_Buchwurm.info:_
Hallo, wie geht es Ihnen? Wo sind Sie und was machen Sie gerade?
_Jörg Kaegelmann:_
Zu sagen, wo ich gerade bin, ist bei mir schwierig. Zumindest bin ich immer online, um direkt auf Kundenanfragen reagieren zu können.
_Buchwurm.info:_
Könnten Sie sich unseren Lesern, die Sie noch nicht persönlich kennen, bitte selbst vorstellen? Vor allem interessiert die Frage, wie und warum Sie zum |BLITZ|-Verlag kamen.
_Jörg Kaegelmann:_
Den |BLITZ|-Verlag, der mir gehört, gibt es seit 15 Jahren. Davor musste ich mich – seit 1979 – um die Videothekenkette, ebenfalls |BLITZ|, kümmern.
_Buchwurm.info:_
Dass Sie mit Ihrem Verlag Geld verdienen wollen, dürfen wir getrost als gegeben voraussetzen. Aber wie haben Sie das breite Programm, das sie laut Prospekt und Webseite anbieten, über die letzten Jahre weiterentwickelt, und welche Nischen besetzen Sie damit im deutschen Buchmarkt?
_Jörg Kaegelmann:_
In den 15 Jahren sind mehrere hundert Titel erschienen. Bedingt durch limitierte Sammlerauflagen, sind die meisten jedoch bereits vergriffen und nur noch zu hohen Sammlerpreisen antiquarisch zu erwerben. Das Programm und die Zielrichtung haben vom ersten Tag an variiert und sich ständig weiterentwickelt. Als Kleinverlag ist es eben wichtig, gerade die Nischen zu besetzen, die sich anbieten, ohne dabei den roten Faden zu verlieren. Der Schwerpunkt wird wohl immer die Phantastik in allen ihren vielfältigen Möglichkeiten bleiben.
_Buchwurm.info:_
Vielleicht ist am besten, wenn Sie den Status quo beschreiben.
_Jörg Kaegelmann:_
Gerade ist eine zweite Verlagshomepage online gegangen: [Hammer-Krimis.de.]http://www.Hammer-Krimis.de Hier gibt es z. B. klassische Krimis über Sherlock Holmes. Dann neue Texte zu der Mystery-Thriller-Serie „Larry Brent, Die geheimen Akten der PSA“. Ebenso werden die alten Abenteuer (Serienstart 1968) erstmalig chronologisch korrekt aufbereitet und neu veröffentlicht.
Neue Texte gibt es auch zu weiteren Kult-Krimi-Reihen aus den vergangenen Jahrzehnten:
– „Die Schwarze Fledermaus“ und „Mister Dynamit“.
– Demnächst erscheinen exklusiv die „Totenhaus“-Romane von Barbara Büchner.
– Ab diesem Frühjahr werden Krimis und Thriller mit regionalem Bezug erscheinen. Besonders hervorheben möchte ich da zwei sehr außergewöhnliche Texte: „Marterpfahl“ von Stefan Melneczuk und „Dunkle Nordsee“ von Jens Lossau.
Auf [Phantastische-Buchwelt.de]http://www.Phantastische-Buchwelt.de erscheint ebenfalls in erstmaliger Bearbeitung die Fantasy-Saga von „Dan Shocker MACABROS“. Wolfgang Hohlbeins „Schattenchronik“ und die ebenfalls inzwischen abgeschlossene Reihe „Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek“.
Dem Sciencefiction-Leser bietet |BLITZ| die Serie „Star Voyager“ an; die nahtlose Fortsetzung von „Raumschiff PROMET“ und „TITAN, Sternenabenteuer“.
Das Highlight: „Meisterwerke der dunklen Phantastik“ von Frank Rainer Scheck.
Dazwischen interessante Einzelromane wie „Das Eulentor“ von Andreas Gruber. Der Titel wurde letztes Jahr mit dem Vincent-Preis ausgezeichnet.
„Jihad“, ein Thriller aus der nahen Zukunft von Peter Brendt, der durch seine U-Boot-Romane (Ullstein) bekannt wurde.
„Necrologio“, eine Anthologie, herausgegeben von Jörg Kleudgen, sowie deutsche Phantastik der Gegenwart.
_Buchwurm.info:_
Wie wollen Sie diese Taschenbuchreihen über die nächsten 24 Monate weiterentwickeln?
_Jörg Kaegelmann:_
Taschenbuch-Reihen gab es bei |BLITZ| nie, und die Paperback-Reihen sind bis auf „Macabros“ und „Larry Brent“ abgeschlossen. Zukünftig wird also fast alles nur noch in exklusiven Sammler-Editionen erscheinen, zum Teil limitiert auf nur wenige 100 Exemplare.
_Buchwurm.info:_
Ich habe mich bei der Lektüre der neuen Hardcover-Bände der Sherlock-Holmes-Bibliothek sehr gut unterhalten gefühlt. Nichts gegen Hardcover, im Gegenteil, aber inhaltlich und im Umfang bewegen sich diese Bände praktisch auf dem Standard der Taschenbuchreihe der Criminal-Bibliothek. Warum also jetzt Hardcover?
_Jörg Kaegelmann:_
Inhaltlich wird noch mehr auf bestmögliche Qualität geachtet. Das Lektoratsteam wurde erweitert; es wird alles dafür getan, um dem Leser einen optimalen Lesegenuss zu bieten.
Bedingt durch die limitierte Auflage richtet sich |BLITZ| mehr an den bibliophilen Sammler, und der bevorzugt nun mal Hardcover. Die Produktion eines |BLITZ|-Hardcovers ist durch die Fadenbindung viel aufwendiger und kostenintensiver. Die Bücher kann man in 100 Jahren noch aufklappen und lesen, während Taschenbücher sich nach mehrmaligem Gebrauch gerne mal auflösen.
_Buchwurm.info:_
Ich habe erstmals auch einen SF-Titel in Ihrem Prospekt gefunden, denn E. C. Tubbs ist ein klingender Name für Klassikerfans wie mich. Was bedeutet die Aufnahme dieses Titels für die Entwicklung Ihres Programms?
_Jörg Kaegelmann:_
E. C. Tubb ist ein Urgestein der SF-Szene. Mit der Serie „Star Voyager/Titan“ versuche ich ein back-to-the-roots: Space Opera vom Feinsten.
_Buchwurm.info:_
Suchen Sie weitere Autoren und falls ja, was können Sie ihnen bieten? Beispielsweise einen florierenden Verlag?
_Jörg Kaegelmann:_
Korrekte und sachliche Teamarbeit bis ins Detail.
_Buchwurm.info:_
Ich habe neulich gehört, dass dem Fantasymarkt – und dazu zählen manche Marktbeobachter auch das Horror-Genre – in 2010 ein Einbruch droht, vermutlich wegen des Auslaufens der Romantic-Vampire-Welle. Was halten Sie davon?
_Jörg Kaegelmann:_
Kein Platz für Kuschel-Vampire! Artgerechte Haltung! Im Ernst: Unsere Dark-Fantasy-Serie „Schattenchronik“ (letztes Jahr erschien Band 1: „Das Erwachen“) geht bereits genau in diese Richtung. Protagonist ist ein Vampir-Cop, er hasst Vampire. Von daher ist |BLITZ| gut gerüstet. 😉
_Buchwurm.info:_
Haben Sie Freizeit? Wenn nicht, warum nicht?
_Jörg Kaegelmann:_
Gute Frage, da müsste ich tatsächlich mal drüber nachdenken.
_Buchwurm.info:_
Wagen wir einen Ausblick. Woran arbeiten Sie gerade?
_Jörg Kaegelmann:_
An der Frühjahrsauslieferung 2010, in Hoffnung auf einen guten Start der beiden Thriller „Marterpfahl“ und „Dunkle Nordsee“.
_Buchwurm.info:_
Wie geht es dir? Hoffentlich gut! Was machst du zurzeit?
_Andreas Eschbach:_
Danke der Nachfrage, es geht mir recht gut, und wie eigentlich immer schreibe ich gerade – diesmal ist es der nächste Jugendroman, der wieder im |Arena|-Verlag erscheinen wird. Mehr kann ich darüber aber, wie üblich, noch nicht verraten.
_Buchwurm.info:_
Wie jedes Jahr hast du deinen Roman rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse veröffentlicht – das lukrativste Podium hierzulande. Diesmal heißt der Roman [„Ein König für Deutschland“. 5856 Warum und wie kritisierst du darin das bestehende deutsche Wahlrecht?
_Andreas Eschbach:_
Ich kritisiere nicht das deutsche Wahlrecht, ich kritisiere in hoffentlich ebenso unmissverständlicher wie überzeugender Weise die Idee, Wahlen mithilfe von Computern abzuhalten. Mein Roman erzählt in zugegebenermaßen grotesker Weise – aber wie kann man anders über Politik schreiben als in der Form einer Groteske? -, was passieren könnte, wenn man das tut und mal wirklich ein paar Dinge schieflaufen.
Wobei der Roman, wenn ich es zu entscheiden gehabt hätte, wenigstens zwei Monate früher erschienen wäre, nicht erst zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Aber so etwas entscheidet bekanntlich jeweils der Verlag.
_Buchwurm.info:_
Hoffst bzw. glaubst du, dass dein Roman ein klein wenig mehr zur Bewusstseinsbildung vor den Wahlen beigetragen hat? Schließlich hat die Piraten-Partei immerhin zwei Prozent errungen! Oder hatte deren Erfolg andere Gründe?
_Andreas Eschbach:_
Wem immer die Piraten-Partei das verdankt: Bestimmt nicht meinem Roman. Ich muss gestehen, ich weiß nicht mal, wofür die Piraten-Partei steht, und ehrlich gesagt finde ich eine politische Gruppierung, die sich so einen Namen gibt, suspekt. Was kommt als nächstes? Die Bankräuber-Partei? Die Panzerknacker-AG?
Was die Bewusstseinsbildung anbelangt, hatte ich eher den Eindruck einer gewissen Konvergenz zwischen dem allgemeinen und meinem persönlichen Denken, denn noch während ich an dem Roman geschrieben habe, hat das Bundesverfassungsgericht den Einsatz von Wahlcomputern verboten – zumindest mal die bisher verwendeten Geräte. Nachdem entsprechende Klagen in der Vergangenheit immer abgewiesen wurden, ist das zumindest ein Fortschritt.
_Buchwurm.info:_
In den Romanen „Ausgebrannt“, „Der Nobelpreis“ und „Eine Billion Dollar“ hast du ebenfalls reale Phänomene kritisch betrachtet. Ist als nächstes die Fußball-WM in Südafrika dran? Oder hat die strategische Themenauswahl andere Gründe und Zwecke? Wozu erzählt man?
_Andreas Eschbach:_
Ich erzähle, weil in mir eine Geschichte entstanden ist, die erzählt werden will. Und da ich ein Bewohner dieser Welt bin, sind es manchmal reale Begebenheiten, die die Entstehung einer Geschichte anregen. Die Abhängigkeit unseres alltäglichen Lebens von einem zur Neige gehenden, unersetzbaren Rohstoff wie dem Erdöl, zum Beispiel. Die Bedeutung des Geldes für unser Dasein. Und so weiter. Wenn das so aussieht, als wählte ich meine Themen »strategisch«, dann sieht das wirklich nur so aus. Ich habe jedenfalls keinen Zwanzigjahreskalender mit Jahrestagen, Olympischen Spielen und dergleichen an der Wand hängen, vor dem ich grüble, was wann ein »heißes Thema« werden könnte. Das würde auch gar nicht funktionieren.
Nein, es ist mein Ideen-Notizbuch, das jeweils bestimmt, was ich als nächstes schreibe. Diejenige Idee, die am weitesten gediehen ist, wird das nächste Projekt – ganz einfach.
_Buchwurm.info:_
Wie lange recherchierst du für so einen Roman – und wo bzw. womit? Wäre es nicht recht hilfreich, eine Uni in der Nähe zu haben?
_Andreas Eschbach:_
Och, ich habe eine Universität in der Nähe. Brest ist Universitätsstadt, die „Université de Bretagne Occidentale“ ist im Stadtbild unübersehbar. Das ist kein Problem. Überhaupt ist Recherche für mich kein Problem – wir leben schließlich im Informationszeitalter; wenn ich was rausfinden will, dann finde ich es auch heraus, und meistens dauert das nur ein paar Minuten und kostet nur ein paar Mausklicks.
Das Problem, das ich mit Recherche habe, ist, dass dieses Thema heutzutage wahnsinnig überbewertet wird. Wie oft lese ich „ein guter Roman, und so gut recherchiert!“ Das ist doch Stuss! Woher will ein Rezensent wissen, wie viel oder wie gut ein Autor recherchiert hat? Vielleicht hat er ja alles schon gewusst! Oder alles erfunden? Auch das wäre legitim, denn wenig ist für einen Roman unwichtiger als reale Fakten. Fakten können einen auf Ideen bringen, das stimmt. Und man nutzt bisweilen Fakten, um die geschilderte Handlung realistischer und damit packender erscheinen zu lassen. Aber das ist es dann auch schon. Ein Roman ist keine Reportage. Er ist Erfindung. Alles darin darf erfunden sein, und es kann trotzdem ein großartiger Roman sein. Umgekehrt kann ein Roman bis zum Hemdknopf der Hauptfigur und der Abfahrtszeit seines Zuges recherchiert und trotzdem grottenschlecht sein. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
Oder anders gesagt: Ich würde lieber für meine Phantasie gelobt als für meine Recherche.
_Buchwurm.info:_
Schreibst du lieber Romane als Erzählungen? Es gibt ja auch einen Storyband von dir, der den Titel „Eine unberührte Welt“ trägt.
_Andreas Eschbach:_
Richtig. Und die einfache Antwort lautet: Ja, ich schreibe lieber Romane. Es ist auch schon eine Weile her, seit ich das letzte Mal eine Story geschrieben habe. Ich schreibe lieber Romane, nicht zuletzt, weil ich das besser kann als Storys.
_Buchwurm.info:_
Du hast ja auch Romane für Jugendliche geschrieben, so etwa den fünfteiligen Marsprojekt-Zyklus, der sukzessive im Taschenbuch veröffentlicht wird. Wirst du diese Tradition fortführen?
_Andreas Eschbach:_
Na ja – das Wort „Tradition“ ist da jetzt vielleicht etwas stark. Ich schreibe eben ab und zu auch Romane für jugendliche Leser, aber das tue ich nicht, um irgendeine »Tradition« zu pflegen, sondern weil ich entsprechende Ideen habe. Solange ich die habe und man mich lässt, werde ich das vermutlich weiter machen.
_Buchwurm.info:_
Kannst du dir deine Romane und Erzählungen auch als Graphic Novel vorstellen?
_Andreas Eschbach:_
Ich kann mir viel vorstellen. Ist sozusagen mein Beruf.
_Buchwurm.info:_
Warum gibt es diese Grafikromane noch nicht?
_Andreas Eschbach:_
Weil das jemand anders machen muss, nicht ich. Sprich: Das ist eine Frage, die Du Comiczeichnern stellen musst.
_Buchwurm.info:_
Zurzeit kommen Multimedia-Romane auf, die dem Leser auch Videoclips im Internet liefern. Was hältst du von dieser Form der Literatur?
_Andreas Eschbach:_
Spielerei. Marketing-Gags. So was mag mal ganz lustig sein, aber die Zukunft des Romans ist es bestimmt nicht.
_Buchwurm.info:_
Hörbücher gibt es von deinen Mainstream- und Marsprojekt-Romanen sowie von zwei Storys („Eine Trilion Dollar“ und „Die Wiederentdeckung“). Würdest du dir auch Hörbücher von deinen ersten phantastischen Romanen wie „Die Haarteppichknüpfer“, „Solarstation“ und „Quest“ wünschen?
_Andreas Eschbach:_
Also – ich bin nicht der Hörbuchtyp. Mir würde nichts fehlen, gäbe es keine. Es sind andere, die sich Hörbücher wünschen, und warum sollte ich etwas dagegen haben? Aber meine eigenen Hörbücher sind die einzigen, die ich mir anhöre. Wobei ich finde, dass Ulrich Noethen, der schon „Ausgebrannt“ glänzend gelesen hat, sich im „König für Deutschland“ noch einmal übertrifft.
Was mir allerdings, um das auch mal loszuwerden, sauer aufstößt, ist, dass es immer mehr Rezensionen gibt, deren Verfasser mich in aller Öffentlichkeit kritisieren, ich hätte dieses oder jenes nicht erklärt oder zu Ende gebracht, und ich denke dann, wieso? Hab ich doch! Bis ich draufkomme, dass diese Leute sich nur das Hörbuch angehört haben, anstatt das Buch zu lesen. Und sich nicht klar machen, dass praktisch alle Hörbücher gekürzte Fassungen sind. Dass da mal was unter den Tisch fällt, sollte nicht überraschen.
_Buchwurm.info:_
Der amerikanische Markt ist für einen deutschen Autor von großer Bedeutung …
_Andreas Eschbach:_
Nein. Wie kommst du auf diese Idee? Der deutsche Markt ist für einen deutschen Autor von großer Bedeutung. Der amerikanische Markt kann sehr gut für sich selber sorgen.
_Buchwurm.info:_
Welchen Erfolg hast du denn jenseits des Großen Teiches? Orson Scott Card hat dich ja ebenfalls empfohlen.
_Andreas Eschbach:_
Ja, und ohne diese Empfehlung wäre nichts aus der amerikanischen Ausgabe der „Haarteppichknüpfer“ geworden. Die hat erstaunlich viele und vorwiegend sehr gute Kritiken erhalten – man könnte unbescheiden auch das Wort „enthusiastisch“ verwenden -, ich erhalte immer wieder Mails von Lesern aus den USA, Großbritannien oder Australien, die nach mehr fragen – aber leider waren die Verkaufszahlen offenbar nicht so, dass sich der Verlag zu weiteren Übersetzungen ermutigt gesehen hat.
Nichtsdestotrotz geht immer wieder was. Zurzeit bin ich in zwei Anthologien mit Kurzgeschichten vertreten. Und unabhängig davon bin ich grundsätzlich zuversichtlich, denn dass Bücher wie »Jesus Video« oder »One Trillion Dollars« in den USA unverkäuflich sein sollen, kann man sich ja nun beim besten Willen nicht vorstellen. Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Verleger drüben das merkt …
Okay, und natürlich ermutigt die aktuelle Krise niemanden zu Experimenten. Die amerikanischen Verlage schon gar nicht, die davon wesentlich [härter; Erg. d. Red.] getroffen worden sind als die europäischen.
_Buchwurm.info:_
Inspiriert dich deine Wahlheimat Bretagne nicht dazu, dich mal an einem Fantasyroman für Young Adults zu versuchen?
_Andreas Eschbach:_
Bis jetzt nicht. Aber man soll nie „nie“ sagen. Ich schon gar nicht …
_Buchwurm.info:_
Was sind deine liebsten Freizeitbeschäftigungen in der Bretagne (mal vom Reisen nach Übersee abgesehen)?
_Andreas Eschbach:_
Aber Michael! Du weißt doch genau, dass ein Schriftsteller keine Freizeit hat. Oder nur Freizeit, je nachdem. Wie ein Kriminalkommissar ist man immer im Dienst, Tag und Nacht,
_Buchwurm.info:_
Wagen wir einen Ausblick. Woran arbeitest du gerade? (Kreative Leute arbeiten ja immer an irgendetwas.)
_Andreas Eschbach:_
Das neue Jugendbuch, erster Band einer neuen Reihe, von der ich mir viel verspreche, habe ich ja schon erwähnt. Da liegt die Arbeit allerdings schon weitgehend hinter mir. Das Projekt, an dem ich gerade konzipiere, wird der nächste Roman bei |Lübbe| – und nein, er wird nicht von der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika handeln …
http://www.andreaseschbach.de
_Mehr von Andreas Eschbach auf |Buchwurm.info|:_
[Ein König für Deutschland 5856
[Der Nobelpreis 2060
[Ausgebrannt 3487
[Ausgebrannt – Hörbuch 4942
[Quest 1459
[Die Haarteppichknüpfer 1556
[Das Jesus-Video – Hörbuch 267
[Der letzte seiner Art 1250
[Der letzte seiner Art – Hörbuch 317
[Eine Billion Dollar 653
[Exponentialdrift 187
[Das Marsprojekt – Das ferne Leuchten (Bd. 1) 1102
[Das Marsprojekt – Die blauen Türme (Bd. 2) 1165
[Das Marsprojekt – Die gläsernen Höhlen (Bd. 3) 2484
[Das Marsprojekt – Die steinernen Schatten (Bd. 4) 4301
[Das Marsprojekt – Die schlafenden Hüter (Bd. 5) 5266
[Die seltene Gabe 1161
[Perfect Copy 1458
_Abwechslungsreich: Begegnungen mit Walen und anderen Unwesen_
Eigentlich ist Arthur Penhaligon kein Held. Genau genommen, ist ihm sogar ein früher Tod vorherbestimmt. Doch dann rettet ihm ein geheimnisvoller Gegenstand das Leben: Er sieht aus wie ein Uhrzeiger und wird von seltsam gekleideten Männern als „Schlüssel zum Königreich“ bezeichnet.
Doch zugleich mit dem Schlüssel erscheinen bizarre Wesen aus einer anderen Dimension, die ihn um jeden Preis zurückgewinnen wollen. In seiner Verzweiflung wagt es Arthur, ein geheimnisvolles Haus zu betreten – ein Haus, das nur er sehen kann und das in andere Dimensionen führt. Dort will er nicht nur sein wahres Schicksal erkennen, sondern auch sieben Schlüssel besorgen …
Im Krankenhaus findet Arthur eine seltsame Karte unter seiner Bettdecke. Es ist eine Einladung. Die geheimnisvolle Lady Mittwoch bittet ihn zu einem Mittagsmahl mit 17 Gängen. Und schon steckt Arthur im nächsten Abenteuer, bei dem er Piraten, tosenden Stürmen und einem riesigen Geschöpf trotzen muss, das angeblich alles frisst, was ihm in die Quere kommt. Eines steht fest: Arthur muss den dritten von insgesamt sieben Schlüsseln finden – nicht nur für sich selbst, sondern für die unzähligen Menschen seiner Welt, die Schlimmes erleiden müssen, falls er versagt.
Das Buch eignet sich für Kinder ab 10 Jahren.
_Der Autor_
Garth Nix wurde 1963 in Melbourne/Australien geboren. Nach seinem Studium arbeitete er in einer Buchhandlung, später als Verleger, Buchhandelsvertreter, Zeitungsredakteur und Marketingsberater. Seit 2002 bestreitet er seinen Lebensunterhaltet ausschließlich als Autor. Er lebt heute mit seiner Frau, einer Verlegerin, und seinem Sohn in einem Vorort von Sydney. Zu seinen bekanntesten Büchern gehört die Abhorsen-Trilogie, die komplett bei |Carlsen| und |Lübbe| erschienen ist („Sabriel“; „Lirael“; „Abhorsen“).
Der Zyklus „Die Schlüssel zum Königreich“ auf |Buchwurm.info|:
[„Sabriel“ 1109 (Das alte Königreich 1)
[„Lirael“ 1140 (Das alte Königreich 2)
[„Abhorsen“ 1157 (Das alte Königreich 3)
_Handlung_
Nach seinem letzten Abenteuer mit Sir Dienstag liegt Arthur mit gebrochenem Bein im Krankenhaus. Dort arbeitet seine Mutter Emily. Seine Familie ist durch diverse Agenten des HAUSES in Schwierigkeiten geraten, doch Arthur kann nichts deswegen unternehmen. Er rechnet jeden Moment damit, von den Abgesandten der Lady Mittwoch abgeholt zu werden.
Gerade als seine Freundin Blatt ihn besucht, geht es los. Seine Uhr geht rückwärts, sein Kalender bewegt sich. Vorsorglich zieht sich Arthur schon mal an. Da dringt Wasser in seinem Zimmer ein, und die Wand wird zu einer Wasserwand, die ihn und Blatt durchnässt. Sie klammern sich an das Einzige, was noch schwimmt: sein Bett. Unversehens geraten sie in die Welt des HAUSES und treiben auf der Grenzsee. Ein Dreimaster nähert sich – es ist die „Fliegende Gottesanbeterin“, geschickt von Lady Mittwoch. Doch bevor Arthur Blatt an Bord folgen kann, fällt er ins Wasser und wird abgetrieben. Der Dreimaster trägt Blatt mit sich fort.
Kaum ist Arthur ganz allein auf dem Meer, spürt er einen Gegenstand unter seinem Bett. Es ist eine knallrote Boje. Seltsam, was mag die Boje wohl bezeichnen? Er zieht an einem Ring und die Boje explodiert unter Blitz und Donner. Nun ist sie offen, und er steigt hinein, was sicherlich trockener ist als ein schwimmendes Bett. In der Nacht kommt aber schon wieder Schiff, und weil dessen Matrosen alle tätowiert sind, hält Arthur sie für Piraten. Da sind sie aber beleidigt: Sie seien Berger, sie bergen Schätze – Schätze wie den unter der Boje.
Eine Taucherin der Berger holt eine Truhe vom Meeresboden. Sie trägt das Zeichen des größten Feindes aller Berger: das von Fieberauge, dem Hexenmeister des Nichts. Au weia, das könnte Ärger geben. Kaum hat sich Arthur Kapitän Katzenkissen, seinem Ersten Offizier Concord und dem Zauberer Dr. Skamadandros vorgestellt, da taucht auch schon das Schiff „Schauder“ auf, das – wem wohl? – gehört: Fieberauge!
_Mein Eindruck_
Das Muster der Handlung ist immer das gleiche. Auch diesmal muss Arthur, unser schwacher Held, erst einmal Freunde, Helfer und Gefährten finden und für sich gewinnen. Schon am Anfang jedoch verliert er die treue Blatt, und er ist auf seine eigene Fähigkeit angewiesen, sich bei den Bergern durchzusetzen. Zum Glück erkennen sie, dass er ein erbberechtigtes Kind des VERMÄCHTNISSES ist und in der Gunst der ARCHITEKTIN steht. Das erleichtert einiges.
Diese Helfer sind jedoch sehr nötig, wenn der Feind angreift. Da ist zunächst einmal der Oberpirat und Hexenmeister Fieberauge, ein Diener des NICHTS und somit ein Feind des VERMÄCHTNISSES. Aber er ist nicht der Schlüsselbewahrer und Treuhänder des VERMÄCHTNISSES. Das ist schließlich Lady Mittwoch. Mit Hilfe weiterer Gefährten, den Steuerratten unter Commodore Monkton, erfährt Arthur mehr darüber, wer, was und vor allem wo Lady Mittwoch ist.
|Die Gegner|
Macht und Bedrohung manifestieren sich in vielerlei Formen. Diesmal ist es nicht Gewalt, sondern schiere Größe, die Arthur Furcht einflößt. Denn Lady Mittwoch ist ein gigantischer Walfisch von 32 Kilometern Länge und entsprechender Höhe. Versteht sich, dass sich die Machtbasis des Hexenmeisters Fieberauge in ihrem voluminösen Inneren verbirgt. Dort würde Arthur auch die verlorene Blatt wiederfinden. Der einzige Weg dorthin führt über das U-Boot, das die Ratten steuern.
|Herakles|
Diesmal gerät Arthur mitten unter die echten Piraten. Über die historischen Piraten zwischen 1670 und 1730 hat sich der Autor offenbar genau informiert, wie man an Details wie einem brennenden Bart aus Zündschnüren ablesen kann. Diesen Bart trug nur Edward „Blackbeard“ Teach. Arthurs Showdown mit Fieberauge ist phantastisch gut geschildert. Der Sieg ist nur schwer zu erringen, und Arthur braucht wieder die Hilfe seiner Gefährten, um zu siegen. Denn wie kann man einen Gegner niederringen, dessen abgeschlagener Kopf immer wieder nachwächst?
Dieses Problem hatte schon der antike Held Herakles, welcher der Hydra die Köpfe abschlug, doch sie wuchsen ihr immer wieder nach. Er musste sie einzeln ausbrennen. Dass der Autor die Herakles-Sage kennt, beweist der Name des Schiffes „Fliegende Gottesanbeterin“: Heraklius Schwell. Arthur ist eine Verkörperung vieler Helden, und König Arthur sowie Herakles sind nicht die Geringsten darunter.
|Die Aussage|
Interessant ist auch das Verhältnis zwischen Fieberauge und Lady Mittwoch. Sie ist das Opfer eines Fluches, der sie nimmersatt macht. Jemand muss sie davon erlösen. Fieberauge ist der Erlöser garantiert nicht, denn er benutzt sie als sein Versteck und seine Operationsbasis. Seine Organisation ist wie sein Verstand: eine Art Hydra, die gierig ihre Finger überallhin ausstreckt, um Beute an sich zu raffen.
Dass diese Organisation sich versteckt, könnte symbolisieren, dass es sich bei dem Bösen, das sie verkörpert, um die Mafia, Camorra usw. handelt, die ja schon vielfach als „Hydra“ bezeichnet worden ist (zuletzt in Roberto Savianos Buch „Gomorrha“). Sie kann aber auch die Korruption sein, die damit einhergeht und der Ausbreitung der Hydra Vorschub leistet.
_Unterm Strich_
Diese Fantasyreihe wartet mit einem recht gut durchdachten Paralleluniversum auf, das erstens die Bestimmung des Helden bereithält und zweitens natürlich die Lösung zu allen Rätseln. Aber diese Bestimmung fällt dem denkbar ungeeigneten Asthmatikerhelden nicht in den Schoß, wie man sich leicht denken kann, sondern muss in sieben Kämpfen errungen werden.
Da sich diese Kämpfe auch auf die Welt des Helden erstrecken, gerät er mit seiner Familie in alle möglichen gefährlichen Situationen. Der Angriff von Grotesken, Nichtlingen und Käptn Fieberauge dürfte nur ein Vorgeschmack auf das sein, was noch kommen könnte. Doch wie im HAUS die loyale Susi Arthur beim Bestehen von Abenteuern beisteht, so tut dies in der Realwelt die treue Blatt.
