Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Ligotti, Thomas – Alptraum-Netzwerk, Das (Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek Band 2)

_Wider Corporate America, den Moloch der Welt_

Unter der glatten Oberfläche der Geschäftswelt brodelt ein Sumpf aus Angst, Missgunst und Rache. Als Ort des Grauens erscheint die moderne Businesswelt geradezu ideal – indem sie den Einzelnen als austauschbares Rädchen im Getriebe betrachten, umspannen globale Konzerne mit einem Netzwerk, das unüberschaubar geworden ist.

Frank, der Bürohengst, sieht sich in einem Netz aus Intrigen gefangen, das ihn zu erdrücken droht. Doch wenn er die Chance zur Gegenwehr bekommt, wird seine Vergeltung bestialisch sein …

Die Titelstory dieser Original-Storysammlung gewann 2003 in den USA den |Horror Guild Award| und den traditionsreichen |Bram Stoker Award|.

_Der Autor_

Thomas Ligotti, geboren 1953, arbeitete 20 Jahre lang in einem Verlag seiner Heimatstadt Detroit (Motor City, Murder City). Seit seinem 17. Lebensjahr (1970) leidet er unter Platzangst (Agoraphobie), die bekanntlich nur zu lindern, aber nicht zu heilen ist. Das hat sicherlich seine Sicht auf die Welt geprägt.

Ligotti hat sich mit seiner speziellen Machart des Horrors eine treue Anhängerschaft erschrieben. Seine erste Story erschien 1981, die erste Storysammlung „Songs of a Dead Dreamer“ 1986. Obwohl das Thema meist der Gothic-Fantasy angehört, ist seine Wahrnehmungsweise vielmehr die des Surrealismus (ohne den Thesen von Breton etc. zu gehorchen): Die meisten Szenen werden durch die verzerrte Perspektive des todgeweihten Erzählers betrachtet.

Ligotti verdankt viele Impulse dem expressionistischen deutschen Film der 1920er Jahre, so etwa „Das Kabinett des Dr. Caligari“, aber natürlich auch den Großen des Horror, also Poe, Chambers und Lovecraft, aber auch Burroughs und Kafka.

_Die Erzählungen_

|1) Der Lohn des Lebens: Meine Arbeit ist noch nicht erledigt|

Frank Dominio, der Ich-Erzähler, ist ein Bürohengst in einem großen amerikanischen Traditionsunternehmen. Die Abteilungsleiter wissen, dass sie immer mehr vom ewig Gleichen produzieren wollen. Neue Ideen wie die von Frank sind nicht nur nicht gefragt, sondern erscheinen sogar als gefährlich. Seine Erzfeinde fasst Frank im Kreis der Sieben zusammen, und deren Kopf ist Richard. Wenn dies die Sieben Zwerge wären, dann wäre Richard der Zwerg „Doc“. Im Bannkreis seiner Zwangsneurosen gefangen, erblickt Frank in Richard seinen Widersacher: den Puppenspieler, den Manipulator, den „Reparierer“. Stillschweigend natürlich, denn hier geht’s zivilisiert zu. Noch.

Nach seiner freiwilligen Kündigung, zu der es nach einer letzten Demütigung kommt, hinterlässt Frank eine Botschaft: „Meine Arbeit ist noch nicht erledigt“. Er löst alle seine Konten auf und quetscht seine Kreditkarte aus, bis sie jault. Er kauft sich genügend Waffen, um die Sieben auszulöschen. Doch bevor er dies am Montag tun kann, erwischt ihn am Samstag zuvor eine Explosion. Die Folgen sind, gelinde gesagt, kurios.

~ Die Verwandlung ~

Was Frank war, muss zunächst lernen, die Konsistenz seines nunmehr geisterhaften Körpers je nach Bedarf zu regulieren. Darauf kann er beginnen, seine „unerledigte Arbeit“ zu verrichten. Er beginnt mit Perry Stokowski, von dem nicht viel übrig bleibt. Tags darauf erscheinen die Detektives Black und White in der Firma und befragen „Doc“ Richard, doch der tut ahnungslos. Und sie wissen noch nicht, dass sich Frank – heißt er nun Domino oder Dominio? – nicht mehr unter den Lebenden im herkömmlichen Sinne befindet.

