sackgasse. Noch schlimmer ist es für jene, die das Stigma des Außenseiters tragen. Kleine Dörfer können Brutstätten großer Vorurteile sein. Die Walsh-Schwestern steckten schon in Schwierigkeiten, bevor Darling Jim die Szene betrat.

Er ist vor allem der Katalysator für eine Kettenreaktion, die sich über drei Jahre hinzieht und auch nach Jims Ende alle zu vernichten droht, die es zu lösen versuchen. Darling Jim ist ein infernalisch erfindungsreicher Zerstörer von Menschen. Er ist ein Rätsel, sein Verhalten bleibt unberechenbar. Nicht einmal der eigene Tod kann ihn abhalten, sein verwickeltes Spiel zu spielen. Es zu entschlüsseln, bleibt einer Figur vorbehalten, die denkbar ungeeignet scheint.

_Irrungen, Wirrungen, Irritationen …_

Niall Cleary ist alles andere als der Ritter, zu dem er sich dennoch entwickelt. Er hat kein eigenes Leben, das mit der Tragödie mithalten kann, in die er verwickelt wird und in die er sich willig ziehen lässt. Niall allein gelangt in den Besitz jener Details, die ihn das Rätsel lassen. Autor Mørk lässt sie uns Leser gleichzeitig mit Niall entdecken. Er verzichtet dabei auf eine stringente Handlung, sondern lässt sie in Episoden zerfallen, die wir gemeinsam mit Niall zum Gesamtbild zusammensetzen. Fionas und Roisins Tagebuchaufzeichnungen bilden die Klammer. Die Entdeckung der einen und die Suche nach der anderen beschreibt der Mittelteil, der gleichzeitig Nialls Auftritt markiert. Es endet mit jenem Teil der Geschichte, der selbst den Walsh-Schwestern unbekannt war und den erst der hartnäckige Niall aufdecken kann.

Bis es soweit ist, führt uns Mørk immer wieder aufs Glatteis. Nach dem ersten Drittel meint man den weiteren Verlauf der Ereignisse zu kennen und ist ein wenig enttäuscht, dass die verheißungsvoll einsetzende und spannend entwickelte Geschichte diese Richtung nimmt. Genau jetzt reißt Mørk das Ruder herum. Er setzt das Licht neu, wechselt die Perspektive und gewinnt seiner schauerlichen Mär gänzlich neue Seiten ab.

„Schauerlich“ ist ein Stichwort, denn Mørk scheut vor keinem Trick zurück, um an der Spannungsschraube zu drehen. Zeitweise gewinnt der Leser den Eindruck, eine „dark fantasy“ statt eines Thrillers zu lesen. Darling Jim scheint ein mythologischer Werwolf zu sein, der wie der Ewige Jude seit Jahrhunderten durch Irland zieht und seine Opfer reißt. Auch das ist eine der erwähnten falschen Fährten und Jim Quick ein Mörder, der sich selbst perfekt zu inszenieren weiß. Die Sagen, die er für Geld in Kneipen erzählt (und die Mørk im Volltext wiedergibt), beschreiben offen seine Taten. Man muss sie nur zu deuten wissen. Den Walsh-Schwestern bleibt nicht die Zeit dafür. Erst Niall versteht, was im letzten Teil noch einmal für eine unerwartete Wendung sorgt.

_Familienhöllen brennen besonders heiß_

Während die Morde des Darling Jim eher Nebensache bleiben, konzentriert sich Mørk auf die Dynamik innerhalb der Walsh-Familie. Sie ist aus verschiedenen Gründen selbstzerstörerisch und deshalb ideal für einen geborenen und selbst ernannten ‚Wolf‘ wie Jim Quick, der – so lernen wir – selbst ungewöhnlichen Familienverhältnissen entwachsen aber nie entkommen ist.

Zum Auslöser für die Entstehung des Romans „Darling Jim“ wurde ein reales Familiendrama: In Leixlip, einer irischen Gemeinde im County Kildare, entdeckte man 2000 in einem einsamen Gehöft die Leichen einer 83-jährigen Frau und ihrer drei Nichten. Sie hatten sich offenbar religiös motiviert selbst zu Tode gehungert, ein Exempel entschlossenen Wahnwitzes, das Mørk nicht aus dem Gedächtnis ging. Er ergänzte das Szenario durch den Faktor des mörderischer Vorsatzes und ersann eine Vorgeschichte, die ebenfalls im Wahnsinn gipfelte.

Auch ohne ihre verrückte Tante haben die Walsh-Schwestern einen schweren Stand. Fiona ist eine frustrierte Lehrerin, Roisin hütet ihre lesbische Veranlagung, Aoife hört Stimmen. In ihrem Dorf beobachtet man sie mit Argusaugen und zerreißt sich das Maul über sie. Der tragische Unfalltod der Eltern hat ihre Isolation noch verstärkt. Das Trio bleibt unter sich und konserviert dadurch die Probleme.

Niall gilt der Gesellschaft als Loser. Sogar seinen wenig anspruchsvollen Job verliert er, die Karriere als Comic-Zeichner wird ein Traum bleiben. Er lebt allein mit seiner Katze, die ihm auf der Nase tanzt. Als Niall Fionas Tagebuch findet, öffnet sich ihm dadurch ein Schlupfloch. Die unbekannte und gefährliche Welt dahinter kann ihn nicht schrecken, die öde Gegenwart zu verlassen. Das wird er oft bitter bereuen, aber nie gibt er nach. Seine Erlebnisse lassen Niall reifen. Als er das Rätsel gelöst hat, steht er nur scheinbar so trostlos da wie zuvor. Endlich gelingt ihm ein Bild, mit dem er sich lange Zeit vergeblich geplagt hatte. Es steht am Ende dieses Romans und fasst wiederum verschlüsselt aber nunmehr verständlich das Geschehen noch einmal zusammen – ein eigenartiger Ausklang, der indes gut zu dieser ungewöhnlichen, gut erzählten Geschichte passt.

_Der Autor_

Geboren und aufgewachsen in Kopenhagen, der Hauptstadt Dänemark, verließ Christian Mørk Europa im Alter von 21 Jahren, um in den US-Staat Vermont umzusiedeln. Er studierte am dortigen Marlboro College Geschichte und Soziologie. Nach seinem Abschluss 1991 zog Mørk nach New York City, wo er an der Columbia Graduate School Journalismus studierte. Anschließend arbeitete er für das Unterhaltungsmagazin „Variety“, was den Umzug nach Los Angeles erforderte. Dort heuerte ihn das Studio Warner Bros. an. Im Produktionsbereich betreute Mørk in den nächsten Jahren diverse Filmprojekte, bevor er nach New York und zum Journalismus zurückkehrte.

Parallel dazu bereitete Mørk sein Debüt als Romanautor vor. Er spann ein bizarres aber reales Morddrama zu einem Psycho-Thriller aus. „Darling Jim“ erschien 2007 zunächst in Dänemark und wurde ein nationaler Bestseller. Inzwischen wurde dieses Buch in 13 anderen Ländern veröffentlicht.

Websites:
– http://www.christianmoerk.com
– http://www.darlingjim.de

_Impressum_

Originaltitel: Darling Jim (Kopenhagen : Politikens Forlag 2007)
Übersetzung: Violeta Topalova
Deutsche Erstausgabe (geb.): März 2009 (Piper Verlag)
351 Seiten
EUR 19,95
ISBN-13: 978-3-492-05256-6
http://www.piper.de

Hansen, Matthew Scott – Schwarzes Dickicht

_Das geschieht:_

Noch vor drei Jahren war Tyler Greenwood als Führungskraft eines aufstrebenden Software-Unternehmens eine respektierte Autorität. Dann begegnete er auf einem Wanderausflug in der Wildnis des US-Staats Idaho dem legendären „Bigfoot“, jenem urzeitlichen Affenwesen, das sich angeblich seit der Eiszeit in den dichten Wäldern Nordamerikas verbirgt. Tyler hing sein Erlebnis an die große Glocke und erntete Hohn & Spott. In den nächsten Jahren jagte er ebenso geldaufwendig wie vergeblich die Kreatur, heuerte sogar als Forstmann an und setzte seine Ehe aufs Spiel.

Mit seiner Familie lebt Tyler im Städtchen Snohomish, Washington. Dort untersuchen Mac Schneider und Karl Carillo, Detectives für das County Sheriff’s Department, das mysteriöse Verschwinden zweier waldwandernder Rechtsanwälte. Dass Mac dabei auf die Fußspur eines gigantischen Wesens stößt, hält er lieber geheim. Doch eindeutig geht Seltsames vor: Schwere Autos werden umgestoßen, weitere Menschen verschwinden. Durch den Wald tappt ein schattenhafter Schrecken, der nicht nur mordet, sondern dabei auch eine zielstrebige Intelligenz an den Tag legt.

Ben „Eagleclaw“ Campbell, der als Film-Indianer vom Dienst sein Geld in Hollywood verdient, kennt die Kreatur, seit er ihr Anno 1945 nur um Haaresbreite entkam. Das Wissen seiner Vorfahren ermöglicht ihm den geistigen Rapport mit dem Ungeheuer. Ben erkennt, dass es einen mörderischen Feldzug gegen die Menschen plant. Er reist nach Snohomish, um es zu stoppen. Kris Walker, eine junge, schöne und ehrgeizige TV-Reporterin, komplettiert die kleine Gruppe der ungleichen Monsterjäger, die sich zusammenraufen, um sich nur allzu bald in der Rolle von Gejagten wiederzufinden …

_Der Affe, der nicht sterben will_

Der Homo sapiens ist seit jeher eine unbarmherzig tüchtige Spezies. Wer ihm bei der Besiedlung dieses Planeten in die Quere kam, wurde aus dem Weg geräumt. Dies schloss weniger erfolgreiche Prototypen des Menschen durchaus ein. Dass der Neandertaler so ein Pechvogel war, wird heute nicht nur vermutet. Aber da gab es andere Vorfahren und Verwandte, die geistig & körperlich deutlich simpler gebaut waren und trotzdem viele Jahrtausende recht erfolgreich ihr Leben fristeten. Was geschah mit ihnen?

Spökenkieker und Spinner ‚wissen‘ längst, dass sie dorthin entwischt sind, wo sie ihr Nachfahre nicht so leicht erwischte. Sie ziehen über endlose Steppen, kraxeln auf hohe Berge und brechen durch tiefe Wälder. Dort munkeln sie als „Alma“ (Mongolei), „Yeti“ (Himalaja), „Bigfoot“ (USA) oder „Sasquatch“ (Kanada) umher und schaffen es trotz ihrer Primitivität erstaunlich erfolgreich, sich selbst modernen Spürgeräten zu entziehen.

Dass dies eventuell auf ihr Nichtvorhandensein zurückzuführen ist, behaupten natürlich nur wissenschaftshörige Spielverderber. Matthew Scott Hansen steht mit anderthalb Füßen im Lager der Gläubigen. Er hat ausgiebig über das Thema Bigfoot recherchiert und präsentiert ein Destillat aus entsprechenden Ergebnissen in einem umfangreichen Nachwort sowie auf seiner Website. (Die Feigheit der von der Beweislast scheinbar erdrückten Forschung geißelt Hansen mit der Figur eines Anthropologen, der nur hinter verschlossener Tür zugibt, dass es den Bigfoot gibt, aber die öffentliche Verlautbarung verweigert, um seiner Stellung und seiner Fördermittel nicht verlustig zu gehen.) Mit sensationellen Neuigkeiten oder gar überzeugenden Fakten kann auch er nicht dienen, weshalb wieder einmal der ‚gesunde Menschenverstand‘ und die Fantasie als Lückenbüßer einspringen müssen.

_Ein Monster macht mobil_

Der klassische Bigfoot ist ein eher scheues Lebewesen, das sich nur bedingt für einen Roman eignet, wie Hansen ihn plante. Er verwandelt den friedlichen Waldbewohner in eine mordende Bestie, die dreieinhalb Meter hoch, nashornschwer und trotzdem pfeilschnell über seine Opfer kommt. Als ‚Motiv‘ fungiert Rache, denn böse Modern-Menschen haben ihm versehentlich die Sippe ausgerottet, was zum Auslöser eines Ein-Monster-Krieges wurde, der gegen Wanderer und Waldrand-Bewohner geführt wird.

Es dauert seine Zeit, bis dies publik wird, denn der Bigfoot ist schlau. Hansen nutzt die Gelegenheit, seine Leser mit diversen Theorien bekannt zu machen, die das erfolgreiche Schattendasein seiner Spezies ‚erklären‘. So soll Bigfoot achtsam seinen Müll vergraben, und über einen siebten Sinn, der ihm das Nahen von Beute oder Feinden verrät, verfügt er außerdem. Auf menschlicher Seite sind es vor allem die nordamerikanischen Indianer, jene von den Gutmenschen dieser Welt in die Rolle des ewigen Naturkinds gedrängten Ureinwohner, die über ein ähnliches Ohr zur Geisterwelt verfügen.

Bigfoots Feldzug beginnt recht schlüssig, bis er – der Grund wird nie wirklich deutlich – eine Privatfehde mit Tyler Greenwood & Co. vom Zaun bricht. Nun legt er die Hollywood-Schläue des waschechten Psychopathen an den Tag und ist genauso schwer umzubringen. Ein feuriges Finale unter Blitz-und-Donner-Himmel und mit Kindern in Gefahr ist die logische Folge.