Mir hat die Geschichte viel Spaß gemacht, denn der Autor überrascht mit einigen doch recht interessanten Einfällen, wie etwa dem verschlafenen Sonnenbären, dem Geschenk des VERMÄCHTNISses, das ganz aus Buchstaben besteht, oder den sprechenden Schiffsratten. Dieses Buch dreht sich ebenfalls um Macht und wie man ihr entgegentreten kann. Interessant ist dabei, dass Lady Mittwoch keineswegs der Schurke im Stück ist, sondern das Opfer eines Fluchs, das erlöst werden muss. Der Schurke ist Fieberauge, und ihn zu besiegen, stellt sich als wahrlich nicht einfach heraus.
|Die Heilung der Welt|
Natürlich erinnert der Aufbau der Geschichte ein wenig an Tad Williams‘ Zyklus „Otherland“, und hier wie dort durchstreift der Held eine virtuelle Welt, die er heilen muss. Aber er hat sie auch zu erobern und dafür etliche Kämpfe zu bestehen. Denn damit heilt er zugleich auch seine eigene Welt. Beides gehört zusammen, und der Weg ist das Ziel: Arthur findet nicht nur zu selbst, sondern erkennt auch seinen Platz und seine Aufgabe in der Welt. Das ist eine wertvolle Lektion, wie sie nur sehr gelungene Jugendbücher glaubwürdig zu vermitteln vermögen, so etwa die Harry-Potter-Reihe oder der Wintersonnenwende-Zyklus von Susan Cooper.
|Originaltitel: Drowned Wednesday, 2005
Aus dem australischen Englischen übersetzt von Axel Franken
382 Seiten
ISBN-13 der Taschenbuchausgabe: 978-3404206094|
http://www.bastei-luebbe.de
_Buchwurm.info:_
Hallo, Michael, wo bist du und was machst du gerade? Ich hoffe, es geht dir gut.
_Michael Iwoleit:_
Ich befinde mich gerade an meinem Arbeitsplatz in Wuppertal und beschäftige mich mit diversen Dingen, die in diesem Jahr noch unerledigt geblieben sind, unter anderem den Antworten für dieses Interview. Nach einem Jahr, das nicht nur für mich, sondern für die SF-Szene als Ganzes sehr unglücklich verlaufen ist – ich erwähne nur die vielen Todesfälle, national und international -, sind die Ansprüche ans Literarische, Geschäftliche und ans Wohlergehen deutlich heruntergeschraubt, aber ich habe fürs neue Jahre einige vielversprechende Projekte ins Auge gefasst und blicke einstweilen zuversichtlich in die nähere Zukunft. Zurzeit arbeite ich an einer neuen Novelle, die in meiner ersten Kurzgeschichtensammlung erscheinen soll, und an einem umfangreichen Romankonzept.
_Buchwurm.info:_
Viele Leser kennen dich noch nicht. Stell dich doch bitte ein wenig selbst vor!
_Michael Iwoleit:_
Geboren wurde ich 1962 in Düsseldorf und lebe heute in Wuppertal. Nach einer Ausbildung zum Biologisch-technischen Assistenten habe ich einige Semester Philosophie, Germanistik und Sozialwissenschaft studiert und dann für zwei Jahre am Botanischen Institut der Universität Düsseldorf gearbeitet.
Seit 1989 bin ich hauptberuflicher Autor, Übersetzer, Kritiker und Herausgeber vor allem im Bereich Sciencefiction und phantastische Literatur. Nebenher habe ich als Texter für Werbung und Softwareindustrie gearbeitet. Ich habe ca. 30 Erzählungen veröffentlicht, vier Romane und zahlreiche literarische und populärwissenschafliche Essays. Einige meiner Storys erschienen im Ausland, darunter in den USA, in Polen, Kroatien, England und Italien.
2002 habe ich mit Ronald M. Hahn und Helmuth W. Mommers das Magazin [Nova]http://www.nova-sf.de/ gegründet, das sich der zeitgenössischen deutschsprachigen Sciencefiction widmet und das ich heute mit Ronald M. Hahn und Frank Hebben herausgebe. Einen gewissen Bekanntheitsgrad habe ich mit meinen Novellen erreicht, für die ich dreimal den deutschen Science-Fiction-Preis und einmal den Kurd-Laßwitz-Preis erhalten habe.
_Buchwurm.info:_
Bist du zurzeit mehr Autor und Übersetzer oder mehr Herausgeber? (Wahrscheinlich Letzteres, wenn der Launch von [InterNova]http://inter.nova-sf.de/ bevorsteht.)
_Michael Iwoleit:_
Im Moment bin ich hauptsächlich mit meinen eigenen literarischen Projekten beschäftigt. Wie meine Mitherausgeber arbeite ich ohnehin nur nebenher und, weil beide Magazine keine Gewinne abwerfen, nur aus Spaß an |Nova| und |InterNova|. Dass wir, ungeachtet der zunehmenden Belastung durch den Hauptberuf, inzwischen schon seit sieben Jahren ein unabhängiges Publikationsforum für deutsche SF in Gang gehalten haben – auch wenn nicht immer alles reibungslos läuft – erstaunt niemanden so sehr wie uns. Wir hoffen, dass es noch eine Weile so weitergehen und irgendwann vielleicht sogar eine zweite Herausgebergeneration das Magazin weiterführen wird. Mit Frank Hebben haben wir, was das angeht, ja schon einen vielversprechenden Mann an Bord geholt.
_Buchwurm.info:_
Hat die Welt auf das SF-Magazin [InterNova]http://inter.nova-sf.de/ gewartet, das im Januar 2010 als Online-Magazin neu gestartet werden soll? Was zeichnet das Magazin gegenüber anderen und vor allem gegenüber seinem Schwestermagazin |Nova| aus?
_Michael Iwoleit:_
2005 erschien eine Print-Ausgabe von |InterNova|, die sich leider so schlecht verkauft hat, dass wir das Magazin in dieser Form nicht weiterführen konnten. Ich gehe deshalb davon aus, dass die Idee, die wir mit |InterNova| verfolgen, sich auch online keiner besonderen Popularität erfreuen wird.
Die Idee selbst scheint mir aber nach wie vor so interessant, dass ich sie auf keinen Fall aufgeben will (auch wenn sich die Realisierung von [InterNova online]http://inter.nova-sf.de/ aufgrund widriger Umstände lang verzögert hat): |InterNova| präsentiert herausragende SF-Storys von Autoren aus all den Ländern, die zwar über eine kreative lokale SF-Produktion verfügen, aber aufgrund der kommerziellen Übermacht der englischsprachigen Autoren selten außerhalb ihres Heimatlandes präsentiert werden.
Englische und amerikanische Autoren sind zwar nicht ausgeschlossen, der Schwerpunkt liegt aber auf Autoren aus Ost- und Nordeuropa, Südamerika und Asien. Wir haben für dieses Projekt Kontakte zu Autoren aus über zwanzig Ländern geknüpft, und in jedem Land fanden sich interessante Autoren auf internationalem Niveau.
Ich wünsche mir, dass wir mit |InterNova| eine kleine Gegenstimme zu einer Auffassung von Sciencefiction etablieren können, die SF im Wesentlichen als eine amerikanische Literaturform mit ein paar exotischen Anhängseln betrachtet. Diese Auffassung ist weder durch die Vielfalt noch die Qualität internationaler Sciencefiction gerechtfertigt.
_Buchwurm.info:_
Und warum sind alle Beiträge in Englisch? Wendet sich das Magazin nicht auch an deutsche Leser?
_Michael Iwoleit:_
Als internationales SF-Magazin richtet sich |InterNova| auch an ein internationales Publikum, und Englisch ist die einzige Sprache, die von einem nennenswerten Anteil der internationalen SF-Leserschaft verstanden wird. Ich sehe darin eigentlich kein großes Problem, denn auch in Deutschland gehen immer mehr Leser dazu über, ganz oder teilweise englische Originale zu lesen – was sicher etwas mit dem, im Verhältnis zu früheren Jahren, zurückgegangenen Angebot an deutschen Übersetzungen zu tun hat -, und solche Leser werden auch mit |InterNova| keine Schwierigkeiten haben. Es könnte sein, dass |InterNova| später auch deutsche und vielleicht sogar spanische Übersetzungen anbieten wird, aber dazu müssen wir zunächst sehen, wie sich das Projekt entwickelt und in welchem Maße freie Mitarbeiter an einer Kooperation interessiert sind.
_Buchwurm.info:_
Ich kenne dich als langjährigen Autor für die Erzählbände des Verlags [Heyne]http://www.randomhouse.de/heyne/ , die Anfang des Jahrtausends eingestellt wurden. Wie würdest du deine thematische Ausrichtung beschreiben bzw. worum geht es dir beim Erzählen?
_Michael Iwoleit:_
Beim Schreiben spielen so viele Motivationen eine Rolle, dass sich diese Frage kaum mit wenigen Worten beantworten lässt. Zunächst einmal ist es immer wieder ein aufregendes und sehr befriedigendes Erlebnis, einem anfangs noch vagen Gebilde, dem Keim einer Geschichte, die einem unfertig durch den Kopf geht, eine konkrete, sinnliche Form zu verleihen, die von anderen nachvollzogen werden kann.
Ich gehöre dabei zu den Autoren, denen die Atmosphäre, die Stimmungen, die Bilder und psychischen Zustände in einer Geschichte wichtiger sind als die vordergründige Handlung. Ich arbeite deshalb oft sehr lang an einer Story, vor allem in stilistischer Hinsicht, und bevor es mir nicht gelungen ist, die Nuancen herauszuarbeiten, die mir von Anfang an vorgeschwebt haben, kann ich eine Geschichte nicht abschließen und muss viele Passagen immer wieder neu schreiben. Die Sprache ist mitunter ein sehr widerspenstiges Material, und oft ist es mehr eine Frage des Fleißes und der Hartnäckigkeit, bis man den Erzählton getroffen hat, der zu einer Geschichte gehört.
Ich bin schon einige Male gefragt worden, ob es in meinen Storys eine thematische Leitlinie gibt.
Wenn ich es auf eine knappe Formel bringen müsste, würde ich sagen, dass mein Hauptthema das Problem der Identität ist. Die meisten meiner Protagonisten machen auf diese oder jene Weise eine Ich-Auflösung durch. Ihnen werden falsche Erinnerungen untergeschoben, sie machen körperliche oder seelische Transformationen durch, ihre psychische Integrität wird angegriffen usw.
Als Autor wählt man Motive danach aus, wie erzählerisch reizvoll sie einem erscheinen, deshalb kann ich wenig dazu sagen, warum mich ausgerechnet solche Ideen immer wieder faszinieren. Aber vielleicht wird sich irgendwann einmal ein Kritiker finden, der meine Erzählungen interessant genug für eine genauere Analyse hält und hier eine Interpretation anbietet.
_Buchwurm.info:_
Ich habe deinen Roman [„Psyhack“]http://shop.fabylon-verlag.de/themes/kategorie/detail.php?artikelid=3&kategorieid=4&source=1 gelesen und rezensiert. Was wolltest du mit dieser Geschichte sagen und welche Leser wolltest du mit dem Roman erreichen?
_Michael Iwoleit:_
Zunächst ging es mir darum, Möglichkeiten zu realisieren, die in der Urfassung des Story – einer Novelle, für die ich 2006 den Deutschen Science-Fiction-Preis erhalten habe – unberücksichtigt geblieben sind. Gewöhnlich halte ich nichts davon, eigene Stoffe mehrfach zu bearbeiten.
In diesem Fall aber wurden soviele Themen in der Novellenfassung nur gestreift – etwa die politischen Aspekte, vor allem die Konzepte hinter dem Parzellen-Projekt -, dass mir eine Ausarbeitung lohnend erschien. Auch das Ende der Kurzfassung hat mir selbst nie recht gefallen, und ich habe bei der Romanfassung die Gelegenheit genutzt, die Geschichte auf eine Weise aufzulösen, die mehr bietet als das obligatorische unhappy end.
Der ganzen SF-Motive ungeachtet, handelt es sich um eine sehr menschliche Geschichte, und ich hoffe, dass darin der Reiz des Romans besteht: Es geht um einen Menschen, der mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird und einen Weg finden muss, mit seinem Leben und seiner Schuld ins Reine zu kommen.
Ich habe mir erhofft, dass der Roman für Leser interessant sein könnte, die wie ich der Meinung sind, dass eines der Lieblingsthemen der aktuellen Sciencefiction – der Upload eines menschlichen Bewusstseins, also seine Umwandlung in ein Software-Gebilde, das beliebig manipuliert werden kann – oft noch sehr oberflächlich behandelt wird. Wenn es mir gelungen ist, das Thema zum Vehikel für eine menschlich anrührende Geschichte mit psychologischen Tiefgang zu machen, dann habe ich mein Ziel erreicht.
_Buchwurm.info:_
Ich fand die Geschichte klasse, aber warum hast du sie denn im Mittelteil rückwärts erzählt?
_Michael Iwoleit:_
Die Idee, die psychische Rekonstruktion des Protagonisten in umgekehrter Chronologie zu erzählen, ist mir beim Schreiben gekommen. Ich habe mich vorher mit meiner Verlegerin Uschi Zietsch (|Fabylon|-Verlag) darüber beraten, und sie hat mich zu dieser ungewöhnlichen Vorgehensweise ermutigt, die durchaus einige Leser irritiert hat. Bei genauer Lektüre des Romans, glaube ich, erscheint diese Erzählweise plausibel.
Es ging darum, den Helden bis an den Anfang seiner Geschichte zurückzuführen und ihn in einen Zustand zu versetzen, der ihm einen Neuanfang ermöglicht. Betrachtet man die Geschichte aus dem Blickwinkel des Protagonisten, aus seiner Bewusstseinslage heraus, scheint mir die umgekehrte Erzählweise die einzig logische. Im Übrigen wird der Roman dadurch auch formal sehr viel interessanter.
_Buchwurm.info:_
Wie reagierten die Leser auf diese Geschichte? Hast du viele Exemplare davon verkaufen können?
_Michael Iwoleit:_
Die Reaktionen der Leser und Kritiker waren überwiegend positiv. Insbesondere hat mich gefreut, dass mir offenbar gelungen ist, die menschlichen Aspekte der Geschichte so intensiv und nachvollziehbar darzustellen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Überdurchschnittlich gut verkauft hat sich der Roman nicht. Wie die meisten zeitgenössischen deutschen SF-Bücher hat auch mein Roman nicht viel mehr als etwa 500 Leser erreicht. Mehr war realistischerweise nicht zu erwarten.
_Buchwurm.info:_
Gibt es für dich noch viele Publikationsmöglichkeiten im deutschsprachigen Raum? Wie entwickelt sich der Markt? Oder muss man als Autor zunehmend auf Online-Medien ausweichen?
_Michael Iwoleit:_
Als hauptberuflicher Autor, der darauf angewiesen ist, mit seinen Arbeiten Einnahmen zu erzielen, verschlechtern sich die Bedingungen auf dem SF-Markt leider immer mehr. Es gibt einen großen und sehr lukrativen Markt für deutschsprachige Fantasy, aber kaum noch einen für deutschsprachige Sciencefiction. Deutsche SF-Autoren, die kommerzielle Erfolge gelandet haben – vor allem Andreas Eschbach und jüngst Frank Schätzing -, kann man an einer Hand abzählen, und es bleiben noch Finger übrig.
Das meiste, was sich an literarisch interessanten Entwicklungen in der deutschen SF abspielt, findet im semiprofessionellen Bereich statt, also bei Verlagen wie |Wurdack| oder Magazinen wie |Exodus| oder |Nova|, die zwar mit professionellem Qualitätsanspruch arbeiten, aber froh sein können, wenn die Produkte ihre eigenen Produktionskosten wieder einfahren.
Auch wenn ein baldiger Einbruch des Fantasy-Markts vorausgesagt wird, mache ich mir wenig Hoffnung, dass sich die Bedingungen für deutsche SF in absehbarer Zeit bessern werden. Es könnte damit zusammenhängen, dass die Sciencefiction in einer Welt, die selbst immer SF-artiger erscheint, an Interesse und Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Die SF ist auf dem Weg, zu einem Zweig der allgemeinen Literatur zu werden, und wenn überhaupt, so finden sich hier vielleicht auch Chancen für deutsche SF-Autoren.
_Buchwurm.info:_
Mit welchen Veröffentlichungen können wir in nächster Zukunft von dir rechnen?
_Michael Iwoleit:_
Ich hoffe, dass ich die Arbeit an meiner ersten Kurzgeschichtensammlung, die ich aufgrund einer Erkrankung aufschieben musste, in Kürze beenden kann. Das Buch ist unter dem Titel „Die letzten Tage der Ewigkeit“ bei |Wurdack| vorgesehen und enthält bekannte und weniger bekannte Erzählungen aus den letzten zehn Jahren sowie eine neue, umfangreiche Novelle.
_Michael K. Iwoleit auf |Buchwurm.info|:_
[„Psyhack“ 5162
_Buchwurm.info:_
Wie geht es Ihnen? Wo sind Sie? Was machen Sie gerade?
_Willibald Spatz:_
Gut. Daheim am Schreibtisch, Tasse Kaffee, bereit zu antworten.
_Buchwurm.info:_
Die Angaben in der Autoreninfo des |Gmeiner|-Verlags sind äußerst mager. Könnten Sie sich bitte unseren Lesern etwas ausführlicher vorstellen?
_Willibald Spatz:_
Ich bin Bio- und Chemielehrer an einer Augsburger Schule. Studiert habe ich in Würzburg und während des Studiums habe ich angefangen, Theatertexte zu schreiben. Würzburg hat eine sehr lebendige und gute freie Szene – deshalb war es immer einfach, diese Texte einem Publikum vorzuführen. Vor vier Jahren verschlug es mich nach Kempten, dort gibt es keine so gut ausgebaute Bühnen-Infrastruktur, deshalb habe ich angefangen, einen Roman zu schreiben, also einen Text, den man nicht aufführen muss, damit er funktioniert.
Inzwischen wohne ich auf dem Land bei Augsburg, da könnte man wieder gut Theater machen, aber im Moment komme ich kaum dazu. Es gibt allerdings bald einen Film, bei dem ich ein bisschen mitgewirkt habe. (Mehr Information unter [www.sumosam.de).]http://www.sumosam.de
_Buchwurm.info:_
Was soll ich mir denn unter dem Studienfach „Kulturkritik“ vorstellen? Ich finde allein schon die Vorstellung, eine ganze Kultur kritisieren lernen zu können, ziemlich – öhm – faszinierend. Sind Sie jetzt ein Doktor?
_Willibald Spatz:_
Kulturkritik ist eine Abkürzung, ausgeschrieben heißt der Studiengang „Theater-, Film- und Fernsehkritik“. Dabei handelt es sich um ein kulturjournalistisches Aufbaustudium an der Bayerischen Theaterakademie. Man soll da lernen, wie man fürs Feuilleton schreibt. Am Schluss bekommt man dann ein Zertifikat.
_Buchwurm.info:_
Konnten Sie Ihre Erkenntnisse aus dem Fach „Kulturkritik“ stets eins zu eins anwenden, wenn Sie nun für die Publikationen schreiben?
_Willibald Spatz:_
Ja, konnte ich. Der Schwerpunkt dieses Studiums liegt nämlich auf Schreibseminaren, bei denen man diverse journalistische Formen übt. Kann man dabei auch Krimischreiben lernen? Nein, nicht direkt, aber es schadet auch nicht.
_Buchwurm.info:_
Worum geht es in Ihrem neuen Krimi [„Alpendöner“? 6066 Der Titel weckt ja vielfältige Assoziationen in Richtung Culture Clash …
_Willibald Spatz:_
Ein Mann kommt in die Fremde, genauer nach Kempten im Allgäu, wo man mit Fremden nicht viel anfangen kann. Das merkt der Mann und auch andere Fremde, die sich dem Anschein nach schon integriert hätten, denen aber noch mal richtig eins reingewürgt werden soll, um ihnen zu zeigen, dass sie nicht willkommen sind. Der Mann und die anderen Fremden finden zusammen in ihrer Ausgeschlossenheit. Es kommt also zu einem Culture Clash, aber definitiv nicht aufgrund von nationalen Grenzen. Die Barrieren, an denen es knallt, sind imaginär und zwischen den Menschen hochgezogen.
Damit’s ein Krimi wird, passiert ein Mord und ein Kommissar tritt auf, aber die wahre Action findet im Inneren der Handelnden statt.
_Buchwurm.info:_
Was ist denn der Held Birne für einer? Warum sollte er uns interessieren?
_Willibald Spatz:_
Birne ist selbst auf der Suche, er hat keine Ahnung, wohin er soll mit sich. Das unterscheidet ihn ein bisschen von anderen Krimihelden, die meist ganz eindeutig auf der Seite des Guten, manchmal auch auf der bösen Seite stehen. Birne kann das nicht, weil er nicht weiß, was gut und böse ist und täglich neue Antworten findet.
Das macht die Figur für mich spannend, auch im Hinblick auf andere Figuren – denen kann man mit dieser Hauptperson auch immer wieder neu begegnen, keiner muss seine Rolle bis zum Ende spielen, jeder darf ständig neue Facetten zeigen. Am Schluss ist uns mitunter der Bösewicht sympathischer als der ständig Gute und wir hören auf, die anderen zu bewerten, sie nach zwei Sekunden in eine Schublade zu stecken, aus der wir sie erst wieder lassen, wenn sie uns was Großes spendiert haben.
_Buchwurm.info:_
Welche Rolle spielt Humor für diesen Roman bzw. für Ihre anderen Werke?
_Willibald Spatz:_
Humor kommt vor, allerdings nicht um Gags zu produzieren und Leser für ein paar Sekunden zu Lachern zu machen. Im Gegenteil ganz klassisch: Die komischsten Gestalten sind die tragischsten. Wir nehmen sie alle so ernst, wie sie sich selbst ernst nehmen und stellen plötzlich fest, dass sie nur noch zum Lachen sind. Dann lacht auch der Leser (oder Zuschauer im Theater), obwohl er vielleicht lieber weinen wollte.
Veröffentlicht ist im Moment nur der „Alpendöner“, im Februar folgt „Alpenlust“, dazu gäbe es eine Menge an Theaterstücken, die nicht verlegt sind.
_Buchwurm.info:_
Wollen Sie mit Krimis sowohl unterhalten als auch Missstände ansprechen?
_Willibald Spatz:_
Angesprochen sind im „Alpendöner“ die Ausgrenzung Fremder und eine treffend als Pädophobie bezeichnete und aus Großbritannien rüberschwappende Angst vor Jugendlichen, die uns dazu bringt, sie tagsüber in Einrichtungen wegzusperren, anstatt zu versuchen, sie in ihren Bedürfnissen zu verstehen.
In „Alpenlust“ geht es um die Kontrolle, die der Staat über uns ausüben will, und die Angst vor Terror, die er uns deswegen einzureden versucht. – Das alles sind gesellschaftliche Missstände, die mich bewegen. Natürlich wäre es gut, wenn Leser der Bücher anfangen würden, sich Fragen zu stellen und auch Dinge in Frage zu stellen. Aber ich halte die Wirkung, die ein Roman haben kann, leider für sehr begrenzt. Ich glaube, man müsste für mehr Effekt noch expliziter schreiben. Das mag ich nicht. Unterhalten will ich. Ja.
_Buchwurm.info:_
Was sind Ihre liebsten Freizeitbeschäftigungen? Sind Sie politisch engagiert?
_Willibald Spatz:_
Gelegentlich kann ich hier auch noch musikalisch tätig werden bei den Bands „Turboblues“, „Fressen“, „Gnadenkapelle Höges Gold“ und „Herbe Sahne“. Ich bin in keiner politischen Vereinigung, wenn Sie das mit politischem Engagement meinen.
_Buchwurm.info:_
Wagen wir einen Ausblick. Der Verlag kündigt Ihren nächsten Birne-Krimi „Alpenlust“ für Februar 2010 an. Das klingt nach Jodelgrüßen aus der Lederhose, also einem Porno. Richtig oder falsch? Wenn nicht, warum? Vielleicht wollen Sie ja neue Leserschichten erreichen. 😉
_Willibald Spatz:_
Ganz im Gegenteil. Der Krimi ist streng protestantisch, zu Geschlechtsverkehr kommt es nur in Ausnahmefällen. Aber da ist dennoch eine ständige Lust auf einen fremden Körper, die den Roman schwül durchweht und die Hauptpersonen ganz kirre macht. Die stellen dann Dinge an, die sie mit ein bisschen Triebdruck weniger hätten sein lassen.
Mehr Event-Informationen über mich finden Sie auf der Homepage http://www.friedrich-pilsner.de.
_Spannendes Jugendbuch: Lehrreiche Schnitzeljagd durch die Ewige Stadt_
Alle hundert Jahre wird die Menschheit herausgefordert. Alle hundert Jahre müssen vier Jugendliche ein großes Abenteuer bestehen. Weitere hundert Jahre später werden erneut vier Jugendliche in Rom auserwählt. Sie verbindet ein Geheimnis. Als ein Mann ihnen ein Köfferchen anvertraut, bevor er weiterflieht, finden sie darin eine seltsame Karte aus Holz. Die Herausforderung beginnt in Rom, der Stadt des Feuers, und damit ein gefährlicher Wettlauf gegen die Zeit. (Verlagsinfo)
_Der Autor_
Pierdomenico Baccalario wurde 1974 in Piemont geboren. Schon früh begeisterte er sich fürs Lesen und durchstöberte die riesige Bibliothek seiner Eltern nach abenteuerlichen Geschichten. An der literarischen Schule schrieb er selbst Geschichten, erfand Rollenspiele und die dazu passenden Welten. Nach der Schule studierte er zunächst Jura, bevor er sich dem Journalismus und dem Schreiben zuwandte. Gleich für seinen ersten Fantasyroman „Die Straße des Kriegers“ wurde er ausgezeichnet. Seine Bücher werden weltweit in über 20 Sprachen übersetzt. Bekannt ist er auch unter dem Pseudonym Ulysses Moore. „Der Ring aus Feuer“ ist der Aufakt zum CENTURY-Zyklus.
|Der CENTURY-Zyklus:|
1) Der Ring aus Feuer
2) Der Stern aus Stein
3) Die Stadt des Windes
4) Der Weg zur Quelle
Mehr Info und Probekapitel unter: http://www.thecentury.it/century/
_Handlung_
In einer einsamen Hütte, die mitten auf einer kahlen Eisfläche steht, sind zwei Männer und eine Frau versammelt. Sie warten gespannt auf eine Nachricht. Endlich erscheint eine vierte Frau: „Es beginnt – in Rom!“ Endlich kann es losgehen.
Durch eine Überbuchung geschieht es, dass im römischen Hotel Quintilia am 29. Dezember vier Jugendliche das gleiche Zimmer teilen müssen. Elettra ist die Tochter des Hotelbesitzers, der ihnen diese Unbequemlichkeit eingebrockt hat. Sie teilt sich die zwei Doppelstockbetten mit einer Französin namens Mistral, die Parfümherstellung studieren will; mit Harvey, dem trotzigen Amerikaner; und mit Sheng, dem lustigen Chinesen, der für seinen Vater eine Art Versuchskaninchen in Sachen Hotels-Testen ist.
Als sie sich kennenlernen, finden sie etwas Unglaubliches heraus. Harvey ist am 29. Februar geboren und findet, dass diese Merkwüdigkeit unschlagbar sei. Mistral ist erstaunt und seltsam berührt: Auch sie ist am gleichen Datum geboren. Und Sheng ergeht es ebenso. Elettra schweigt und geht zum Fenster. Natürlich ist auch sie an diesem Tag geboren. Aber was hat dieser „Zufall“ zu bedeuten? Oder hat das Schicksal sie alle hier zusammengeführt?
Elettra trägt nicht umsonst den Namen „Elektrische“, denn als sie Sheng berührt, versetzt sie ihm einen elektrischen Schlag, der sich in eine Lampe fortpflanzt, die sofort explodiert. Das Zimmer ist in Finsternis getaucht. Seltsamerweise aber auch das gesamte Viertel Trastevere. Und alle Viertel diesseits des jenseitigen Tiberufers. Als Sheng seine Augen wieder öffnet, leuchten seine Augen gelb wie die einer Eule und er sieht scharf wie ein Adler.
Da nun nichts mehr anzustellen ist und alle viel zu aufgeregt sind, um an Schlaf zu denken, gehen sie hinaus, um sich die vom Schneetreiben herbeigezauberte Winterwunderlandschaft anzusehen. Auf der dunklen Straße, die nur von Autoscheinwerfern beleuchtet wird, diskutieren die Menschen über die Ursache des Blackouts. Straßenbauarbeiten? Die vier Jugendlichen beginnen eine Schneeballschlacht, dann führt Elettra sie weiter zu jener Zone, von der aus man auf das hell erleuchtete restliche Rom schauen kann. Es die Brücke Quattro Capi, die älteste über den Fluss.
Hier torkelt und stürzt ein hagerer Mann vor ihnen in den Schnee, der ein Köfferchen an sich klammert. Er ruft um Hilfe, doch die Jugendliche sind wie erstarrt. Dann hört Elettra, wie er eine Zahl murmelt: „Neunundzwanzig.“ Sie rührt sich und hilft ihm auf. Er drückt ihr sein Köfferchen in die Arme und flüstert angsterfüllt, er werde verfolgt. SIE seien hinter ihm her. Und er eilt weiter. Direkt in die Arme seines Mörders, der sich als Geigenspieler am Tiberufer aufgestellt hat …
Am nächsten Morgen, den 30. Dezember, gehen die vier Kinder hinunter in den kuschelig warmen Keller des Hotels und stellen den Koffer vor sich auf ein Tischchen. Sollen sie es wirklich wagen, die Büchse der Pandora zu öffnen, fragt sich Elettra? Schließlich hat das Ding bereits ein Menschenleben auf dem Gewissen, wie sie aus der Zeitung erfahren hat, die ihr Harvey gab. Dennoch erscheint es ihnen besser, endlich Bescheid zu wissen, als stets in Ungewissheit zu leben, ohne zu ahnen, wer hinter dem Inhalt des Köfferchens her ist.