Die gegen Frank Verschworenen fallen, wie zu erwarten, einer nach dem anderen verschiedenen unglückseligen, aber meist ziemlich bizarren „Ereignissen“ zum Opfer, meist nichts ahnend. Aber als sich der Kreis der Sieben bis auf einen reduziert hat, bleibt Frank die Konfrontation mit dessen Anführer nicht erspart: Richard. Und dabei erlebt er eine böse Überraschung: Man hat ihn erwartet …

~ Mein Eindruck ~

Es fängt ganz harmlos mit allgemeinem Unbehagen und Unwohlsein an, doch sobald Frank die Verschwörung gegen sich entdeckt hat, beginnt seine Reaktion Formen anzunehmen. Die Explosion verwandelt ihn, wie einst Gregor Samsa in einen Käfer verwandelt wurde. Doch Franks neues Leben ist kein Alptraum, wie es die Verwandlung für Gegor bedeutet, sondern vielmehr eine Chance. Nun kann er sich noch leichter fortbewegen und überall Schaden anrichten. Sein Einfallsreichtum ist bewunderns- und lobenswert. Nur einer kommt davon: Richard. Denn Doc ist auf diese Eventualität gut vorbereitet. War Frank einfach nur böse, so ist Richard ein Vielfaches davon.

Dieser Text kommt dem, was wir unter einem realistischen Erzähltext mit Kriminalstory verstehen, in diesem Band am nächsten. Aber auch hier werden schon etliche Regeln gebrochen, so dass aus der üblichen Ermittlung leider nichts wird. Sie ist unwichtig. Wichtig sind Franks Weiterentwicklung und die Erkenntnisse, die sie ihm bringt.

|2) Die Wiederkunft der Toten: Ich habe einen speziellen Plan für diese Welt|

Die Firma Blaine ist in die Mordstadt gezogen, nachdem diese in die Goldene Stadt umgetauft worden war. Wenig später findet man die ersten Leichen im Perimeter der Innenstadt. Unser Gewährsmann (Frank?) beobachtet die darauffolgenden Ereignisse mit wachsendem Zweifel. Er hat etwas Beunruhigendes beobachtet, einen merkwürdigen Zusammenhang. Jedes Mal, wenn ein gelblicher Dunst besonders direkt in den Straßen der City hängt, erhöht sich die Zahl der Leichen. Dieser Prozess setzt sich auch in den vier Wänden von Blaine & Co. fort: Der Dunst ist so dicht auf den Fluren der Firma, dass man kaum die Hand vor Augen sieht, und es wundert unseren Chronisten keineswegs, dass ein Abteilungsleiter nach dem anderen ein vorzeitiges Ende findet.

Blaine hat nur einen Service anzubieten, nämlich die Manipulation von Dokumenten, doch verkündet man zur allgemeinen Verblüffung der Mitarbeiter, die sich in einem Kellerraum versammeln mussten, dass die Firmenleitung, sofern noch vorhanden, auf Expansion bedacht ist. Und zwar weltweit. Dieser Plan erscheint absurd, doch jeder, der auch nur an Kündigung laut zu denken wagt, kann gleich sein Testament machen. Jetzt sei der Firmengründer höchstselbst am Ruder des schlingernden Schiffes, heißt es pompös.

Unserem Erzähler schwant nichts Gutes, als ihn der Vizepräsident der Entwicklungsabteilung, Harry Winston, zu sich ruft. Winston soll ihm lediglich ausrichten, dass ihn U. G. Blaine zu sehen wünscht. Auf der Toilette im obersten Stockwerk. Au weia, denkt unser braver Mann, macht sich aber tapfer ans Erklimmen des Treppenhauses (der Lift dieses bröckelnden Gebäudes ist schon längst ausgefallen). In der Toilette steht er endlich dem Firmengründer gegenüber: dem gelblichen Dunst, der durch die Straßen und Abteilungen wabert.

Wird er diese Begegnung überleben?

~ Mein Eindruck ~

Diese Erzählung ist in gediegenstem Prosastil verfasst und ich fühlte mich sofort in selige Zeiten bzw. Seiten von Henry James oder Edgar Allan Poe versetzt. Beinahe frei von jeglicher Ironie oder gar von Zynismus, beschreibt der Chronist lediglich, was zu passieren scheint. Es ist ja seine Interpretation der Dinge, die wir lesen. Aber mit einem gehörigen Maß an Zurückhaltung gegenüber der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit und Intelligenz. Es scheint sich nicht mehr um den gleichen Frank Dominio zu handeln – falls er es überhaupt ist, denn ein Name wird nie genannt.