_Trivial schlägt realistisch_

Wenn wir es bisher nicht wussten, ist es jetzt amtlich: „Schwarzes Dickicht“ ist Horror-Trash der Handelsklasse A: Klischee reiht sich an Klischee, Originalität ist noch schwieriger zu erwischen als der Bigfoot, und sollte der Leser zwischendurch hundert Seiten überspringen, so fällt der Anschluss ans Geschehen trotzdem kinderleicht.

Erstaunlicherweise stört das weit weniger als ein exzessiv ausgewalzter Mittelteil, in dem die Handlung auf der Stelle tritt und aus welcher Bigfoot sogar passagenweise verschwindet, um Liebesränken und anderen Als-ob-Konflikten Platz zu machen. Das hätte Hansen sich und seinen Lesen ersparen können, denn obwohl „Schwarzes Dickicht“ kühl kalkuliertes Lesefutter ist, stimmt die Mischung seiner Bestandteile. Hansen kann schreiben, er hat ein Gespür für gut konstruierte Spannungsszenen (die ihre Verfilmung bereits vorwegnehmen.), und er nimmt sein Garn glücklicherweise nie bierernst. Trockener Humor und drastische Effekte scheut er nicht. Es wird gemetzelt, dass die Fetzen buchstäblich fliegen.

Zumindest diesen Bogen überspannt Hansen freilich. Eine unfreiwillig komische Sex-Szene und eine ebenso ekelhafte wie überdeutlich als lukrativer Tabubruch gedachte Vergewaltigung markieren die Grenzen seines Talents. Ein regelrechtes Trommelfeuer von Happy-Endings hätte ebenfalls nicht sein müssen; Hansen scheint sich von seiner Geschichte einfach nicht trennen zu können.

_Figuren aus der Retortenkammer_

Ein weniger erfreuliches Kapitel ist die Hansensche Figurenzeichnung. Hier schlägt der Trashfaktor ungebremst durch, denn wir finden sämtliche Pappkameraden des Genres: den redlichen, aber tragisch aus der Bahn geworfenen Durchschnittsmann; seine unverständig harmoniesüchtige Gattin, ihre kulleräugigen Kinder (= Nägelkau-Reserve, wenn das Monster im Haus des Helden auftaucht und seine Familie bedroht); den harten, aber smarten Cop plus seinen noch härteren, aber begriffsstutzigen Partner; die nicht nur publicitygeile Reporterin, die über Leichen geht (und viel zu gleichberechtigt ist, weshalb sie ganz besonders hässlich enden muss); sowie kerniges US-Landvolk in Flanellhemd und Truck, fiese Rednecks, den knarzigen Kleinstadt-Sheriff und viele, viele andere Schießbudenfiguren, die ein Stephen King in echte Charaktere zu verwandeln wüsste.

Im Fall von Ben „Eagleclaw“ Campbell hat Hansen versucht, die aufdringlichsten Klischees zu brechen, indem er aus dem weisen Schamanen einen kettenrauchenden Film-Indianer machte. Manitus Gedankenbrücke zum ebenfalls hellhirnigen Bigfoot ist allerdings noch immer so breit, dass sämtliche Inkarnationen pseudo-mythologischer Einfalt sie problemfrei nebeneinander beschreiten könnten.

Es sei ein letztes Mal wiederholt: Trotz seiner Mängel kann dieser Roman für sich einnehmen. Hansen ist konsequent, er kann unterhalten, und sollte er – z. B. als Missionar der Bigfoot-Fraktion – weitere Intentionen mit seinem Werk verbinden, ist er glücklicherweise zu ungeschickt, um dem glaubwürdig Ausdruck zu verleihen.

_Der Autor_

M. S. Hansen wurde 1953 im US-Staat Oregon geboren und wuchs im Staat Washington auf. Er studierte an der Washington State University und nahm an diversen Kursen über kreatives Schreiben teil. Nach seinem Abschluss begab er sich auf die traditionelle Ochsentour noch verpuppter Schriftsteller, d. h. er versuchte sich als normaler Arbeitnehmer. Als solcher wechselte er – auch dies ist offenbar Brauch – von Job zu Job.

Unter anderem leitete Hansen in Seattle eine Firma, die Werbespots für das Radio produzierte. Dort lernte er den Stimmenimitator Bill Fitzhugh kennen, der sein Freund und Partner wurde. Das Duo versuchte sich als Komiker und wechselte später nach Hollywood, wo es Arbeit beim Fernsehen fand. Die Partnerschaft währte 15 Jahre.

Hansen blieb in Kalifornien und schrieb einen Spannungsroman. „The Shadowkiller“ (dt. „Schwarzes Dickicht“), sein Erstling, erschien 2007 und wurde zum recht erfolgreichen Auftakt einer Schriftstellerkarriere, die Hansen fortzusetzen gedenkt.

Website: http://www.matthewscotthansen.com

Einen vorzüglichen (oder erschreckenden …) Blick auf die Welt der Bigfoot-‚Forschung‘ ermöglicht: http://www.oregonbigfoot.com

_Impressum_

Originaltitel: The Shadowkiller (New York : Simon & Schuster 2007)
Übersetzung: Andreas Kasprzak
Deutsche Erstausgabe: Dezember 2008 (Blanvalet Verlag/TB Nr. 36916)
592 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-442-36916-4
http://www.blanvalet.de

MacBride, Stuart – Blut und Knochen

_Das geschieht:_

Der neue Fall für Detective Sergeant Logan McRae von der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen ist ein recht unappetitlicher: In einem Container, der Gefrierfleisch für die Besatzung einer Ölbohrinsel enthält, wurden Teile mindestens eines fachgerecht zerwirkten Menschenkörpers entdeckt. Als die Metzgerei, die das Fleisch lieferte, von der Polizei durchsucht wird, finden sich dort weitere für den Verzehr vorbereitete Leckereien eindeutig menschlicher Herkunft.

Der Fund weckt Erinnerungen an die Taten des „Fleischers“, eines Serienkillers, der vor zwanzig Jahren Ehepaare daheim überfiel, entführte, ermordete und zerlegte. Als Hauptverdächtiger galt der Metzger Ken Wiseman, der allerdings aufgrund schwerwiegender Verfahrensfehler nach kurzer Haft auf freien Fuß gesetzt werden musste – eine Niederlage, die Detective Inspector Insch, damals ermittelnder Beamter und heute McRaes Vorgesetzter, noch heute zu schaffen macht.

Deshalb stürzt sich Insch mit Verve in die neue Fahndung nach dem alten Bekannten, denn der Metzger, in dessen Kühlkammer das menschliche Bratfleisch lagerte, beschäftigte seinen Schwager: Ken Wiseman! Der ist freilich untergetaucht, bevor ihn die Polizei festnehmen konnte, und verfällt in einen Blutrausch, der ihn die Peiniger von einst verfolgen lässt. Auch Insch und seine Familie geraten in Wisemans Gewalt.

McRae entdeckt zu allem Überfluss, dass der wieder aufgetauchte „Fleischer“ niemals Wiseman war. Damals wie heute spielt/e der Trubel dem tatsächlichen Täter in die Hände: Während die Polizei Wiseman verfolgte, konnte und kann der „Fleischer“ in aller Ruhe seinem Mordtrieb nachgeben. Jetzt agiert er noch weitaus perfider als früher, denn er schlachtet nicht alle Opfer; die Pechvögel sperrt er in sein Labyrinth ein und füttert sie mit den Resten ihrer Mitgefangenen …

_Mahlzeit!_

Schon die keltischen Skoten und Pikten waren wilde Völker, die von den Römern nur zu bändigen waren, indem sie Schottland vom Rest der britischen Hauptinsel durch den Hadrianswall trennten. Nachdem diese Grenze gefallen war, setzte ein Jahrhunderte währendes Hauen & Stechen ein, dem Mel Gibson mit „Braveheart“ ein in allen grausigen Details liebevoll gezeichnetes Filmdenkmal setzte.

Dem möchte der schottische Autor Stuart MacBride nun offenbar nachstreben, und auch er bedient sich quasi filmischer Methoden, um seiner Schauermär vom serienmordenden „Fleischer“ die nötige Durchschlagskraft zu verschaffen. Der wirkt wie einem Horrorfilm vom Kaliber einer „Splatter“-Granate wie „Texas Chainsaw Massacre“ entsprungen, auch wenn er – MacBride ist ein Witzbold; dazu später mehr – hier die Maske der „Eisernen Lady“ Margareth Thatcher trägt, die England als Premierministerin von 1979 bis 1990 regierte und – nach Ansicht ihrer Kritiker – terrorisierte.

Schon die ersten drei Bände der Logan-McRae-Serie zeichneten sich durch drastisch dargestellte Gräueltaten und -szenen aus. Dieses Mal übertrifft sich MacBride mit den ausgemalten Schauerlichkeiten nicht nur selbst: Er treibt es auf die Spitze und geht oft noch ein gutes Stück weiter. Das muss man wissen, wenn man zur Lektüre von „Blut und Knochen“ ansetzt, die empfindliche Naturen überfordern und zur Kritik herausfordern könnte.

_Ein grimmiges Vergnügen_

Wovon sich der wagemutige Leser nicht abschrecken lassen sollte, weil ihm – oder ihr – ein sicherlich politisch nicht korrekter, aber sowohl spannender als auch witziger Krimi entginge. Hinter dem vordergründigen Blutbad steckt ein mehrschichtiger Plot. Die Jagd nach dem „Fleischer“ ist „Whodunit“ und „police procedural“; wer sich hinter der Maske verbirgt, bleibt viele hundert Seiten unklar. Zwar hat der Leser keine reale Chance, die Identität des „Fleischers“ zu erraten, weil ihm entsprechende Indizien vorenthalten werden. Das wird dem Verfasser allerdings kaum jemand zum Vorwurf machen, weil dieser die lange vergebliche Fahndung so spannend in Szene zu setzen weiß.

Die Polizei steht unter Druck, der von den Vorgesetzten durch die Ränge nach unten weitergegeben wird und sich dabei verstärkt. Politik und Medien sind rasch mit dem Urteil „unfähig“ bei der Hand; sie ignorieren die Schwierigkeiten einer Ermittlung mit zwanzigjähriger Vorgeschichte, die eine Chronik menschlicher Verfehlungen darstellt. Diesen Knoten zu entwirren, bedarf seiner Zeit. Logan McRae wäre dies vermutlich weitaus früher gelungen, doch er ist gleich mehrfach gehandicapt.

MacBride schildert die Grampian Police als sympathische, aber unorganisierte Truppe. Überarbeitung und mangelhafte Ausrüstung fordern ebenso wie Kompetenzrangeleien ihren Tribut. Dass dieses Mal die Schere zwischen Herausforderung und polizeilichem Alltag besonders weit klafft, verdeutlicht MacBride, indem er immer wieder von der Ermittlung ins unterirdische Labyrinth des „Fleischers“ umblendet, in dem eine weibliche Gefangene allmählich den Verstand verliert. Hier ist der Verfasser sozusagen deckungsgleich mit dem „torture porn“ des modernen Horrorfilms à la „Hostel“ oder „Saw“, aber ihm gelingt, was er erreichen will: Dem Leser wird eindringlich klar, dass jede Sekunde zählt.

_Was schiefgehen kann …_

Auch ohne den „Fleischer“ wirkt das Leben des Logan McRae wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Von seiner Freundin Jackie hat er sich inzwischen getrennt, aber sie, die ebenfalls Polizistin ist, vermag sich unter Ausnutzung des Dienstwegs bitter zu rächen. Weiterhin ist McRae Diener zweier unberechenbarer Herrn; zwischen dem cholerischen Insch und der chaotischen Detective Inspector Roberta Steel wird er förmlich zerrieben, da die beiden zudem verfeindeten Vorgesetzten nur die Dreistigkeit eint, mit der sie den gutmütigen McRae in die Zange nehmen.

Murphy’s Law spielt eine große Rolle in den McRae-Romanen. So sicher wie nie hält der Verfasser in „Blut und Knochen“ die Balance zwischen Komik und Tragik. Zwerchfellerschütternde Episoden wechseln abrupt mit dramatischen Szenen, bei denen dem Leser das Lachen im Hals stecken bleibt. Dabei genießen auch prominente und beliebte Hauptfiguren keinen Bestandsschutz; dieses Mal ist es DI Insch, den MacBride beruflich wie privat in die Hölle stürzt.

Ohnehin verwischt der Verfasser unablässig die Grenze zwischen „gut“ und „böse“. Ken Wiseman wurde durch einen übereifrigen Polizisten in die Rolle des „Fleischers“ gedrängt, sein Leben dadurch zerstört. Als genau dies zum zweiten Mal geschieht, dreht er durch. Man versteht ihn, aber es entschuldigt nicht seine Taten – zumal MacBride mit einer gelungenen Volte Wisemans Rolle plötzlich neu definiert.