Elettra öffnet die Verschlüsse des Behälters. Als sie deren Verpackungen entfernt, kommen ein Regenschirm und vier hölzerne Kreisel zum Vorschein, eine hölzerne Karte mit einem seltsamen Labyrinth darauf, ein Zettel und – echt unheimlich – ein menschlicher Eckzahn mit einem eingravierten Ring darauf. Auf dem Zettel steht ein Rätsel: „Alle hundert Jahre ist es Zeit, die Sterne zu beobachten. Alle hundert Jahre ist es Zeit, die Welt kennenzulernen. Welche Rolle spielt es, auf welchem Weg du die Wahrheit suchst? An ein so großes Geheimnis gelangt man nicht nur aus einer Richtung. Solltest du es lüften, musst du es sorgfältig hüten, um zu verhindern, dass andere es entdecken.“ Alle sind ratlos.
Der Mörder trifft sich mit seinen Komplizen in einem Café. Er ist stinksauer, weil das Opfer einen wichtigen Gegenstand NICHT dabei hatte: ein Köfferchen. Sollte sein Auftraggeber davon erfahren, wäre der Tod des Versagers, der das Opfer hat entwischen lassen, lang und schmerzhaft. Also ziehen Beatrice, die Fahrerin des Mörders, und ihr Komplize, der alles verbockt hat, los, um den Verbleib des Köfferchens zu klären. Nicht, dass sie viel Hoffnung hätten. Doch auf der BrückeQuattro Capi meint es der Zufall gut mit ihnen: Da liegt eine Badekappe mit der Aufschrift „Hotel Domus Quintilia“ …
Unterdessen fasst sich Elettra ein Herz und packt den einzigen Gegenstand, der einen konkreten Hinweis enthält: den Regenschirm. Er trägt die Aufschrift des Café Greco. Und wo das liegt, weiß in Rom jedes Kind. Zusammen mit den Objekten aus dem Koffer, die sie in Shengs Rucksack stecken, traben sie los, um die Herausforderung anzunehmen.
_Mein Eindruck_
Wie in Dan Browns Bestsellern „Sakrileg“ und „Illuminati“ folgen die vier, die offensichtlich auserwählt wurden, dem Krümelpfad, den ihnen mehrere Hinweise legen. Als Erstes stoßen sie auf die Spur des getöteten Professors Alfred Van Der Berger, der ein wissenschaftlicher Assistent am Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte war. So steht es auf seiner Visitenkarte, die im Fototeil des Buches abgedruckt ist. Die Jugendlichen finden die Karte an der Unterseite eines Tisches im Café Greco. Und schon beginnt es.
|Schnitzeljagd|
Der Professor befasste sich mit einem Mythos, der an die mittelalterlichen Alchimisten erinnert und den auch Dan Brown in seinem Thriller „Das verlorene Symbol“ rudimentär wieder aufgreift: Dass die Sterne das Schicksal der Menschen bestimmen – „wie unten, so auch oben und umgekehrt“. In Van der Bergers Notizbuch ist die Rede von einem „Mädchen der Sterne“ und einem „Ring des Feuers“. Hinter Letzterem ist auch der Mörder her, und das Quartett ahnt, dass es verfolgt wird. Sie müssen schneller sein als der Mörder.
|Im Bauch Roms|
Die Geschichte führt die Vier in das tiefste und verwinkeltste Rom, irgendwo zwischen Trastevere und Coppedè, wo es recht merkwürdig gestaltete Häuser gibt (siehe Fotos). Es ist, als wolle der Autor den jungen Leser mit den verborgenen Geheimnissen seiner Stadt bekanntmachen. Aber dies ist kein Selbstzweck, denn nachdem das französische Mädchen, Mistral, entführt worden ist, bemühen sich Harvey und Sheng sie wiederzufinden. Sie stoßen auf einen Helfer des Professors, einen zerstreuten Elektroingenieur, und auf eine Zigeunerin, die ebenfalls einen Hinweis liefert.
|Der Ring des Feuers|
Die Schnitzeljagd führt in den Untergrund – wie könnte es anders sein? – und zu einem Showdown. Hier erweist sich, dass Elettra nicht umsonst von Unbekannt ausgewählt worden ist, sondern aufgrund ihrer beunruhigenden Eigenschaft, elektrische Felder wahrzunehmen und zu erzeugen. Sie folgt den Hinweisen und gelangt endlich zum Versteck des uralten Rings des Feuers, mit dem angeblich Prometheus den Göttern das Feuer stahl, um es den Menschen, seinen Geschöpfen, zu schenken.
|Bildungsreise|
Dieser Ring ist etwas völlig anderes als der Eine Ring in Tolkiens Fantasy-Bestseller. Der Autor weiß durchaus Originalität mit historischen Kenntnissen zu verbinden. Zugleich macht er seinen Leser unauffällig mit uralten Ideen auf eine Weise bekannt, dass diesem die Ideen brandneu vorkommen. Spannende Unterhaltung und Bildungsvermittlung gehen hier Hand in Hand.
|Der Killer|
Spannend wird das Buch nicht so sehr durch die Schnitzeljagd an sich, sondern durch die Bedrohung, die der besondere Killer dabei darstellt. Er tötet den Professor mit einem perfiden Mordinstrument, und er arbeitet nicht für sich selbst, sondern im Auftrag eines Mannes, dessen Namen (psst! Heremit Devil) man nicht laut aussprechen darf. Der Mörder mit dem deutschsprachigen Namen Jacob Mahler versetzt mit seinem Todesinstrument die vier Jugendlichen in einen tranceähnlichen Zustand, so dass sie leichte Beute für ihn darstellen. Diese Szene findet in einer der Wohnungen des Professors statt. Diese Wohnung erweist sich als Todesfalle. Was hat sich der Prof dabei nur gedacht?
Doch auch die Wohnung, wohin Mahler die Französin entführt, ist echt unheimlich. Dennoch müssen Harvy und Sheng sie betreten und auskundschaften. Man braucht keine Burgen mit Geistern wie etwa Minas Morgul, um vier normalen Jugendlichen echte Todesangst einzujagen. Und natürlich finden sie eine Leiche …
Doch eine Frage bleibt bis zum Schluss ungeklärt: Wie konnte es den Spielern des Century-Spiels gelingen, die vier Jugendlichen überhaupt auszuwählen und alle in Elettras Zimmer unterzubringen? Nur unter dieser Bedingung konnte das Spiel ja beginnen. Doch wer sich mit Krimis auskennt, der ahnt, dass es mit dem Hotel Domus Quintilia eine besondere Bewandtnis hat …
|Der Doku-Teil|
Diesmal würde ich ausnahmsweise dem Buch den Vorzug vor dem Hörbuch geben, denn es hat einen unschätzbaren Vorzug: einen Mittelteil, der auf Hochglanzpapier sämtliche Schauplätze des Buches dokumentiert, und zwar nicht nur mit einer Straßenkarte, sondern auch mit Fotos und Dokumenten wie etwa Kassenbons aus den vielen Cafés, die eine Rolle spielen.
Sofort findet sich der Leser im Labyrinth Roms zurecht. Zudem sieht alles durch die Dokumente äußerst realistisch aus. Hat die Schnitzeljagd nach dem Ring des Feuers etwa wirklich stattgefunden, fragt man sich unwillkürlich.
|Die Übersetzung|
Ein Italiener hat das Buch übersetzt, doch leider kennt sich Nicola Bardola zwar optimal mit Italien und seiner Kultur aus, aber nicht hundertprozentig mit Deutschland, seiner Sprache und seiner Kultur. So ziehen hierzulande die Sterne nicht ihre „Spur“, sondern ihre Bahn. Und wenn die Rede von Silvester dem Kater ist, dann heißt seine liebste Beute nicht „Twitty“, sondern „Tweety“, das Vögelchen.
_Unterm Strich_
Ich habe dieses spannende und lehrreiche Buch an nur einem Sonntag gelesen. Es ist sehr verständlich und flott im modernen Filmstil erzählt, außerdem findet die Handlung im Präsens statt, also sehr unmittelbar und anschaulich. Der jugendliche Leser lernt beim Abenteuer der vier jede Menge über die Ewige Stadt, aber auch über alte Mythen, Legenden und Kulte. Die Begegnung mit der Vergangenheit führt denn auch folgerichtig ganz weit hinunter in das Fundament einer besonderen Kirche, wo einer der Showdowns stattfindet. Hierbei geht es um Mystik, nicht um Magie, auch wenn Elettras großer Auftritt ganz danach anmutet.
Natürlich darf das Geheimnis des wahren Rings des Feuers nicht ungelüftet bleiben. Der Autor liefert uns eine verblüffend einfache Erklärung, wie Prometheus das Feuer vom Himmel holte. Nur mit der Behauptung, dass die ollen Sumerer Kelten gewesen sein sollen, kann ich mich nicht so recht anfreunden. Ich kann mir keine Bewohner von Uruk als rothaarige Barden vorstellen. Die Klärung dieser Frage überlasse ich aber gerne den Kulturhistorikern.
|Die Doku|
Ein besonderer Bonus ist der Dokumentationsteil in der Mitte des Buches, den man sich keinesfalls entgehen lassen sollte. Hiermit erweckt der Autor den Anschein, dass er selbst dort war, um das Abenteuer der Vier zu dokumentieren. Sein Mitarbeiter Iacopo Bruno trug noch ein paar Zeichnungen bei, die angeblich die Französin Mistral anfertigte. Auf diese Weise wird die Handlung anschaulich. Jede Seite ist mit einem der vier Kreisel markiert, die eine ganz besondere Rolle auf der hölzernen Karte spielen, die auf dem Titelbild abgebildet ist.
|Originaltitel: Century – L’anello di fuoco, 2006
Aus dem Italienischen von Nicola Bardola
335 Seiten, gebunden
Empfohlen ab 10 Jahren
ISBN-13: 978-3-8339-3201-4|
http://www.baumhaus-verlag.de
http://www.luebbe.de
_Buchwurm.info:_
Wie geht es Ihnen? Wo sind Sie? Was machen Sie gerade? Sie haben ja vor knapp drei Monaten einen neuen Roman veröffentlicht und sind vielleicht auf Lesereise.
_Peter Prange:_
Danke der Nachfrage. Die Lesereise zur „Gottessucherin“ ist ers tmal beendet, bis Weihnachten gibt es nur noch ein paar Pressetermine. Vor allem freue ich mich darauf, drei Tage vor Heiligabend meinen Roman in der NDR-Talksendung „DAS!“ vorzustellen, auf der berühmten roten Couch. Ansonsten bin ich dahin zurückgekehrt, wo ich als Schriftsteller hingehöre: an meinen Schreibtisch in Tübingen, im Zentrum der Weltabgeschiedenheit. Nach dem Roman ist schließlich vor dem Roman.
_Buchwurm.info:_
Sie haben Romanistik, Germanistik und Philosophie studiert und einen Doktorhut in Philosophie. Haben Sie das Gefühl, dass diese Studien Sie auf Ihre jetzige Tätigkeit als Autor von historischen Romanen vorbereitet haben? Fließen diese Vorkenntnisse in Ihre Romane ein?
_Peter Prange:_
Ein bisschen Bildung kann sicher nicht schaden, wenn man historische Romane schreibt. Meine Geschichten spielen ja nicht in Phantasialand, sondern stets in einer konkreten geschichtlichen Wirklichkeit, und in der sollte ein Autor sich immerhin so gut auskennen, dass seine Romangestalten sich darin überzeugend zurecht finden. Aber mindestens ebenso wichtig wie Sachkenntnis ist Menschenkenntnis. Und da habe ich eine der besten Schulen durchlaufen, die man sich nur wünschen kann: im Bettengeschäft meiner Eltern. Wenn man Verkaufsgespräche im Schlafzimmer führt, lernt man Menschen unglaublich schnell und intensiv kennen, mit all ihren Vorlieben und Macken. Davon zehre ich bis heute.
_Buchwurm.info:_
Sie haben acht historische Romane geschrieben, wie ich Ihrer Bibliografie entnehme (s. u.). Hätten Sie nicht mit dieser tollen Vorbildung genauso gut auch exzellente Detektivromane schreiben können?
_Peter Prange:_
Mein Großvater sagte immer, man dürfe nur dem Metzger trauen, der seine eigene Leberwurst isst. Entsprechend schreibe ich meine Bücher nach dem Leberwurstprinzip – sprich, nur solche Romane, die ich selber gerne lesen würde. Und da mich Detektivgeschichten als Leser nicht interessieren, kommt mir auch als Autor keine in den Sinn.
_Buchwurm.info:_
Haben Sie sich das Genre „historischer Roman“ herausgesucht, oder hat sich das irgendwie ergeben?
_Peter Prange:_
Dass ich Autor von historischen Romanen bin, habe ich buchstäblich aus der Zeitung erfahren, durch eine Rezension zu meiner „Philosophin“. Ich war darüber selber überrascht, ohne Quatsch, weil ich nie in Genre-Kategorien gedacht habe. Mich interessieren einfach große Geschichten aus der Geschichte – Geschichten, in denen Menschen über sich selbst hinaus wachsen und an die Grenzen des Menschenmöglichen gehen. Ob diese Geschichten nun im 16. Jahrhundert spielen, wie die „Gottessucherin“, oder im 20. Jahrhundert, wie mein erster Roman „Das Bernstein-Amulett“, ist mir dabei völlig gleich.
_Buchwurm.info:_
Verfolgen Sie mit dem Verfassen historischer Romane eine bestimmte Absicht, vielleicht in aufklärerischer Hinsicht?
_Peter Prange:_
Große Geschichten aus der Geschichte haben die Menschen schon immer fasziniert. Weil bei allen Veränderungen des Lebens die entscheidenden Antriebskräfte stets dieselben sind: Liebe und Hass, Gier, Neid und Eifersucht, Streben nach Schönheit und Reichtum, Ruhm und Macht – all die großen Gefühle und Leidenschaften, zu denen Menschen fähig sind. Aus diesem Grund können wir Jahrtausende alte Dramen nachempfinden und verstehen.
Doch das allein macht eine Geschichte aus der Geschichte in meinen Augen noch nicht erzählenswert. Entscheidend ist, ob sie für uns heute noch von Bedeutung ist, ob sie uns widerspiegelt in unserem eigenen Selbstverständnis. Solche Geschichten möchte ich erzählen: Geschichten, die uns eine Ahnung vermitteln, wie wir wurden, was wir sind, Geschichten, die uns Mut und Lust machen auf das große Abenteuer des eigenen Lebens.
_Buchwurm.info:_
Viele Ihrer Romane drehen sich um Frauenfiguren, so etwa [„Die Principessa“, 2074 das ich als Hörbuch rezipiert habe. Was ist der Grund dafür? Finden Sie, dass Frauen der Geschichte bislang zu kurz gekommen sind? Nach welchen Kriterien wählen Sie diese Frauen aus?
_Peter Prange:_
Autoren sind Menschen, die über das schreiben, was sie am meisten interessiert. Und ich habe Frauen schon immer interessanter gefunden als Männer. Nicht nur im Leben, auch in Romanen. „Richtige“ Männer handeln zielgerichtet, konsequent, logisch. Wie langweilig! Frauen sind dagegen – in einem positiven Sinn – viel widersprüchlicher, chaotischer, emotionaler. Sie machen das Leben spannend und bunt. Mit einem Wort: Sie sind die geborenen Romanfiguren.
_Buchwurm.info:_
Lässt sich dies auch in Ihrer „Weltenbauer-Trilogie“ finden? Ich kann mir darunter gar nichts vorstellen. Bitte klären Sie unsere Leser darüber auf, warum Sie diesem Thema gleich eine Trilogie widmeten und wie Sie es umsetzten.
_Peter Prange:_
Mit der Weltenbauer-Trilogie habe ich versucht, eine Kulturgeschichte der europäischen Neuzeit in Gestalt von drei – hoffentlich – unterhaltsamen Romanen zu schreiben. Jeder Roman spielt in der Hauptstadt einer Epoche, in der die Welt neu erfunden wurde. Das gemeinsame Thema ist die Suche des Menschen nach dem Paradies.
Das Rom des 17. Jahrhunderts ist noch ganz geprägt von der christlichen Idee eines jenseitigen Paradieses, doch Architektur und Kunst vermitteln uns einen Vorschein der Herrlichkeit und Pracht, die uns nach dem Tod erwartet. Davon erzähle ich in der „Principessa“, die die Rivalität der beiden größten Barockbaumeister Bernini und Borromini zum Gegenstand hat.
Mit einem solchen jenseitigen Paradies wollen die Aufklärer im Paris des 18. Jahrhunderts sich nicht begnügen – sie wollen das Paradies auf Erden. Die Anleitung dazu ist die Enzyklopädie von Diderot und d’Alembert, ein Handbuch der irdischen Glückseligkeit. Von dem epochalen Kampf um ihre Entstehung handelt „Die Philosophin“.
„Die Rebellin“ schließlich spielt in London, der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, und hat die erste Weltausstellung zum Thema. Diese war nichts Geringeres als der Versuch, das Programm der Enzyklopädie vom irdischen Paradies mit den Mitteln von Naturwissenschaft und Technik Wirklichkeit werden zu lassen – Ausdruck einer Zeit, die wie keine andere Fluch und Segen des Fortschrittsglaubens widerspiegelt.
Warum ich diese Geschichten aus der Perspektive dreier Frauen erzähle? Gerade weil die Hauptakteure der tatsächlichen historischen Ereignisse Männer waren, führen uns die Frauen viel besser an den jeweiligen Stoff heran. Durch ihre Augen erleben wir sowohl die Abenteuerlichkeit und Großartigkeit, aber auch die Befremdlichkeit und Bedrohlichkeit der Geschehnisse viel intensiver, als wenn ich diese allein durch die Perspektive der Protagonisten selber wiedergegeben hätte.
_Buchwurm.info:_
Um was geht es in Ihrem neuesten Roman „Die Gottessucherin“?
_Peter Prange:_
Der Roman erzählt die dramatische Lebensreise der Gracia Mendes Mitte des 16. Jahrhunderts, in einer Epoche also, in der alle Zeichen auf Umbruch stehen. Amerika wird entdeckt, Wirtschaft und Handel erleben eine erste Globalisierung, die Wissenschaften boomen, die Christenheit wird durch die Reformation gespalten. All diese Ereignisse haben das Schicksal meiner Heldin geprägt, so wie sie umgekehrt auch Einfluss auf diese Ereignisse genommen hat.
Als zwangsgetaufte Jüdin erbt Gracia Mendes, gerade fünfundzwanzig Jahre alt, eine Handelsfirma, die so bedeutend ist wie die der Fugger. Doch ihr Reichtum schützt sie nicht vor der Verfolgung durch die Inquisition. Ihre Flucht führt sie vom westlichsten Zipfel Europas, Lissabon, über die Stationen Antwerpen und Venedig bis nach Konstantinopel, dem östlichsten Zipfel des Kontinents und Hauptstadt des einzigen Landes, in dem Juden damals ihren Glauben frei praktizieren konnten.
Unter Einsatz ihres Lebens rettet sie nicht nur sich und ihre Angehörigen vor dem Tod, sondern auch Tausende ihrer Glaubensbrüder und –schwestern, indem sie Königen und Päpsten die Stirn bietet. Dabei ist sie alles andere als eine Heilige. Vielmehr ist sie eine Frau, die mit derselben Leidenschaft wie für den Glauben auch für die Liebe und ihr Lebensglück kämpft. Kurz: eine Frau, wie sie nur alle hundert Jahre einmal vorkommt und die man ohne Übertreibung als die überragende Frauengestalt der europäischen Renaissance bezeichnen kann.
Obwohl sie von ihren Zeitgenossen als „neue Esther“ gefeiert wurde, die wie die Esther aus dem Alten Testament ihr Volk vor Verfolgung und Ausrottung bewahrt, ist Gracia Mendes heute so gut wie unbekannt. Diese Frau und ihr atemberaubendes Leben aus dem Dunkel der Geschichte an die Oberfläche des historischen Bewusstseins zu heben – das war das Abenteuer meines Romans.
_Buchwurm.info:_
Finden Sie, Sie hatten eine Art Standortvorteil durch die Nähe zu Tübingen, als sie den Roman „Die Gottessucherin“ recherchierten?
_Peter Prange:_
Nicht nur bei diesem, sondern bei allen meinen Romanen erweist sich Tübingen als Glücksfall für meine Arbeit. Tübingen |hat| keine Universität, Tübingen |ist| eine Universität – die Stadt mit der größten Gelehrtendichte pro Quadratmeter Deutschlands. Es gibt kaum eine Frage, auf die man in Tübingen keine Antwort findet. Bei der Arbeit an der „Gottessucherin“ haben mir gleich drei Judaisten geholfen, mich in die faszinierende Welt der jüdischen Glaubensrituale und Bräuche einzufinden.
_Buchwurm.info:_
Treiben Sie regelmäßig viel Aufwand für Ihre Romane? Wie rechtfertigen Sie dies, z. B. gegenüber Ihrer Familie und Ihrem Verlag?
_Peter Prange:_
Die Recherche macht natürlich einen großen Teil der Arbeit aus. Ich reise zu den Schauplätzen, konsultiere die verschiedensten Experten, vergrabe mich in Bibliotheken. Doch das empfinde ich nicht als Last, sondern als Lust, weil ich dabei ungeheuer viel lerne. Den Verlag freut’s auch, der Aufwand geht ja zu meinen Kosten. Nur die Familie, das gebe ich zu, hat manchmal unter meiner Recherchewut zu leiden.
_Buchwurm.info:_
Was sind Ihre liebsten Freizeitbeschäftigungen?
_Peter Prange:_
Reiten, soweit der vom Schreibtisch strapazierte Rücken es zulässt. Bei diesem Sport sind übrigens ganz ähnliche Qualitäten gefragt wie beim Schreiben, vor allem Einfühlungsvermögen. Außerdem koche ich gerne, besonders für Freunde.
_Buchwurm.info:_
Engagieren Sie sich auch sozial, etwa bei Wohltätigkeitsorganisationen?
_Peter Prange:_
In Tübingen befindet sich die Bundesgeschäftsstelle von „Terre des femmes“. Für diese Organisation, die sich um die Rechte von Frauen kümmert, habe ich verschiedene Benefizveranstaltungen mit anderen Autoren durchgeführt. Das tue ich sehr gerne – schließlich verdanke ich fast alles Gute in meinem Leben Frauen: angefangen von der Frau, die mich geboren hat, über die Frau, die das Leben mit mir teilt, bis zu den Frauen in meinen Romanen, die mir und meiner Familie ja unser Auskommen sichern. Und an diesem Wochenende (5. und 6.12.2009) moderiere ich, zusammen mit der ARD-Moderatorin Bernadette Schoog, eine Benefizveranstaltung der „Aktion Sahnehäubchen“, einer Organisation der Tübinger Caritas, die Kinder aus Not leidenden Familien vor Ort beim Start ins Leben unterstützt.
_Buchwurm.info:_
Wagen wir einen Ausblick. Woran arbeiten Sie gerade? Wann erscheint Ihr nächstes Buch?
_Peter Prange:_
Das wird jetzt noch nicht verraten – da bin ich abergläubig [sic!]. Aber wer sich auf dem Laufenden halten möchte: Die neuesten Informationen zu meiner Arbeit gibt’s stets im Internet unter [www.peterprange.de.]http://www.peterprange.de
_Über den Autor und sein Werk (Verlagsangaben)_
Peter Prange, geboren 1955, studierte Romanistik, Germanistik und Philosophie in Göttingen, Perugia, Paris und Tübingen. Zum Dr. phil. promovierte er mit einer Arbeit zur Philosophie und Sittengeschichte der Aufklärung. (Steckbrief) Nach Ausflügen in Wissenschaft und Wirtschaft gelang ihm der Durchbruch als Romanautor mit der deutsch-deutschen Familiengeschichte „Das Bernstein-Amulett“ (1999; als ARD-Zweiteiler verfilmt 2004).
Inzwischen hat er sich auch international einen Namen gemacht: Seine Bücher wurden in insgesamt 19 Sprachen übersetzt. Nach den Erfolgen von „Die Principessa“ und „Die Philosophin“, die monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste standen, findet die „Weltenbauer-Trilogie“ mit „Die Rebellin“ ihren glänzenden Abschluss.
2007 erschien „Der letzte Harem“ – der Roman schildert aus der Sicht zweier Haremsfrauen die zusammenbrechende Welt des osmanischen Reichs sowie die Geburt der modernen Türkei. In seinem neusten Werk „Die Gottessucherin“ entwirft Peter Prange ein großartiges Panorama des 16. Jahrhunderts, in dem Gracia Mendes, eine der außergewöhnlichsten Frauen der europäisch-jüdischen Geschichte, im Mittelpunkt steht.
Peter Prange lebt mit Frau und Tochter als freier Schriftsteller in Tübingen.
ROMANE
1) FREMDE HEIMAT, 1989, zusammen mit Peter Yeldham
2) DIE STRAUß DYNASTIE, 1991, Neuausgabe Taschenbuch 1999
3) DAS BERNSTEIN-AMULETT, Scherz Verlag 1999, Neuausgabe Knaur Taschenbuch 2002
4) DIE PRINCIPESSA, Droemer 2002
5) DIE PHILOSOPHIN, Droemer 2003
6) DIE REBELLIN, Droemer 2005. Weitere Informationen: http://www.peter-prange.de/peterprange/extras/weltenbauer-trilogie
7) DER LETZTE HAREM , Droemer 2007
8) DER HAREM. SINNLICHE BEGEGNUNG IM SERAIL (Anthologie), Droemer 2008
9) DIE GOTTESSUCHERIN – erschien am 9. September 2009 bei Droemer
SACHBÜCHER
1) WERTE. VON PLATO BIS POP Alles, was uns verbindet. 2006 Droemer (WERTE-Blog)
2) DAS PARADIES IM BOUDOIR.
Glanz und Elend der erotischen Libertinage im Zeitalter der Aufklärung, 1990
3) WAS DIE WELT IM INNERSTEN ZUSAMMENHÄLT
Goethe-Brevier zur Jahrtausendwende; 1999
4) SIEBEN WEGE ZUM MISSERFOLG – und eine Ausnahme von der Regel. 2000
Neuausgabe Taschenbuch 2002
Internationale Gesamtauflage nach Verlagsangaben: über 2,5 Millionen Exemplare.
_Unterhaltsam & informativ: von Vampyren, Goths & Nachtgelichter_
Der Vampir: Er ist ein Wanderer zwischen Grenzen und Welten, zwischen Tod und Leben, Tag und Nacht, Ordnung und Chaos, zwischen Körper und Geist. Er ist zudem ein überaus sinnlicher und attraktiver Verführer. Die zwei Autoren spüren dem Grenzgänger nach, verfolgen seine Wandlung im Lauf der Zeiten bis hin zum modernen Psi-Vamp.
_Die Autoren_
Ditte Bandini, geboren 1956, studierte Völkerkunde, Religionsgeschichte und Indologie. Sie arbeitet an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften sowie als freie Schriftstellerin und Übersetzerin.
Giovanni Bandini, geboren 1951, studierte Indologie, Vergleichende Religionswissenschaft und Indische Kunstgeschichte. Er unterrichtete an der Uni Heidelberg und arbeitet seit 1987 als freier Übersetzer.
_Inhalte_
|Literarische Vampire|
Zunächst spüren die zwei Autoren dem Ursprung der Gestalt des Vampirs in der Literatur nach: Woher kommt dieses imaginäre Wesen und welche Eigenschaften begleiten es, fragen sie. 1872 wurde die Novelle [„Carmilla der Vampir“ 993 von John Sheridan Le Fanu veröffentlicht. Die Geschichte schildert eine Vampirin, die es auf junge Frauen abgesehen hat, um deren Blut zu sagen. Die lesbischen Untertöne sind unübersehbar – lecker!
Ganz anders hingegen der eigentliche Vampirroman [„Dracula“, 3489 den Bram Stoker 25 Jahre später 1897 veröffentlichte: Alle sexuellen Untertöne sind unterdrückt und man muss schon zwischen den Zeilen lesen – was die Autoren akribisch tun -, um auf Erotik zu stoßen. Wie sich herausstellt, ist die Verfilmung von Francis Ford Coppola noch die zutreffendste, die sich am engsten an die Vorlage hält: Drei verführerische junge Damen nehmen Jonathan Harker in die Mangel, und ihr Herr, Lord Dracula, spaziert am hellichten Tag – entgegen der Meinung so manchen Schreiberlings – durch London, um Jonathans Verlobter Mina nachzustellen.
Stoker beruft sich auf transsilvanische Ursprünge Draculas, denn dort habe es Fürsten gleichen Namens gegeben. Dumm nur, dass es dort im 15. Jahrhundert zwar Draculs und Draculeas gab, aber keinen einzigen, der als Blutsauger angesehen worden wäre. Es gab nur den berühmten Pfähler Vlad Tepes, der in Rumänien offenbar immer noch als Nationalheld gilt, weil er gegen die Türken kämpfte.
|Sogenannte Vampire|
Die Reihe historischer Vampirgestalten wird um diejenigen Serienmörder erweitert, die von der Sensationspresse so genannt wurden – Haarmann, Kürten usw. – sowie um jene Killer, die von sich selbst behaupteten, Blut getrunken zu haben. Der interessanteste Fall ist zweifellos der des 1980 geborenen Amerikaners Rod Ferrell, der in Kentucky eine Gruppe Anhänger um sich scharte, um „Vampire: The Masquerade“ zu spielen und ein Ehepaar zum Tode zu befördern. Ein recht aufschluss- und kenntnisreicher Exkurs in die Spieleszene gehört zur Darstellung dieses bizarren Falles.
|Was ist ein Vampir?|
Natürlich ist eine der wesentlichen Kernfragen des Themas, was überhaupt einen Vampir ausmacht und wer auf welche Weise dazu werden kann. Der Volksglaube an Vampire scheint aus dem Balkan zu stammen und dort gibt es jede Menge Attribute für Vampire. Unter Zigeunern gibt es sogar den Glauben an Zwillingssöhne, die Dhampire genannt werden und echte Vampire sehen können. (Auch dazu gibt es einen Roman, den ich mal in den USA gesehen habe.)