„Die Stadt der gelben Pest“, das könnte fortan der Name dieser Stadt sein, wenn es nach der Sensationspresse ginge. Unwillkürlich denkt jeder Horrorfreund an Poes geniale Erzählung [„Die Maske des Roten Todes“ 773 (ca. 1845) und Robert William Chambers einflussreiche Erzählungssammlung „The King in Yellow“ (1895), die unter anderem auch H. P. Lovecraft inspirierte. Der titelgebende König symbolisiert den Tod. Genau wie in Ligottis kurzer Erzählung „Die Wiederkunft der Toten“. Der Zusammenhang ist plausibel, denn Ligotti ist erwiesenermaßen ein intimer Kenner der Literatur des übernatürlichen Schreckens.

|3) Geschäfts-Auflösung: Das Alptraum-Netzwerk|

In kurzen Szenen und Dokumenten schildert dieser Text das konsequente Ende des in den ersten zwei Texten initialisierten und fortgesetzten Prozesses: die finale Selbstzerfleischung und Auflösung des SYSTEMs.

Zunächst träumen Firmengründer von grenzenlosen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, doch das Notizbuch eines Managers enthüllt, was er darunter versteht: Kannibalismus, die Zerfleischung seiner untergebenen Mitarbeiter. Einer dieser Mitarbeiter jagt sich vor versammelter Belegschaft eine Kugel durch den gequälten Schädel. Fortan, so verrät eine weitere Kleinanzeige, dürfen nur noch Genehmigte Arbeitskräfte beschäftigt werden. Doch leider legen auch diese zu viel Initiative an den Tag, und es kommt zur Einstellung von „Beschäftigungseinheiten mit autonomer oder halbautonomer Programmierung“.

Wie sich herausstellt, existieren inzwischen in den EDV-Systemen der größten Konzerne nur noch zwei Konglomerate: OneiriCon, das sich den ursprünglichen Traum zum Programm erhoben hat, und sein Gegenspieler, das Alptraum-Netzwerk, quasi seine Nachtseite. Es kommt zur Invasion in die unterirdische Domäne OneiriCons und zu grausigen Szenen der Zerfleischung. Ein weiterer Prozess wird eingeleitet: die langsame, schrittweise Durchdringung der beiden Giganten durch Doppelagenten. Am Ende steht nur ein einziger Riese – und das totale Chaos, denn nichts mehr unterscheidet Traum, Alptraum und das, was man früher als die „Wirklichkeit“ zu bezeichnen beliebte. Die Entropie hat ihr Endstadium erreicht: quasi den Kältetod des Universums …

~ Mein Eindruck ~

Hier erreicht die ätzende Kritik des Autors am American Way of Life und dem kapitalistischen System des Westens (er unterschlägt die Schwellenländer China, Indien und Brasilien) ihren Höhepunkt. Sowohl auf der geistigen, emotionalen als auch auf der körperlichen Seite bleiben nur noch Fetzen vom SYSTEM übrig.

Diese Absicht und das Verfahren belegen die Äußerungen des Autors im folgenden Nachwort. Der einzige Minuspunkt dieses Textes: So etwas wie Handlung oder gar konkrete Akteure sucht man vergebens. Wenigstens gibt es eine Entwicklung.

|Das Nachwort: Das ultimate Objekt des Abscheus|

Der Autor Thomas Wagner hat zusammen mit Eddie Angerhuber zwei Interviews mit dem Autor geführt und sie mit anderen Aufsätzen und Informationen ergänzt. Daraus ist ein wirklich hilfreiches und erhellendes Nachwort geworden, dessen Quellen zudem einzeln belegt sind.

Wagner schreitet vom Allgemeinen zum Besonderen. Er tastet sich zunächst von einem allgemeinen Eindruck von Ligottis Spielart des Supernatural Horrors zu dessen Biografie und Werk vor. Ligottis Horror unterscheidet sich signifikant von dem, was gemeinhin als Horror-Genre auf den Markt geworfen wird. Während die Erfolgsautoren das Böse mit Schrecken in die Welt der Normalen einbrechen lassen, um sich nach Konflikt und Erlösung wieder dorthin zu entlassen, versinkt der von vornherein neurotische Protagonist in zunehmend beängstigenden und beunruhigenden Schichten des Wahns. Das erinnert an Poe und Lovecraft, aber in seiner Absurdität und Erklärtheit auch an Kafka – allesamt erklärte Vorbilder Ligottis.