Überhaupt ist MacBride ein Meister unerwarteter Wendungen. Sie ergeben sich aus dem Geschehen und wirken nicht aufgesetzt. Wie es sich für einen gelungenen Krimi ziemt, wischt die tatsächliche Auflösung alle bisherigen Theorien vom Tisch. Für die Taten des „Fleischers“ gibt es ein Motiv – und das immerhin lässt MacBride im „Whodunit“-Stil durchblicken; man muss das zwischen geschickt gezündeten Nebelkerzen nur erkennen …

_Krimi mit Multimedia-Ansätzen_

Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen ehrbaren und überforderten Polizisten und skrupellosen Journalisten ist ein Stützpfeiler des gedruckten und verfilmten Krimis. MacBride weiß auch aus diesem Klischee Funken zu schlagen. Der Sturmlauf der Presse gewinnt groteske Züge, nachdem der Verdacht – mehr ist es nie – aufkommt, der „Fleischer“ habe Menschenfleisch in den Handel einschleusen können. Die daraus resultierenden Schlagzeilen führt uns der Verfasser buchstäblich vor Augen: Verschiedene Kapitel von „Blut und Knochen“ werden durch Kollagen eingeleitet, die Ausschnitte fiktiver Zeitungsartikel präsentieren. Sie enthalten sogar Fotos, auf denen MacBride zum Teil Schauspieler agieren ließ. Diese Schnipsel – die übrigens für die deutsche Ausgabe übersetzt und neu layoutet wurden – verdeutlichen das Tohuwabohu einer privatisierten, globalisierten, abgestumpften Gesellschaft ebenso traurig wie perfekt.

Nicht zum ersten Mal stellt sich die Frage, ob und wie MacBride den einmal eingeschlagenen Kurs weiterverfolgen möchte. Bisher ist es ihm immer noch gelungen, der Schraube eine Umdrehung mehr zu geben. Mit „Blut und Knochen“ scheint das Ende dieser Fahnenstange und die Grenze zur (gewollten?) Parodie erreicht zu sein, aber MacBride ist wie gesagt stets für eine Überraschung gut …

_Der Autor_

Stuart MacBride wurde im schottischen Dumbarton geboren. Die Familie zog wenig später nach Aberdeen um, wo Stuart aufwuchs und zur Schule ging. Studiert hat er an der University in Edinburgh, die er indes verließ, um sich in verschiedenen Jobs (Designer, Schauspieler, Sprecher usw.) zu versuchen. Nach seiner Heirat begann MacBride Websites zu erstellen, stieg bis zum Webmanager auf, stieg in die Programmierung ein und betätigte sich in weiteren Bereichen der Neuen Medien.

Stuart MacBride lebt heute wieder in Aberdeen. Über Leben und Werk informiert er auf seiner Website www.stuartmacbride.com, die er um einen Autorenblog sowie eigene Kurzgeschichten erweitert hat.

Die Logan McRae-Serie erscheint im Wilhelm Goldmann Verlag:

(2005) Die dunklen Wasser von Aberdeen („Cold Granite“) – TB 46165
(2006) Die Stunde des Mörders („Dying Light“) – TB 46262
(2007) Der erste Tropfen Blut („Broken Skin“) – TB 46574
(2008) Blut und Knochen („Flesh House“) – TB 47029
(2009) „Blind Eye“ (noch kein dt. Titel)

_Impressum_

Originaltitel: Flesh House (London : HarperCollinsPublishers 2008/New York : Minotaur Books 2008)
Deutsche Erstausgabe: Juni 2009 (Wilhelm Goldmann Verlag/TB Nr. 47029)
Übersetzung: Andreas Jäger
511 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-442-47029-7
http://www.goldmann-verlag.de

_Mehr von Stuart MacBride auf |Buchwurm.info|:_

[„Die dunklen Wasser von Aberdeen“ 2917
[„Die Stunde des Mörders“ 3739
[„Der erste Tropfen Blut“ 4940

Pelewin, Victor – fünfte Imperium, Das. Ein Vampirroman

_Das geschieht:_

Der 19-jährige Roma gehört zu denen, die vom wirtschaftlichen Aufstieg im neuen Russland definitiv nicht profitieren. Mit seiner Mutter haust er in einer winzigen Wohnung und schlägt sich als Billiglohnsklave einer Supermarktkette durch, als ihm das Glück eines Tages auf denkbar ungewöhnliche Weise hold ist: Roma wird entführt und in einen Vampir verwandelt! Als solcher gehört er nunmehr zu den Herren dieser Erde. Die Menschen, so erfährt er, sind nur genetische Produkte der Vampire, die sich eine möglichst schmackhafte und leicht lenkbare Nahrungsquelle züchten wollten.

Aller Anfang ist auch als Vampir schwer. Roma bekommt einen neuen Namen – Rama – und wird einer aufwändigen Ausbildung durch erfahrene Lehrmeister unterzogen. Er muss lernen, wie ein Vampir zu denken, was nur langsam, mühsam und begleitet von zahlreichen Missverständnissen gelingt, denn die Vampirologie stellt sein bekanntes Weltbild vollständig auf den Kopf: Nichts ist, wie es Rama zu sein schien, weil die Vampire Sorge dafür trugen, dass die Wahrheit nur ihnen vorbehalten bleibt. Die Menschen leben in einer sorgfältig konstruierten Scheinwelt, damit sie ahnungslos und leicht lenkbar bleiben.

Allmählich lebt sich Rama in seine neue Existenz ein. Mit der schönen Vampir-Novizin Hera an seiner Seite dringt er in die faszinierende Welt der Vampire vor, die zu seiner Verblüffung weder untot noch Blutsauger sind. Über interne Zwistigkeiten sind sie allerdings keineswegs erhaben. Dass seine neuen Wohltäter recht finstere Pläne mit ihm schmieden, wird Rama zu spät klar. Mit der für ihn typischen Torheit stolpert er mitten in die Falle …

_Vampire unter & über uns_

In der ‚richtigen‘ Literatur gehört der Bildungsroman zu den altehrwürdigen Erzählformen: Der junge Mensch lernt das Leben in seinen positiven und negativen Fassetten kennen; ein Prozess, der beim Leser die Erinnerung an eigene Erfahrungen in Gang setzt, ihm aber außerdem eine Chance bietet, die scheinbar bekannte Welt durch den Filter eines unverbrauchten und ungeprägten Geistes neu wahrzunehmen.

Dieser Aspekt steht für Viktor Pelewin im Vordergrund. In „Das fünfte Imperium“ bedient er sich zwar vieler Elemente der phantastischen Literatur, legt jedoch nur bedingt einen Roman vor, der sich ins phantastische Genre fügt. Pelewin ist ein Schriftsteller, den man – falls man große Worte nicht scheut – als eine „Stimme des modernen Russlands“ bezeichnen kann. Seine schriftstellerische Karriere begann mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, und als Verfasser beschäftigt er sich mit den vielfältigen Folgen einer Kapitalisierung oder Globalisierung im Zeitraffer, die in ihrer Schonungslosigkeit bizarre Blüten treibt.

Dies beschreibt Pelewin manchmal durchaus direkt, lieber aber in allegorischer oder metaphorischer Form. Dies war unter dem sowjetkommunistischen Diktat üblich und lebensnotwendig, wird aber auch heute noch geübt; zwar ist Wladimir Putin kein Stalin, aber als Menschenfreund mit offenem Ohr für kritische Stimmen darf man ihn auch nicht betrachten. Deshalb kann es durchaus ratsam sein, Missstände von Vampiren in Worte fassen zu lassen. Die Literaturkritik – vor allem die des Westens – liebt solch kunstvolle Codierung, und wer mit den lokalen Verhältnissen vertraut ist, weiß ohnehin, was der Autor sagen möchte – ein Reiz, auf den der deutsche Leser nur beschränkt reagieren kann, weshalb Pelewin allzu ‚russische‘ Interna eigens für diese Übersetzung entschlüsselt bzw. allgemeinverständlich umformuliert hat.

_Fantasie und Kritik in homogener Mischung_

Dem an literarisch verbrämter Gegenwartsbespiegelung weniger interessierten Leser bleiben die skurrilen Einfälle, mit denen Pelewin den klassischen Vampirroman bereichert. Der Pedant mag einwenden, dass diese nicht unbedingt neu oder besonders originell wirken, sondern bei anderen Autoren bereits anklingen. Allerdings ist fraglich, ob diese in Stil und Ausdruck mit Pelewin mithalten können. Die bereits mehrfach erwähnte Literaturkritik schwankt zwar im Urteil, aber fest steht, dass dieser Mann zu schreiben versteht! Bei Pelewin lohnt es nicht nur, zwischen den Zeilen zu lesen. Dennoch wird man so manche intelligente oder einfach witzige Anspielung übersehen, denn Pelewin feuert sie im Salventakt ab. So statisch und irritierend „Das fünfte Imperium“ als Roman ohne echte Handlung manchmal wirkt: Die reine Lektüre dieser 400 Seiten ist ein Genuss, muss doch die Phantastik allzu oft als Refugium für Schwätzer und Stammler herhalten!

Aus der Absurdität seiner Geistesblitze macht Pelewin ohnehin keinen Hehl. Die Welt, wie er sie schildert, KANN von uns menschlichen Lesern eigentlich gar nicht verstanden werden, da wir einen von Vampiren gestalteten und sorgfältig überwachten Alltag leben. Mit dem jungen Rama einen Vampir-Eleven einzuführen, ist ein kluger Schachzug, denn als ehemaliger Mensch kämpft dieser mit ähnlichen Schwierigkeiten. Trotzdem lässt sich die vampirische Logik nur ansatzweise begreifen (womit sich der manchmal etwas zu schwurbelige Verfasser wunderbar aus der Verantwortung stehlen kann).

_Die Welt schräg durch andere Augen betrachtet_

Vieles von dem, was Pelewin darbietet, ist purer Spaß und genussvolle Destabilisierung klassischer Horror-Elemente. Seine Vampire schlafen tagsüber nicht in Särgen. Sie zerfallen nicht im Sonnenlicht. Ihr Spiegelbild ist deutlich sichtbar. Gipfel des Mythensturms ist der Verzicht auf das Saugen von Menschenblut. Nicht einmal das Wort findet Verwendung, es gilt unter Vampiren als verpönt. Stattdessen schätzen Pelewins Vampire die gutbürgerliche Küche.

Blut ist für sie nur mehr Informationsträger. Diese Idee wird farbenfroh und überzeugend umgesetzt: Vampir-Bibliotheken bestehen nicht aus Büchern oder Dateien, sondern aus Blutproben. Wenn Rama beispielsweise einen Tropfen Musikerblut verkostet, wird er selbst zum verständigen Musikus – zumindest theoretisch bzw. bis die Wirkung nachlässt.

Denn auch oder gerade in der Welt der Vampire ist nichts so, wie es zunächst zu sein scheint. Dynamik gewinnt „Das fünfte Imperium“ aus Ramas ständigen Missverständnissen, Irrtümern und peinlichen Patzern. Seine Torheit rettet ihm freilich das Leben, denn hinter der Geburt und der Erziehung des Vampirs Rama wird nach und nach eine Verschwörung sichtbar. Auch die womöglich außerirdische Herkunft und das unglaubliche Alter hat die Vampire nicht wirklich reifen lassen. Betrug und Intrige werden auf ein exotisches Niveau gehoben, doch an den niederträchtigen Realität ändert dies nichts.

Mit der Aufdeckung dieses Komplotts versucht Pelewin auf den letzten Seiten, seinem geistreich, aber zerfahren mäandrierenden Roman so etwas wie ein logisches Finale zu verschaffen. Es gelingt, wirkt aber etwas pflichtschuldig. Der Weg ist das Ziel dieses Romans. Wer sich darauf einzulassen vermag, wird mit einem phantastischen Vergnügen der etwas anderen Art belohnt.

_Der Autor_

Viktor Olegowitsch Pelewin ist ein Schriftsteller, der äußerst medienwirksam das Licht der Öffentlichkeit scheut. Lesungen, Interviews und Fernsehauftritte verweigert er, sondern teilt sich ausschließlich über das Internet mit. Er begründet das mit der Ablehnung persönlicher Prominenz, wehrt sich aber auch nicht gegen den Ruf der unbestechlichen Unabhängigkeit, dem ihm dieses Verhalten beschert.

Bekannt ist immerhin, dass Pelewin am 22. November 1962 in Moskau geboren wurde und Elektrotechnik studierte, bevor er an das Moskauer Literaturinstitut wechselte. Seit 1990 veröffentlichte er mehrere Romane und zahlreiche Erzählungen, die in mehr als zehn Sprachen übersetzt wurden.

Als Schriftsteller beschäftigt sich Pelewin mit den politischen und vor allem gesellschaftlichen Umbrüchen, die das moderne Russland nach 1991 erfuhr. Dabei ignoriert er Genregrenzen und arbeitet gern mit – oft ironisch verfremdeten – Elementen der Phantastik.