Von dieser Basis ausgehend, bewegt sich die Darstellung zurück zu den kuriosen Attributen, die im Laufe der Menschheitsgeschichte Vampiren zugeschrieben wurden. Dabei räumen die Autoren mit so manchen Irrtümern und Fehldarstellungen auf, die sich besonders im Internet finden. Da beide Indienforscher (Indologen) sind, machen sie an einer Stelle klar, dass Gandharvas keine „blutgierigen indischen Geister sind, die Frauen im Schlaf missbrauchen und dann ihr Blut saugen“, sondern ganz im Gegenteil halbgöttliche, himmlische Wesen, die im Gefolge des Gottes Indra existieren und schön singen. Unterm Strich: Ein Vampir ist stets ein lebender Toter, der umgeht, der aber nicht notwendigerweise Blut trinkt.
|Die Magie des Blutes|
Blut ist ein ganz besonderer Stoff, das wussten schon die ollen Germanen, die sich damit einen Krafttrunk aus Wein und Met mixten. Blut übertrug Krankheiten, aber nach altem Volksglauben auch Seelen, was auch an der Blutsbrüderschaft abzulesen ist. Dem Blut bestimmter Personen, wie etwa Heiliger in Italien, wurden wunderbare Eigenschaften zugeschrieben. So war es noch bis Mitte des 19. Jahrhundert in Deutschland Brauch, einen öffentlich Hingerichteten um sein Blut zu erleichtern, um dieses heilenden Zwecken zuzuführen.
Eine solche Szene der Massenhysterie beschreibt ein Göttinger Medizinstudent im Jahr 1859: „Als der Kopf der Giftmischerin vom Rumpf getrennt war und die Blutfontäne wohl anderthalb Fuß emporsprang, durchbrach das Volk das von Hannover’schen Schützen gebildete Karree, stürzte sich auf das Schafott und setzte sich in den Besitz des Blutes der Hingerichteten, es auffangend und weiße Tücher darin eintauchend. Es war geradezu ein grauenvoller Eindruck. Auf meine entsetzte Frage wurde mir geantwortet, dass dieses Blut zur Heilung der Fallsucht verwendet werde.“ (Seite 83)
|Die Macht der Nacht|
Die Nacht spielt stets eine besondere Rolle in allen Vampirgeschichten, aber auch für heutige Gothic-Anhänger: Geborgenheit, Stille, Sterne und allerlei geheimnisvolle Kreaturen bietet dieser Zeitraum. Besonders die zwei Dämmerungen und die zwei Stunden um Mitternacht werden als magisch angesehen. Unter den Kreaturen gilt das Interesse besonders den Fledermäusen und den Werwölfen. Nicht von ungefähr verwandeln sich moderne Vampire seit Bram Stokers Klassiker in Fledermäuse und umgekehrt. Doch der Gestaltwandel wurde nicht von den Vampiren erfunden, sondern von den Lykanthropen der Antike, den Werwölfen. Es ist bemerkenswert, dass der Glaube an Tiermenschen überall verbreitet ist, der an Vampire aber nicht.
|Ghule und anderes Nachtgelichter|
Eine der absonderlichsten Gestalten im Umfeld der Vampirologie sind die Nach(t)zehrer, welche ebenso wie ihren bekannteren Vettern aus dem Grab steigen, weil’s da so grausig ist, und sich über ihre armen Anverwandten hermachen. Man kann ihnen nur mit rabiaten Methoden beikommen, ebenso wie den Ghulen, die keine Leichenfresser sind, wie man bei Lovecraft meinen könnte, sondern lediglich orientalische böse Geister aus Tausendundeiner Nacht.
|Schutzzauber und Abwehr|
Zu allen Zeiten wollte man sich der Vampire, Werwölfe, Nachzehrer und anderen Wiedergänger erwehren. Wie jeder aus Roman Polanskis harmloser Komödie „Tanz der Vampire“ weiß, spielen dabei Knoblauch, Spiegel, jede Menge Kreuze, Wasser und viele Schwellen mehr eine wichtige Rolle. Aus Rumänien und Südrussland, wo man sich mit so was auskennt, sind aber auch viel einfallsreichere Methoden aufgezeichnet geworden. Übrigens kommen solche Abwehrmaßnahmen nicht bloß in grauer Vorzeit, sondern auch im 19. und 20. Jahrhundert zum Einsatz, z. B. in Danzig und dem von Günter Grass beschriebenen Kaschubien. Ein besonders ängstlicher Pole erstickte sogar einmal an einer Knoblauchzehe – nachts …
|Moderne Vampire|
Seit Anne Rice in ihrem Bestseller [„Interview mit einem/dem Vampir“ 68 den Typus des Gentleman-Vampirs erfand, schlagen die Wellen der weiblichen wie männlichen Phantasie hohe Wellen. Jeder dichtet dem erotischen Vampir eine aufs persönliche Triebprofil zugeschneiderte Persönlichkeit zu. Und natürlich gibt es auch jede Menge Vampirinnen, die es auf das andre Geschlecht abgesehen haben. In jedem Fall ist der Biss schöner als Sex.
Aber es gibt, wie in vielen deutschen Foren gefunden, auch Abarten, die nur eingebildeten Oralverkehr aufweisen: Energie- und Psi-Vampire etwa saugen kein Blut, sondern die Seelenenergie, die Lebenskraft, wo auch immer sie sitzen mag. Es sind sozusagen New-Age-Vampire, und dementsprechend esoterisch sind ihre Zirkel und Attribute. Gegenüber den Blutsaugern sind sie allerdings für gestandene Vampirfans nur Weicheier.
|Vorletztes Kapitel: Vampyre und Goths|
In den USA soll es mehr als 10.000 Vampyre geben – man dies liest dies mit doppeltem Erstaunen. So viele? Und warum mit y? Die Unterscheidung zwischen Vampyren und Vampiren hat ein amerikanischer Zahntechniker in den 1990er Jahren eingeführt. Demnach bezeichnen Vampyre echte Bluttrinker der neuen Mode und Vampire auch vegetarische und Energie- bzw. Psi-Vampire. Die Vampyre verstehen sich demnach als harte Kerle – und Ladys! – die einer strengen Ordnung, die ebenfalls der Zahntechniker erfand, gehorchen und sie für ihre Zwecke angepasst haben: der Codex der sieben Regeln, pardon: „Empfehlungen“. Da die Übergänge zwischen den Gruppen oder „Covens“ fließend sind, kann es beim Ordo Strigoi VII schon mal zu religiös angehauchten Ritualen kommen. Kein Wunder, dass die [„Church of Satan“ 117 solche Rituale unterstützt.
Die Schnittmenge zwischen Vampyren und Goths ist durchaus vorhanden. Doch während unter Vampyren auch Spender ihr Blut geben und Vampyre dieses lecken, haben die meisten Goths – man nannte sie früher „Gruftis“ – nichts damit zu tun. Sie sehen nur so ähnlich aus: ganz in Schwarz, Weiß oder Dunkelrot, häufig mit Kontaktlinsen, mit Piercings an allen erdenklichen Körperstellen und natürlich mit hohen, schweren Stiefeln. Lisbeth Salander aus Stieg Larssons Millennium-Trilogie ist ein wandelnder Goth, aber ganz bestimmt kein Vampyr.
Das letzte Kapitel sucht eine psychologische Begründung für die Attraktivität der Wiedergänger und Blutsauger. Unsterblichkeit, ewige Jugend, der Tod als Übergang in eine Beständigkeit, die man in der hektischen modernen Welt nicht mehr findet – das sind nur die zentralen Motive. Dass Goths auch eine Gruppenzugehörigkeit bieten und ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln, ist sicherlich ein weiteres. Goths verraten in ihrem Code manchmal mehr, als eine Mutter über ihr Kind jemals wissen wird.
|Die Anhänge|
In keinem seriösen Sachbuch darf ein Bibliographie der Quellen und der weiterführenden Literatur fehlen. Hinzu kommen hier auch ein Register, ein Bildnachweis, eine Danksagung und als Schmankerl eine historische Karte des gesamten Balkans zwischen Wien und Konstantinopel, wobei natürlich Transsilvanien im Mittelpunkt steht.
_Mein Eindruck_
Wer dachte, Anne Rice hätte wissenschaftlichen Anspruch auf das Porträt des Vampirs, wie wir ihn kennen, mag zwar in den USA auf eine solche Meinung stoßen, doch dieses Buch zertrümmert diesen Irrtum mit allen der Kulturwissenschaft zur Verfügung stehenden Mitteln. Der Vampir existiert schon sehr viel länger als Anne Rice. Zwar wird heute ständig Vlad Tepes, der Pfähler aus dem 15. Jahrhundert, für das Vorbild des Dracula gehalten, den seinerseits Bram Stoker erfunden hat. Doch auch mit diesem Aberglauben räumen die beiden Wissenschaftler gründlich auf. Sie haben ja die Quellen studiert.
Der eigentliche Vampir stammt nicht aus den Büchern, sondern aus dem Volksglauben, besonders in südosteuropäischen Regionen bis nach Südrussland. Er ist ein Wiedergänger, ein Rückkehrer aus dem Grab, doch er trinkt kein Blut, sondern erwürgt seine Opfer. Diesem düsteren und brutalen Urbild wollen die modernen Vampirjünger lieber nicht huldigen, obwohl sie sich manchmal selbst als Hexen bezeichnen.
Hexen und Vampire, so berichtet das Buch mehrmals, weisen eine erstaunlich Ähnlichkeit auf. Beide huldigen der Nacht und ihren Göttern, beide überwinden die Grenzen der sterblichen Menschen, etwa den Tod, und beide verbünden sich mit der Natur und Mächten, um wiederum Diener an sich zu binden. Dass beide heutzutage hocherotisch aktiv sind, versteht sich von selbst, spielt doch das Ausleben der tiefsten Sehnsüchte und Phantasien eine wichtige Rolle in der modernen Jugend- und Subkultur. Diese Subkultur trifft sich in Klubs, aber öfter noch in Chatrooms und auf geheimen Webseiten.
Sehr positiv fand ich, dass alle diese Gruppen wie etwa Goths und Vampyre sauber abgegrenzt und bestimmt werden. Das ist zwar die Grundaufgabe eines Wissenschaftlers, aber man findet die Methode leider allzu selten angewandt. Aus der anfänglichen Verwirrung kann so ein sortiertes Panorama von Subkulturen entstehen. Allerdings warnen die Autoren selbst, dass die Übergänge zwischen den Subkulturen und Gruppen fließend sind, z. B. zwischen Vampiren, Goths und der BDSM-Szene (BDSM: Bondage, Domination, Sado, Maso).
In jedem Fall wird aber mit dem von der Sensationspresse offenbar geschürten Irrglauben aufgeräumt, diese „Vampyre“ und „Goths“ seien allesamt gemeingefährlich, weil sie Tabus brechen, gewalttätig seien und überhaupt antisozial eingestellt, also jugendgefährdend. Wenn man sich dann aber ihre Statuten ansieht, wirken sie geradezu bieder. Auch sie unterstützen das Leitprinzip von Sex, der „sane, safe and consensual“, also „(geistig) gesund, sicher und einverständlich“ sein soll. Was mehr kann man sich wünschen?
|Die Abbildungen|
Die zahlreichen Illustrationen lockern das Buch ganz erheblich auf und machen es zu einem richtigen Lesebuch, das auch dem Auge etwas bietet. Die Abbildungen umfassen einerseits Vierfarbtafeln, die beidseitig auf Hochglanzpapier bedruckt sind. Dies ist richtig teuer und dürfte für den hohen Preis verantwortlich sein. Einige dieser Darstellungen sind geschmackvoll und hochkünstlerisch, andere eher ironisch zu verstehen.
Zum anderen gibt es eine Vielzahl von Schwarzweißreproduktionen aus historischen Quellen, die das hohe Alter des Themas Vampire, Wiedergänger, Werwölfe etc. belegen. Leider weist keine der Illustrationen eine Bildunterschrift auf, so dass man mitunter lange im Verzeichnis der Bildnachweise suchen muss.
Um die blutige Natur des Themas augenfällig zu machen, finden sich auf zahllosen Seite blutrote, allerdings viel zu helle Spritzer. Dies unterstreicht die grundsätzlich humorvolle Distanz der Autoren zu ihrem Thema. Hier geht es nicht oberlehrerhaft teutsch zu, sondern eher leichtfüßig italienisch. Lediglich das Titelbild weicht von diesem Stil ab. Aber der zähnefletschende Dämon dürfte wohl eher auf das Konto des Marketing gehen als auf das der Autoren.
_Unterm Strich_
„Das Vampirbuch“ ist eine ideale Einführung in den Irrgarten des Vampirglaubens: kenntnisreich, wissenschaftlich-methodisch vorgehend, voller Belege, abgrenzend und bestimmend, aber dennoch umfassend. Dieser Teil wird besonders durch die Quellen und die zahlreichen Abbildungen aus der Historie und der Neuzeit belegt und illustriert. Zum Glück geht es dabei nicht so bierernst wie im Deutschunterricht zu, sondern eher spielerisch. Allerdings wird auch mit etlichen Fehlinformationen aufgeräumt, wie es sich gehört.
Gleichzeitig zu dieser populärwissenschaftlichen Untersuchung des Phänomens betrachtet das Buch die aktuellen kulturellen Folgen des Vampirglaubens, dem inzwischen zahllose junge Menschen mehr oder weniger ernsthaft anhängen. Entweder weil sie darüber gelesen haben, aber mehr noch, weil sie in einem entsprechenden Rollenspiel damit in Berührung gekommen sind und mehr oder Genaueres über die kryptischen Details wissen wollen.
Warum die katholische Kirche nicht schon längst mit einem Xbox-Rollenspiel zum Leben Jesu gegengesteuert hat, ist verwunderlich – oder nur eine Frage der Zeit. Für eine Dornenkrone müssen die Spieler dann wahrscheinlich 50 Euro berappen. Die zahlreichen Vierfarbtafeln illustrieren diesen zweiten Aspekt des Buches mit modernen Darstellungen von mehr oder weniger attraktiven Vampirmädels sowie Dracula-Porträts. Auch unter diesen Motiven ist zu bemerken, dass der Übergang zwischen mythologischen zu esoterischen und Subkultur-Motiven fließend ist. Hauptsache, die Darstellung entspricht nicht dem Bilderkanon einer bestimmten Glaubensrichtung oder Kirche.
Ich habe das Buch mit Interesse und Genuss gelesen, denn es ist nicht nur informativ, sondern auf seine ironische Art auch unterhaltsam. Wer mehr zum Thema wissen willen, kann entweder die seriöse Quellenliteratur konsultieren oder die zahlreichen in den Quellen angegebenen Weblinks abklappern (die wahrscheinlich wesentlich unterhaltsamer sind).
Die Polizei nennt sie die „Violetten“, denn sie haben eine besondere Gabe: Sie können Mörder mit ihren violetten Augen erkennen. Und sie können mit den Toten sprechen. Weltweit gibt es nur noch etwa zweihundert von ihnen. Medium Natalie Lindstrom hat durch den Angriff eines Toten ihren Mann und um ein Haar auch ihre Tochter Callie verloren.
Um diesen Erinnerungen zu entfliehen und ihr Konto aufzubessern, nimmt sie einen lukrativ erscheinenden Forschungsauftrag in Peru an. Doch auch dort begegnet sie Mord, Betrug und Gier, und die Stimmen in ihrem Kopf werden wieder wach …
_Der Autor_
Stephen Woodworth lebt in Kalifornien und schreibt seit Jahren für Magazine und Zeitschriften. 1999 besuchte er die Schriftstellerwerkstatt des Clarion West, in dem gestandene Science-Fiction-Autoren Erfahrungen weitergeben und die Erzeugnisse ihrer Schüler kritisch bewerten. Der Autor bedankt sich ausführlich im Nachwort für diese Schützenhilfe. Woodworth kommt also ursprünglich aus der SF-Ecke, doch mit dieser Schublade würde man seinem Werk Unrecht tun.
„Das Flüstern der Toten / Through violet eyes“ war sein erster Roman, mit dem er in USA auf Anhieb Erfolg hatte. Der zweite Roman „Die Stimmen der Toten“ erschien 2007 auf Deutsch, der dritte Roman „Die Sprache des Blutes / In golden blood“ ist im September 2008 ebenfalls bei Heyne erschienen. Während im Originaltitel stets Farbe eine Rolle spielt, sind die deutschen Titel etwas unheimlicher.
1) [Das Flüstern der Toten 2849
2) [Die Stimmen der Nacht 5886
3) Die Sprache des Blutes
_Hintergrund_
Man stelle sich eine Welt vor, die der unseren bis aufs Haar gleicht, nur mit einem winzigen, aber folgenreichen Unterschied: Die Toten existieren nicht irgendwo über den Wolken oder in einem Reich unter der Erde, sondern weiterhin um uns herum, nur eben unsichtbar. Aber, und das ist wichtig, sie verfügen über diverse Fähigkeiten und Eigenschaften, mit denen sie sowohl aufgespürt und kontaktiert werden können, mit denen sie aber auch einen entsprechend vorbelasteten Menschen geistig übernehmen können. Letztere Menschen sind die Violetten.
Die Violetten, so genannt wegen ihrer ungewöhnlichen Augenfarbe, sind Mutanten, die an einer speziellen Schule ausgebildet werden und offiziell in der „Nordamerikanischen Gesellschaft für Jenseitskommunikation“ (NAGJK) organisiert sind. Diese verfügt über eine straffe Führung, welche die Dienste ihrer Mitglieder der Gesellschaft anbietet. Einer dieser Dienste besteht in der Ermittlung der Täterschaft bei Todesopfern, zum Beispiel bei Mord …
_Handlung_
Natalie Lindstrom ist nicht nur abgebrannt, sondern wird auch noch überwacht. Das Leben ist also keineswegs einfach. Hinzu kommt noch, dass sie als Medium mitunter von den Geistern der Toten heimgesucht wird. Für solche Fälle hat sie zum Glück ein Schutzmantra. Ebenso wie ihre etwa sechsjährige Tochter Callie, die regelmäßig von ihrem grausamen Entführer träumt. Natalie hält sich mit illegalen Aufträgen über Wasser, seit sie die Organisation aller Jenseitsmedien NAGJK verlassen hat.
Doch als ihr Vater eine Bypass-Operation nicht bezahlen kann, kommt ihr das Angebot, einen Forschungsauftrag in Peru zu übernehmen, wie gerufen. Und wer würde schon 400 Riesen ausschlagen? Der Bieter, ein Archäologe namens Prof. Abe Wilcox, scheint ihr sympathisch, fast als sei ihm wirklich etwas an ihr gelegen. Als er ihrer Tochter, die sie zu den Schwiegereltern nach Kalifornien bringt, auch noch ein riesiges Stofftier schenkt, enden ihre Zweifel.
|Nach Peru|
Ihre körperliche und geistige Tüchtigkeit wird vor Ort auf eine harte Probe gestellt. Auf über 300 Metern Höhe suchen heftige Kopfschmerzen Natalie ein. Erschöpft trinkt sie Koka-Tee und sinkt in eines der wunderbar heißen Naturquellenbäder. Doch hier „klopft“ unvermittelt der Geist eines Toten bei ihr an. Und er sieht genauso aus wie Prof. Abe Wilcox! Sein Geist ist voller Hass auf den Träger eines bestimmten Gesichts. Wer kann das bloß sein, und was ist der Grund für diesen Hass, fragt sie sich bestürzt.
Den Träger dieses Gesichts bekommt Natalie erst am Ziel ihrer Reise zu Gesicht: Mr. Nathan Azure aus Großbritannien, ein Hobbyarchäologe. Das Grabungslager liegt auf über 4000 Metern Höhe und Natalies Schläfen pochen vor Kopfschmerz zum Zerspringen. Nathan Azure ist kein geduldiger Mensch, denn er wartet hier schon wochenlang auf das Erscheinen der Violetten und allmählich geht ihm das Geld aus.
|Francisco Pizarro|
Er sagt ihr klipp und klar, was er von ihr erwartet. Der Brustharnisch des Eroberers Perus, Marques Francisco Pizarro, dient als Kontakt zu dem Toten. Natalie hat schon Wilcox‘ Buch über den Konquistador gelesen und weiß über Inca Atahualpas trauriges Los Bescheid. Aber wo ist das Gold, das Pizarro nicht an den Kaiser abgeliefert hat, damals, im 16. Jahrhundert, geblieben, will Azure wissen. Wo hat der alte Bastard es versteckt, bevor seine eigenen Männer ihn meuchelten?
Die Kontaktaufnahme gelingt einwandfrei, denn der Massenmörder ist nur zu froh, den Nachstellungen und Schmähungen seiner eigenen Opfer, darunter Atahualpa, für eine Weile zu entkommen. Mit ihrer Diszipliniertheit gelingt es Natalie zudem, den alten Bastard im Zaum zu halten. Doch er spielt mit dem Engländer, will das Versteck nicht verraten. Natalie kann nur mentale Bilder erhaschen und hält diese insgeheim auf ihrem Zeichenblock fest. Der einheimische Fahrer, der nur mit ihr englisch spricht, hat sie davor gewarnt, Azure vorzeitig das zu geben, was er verlangt. Es solle ihr nicht so gehen wie dem Professor. Welchen Professor meint er, fragt sie sich zweifelnd, womöglich Wilcox.
|Flucht|
Azure verliert die Geduld und setzt sein Medium auf Wasser und Brot. Doch Natalie hat Wilcox auf ihrer Seite. Aber sie braucht mehr Informationen. Die bekommt sie durch zwei Dinge: Sie ohrfeigt den wütenden Azure ins Gesicht und hat sofort Kontakt mit einem Toten: dem wahren Wilcox? Und als sie den Pass des falschen Wilcox beschafft und berührt, stellt sie geschützten Kontakt mit dem wahren Professor her: Azure hat ihn ermordet! Und ein gewisser Trent spielt nun seine Rolle. Doch weiß, wie lange noch?
Mit dem Wissen des echten Prof. Abel Wilcox in ihrem Kopf bereitet Natalie ihre Flucht zurück in die Zivilisation vor. Doch sie hat nicht mit der Rachsucht Azures und seiner Gier nach Pizarros Gold gerechnet …
_Mein Eindruck_
Die in Fortsetzungen erzählte Saga der Natalie Lindstrom geht also weiter. In den zwei vorhergehenden Romanen erfuhren wir mehr von ihrem Leben: von ihrer zwangsweisen Einschulung bei den Violetten der „Nordamerikanischen Gesellschaft für Jenseitskommunikation“, von ihren ersten Fällen, ihrer einwöchigen Romanze mit Dan, dem Daddy ihrer kleinen Callie, und dessen frühzeitigen Tod.
Doch wer die des Weiteren in diesem Band erwähnten Herrschaften wie Hyland, Thresher und Pearsall sind, weiß nur der, der auch Band zwei gelesen hat. Das war mir nicht klar und verwirrte mich. Hiermit sei jedem Leser nahegelegt, die drei Romane in der richtigen Reihenfolge und komplett zu lesen, um nicht in die gleiche ärgerliche Verwirrung wie ich zu geraten.
|Der neue Fall|
Wenigstens hat die Vergangenheit nichts mit Natalies neuestem Fall zu tun, der sie nach Peru in die rauen Anden führt. Hier wird der Leser, der vielleicht keine Ahnung vom 16. Jahrhundert hat, vollständig über die Vergangenheit aufgeklärt: über die Konquistadores, Pizarro, die Inkas und ihr Reich, die Eroberung dieses Reiches und die schändlichen Morde an seinen Bewohnern. Vor allem über die unermesslichen Gold- und Silberschätze des Landes.
Denn diese sind es, die den britischen Industriemogul Nathan Azure zu seinen verbrecherischen Ausgrabungen geführt haben, die Prof. Abel Wilcox das Leben kosteten. Nun soll Natalie aushelfen. Für sie ist es ja schon schlimm genug, einen Fremden/Toten in ihren Kopf zu lassen, ohne dass es Sicherheitsmaßnahmen gibt, aber dann soll es auch noch ein Massenmörder sein. Würde jemand Hitlers Seele in seinen Kopf lassen? Wohl kaum.
Für entsprechende Spannung wäre also eigentlich gesorgt, doch Pizarro erweist sich in dieser Hinsicht als Versager, und so leidet auch der Roman ein wenig – es ist alles halb so wild, wie es scheint. Zwar kommt es zu Folter- und Mordszenen durch Azures Schergen, doch es ist lediglich das Finale in Pizarros Schatzhöhle, dass die Erwartungen einlöst. Spannung, Action, Ali Babas Schatzhöhle und die Wunder des Inkareiches – hier kommt alles zusammen, was der Roman und das Marketing versprechen.
Mehr gibt’s aber auch nicht. Die Story ist nach anfänglichem Hin und Her sowie diversen Enthüllungen geradlinig auf den Showdown ausgerichtet. Kein Leser sollte Schwierigkeiten haben, den Verlauf der Story zu kapieren. Sowohl Männer als auch Frauen werden angesprochen, durch Themen wie Schätze, Action, Kinder, Familien und Liebe.
|Riskante Kontakte|
Das wichtigste Merkmal aller Violetten-Romane Woodworths ist die Verbindung mit der Vergangenheit, die durch Seelen der Toten heraufbeschworen wird. Es ist eine zerbrechliche und riskante Verbindung, doch diesmal geht die Reise weit in der Zeit zurück, genauer gesagt, fast 500 Jahre. Eines der Risiken besteht in Kontaktobjekten wie etwa Knochen und Blut.
Man kann sich daher lebhaft vorstellen, wie es Natalie auf einem Friedhof zumute wäre. Da die Inka und ihre Vorgänger keine Friedhöfe anlegten, sondern Totentürme, ist der Aufenthalt in einem solchen Gebäude für die erschöpfte Natalie höchst riskant. Das Gleiche gilt natürlich auch für einen Schatz wie Pizarros, in dem die Geister der Toten nur darauf warten, über Natalie herzufallen …
|Die Übersetzung|
Die Übersetzung ist einfühlsam und vor allem sprachlich und stilistisch korrekt. Aber wer, zum Kuckuck, ist Harry Winston, der auf Seite 306 erwähnt wird? Er kommt im Buch nicht vor und aus dem Allgemeinwissen ist er mir auch nicht bekannt. Vielleicht ist er ja einer der drei Ghostbuster, von denen zuvor die Rede ist: „Winston, wenn dich einer fragt, ob du ein Gott bist, sagst du einfach ja, klar?“
_Unterm Strich_
Wer mit klassischem Thriller und moderner Mystery im Doppelpack etwas anfangen kann, ist bei „Die Sprache des Blutes“ genau richtig. Die Story ist auch diesmal geradlinig und auf einen fulminanten Showdown ausgerichtet. Der Leser sollte nur darauf achten, auch die zwei Vorgängerromane gelesen zu haben, denn sonst verwirren ihn – wie mich – die zahlreichen Verweise auf unbekannte Figuren, die in diesem Buch überhaupt nicht auftauchen, die aber für Natalies und Callies geistige Gesundheit große Bedeutung haben. Die drei Bücher eignen sich sowohl für weibliche Leser, die auf Emotionen und menschliche Beziehungen Wert legen, als auch für männliche, die Action und Spannung zu ihrer Unterhaltung erwarten.
|Originaltitel: In golden blood, 2005
Aus dem US-Englischen von Helmut Gerstberger
351 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-81144-7|
http://www.heyne.de
Die Polizei nennt sie die „Violetten“, denn sie haben eine besondere Gabe: Sie können Mörder mit ihren violetten Augen erkennen. Und sie können mit den Toten sprechen. Weltweit gibt es nur noch etwa zweihundert von ihnen. Medium Natalie Lindstrom ist für die Polizei eine wertvolle Mitarbeiterin. Im vorliegenden Fall geht es um einen reichen, verwöhnten Teenager, der im Verdacht steht, seine Eltern umgebracht zu haben. Natalie soll nun mit den Toten Kontakt aufnehmen, um die Wahrheit herauszufinden. Sie ahnt nicht, auf was sie sich einlässt …
_Der Autor_
Stephen Woodworth lebt in Kalifornien und schreibt seit Jahren für Magazine und Zeitschriften. 1999 besuchte er die Schriftstellerwerkstatt des Clarion West, in dem gestandene Science-Fiction-Autoren Erfahrungen weitergeben und die Erzeugnisse ihrer Schüler kritisch bewerten. Der Autor bedankt sich ausführlich im Nachwort für diese Schützenhilfe. Woodworth kommt also ursprünglich aus der SF-Ecke, doch mit dieser Schublade würde man seinem Werk Unrecht tun.
„Das Flüstern der Toten / Through violet eyes“ war sein erster Roman, mit dem er in USA auf Anhieb Erfolg hatte. Der zweite Roman „Die Stimmen der Toten“ erschien 2007 auf Deutsch, der dritte Roman „Die Sprache des Blutes / In golden blood“ ist im September 2008 ebenfalls bei |Heyne| erschienen. Während im Originaltitel stets Farbe eine Rolle spielt, sind die deutschen Titel etwas unheimlicher.
1) [Das Flüstern der Toten 2849
2) Die Stimmen der Nacht
3) Die Sprache des Blutes
_Hintergrund_
Man stelle sich eine Welt vor, die der unseren bis aufs Haar gleicht, nur mit einem winzigen, aber folgenreichen Unterschied: Die Toten existieren nicht irgendwo über den Wolken oder in einem Reich unter der Erde, sondern weiterhin um uns herum, nur eben unsichtbar. Aber, und das ist wichtig, sie verfügen über diverse Fähigkeiten und Eigenschaften, mit denen sie sowohl aufgespürt und kontaktiert werden können, mit denen sie aber auch einen entsprechend vorbelasteten Menschen geistig übernehmen können. Letztere Menschen sind die Violetten.
Die Violetten, so genannt wegen ihrer ungewöhnlichen Augenfarbe, sind Mutanten, die an einer speziellen Schule ausgebildet werden und offiziell in der „Nordamerikanischen Gesellschaft für Jenseitskommunikation“ (NAGJK) organisiert sind. Diese verfügt über eine straffe Führung, welche die Dienste ihrer Mitglieder der Gesellschaft anbietet. Einer dieser Dienste besteht in der Ermittlung der Täterschaft bei Todesopfern, zum Beispiel bei Mord …
_Handlung_
Im Fall der Ermordung des Unternehmerehepaars Hyland aus Los Angeles ist dessen Sohn Scotty angeklagt. Sein Anwalt Lathrop hat angekündigt, vor Gericht das Medium Lyman Pearsall die beiden Getöteten herbeirufen zu lassen. Staatsanwältin Inez Mendoza bittet Natalie Lindstrom um Hilfe. Doch als Natalie die Kontaktobjekte, mit denen sich die Seelen von Toten herbeirufen lassen, berührt, kann sie weder Mrs. Hyland noch ihren Mann herbeizitieren. Irgendetwas ist hier oberfaul.