Aus dem Wahn, der über dem Kopf des Helden zusammenschlägt, gibt es kein Entrinnen, keine irgendwie geartete Erlösung. Im „Alptraum-Netzwerk“ ändert sich etwas an diesem Verlauf. Es gibt ein konkretes Feindbild für den Protagonisten Frank Dominio: Corporate America. Deshalb auch der ursprüngliche Untertitel „Three Tales of Corporate Horror“. Doch Frank gelingt es keineswegs, Corporate America umzunieten, sondern er stößt vielmehr auf etwas noch viel Schrecklicheres, das an das Lovecraftsche Grauen des Nichts erinnert: das Große Schwarze Schwein umfasst Frank. Er befindet sich permanent im Alptraum, nicht der Alptraum in ihm. Und zwar permanent.

Diese drei Erzählungen werden im abschließenden Abschnitt detailliert vorgestellt und diskutiert, besonders auch mit Einlassungen seitens des Autors. Er meint wirklich ernst, was er schreibt, und hält mit seiner ätzenden Kritik an der westlichen (amerikanischen) Gesellschaft nicht hinterm Berg. Darin ist er europäischen Autoren wie Kafka viel näher als etwa Ramsey Campbell oder Joe Lansdale.

|Die Übersetzung|

Monika Angerhuber hat sich wirklich und sichtbar angestrengt, um eine erstklassige Übersetzung abzuliefern – ich hoffe, sie wurde dafür anständig entlohnt. Dennoch bin ich hin und wieder über Fehler gestolpert, manche harmlos, manche weniger leicht.

Auf Seite 20 finden wir in der ersten Zeile zweimal das Wörtchen „mit“. Auf Seite 34 stieß ich auf die Formulierung „vom praktischen Standpunktes der Fahrzeit …“. Offenbar wurde hier korrigiert, dies aber nicht ganz sauber zu Ende geführt. Auf Seite 38 finden wir das hübsche Wort „Drogierie“ – was mag es bedeuten? Es ist offenbar auf einen Flüchtigkeitsfehler zurückzuführen, wie so vieles andere, das ich hier gar nicht aufzählen will.

Auf Seite 111 rätselte ich lange über folgenden Satz, mich fragend, wo der Fehler liegt: „[Kerrie] stürzte auf ihre Sportjacke zu, die ein dumpfes Geräusch erzeugt hatte, als sie ihn zu Boden warf.“ Dumm nur, dass zuvor an keiner Stelle erwähnt wird, dass Kerrie den Maskenmann zu Boden wirft. Dieser steht vielmehr steif und stumm da. Also wo ist der Fehler? Ganz einfach: Es muss „als sie sie (= die Jacke) zu Boden warf“ heißen.

Auf Seite 139 stieß ich auf einen Logikfehler. „Dieser Plan … würde die erhöhten Gewinne erklären, die Blaine im letzten Vierteljahr umgesetzt hatte.“ Gewinne werden aus dem Umsatz qua Einnahmen vs. Ausgaben generiert, aber nicht selbst „umgesetzt“.

Das Druckbild fand ich ziemlich anstrengend. Da die Absätze und Dialoge eh schon selten sind, hätte man die ellenlangen Zeilen gerne kürzer machen können. So aber watet der Leser durch seitenlange Absätze, die von nichts unterbrochen werden, ganz besonders in der mittleren Erzählung.

_Unterm Strich_

Man kann leicht eine Überdosis von Ligotti bekommen, denn in seinen Texten gibt es keine aufhellenden Partien, die eine Erlösung aus dem Alptraum des Protagonisten erhoffen lassen. Die 42.000 Worte lange Novelle „Meine Arbeit ist noch nicht erledigt“ tut so, als ginge es um einen „gewöhnlichen“ Serienmörder, aber dabei vertieft sich der Alptraum, bis im Showdown alles nur noch schlimmer statt besser wird. Stilistisch ist man an Stephen King erinnert, wenn er mal einen bösen Tag hatte, mehr aber noch an Lovecraft, besonders durch die psychologischen Details, die wir vom Protagonisten erfahren, und im Schluss.

Die zweite Erzählung „Ich habe einen speziellen Plan für diese Welt“ erinnert noch stärker an den Magier aus Providence, aber auch an Orwell (Harry Winston) und besonders Poe und Chambers (s. o.). Im dritten Text – ich sträube mich, dies eine Erzählung zu nennen – wirft der Autor einen Blick in die Kristallkugel und sieht nichts als Chaos, Panik und Entropie voraus – wen wundert’s?