_Impressum_

Originaltitel: Empire V (Moskau : Eksmo 2006)
Übersetzung: Andreas Tretner
Dt. Erstausgabe: Januar 2009 (Luchterhand Literaturverlag/Sammlung Luchterhand 62138)
400 Seiten
EUR 10,00
ISBN-13: 978-3-630-62138-8
http://www.luchterhand-literaturverlag.de

Sokoloff, Alexandra – Inschrift, Die

_Das geschieht:_

Die psychisch labile Robin hat im Baird College ihr Studium aufgenommen. Auf dem Campus ist sie eine einsame Außenseiterin. Ihre Zimmergenossin ignoriert oder ärgert sie. An einem langen Thanksgiving-Wochenende, das sie lieber allein in im Wohnheim als daheim bei ihrer irren Mutter verbringt, hat sie genug: Im leeren Aufenthaltsraum des Heims will sie sich mit Tabletten umbringen.

Aber Robin ist nicht allein. Patrick, Lisa, Martin und Cain, vier ebenfalls lieber aushäusige Studenten, leisten ihr Gesellschaft. Bei Alkohol und Dope kommt man sich näher, und Lisa findet ein altes Hexenbrett. Da man nichts Besseres vorhat, versucht man Kontakt mit der Geisterwelt aufzunehmen.

Das gelingt wider Erwarten tatsächlich. Es meldet sich ein gewisser Zachery, der 1920 auf dem Campus bei einem Brand ums Leben kam. Die Aufregung ist groß, doch sie schlägt in Entsetzen um, als sich Zachery als gar nicht angenehmer Spuk entpuppt. Er ist großmäulig, grob und zunehmend bösartig. Bald geht es im Wohnheim unheimlich um. Klopfgeräusche ertönen, Möbel werden gerückt, Spiegel zersplittern. Seine fünf neuen ‚Freunde‘ will Zachery nicht mehr auslassen. Robin recherchiert und findet erschrocken heraus, dass bei dem Brand von 1920 nicht nur Zachery sein Ende fand: Mit ihm starben vier andere Studenten, die Opfer eines dämonischen Zeremoniells wurden, das sich nun offenbar wiederholen soll …

_Er kommt, wie es wohl kommen musste_

Die Welt der modernen Unterhaltungsliteratur ist wundersam. „Die Inschrift“, der Debütroman der jungen Autorin Alexandra Sokoloff, ist ein gutes Beispiel: Wieso kommt diese kümmerliche Spukgeschichte nicht nur zu einer deutschen Übersetzung, sondern wird auch noch als btb-Taschenbuch veröffentlicht? In dieser Reihe erscheinen normalerweise inhaltlich und stilistisch etwas ungewöhnlichere bzw. anspruchsvollere Werke.

Liegt es an der euphorischen Werbung? „Diese packende Geistergeschichte verspricht Spannung von der ersten bis zur letzten Seite“, jauchzt die |Romantic Times|. „Poltergeist lässt grüßen … Gewürzt mit einer guten Prise erotischer Spannung, wird daraus eine ebenso atemberaubende wie bezaubernde Geschichte“, dröhnt |Kirkus Reviews|, ein ‚Rezensions‘-Medium, das seit jeher noch den gröbsten Bockmist als Goldstroh zu verkaufen versucht. Allerdings: Nehmen wir diese beiden Jubelchöre wörtlich, sind wir durchaus im Bilde. So hat die |Romantic Times| ja Recht: „Die Inschrift“ VERSPRICHT Spannung. Das Halten dieses Versprechens wird nicht garantiert.

„Poltergeist lässt grüßen“: Stimmt ebenfalls, denn Sokoloff präsentiert keine Idee, die man nicht bereits an anderer Film- oder Buchstelle gesehen hätte. Vor allem Titel von Filmen wie „Witchboard – Die Hexenfalle“, „Düstere Legenden“, „Long Time Dead – Du bist der nächste!“ und andere schematisch gedrechselte Standard-Slasher, in denen dumme & geile Teenies sich mit bösen Geistern anlegen, können hier genannt werden.

Die „Prise erotischer Spannung“ erschöpft sich in den üblichen pseudolibidinösen Wallungen, die einerseits grobschlächtig und damit typisch für besagte Hollywood-Teenies sind, und andererseits den sog. „Lady Thriller“ definieren: pathetisch klingende Wortwolken wuchten über einem Trivialkonstrukt namens „Wahre Liebe“.

_Geister müssen nicht geistvoll sein_

„Die Inschrift“ (was spricht eigentlich gegen eine Eins-zu-eins-Übersetzung von „The Harrowing“ als „Das Grauen“?) ist das Werk einer Autorin, die sich auch stilistisch ausschließlich fremdbedient. Oder ist es die Übersetzung, die diesen Eindruck weckt? Sie unterstreicht durch ihre Groschenheft-Qualität ein Missvergnügen, das die Lektüre dieses Romans begleitet:

|“Sie wirbelte herum.
Martin stand über ihr im düsteren Treppenhaus und sah zu ihr herunter.
‚Meine Güte‘, japste sie.
‚Ich muss mit dir reden‘, sagte er tonlos. Seine Stimme klang hohl in dem hohen Rundbau.
Sie ließ den Atem entweichen. ‚Und ich mit DIR.'“|
(S. 148)

Das ist ein völlig beliebig herausgegriffenes, aber absolut repräsentatives Beispiel, denn so liest sich der gesamte Text. Immerhin sind die Figuren, die solche Nonsens-Dialoge führen, entsprechend flach gezeichnet. Was die Charakterisierung angeht, hat sich Sokoloff ohnehin wohl von der klassischen High-School-Schmonzette „The Breakfast Club“ (1985) inspirieren lassen. Fünf Studenten von geradezu offensiver Wesensdifferenz finden und offenbaren einander bisher sorgfältig geheim gehaltene Seelenpein: Die scheue Schöne wurde vom Vater verlassen und wird von der verrückten Mutter gepiesackt, der Footballstar, der diesen Sport hasst, von seinem ehrgeizigen Vater mit Steroiden vollgepumpt, die fröhliche Schlampe hadert mit ihrem Hang zur Selbstzerstörung, der Musiker ist ein seelenversehrtes Waisenkind und – Sokoloff fürchtet wahrlich kein Klischee! – der Streber will nicht wie vom Papa gefordert Rabbi werden, weil er nicht an Gott glaubt.

Zachary ist als Gespenst ebenfalls keine Offenbarung. Während unsere fünf Helden seine Kasperaden offenen Mundes und leeren Hirns verfolgen, meldet sich beim Leser die Langeweile. Zachary buchstabiert kindische Beleidigungen, wirft mit Möbeln, lässt Spiegel zerspringen. Wieso sollten derartig ausgelutschte Albernheiten den Leser fesseln? Was ist das für ein Jenseits, in dem Hohlköpfe nicht nachreifen?

_Flach & öde wie ein Parkplatz_

Die Erzeugung einer Atmosphäre der Furcht gelingt nur, wenn die dafür notwendige Stimmung erzeugt wird. Im Interview erwähnt Sokoloff mehrfach die Schriftstellerin Shirley Jackson (1919-1965) mit ihrem phantastischen Meisterwerk „The Haunting of Hill House“ (1959; dt. [„Spuk in Hill House“) 368 als Vorbild, was reichlich vermessen ist. „The Haunting“ ist literarischer Schrecken in Vollendung; das Werk einer Autorin, die ihren Stoff und ihr Publikum gleichermaßen im Griff hat. Anders als Sokoloff lässt Jackson die Wörter nie wie Brechdurchfall einfach laufen, sondern arbeitet mit ihnen, bis sich der erwünschte Effekt einstellt.

„Die Inschrift“ ist quasiliterarisches Junk Food, was schlimmer ist als ein schlechter, aber offen als reine Unterhaltung verfasster (Horror-)Roman. Sokoloff gibt vor, etwas zu liefern, das sie nicht zu leisten vermag. Oder ist es die Werbung, die sie auf diese Schiene drängt? Ist Alexandra Sokoloff primär ein Geschöpf offensichtlichen Marketings? Sie ist eine schöne Frau, die auf Fotos und im TV-Interview eine gute Figur macht. Als langjährig in Hollywood beschäftigte Autorin weiß sie zudem um die Bedeutung einer soliden Selbstanpreisung, der sie nicht nur mit vielen Interviews, sondern auch als fleißige Bloggerin Rechnung trägt. Unabhängig von solchen Fragen bleibt es eine unerfreuliche Tatsache, dass wieder einmal der Leser die Zeche zahlen muss, der gutgläubig Geld und Zeit in hohles Blendwerk wie „Die Inschrift“ investiert hat.

_Die Autorin_

Alexandra Sokoloff wurde in Kalifornien geboren – das Jahr hält sie geheim – und wuchs dort auch auf. Schon in jungen Jahren interessierte sie sich für die darstellenden Künste. Zunächst spielte sie in Theaterstücken und Musicals, die sie später auch inszenierte. Folgerichtig studierte sie an der Universität von Berkeley Theaterwissenschaften. In dieser Zeit entstanden erste Bühnenstücke.

Nach Abschluss des Studiums ging Sokoloff nach Los Angeles, wo sie sich als Drehbuchautorin versuchte und mit den üblichen Anfängerschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Nach eigener Auskunft schrieb sie eine Reihe von Drehbüchern für verschiedene Studios (Namen wie Sony, Fox, Disney und Miramax fallen), wobei sie sich auf Horrorfilme spezialisierte. (Bei näherer Betrachtung zeigt sich übrigens, dass nur eines dieser Drehbücher jemals realisiert wurde: 1997 drehte der Regisseur Carl Schenkel den Thriller „Kalte Küsse“ für das deutsche Fernsehen; Sokoloff wird als Ko-Autorin des Drehbuchs genannt.)

Ohne darauf in ihrer Kurzbiografie näher einzugehen, erweiterte die nicht unbedingt erfolgreiche Autorin ihre Aktivitäten. Sie gab Tanzunterricht und begann diverse Kurse für angehende Drehbuchautoren zu leiten, was sie bis heute fortsetzt. Außerdem schrieb sie einen Roman. „The Harrowing“ (dt. „Die Inschrift“) erschien 2006 und wurde nicht nur freundlich von Kritik und Leserschaft aufgenommen, sondern auch von der „Horror Writers Association“ für einen „Bram Stoker Award“ als bester Debütroman des Jahres 2006 nominiert. (Dass Sokoloff nicht gewann, bleibt in der Regel unerwähnt, was deshalb an dieser Stelle nachgeholt wird.) Der Erfolg ermunterte Sokoloff, sich nunmehr auf die Arbeit als Schriftstellerin zu konzentrieren.

Über ihre Aktivitäten informiert Sokoloff auf ihrer Website: http://www.alexandrasokoloff.com.

_Impressum_

Originaltitel: The Harrowing (New York : St. Martin’s Press 2006)
Deutsche Erstausgabe: Oktober 2007 (btb Verlag/TB Nr. 73634)
Übersetzung: Andrea Brandl
300 Seiten
EUR 8,50
ISBN-13: 978-3-442-73634-8
http://www.btb-verlag.de

Preisler, Jerome – CSI Las Vegas: Tod in der Wüste

_Das geschieht:_

In ihrem Haus im vornehmen Vorort Mariah Valley wird nackt, an ihr Bett gefesselt und erstickt die schöne Rose Demille gefunden. Die High-Society und die Medien kannten und liebten sie als „Nevada Rose“. Regelmäßig lieferte ihr mondäner und lockerer Lebensstil Schlagzeilen. Die Zahl der Verdächtigen bleibt dennoch überschaubar, nachdem Catherine Willows und Warrick Brown, zwei erfahrene Beamte des Kriminaltechnischen Labors Las Vegas (CSI), die Ermittlung übernehmen.

Am Tatort finden sie Spuren, die auf die nächtliche Anwesenheit des Baseball-Starspielers Mark Baker hindeuten, der als Demilles aktueller Liebhaber und sogar Verlobter galt. Darüber hinaus unterhielt die verstorbene „Nevada Rose“ aber auch ein Verhältnis mit dem berühmten – und verheirateten – Schönheitschirurgen Layton Samuels …

CSI-Chef Gil Grissom und seine Kollegen Sara Sidle und Greg Sanders plagen sich derweil mit dem Fall des ‚grünen Mannes‘: Aus einem künstlichen See am Rand der Wüste zog man die Leiche des Edelstein-Schürfers Arthur Belcher, die nach Wochen des Treibens im trüben Wasser weder einen erfreulichen Anblick bietet noch die Umstände ihres Ende preisgibt.

Mit seinem Bruder Charles und seiner Mutter Gloria bildete Arthur zu Lebzeiten ein erfolgreiches, aber notorisch zerstrittenes Trio. Vor einigen Monaten gelang den Belchers in ihrer Mine der Fund ihres Lebens: ein gigantischer roter Smaragd, den sie „Nevada Rose“ tauften. Über den Verkauf war man uneins, was in Grissom die Frage weckt, ob sich die Familie des lästigen Arthurs nicht heimlich entledigt hat …

_Das Bekannte neu und aufregend wirken lassen_

„Exklusiver, bisher unveröffentlichter Originalfall“, liest man lockend auf dem Cover der deutschen Ausgabe. Normalerweise darf das Adjektiv „exklusiv“ in Verbindung mit einem Roman, der offensichtlich ein „tie-in“-Produkt ist, nicht als Empfehlung gelten: Moderne Franchises decken alle potenziell einträglichen Bereiche mit entsprechenden Angeboten ab; das „Buch zum Film“ oder in diesem Fall zur TV-Serie ist da nur ein Posten auf der Liste.