Während des Gerichtsverfahrens hält sich der Verteidiger Lathrup auffällig mit Fragen an die Zeugen, welche die Staatsanwältin aussagen lässt, zurück. Offenbar basiert seine ganze Verteidigung auf den von Lyman Pearsall vermittelten Aussagen der beiden Hylands. Die Spannung steigt nicht zuletzt auch bei Natalie, die dem Prozess als Zuschauerin beiwohnt. Für Lathrop klappt alles wie am Schnürchen.
Der kleine, dicke Lyman Pearsall bäumt sich in seinem Stuhl auf, als sei eine Seele in ihn gefahren, und der Seelenscanner schlägt ebenfalls aus. Natalie ist verblüfft: Wie macht er das bloß? Nacheinander beschuldigen Mr. und Mrs. Hyland den früheren Partner des Unternehmers, sie getötet zu haben. Der Mann ist wie vor den Kopf geschlagen, war er es doch, der die Veruntreuungen und Unterschlagungen durch Hyland Junior aufdeckte.
Die Geschworenen sind von Pearsalls Vorstellung gebührend beeindruckt. Sie glauben ihm – schließlich handelt es sich um ein vereidigtes Mitglied einer angesehenen Gesellschaft, die der Polizei und der Justiz bislang zuverlässig geholfen hat. Die Schöffen sind sich einig, dass Scotty Hyland unschuldig sein muss. Die Staatsanwältin ist verbittert. Doch Natalie ist misstrauisch: Pearsall hat möglicherweise schon einmal eine Falschaussage geschauspielert, im Fall des Mordes an einer Prostituierten. Auch damals kam der Mörder frei. Sie beschließt, dass es keine weiteren Freisprüche mehr geben darf, wenn es keine Opfer mehr geben soll.
In den Unterlagen, die sie von Inez Mendoza über Pearsall erbittet, sowie im Internet stößt sie auf den entscheidenden Hinweis. Pearsall hatte im Januar mit der Leiche eines Opfers von Vincent Thresher zu tun. Unglückerweise kennt Natalie diesen verurteilten und hingerichteten Serienmörder nur zu gut: Threshers Seele besucht ihre arme Mutter Nora, eine Violette, regelmäßig in ihrer Zelle in der Nervenheilanstalt von Los Angeles. Kein Wunder: Noras Aussage als Medium hatte Thresher seinerzeit in die Gaskammer gebracht.
Als Nora ermordet aufgefunden wird, deuten alle Indizien auf eine Tat des toten Vincent Thresher hin, insbesondere das in die Haut des Opfers gestickte Bild. Eine fremde Krankenschwester hatte Dienst, als die Tat geschah, und so wie es aussieht, handelte es sich um Lyman Pearsall, der von Thresher besessen ist. Thresher, der Puppenspieler, treibt wieder sein Unwesen. Doch Natalie kann Pearsall nicht anklagen, seit sie der Gesellschaft den Rücken gekehrt hat. Niemand würde ihr glauben.
Schon bei ihrem letzten Besuch Noras hat Natalie in die von Thresher besessenen Augen Noras geblickt: Er wolle sie gerne näher kennenlernen, sagte er und jagte ihr damit Schauder über den Rücken. Am Sarg Noras geschieht es erneut, dass eine tote Seele Natalie besucht, doch es ist Nora. Sie warnt sie eindringlich vor dem Killer.
Wenig später ist Natalies fünfjährige Tochter Callie verschwunden. Ist sie Thresher und Pearsall in die Hände gefallen?
_Mein Eindruck_
Wie schon im ersten Band seiner Trilogie über die Violetten beginnt die Handlung recht langsam mit dem Privatleben von Natalie Lindstrom. Wir werden erst einmal darüber informiert, was sich alles seit ihrem ersten Abenteuer mit dem Violettenkiller und dem Tod ihres geliebten Dan Atwater getan hat.
Fast sechs Jahre sind vergangen, und ihre und Dans Tochter Callie sind ein zufriedenes, aber keineswegs sorgloses Paar. Denn die NAGJK will Callie für sich haben, um sie an ihrer Schule auszubilden, genau wie damals bei Natalie. Rund um die Uhr überwachen Agenten der NAGJK Heim und Fahrten von Natalie. Sie hat nur einen Freund unter ihnen: George, der Französisch lernt und einen Roman schreiben will. Wie sich zeigen wird, ist George Natalies einzige Rettung, als sie Threshers Falle gegenübersteht.
Denn die erst von der NAGJK und dann von Pearsall/Thresher entführte Callie dient lediglich als Köder, um Natalie in eine tödliche Falle zu locken. Abseits der Zivilisation und von einem Gewittersturm umgeben, muss sich Natalie in die vorbereitete Falle begeben …
|Bösewichte|
Dieser Showdown ist der spannende und dramatische Höhepunkt für eine so vor sich hinplätschernde Handlung. Es gibt zwar hier und da zu Herzen gehende Szenen, insbesondere mit Nora Lindstrom, doch keine beeindruckte mich sonderlich. Ganz anders hingegen der Bösewicht: Das ist ein wirklich schweres Kaliber und obendrein höchst faszinierend. Thresher wurde bis zu seinem zwölften Lebensjahr von seiner Mutter, die ihren verschwundenen Mann hasste, als Mädchen aufgezogen: Vanessa. Doch spätestens in der Mädchenumkleide seiner Schule musste die Wahrheit ans Licht kommen – ein Riesenskandal.
Thresher brachte nicht nur seine gehässige Mutter um, er rächte sich auch am ganzen weiblichen Geschlecht. In einer Szene, die eines gruseligen Psychothrillers von Karin Slaughter oder Mo Hayder würdig ist, macht der tote Killer, der Lyman Pearsalls Körper wie eine Marionette bedient, seine Opfer erst stumm, dann stickt er den Betäubten schöne Muster in die Haut, wie er sie von seiner Mutter gelernt hat. Dass Vincent es beherrscht, sich wie eine Frau zu schminken und zu kleiden, versteht sich von selbst. Die Krankenschwester, die es auf Nora Lindstrom abgesehen hat, tritt sehr überzeugend auf.
Doch es gibt nach dem Showdown ja noch einen weiteren Schurken im Stück. Während Pearsall zum mitleiderregenden Opfer wird, ist es ja Scotty Hyland, der freigesprochen wurde. Er kann nicht zweimal für das gleiche Verbrechen verurteilt werden. Nur, wie bringt man einen Unantastbaren zur Strecke? Ganz einfach: Natalie erinnert sich an die Visitenkarte eines Journalisten …
_Unterm Strich_
Bislang kannte ich Seelenkäfige nur von einem Album, das Sting mal vor Jahren unter dem Titel „The Soul Cages“ aufgenommen hat. Sie bezeichnen die innere Erstarrung von Menschen. In „Die Stimmen der Nacht“ erhalten Seelenkäfige eine düstere und ganz konkrete Bedeutung. Da die Seelen von Toten, so die Hypothese des Autors, elektromagnetischer Natur sind – ein höchst prekärer Zustand, um es mal gelinde zu formulieren – lassen sie sich auch in einem Faradayschen Käfig einsperren beziehungsweise abschirmen.
Was zunächst abstrus klingt, nimmt für Natalie Lindstrom eine höchst bedrohliche Qualität an: Es sind Käfige für Seelen, die über die nichts ahnende Violette herfallen können. Doch wie sich zeigt, kann derjenige, der stark genug ist, den Spieß auch umdrehen …
„Die Stimmen der Nacht“ ist ein weiterer faszinierender Thriller um die Violetten. Er lehrt den Leser, dass es Seelen überall um uns herum gibt und sie in unseren Kopf wollen, falls wir dafür empfänglich sind. Die Kunst des Autors besteht darin, diesen besonderen Daseinszustand als Violetter möglichst lebendig und spannend zu schildern, und das geht am besten mit einer hochemotionalen Mutter-Kind-Beziehung, die jedes Frauenherz berühren dürfte, sowie mit einer spannenden Handlung, die eben dieses Glück bedroht. Das Rezept ist einfach, man muss es nur richtig umsetzen. Der Autor hat dies jedenfalls drauf. Die fehlerlose Übersetzung wird seinem Können gerecht.
|Originaltitel: With red hands, 2004
Aus dem US-Englischen von Helmut Gerstberger
380 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-40372-7|
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Adara ist ein Winterkind. Nur sie kann auf dem Eisdrachen reiten, der die Kälte bringt. Als der Krieg näherkommt und die Drachen des Königs einer nach dem anderen vom Feind besiegt werden, scheint es keine Rettung zu geben. Da träumt Adara von ihrem einzigen Freund, dem Eisdrachen. Zusammen reiten sie. Doch kann Eis auch Drachenfeuer standhalten?
_Spannender Horror-Western: Kampfmönche gegen Vampire_
Ein Buch ohne Autor oder Titel tötet jeden, der es liest. Ein geheimnisvoller blauer Stein ist plötzlich verschwunden – und alle suchen ihn, insbesondere zwei Karate-Mönche vom Tempel des Hubal, die die Welt retten wollen. Schon bald wird eine Sonnenfinsternis den Ort Santa Mondega in völlige Finsternis tauchen, und dann wird Blut fließen. Viel Blut. Denn ein Fremder ist (wieder) in der Stadt: The Bourbon Kid.
_Der Autor_
Anonymus ist ein Autor aus Großbritannien, der seinen Roman im Internet veröffentlichte und zahlreiche begeisterte Leserstimmen erhielt. Wer er ist und wo er lebt, weiß keiner. Höchstens sein Verleger, und der verrät es nicht.
_Handlung_
Santa Mondega ist eine Küstenstadt in den südlichen Breiten, vielleicht in Südkalifornien. Kein guter Mensch traut sich jedenfalls dorthin. Die schlimmsten Halsabschneider treffen sich in der Tapioca Bar, wo Sanchez ausschenkt – und es ist nicht immer Alkohol, was er auf den Tresen stellt. So wie jetzt vor dem Fremden, dessen Gesicht unter einer Kapuze verborgen ist. Niemand in der Tapioca Bar mag Fremde, am wenigsten Sanchez, der Wirt.
Als der Fremde von dem Gesöff kostet, schaut ihm Ringo, der Revolverheld gespannt zu. Denn es geht die Kunde, dass Bourbon Kid in der Gegend sei, und dass Bourbon Kid, wenn er ein Glas Bourbon getrunken habe, wahnsinnig werde und alle in einer Bar restlos abknalle. Der Fremde trinkt und nichts passiert. Kein Wunder, es ist ja auch Pisse. Ringo lacht herzlich – und vielleicht auch ein wenig erleichtert. Dann bestellt der Fremde einen richtigen Bourbon und hebt das Glas an den Mund. Alle halten den Atem an …
|Fünf Jahre später.|
Auf einer Insel vor der Küste, an der Santa Mondega liegt, steht der Tempel des Hubal, und Vater Ishmael Taos ist sein Hüter. Leider steht Vater Taos inmitten eines Bergs von Leichen, und das Dach des Tempels ist eingestürzt. Der Killer Jefe hat zugeschlagen, und es muss offensichtlich etwas geschehen, um Jefe zur Rechenschaft zu ziehen. Deshalb ruft Vater Taos seine zwei klügsten Mönche, Kyle und den Novizen Peto, zu sich und gibt ihnen einen wichtigen Auftrag. Sie sollen das Auge des Mondes suchen, einen wertvollen magischen Stein, und ihm bringen. Sollte dieser Stein in die Hände von Jefe oder El Santino geraten, würde dies den Untergang der Menschheit bedeuten.
Ihre Suche sollen sie in Santa Mondega beginnen, „Geld“ (sie wissen nicht, was das ist) mitnehmen und nach Bourbon Kid und dem Auge des Mondes fragen. Als Kyle und Peto unweigerlich in der Tapioca Bar landen, stellt Sanchez auch vor sie wieder je ein Glas Pisse hin. Schließlich mag er keine Fremden, und Fremde, die in orangefarbenen Jacken und schwarzen Pluderhosen mit Schnabelstiefeln herumlaufen, erst recht nicht.
Natürlich werden auch diese beiden Gestalten von den Halsabschneidern angemacht, doch sie erweisen sich als gewandte Karatekämpfer. Sie erfahren: Bourbon Kid war hier, und von einem Auge des Mondes hat man auch gehört. Ein Mann namens El Santino sei dahinter her. Leider weiß Peto nicht mit einem Revolver umzugehen, und so erfahren sie nie, was der andere Halsabschneider zu sagen gewusst hätte.
Kaum sind die zwei Kriegermönche weg, tritt der Kopfgeldjäger Jefe ein, nach dem sie gefragt haben. Jefe trägt den blauen Stein, den sie suchen, um den Hals und hat vor, ihn bis Mitternacht an El Santino zu verkaufen, dem er ihn versprochen hat. Doch Marcus das Wiesel macht Jefe so betrunken, das es ihm leichtfällt, ihm das Auge des Mondes abzunehmen und zu verduften. Als Jefe in einem schäbigen Bett und mit einem Mordskater aufwacht, bemerkt er den Diebstahl zu spät. Aber wenn er El Santino den Stein nicht bis Mitternacht bringt, ist er ein toter Mann. Marcus das Wiesel – was für ein passender Name – ist jetzt ebenfalls so gut wie tot.
|Die Hüter des Gesetzes|
Chief Detective Miles Jensen ist Inspector für Übernatürliche Ermittlungen. Die Zentrale in Washington hat ihn ausgeschickt, um in Santa Mondega fünf Ritualmorde aufzuklären, die sich hier vor dem Eintreffen der beiden Mönche ereignet haben. Jensen weiß Bescheid über die Mönche des Hubal, die normalerweise nie ihre Insel verlassen, und über das Auge des Mondes. Dass sie letzte Nacht einen Mann kaltblütig erschossen, sieht ihnen gar nicht ähnlich, findet er. Aber Captain Rockwell muss es wohl wissen, denn Santa Mondega ist seine Stadt.
Jensen passt es überhaupt nicht, dass ihm Rockwell einen Partner aufs Auge drückt, noch dazu ein ausgewiesenes Riesen-Arschloch wie Archibald Somers. Doch der Bürgermeister bestehe darauf, insistiert Rockwell. Na schön, dann will er mal mit Somers in der Tapioca Bar anfangen. Denn dort hat Bourbon Kid vor fünf Jahren sein Unwesen getrieben. Und Archibald Somers ist ein ausgewiesener Experte für The Bourbon Kid.
|Das Mädchen ohne Gedächtnis|
Sanchez, der Barmann, besucht seinen Bruder Thomas und dessen Frau Audrey. Doch als er vor deren Haus eintrifft, wird er keineswegs freundlich begrüßt; vielmehr herrscht eine unheilvolle Stille. Ihm schwant Böses. Vor fünf Jahren, nach dem Massaker, das Bourbon Kid anrichtete, fand er eine schwerverletzte junge Frau und versteckte sie hier in einem verborgenen Dachzimmer. Die junge Frau wurde von einem Arzt gepflegt, doch sie lag im Koma. Sanchez betritt das Erdgeschoss: Da liegen die Leichen von Thomas und Audrey, seltsamerweise ohne eine einzige Wunde. Aus der Mansarde ist das Mädchen, das er Jessica genannt hat, verschwunden. Als er nach unten geht, hört er ein Auto wegfahren: Es ist ein gelber Cadillac. Sitzt der Mörder darin?
Sanchez bittet den besten Killer von Santa Mondega, den gelben Cadillac ausfindig zu machen. Der Killer namens Elvis findet die Aufgabe fast zu leicht: Die Karre gehört El Jefe. Sanchez zahlt ihm tausend im Voraus, wenn er Jefe kaltmacht. Dummerweise ahnt Elvis nicht, dass Jefe mit El Santino, dem anderen besten Killer von Santa Mondega, unter einer Decke steckt. Das könnte ungesund werden …
|Die Ermittlung beginnt|
Miles Jensen entdeckt zu seiner Überraschung, dass Archibald Somers, sein künftiger Partner, zwar ein monomanischer Typ ist, der hinter jedem Mord in der Stadt den Bourbon Kid vermutet, aber sonst ein ganz anständiger Kerl. Und Somers entdeckt, dass Jensen zwar völlig monomanisch ist, wenn er hinter jedem Mord einen übernatürlichen Hintergrund vermutet, dass er mit ihm aber wenigstens in einer Sache übereinstimmt: Jack Nicholson ist der beste Schauspieler des Planeten. Zusammen machen sie sich auf, Santa Mondega vom Abschaum zu säubern. Gutes Gelingen, meine Herren! Es gibt viel zu tun …
_Mein Eindruck_
Es ist, als hätte sich Quentin Tarantino, Stephen King und Douglas Adams zusammengetan, um die ultimative Thrillerkomödie zu schreiben. Kämpfende Mönche, ein Boxer im Auftrag des Herrn, mordlustige Jungfrauen, zwielichtige Gesetzeshüter und viele Zutaten mehr sorgen dafür, dass der Leser konstant bestens unterhalten und vor allem auf die Folter gespannt wird. Ständig musste ich mich fragen, was hinter diesem und jenem Rätsel steckt.
|Ewige Wiederholung?|
Das größte Rätsel von allen ist natürlich die Frage, was eigentlich vor fünf Jahren geschah. Denn dies ist der Ausgangspunkt für eine Wiederholung jener Ereignisse. Wer ist dieser Bourbon Kid, der damals offenbar 300 Bewohner (nicht alle davon menschlich …) umlegte, es aber nicht schaffte, den Teenager Jessica mit einem Dutzend Kugeln zu töten? Und warum wiederholen sich die Ereignisse immer dann, wenn eine Sonnenfinsternis ansteht?
|Das Buch ohne Namen|
Einen kleinen Einblick in die Ursprünge dieses wiederkehrenden Verhängnisses verschafft uns das „Buch ohne Namen“, dessen Autor selbstredend ebenfalls Anonymus heißt – ein langlebiger und fleißiger Bursche, in der Tat. Jeder, der das Buch aus der Stadtbibliothek ausleiht, ist des Todes, wie Miles Jensen herausfindet. Und er findet zu seinem Leidwesen heraus, warum das so sein muss. Tja, auch unser sympathischer Miles wird eines Tages seinem Tod ins Auge sehen müssen. Denn die Vampire wollen während der Sonnenfinsternis die Herrschaft über Santa Mondega übernehmen.
|Makaber|
Der Autor spielt mit dem Schrecken Schabernack und weicht vor nichts zurück, solange es den Leser unterhält. Figuren werden reihenweise über den Haufen geschossen, von Vampiren ausgesaugt und geköpft (die weiteren Details erspare ich euch). Vampire lassen sich nur auf wenige Arten töten, und regelmäßig gehen sie in Flammen auf, um zu einem Häufchen Asche zu verbrennen. Allerdings gibt es einen Obervampir, der vor Jahrhunderten aus dem heiligen Gral das Blut Christi trank und folglich unverwundbar ist. Denkt er zumindest. Doch er wird eines Besseren belehrt, nicht zuletzt zu unserer Überraschung.
Das zweite Rätsel betrifft den mysteriösen Bourbon Kid. Er ist sozusagen der ultimative Schrecken für Santa Mondega, denn sobald er ein Gläschen besagten Alkohols intus hat, wird er unberechenbar. Aber wofür kämpft dieser Kerl und woher kommt er? Alle diese Fragen werden mit der Zeit beantwortet, und so bleibt das Buch bis zur allerletzten Zeile spannend.
|Showdown|
Wohin führen all die verschlungenen Pfade der Killer, Sucher, Steinefinder, der Gesetzeshüter, fragt sich der Leser konstant. Nun, es ist klar, dass mit dem Anbruch der Sonnenfinsternis etwas Schreckliches, etwas Entscheidendes passieren wird. Es kommt zu einem Showdown der schlimmsten und wichtigsten Mitspieler in der Handlung – natürlich in der verrufenen Tapioca Bar, wo sonst. Jeder hält eine Knarre an den Kopf des anderen, denn alle wollen den MacGuffin, hinter dem alle herjagen: das Auge des Mondes. Dieser Edelstein scheint tatsächlich magische Kräfte zu besitzen. Macht er seinen Besitzer wirklich unverwundbar? Man wird es gleich herausfinden. Die Sonne verdunkelt sich, als der Mond sie verdeckt, und die Schießerei geht los …
|Pastiche|
Ein wichtiger Aspekt ist das ironische Spiel mit kulturellen Vorbildern. Der Autor und seine Figuren zeigen sich mit ihren Lesern kulturell verbunden. Dass Jack Nicholson ein großartiger Schauspieler ist (war), dürfte meist unbestritten hingenommen werden. Aber es gibt noch viele weitere Anspielungen aus der Popkultur, so zahllose Filme, Cartoons und Songs. An einer Stelle (Seite 182) wird der Thriller „Copykill“ mit „Ring“ verglichen – wo liegen die Stärken und Schwächen der Filme und wie wird der jeweilige Serienkiller dargestellt? Hier quasseln Fachleute unter sich. Da wir die Filme kennen (sollten), können wir der Argumentation durchaus folgen. An anderer Stelle wird über den Lone Ranger gestritten.
Diese Zitate heben das Buch auf die Ebene eines Pastiches, das sich seiner Vorbilder sehr bewusst ist. Genauso wie etwa „Pulp Fiction“ und „Reservoir Dogs“ von Quentin Tarantino Gangsterfilme zitieren, um etwas Neues daraus zu drechseln. Man sollte solche Pastiches nicht ernstnehmen, aber es lohnt sich, sie zumindest unterhaltsam zu finden.
|Die Übersetzung|
Axel Merz hat dieses kurzweilige Buch möglichst stilgetreu ins Deutsche übertragen, was bedeutet, dass es auch jede Menge Redewendungen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen gibt. Mal wird hochgestochen dahergelabert, dann wieder Gossensprache benutzt. Auf keinen Fall wird jedoch diese 08/15-Verlagssprache benutzt, deren sich arrivierte Autoren wie Dean Koontz oder Stephen King befleißigen müssen, wollen sie eine Story erzählen.
Auf solche Hemmschuhe hat der Autor durch die Publikation des Romans im Internet von vornherein verzichten können. Das bedeutet aber nicht, dass er über die Stränge schlägt und tut, was er will. Nein, er drückt sich aus, wie er es will, und das ist keinesfalls schlechter als die genannten Kollegen. Was er ausdrückt, ist wesentlich blutiger und makaberer als das meiste, was Koontz und King bislang vorgelegt haben. Die Explizitheit erstreckt sich nicht auf Erotik, denn da bleibt der Autor ganz dezent. Leserinnen werden also bestimmt nicht vergrault oder abgestoßen sein.
Aber es gibt auch Stilblüten und Fehler im Text.
„… eine ganze Wagenladung Extras in der Szene“, heißt es auf Seite 182. Hierzulande sagt man nicht „Extras“, sondern „Statisten“. Auf Seite 402 schreibt der Übersetzer: „Kein Zweifel der Bourbon Kid“. Richtiger wäre: „ohne Zweifel“, denn sonst müsste hinter „kein Zweifel“ ein Doppelpunkt stehen.
Auch ganz normale Vertipper finden sich. „In Dantes Augen sah es auf, als warteten …“ Es muss natürlich „aus“ statt „auf“ heißen. Auf Seite 402 muss es „Flasche“ statt „Flache“ heißen.
Auf Seite 434 wurde ein Satz korrigiert, aber der Anschluss vermasselt. „Somers betrat den Empfangsbereich des Polizeihauptquartiers von Santa Mondega. Er war eine Million Mal hier durch gegangen, aber SIE hatte noch nie so ausgesehen wie heute.“ Statt „sie“ (die ursprüngliche Lobby) muss es jetzt „er“ (der Empfangsbereich nämlich) heißen.
_Unterm Strich_
Man muss sich nur an die besondere Erzählweise – das Buch hat 65 Kapitel und wechselt ständig die Szene – und die klischeehaften Elemente gewöhnen, um schon bald viel Spaß an der Art und Weise zu finden, wie die sattsam bekannten Elemente so verdreht werden, dass sie etwas völlig Neues ergeben. Das Bewusstsein, dass man nie weiß, was als nächstes geschehen wird, macht neugierig und sorgt durch die vielen Rätsel bis zum Schluss für Spannung. Viele der Ereignisse sind makaber, aber auch ironisch und lustig. Wer hätte schon boxende Kämpfe und vampirhafte Jungfrauen erwartet? Auch die Identität des Obervampirs wird als totale Überraschung enthüllt. Sein grausiges Ende allerdings ebenfalls.
Die Übersetzung durch Axel Merz weist bemerkenswert und erfreulich wenige Fehler auf und liest sich sehr flott und unterhaltsam. Er nimmt wie der Autor kein Blatt vor den Mund, vergreift sich aber auch nicht im Ton. Bestimmte Grenzen des Geschmacks beachtet auch er. Dass die Kapitel in aller Regel so kurz sind – 440 Seiten sind auf 65 Kapitel verteilt -, fördert die Lesegeschwindigkeit. Denn in aller Regel beginnt das neue Kapitel mit einer neuen Seite, so dass manchmal halb leere und fast ganz leere Seiten zu finden sind. Ich habe 200 Seiten an einem Abend geschafft, bin aber überzeugt, dass man das gesamte Buch auch an einem einzigen Tag durchlesen kann.
|Originaltitel: The book with no name, 2007
Aus dem Englischen von Axel Merz
447 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-7857-6010-9|
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Kanada Ende des 19. Jahrhunderts. (Fortsetzung von „Anne auf Green Gables“.) Anne genießt ihre letzten Ferientage auf Green Gables. Mit Beginn des neuen Schuljahres wird sie die Lehrerstelle an der Dorfschule von Avonlea übernehmen. Für den kleinen Ort haben Anne und ihre Freunde ehrgeizige Pläne. Flugs wird ein Dorf-Verschönerungs-Verein gegründet. Überschattet werden die Spendensammel-Aktionen durch Probleme mit der Kuh Dolly und einem sehr wütenden neuen Nachbarn …
Folge 6: Anne Shirley wird von den meisten Schülern an der Dorfschule angehimmelt. Aber keineswegs alle mögen die neue junge Lehrerin. Der flegelhafte Anthony Pye hat es regelrecht auf Anne abgesehen. An einem kalten Wintermorgen kommt es zu einer sehr hässlichen Szene in der Schule, die keines der Schulkinder von Avonlea je vergessen wird …
Folge 7: Anne und ihre Busenfreundin Diana Barry verirren sich auf dem Weg zu einer Teegesellschaft. Plötzlich stehen sie vor dem kleinen idyllischen Steinhaus von Miss Lavendar Lewis mitten im Wald. Manches haben die Mädchen über diese scheue Einsiedlerin bereits gehört, was insbesondere Anne neugierig macht, der Dame einen Besuch abzustatten…
Pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum gibt es die Abenteuer des sympathischen Waisenmädchens Anne Shirley als Hörspiel-Serie, geeignet für die ganze Familie, gesprochen von den deutschen Stimmen vieler Hollywood-Stars.
_Die Autorin_
Lucy Maud Montgomery (1874-1942) war eine kanadische Schriftstellerin, die besonders durch ihre Jugendbücher um Anne Shirley bekannt wurde: „Anne of Green Gables“ und sechs Fortsetzungen.
Das Manuskript wurde zunächst von mehreren Verlagen abgelehnt, bevor es Montgomery gelang, es zu platzieren. 1908 war sie bereits 34 Jahre alt. Das Buch wurde zu einem Theaterstück verarbeitet, mehrmals verfilmt und in mehr als 40 Sprachen übersetzt.
Die erste Staffel: Anne auf Green Gables
Folge 1: [Die Ankunft 4827
Folge 2: [Verwandte Seelen 4852
Folge 3: [Jede Menge Missgeschicke 4911
Folge 4: Ein Abschied und ein Anfang
Die zweite Staffel: Anne auf Avonlea
Folge 5: [Die neue Lehrerin 5783
Folge 6: [Ein rabenschwarzer Tag und seine Folgen 5806
Folge 7: Eine weitere verwandte Seele
Folge 8: Das letzte Jahr als Dorfschullehrerin
Die dritte Staffel: Anne in Kingsport
Folge 9: Auf dem Redmond College
Folge 10: Erste Erfolge als Schriftstellerin
Folge 11: Die jungen Damen aus Pattys Haus
Folge 12: Viele glückliche Paare
_Die Inszenierung:_
|Die Rollen und ihre Sprecher:|
Erzähler: Lutz Mackensy (Rowan Atkinson, Christopher Lloyd, Al Pacino)
Anne Shirley: Marie Bierstedt (Kirsten Dunst, Kate Beckinsale)
Marilla Cuthbert: Dagmar von Kurmin (Bühnenschauspielerin, Hörspiel-Regisseurin für |Europa|, Stammsprecherin für |Titania Medien|)
Rachel Lynde: Regina Lemnitz (Whoopi Goldberg, Kathy Bates, Diane Keaton)
Diana Barry: Uschi Hugo (Neve Campbell)
Gilbert Blythe: Simon Jäger (Josh Hartnett)
Jane Andrews: Cathlen Gawlich (Jaime King, Amy ‚Fred‘ Acker)
James A. Harrison: Heinz Ostermann (Kammerschauspieler)
Priscilla Grant: Tanja Geke (Judy Greer, Tara Wilson)
Lavender Lewis: Monica Bielenstein (Emma Thompson)
Charlotta die Vierte: Charlotte Mertens
Und viele weitere.
Regie führten Stephan Bosenius und Marc Gruppe, der auch das „Drehbuch“ schrieb. Die Aufnahme leiteten Martin Wittstock und |Kazuya|. Die Illustration stammt von Firuz Askin.