Dies ist weder Literatur der Erbauung noch der Unterhaltung, es ist Literatur des Zorns und des Hasses, gekleidet in stilvolle Texte. Ich war stets in Versuchung, mir die zahlreichen Szenen als Comicbook vorzustellen, nicht als expressionistischen Film – das funktioniert erstaunlich gut. Sollte mich wundern, wenn Alan Moore oder ein anderer Comicbook Artist sich dieses Sujets nicht irgendwann mal annehmen würde. Alle anderen, die die Welt nicht so schwarz und deprimierend sehen wollen wie Thomas Ligotti, sollten die Finger davon lassen und sich etwas Unterhaltenderes reinziehen.

Hinweis: Das Buch gibt es auch als MP3-Audio bei [Lagato.]http://www.lagato-verlag.de

|Originaltitel: My work is not yet done, 2002
Aus dem US-Englischen von Monika Angerhuber
172 Seiten
ISBN-13: 978-3-89840-922-8|
http://www.blitz-verlag.de
http://www.ligotti.de.vu

Garlick, Mark A. – große Weltraum-Atlas, Der

_Preisgünstiger, farbenprächtiger Blick ins All_

Wie ist unser Sonnensystem entstanden und was wissen wir heute über das Universum? Welche Sternbilder kann ich am Himmel sehen und gibt es Leben auf anderen Planeten? „Der große Weltraum-Atlas“ soll Licht in diese Geheimnisse des Universums bringen und lädt auf eine spannende Entdeckungsreise ein. Er soll ein umfassendes Nachschlagewerk für alle sein, die sich für Schwarze Löcher, Raumsonden, Mondlandungen und die Weiten des Alls interessieren. Dabei setzt das großformatige Werk vor allem auf visuelle Präsentation, die das Verständnis erleichtern soll: 800 Fotos, Abbildungen sowie Sternkarten bieten eine Fülle von Informationen.

_Der Autor_

Mark A. Garlick ist Doktor der Astrophysik und war mehrere Jahre lang in der Forschung tätig. Heute ist er freischaffender Autor mit dem Spezialgebiet Astronomie und einer der ganz wenigen und herausragenden Illustratoren auf diesem Gebiet. Sein fachlicher Berater heißt übrigens Dr. John O’Byrne.

_Inhalte_

Das Buch ist in vier Abschnitte eingeteilt:

1) Das Sonnensystem
2) Das Universum
3) Himmelsbeobachtung
4) Erforschung des Weltalls

Die Abschnitte 1 und 2 präsentieren die passive Beschreibung, die Abschnitte 3 und 4 aber die aktive Beobachtung und Erforschung. Diese Einteilung lässt sich leicht nachvollziehen. Aber wie sieht sie im Einzelnen aus?

|Abschnitt 1: Das Sonnensystem|

Unser Sonnensystem besteht nicht nur aus den bekannten Planeten, ihren Monden und der Sonne. Nein, es kommen auch der Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter sowie der Kuiper-Gürtel jenseits des Neptun hinzu. Sehr gut fand ich hier, wie die einzelnen Planeten und Monde (manche Jupiter- und Saturnmonde sind Miniatur-Erden) mit Fotomaterial dargestellt werden, insbesondere auch Fotos von der Rückseite des Mondes, die nur Sonden zu sehen bekommen. Überall sind die Landungsstellen von Sonden eingetragen.

Zu jedem Planeten gibt es auch ein Bild von einer mythologischen Figur, die dem Planeten ihren Namen lieh: Neptun, Jupiter, Mars, Merkus, Venus, Saturn, Uranus, Pluto. Doch was ist mit der Erde und dem Mond? Der Mond ist Diana bzw. Selene zugeordnet, der Mondgöttin, die Erde einer sumerischen Erdgöttin. Man könnte sie auch Gaia oder Gäa nennen. Etwas zweifelhaft fand ich jedoch, dass der Sonne Apollo zugeordnet wurde. Er ist zwar der Lichtgott der Griechen gewesen, aber die Sonne verkörperte der Gott Helios, wie man bei Homer nachlesen kann.