Das „CSI“-Franchise bildet indes seit jeher eine rühmliche Ausnahme. Die Qualität der Serie (bzw. der Serien, denn ermittelt wird ja nicht nur in Las Vegas, sondern auch in Miami und New York City) spiegelt sich in Romanen wider, die trotz verschiedener Autoren erstaunlich lesenswert geraten. Es dürfte primär daran liegen, dass zwar Schriftsteller angeheuert werden, die vor allem schnell die gewünschte ‚Ware‘ liefern, dabei jedoch darauf geachtet wird, nicht den Bodensatz der Branche aufzurühren; „tie-in“-Romane können schrecklich sein, und meist sind sie es auch, weil in der Materie kundige, aber ansonsten unerfahrene und/oder untalentierte Schreiberlinge, oft deutlich erkennbar mehr Fans als Autoren, auf die Leser losgelassen werden.

Jerome Preisler ist ein Profi mit langer Veröffentlichungsliste. Wie geschmeidig er sich den jeweiligen Auftraggebern anzupassen weiß, zeigt die Qualität dieses seines ersten „CSI“-Romans. Wobei „Qualität“ in diesem Fall einer näheren Erläuterung bedarf: „Tod in der Wüste“ kann als eigenständiger, solide geplotteter und angenehm lesbarer Krimi überzeugen, wirkt aber im „CSI“-Umfeld deutlich besser. Im Verlauf der Lektüre tauchen vor dem inneren Auge immer wieder Szenen, Dialoge und Kulissen aus der TV-Serie auf. Das geschieht natürlich nicht von ungefähr, sondern wird vom Verfasser forciert, der sich auf diese Weise seinen Job erleichtern kann.

_Die Wüste lebt, aber sie tötet auch_

Was die eigentliche Krimi-Handlung freilich nicht berührt. Hier gilt es einerseits, den Ton zu treffen, in dem sattsam bekannte Figuren interagieren, während andererseits ein scheinbar unmögliches Verbrechen zu entwerfen und aufzuklären ist. Weil ein Roman mit recht eng bedruckten 250 Seiten gefüllt werden muss, sind es sogar zwei Fälle. Mit dieser Episodenstruktur darf sich Preisler auf der sicheren Seite sehen, da auch im Fernsehen oft zwei oder gar drei CSI-Teams Seite an Seite, aber nicht gemeinsam ermitteln.

In „Tod in der Wüste“ bildet die „Nevada Rose“ eine lockere Klammer zwischen den Fällen. Sich des Zufalls bedienend, aber ihn nicht in seinen Dienst zwingend, geht Preisler von der Existenz zweier Rosen aus. Die eine war eine Frau, die ihr Leben in der Stadt verbrachte, die andere ist ein Edelstein, der in der Wüste gefunden wurde. Auf diese Weise hat der Verfasser zwei räumlich voneinander isolierte Schauplätze geschaffen, was sich auf die polizeiliche bzw. kriminaltechnische Arbeit und damit auf die Handlung auswirkt: Stadtteam und Landteam ermitteln auf unterschiedliche Weisen.

Den gemeinsamen Schnittpunkt bildet das „CSI“-Labor mit seinem unerschöpflichen Fundus wundersamer Hightech-Instrumente, die sich unabhängig von jenem Sparzwang, der dem öffentlichen Dienst ansonsten weltweit gemein ist, in Las Vegas zu türmen scheinen. Preisler hat seine Hausaufgaben gemacht. In den Labor-Szenen spricht er geschickt in jener Zunge, deren Sprache man als „Technobabbel“ bezeichnet: Unabhängig davon, ob technisch und wissenschaftlich tatsächlich möglich ist, was uns geschildert wird, klingt es auf jeden Fall realistisch und erfüllt damit seinen Unterhaltungszweck.

_Und wenn sie nicht gestorben sind, ermitteln sie noch morgen …_

„Tod in der Wüste“ ist chronologisch in die zweite Hälfte der 7. „CSI“-TV-Staffel einzuordnen. Warrick Brown lebt, Sara Sidle ist noch im Dienst, ihre Beziehung zu Gil Grissom nicht publik geworden (was erst geschah, als der Modellbau-Mörder sie entführte). Nick Stokes und Jim Brass müssen sich dieses Mal mit Gastauftritten begnügen.

Wie schon erwähnt, vermag sich Preisler erfolgreich in die TV-Figuren hineinzuversetzen. Sie haben alle ihren eigenen Stil und ihre Eigenheiten, die der Verfasser geschickt an passender (oder passend gemachter) Stelle einfließen lässt. Preisler geht womöglich einen Schritt weiter als Max Allan Collins, der bisher für den Las-Vegas-Bereich des „CSI“-Franchises schrieb, wenn er beispielsweise Gil Grissom als bekannt tüchtigen Kriminologen darstellt, der sich jedoch gern im Stil eines ‚zerstreuten Professors‘ in ab- und weitschweifigen Vorträgen verliert und von seinen Kollegen zurück in die Ermittlungsspur gebracht werden muss.

„Tod in der Wüste“ ist trotz seiner Qualitäten kein Krimi, der im Gedächtnis haften wird; dafür ist die Machart zu schematisch. Auf dem Niveau, das vorgelegt wurde und gehalten wird, entstehen jedoch unterhaltsame und gut lesbare Romane wie dieser, deren Reihe sich zweifellos um diverse Bände verlängern wird – und sollte!

_Der Autor_

In New York City, Stadtteil Brooklyn, geboren, gehört Jerome Preisler zu den schwer und schnell arbeitenden Autoren der „tie-in“-Fraktion: Er bedient diverse Franchises mit Romanen zu Filmen („Last Man Standing“) und TV-Serien („Homicide: Life on the Streets“). Bekannt wurde er durch seine Militär-Thriller der „Power Plays“-Serie, für die Bestseller-Autor Tom Clancy (angeblich) die Exposés lieferte, die Preisler zu Romanen ausarbeitete.

Mit seiner Ehefrau Suzanne schreibt Preisler unter dem gemeinsamen Pseudonym „Suzanne Price“ die Cozy-Serie „Grime Solvers Mystery“. Das Paar lebt und arbeitet wechselweise in New York sowie an der Küste von Neuengland.

_Impressum_

Originaltitel: CSI: Las Vegas – Nevada Rose (New York : Pocket Star Books, a division of Simon & Schuster 2008)
Deutsche Erstveröffentlichung (geb.): Oktober 2008 (Vgs Verlag/CSI Las Vegas, Bd. 10)
Übersetzung: Frauke Meier
256 Seiten
EUR 17,95
ISBN-13: 978-3-8025-1785-3
http://www.vgs.de

Sterling E. Lanier – Hieros Reise

Viele Jahre nach der atomaren Apokalypse begibt sich ein Kriegermönch auf eine lange Reise, um nach den Geheimnissen der Vergangenheit zu forschen. Begleitet von einige Gefährten sowie verfolgt von finsteren Feinden, stößt er in eine radioaktiv veränderte Welt voller Wunder und grässlicher Gefahren vor … – An Tolkiens „Herr der Ringe“-Epos angelehntes aber eigenständiges SF/Fantasy-Abenteuer, das durch den unerhörten Einfallsreichtum des Verfassers und sympathische Hauptfiguren fesselt: ein Klassiker, den jeder Phantastik-Leser kennen sollte!
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Lewis, Damien – Cobra Gold

_Das geschieht:_

1979 tobt im Libanon der Bürgerkrieg. Christliche und moslemische Gruppen kämpfen erbittert um die Macht. Die Hauptstadt Beirut ist ein Trümmerfeld. Der Westen will Frieden in der wichtigsten Erdöl-Region der Erde. Nach ständigen Attacken durch Palästinenser marschierten israelische Truppen ein. Islamische Terrorgruppen versuchen das Ausland durch Anschläge von einer weiteren Einmischung abzuhalten.

Im Januar des genannten Jahres plant der britische Special Air Service (SAS) eine geheime Operation in Beirut. Dort hält trotz der prekären Situation die „Imperial Bank of Beirut“ weiterhin ihre Pforten geöffnet. Alle kriegführenden Parteien unterhalten hier Konten. Die Bank gilt als neutrales Territorium und wird verschont. Doch der SAS hat Kenntnis von Papieren bekommen, die grundlegende Informationen über arabische Terrorzellen enthalten und in einem bestimmten Schließfach aufbewahrt werden. Neun Männer sollen unter dem Kommando ihres charismatischen Anführers Luke Kilbride nach Beirut gehen, die Bank überfallen und die Papiere sichern.

Kilbride gedenkt die Gelegenheit zu nutzen: Im Tresor der Bank lagern Goldbarren im Wert von 50 Millionen Dollar! Die wollen er und seine Männer sich unter den Nagel reißen, an einem sicheren Ort verstecken und bergen, wenn Gras über die Sache gewachsen ist. Der Coup, Deckname „Cobra Gold“, gelingt, nur dass Kilbride im Safe nicht 700, sondern mehr als 2000 Goldbarren findet! Eine besonders fanatische Terrorgruppe, die „Schwarzen Assassinen“, lagert hier ihre Kriegskasse. Kilbride und seine Kameraden rauben 26.000 kg Gold und versenken es vor der Küste in einer Höhle der Palmeninsel. Anschließend kehren sie zu ihrem Stützpunkt zurück.

Fast drei Jahrzehnte dauert es, bis Frieden im Libanon einkehrt. Endlich kann der Schatz gehoben werden. Allerdings haben die Assassinen die Suche nach ihrem Gold nie aufgegeben. Sie planen eine weltweite Terroraktion und benötigen Geld. Außerdem sollen die frevlerischen Diebe einen schrecklichen Tod erleiden. Kilbride und seine acht Gefährten lassen sich auf ein gewagtes Spiel ein. Sie wollen nicht nur das Gold holen, sondern müssen sich auch die Assassinen vom Hals schaffen …

_Ein Haufen verwegener Hunde_

Dieser Plot erfreut sich konstanter Beliebtheit: Eine Gruppe ebenso verschworener wie kühner Profis, die sich um Gefahr und Vorschriften (oder das Gesetz) nicht kümmern, plant ein eigentlich unmögliches Unternehmen und zieht es durch, auch wenn nicht alle dies überleben werden. Vor allem in England treten Haudegen dieses Kalibers seit jeher in unzähligen Kriegsfilmen und Abenteuerromanen in Aktion. Es geht gegen einen übermächtigen, finsteren Gegner, der die schlauen Schlichen, mit denen er gehörig dezimiert wird, stets ‚verdient‘. In „Cobra Gold“ sind es nicht die sonst von den Briten immer gern an der Nase herumgeführten Nazis, sondern ihr modernes Pendant: moslemische Terroristen.

Die Dramaturgie der Handlung ist simpel; warum auch nicht, denn sie hat sich bewährt und funktioniert immer, wenn bestimmte Regeln beachtet werden. Es beginnt mit einem unkonventionellen Plan und setzt sich mit der Suche nach entsprechenden Kampfgefährten fort, die erst einmal tüchtig gedrillt werden, damit sie in Form für ihre Taten kommen. Dabei wird mächtig gestöhnt und geflucht, aber an einem Strang gezogen, denn in der Sache sind solche Draufgänger eisern und höchstens in der Umsetzung eigenwillig. Immer gibt es Konfrontationen mit Greenhorns und Sesselfurzern, denen Verachtung demonstriert und die eigene Feigheit widergespiegelt wird.

Untereinander halten ‚die Jungs‘ wie Pech und Schwefel zusammen. Sie saufen, prügeln sich, steigen den Frauen hinterher, lieben Landser-Scherze und geistlose Foppereien. Kritiker können ihnen zu Recht vorwerfen, sie wollten nicht erwachsen werden. Das dürfen sie auch nicht, da sonst niemals unterhaltsame Schwachsinns-Unternehmen wie „Cobra Gold“ zustande kämen.

Der Anführer gibt den Kitt, der die Teufelskerle zusammenhält. Luke Kilbride ist der Kopf, der koordiniert, was sich acht Querköpfe einfallen lassen – der ‚Vernünftige‘, der es inzwischen zu einem soliden Leben gebracht hat, während sich ‚die Jungs‘ ziellos treiben ließen. Die Bergung des Goldes ist ihnen nicht nur des Geldes wegen wichtig – es gibt ihrem Dasein wieder Sinn.

_Einst und jetzt – gut und mittelmäßig_

Als Roman zerfällt „Cobra Gold“ in zwei Hauptteile. Nummer eins schildert die Ereignisse des Jahres 1979. Hier läuft Verfasser Lewis zu grandioser Form auf. Der Banküberfall in den Wirren eines mörderischen Bürgerkriegs liest sich kinoreif. Jedes Wort sitzt, die Handlung wird im Höllentempo vorangetrieben. Lewis kennt Land und Leute und weiß dies für seine Geschichte zu nutzen. Der große Coup bietet Spannung pur.