_Handlung_
Endlich sind wieder Sommerferien, und weitere Aufregungen warten auf Anne Shirley und ihre Lieben. Sie freut sich auf den Besuch der bewunderten Romanschriftstellerin Charlotte Morgan, der Tante von Priscilla Grant, auf Green Gables. Doch als alles bereit ist und auf den hohen Besuch warten, trifft dieser nicht ein. Dafür macht sich der Tunichtgut Davy Keith negativ bemerkbar. Erst zerstört er aus Versehen die Törtchen, die in der Küche bereitgestellt waren, dann, wieder aus Versehen, die kostbare Servierplatte, die Anne von Mrs Barry ausgeliehen hatte. Dringend muss Ersatz her. Zum Glück wurde eine passende Servierplatte bei den Schwestern Copp gesichtet.
|Malheur im Entenstall|
Als Anne mit ihrer Busenfreundin Diana Barry dorthin fährt, ist jedoch niemand daheim. Doch wo sie schon mal da sind, können sie ja wenigstens prüfen, ob es die Servierplatte tatsächlich gibt. Gesagt, getan. Anne klettert mit einer Leiter auf das Dach des Entenstalls und von dort späht sie in das Fenster des Dachbodens. Die Platte existiert wirklich, welch eine Erleichterung. Die gefährliche Kletterei war also nicht umsonst. Doch auf dem Rückweg brechen die morschen Dachbalken des Stalls, und auf einmal steckt Anne fest. Just in diesem Moment fängt es an zu regnen. Der Sonnenschirm hält zwar einiges Wasser ab, aber die missliche Lage, in der Anne steckt, bis die Copp-Schwestern zurückkehren, wird Anne noch lange in Erinnerung bleiben. Natürlich bekommt sie die Servierplatte.
|Scharlachrot|
Die letzte Woche der Sommerferien ist angebrochen, und bald wird der Unterricht wieder losgehen. Davor wird Anne noch einmal ihren Haushalt auf Vordermann bringen, während Marilla mit den Zwillingen einkaufen geht. Sie zieht ein altes Kleid an und bindet sich das rote Haar hoch, dann streicht sie Tinktur auf ihre Nase, damit die Sommersprossen verschwinden. Sie ist fast fertig mit dem Umfüllen von Daunenfedern in ihrem Bettzeug, als es an der Tür klopft.
Vor Schreck kippt sie fast aus den Pantinen. Es ist die berühmte Schriftstellerin Charlotte Morgan mit ihrer Nichte Priscilla Grant. Unangemeldet! Beide starren Anne an, die noch diverse Federn im Haar hat. Was soll sie nur servieren?! Anne gerät völlig aus dem Häuschen und überhört gewisse dezente Hinweise auf ihr Aussehen. Sie eilt zu Diana Barry, um was zu essen zu holen, doch Diana darf es sich erlauben, Anne auf ihre Nase hinzuweisen: Sie sei scharlachrot! Au weia, Anne muss die Fläschchen verwechselt haben. Statt Antisommersprossentinktur hat sie Haarfärbemittel erwischt. Wenigstens geht das Zeug leicht ab, und so wird es noch ein schöner Nachmittag mit der Autorin, die Anne vergöttert.
|Das Geheimnis im Wald|
Um einen Weg abzukürzen, gehen Anne und Diana durch den Wald, doch sie nehmen die falsche Abzweigung und verirren sich. Dabei stoßen sie auf ein einsam gelegenes Häuschen, in dem eine ältere Dame und ein junges Mädchen leben. Anne gefällt dieser „verwunschene“ Ort sofort und sie hat keine Angst vor der Dame, die sich als Lavender Lewis vorstellt. Das Mädchen sei ihr Hausmädchen, Charlotta die Vierte.
Anne fällt sofort die Geschichte ein, die sie von Paul und Gilbert über die zwei Verlobten gehört hat, die sich vor rund 25 Jahren im Streit trennten. Was für ein Jammer, denkt sie, aber Lavender mag zwar weiße Haare haben, verhält sie allerdings, als wäre sie immer noch siebzehn – genauso alt wie Anne. Die beiden werden sofort Freunde, und wieder entdeckt Anne eine „verwandte Seele“. Sie fragt, ob sie wohl Paul Irving mitbringen darf, und Lavender sagt ja. Etwas Gutes könnte jetzt beginnen, hofft Anne.
_Mein Eindruck_
Dies ist eine der wichtigsten Folgen der gesamten zweiten Staffel. Nach einem recht komischen Auftakt um die Zerstörung und Wiederbeschaffung einer Servierplatte – teure und daher seltene Keramik in der damaligen Zeit – und um die Beweihräucherung einer bewunderten Schriftstellerin lernt Anne in Lavender Lewis eine weitere „verwandte Seele“ kennen. Sofort tritt ihr Rettungsprogramm in Kraft. Ihre romantischen christlichen Prinzipien sind bereits durch das traurige Schicksal Heather Grays strapaziert worden, nun muss sie einen Ausgleich schaffen, um dem Guten (und somit Gottes Geboten) wieder zum Sieg zu verhelfen.
Aber will Lavender Lewis überhaupt gerettet werden? Sie scheint rundum zufrieden zu sein, obwohl sie zusammen mit ihrem Hausmädchen Charlotta alleine im Wald lebt. Sie hat eine tolle Aussicht, ein tolles Echo und sieht außerdem toll aus – als würde sie in einer Zeitkapsel leben. Wie könnte es Anne da wagen, von Not zu sprechen? Sie hat zunächst Zweifel, ob Rettung angebracht ist, und erzählt erst einmal ganz dezent Paul und dadurch seinem Vater, was mit Stephen Irvings Exverlobter los ist. Das Rettungsprogramm kann schon mal im Hintergrund anlaufen.
Außerdem hat Anne selbst einen Erkenntnisprozess zu durchlaufen. Im Herbst geht sie wieder mal mit Diana, Fred und Gilbert in den Wald, um eine kleine Grillparty zu veranstalten. Dabei rückt ihr Diana den Kopf und Blick zurecht: Gilbert sei gar kein Junge mehr, wie Anne glaube, sondern ein junger Mann. Und Diana verlobt sich demnächst mit Fred, selbst schon eine junge Lady, wie alt muss dann erst Anne sein! Gilbert tituliert Anne dennoch zunächst als eine Dryade, eine Baumnymphe aus der Antike – ein Bildungstrümmerstück zum Renommieren.
Doch schon bald werden die beiden ernster. Sie bittet ihn, ihr seine Freundschaft nicht zu entziehen. Natürlich verspricht er es ihr, denn er insgeheim liebt er sie schon seit Schultagen. Sie muss sich erst noch an den Gedanken gewöhnen, dass Liebe auch ganz einfach wachsen könne und nicht wie ein Donnerschlag auf einen Blick über die Menschen hereinbreche – so beschreiben es nämlich die romantischen Schmonzetten, die sie ständig liest. Wer weiß, was Anne in ihrem Kämmerlein für Geschichten schreibt.
_Die Inszenierung_
|Die Sprecher:|
Die Hauptrolle der Anne Shirley wird von Marie Bierstedt, der deutschen Stimme von Kirsten Dunst und vielen anderen jungen Schauspielerinnen, mit Enthusiasmus und Einfühlungsvermögen gesprochen. Obwohl Bierstedt wesentlich älter ist als die siebzehnjährige Heldin, klingt ihre Stimme doch ziemlich jugendlich. Manchmal darf sie aber auch ein wenig langsamer und überlegter sprechen, besonders mit „verwandten Seelen“.
Sehr gut gefiel mir auch Heinz Ostermann, der Sprecher des Mr. Hamilton. Er legt ihm ein ganzes Spektrum von Grantigkeit, Freundlichkeit und schließlich sogar Zärtlichkeit in den Mund, dass man fast einen gerundeten Charakter vor sich hat.
Unter den weiteren weiblichen Sprecherinnen ragen die der Marilla Cuthbert (Dagmar von Kurmin) und der Rachel Lynde (Regina Lemnitz) heraus. Dagmar von Kurmin muss wie Heinz Ostermann sowohl Strenge als auch Freundlichkeit verkörpern. Regina Lemnitz ist die Inkarnation der Plaudertasche und der wandelnden Gerüchteküche. Außerdem scheint ihre Rachel Lynde Vorsitzende des Dorfverschönerungsvereins zu sein und hat entsprechend viele Sorgen um die Ohren. Und sie ist natürlich die beste Freundin von Marilla Cuthbert, die die Witwe in Folge acht in ihr Haus aufnimmt.
Lavender Lewis, gesprochen von Monica Bielenstein, der deutschen Stimme Emma Thompsons, klingt teils romantisch-verträumt, teils ein wenig traurig, aber stets freundlich und zuvorkommend. Man merkt, dass sie zwar glaubt, mit ihrem Leben zufieden sein zu können, dass ihr aber doch etwas Entscheidendes fehlt. Was könnte es nur sein?
|Geräusche|
Die Geräusche im Hintergrund sorgen für die Illusion einer zeitgenössischen Kulisse für das Jahr 1879, doch sind sie so sparsam und gezielt eingesetzt, dass sie einerseits den Dialog nicht beeinträchtigen, andererseits den Hörer nicht durch ein Übermaß verwirren. Deshalb erklingen Geräusche in der Regel stets nacheinander.
Auffällig häufig ist jedoch die Kombination aus Brandung und Vogelgezwitscher zu hören. Das ist eine Besonderheit der meerumtosten Inselumgebung. Selbstredend erklingen zahlreiche Vogelstimmen, wenn Anne mit ihren Freunden durch den Wald spaziert. Um die Epoche zu verdeutlichen, ist natürlich kein einziges Auto zu hören, sondern nur diverse Kutschen und Karren.
|Musik|
Die Musik ist ebenfalls ziemlich romantisch, voller Streichinstrumente, Harfen und Pianos. Das Klavier wird meist für melancholische Passagen eingesetzt, und diese sind ebenso wichtig wie die heiteren. Der kontrastreiche Wechsel zwischen Heiterkeit, Drama, Rührung und Melancholie sorgt für die emotionale Faszination beim Zuhörer. Die Musik steuert die Emotionen und untermalt die wichtigsten Szenen, kommt aber nicht ständig im Hintergrund vor. Ebenso wie mit den Geräuschen darf man es nicht übertreiben.
Als Intro erklingt die Erkennungsmelodie der Serie: In einem flotten Upbeat-Tempo lassen Streicher, Holzbläser und ein Glockenspiel Romantik, Heiterkeit und Humor anklingen. Alle diese Elemente sind wichtige Faktoren für den Erfolg des Buches gewesen. Warum sollten sie also ausgerechnet im Hörspiel fehlen?
_Unterm Strich_
Große Veränderungen kündigen sich an. Die Zwillinge bleiben nur fest auf Green Gables, und der Besuch der bewunderten Schriftstellerin wird zu einer mittleren Katastrophe – der besonders heiteren Sorte. Nach Annes abenteuerlicher Kletterpartie auf einem Stalldach wendet sich das Geschehen wieder ernsteren Dingen zu, darunter die Begegnung mit Lavender Lewis, deren Leben einen offensichtlichen Mangel aufweist, den man aber nicht offen aussprechen darf. Doch insgeheim startet Anne bereits ihr Rettungsprogramm für diese „verwandte Seele“. Dass sie selbst ebenfalls einer liebenden Person bedarf, realisiert sie erst ziemlich spät. Sie hat nämlich die falsche Vorstellung von Liebe. Aber das lässt sich ja korrigieren.
Besonderes Vergnügen hat mir die akustische Umsetzung des Buches bereitet. Hörbaren Spaß haben die Sprecher an ihren Rollen, und insbesondere die Hauptfigur ist von Marie Bierstedt ausgezeichnet gestaltet. Sie schluchzt, lacht, schmollt, flüstert und quasselt, dass man sich wundern muss, woher diese Vielseitigkeit stammt. In den Spider-Man-Filmen ist Kirsten Dunst nie so vielseitig. Bierstedts Anne muss sich nicht nur durch Höhen und Tiefen des Herzens lavieren, sondern auch noch weiterentwickeln.
Unter der glatten Oberfläche der Geschäftswelt brodelt ein Sumpf aus Angst, Missgunst und Rache. Als Ort des Grauens erscheint die moderne Businesswelt geradezu ideal – indem sie den Einzelnen als austauschbares Rädchen im Getriebe betrachten, umspannen globale Konzerne mit einem Netzwerk, das unüberschaubar geworden ist.
Frank, der Bürohengst, sieht sich in einem Netz aus Intrigen gefangen, das ihn zu erdrücken droht. Doch wenn er die Chance zur Gegenwehr bekommt, wird seine Vergeltung bestialisch sein …
Die Titelstory dieser Original-Storysammlung gewann 2003 in den USA den |Horror Guild Award| und den traditionsreichen |Bram Stoker Award|.
_Der Autor_
Thomas Ligotti, geboren 1953, arbeitete 20 Jahre lang in einem Verlag seiner Heimatstadt Detroit (Motor City, Murder City). Seit seinem 17. Lebensjahr (1970) leidet er unter Platzangst (Agoraphobie), die bekanntlich nur zu lindern, aber nicht zu heilen ist. Das hat sicherlich seine Sicht auf die Welt geprägt.
Ligotti hat sich mit seiner speziellen Machart des Horrors eine treue Anhängerschaft erschrieben. Seine erste Story erschien 1981, die erste Storysammlung „Songs of a Dead Dreamer“ 1986. Obwohl das Thema meist der Gothic-Fantasy angehört, ist seine Wahrnehmungsweise vielmehr die des Surrealismus (ohne den Thesen von Breton etc. zu gehorchen): Die meisten Szenen werden durch die verzerrte Perspektive des todgeweihten Erzählers betrachtet.
Ligotti verdankt viele Impulse dem expressionistischen deutschen Film der 1920er Jahre, so etwa „Das Kabinett des Dr. Caligari“, aber natürlich auch den Großen des Horror, also Poe, Chambers und Lovecraft, aber auch Burroughs und Kafka.
_Die Erzählungen_
|1) Der Lohn des Lebens: Meine Arbeit ist noch nicht erledigt|
Frank Dominio, der Ich-Erzähler, ist ein Bürohengst in einem großen amerikanischen Traditionsunternehmen. Die Abteilungsleiter wissen, dass sie immer mehr vom ewig Gleichen produzieren wollen. Neue Ideen wie die von Frank sind nicht nur nicht gefragt, sondern erscheinen sogar als gefährlich. Seine Erzfeinde fasst Frank im Kreis der Sieben zusammen, und deren Kopf ist Richard. Wenn dies die Sieben Zwerge wären, dann wäre Richard der Zwerg „Doc“. Im Bannkreis seiner Zwangsneurosen gefangen, erblickt Frank in Richard seinen Widersacher: den Puppenspieler, den Manipulator, den „Reparierer“. Stillschweigend natürlich, denn hier geht’s zivilisiert zu. Noch.
Nach seiner freiwilligen Kündigung, zu der es nach einer letzten Demütigung kommt, hinterlässt Frank eine Botschaft: „Meine Arbeit ist noch nicht erledigt“. Er löst alle seine Konten auf und quetscht seine Kreditkarte aus, bis sie jault. Er kauft sich genügend Waffen, um die Sieben auszulöschen. Doch bevor er dies am Montag tun kann, erwischt ihn am Samstag zuvor eine Explosion. Die Folgen sind, gelinde gesagt, kurios.
~ Die Verwandlung ~
Was Frank war, muss zunächst lernen, die Konsistenz seines nunmehr geisterhaften Körpers je nach Bedarf zu regulieren. Darauf kann er beginnen, seine „unerledigte Arbeit“ zu verrichten. Er beginnt mit Perry Stokowski, von dem nicht viel übrig bleibt. Tags darauf erscheinen die Detektives Black und White in der Firma und befragen „Doc“ Richard, doch der tut ahnungslos. Und sie wissen noch nicht, dass sich Frank – heißt er nun Domino oder Dominio? – nicht mehr unter den Lebenden im herkömmlichen Sinne befindet.
Die gegen Frank Verschworenen fallen, wie zu erwarten, einer nach dem anderen verschiedenen unglückseligen, aber meist ziemlich bizarren „Ereignissen“ zum Opfer, meist nichts ahnend. Aber als sich der Kreis der Sieben bis auf einen reduziert hat, bleibt Frank die Konfrontation mit dessen Anführer nicht erspart: Richard. Und dabei erlebt er eine böse Überraschung: Man hat ihn erwartet …
~ Mein Eindruck ~
Es fängt ganz harmlos mit allgemeinem Unbehagen und Unwohlsein an, doch sobald Frank die Verschwörung gegen sich entdeckt hat, beginnt seine Reaktion Formen anzunehmen. Die Explosion verwandelt ihn, wie einst Gregor Samsa in einen Käfer verwandelt wurde. Doch Franks neues Leben ist kein Alptraum, wie es die Verwandlung für Gegor bedeutet, sondern vielmehr eine Chance. Nun kann er sich noch leichter fortbewegen und überall Schaden anrichten. Sein Einfallsreichtum ist bewunderns- und lobenswert. Nur einer kommt davon: Richard. Denn Doc ist auf diese Eventualität gut vorbereitet. War Frank einfach nur böse, so ist Richard ein Vielfaches davon.
Dieser Text kommt dem, was wir unter einem realistischen Erzähltext mit Kriminalstory verstehen, in diesem Band am nächsten. Aber auch hier werden schon etliche Regeln gebrochen, so dass aus der üblichen Ermittlung leider nichts wird. Sie ist unwichtig. Wichtig sind Franks Weiterentwicklung und die Erkenntnisse, die sie ihm bringt.
|2) Die Wiederkunft der Toten: Ich habe einen speziellen Plan für diese Welt|
Die Firma Blaine ist in die Mordstadt gezogen, nachdem diese in die Goldene Stadt umgetauft worden war. Wenig später findet man die ersten Leichen im Perimeter der Innenstadt. Unser Gewährsmann (Frank?) beobachtet die darauffolgenden Ereignisse mit wachsendem Zweifel. Er hat etwas Beunruhigendes beobachtet, einen merkwürdigen Zusammenhang. Jedes Mal, wenn ein gelblicher Dunst besonders direkt in den Straßen der City hängt, erhöht sich die Zahl der Leichen. Dieser Prozess setzt sich auch in den vier Wänden von Blaine & Co. fort: Der Dunst ist so dicht auf den Fluren der Firma, dass man kaum die Hand vor Augen sieht, und es wundert unseren Chronisten keineswegs, dass ein Abteilungsleiter nach dem anderen ein vorzeitiges Ende findet.
Blaine hat nur einen Service anzubieten, nämlich die Manipulation von Dokumenten, doch verkündet man zur allgemeinen Verblüffung der Mitarbeiter, die sich in einem Kellerraum versammeln mussten, dass die Firmenleitung, sofern noch vorhanden, auf Expansion bedacht ist. Und zwar weltweit. Dieser Plan erscheint absurd, doch jeder, der auch nur an Kündigung laut zu denken wagt, kann gleich sein Testament machen. Jetzt sei der Firmengründer höchstselbst am Ruder des schlingernden Schiffes, heißt es pompös.
Unserem Erzähler schwant nichts Gutes, als ihn der Vizepräsident der Entwicklungsabteilung, Harry Winston, zu sich ruft. Winston soll ihm lediglich ausrichten, dass ihn U. G. Blaine zu sehen wünscht. Auf der Toilette im obersten Stockwerk. Au weia, denkt unser braver Mann, macht sich aber tapfer ans Erklimmen des Treppenhauses (der Lift dieses bröckelnden Gebäudes ist schon längst ausgefallen). In der Toilette steht er endlich dem Firmengründer gegenüber: dem gelblichen Dunst, der durch die Straßen und Abteilungen wabert.
Wird er diese Begegnung überleben?
~ Mein Eindruck ~
Diese Erzählung ist in gediegenstem Prosastil verfasst und ich fühlte mich sofort in selige Zeiten bzw. Seiten von Henry James oder Edgar Allan Poe versetzt. Beinahe frei von jeglicher Ironie oder gar von Zynismus, beschreibt der Chronist lediglich, was zu passieren scheint. Es ist ja seine Interpretation der Dinge, die wir lesen. Aber mit einem gehörigen Maß an Zurückhaltung gegenüber der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit und Intelligenz. Es scheint sich nicht mehr um den gleichen Frank Dominio zu handeln – falls er es überhaupt ist, denn ein Name wird nie genannt.
„Die Stadt der gelben Pest“, das könnte fortan der Name dieser Stadt sein, wenn es nach der Sensationspresse ginge. Unwillkürlich denkt jeder Horrorfreund an Poes geniale Erzählung [„Die Maske des Roten Todes“ 773 (ca. 1845) und Robert William Chambers einflussreiche Erzählungssammlung „The King in Yellow“ (1895), die unter anderem auch H. P. Lovecraft inspirierte. Der titelgebende König symbolisiert den Tod. Genau wie in Ligottis kurzer Erzählung „Die Wiederkunft der Toten“. Der Zusammenhang ist plausibel, denn Ligotti ist erwiesenermaßen ein intimer Kenner der Literatur des übernatürlichen Schreckens.
|3) Geschäfts-Auflösung: Das Alptraum-Netzwerk|
In kurzen Szenen und Dokumenten schildert dieser Text das konsequente Ende des in den ersten zwei Texten initialisierten und fortgesetzten Prozesses: die finale Selbstzerfleischung und Auflösung des SYSTEMs.
Zunächst träumen Firmengründer von grenzenlosen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, doch das Notizbuch eines Managers enthüllt, was er darunter versteht: Kannibalismus, die Zerfleischung seiner untergebenen Mitarbeiter. Einer dieser Mitarbeiter jagt sich vor versammelter Belegschaft eine Kugel durch den gequälten Schädel. Fortan, so verrät eine weitere Kleinanzeige, dürfen nur noch Genehmigte Arbeitskräfte beschäftigt werden. Doch leider legen auch diese zu viel Initiative an den Tag, und es kommt zur Einstellung von „Beschäftigungseinheiten mit autonomer oder halbautonomer Programmierung“.
Wie sich herausstellt, existieren inzwischen in den EDV-Systemen der größten Konzerne nur noch zwei Konglomerate: OneiriCon, das sich den ursprünglichen Traum zum Programm erhoben hat, und sein Gegenspieler, das Alptraum-Netzwerk, quasi seine Nachtseite. Es kommt zur Invasion in die unterirdische Domäne OneiriCons und zu grausigen Szenen der Zerfleischung. Ein weiterer Prozess wird eingeleitet: die langsame, schrittweise Durchdringung der beiden Giganten durch Doppelagenten. Am Ende steht nur ein einziger Riese – und das totale Chaos, denn nichts mehr unterscheidet Traum, Alptraum und das, was man früher als die „Wirklichkeit“ zu bezeichnen beliebte. Die Entropie hat ihr Endstadium erreicht: quasi den Kältetod des Universums …
~ Mein Eindruck ~
Hier erreicht die ätzende Kritik des Autors am American Way of Life und dem kapitalistischen System des Westens (er unterschlägt die Schwellenländer China, Indien und Brasilien) ihren Höhepunkt. Sowohl auf der geistigen, emotionalen als auch auf der körperlichen Seite bleiben nur noch Fetzen vom SYSTEM übrig.
Diese Absicht und das Verfahren belegen die Äußerungen des Autors im folgenden Nachwort. Der einzige Minuspunkt dieses Textes: So etwas wie Handlung oder gar konkrete Akteure sucht man vergebens. Wenigstens gibt es eine Entwicklung.
|Das Nachwort: Das ultimate Objekt des Abscheus|
Der Autor Thomas Wagner hat zusammen mit Eddie Angerhuber zwei Interviews mit dem Autor geführt und sie mit anderen Aufsätzen und Informationen ergänzt. Daraus ist ein wirklich hilfreiches und erhellendes Nachwort geworden, dessen Quellen zudem einzeln belegt sind.
Wagner schreitet vom Allgemeinen zum Besonderen. Er tastet sich zunächst von einem allgemeinen Eindruck von Ligottis Spielart des Supernatural Horrors zu dessen Biografie und Werk vor. Ligottis Horror unterscheidet sich signifikant von dem, was gemeinhin als Horror-Genre auf den Markt geworfen wird. Während die Erfolgsautoren das Böse mit Schrecken in die Welt der Normalen einbrechen lassen, um sich nach Konflikt und Erlösung wieder dorthin zu entlassen, versinkt der von vornherein neurotische Protagonist in zunehmend beängstigenden und beunruhigenden Schichten des Wahns. Das erinnert an Poe und Lovecraft, aber in seiner Absurdität und Erklärtheit auch an Kafka – allesamt erklärte Vorbilder Ligottis.
Aus dem Wahn, der über dem Kopf des Helden zusammenschlägt, gibt es kein Entrinnen, keine irgendwie geartete Erlösung. Im „Alptraum-Netzwerk“ ändert sich etwas an diesem Verlauf. Es gibt ein konkretes Feindbild für den Protagonisten Frank Dominio: Corporate America. Deshalb auch der ursprüngliche Untertitel „Three Tales of Corporate Horror“. Doch Frank gelingt es keineswegs, Corporate America umzunieten, sondern er stößt vielmehr auf etwas noch viel Schrecklicheres, das an das Lovecraftsche Grauen des Nichts erinnert: das Große Schwarze Schwein umfasst Frank. Er befindet sich permanent im Alptraum, nicht der Alptraum in ihm. Und zwar permanent.
Diese drei Erzählungen werden im abschließenden Abschnitt detailliert vorgestellt und diskutiert, besonders auch mit Einlassungen seitens des Autors. Er meint wirklich ernst, was er schreibt, und hält mit seiner ätzenden Kritik an der westlichen (amerikanischen) Gesellschaft nicht hinterm Berg. Darin ist er europäischen Autoren wie Kafka viel näher als etwa Ramsey Campbell oder Joe Lansdale.
|Die Übersetzung|
Monika Angerhuber hat sich wirklich und sichtbar angestrengt, um eine erstklassige Übersetzung abzuliefern – ich hoffe, sie wurde dafür anständig entlohnt. Dennoch bin ich hin und wieder über Fehler gestolpert, manche harmlos, manche weniger leicht.
Auf Seite 20 finden wir in der ersten Zeile zweimal das Wörtchen „mit“. Auf Seite 34 stieß ich auf die Formulierung „vom praktischen Standpunktes der Fahrzeit …“. Offenbar wurde hier korrigiert, dies aber nicht ganz sauber zu Ende geführt. Auf Seite 38 finden wir das hübsche Wort „Drogierie“ – was mag es bedeuten? Es ist offenbar auf einen Flüchtigkeitsfehler zurückzuführen, wie so vieles andere, das ich hier gar nicht aufzählen will.
Auf Seite 111 rätselte ich lange über folgenden Satz, mich fragend, wo der Fehler liegt: „[Kerrie] stürzte auf ihre Sportjacke zu, die ein dumpfes Geräusch erzeugt hatte, als sie ihn zu Boden warf.“ Dumm nur, dass zuvor an keiner Stelle erwähnt wird, dass Kerrie den Maskenmann zu Boden wirft. Dieser steht vielmehr steif und stumm da. Also wo ist der Fehler? Ganz einfach: Es muss „als sie sie (= die Jacke) zu Boden warf“ heißen.
Auf Seite 139 stieß ich auf einen Logikfehler. „Dieser Plan … würde die erhöhten Gewinne erklären, die Blaine im letzten Vierteljahr umgesetzt hatte.“ Gewinne werden aus dem Umsatz qua Einnahmen vs. Ausgaben generiert, aber nicht selbst „umgesetzt“.
Das Druckbild fand ich ziemlich anstrengend. Da die Absätze und Dialoge eh schon selten sind, hätte man die ellenlangen Zeilen gerne kürzer machen können. So aber watet der Leser durch seitenlange Absätze, die von nichts unterbrochen werden, ganz besonders in der mittleren Erzählung.
_Unterm Strich_
Man kann leicht eine Überdosis von Ligotti bekommen, denn in seinen Texten gibt es keine aufhellenden Partien, die eine Erlösung aus dem Alptraum des Protagonisten erhoffen lassen. Die 42.000 Worte lange Novelle „Meine Arbeit ist noch nicht erledigt“ tut so, als ginge es um einen „gewöhnlichen“ Serienmörder, aber dabei vertieft sich der Alptraum, bis im Showdown alles nur noch schlimmer statt besser wird. Stilistisch ist man an Stephen King erinnert, wenn er mal einen bösen Tag hatte, mehr aber noch an Lovecraft, besonders durch die psychologischen Details, die wir vom Protagonisten erfahren, und im Schluss.
Die zweite Erzählung „Ich habe einen speziellen Plan für diese Welt“ erinnert noch stärker an den Magier aus Providence, aber auch an Orwell (Harry Winston) und besonders Poe und Chambers (s. o.). Im dritten Text – ich sträube mich, dies eine Erzählung zu nennen – wirft der Autor einen Blick in die Kristallkugel und sieht nichts als Chaos, Panik und Entropie voraus – wen wundert’s?
Dies ist weder Literatur der Erbauung noch der Unterhaltung, es ist Literatur des Zorns und des Hasses, gekleidet in stilvolle Texte. Ich war stets in Versuchung, mir die zahlreichen Szenen als Comicbook vorzustellen, nicht als expressionistischen Film – das funktioniert erstaunlich gut. Sollte mich wundern, wenn Alan Moore oder ein anderer Comicbook Artist sich dieses Sujets nicht irgendwann mal annehmen würde. Alle anderen, die die Welt nicht so schwarz und deprimierend sehen wollen wie Thomas Ligotti, sollten die Finger davon lassen und sich etwas Unterhaltenderes reinziehen.
Hinweis: Das Buch gibt es auch als MP3-Audio bei [Lagato.]http://www.lagato-verlag.de
|Originaltitel: My work is not yet done, 2002
Aus dem US-Englischen von Monika Angerhuber
172 Seiten
ISBN-13: 978-3-89840-922-8|
http://www.blitz-verlag.de
http://www.ligotti.de.vu
Wie ist unser Sonnensystem entstanden und was wissen wir heute über das Universum? Welche Sternbilder kann ich am Himmel sehen und gibt es Leben auf anderen Planeten? „Der große Weltraum-Atlas“ soll Licht in diese Geheimnisse des Universums bringen und lädt auf eine spannende Entdeckungsreise ein. Er soll ein umfassendes Nachschlagewerk für alle sein, die sich für Schwarze Löcher, Raumsonden, Mondlandungen und die Weiten des Alls interessieren. Dabei setzt das großformatige Werk vor allem auf visuelle Präsentation, die das Verständnis erleichtern soll: 800 Fotos, Abbildungen sowie Sternkarten bieten eine Fülle von Informationen.