Die Kometen, Meteore, Meteorschwärme und Kleinplaneten kommen nicht aus dem Inneren und Äußeren Sonnensystem, sondern aus der Oortschen Wolke, die das Sonnensystem wie eine Kugel umschließt. Kometen (von griech. „koma“: Haar) und Meteorschwärme nähern sich der Sonne und somit der Erde mitunter stark an, verglühen aber in der Regel in der Atmosphäre. Das Buch sagt ganz allgemein, dass Kometen aus Eis und Gestein bestehen, Meteore aber nur aus Gestein, z. B. Nickeleisen. Zu den Zwergplaneten zählt inzwischen auch Pluto.

Zum Inneren und Äußeren Sonnensystem findet sich je eine Doppelseite mit Übersichten, Zusammenfassungen, wichtigen Zahlen, Rekorden und diversen Ereignissen wie etwa Landungen. Auch die Geschichte der Entdeckungen ist kurz zusammengefasst.

|Abschnitt 2: Das Universum|

Im Sonnensystem finden sich nicht die einzigen Planeten des Weltalls. Eine Doppelseite listet Planeten in anderen Sternsystemen auf, und das sind schon eine ganze Menge. Einige der schönsten Fotos, die das Hubble-Teleskop geschossen hat, sind die von Nebeln, wie etwa vom Pferdekopfnebel. Wunderbar dreidimensional sind Gaskaskaden herausgearbeitet.

Unter den Sternen ist Sol nicht der größte. Es gibt Sterne wie Rigel, der 50-mal so groß ist und 40.000 Mal heller strahlt: ein Blauer Überriese. Der Rote Überriese Antares ist 700-mal so groß wie Sol. Die Übersicht macht die Größenverhältnisse sinnfällig deutlich. Auch das Leben eines Sterns bis zu seinem Tod wird erläutert. Nach den Veränderlichen Sternen sind die Supernovas dran, die zu den spektakulärsten Objekten in der Radioteleskopie zählen. Die Supernova des Krebsnebels wurde 1054 von den Chinesen beobachtet. Entstehung, Verlauf und Folgen einer Sternexplosion werden leider nur sehr knapp erklärt.

Die Einheiten werden größer. Man unterscheidet Offene Sternhaufen, die in den Spiralarmen der Galaxien vorkommen, und Kugelsternhaufen, die außerhalb der Galaxie zu finden sind und ihren Halo bilden. Nach einer weiteren Seite mit Übersichten und Zusammenfassungen findet man folgerichtig Darstellungen unserer Milchstraße und anderer Galaxien. Dass diese nicht immer spiralförmig oder elliptisch sein müssen, hat mich überrascht. Es gibt auch „irreguläre“ und Zwerggalaxien.

Witziges Szenario: In etwa drei Milliarden Jahren wird unsere Milchstraße mit der Andromeda-Galaxie (M31) kollidieren. Galaxien lassen sich wie Sterne zu Galaxiehaufen zusammenfassen, auch zu Superhaufen. Zu unserer lokalen Gruppe zählen mindestens 45 Galaxien.

Recht theoretisch und spekulativ sind die Darstellungen von Schwarzen Löchern und dem Urknall des Universums. Es ist verständlich, dass über die Dunkle Materie, die sechsmal mehr Masse ausmacht als die sichtbare, nur auf der Übersichtsseite etwas zu finden ist – ein paar Zeilen. Ebenso kurz ist die Bemerkung über die Dunkle Energie, von der man noch weniger weiß. Sie wirkt der Schwerkraft entgegen und beschleunigt die Ausdehnung des Universums. Es muss sie geben, sonst würde das Weltall wieder zu einer Singularität zusammenstürzen und erneut einen Urknall hervorbringen (pulsierendes Universum). Tatsache ist aber, dass es sich pausenlos ausdehnt.

|Abschnitt 3: Himmelsbeobachtung|

Von den fernsten Dingen zu den nächstliegenden: Fernrohren. Mit diesem scheinbar einfachen optischen Gerät lassen sich immer noch spektakuläre Entdeckungen machen, so etwa 1997 den Kometen Hyakutake. Für die Beobachtung von Mond und Sonne gibt das Buch Tipps und im Falle einer Sonnenfinsternis auch Tipps für Vorsichtsmaßnahmen, damit der Beobachter nicht erblindet.