Leider gelingt dem Verfasser die Rückkehr in den Libanon nicht mehr so überzeugend. Die Fahrt lässt sichtlich nach, stattdessen wirkt die Handlung zerfahren. Vor allem beginnt Lewis seinen Figuren ein Privatleben zu generieren, für das sie nicht geschaffen wurden. Bisher auf ihre Rolle als Tausendsassas beschränkte ‚Jungs‘ entwickeln plötzlich Frühlingsgefühle, soll heißen: Männer in ihren Fünfziger verlieben sich in knapp zwanzigjährige und selbstverständlich wunderschöne Frauen, die sich gern dem Werben solcher Kämpen ergeben, weil in Afrika das Alter geehrt wird. Klischeehaft und unbeholfen geschriebene Liebesszenen lassen den Leser peinlich berührt stöhnen. Der generell unnötige Versuch, einer Räuberpistole ‚Tiefe‘ einzuhauchen, schadet ihr nachhaltig.

Keine gute Idee ist auch die Weitung des Blickwinkels. Die Realität bot im ersten Teil die Folie, vor der neun Männern ihr ganz privater Husarenstreich gelang. Nunmehr wird das Gold zur Nebensache. Plötzlich geht es um die Ausschaltung islamischen Terrorgesindels. Aus Bankräubern werden Handlanger des britischen Geheimdienstes und Retter der Welt. Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Hebung eines Schatzes. Zum Wohl der Menschheit wird stattdessen einer Lumpenbande eine gigantische Bombe untergeschoben, die sie in Stücke reißen soll. Das hinterlässt einen schlechten Nachgeschmack, wozu passt, dass Kilbride und Co. nunmehr metzeln, was ihre prall gefüllte Waffenkammer hergibt, und sogar vor Folter nicht zurückschrecken.

_Haut die Burnusköpfe – aber nur die richtigen …_

Aber es sind ja richtig böse Mistkerle, die ins staubige Gras beißen. Lewis versucht beschwichtigend zu differenzieren: 99,9 % aller Moslems sind friedliche Menschen, die weder einander noch ihren christlichen Nachbarn Böses antun. Die restlichen 0,1 % sind jene Brandstifter, die frömmelnd und verlogen ihre eigenen Landsleute unterdrücken und die nicht-islamische Welt mit Terror überziehen.

Weil Lewis vorsichtshalber möglichen Protesten zuvorkommen möchte, konstruiert er für seine Geschichte eine eigene, ganz besonders fiese Mördertruppe. Die „Schwarzen Assassinen“ knüpfen an eine arabische Attentäter-Organisation an, die vor einem Jahrtausend ihr Unwesen trieb. Sogar die religiösen Fanatiker im eigenen Land fürchteten sie. Lewis kreiert mit dem „Scheich“ einen richtigen Bilderbuch-Buhmann, der feurigen Blickes Fremdenhass predigt und Mordbefehle erteilt, während er fromm seine Teekanne schwingt. Solcher Abschaum gehört geradezu ausgetilgt, so Lewis‘ Schlussfolgerung, die er nicht ausspricht, sondern seinen Lesern überlässt.

Um den etwaigen Vorwurf rassistischer Schmähungen endgültig abzufedern, stellt Lewis den Assassinen einen britischen Verräter zur Seite. Dieser übergelaufene und ganz besonders blindgläubige „Sucher“ ist der eigentliche Bösewicht. Er tückt noch ärger als der Scheich. Auf ihn kann und soll der Leser seinen vom Verfasser aufgepeitschten Rachedurst („Legt sie um, die Teufelsbrut! Hurra, schon wieder ein Schweinehund von einer Mine/einem Kampfhund/einer MG-Garbe zerfetzt!“) konzentrieren.

Im Finale geht es mit Nervengas und selbst gepanschtem Napalm noch einmal richtig zur Sache. Im Schatten dieses Feuerzaubers verdorrt die eigentliche Auflösung. Die Aktionen werden unrealistisch, Hektik ersetzt die ausgeklügelte Dramaturgie, die den ersten Teil des Buches auszeichnet. Als der Held zuletzt im Duell mit dem Schurken sein Ende zu finden scheint, ist dies nur billiger Vorwand für einen schmalzreichen Aufschub des Happy-Ends, mit dem selbstverständlich – und das ist kein Spoiler – das Unternehmen „Cobra Gold“ ausklingt. Schade, denn dieser Roman hatte das Zeug zu richtig großer Unterhaltung. So bleibt nur die Erinnerung an einen steilen Aufstieg, dem bis zum jähen Finalabsturz ein sanftes Abgleiten auf hohem unterhaltsamen Niveau folgt.

_Der Autor_

Damien Lewis, geboren 1966 und aufgewachsen im englischen Dorset, ist ein Journalist und Autor, dessen schriftstellerisches Spektrum zunächst verblüfft: Er schreibt einerseits militärhistorische Sachbücher bzw. Militär-Thriller und andererseits Biografien über Frauenschicksale in restriktiven muslimischen Gesellschaften. Vor allem als Ko-Autor der Sudanesin Mende Nazar, der eine abenteuerliche Flucht aus moderner Sklaverei gelang, fand Lewis zahlreiche (nicht nur weibliche) Leser und die entsprechende Aufmerksamkeit der Medien.

Die Schnittmenge seiner Hauptthemen findet Lewis in den Krisenzonen vor allem der sog. „Dritten Welt“ und hier in Afrika und im Nahen Osten. Hier geht er immer wieder auf Reisen, seit er – noch als Student – eine ausdehnte Pkw-Reise durch den afrikanischen Kontinent unternahm. Als Journalist zog es ihn im Auftrag von Zeitungen und Fernsehsendern aber auch in eher gefährliche Regionen Asiens und Südamerikas. Nach einer beinahe tödlichen Krankheit im Jahre 2000 schränkte Lewis seine Reisetätigkeit ein und begann Bücher zu schreiben, die sich – es wurde bereits erwähnt – mit humanitären und militärischen Krisen beschäftigen. Seine Werke – Bücher und Filme – wurden vielfach mit Preisen ausgezeichnet.

Wenn er nicht reist, pendelt Damien Lewis zwischen Südwest-England, Irland und Frankreich. Über seine Aktivitäten informiert der Autor und Filmemacher auf seiner Website: http://www.damienlewis.com.

_Impressum_

Originaltitel: Cobra Gold (London : Century Books 2007)
Deutsche Erstausgabe: Dezember 2008 (Knaur Taschenbuchverlag/TB Nr. 50143)
Übersetzung: Stefan Troßbach
448 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-426-50143-6
http://www.knaur.de

Goddard, Robert – Schatten von Aberdeen, Die

_Das geschieht:_

Nach vielen Jahren kehrt der in Kanada lebende Harry Barnett in seine englische Heimat zurück, um den Nachlass seiner verstorbenen Mutter zu ordnen. Die Einladung zu einem Treffen ehemaliger RAF-Kameraden ist ihm eine willkommene Ablenkung. Vor fünfzig Jahren hatte Harry als Soldat an einem obskuren militärischen Projekt teilgenommen: Junge Soldaten wurden in Kilveen Castle, einem unweit der schottischen Stadt Aberdeen gelegenen Außenposten der Royal Air Force, auf ihre Lernfähigkeit überprüft. Mit 14 Kameraden hatte Harry 1955 drei angenehme, weil drillfreie Monate in der alten Burg verbracht. Dorthin lädt Johnny Dangerfield, der im Ölgeschäft reich geworden ist, nun ein. Kilveen Castle wurde inzwischen zum Luxushotel umgebaut, sodass sich die im Rentenalter befindlichen Kameraden nicht lange bitten lassen.

Auch Harry fährt, obwohl er weiß, dass sein ehemaliger Freund und Geschäftspartner Barry Chipchase ebenfalls kommen wird. Nach der Pleite einer gemeinsam betriebenen Werkstatt geht man sich tunlichst aus dem Weg. Auch andere alte Kameraden hat Chipchase inzwischen um Geld geprellt, sodass Harry sich nicht wundert, dass Barry Kilveen Castle letztlich meidet.

Ohnehin ist das Treffen kein Erfolg. Schon während der Anreise verschwindet einer der alten Soldaten; seine Leiche wird später gefunden. Mord ist möglich, und als in kurzem Abstand zwei weitere Teilnehmer des Treffens sterben, wird die Polizei unangenehm. Ausgerechnet der biedere Harry wird zum Hauptverdächtigen. Zu ihm gesellt sich der aus der Versenkung aufgetauchte Chipchase. In ihrer Not tun die beiden Männer sich zusammen und stellen eigene Nachforschungen an. Sie führen in die eigene Vergangenheit zurück, die sie zu unfreiwilligen Opfer eines obskuren Experiments machte. In der Gegenwart sind die Polizei, der Geheimdienst und diverse Killer dem Duo auf den Fersen …

_Ein Buch als nicht ganz einfach zu hebender Schatz_

Die Konstruktion eines Rätsels, das auch den lese- und filmerfahrenen Zeitgenossen fesseln kann, ist im 21. Jahrhundert wahrlich kein einfaches Unterfangen. Uns wurden alle möglichen (und unmöglichen) Intrigen in unzähligen Varianten bereits präsentiert, sodass wir in der Regel wissen, wohin der Hase läuft.

Deshalb ist durchaus eine besondere Erwähnung angebracht, wenn es einem Autoren doch gelingt zu überraschen – einem Autoren zudem, der einem als Kandidat nicht unbedingt einfallen würde. Robert Goddard hat sich mit mysteriösen Ereignissen der (jüngeren) Vergangenheit, die sich in der Gegenwart meist gewalttätig zu neuem Leben melden, zwar einen Namen gemacht, der indes durch ein Zuviel an unterhaltsamen, aber zunehmend schematisch gestrickten Geschichten an Glanz verloren hat. Zumindest der Rezensent hätte Goddard ein Kabinettstück wie „Die Schatten von Aberdeen“ nicht (mehr) zugetraut!

Es zu finden, ist nicht ganz einfach, denn obwohl Goddard zu den Stammautoren des |Goldmann|-Verlags gehört, werden seine Werke optisch völlig lieblos und mit auswechselbaren Stock-Covern quasi gut getarnt in die deutschen Buchladen-Ketten gepresst.

_Menschen altern, Geheimnisse reifen_

Sehr schade ist das, denn die Geschichte vom alten Soldaten, der in eine monströse Verschwörung gerät, ist ungemein unterhaltsam. Zwar ist das dem Komplott zugrunde liegende Rätsel nachträglich betrachtet nicht gerade originell. So denkt der Leser freilich in 99 von 100 entsprechenden Fällen. Der Weg ist der Ziel, und der ist reich an scharfen Kurven und unerwarteten Hindernissen, während die Geschichte gemächlich beginnt, aber bald gefährlich an Fahrt aufnimmt. Dabei muss man mehr als einmal an Alfred Hitchcock selig und hier explizit an sein frühes Meisterwerk „The 39 Steps“ (1935; dt. „Die 39 Stufen“) denken, das ebenfalls eine wilde Flucht vor unsichtbaren, aber mörderischen Verfolgern durch schottische Moor- und Heidelandschaften und ein vertracktes Rätsel thematisiert, von dessen eigentlich unmöglicher Auflösung das Leben der ratlosen Hauptfiguren abhängt.

Auch Harry Barnett ist eine Figur, die Hitchcock gefallen hätte – ein Jedermann, der in seinem ruhigen Leben keine Turbulenzen erfahren und überstanden hat, die ihn auf das vorbereiten könnten, was ihn im Land seiner Väter erwartet. Folgerichtig ist Harry alles andere als ein Held und – obwohl schon zweimal in kriminelles Treiben verwickelt – in echten Krisensituationen überfordert. Schon sein Alter verbietet ihm Action-Einlagen, und für sein Naturell ist es charakteristisch, dass ihn bereits die Handhabung eines Handys überfordert; keine Idealvoraussetzungen für eine Flucht, die kreuz und quer durch Schottland und England führt und in der nördlichen Ödnis der Neuen Hebriden ihren Höhepunkt findet.

_Nimm’s mit Humor, auch wenn die Kugeln fliegen_

Hitchcock zum Dritten: Obwohl Mord und Totschlag mehr als eine Szene von Harrys Odyssee prägen, schlägt Autor Goddard einen sehr leichten Ton an. „Die Schatten von Aberdeen“ besticht durch einen stets präsenten, nie albernen oder aufdringlichen, sondern britisch trockenen Humor, der die Übersetzung erfreulich gut überstanden hat. Für einen politisch unkorrekten Oneliner sorgt auch in kritischen Situationen zuverlässig Luftikus Barry Chipchase, den Goddard wohlweislich dem blassen Harry an die Seite stellt.

Barry ist ein Betrüger, dem kein Coup jemals wirklich gelang. Wieso das so ist, erfahren wir schnell, denn für eine Hetzjagd auf Leben und Tod ist er eigentlich nicht der richtige Partner. In der Tat ist es die blanke Not, die unsere ungleichen ‚Helden‘ zusammenschweißt: ein Klischee, das Goddard wundersam mit neuem Leben erfüllt.

Natürlich hat Barry das Herz auf dem rechten Fleck. Wenn man weiß, welche Knöpfe man bei ihm zu drücken hat, schwingt er sich zu ungeahnten Höhenflügen auf. Harry ist hartnäckig, aber zurückhaltend, Barry unkonventionell. Gemeinsam sind sie nicht unbedingt unschlagbar, aber sie entwickeln eine Gegenwehr, die nicht aus bisher verborgenen Superkräften, sondern logisch aus der Handlung erwächst. Das zu verfolgen, macht einfach Spaß, zumal Goddard mit Überraschungen nie geizt. Selbst das etwas zu happy geratene Ende passt zu dieser Geschichte, die Routine mit Raffinesse mischt – in welchem Verhältnis dies geschieht, mag der Leser/der Kritiker selbst entscheiden.