_Der Autor_
Mark A. Garlick ist Doktor der Astrophysik und war mehrere Jahre lang in der Forschung tätig. Heute ist er freischaffender Autor mit dem Spezialgebiet Astronomie und einer der ganz wenigen und herausragenden Illustratoren auf diesem Gebiet. Sein fachlicher Berater heißt übrigens Dr. John O’Byrne.
_Inhalte_
Das Buch ist in vier Abschnitte eingeteilt:
1) Das Sonnensystem
2) Das Universum
3) Himmelsbeobachtung
4) Erforschung des Weltalls
Die Abschnitte 1 und 2 präsentieren die passive Beschreibung, die Abschnitte 3 und 4 aber die aktive Beobachtung und Erforschung. Diese Einteilung lässt sich leicht nachvollziehen. Aber wie sieht sie im Einzelnen aus?
|Abschnitt 1: Das Sonnensystem|
Unser Sonnensystem besteht nicht nur aus den bekannten Planeten, ihren Monden und der Sonne. Nein, es kommen auch der Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter sowie der Kuiper-Gürtel jenseits des Neptun hinzu. Sehr gut fand ich hier, wie die einzelnen Planeten und Monde (manche Jupiter- und Saturnmonde sind Miniatur-Erden) mit Fotomaterial dargestellt werden, insbesondere auch Fotos von der Rückseite des Mondes, die nur Sonden zu sehen bekommen. Überall sind die Landungsstellen von Sonden eingetragen.
Zu jedem Planeten gibt es auch ein Bild von einer mythologischen Figur, die dem Planeten ihren Namen lieh: Neptun, Jupiter, Mars, Merkus, Venus, Saturn, Uranus, Pluto. Doch was ist mit der Erde und dem Mond? Der Mond ist Diana bzw. Selene zugeordnet, der Mondgöttin, die Erde einer sumerischen Erdgöttin. Man könnte sie auch Gaia oder Gäa nennen. Etwas zweifelhaft fand ich jedoch, dass der Sonne Apollo zugeordnet wurde. Er ist zwar der Lichtgott der Griechen gewesen, aber die Sonne verkörperte der Gott Helios, wie man bei Homer nachlesen kann.
Die Kometen, Meteore, Meteorschwärme und Kleinplaneten kommen nicht aus dem Inneren und Äußeren Sonnensystem, sondern aus der Oortschen Wolke, die das Sonnensystem wie eine Kugel umschließt. Kometen (von griech. „koma“: Haar) und Meteorschwärme nähern sich der Sonne und somit der Erde mitunter stark an, verglühen aber in der Regel in der Atmosphäre. Das Buch sagt ganz allgemein, dass Kometen aus Eis und Gestein bestehen, Meteore aber nur aus Gestein, z. B. Nickeleisen. Zu den Zwergplaneten zählt inzwischen auch Pluto.
Zum Inneren und Äußeren Sonnensystem findet sich je eine Doppelseite mit Übersichten, Zusammenfassungen, wichtigen Zahlen, Rekorden und diversen Ereignissen wie etwa Landungen. Auch die Geschichte der Entdeckungen ist kurz zusammengefasst.
|Abschnitt 2: Das Universum|
Im Sonnensystem finden sich nicht die einzigen Planeten des Weltalls. Eine Doppelseite listet Planeten in anderen Sternsystemen auf, und das sind schon eine ganze Menge. Einige der schönsten Fotos, die das Hubble-Teleskop geschossen hat, sind die von Nebeln, wie etwa vom Pferdekopfnebel. Wunderbar dreidimensional sind Gaskaskaden herausgearbeitet.
Unter den Sternen ist Sol nicht der größte. Es gibt Sterne wie Rigel, der 50-mal so groß ist und 40.000 Mal heller strahlt: ein Blauer Überriese. Der Rote Überriese Antares ist 700-mal so groß wie Sol. Die Übersicht macht die Größenverhältnisse sinnfällig deutlich. Auch das Leben eines Sterns bis zu seinem Tod wird erläutert. Nach den Veränderlichen Sternen sind die Supernovas dran, die zu den spektakulärsten Objekten in der Radioteleskopie zählen. Die Supernova des Krebsnebels wurde 1054 von den Chinesen beobachtet. Entstehung, Verlauf und Folgen einer Sternexplosion werden leider nur sehr knapp erklärt.
Die Einheiten werden größer. Man unterscheidet Offene Sternhaufen, die in den Spiralarmen der Galaxien vorkommen, und Kugelsternhaufen, die außerhalb der Galaxie zu finden sind und ihren Halo bilden. Nach einer weiteren Seite mit Übersichten und Zusammenfassungen findet man folgerichtig Darstellungen unserer Milchstraße und anderer Galaxien. Dass diese nicht immer spiralförmig oder elliptisch sein müssen, hat mich überrascht. Es gibt auch „irreguläre“ und Zwerggalaxien.
Witziges Szenario: In etwa drei Milliarden Jahren wird unsere Milchstraße mit der Andromeda-Galaxie (M31) kollidieren. Galaxien lassen sich wie Sterne zu Galaxiehaufen zusammenfassen, auch zu Superhaufen. Zu unserer lokalen Gruppe zählen mindestens 45 Galaxien.
Recht theoretisch und spekulativ sind die Darstellungen von Schwarzen Löchern und dem Urknall des Universums. Es ist verständlich, dass über die Dunkle Materie, die sechsmal mehr Masse ausmacht als die sichtbare, nur auf der Übersichtsseite etwas zu finden ist – ein paar Zeilen. Ebenso kurz ist die Bemerkung über die Dunkle Energie, von der man noch weniger weiß. Sie wirkt der Schwerkraft entgegen und beschleunigt die Ausdehnung des Universums. Es muss sie geben, sonst würde das Weltall wieder zu einer Singularität zusammenstürzen und erneut einen Urknall hervorbringen (pulsierendes Universum). Tatsache ist aber, dass es sich pausenlos ausdehnt.
|Abschnitt 3: Himmelsbeobachtung|
Von den fernsten Dingen zu den nächstliegenden: Fernrohren. Mit diesem scheinbar einfachen optischen Gerät lassen sich immer noch spektakuläre Entdeckungen machen, so etwa 1997 den Kometen Hyakutake. Für die Beobachtung von Mond und Sonne gibt das Buch Tipps und im Falle einer Sonnenfinsternis auch Tipps für Vorsichtsmaßnahmen, damit der Beobachter nicht erblindet.
Die Beobachtung der Planeten ist etwas kniffliger, weil sie kleiner sind. Aber da sie geordneten Bahnen folgen, kann man mit bloßem Auge ohne weiteres fünf Planeten entdecken, mit einem guten Fernrohr sogar sieben sowie die Jupitermonde. Reizvoller noch finde ich die Sternbilder. Die zwölf Tierkreiszeichen sind zu finden und je nach nördlicher oder südlicher Hemisphäre auch etliche weitere. Es gab Zeiten, in denen weitere Sternbilder erfunden wurden. Und je nach Kultur werden sie auch anders bezeichnet; im Großen Wagen sahen die Sioux beispielsweise ein Stinktier. Die Konstellationen verändern ihre Form, weil die Teilsterne sich weiterbewegen.
Weitere Seiten erklären dem angehenden Pfadfinder, wie man Süden und Norden erkennt, um sich bei Nacht zu orientieren. Das ist beim Südpol schwierig, denn er ist nicht mit einem Stern wie dem nördlichen Polarstern verbunden, sondern liegt irgendwo im Nichts. Wie man Sternkarten liest, fand ich ebenfalls interessant. Gigantische Karten stellen die Sterne dar, die zu den vier Jahreszeiten im Norden bzw. dem Süden zu sehen sind: acht Doppelseiten!
|Abschnitt 4: Erforschung des Weltalls|
Die Erforschung begann mit den ersten Beobachtungseinrichtungen. Interessant ist, dass auch Stonehenge als eine Art Observatorium aufgezählt wird. Natürlich haben auch Hochkulturen wie Babylonien, Ägypten und China erste Astronomiedaten gesammelt. In Mesopotamien wurde immerhin die Mathematik entwickelt. Leider fehlt die Himmelsscheibe aus dem deutschen Ort Nebra.
Das Weltall wurde in der Renaissance und Neuzeit anders betrachtet als im Mittelalter: Große Astronomen wie Kopernikus, Galilei halfen, aus dem geozentrischen ein heliozentrisches Sonnensystem zu machen. Statt Johannes Kepler wird der kupfernasige Däne Tycho Brahe aufgezählt (obwohl der dem heliozentrischen Weltbild deutlich misstraute). Die Reihe endet mit Newton, was ich etwas unfair finde.
Mit Riesenschritten geht es mit Hilfe von Sonden und diversen Großteleskopen immer weiter hinaus in die Tiefen des Alls. Doch bis zu den ersten Spaziergängen im All und auf dem Mond dauert es noch eine Weile. Raumsonden sind der verlängerte Arm des Menschen, um das All zu erkunden. Dass das Buch vor dem Januar 2008 entstand, lässt sich an den Startterminen für die nächsten Sonden ablesen, die ab 1/08 alle in der Zukunft liegen.
Sind wir allein im All? Diese Frage beschäftigt uns nach wie vor. Schiaparelli fand „Kanäle“ auf dem Mars und zeichnete eine recht kuriose Karte. Programme wie SETI suchen Leben und erdähnliche Planeten, doch in unserem Sonnensystem besitzen nur noch Venus und der Saturnmond Titan dichte Atmosphären, in denen ein Mensch landen könnte. Gibt es dort Leben? Die Suche geht dort ebenso weiter wie auf dem Jupitermond Europa, den eine dicke Eisschicht bedeckt, unter der sich ein Wasserozean befinden könnte. Die Darstellungen außerirdischer Lebensformen sehen etwas kurios aus.
Vor dem GLOSSAR mit Fachbegriffen liefert eine Doppelseite die übliche Zusammenfassung und Übersicht, darunter eine Liste mit Ereignissen zum „Weltall ins All“ – wobei natürlich die Amis die Nase vorn haben. Wesentlich interessanter fand ich die Erwähnung des 2013 startenden James-Webb-Weltraumteleskops, welches das veraltete Hubble-Teleskop ersetzen wird. Nach dem Glossar folgt das Register. Dieser Stichwortindex erleichtert das Finden von Begriffen enorm und gehört zu jeder wissenschaftlichen Buchpublikation.
_Unterm Strich_
Die Fülle des auf etwa 120 Seiten präsentierten Materials und Wissens erscheint zunächst überwältigend, erweist sich aber für einen jahrelang mit Astronomie und der Raumfahrt befassten Laien wie mich als doch schon ziemlich bekannt. Sicher, es ist hat etwas für sich, all die wunderbar spektakulären Objekte wie etwa die Ringe des Saturn oder Supernovae in den prächtigsten Farben geboten zu bekommen, aber wie neu ist das denn? Selbst der Kuipergürtel ist seit 1992 bekannt.
Nein, dieser Weltraum-Atlas ist etwas für Einsteiger, insbesondere im jugendlichen Alter, in dem man besonders leicht beeindruckbar ist. Sie werden auch weitestgehenden von Fremdwörtern und Fachjargon verschont. Fortgeschrittene Laien finden in einem Buch von Stephen Hawking oder Markus Chown mehr theoretische Anregungen, die weiterführen.
|Neues?|
Man muss schon in den didaktisch sehr willkommenen Übersichten zu jedem Abschnitt suchen, um etwas wirklich Neues zu finden. Dazu gehören die Dunkle Materie, die Dunkle Energie, bislang entdeckte Exoplaneten sowie Starttermine für künftige Sonden, Teleskope und Raumfahrtprogramme. Da kommt noch einiges, auf das wir uns freuen können.
|Patriotisch?|
Der Eindruck sollte nicht entstehen, dass der amerikanische Autor und sein Autor auf patriotische Weise dafür gesorgt hätten, dass die sowjetische Leistungen in der Raumfahrt verschwiegen oder herabgesetzt würden. Das ist nicht zutreffend, wie die entsprechende Überblicksseite belegt. Unter den „Rekorden“ sind mehrere Russen zu finden sowie die russische Raumstation |Mir|. Auch im „Wettlauf ins All“ sind die Sowjets gut vertreten.
Dass so wenige andere Nationen wie die Europäer auf den Fotos vertreten sind, liegen wohl eher an den Rechten, mit denen manche Foto-Datenbanken ausgewertet werden konnten. Unter diesen Datenbanken hat wohl die NASA eines der größten Archive überhaupt. Die Autoren wollen den Eindruck hinterlassen, dass der Weltraum ebenso wie die Raumfahrt alle Erdenbürger angeht, und das ist eine gute Einstellung.
|Originaltitel: Atlas of the Universe, 2007
Aus dem US-Englischen von Manfred Wolf
128 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-570-13496-2|
http://www.cbj-verlag.de
Mehr Informationen, mehr Essen, mehr Sachen, mehr Statussymbole. Heute gibt es von allem mehr, als wir jemals nutzen, genießen oder uns leisten können. Trotzdem rücken wir in der Überflussgesellschaft keinen Millimeter von der ältesten Überlebensstrategie der Menschheit ab: zu horten. Wir wollen immer mehr, auch wenn es uns krank, müde, übergewichtig, unzufrieden und arm macht. Die Welt des Überflusses zerstört jedoch unsere persönlichen Ressourcen ebenso gründlich wie die unserer Heimatwelt. (abgewandelte Verlagsinfo) Naish zeigt uns die Probleme ebenso wie die Strategien, wie wir sie bewältigen können. Praktische To-do-Listen helfen den Betroffenen ganz konkret – sofern sie sie beherzigen.
Ein psychotischer Mörder inszeniert seine Morde, als würde er ein Theaterstück für die Öffentlichkeit aufführen, möglichst publik und vor großem Publikum. Alex Cross, jetzt nur ein Psychotherapeut, und seine Freundin Brianna Stone, eine Kripobeamtin, haben viel zu tun, um die Morde zu verstehen. Schnell werden zwei Aspekte deutlich: Der Audience Killer von DC, kurz DCAK, arbeitet nicht allein, und er überwacht sowohl Alex als auch Brianna. Zudem hat er Nachahmer, die erheblichen Schaden anrichten.
Als Alex erfährt, dass es seinem altem Feind Kyle Craig gelungen ist, aus einem Hochsicherheitsgefängnis in Colorado zu entkommen, macht er sich Sorgen um Brianna und seine Familie, denn der psychopathische Craig will sich garantiert an ihm rächen. Alex tritt der Kripo bei und steckt bald mitten drin. Da trifft Craig in Washington, D.C., ein und verbündet sich mit seinem Verehrer DCAK. Alex wagt sich kaum vorzustellen, wozu diese beiden Irren wohl imstande sein könnten …
Der Originaltitel „Double Cross“ ist doppeldeutig. Normalerweise bedeutet es, jemanden doppelt zu täuschen, etwa als Doppelagent. Gemeint ist auch ein doppeltes Kreuz. Diesmal bedeutet es aber, dass Alex Cross von gleich zwei Mördern aufs Korn genommen wird.
_Der Autor_
James Patterson, ehemaliger Besitzer einer Werbeagentur, ist der Autor zahlreicher Nummer-1-Bestseller. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt. Für Einsteiger sei gesagt, dass Alex Cross ein sympathischer schwarzer Polizeipsychologe ist, der mit seiner Familie in Washington, D.C., lebt. Seine Actionreihe „Maximum Ride“ kommt demnächst über |Columbia Pictures| unter der Produktion des |Marvel|-Geschäftsführers Avi Arad als Filmreihe in die Kinos.
Patterson ist extrem fleißig. Sein letzter Solo-Roman vor „Blood“ in Deutschland hieß „Ave Maria“, ein Alex-Cross-Roman. Davor erschienen neue Alex-Cross-Romane mit den Titeln „The Big Bad Wolf“ und „London Bridges“. Im Original ist bereits „Double Cross“ erschienen. Seit 2005 sind weitere Patterson-Kooperationen veröffentlicht worden, darunter „Lifeguard“ sowie „Judge and Jury“; im Juli 2007 erschien die Zusammenarbeit „The Quickie“ (deutsch „Im Affekt“, 2008). Im Frühjahr 2003 (deutsch Mitte 2005) erschien auch eine Kollaboration mit dem Titel „Die Rache des Kreuzfahrers“ („The Jester“), deren Story im Mittelalter spielt.
Nähere Infos finden sich unter http://www.twbookmark.com und http://www.jamespatterson.com. Patterson lebt mit seiner Familie in Florida und Westchester, New York.
Mehr von James Patterson auf |Buchwurm.info|:
[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Blood“ 4835
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Der 1. Mord“ 5247
[„Die 5. Plage“ 5376
[„Die 6. Geisel“ 5412
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47
_Handlung_
Der Audience Killer inszeniert seine erste „Story“ in dem netten Apartmenthaus, das in einem der besseren Viertel Washingtons liegt. Hier wohnt die Krimiautorin Tess Olsen. Er weiß, dass die Lady eine Biographie des brillanten Mörders Kyle Craig schreiben will und diesen sogar schon in seinem Hochsicherheitsgefängnis in Colorado besucht hat. Wie er Kyle Craig, den früheren FBI-Agenten, bewundert! Solche brillanten Morde schafft heute kaum noch einer. Höchstens er selbst.
Und er bemüht sich wirklich. In das überwachte Haus zu kommen, erweist sich als Kinderspiel, weil der Müll von einem einzelnen Bediensteten zu immer der gleichen Tageszeit rausgebracht wird. Der unbewachte Eingang ist schnell überwunden, die Treppen sind frei, und schnell ist die Apartmenttür der lieben Tess gefunden. Gut, wenn man schon eine Generalprobe erfolgreich absolviert hat. Das macht vieles leichter. Doch jetzt kommt die Nagelprobe: Wird die liebe Tess einem Handwerker öffnen, den sie gar nicht kennt?
Worauf man sich verlassen kann. So eine Handwerkeruniform hat noch jeden getäuscht. Flugs ist die liebe Tess außer Gefecht gesetzt, von ihren Kleidern befreit und an die Leine gelegt. Sie versucht, sich freizukaufen, doch das nützt nichts. Er hängt die moderne Lady Godiva über das Geländer ihres kleinen Balkons, bis die Leute von der Straße sich nach dem Ursprung der Schreie umsehen. Ja, wer hätte gedacht, dass sich in dieser ruhigen Gegend solch ein Schauspiel inszenieren ließe. Eine gaffende Menge sammelt sich unten auf der Straße. Zum Glück hat er alles auf Video aufgezeichnet. Und nun die Hauptattraktion des Abends, Ladies and Gentlemen: die fliegende Lady Godiva …
|Cross|
Alex Cross ist nicht mehr bei einer der Strafverfolgungsbehörden der Stadt oder des Bundes, sondern übt wieder seinen ersten Beruf als Psychotherapeut in seiner eigenen Praxis aus. Heute hat er es allerdings geschafft, mit seiner Freundin, der Polizistin Brianna Stone, aufs Land hinauszufahren und an einem Bergsee zu kampieren. Alles ist zu beider größter Zufriedenheit, ganz besonders der Sex. Bis Briannas Pager piepst und sie zum Dienst ruft. Irgendein Irrer hat eine Krimiautorin umgebracht. Bizarr. Cross fährt sie mit seinem Mercedes-Rover, auf den er sehr stolz ist, direkt zum Tatort.
Brianna Stone lässt sich einweisen, und bald folgt ihr Cross, der über die Menge vor dem Haus ein wenig besorgt ist. Ein Killer, der ein Publikum anlockt, um einen Mord zu begehen – das gab es bislang wohl kaum. Am Tatort wird er durchgelassen, denn die Beamten kennen ihn alle von früher, und zudem ist er mittlerweile landesweit bekannt. Nicht zuletzt durch seine Bücher. Zusammen mit Brianna durchsucht er alle Räume. Ihm fallen die unsignierten Hallmark-Postkarten auf. Erst später kommt er auf den Zusammenhang. Sie stammen aus Kansas City, abgekürzt KC – die Initialen von Kyle Craig.
Wesentlich interessanter als Postkarten ist jedoch ein Video, das der Täter ihnen hinterlassen hat. Cross staunt: Der Typ hat doch tatsächlich seine ganze Tat von A bis Z gefilmt. Ganz so, als inszeniere er seine eigene Show. Und ganz am Schluss wendet er sich direkt an Dr. Cross! Ganz so, als wolle er ihn herausfordern, doch mal zu versuchen, ihn zu schnappen. Es stellt sich heraus, dass der Audience Killer noch ganz am Anfang seiner „Karriere“ steht.
Die Nachricht, dass es Kyle Craig, dem er zu einem Freifahrschein ins Kittchen verholfen hat, gelungen ist, mit Hilfe seines Anwalts zu entkommen, trägt nicht gerade zur Beruhigung von Alex‘ Nerven bei. Nun sieht er sowohl sich, Brianna als auch seine Familie im Fadenkreuz dieses psychopathischen Killers. Was, wenn sich Kyle Craig mit seinem erklärten Bewunderer, dem Audience Killer, in Washington träfe, um gemeinsame Sache mit ihm zu machen? Aber wie er Craig kennt, hält sich Mastermind Craig für einen viel zu tollen Hecht, um Konkurrenz neben sich zu dulden.
_Mein Eindruck_
Nach dem ziemlich lahmen „Ave Maria“-Fall in Hollywood und den Mordfällen in „Blood“ ist Alex Cross wieder in alter Stärke zurück. Der Autor hat sich wohl seine fallenden Verkaufszahlen angeschaut und sich gesagt, er müsse sich mehr anstrengen. Das belegt jedenfalls die Stärke des vorliegenden Falls. Natürlich kann man sich sagen, dass es ein todsicheres Rezept gibt, um einen Thriller doppelt so gut zu machen machen wie den vorherigen: Man lässt zwei Serienmörder auftreten statt nur einen.
|DCAK|
Während wir von Kyle Craig nur die gewohnten Psaychopathenvorstellungen geboten bekommen, erweist sich der Audience Killer als eine wesentlich interessantere Erfindung. Der Typ tötet nur vor einem größeren Publikum, und je größer dieses ist, desto besser. Ein Kino – guter Platz! Ein Theater – noch besser! Die Leute im Publikum werden denken, der blutige Mord auf offener Bühne gehöre zum Stück – harhar! Der alte Shakespeare hat dafür jede Menge gute Szenen geschrieben.
|Psychologie|
Der „Publikumsmörder“ oder DCAK hält der mediengeilen und vergnügungssüchtigen amerikanischen Öffentlichkeit den Spiegel vor. Ihr wollt Blut, ihr wollt Mord, ihr wollt Tränen? Ich gebe sie euch! Und wenn die Medien auch nur wittern, dass es von diesen wertvollen Rohstoffen ein Tröpfchen geben soll, das sie dem lechzenden Publikum stolz apportieren können, dann fallen sie über den Ort des Geschehens, pardon: der Lieferung begierig her. Braves Hundchen.
Dies Sätze stammen nicht etwa von mir, sondern aus dem Buch. Doch der Autor legt sie nicht etwa den Mördern ins Hirn, sondern Alex Cross. Schließlich ist die sympathische Hauptfigur ja auch Psychologe und weiß sowohl ein krankes Hirn zu untersuchen wie auch eine seelenkranke Gesellschaft. Manchmal fragt sich der Leser, wer nun psychopathischer ist: die Mörder oder seine Opfer. Und er findet natürlich Trittbrettfahrer, die ihn imitieren. Er macht kurzen Prozess mit Plagiatoren.
|Technik|
Diesmal hat der DCAK-Killer sogar seine eigene Webseite eingerichtet, um mit seinen Taten und Fotos zu prahlen. Er lässt sich in geheimen Chat-Foren von seinen Fans gehörig feiern. Nicht wenige darunter halten allerdings Kyle Craig für den unübertroffenen Großmeister des Serienmordes. Daran muss DCAK noch arbeiten. In diesem Band spielt erstmals die modernste Kommunikationstechnik eine Rolle: das Internet mit seinen Foren etc., Mobiltelefone mit Kameras zum Fotografieren sowie Displays zum Anzeigen empfangener Fotos – alles nichts Neues mehr, klar, aber doch erfrischend up-to-date in Pattersons Thrillern.
|Der Sinn und Zweck|
Was soll das Ganze, fragt sich der Leser zusammen mit Stone und Cross. Wie schon angedeutet, wendet sich der DCAK-Mörder direkt an Dr. Cross. Dies ist eine Herausforderung an den Fachmann und Mörderjäger Cross, aber auch an seinen Boss, das Polizei-Department von Washington (DCPD) und somit auch an Brianna Stone. Der Publikumsmörder legt es zusammen mit seiner Komplizin darauf an, die ganze Polizei bloßzustellen.
Je länger die Suche nach ihm ergebnislos verläuft, desto schlechter steht die Polizei da. Und statt selbst Jäger zu sein, macht der Publikumsmörder nun zusammen mit Kyle Craig Jagd auf die beiden. Die Hirten sind zu Schafen geworden. Wirklich? Wie das fulminante Finale ausgeht, soll hier nicht verraten werden. Eins ist aber sicher: Alex wird weiterhin das zweifelhafte Vergnügen von Kyle Craigs Gesellschaft haben. Das sorgt hoffentlich für entsprechende Thriller.
_Unterm Strich_
Auch dies ist kein Thriller für zartbesaitete Leser. Die Opfer sind durchweg unschuldige „Zivilisten“, und viele von ihnen bekommen vor dem Tod noch ein ordentliches Spektakel geboten. „Spektakel“ ist das Schlüsselwort für den Audience Killer: Er inszeniert seine „Story“-Morde stets vor großem Publikum, als sei er ein Künstler des Mordes. Im Internet lässt er sich für seine „Kunst-Werke“ auch noch loben. Und die sensationsgeilen Medien instrumentalisiert er, um die maximale Reichweite und Wirkung seiner „Kunst-Werke“ zu erzielen. Das ist ungefähr das gleiche, als würde Damien Hirst einen weiteren Totenschädel mit Platin und Brillanten besetzen.
Vielleicht wollte James Patterson, wie schon des öfteren, wieder mal die nahezu pathologische Sensationsgier der US-Medien kritisieren. Besonders Dokumentationen über Serienmörder und Forensiker erfreuen sich großer Beliebtheit. Diesmal versucht er die Schattenseiten dieser Neugier und der sie bedienenden Medien zu beleuchten: Diese Mörder bedrohen auch Familien und Fernsehzuschauer.
Andererseits ist er verpflichtet, den Leser zu unterhalten. Dazu lässt er die beiden Mörder brutal zuschlagen. Es ist aber eine Sache, solche Morde zu schildern, und eine andere, den Leser sich daran aufgeilen zu lassen. Genau dies versucht der Autor durchweg zu vermeiden. Als beispielsweise Alex Cross eine der Täterinnen mit dem Auto quer durch Washington verfolgt, mutet dies zwar ungeheuer spannend an, doch letzten Endes führt die Verfolgte ihren Jäger nur im Kreis und an der Nase herum. Die Verfolgungsjagd, ein Topos in jedem Thrillerfilm, ist nur eine Farce. Ätsch!
Hinweis: Sein nächster Fall führt Alex Cross nach Afrika.
|Originaltitel: Double Cross (Alex Cross 13)
Originalverlag: Little, Brown & Co., New York 2007
Aus dem Amerikanischen von Leo Strohm
Taschenbuch, Broschur, 384 Seiten
ISBN-13: 978-3-442-37204-1|
http://www.blanvalet-verlag.de
http://www.jamespatterson.com
Ein Mann erschießt zwei Schulkinder, verletzt ein drittes schwer und tötet sich anschließend selbst. Alles an diesem Amoklauf erinnert die Bewohner des Städtchens South Queensferry an das Massaker von Dunblane. Sie fragen sich: Was hat den ehemaligen Elitesoldaten Lee Herdman nur zu dieser Tat getrieben? Inspector John Rebus von der Kripo Edinburgh ahnt beim Auftauchen von zwei Militärermittlern, dass der Fall noch weitere Rätsel birgt. Die Suche nach den Hintergründen führt ihn nicht nur zu den kriminellen Jugendlichen der kleinen Stadt, sondern in die eigene Vergangenheit beim Militär. Aber je näher er der Wahrheit kommt, desto dunkler wird der Abgrund, in den er blickt. (abgewandelte Verlagsinfo)
_Der Autor_
Sir Ian Rankin gehört zu den wichtigsten Kriminalschriftstellern der britischen Insel. Sein Inspektor Rebus macht die schottische Hauptstadt Edinburgh nun schon in zahlreichen Abenteuern sicherer – soweit man ihn lässt! Für „Die Kinder des Todes“ wurde Rankin mit dem Deutschen Krimipreis 2005 ausgezeichnet. Die englische Königin verlieh ihm für seine Verdienste um die Literatur den „Order of the British Empire“. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh.
Ian Rankin auf |Buchwurm.info|:
[„Verborgene Muster“ 956
[„Das zweite Zeichen“ 1442
[„Wolfsmale“ 1943
[„Ehrensache“ 1894
[„Ein eisiger Tod“ 575
[„Das Souvenir des Mördern“ 1526
[„Die Sünden der Väter“ 2234
[„Puppenspiel“ 2153
[„Die Tore der Finsternis“ 1450
[„So soll er sterben“ 1919
[„Im Namen der Toten“ 4583
[„Eindeutig Mord“ 5063
[„Der diskrete Mr. Flint“ 3315
[„Ein Rest von Schuld“ 5454
_Handlung_
Detective Sergeant (DS) Siobhan Clarke wundert sich über ihren Vorgesetzten Detective Inspector John Rebus: Seine Hände sind verbrüht. Oder verbrannt? Er lässt sich immer neue Erklärungen einfallen, was sie nicht gerade beruhigend findet. Ebenso wenig wie der Umstand, dass er denjenigen Mann besucht, der sie, Siobhan, seit Wochen piesackte – und der nun verbrannt in seiner Wohnung aufgefunden wird. Wenige Stunden, nachdem Rebus ihn verließ. Hat Rebus etwas mit dem Brand zu tun? Das fragen sich auch seine Vorgesetzten und suspendieren ihn nach wenigen Tagen vom Dienst. Die Sache ist ein gefundenes Fressen für die Sensationsreporter wie Steve Holly, der sich an die Fersen der Bullen geheftet hat. Ebenso wie Holly liebt es auch der Politiker Jack Bell, die Polizei als unfähig hinzustellen.