Die Beobachtung der Planeten ist etwas kniffliger, weil sie kleiner sind. Aber da sie geordneten Bahnen folgen, kann man mit bloßem Auge ohne weiteres fünf Planeten entdecken, mit einem guten Fernrohr sogar sieben sowie die Jupitermonde. Reizvoller noch finde ich die Sternbilder. Die zwölf Tierkreiszeichen sind zu finden und je nach nördlicher oder südlicher Hemisphäre auch etliche weitere. Es gab Zeiten, in denen weitere Sternbilder erfunden wurden. Und je nach Kultur werden sie auch anders bezeichnet; im Großen Wagen sahen die Sioux beispielsweise ein Stinktier. Die Konstellationen verändern ihre Form, weil die Teilsterne sich weiterbewegen.

Weitere Seiten erklären dem angehenden Pfadfinder, wie man Süden und Norden erkennt, um sich bei Nacht zu orientieren. Das ist beim Südpol schwierig, denn er ist nicht mit einem Stern wie dem nördlichen Polarstern verbunden, sondern liegt irgendwo im Nichts. Wie man Sternkarten liest, fand ich ebenfalls interessant. Gigantische Karten stellen die Sterne dar, die zu den vier Jahreszeiten im Norden bzw. dem Süden zu sehen sind: acht Doppelseiten!

|Abschnitt 4: Erforschung des Weltalls|

Die Erforschung begann mit den ersten Beobachtungseinrichtungen. Interessant ist, dass auch Stonehenge als eine Art Observatorium aufgezählt wird. Natürlich haben auch Hochkulturen wie Babylonien, Ägypten und China erste Astronomiedaten gesammelt. In Mesopotamien wurde immerhin die Mathematik entwickelt. Leider fehlt die Himmelsscheibe aus dem deutschen Ort Nebra.

Das Weltall wurde in der Renaissance und Neuzeit anders betrachtet als im Mittelalter: Große Astronomen wie Kopernikus, Galilei halfen, aus dem geozentrischen ein heliozentrisches Sonnensystem zu machen. Statt Johannes Kepler wird der kupfernasige Däne Tycho Brahe aufgezählt (obwohl der dem heliozentrischen Weltbild deutlich misstraute). Die Reihe endet mit Newton, was ich etwas unfair finde.

Mit Riesenschritten geht es mit Hilfe von Sonden und diversen Großteleskopen immer weiter hinaus in die Tiefen des Alls. Doch bis zu den ersten Spaziergängen im All und auf dem Mond dauert es noch eine Weile. Raumsonden sind der verlängerte Arm des Menschen, um das All zu erkunden. Dass das Buch vor dem Januar 2008 entstand, lässt sich an den Startterminen für die nächsten Sonden ablesen, die ab 1/08 alle in der Zukunft liegen.

Sind wir allein im All? Diese Frage beschäftigt uns nach wie vor. Schiaparelli fand „Kanäle“ auf dem Mars und zeichnete eine recht kuriose Karte. Programme wie SETI suchen Leben und erdähnliche Planeten, doch in unserem Sonnensystem besitzen nur noch Venus und der Saturnmond Titan dichte Atmosphären, in denen ein Mensch landen könnte. Gibt es dort Leben? Die Suche geht dort ebenso weiter wie auf dem Jupitermond Europa, den eine dicke Eisschicht bedeckt, unter der sich ein Wasserozean befinden könnte. Die Darstellungen außerirdischer Lebensformen sehen etwas kurios aus.

Vor dem GLOSSAR mit Fachbegriffen liefert eine Doppelseite die übliche Zusammenfassung und Übersicht, darunter eine Liste mit Ereignissen zum „Weltall ins All“ – wobei natürlich die Amis die Nase vorn haben. Wesentlich interessanter fand ich die Erwähnung des 2013 startenden James-Webb-Weltraumteleskops, welches das veraltete Hubble-Teleskop ersetzen wird. Nach dem Glossar folgt das Register. Dieser Stichwortindex erleichtert das Finden von Begriffen enorm und gehört zu jeder wissenschaftlichen Buchpublikation.

_Unterm Strich_

Die Fülle des auf etwa 120 Seiten präsentierten Materials und Wissens erscheint zunächst überwältigend, erweist sich aber für einen jahrelang mit Astronomie und der Raumfahrt befassten Laien wie mich als doch schon ziemlich bekannt. Sicher, es ist hat etwas für sich, all die wunderbar spektakulären Objekte wie etwa die Ringe des Saturn oder Supernovae in den prächtigsten Farben geboten zu bekommen, aber wie neu ist das denn? Selbst der Kuipergürtel ist seit 1992 bekannt.