_Der Autor_

Robert Goddard wurde 1954 in Fareham, Hampshire, geboren. Als Student der Universität zu Cambridge erwarb er einen akademischen Grad als Historiker: eine Ausbildung, die ihm später nützlich war, obwohl er sich zunächst mit den in diesem Metier üblichen Beschäftigungsproblemen konfrontiert sah. Ein Versuch, als Journalist Fuß zu fassen, scheiterte recht bald, und auch als Lehrer konnte Goddard nicht glänzen. So wählte er den letzten Ausweg und ging in die Verwaltung.

Während er für das „Education Department“ des Devon County Councils tätig war, schrieb er in seiner Freizeit einen ersten Roman. „Past Caring“ (dt. „Dein Schatten, dem ich folgte“) erschien 1986 und entwickelte sich sogleich zu einem großen Erfolg. Der gleichzeitig vertrackte und spannend entwickelte, dabei aber den Regeln des Genres stets verpflichtete und massenlesertaugliche Thriller um diverse Schatten aus ferner Vergangenheit, die in der Gegenwart zu neuem, unheilvollen Leben erwachen, wurde zur Blaupause der meisten Romane, die seither in zügigem Tempo und regelmäßig folgten. Die Leser scheint es nicht zu stören, jedes Goddard-Werk entert die Bestsellerlisten; nicht bis zur Spitze, aber – auch in Deutschland – hoch genug, um dem mit seiner Gattin heute in Truro, Cornwall, lebenden Schriftsteller ein behagliches Auskommen zu garantieren.

Die Harry-Barnett-Serie erschien zuletzt im |Wilhelm Goldmann Verlag|:

(1990) Into the Blue („Mitten im Blau”) – TB 41310
(1996) Out of the Sun („Die Zauberlehrlinge”) – TB 44273
(2006) Never Go Back („Die Schatten von Aberdeen“) – TB 46400

_Impressum_

Originaltitel: Never Go Back (London : Bantam Press 2006/New York : Delta Trade Paperbacks 2007)
Übersetzung: Peter Pfaffinger
Deutsche Erstausgabe: Juni 2007 (Wilhelm Goldmann Verlag/TB Nr. 46400)
411 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-442-46400-5
http://www.goldmann-verlag.de

_Außerdem von Robert Goddard auf |Buchwurm.info| zu finden:_

[„Bedenke, dass wir sterben müssen“ 1605

Kiernan, Caitlín R. – Fossil

_Das geschieht:_

Nur einer Nacht bedurfte es, die Leben von Chance, Deacon und Elise zu prägen: Betrunken und zugekifft verschafften sie sich Einlass in den Tunnel eines alten, längst aufgelassenen Wasserwerkes. Was dort tief unter der Erde der Stadt Birmingham im US-Staat Alabama geschah, muss schrecklich gewesen sein, doch die schwer traumatisierten Teenager können sich an Details nicht erinnern; es blieb nur die dunkle Ahnung einer uralten, bösen Kreatur, die sie unklugerweise aufgeweckt haben.

Jahre später: Elise ist tot, sie hat sich umgebracht. Deacon wurde ein zynischer Menschenfeind, Chance eine beruflich erfolgreiche Naturforscherin, aber privat unglückliche Frau. Sowohl ihre Eltern als auch ihre Großmutter kamen tragisch ums Leben. Chance fühlt sich verflucht. Noch immer macht ihr die Erinnerung an die Nacht im Tunnel zu schaffen. Jetzt scheint Aufklärung möglich: Die junge Dancy Flammarion taucht in Birmingham auf. Scheinbar sucht sie Chance auf, um ihr ein seltsames Fossil zu zeigen, das der Wissenschaft völlig unbekannt ist. Kurz darauf lässt Dancy durchblicken, dass sie mehr über das Ding im Wasserwerk weiß.

Zusammen mit dem zunächst unwilligen Deacon und seiner neuen Freundin Sandy will Chance Gewissheit. Dass Dancy weiß, wovon sie redet, wird deutlich, als grässliche Erscheinungen die Gefährten heimsuchen. Die uralte Wesenheit im Tunnel will nicht ausgeforscht werden und wehrt sich unter Einsatz seiner beachtlichen Mittel. Standfeste Kameradschaft wäre ratsam. Stattdessen zerstreiten sich die Freunde, was der unheimlichen Macht den Ansatzpunkt liefert, die Gemeinschaft zu spalten, um jedes Mitglied einzeln zu jagen …

_Das Ding auf der Schwelle_

Tief im Dunkeln tun sie munkeln … Seit jeher treibt den Menschen die Furcht vor Dinge(r)n um, die dort auf ihn lauern, wo er seinen Augen nicht trauen kann. Diese Ungeheuer werden im eigenen Hirn ausgebrütet und von diesem anschließend dorthin projiziert, wo man sie zu sehen erwartet. Das funktioniert auch im 21. Jahrhundert noch immer ausgezeichnet, was das Blühen & Gedeihen des Horrors in Literatur und Film unterstreicht.

Heutzutage erwartet der Leser freilich eine zumindest logisch klingende Erklärung für das Grauen. Es muss (und darf) nicht gar zu kompliziert werden; der Verweis auf eine ‚weiße‘ Stelle im ansonsten dokumentierten Gefüge der Erde und ihrer Geschichte reicht schon aus. Auf seiner Oberfläche weist der Globus solche Gebiete kaum mehr auf. Die Weltmeere bieten da schon bessere Reservate für Ungeheuer aller Art. Aber auch das angeblich feste Land ist oft durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Wenn solche Höhlen ganz in der Nähe menschlicher Niederlassungen liegen, läuft die daraus entwickelte Geschichte fast wie auf Schienen: Das Seltsame = Böse gelangt dorthin, wo ahnungslos der Alltagsmensch siedelt und leicht überrascht werden kann. In diesem Fall ist es eine Intelligenz aus dem Morgengrauen der Erdgeschichte – vermutlich, denn die letzte Sicherheit verweigert uns die Autorin. Es könnte sich auch um die Ausgeburt einer kollektiven psychischen Störung handeln; um Hysterie oder Einbildung.

Das Zünden von Nebelkerzen ist üblich, typisch und nützlich, wenn Fürchterliches in Szene gesetzt wird. Der Grat zwischen Schrecken und Lächerlichkeit ist schmal, weshalb es nie schaden kann, den Faktor Verwirrung einzusetzen. Was definitiv im Tunnel des alten Wasserwerks umgeht, muss jede/r Leser/in für sich selbst entscheiden.

_Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!_

Wobei wir einen neuralgischen Punkt berühren: Kiernan gehört zu den Schriftstellern, die ihre Wörter nicht halten können. Vor allem in Szenen großer Gefühlsentfaltung geht es mit ihr durch, aber auch sonst wandelt sie stilistisch knapp am Rand des Abgrunds: „Der Frühling röchelte zum letzten Mal unter der heißen Hacke des Sommers“ (S. 29) ist ein peinlicher Kiernanscher Klopfer, für den die Übersetzerin eventuell mitverantwortlich zeichnet.

Diese kann aber nicht immer haftbar gemacht werden. Kiernan schadet ihrer Geschichte durch den Drang, ihr emotionale Tiefe förmlich einzuprügeln. Chance und Deacon sollen emotional gescheiterte Existenzen sein. Tatsächlich sind sie nur eindimensionale Figuren. Dancy Flammarion soll als zwiespältiger und zwielichtiger Charakter beeindrucken, ärgert aber durch die jene Worthülsen, die jeder Prophet der klaren Rede vorzieht. Sandy ist eigentlich überflüssig, zumal die tote Elise notfalls umherspukt und weitere Unklarheiten in die Runde wirft.

Hinter dem ganzen Wortgeklingel verbirgt sich jene konventionelle Story, die weiter oben skizziert wurde. Sie wurde u. a. von Stephen King 1986 in „Es“ wesentlich stringenter und letztlich gelungener erzählt, obwohl er sie auf mehr als 1000 Seiten streckte. Wer Literatur und Unterhaltung näher vereint wissen möchte, greife zu Peter Straubs „Drachenhauch“. Das archaische und vor allem das wirklich eindrucksvolle Böse benötigt keine Wortkaskaden.

_Sie leiden für & nerven die Leser_

Gar schrecklich ergeht es Chance, Deacon, Sandy und auch Dancy: So möchte es jedenfalls die Autorin. Allerdings hat sie stattdessen vier echte Nervensägen in die Welt gesetzt. Psychisch angeschlagene Figuren so zu schildern, dass der Leser mit ihnen fühlt, ist offensichtlich eine Kunst, die Kiernan nicht beherrscht. Ihre ‚Helden‘ wirken ausschließlich unsympathisch. Man wünscht das Monster förmlich herbei, das ihnen die Hälse umdreht, damit endlich Schluss ist mit den endlosen hysterischen Tiraden, die sich stets im Kreis drehen und hinter denen die Geschichte außer Sicht gerät bzw. erstickt wird.

Zentrale Fragen bleiben darüber ungeklärt: Was genau hat Chances Großmutter in Sachen Wasserwerktunnel recherchiert? 1888 muss dort bereits etwas aufgestört worden sein. Kiernan erwähnt es, führt es aber nie aus. „Leben vor dem Menschen“, überschreibt sie das 10. Kapitel (S. 269). Deutlicher wird sie an keiner Stelle. Verworrene Wahnvorstellungen und verwirrende Zeitsprünge sind ihr wichtiger als ‚Fakten‘ – ein Stilmittel, das zunächst akzeptiert werden muss, da sich die Autorin dafür entschieden hat. Wenn es sich allerdings als Effekthascherei herausstellt, ist es zur offenen Kritik freigegeben, was hier bedeutet, dass „Fossil“ sich leider zu den (viel zu) vielen Geschichten mit einer im Kern interessanten Idee gesellt, die in der Umsetzung auf der Strecke bleiben.

_Die Autorin_

Caitlín Rebekah Kiernan wurde am 26. Mai 1964 in der irischen Stadt Skerries (County Dublin) geboren. Als Kind zog sie mit ihrer Mutter in die USA um; sie ließen sich im Städtchen Leeds (US-Staat Alabama) nieder. In den 1980er Jahren studierte Kiernan Geologie und Paläontologie. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie im Museum sowie als Dozentin. Parallel dazu begann Kiernan, phantastische Kurzgeschichten zu schreiben. Noch bevor ihre erste Story veröffentlicht wurde („Persephone“, 1995), gab sie 1992 ihre Arbeit (nicht aber ihre wissenschaftliche Tätigkeit) auf, um sich auf die Schriftstellerei zu konzentrieren.

Kiernan gehört zu den Autoren, die sich intensiv der Kurzgeschichte widmen. In nicht einmal einem Jahrzehnt hat sie mehr als ein halbes Dutzend Sammelbände veröffentlicht. Von 1996 bis 2001 schrieb sie an der Comic-Serie „The Dreaming“, einem ‚Ableger‘ von Neil Gaimans Kult-Serie „The Sandman“, mit. Gaiman war es auch, der ihr 2007 den Auftrag vermittelte, das Buch zum Film „Beowulf“ zu schreiben. 2005 begann Kiernan mit dem Internet-Projekt „Sirena’s Digest“ (MErViSS): Monatlich postet sie Kurzgeschichten und Vignetten, in denen sie Science-Fiction, Fantasy und Horror mit Erotik mischt.

Mit ihrer Lebensgefährtin lebt Caitlín R. Kiernan in Providence, Rhode Island. Über ihre zahlreichen Aktivitäten informiert sie auf ihre Website: http://www.caitlinrkiernan.com.

_Impressum_

Originaltitel: Threshold (New York : Roc Books/Penguin Group 2001)
Übersetzung: Alexandra Hinrichsen
Deutsche Erstausgabe: Januar 2009 (Rowohlt Verlag/RoRoRo Nr. 24902)
430 S.
EUR 9,95
ISBN-13: 978-3-499-24902-0
http://www.rowohlt.de

Peter Watts – Mahlstrom

Um einen gefährlichen Mikroorganismus auszutilgen, zündet ein Großkonzern eine Atombombe. Die Tat kostet Millionen Menschen das Leben und wird vertuscht. Eine Überlebende rächt sich, indem sie den Erreger über die gesamte Erde streut … – Der grundsätzlich simple Plot wird mit stimmigen und stimmungsvollen Beschreibungen einer nahen, düsteren Zukunft unterfüttert, die mit dem Blick auf Fakten naturwissenschaftliche und soziale Zu- und Missstände extrapolieren. „Mahlstrom“ ist Mittelstück einer Trilogie; der Roman beginnt und endet offen und fordert Aufmerksamkeit: kein Meisterwerk aber deutlich besser als das übliche SF-Lesefutter.
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Faulks, Sebastian – James Bond: Der Tod ist nur der Anfang

_Das geschieht:_

Nachdem ihm erst der böse Blofeld die Gattin erschoss und kurz darauf der irre Killer Scaramanga ihn zum Duell forderte, ist James Bond, Doppel-Null-Agent mit der Lizenz zum Töten, körperlich und geistig am Ende. M, Chef des britischen Geheimdienstes, schickt ihn in einen dreimonatigen Zwangsurlaub. Bond nimmt an und ist nach einigen ruhigen Wochen fast entschlossen, den Dienst zu quittieren, als ihn ein dringender Auftrag ins große Agentenspiel zurückkehren lässt.