Und jetzt wird schon wieder ein grausiger Fall von Waffenmissbrauch entdeckt. Ein Amokläufer ist in die Schule des Städtchens South Queensferry eingedrungen, hat zwei der Schüler mit Kopfschüssen exekutiert und einen dritten – den Sohn von Jack Bell – schwer verletzt, bevor er sich selbst richtete. Alle halten Lee Herdman, den Täter, für durchgeknallt, aber Rebus ist insgeheim anderer Ansicht. Hätte ein Irrer derart präzise Kopfschüsse abfeuern können? Andererseits war Herdman ein ehemaliger Elitesoldat, der beim Special Air Service (SAS) diente, was dem Pendant zur deutschen GSG9 entspricht. Rebus wollte selbst vor Jahren mal in diese Truppe aufgenommen werden, bestand aber die unmenschliche psychologische Prüfung nicht.
Rebus ist auch durch eines der Opfer in den Fall verwickelt: Derek Renshaw war der Sohn seines Cousins Allan, mit dem er in seiner Kindheit spielte. Dereks Schwester Kate setzt sich nun gegen Waffenmissbrauch ein und unterstützt die Kampagne von Jack Bell. Rebus warnt sie als gutmeinender Onkel, doch sie hört nicht auf ihn. Das zweite Opfer war der Sohn eines Richters, doch dieser Vater bewahrt nach wie vor Haltung. Als Rebus herausfindet, dass an der Schule Waffen gelagert wurden und die älteren Schüler wie Derek regelmäßig Kadettenübungen durchführten, taucht eine engere Verbindung zu Herdman auf. Die Schüler trafen den Wasserskilehrer und Exsoldaten regelmäßig auf Partys. Sind Drogen und Sex im Spiel?, fragt sich Rebus.
Das Militär hat zwei Ermittler geschickt. Whiteread ist eine eiserne Lady mit Haaren auf den Zähnen, doch ihr junger Begleiter Simms ist unbedachter und lässt sich zu gehässigen Bemerkungen über Rebus‘ Erfolglosigkeit und Suspendierung hinreißen. Das macht Rebus überhaupt nichts aus: Sein Kollege Bobby Hogan hat ihn lediglich als „Berater“ angefordert, nicht als offiziellen Ermittler. Er kann also tun, was ihm beliebt. Und so besorgt er sich mit Hilfe von Siobhan Clarke die Militärakte von Herdman, die unverschlossen in Simms‘ Hotelzimmer liegt. Na, na, wie leichtsinnig. Denkt’s und kopiert sie klammheimlich. Ein Blatt wurde „auf Anweisung entnommen“. Der SAS hat also etwas zu verbergen, wie es aussieht.
In der Personalakte ist von Herdmans Einsatz bei einem Rettungstrupp auf der schottischen Insel Jura die Rede. Der Reporter Steve Holly tut ihm einen Gefallen und recherchiert kurz mal bei Google (Rebus steht mit Computern auf Kriegsfuß). 1995 stürzte ein Helikopter des Militärs, der mit ranghohen Offizieren an Bord Richtung Nordirland flog, auf Jura ab. Dem Piloten wurde die Schuld gegeben, und Soldaten suchten in den Inselbergen die sterbliche Überreste und Hubschrauberwrackteile. Was fand Herdman, das nicht verraten werden darf? War es etwas, womit er seine Boote bezahlte?
Zusammen mit Siobhan lässt sich Rebus von einem Bekannten Herdmans zur Insel Jura fliegen …
_Mein Eindruck_
Dieser Krimi von Ian Rankin macht mal wieder deutlich, warum er so erfolgreich ist: seine Kombination aus Wagemut, Anteilnahme und kriminalistischer Kleinarbeit. Dafür steht Inspektor John Rebus, und der Originaltitel weist schon darauf hin: „A Question of Blood“ – eine Frage des Blutes.
Dass Blut dicker ist als Wasser, weiß jeder, der sich mal für ein Geschwister oder die Verwandten eingesetzt hat. Und so ergeht es nun auch Rebus, der sich um den verlorenen Neffen Derek Renshaw und dessen Schwester Kate sorgt, aber auch um ihren Vater Allan, der sich auf einmal wieder mit Kinderspielsachen seine Zeit vertreibt. Es ist Rebus ein Herzensanliegen, den Tod von Derek aufzuklären. Dafür steigt er nicht nur hinab in die Niederungen der Jugendkultur, inklusive Spanner-Websites, sondern spannt auch die moderne Simulationstechnik ein.
Die Blutspuren am Tatort, so ergibt die Simulation, stimmen in keiner Weise mit den Aussagen von James Bell überein, dem überlebenden Opfer von Herdmans Amoklauf. Und es gibt noch weitere Widersprüche. Aber Rebus wird zunehmend klar, dass es eine Eifersuchtsaffäre ist, die das Blut des Todesschützen derart in Wallung gebracht hat, dass er zur Waffe griff. Um diese Zusammenhänge zu begreifen, stützt sich Rebus auf seine einzigartige Fähigkeit: kriminalistische Intuition und Kombinationsgabe. Und sobald er diese Einsicht erhalten hat, schreckt er vor nichts zurück, um seiner Überzeugung gemäß zu handeln – auch nicht beim Vorgehen bei Parlamentsabgeordneten. Nichts ist Rebus heilig (außer vielleicht der Produktionsweise von gutem Whisky). Für den Leser ist es stets ein Fest, wenn heilige Kühe geschlachtet werden.
Zu solchen heiligen Kühen gehört zweifellos auch der Special Air Service, der auf der Insel wie hierzulande die GSG9 verehrt wird, jene Elitetruppe, die das entführte Flugzeug in Mogadischu stürmte und befreite. Der SAS ist gleichbedeutend mit dem Militär, und dessen abgesandte Ermittler erweisen sich als abgebrüht und nicht zimperlich beim Einsatz brutaler Methoden. Rebus bemüht sich nicht um Fairplay ihnen gegenüber, und so dauert es nicht lange, bis sie auf seinen Köder anbeißen, geradezu verzweifelt, wie es ihm erscheint. Zum Glück hat er einen Zeugen dabei, so dass Schlimmeres als eine Prellung verhütet wird.
Der Autor führt uns Rebus zu Anfang als eine Art Clown und Tolpatsch vor: zwei umwickelte Hände, die ihn hilflos machen. Doch der Schein trügt: Sobald Rebus wieder Herr der Lage ist, kann er immensen Schaden anrichten – oder Nutzen, je nachdem, auf welcher Seite des Gesetzes man steht. Das wissen leider auch seine Vorgesetzten, allen voran Gillian Templer, ebenfalls eine eiserne Lady, und deren Vorgesetzte. Einen Cop unter Mordverdacht ziehen sie sofort aus dem Verkehr, aber das ficht Rebus nicht an: Er arbeitet einfach ehrenamtlich weiter, für seinen guten Freund Bobby Hogan nämlich. Der ist zufällig ebenfalls Ermittler.
Rebus und seine Chauffeuse DS Siobhan Clarke (ausgesprochen [schiwå:n], weshalb jeder kumpelhaft „Shiv“ zu ihr sagt) verbinden zwar keine Blutsbande, aber dafür etwas ebenso Starkes: Loyalität unter Kollegen, wenn nicht sogar menschliche Zuneigung, die sie aber unter einem Mantel von ruppigen Umgangsformen und Frotzeleien zu verbergen wissen. Zu mehr kommt es nicht, obwohl beide Single sind und sich abends auch mal bei Rebus treffen. Aber zwischen ihnen liegt auch die Kluft unterschiedlicher Generationen. Er mag die Band |Hawkwind| aus den Siebzigern, sie mag |Mogwai| aus den Achtzigern und Neunzigern. Und beide trennt die Kluft zur neuesten Generation.
Diese moderne Generation soll das eigentliche Thema des Krimis sein, suggeriert der deutsche Titel. Doch wir erfahren relativ wenig über sie. Das liegt aber nur am Ermittler, der mit Goths, Jazzfreunden, Waffenfetischisten und Dealern wenig mehr anzufangen weiß, als sie eines Verbrechens zu überführen – oder sie dazu zu benutzen, andere eines Verbrechens zu überführen. Hier liegt meines Erachtens ein Schwachpunkt des Romans. Der Autor hat oder gewährt (vielleicht aus Platzgründen) zu wenig Einsicht in die Jugendkultur Edinburghs. Das hätte wohl nur mit einer Schilderung aus subjektiver Sicht behoben werden können. Das aber hätte die Erfindung einer entsprechenden Hauptfigur erfordert, und so etwas wäre für einen Rebus-Krimi sehr ungewöhnlich gewesen.
Am Schluss gibt es ein spannendes Finale, wie sich das gehört. Wir bangen mit Rebus um die tapfere und unerschrockene Siobhan Clarke, die sich womöglich an Bord eines Flugzeugs befindet, das ein krimineller Selbstmörder steuert. Mehr soll nicht verraten werden.
|Die Übersetzung|
Claus Varrelmann macht seine Sache recht gut. Besonders bei sämtlichen Realien wie Ortsnamen, Whisky- und Bierbezeichnungen ist er makellos. Probleme hatte ich nur, wenn er mir unbekannte DEUTSCHE Wendungen verwendete. Dazu gehört der Ausdruck „auf Zuwachs gekauft“. Nein, das ist kein neues dubioses Finanzmarktprodukt, sondern bedeutet lediglich, dass der Träger eines Kleidungsstücks noch in dieses hineinwachsen muss. Und was bitte ist eine „Victor-Meldrews-Stimmung“ (S. 196)? Manchmal wäre eine kleine Fußnote angebracht gewesen, um solche Details zu erläutern.
Des Weiteren gibt es ein paar Druckfehlerchen. Statt „Grampains“ (S. 332) sind die „Grampians“ gemeint, die Berge von Schottland. Statt „Barcadi-Cola“ (S. 346) sollte es wohl richtiger „Bacardi-Cola“ heißen, also Cola mit Rum.
Diese Angaben beziehen sich auf die Hardcoverausgabe von |Manhattan|. Vielleicht wurde die neuere Taschenbuchausgabe von |Goldmann| in dieser Hinsicht nachgebessert.
_Unterm Strich_
Man kann sich fragen, warum der Autor für die Lösung eines Falles fast 550 Seiten braucht. Die Antwort lautet, dass es nicht nur um einen Fall geht, nämlich den Amoklauf an der Schule, sondern um nicht weniger als vier Fälle, die alle gleichzeitig recherchiert werden. Sie hängen alle miteinander zusammen, wie Rebus und Clarke mit der Zeit feststellen. Das Leben ist eben kein Bühnenstück, für das ein einziger roter Faden ausreicht, sondern voller Zufälle und Unwägbarkeiten.
Aber Rebus ist eh nicht der Typ des One-track-minds, des Mannes mit Scheuklappen, der wie ein Rennpferd nur einer vorgegebenen Bahn folgt, um möglichst schnell ans Ziel zu gelangen. Hat er in seinem Alter (Mitte fünfzig) gar nicht nötig. Seine Interessen sind vielfältig. Manchmal ermittelt er breit gestreut in alle Richtungen und stößt so auf unvermutete Zusammenhänge. Manchmal, wie in [„Ehrensache“, 1894 schnüffelt er nur so aus Neugier – und stößt unweigerlich auf Leichen, die niemand finden soll.
Auch nicht bei der Polizei, wie der Krimi [„Die Tore der Finsternis“ 1450 zeigte. Darin wird ein korrupter Bulle gejagt, der daher den Spieß umdreht und Rebus & Clarke bedroht. Hier, in „Die Kinder des Todes“, stellt der Autor die karrieregeilen Inspektoren vom Drogendezernat DMC als Volltrottel dar. Im Augenblick ihres vermeintlich größten Triumphes arbeitet Rebus gerade an der Aufklärung ihres Falles, in einer völlig anderen Richtung allerdings.
Ansonsten wundert sich der Leser nur noch darüber, dass der Autor so viel Schleichwerbung für schottische und britische Musikgruppen macht. Von |Led Zeppelin| dürft so mancher gehört haben, vielleicht sogar von |Hawkwind| (der SF-Autor Michael Moorcock wirkte bei ihnen mit), aber auch von |Mogwai|? Vielleicht wird Ian Rankin ja vom schottischen Tourismusministerium gesponsert. Nicht umsonst ist das jährliche |Edinburgh Music Festival| ja weltbekannt.
|Originaltitel: A Question of Blood, 2003
Aus dem Englischen übersetzt von Claus Varrelmann
Hardcover-Ausgabe bei |Manhattan| 2004:
543 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-442-54550-6
Taschenbuch-Ausgabe bei |Goldmann| 2006:
544 Seiten, Broschur
ISBN-13: 978-3-442-46314-5|
Als ihr Hof von Artus‘ Kampftruppe geplündert und niedergebrannt wird, rettet sich die junge Gwyna („Maus“) mit einem Sprung in den kalten Fluss. Sie ist eine exzellente Schwimmerin und Taucherin. Artus‘ Barde Myrddin (= Merlin) findet die Halberfrorene am Ufer und nimmt sich ihrer an, denn er weiß sich ihre Tauchfähigkeit zunutze zu machen. Er ist schließlich auch Artus‘ Propagandaminister und will seinen Herrn zum Herrscher über ganz England machen.
In seinem Auftrag schlüpft Gwyna, die er als Junge verkleidet, in verschiedenste Rollen, darunter als Knappe und als Spionin am Hof der Königin. Doch dann wird die Königin Opfer eines Verrats – und Gwyna schwebt als deren Vertraute unvermittelt in Lebensgefahr …
_Überraschung: Jesus war ein Exorzist, Joseph pädophil_
„Wer waren die VIPs vor 2000 Jahren?“ Obwohl die Zeitenwende bis heute eines der bedeutendsten Ereignisse der menschlichen Geschichte ist, kann kaum jemand diese Frage beantworten. Geza Vermes ist ein renommierter Jesus-Kenner. In seinem Who’s Who zu Jesu Zeiten beschränkt er sich nicht allein auf theologisch relevante Personen, er porträtiert auch römische Politiker wie Pontius Pilatus und andere weltliche Schlüsselfiguren, die in der Bibel kaum oder gar nicht auftauchen, in Kurzbiografien.
_Der Autor_
Geza Vermes, 1924 in Ungarn geboren, studierte Orientalistik und orientalische Sprachen und promovierte in Theologie. Er wurde zum ersten Professor für Jüdische Studien an der Universität Oxford, wo er noch heute als Professor Emeritus wirkt. Seit 1991 ist er Direktor des Forums für Qumran-Forschungen am Zentrum für Hebräische und Jüdische Studien in Oxford. Er ist Mitglied der British Academy und der Europäischen Akademie für Wissenschaften, Kunst und Literatur sowie Träger diverser Ehrendoktorate. Zu seinen Werken zählen „Die Passion. Die wahre Geschichte der letzten Tage im Leben Jesu“ und „Die Geburt Jesu. Geschichte und Legende“.
_Inhalte_
Nach einem Verweis auf die Quellen und Mitarbeiter stellt der Autor stichwortartig die Gruppen von Namen vor, die er später im biografischen Teil seines Who is Who eingehend vorstellt und beurteilt. Zwei Stammtafeln über die Hasmonäer/Makkabäer (Priesterkönige) und die Herodianer (Könige und Statthalter) beschließen diese Einführung.
Ganz wichtig für das Verständnis der Biografien und deren zeitliche Einordnung ist der Überblick „Das Zeitalter Jesu im breiteren Kontext“. Denn hier stellt der Autor erstmals vor, welchen Zeitraum er überhaupt berücksichtigt. Er könnte ja bei Adam und Eva oder Stammvater Abraham anfangen. Nein, sein zeitlicher Blickwinkel ist auf die Jahre 164 vor der Zeitenwende (v. d. Z.) und 135 n. d. Z. begrenzt – zwei einschneidende Daten in der Geschichte des jüdischen Volkes.
Im Jahr 164 v. d. Z. – der Autor spricht niemals von „vor/nach Christi Geburt“, aus Gründen, die bald ersichtlich werden – erlangen die Juden erstmals nach Jahrhunderten der Unterdrückung durch Babylonier, Perser und Griechen ihre politische Unabhängigkeit und wählen Jerusalem als ihre Hauptstadt. Das bereits erwähnte Geschlecht der Hasmonäer erringt nach dem Makkabäeraufstand die politische und religiöse Macht.
Im Verlauf von Machtkämpfen und Erbstreitigkeiten holt man im Jahr 63 v. d. Z. den römischen Konsul und General Pompeius zu Hilfe – ein schwerer Fehler, denn er annektiert einfach das Land als die römischen Provinzen Judäa und Galiläa (später weitere). Während es Galiläa, wo Jesus geboren wird, gelingt, von seiner eigenen Oberschicht regiert zu werden, ist Judäa bald schlechter dran: die Römer herrschen hier direkt und ohne Vermittlung.
Sie unterdrücken diverse aufrührerische Bewegungen, doch ohne durchschlagenden Erfolg, bis es anno 63 n. d. Z. zum Ausbruch des Ersten Jüdischen Krieges kommt, der mit der Eroberung Jerusalems und der Festung Masada anno 66 endet. Es kommt anno 70 zur Zerstörung des Tempels von Jerusalems, womit die Saat für den Zweiten Jüdischen Krieg gelegt wird, der erst 135 n. d. Z. mit einer vernichtenden Niederlage des Ben Kochba endet. Dies führt zur Diaspora, der Zerstreuung des jüdischen Volkes in alle Winde. Somit deckt der Autor rund 300 Jahre Geschichte ab, die außerordentlich gut dokumentiert ist.
Eine CHRONOLOGIE liefert am Ende des Buches nochmals einen Überblick über die diversen kritischen Ereignisse in diesen drei Jahrhunderten. Der Überblick „Das Zeitalter Jesu im breiteren Kontext“ ist in fünf Abschnitte eingeteilt, in denen die jeweils wichtigsten Personen der Zeitgeschichte kurz auftauchen. Der titelgebende Mann, Jesus von Nazareth, lebte ungefähr in der Mitte des beleuchteten Zeitraums, wird aber nur kurz betrachtet, da es ja vor allem die jüdischen und christlichen Bewegungen in seiner Nachfolge waren, die bis heute die Kirchen- und Glaubensgeschichte von Juden- und Christem beeinflussen.
|Das „Who’s Who“|
Es wäre sinnlos, irgendwelche Artikel aus diesen Biografien zur Gänze zitieren zu wollen. Ja, schon der Versuch einer Übersicht muss im Ansatz scheitern. Sinnvoller ist daher, die wichtigsten BEFUNDE der historischen Beurteilungen, die der Historiker Vermes vornimmt, mal kurz in Beispielen vorzustellen. Sein Ansatz ist, wohlgemerkt, völlig unparteiisch und nur der historischen Disziplin verpflichtet. Daher können sehr religionskritische Aussagen dabei herauskommen. Wie der Leser diese Aussagen aufnimmt und bewertet, steht auf einem ganz anderen Blatt.
|Die Apostel|
Es gibt, wie man inzwischen weiß, jede Menge Evangelien (griechisch für „gute Nachricht“), aber nur vier davon wurden vom Konzil zu Nicaea/Nicäa (heute İznik in der Türkei) im 4. Jahrhundert genehmigt: die von Markus, Matthäus, Lukas und Johannes. Dies ist zugleich die chronologische Folge ihrer Entstehung: Markus ist das älteste, das der historischen Figur des Wanderpredigers, Heilers und Exorzisten Jesus von Nazareth am nächsten ist.
Matthäus und Lukas haben gehörig hinzugedichtet und Jesus zu einem Sohn Gottes, einem Messias und und Propheten gemacht. Hier ändert sich bereits die Bewertung der Juden. Und Johannes macht das Maß voll, indem er die Juden in Grund und Boden verdammt, was mit Jesu Botschaft, der sich strikt ans Mosaische Gesetz hielt, rein gar nichts mehr zu tun hat. Vermes hält es für höchst wahrscheinlich, dass der Evangelist Johannes nichts mit dem Apostel Johannes zu tun hat. Und dass Lukas wie auch „Johannes“ Nichtjuden waren.
|Jesus|
Der historische Jesus, den der Autor nach seinen Recherchen für wahrscheinlich, jedoch nicht für gesichert hält, wurde im Jahr 6 vor der Zeitenwende geboren. Von einem Jahr null = Jesu Geburt kann also keine Rede sein! Jesus wurde nach der Begegnung mit Johannes dem Täufer im Jahr 29 n. d. Z. zu einem eifrigen Wanderprediger, der das Kommen eines Reiches Gottes und somit des Messias für höchst dringlich hielt und verkündete. Im Herbst 29 und dem Frühjahr 30 zog er also mit den bekannten zwölf Aposteln durch Galiläa, sprach aramäisch (nicht hebräisch oder gar lateinisch oder neugriechisch) und entfremdete sich von seiner Familie, außer von seinem Bruder oder (je nach Quelle) Stiefbruder Jakobus, der später der erste Bischof von Jerusalem wurde.
Der einzige Grund, den der Autor für Jesu Verhaftung gelten lässt, ist dessen Auftritt im Tempel von Jerusalem kurz vor dem Passah-Fest. Nicht Römer ließen ihn verhaften, sondern jüdische Älteste und Priester. Er wurde von Hannas verhört, von Kaiaphas verurteilt und an den römischen Präfekten von Judäa, Pontius Pilatus, zur Exekution übergeben.
Das Bemerkenswerte an dem Vorgehen des Glaubensrates von Hannas und Kaiaphas: Damals wie auch heute ist es für einen Juden kein Verbrechen, sich als „Sohn Gottes“ zu bezeichnen, alldieweil sich alle Juden als Söhne Gottes betrachten. Auch gibt es kein Gesetz, wonach Personen, die sich als Messias bezeichnen, als Gotteslästerer zu verurteilen seien. Gotteslästerung hätte mit Steinigung geahndet werden müssen. Stattdessen wird Jesus der Aufwiegelung gegen die Römer bezichtigt, was durch Kreuzigung bestraft wurde – für ein Verbrechen, das er gar nicht begangen hatte. Ein politischer Mord unter so vielen.
All dies geschah aber nicht an jenem Feiertag des Passah- oder Osterfestes, sondern, da an diesem Tag Amtshandlungen verboten waren, einen Tag zuvor. Die Kreuzigung fand dann am Karfreitag des Jahres 30 n. d. Z. statt. Jesus war also 36 Jahre alt. Aber wie verhielt es sich mit seiner „Auferstehung“, die ihn zu jenem gottähnlichen Wesen machte, als das er heute verehrt wird? Wie sich herausstellt, beruht dieser Glaube allein auf den „Visionen“ seiner Anhänger.
Die Evangelien widersprechen sich in zahllosen Details zur Auferstehung wie auch zum Prozess und der Passion Jesu. Nur Markus kann man zutrauen, noch Zeuge der Kreuzigung gewesen zu sein oder wenigstens mit Zeugen gesprochen zu haben. Der Autor stellt die verschiedenen Evangelien einander gegenüber, was zu dem erstaunlichen Resultat führt, dass a) der historische Kern kaum noch sichtbar ist und b) 99 Prozent der Passionsgeschichte Legenden, Dichtungen, Verfälschungen und andere spätere Hinzufügungen sind. Meist musste die „gute Nachricht“ den Verkündern in den religionspolitischen Kram passen. Erst sie machten aus dem jüdischen Wanderprediger, der keine Nichtjuden anerkannte, den christlichen Messias und Erlöser, der für alle da ist.
|Maria|
Kann eine Jungfrau wirklich den Sohn Gottes geboren haben? Dies ist seit dem 19. (päpstliche Bulle von 1854) und 20. Jahrhundert (Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel von 1950) die Doktrin der Katholischen Kirche. Die Quellen besagen etwas ganz anderes. Maria soll mit Joseph dem Zimmermann verheiratet gewesen sein und mit ihm sieben Kinder gehabt haben. Jesus, der Älteste, hatte vier Brüder und mindestens zwei Schwestern. Nach späteren, politisch korrekten Versionen der Evangelien war sie bloß die Verlobte oder zweite Frau des Witwers Joseph. Sie lebte in Nazareth.
Die Geburtslegende, die jedes Kind zu Weihnachten erzählt bekommt, ist in höchstem Maße unwahrscheinlich. Erstens gab es im Jahr 6 v. d. Z., Jesu Geburtsjahr, gar keine Volkszählung plus Steuerschätzung, sondern erst zwölf Jahre später. Zweitens hätte Joseph gar nicht nach Bethlehem reisen müssen, sondern entweder in Nazareth oder der Stadt seiner männlichen Vorfahren vorstellig werden müssen. Und eine Flucht nach Ägypten ist reine Legende. Joseph lässt sich sogar als Pädophiler einstufen, allerdings nur nach heutigen Moralvorstellungen. Sobald Maria zwölf Jahre geworden war oder in die Pubertät kam (= geschlechtsreif wurde), wurde sie einem würdigen Mann anvertraut, eben Joseph: verlobt oder verheiratet? Und der war schon etwas älter als die Zwölfjährige.
|Die Anhänge|
Das Buch endet mit einigen Anhängen. Dazu gehört die erwähnte „Chronologie“ ebenso wie eine Landkarte Palästinas im Zeitalter Jesu, ein Glossar mit wichtigen Begriffen, eine Liste der Abkürzungen (zu Quellen und Publikationen) sowie eine Bibliografie. Ein Stichwortregister (Index) erübrigt sich durch die alphabetische Sortierung der Biografien.
_Mein Eindruck_
Dies ist nur eine knappe Übersicht über die Inhalte und erstaunlichen Befunde. Ich habe mich in der Lektüre wirklich wohlgefühlt und an einem Nachmittag die wichtigsten Artikel gelesen, so etwa über die Apostel, Evangelisten und Jesus plus Familie. Unglaublich, wie winzig der historische Kern ist, der im Neuen Testament enthalten ist. Ich sage ausdrücklich „Neues Testament“ und nicht „Bibel“, weil der Autor mit „Bibel“ nur die Hebräische Bibel meint, die einen ganz anderen Inhalt haben kann als die von christlichen Organisationen wie den Kirchen und Sekten verbreiteten Versionen.
Eine weitere Besonderheit ist die Zählung der Jahre. Ich musste mich erst an die nirgends erklärte Bezeichnung „v. bzw. n. d. Z.“ gewöhnen. Z. ist nicht etwa „Zeitrechnung“ wie in der DDR, sondern „Zeitenwende“. Die Muslime haben ja ebenso wie Hindus, Buddhisten etc. anderen Zeitrechnungen und -wenden. Muslime zählen ab der ersten Hedschra des Propheten Mohammed im Jahr 622 n. d. Z. und zwar nach Mondjahren.
|Eignung und Zielgruppe|
Dieses Werk ist von einem Wissenschaftler für andere Wissenschaftler geschrieben worden. Doch auch „Power-User“ der Kultur- und Religionsgeschichte wie etwa Angehörige der klassisch und humanistisch gebildeten Schichten können das Buch mit großem Gewinn lesen. Sie müssen eben Fachbegriffe wie „Konkordanz“, „Apokryphen“ und „Parusie“ notfalls nachschlagen. Der zentrale Begriff „eschatologisch“ wird hingegen im Glossar erklärt.
Abgesehen von dieser Handvoll Fremdwörter konnte ich den Text aber sehr gut verstehen. Die Darstellung ist an jeder Stelle nachvollziehbar. Weil der Autor mit einer Menge Überraschungen aufwartet, macht das Lesen neugierig. Allerdings nur denjenigen, der für solche Überraschungen offen sein kann. Dogmatische Leser dürften erhebliche Probleme damit haben.
Die zähesten Buchteile sind naturgemäß die Anhänge. Man kann aber die Chronologie gut als Einstieg und ersten Überblick lesen. Fast ebenso schwer, aber ungleich unterhaltsam ist der erste „Überblick“, der in fünf Abschnitte unterteilt ist und sich so ebenfalls leichter konsumieren lässt. Den harten Kern, aber eigentlichen Inhalt bildet das „Who’s Who“.
|Übersetzung|
Eine wunderbare Arbeit von Yvonne Badal: sehr verständlich und eindeutig formuliert. Ich konnte keine Druckfehler finden. Der einzige Fehler, auf den ich stieß und der wohl aufs Konto des Autor geht, steht im Artikel über Joseph, „Vater“ von Jesus“ auf Seite 188/89. In einer koptischen Legende ist Joseph bereits 89 Jahre alt, als er Maria heiratet. Er sei nach 22 Jahren Ehe mit Maria im Alter von 101 Jahren gestorben und vom 22-jährigen Jesus begraben worden. Nun ja, 101 minus 89 ergibt bei mir immer noch zwölf statt 22. Aber die Zeit ist ja auch nicht mehr das, was sie mal war.
_Unterm Strich_
Ein Who’s Who bietet einen biografischen Überblick, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Daher kann dieses Buch sowohl ein erster Einstieg in ein spezielles Thema wie etwa die Passions- oder Geburtsgeschichte Jesu sein (die der Autor beide geliefert hat), als auch eine spannende Lektüre über die während der 300 Jahre Betrachtungszeit lebenden historischen Personen. Letzteres fand ich sehr viel unterhaltsamer und aufregender – die Biografien liefern den Anreiz für den Einstieg in die Vertiefung eines Themas.
Die Zielgruppe des Buches sind sicherlich nicht die blutigen Laien, die von Kirchen- und Glaubensgeschichte keine Ahnung haben. Hier wird schon einiges an Bildung vorausgesetzt. Die Texte sind aber schon derart fundiert, dass man sie ohne weitere Prüfung akzeptieren kann, sofern man kein Dogmatiker ist. Der Ansatz ist unparteiisch und undogmatisch, rein von der historischen Methode getrieben und mit dem Wunsch vorgetragen, jene für Christen so wichtige Zeit besser zu verstehen. Das ist dem Autor gelungen.
Zu wünschen wäre eine Onlinepublikation, die mit entsprechenden Links zu anderen Artikeln weiterführt. Die Einträge des Buches sind in sich konsistent, d. h. sie widersprechen einander nicht. Aber häufig tauchen Namen, Orte und Begriffe auf, die man liebend gerne sofort woanders nachschlagen würde.
Fazit: ein Volltreffer.
|Originaltitel: Who’s Who in the Age of Jesus, 2005
Aus dem Englischen von Yvonne Badal
334 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-7857-2347-0|
http://www.luebbe.de
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