Der charismatische aber psychisch gestörte Wissenschaftler Dr. Julius Gorner plant, seinem Hass auf alles Britische durch die Flutung des Inselreiches mit qualitativ hochwertigem Heroin zu frönen. Im persisch-sowjetischen Grenzgebiet des Irans – wir schreiben das Jahr 1967 – hat er eine Laborfestung errichtet, in der rauschgiftsüchtige Sklaven für ihn schuften. Mit den Sowjets, denen Gorners Plan sehr gut gefällt, steht der Doktor im Bund, was den britischen Geheimdienst erst recht in Aufruhr versetzt.

Schon bevor Bond sein Flugzeug nach Teheran besteigen kann, wird ein erster Mordanschlag auf ihn verübt, denn Gorner hat seine Spitzel überall. Als wäre es nicht schwierig genug, selbst am Leben zu bleiben, steht Bond auch noch im Wort bei der schönen Scarlett Papava. Er soll ihre Zwillingsschwester Poppy retten, die zu Gorners Sklavenheer zählt.

Teheran ist Stützpunkt zahlreicher Geheimdienste und Agenten. Die ‚Kollegen‘ von der CIA empfangen Bond unfreundlich. Aber auch Gorner weiß längst, dass Bond ihn ausforschen soll. Die Falle ist gestellt, und als sie zuschnappt, steckt 007 tief in Gorners bizarrer Festung gefangen, wo er von dessen neuestem Projekt erfährt – dem III. Weltkrieg …

_Held von heute in der Welt von gestern_

2006 blies der global erfolgreiche Relaunch der James-Bond-Filmreihe frischen Wind ins halbtote 007-Franchise. Auf dass die Münzen noch ein wenig lauter im Beutel klingelten, wurde auch der ‚literarische‘ James Bond wiederbelebt. Zwar erschienen nach Ian Flemings Tod (und unabhängig von den Filmen) immer wieder neue 007-Romane, doch litten auch diese unter denselben Ermüdungserscheinungen, die auch dem Film-Bond beinahe den Garaus gemacht hätten.

Lustlos wurde immer wieder aufgekocht, was längst nicht mehr originell war. Während die 007-Story mit „Casino Royale“ quasi wieder neu aufgerollt wurde, entschied man sich, die Bond-Chronik, wie sie durch die Filme fortgeschrieben war, für den neuen Roman zu ignorieren: Nun endete sie 1966, dem Jahr, in dem – bereits postum – Flemings letzte Bond-Kurzgeschichten („Octopussy“ und „The Living Daylights“) erschienen waren, und wurde fast nahtlos durch Sebastian Faulks fortgesetzt, der seinen pünktlich zum 100. Geburtstag von Ian Fleming veröffentlichten 007-Thriller 1967 spielen lässt.

„Sebastian Faulks schreibt als Ian Fleming“, lesen wir auf dem Buchcover – eine ebenso anmaßende wie überflüssige Ankündigung, die indes unfreiwillig perfekt diesen Retro-Bond charakterisiert. Faulks erfindet den Geheimagenten nicht neu. Seine Intention ist ein Roman, wie ihn Fleming geschrieben hätte, wäre er nicht 1964 eines frühen Todes gestorben. Er bedient sich der Mechanismen, für die Fleming berühmt (oder berüchtigt; die Kritiker sind sich da uneins) geworden ist: Bond ist wieder ein aktiv an den Fronten des Kalten Kriegs kämpfender Agent. Zu seinem Job gehört es, sich in allen Gesellschaftsschichten zu bewegen. In der iranischen Wildnis tritt er ebenso sicher auf wie an der französischen Riviera. Fleming schätzte die Attribute des feinen Lebens sehr und schilderte sie ausführlich in seinen Romanen. Folgerichtig beschreibt auch Faulks luxuriöse Autos, opulente Menüs oder schicke Kleidung ungemein detailliert.

_Viel Mühe investiert & nur Bekanntes erschaffen_

Schon jetzt taucht die Frage auf, worin der Sinn besteht, einen literarischen Stil nachzuahmen, der vor langer Zeit mit seinem Schöpfer verschwunden ist. Als Kopist hat Faulks zweifellos gute Arbeit geleistet. Genau dieser Punkt wird in der Werbung hervorgehoben, denn selbstverständlich wurde „Der Tod ist nur der Anfang“ unter gehörigem Mediengetöse auf den Markt gebracht.

Der Plot scheint in diesem Zusammenhang eher unwichtig zu sein. Faulks strickt ein nie originelles und simples, aber solides und in Unkenntnis des 007-Universums – dazu gleich mehr – unterhaltsames Thriller-Garn. Gorners Drogenkartell ist ein brauchbarer Aufhänger. Fleming selbst schrieb Anfang der 1960er Jahre das Skript zu einem Thriller im Rauschgiftschmuggel-Milieu des Nahen Ostens, das 1966 als „Poppies Are Also Flowers“ (dt. „Mohn ist auch eine Blume“) verfilmt wurde. James Bond tauchte in dieser Geschichte nicht auf.

Hieße die Hauptfigur hier nicht James Bond, wäre Faulks Roman allerdings nicht der Stoff, aus dem Bestseller gemacht werden. Schlimmer noch: „Der Tod ist nur der Anfang“ reiht faktisch und kaum (bzw. schlecht) variiert ausschließlich Bond-Szenen aneinander, die wir aus Flemings Romanen und den 007-Filmen (primär mit Sean Connery) kennen. Bonds Tennis-Duell mit dem unfair aufspielenden Gorner ist dem Poker-Turnier mit dem mogelnden Goldfinger nicht nur nachempfunden. Die pittoreske Szenerie in Teheran erinnert fatal an das Istanbuler Ambiente aus „From Russia with Love“ (dt. „Liebesgrüße aus Moskau“).

_Das Böse ist immer gezeichnet_

Und natürlich ist Julius Gorner nur ein weiterer megalomanischer Bösewicht in der Tradition von Dr. No, Hugo Drax oder Karl Stromberg. An seiner Seite tückt als Psychopath fürs Grobe nicht Oddjob, Schnickschnack oder gar der „Beißer“, sondern der lobotomisierte Kriegsverbrecher Chagrin.

Denn das Böse manifestiert sich im Bond-Kosmos nicht nur im Größenwahn seiner Schurken, sondern auch in deren Erscheinung. Die innere Verunstaltung spiegelt sich im Äußeren wider: Gorner leidet unter einer Erbkrankheit, die seine linke Hand in eine behaarte Affenpfote verwandelt, Chagrin hat eine Klappe im Schädeldach und leidet unter einer Lähmung der Gesichtsnerven, die ihn keine Miene verziehen lässt.

Schon Fleming schätzte solche plakativen Finsterlinge. Anders als in den Bond-Filmen seit den 1970er Jahren vernachlässigte er darüber jedoch nicht das realitätsbezogene Szenario einer Welt im Kalten Krieg. Faulks kann oder mag sich dem nur bedingt anschließen. Er lässt die Weltpolitik des Jahres 1967 pflichtschuldig einfließen. Sehr viel ausführlicher schwelgt er jedoch in den pompösen, aber unrealistischen Vernichtungs- und Racheplänen des Dr. Gorner und damit in der Science-Fiction-Gigantomanie des Kino-Bonds. (Außen vor bleiben immerhin die lachhaften ‚Geheimwaffen‘, mit denen Q selig ihn so zahlreich ausstattete.)

_Der Anfang ist nur der Tod_

Der ’neue-alte‘ Bond soll stylish wirken. Stattdessen ist er altmodisch. Flemings Bond war zeitgemäß und im positiven Sinn ein Kind seiner Zeit. Faulks schickt Strom durch die Muskeln eines toten Frosches: Er zuckt, aber lebendig wird er deshalb nicht. Sogar als Liebhaber kommt Bond nie zum Zug; entweder will er gerade nicht, oder es kommt im entscheidenden Moment etwas dazwischen. Andererseits ist Scarlett Papava als Bond-Girl keine Offenbarung, ihre Attraktivität nur behauptet. Es braucht halt eine schöne Frau an James Bonds Seite – ein weiterer Automatismus, der sich als solcher selbst entlarvt.

Als Bond das erste Mal auftritt, unternimmt er gerade eine Erholungsreise durch das mediterrane Europa. Er ist ausgebrannt, was Autor Faulks ausführlich begründet, und will aussteigen. Das ist in einem Moment vorbei und vergessen, sobald er auf Gorners Fährte gesetzt wird. Bonds Midlife-Crisis wird nie wieder erwähnt; sie war wohl doch nicht so stark ausgeprägt …

Oder hat die von M verordnete Kur angeschlagen? Dass „Der Tod ist nur der Anfang“ unter anderem im „Swinging London“ der späten 1960er Jahre spielt, erfahren wir dadurch, dass M sich unheilvoll über die Promiskuität aktueller Popsänger auslässt. Allerdings hat die „Flower-Power“-Bewegung trotzdem den Geheimdienst erreicht – M übt sich nun in Yoga und verdonnert auch den entsetzten 007 zu entsprechendem Treiben: Ist es Faulks Absicht, Bond im Kontrast zu einer Welt im Wandel als betont konservativen Charakter zu zeigen? Mögen wir einen James Bond, der mit seiner ältlichen Aufwartefrau einig ist in der Ächtung der Rolling Stones?

Und mit dieser tiefsinnigen Frage sowie folgendem Fazit schließen wir diese Buchbesprechung: „Der Tod ist nur der Anfang“ bietet leichte Thriller-Kost mit der beruhigenden Gewissheit des Bekannten, nie Überraschenden; so mancher Leser schätzt diese Routine, und der Handel weiß, was er wie zu vermarkten hat. Der James Bond, den Ian Fleming einst schuf, bleibt allerdings tot. 007 lebt nur im Kino wirklich weiter. Dort scheint er allerdings unsterblich zu sein.

_Anmerkung_

„Devil May Care“, der Originaltitel, ist ein altes englisches Sprichwort, das sich am besten mit „Nach mir die Sintflut“ übersetzen lässt, was wesentlich besser klingt als das elegisch-pompöse „Der Tod ist nur der Anfang“.

_Der Autor_

Sebastian Charles Faulks wurde 1953 in Newbury in der englischen Grafschaft Berkshire geboren. Er studierte Englisch an der Universität Cambridge und wusste nach eigener Auskunft bereits in jungen Jahren, dass er sein Geld als Autor verdienen wollte. Nach seinem Abschluss übernahm Faulks zunächst eine Dozentenstelle, bevor er in den Journalismus wechselte und für verschiedene Zeitungen arbeitete.

1984 erschien „A Trick of Light“, Faulks Romandebüt. Als Literat blieb er in den nächsten Jahren vor allem ein Kritikertipp. Sein Durchbruch gelang Faulks 1993 mit „Birdsong“ (dt. „Gesang vom großen Feuer“), dem zweiten Teil seiner Trilogie „The Girl at the Lion d’Or“ – das Buch entwickelte sich zum millionenfach verkauften Bestseller. Seinen Ruf als ‚ernsthafter‘ Schriftsteller wusste Faulks in den nächsten Jahren mit weiteren Romanen zu festigen und zu steigern.

Obwohl Faulks sich ab 1991 auf seine Tätigkeit als Schriftsteller konzentrierte, blieb er weiterhin journalistisch aktiv; unter anderem schrieb er Kolumnen und historische Dokumentationen für das Radio. 2007 sorgte die Nachricht für Aufsehen, dass ausgerechnet Faulks von der Erbengemeinschaft Ian Flemings den Auftrag übernommen hatte, einen neuen James-Bond-Roman zu schreiben. „Devil May Care“ (dt. „Der Tod ist nur der Anfang“), ein gelungenes, aber wenig originelles Fleming-Pastiche, entstand binnen sechs Wochen und sicherte Faulks neben einem hoch dotierten Lohnscheck die Aufmerksamkeit der Medien, bevor er zur ‚hohen‘ Literatur zurückkehrte.

Sebastian Faulks informiert über seine Arbeit auf eigener Website: http://www.sebastianfaulks.com.

_Impressum_

Originaltitel: Devil May Care (London : The Penguin Group 2008)
Übersetzung: Jürgen Bürger
Dt. Erstausgabe: Mai 2008 (Wilhelm Heyne Verlag/Paperback Nr. 26602)
352 Seiten
EUR 12,95
ISBN-13: 978-3-453-26602-5
Als Taschenbuch: August 2009 (Wilhelm Heyne Verlag/TB Nr. 43414)
352 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-453-43414-1
http://www.heyne-verlag.de

_Mehr James Bond auf |Buchwurm.info|:_

[„Casino Royale“ 1748
[„Moonraker“ 1830
[„Leben und sterben lassen“ 2035
[„Der Tod ist nur der Anfang“ 5204