Nein, dieser Weltraum-Atlas ist etwas für Einsteiger, insbesondere im jugendlichen Alter, in dem man besonders leicht beeindruckbar ist. Sie werden auch weitestgehenden von Fremdwörtern und Fachjargon verschont. Fortgeschrittene Laien finden in einem Buch von Stephen Hawking oder Markus Chown mehr theoretische Anregungen, die weiterführen.

|Neues?|

Man muss schon in den didaktisch sehr willkommenen Übersichten zu jedem Abschnitt suchen, um etwas wirklich Neues zu finden. Dazu gehören die Dunkle Materie, die Dunkle Energie, bislang entdeckte Exoplaneten sowie Starttermine für künftige Sonden, Teleskope und Raumfahrtprogramme. Da kommt noch einiges, auf das wir uns freuen können.

|Patriotisch?|

Der Eindruck sollte nicht entstehen, dass der amerikanische Autor und sein Autor auf patriotische Weise dafür gesorgt hätten, dass die sowjetische Leistungen in der Raumfahrt verschwiegen oder herabgesetzt würden. Das ist nicht zutreffend, wie die entsprechende Überblicksseite belegt. Unter den „Rekorden“ sind mehrere Russen zu finden sowie die russische Raumstation |Mir|. Auch im „Wettlauf ins All“ sind die Sowjets gut vertreten.

Dass so wenige andere Nationen wie die Europäer auf den Fotos vertreten sind, liegen wohl eher an den Rechten, mit denen manche Foto-Datenbanken ausgewertet werden konnten. Unter diesen Datenbanken hat wohl die NASA eines der größten Archive überhaupt. Die Autoren wollen den Eindruck hinterlassen, dass der Weltraum ebenso wie die Raumfahrt alle Erdenbürger angeht, und das ist eine gute Einstellung.

|Originaltitel: Atlas of the Universe, 2007
Aus dem US-Englischen von Manfred Wolf
128 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-570-13496-2|
http://www.cbj-verlag.de

John Naish – Genug. Wie Sie der Welt des Überflusses entkommen

Praktische Anleitung zum Zufriedensein

Mehr Informationen, mehr Essen, mehr Sachen, mehr Statussymbole. Heute gibt es von allem mehr, als wir jemals nutzen, genießen oder uns leisten können. Trotzdem rücken wir in der Überflussgesellschaft keinen Millimeter von der ältesten Überlebensstrategie der Menschheit ab: zu horten. Wir wollen immer mehr, auch wenn es uns krank, müde, übergewichtig, unzufrieden und arm macht. Die Welt des Überflusses zerstört jedoch unsere persönlichen Ressourcen ebenso gründlich wie die unserer Heimatwelt. (abgewandelte Verlagsinfo) Naish zeigt uns die Probleme ebenso wie die Strategien, wie wir sie bewältigen können. Praktische To-do-Listen helfen den Betroffenen ganz konkret – sofern sie sie beherzigen.

Der Autor

John Naish – Genug. Wie Sie der Welt des Überflusses entkommen weiterlesen

Patterson, James – Dead (Alex Cross, Band 13)

_Mörderhatz im Doppelpack_

Ein psychotischer Mörder inszeniert seine Morde, als würde er ein Theaterstück für die Öffentlichkeit aufführen, möglichst publik und vor großem Publikum. Alex Cross, jetzt nur ein Psychotherapeut, und seine Freundin Brianna Stone, eine Kripobeamtin, haben viel zu tun, um die Morde zu verstehen. Schnell werden zwei Aspekte deutlich: Der Audience Killer von DC, kurz DCAK, arbeitet nicht allein, und er überwacht sowohl Alex als auch Brianna. Zudem hat er Nachahmer, die erheblichen Schaden anrichten.

Als Alex erfährt, dass es seinem altem Feind Kyle Craig gelungen ist, aus einem Hochsicherheitsgefängnis in Colorado zu entkommen, macht er sich Sorgen um Brianna und seine Familie, denn der psychopathische Craig will sich garantiert an ihm rächen. Alex tritt der Kripo bei und steckt bald mitten drin. Da trifft Craig in Washington, D.C., ein und verbündet sich mit seinem Verehrer DCAK. Alex wagt sich kaum vorzustellen, wozu diese beiden Irren wohl imstande sein könnten …

Der Originaltitel „Double Cross“ ist doppeldeutig. Normalerweise bedeutet es, jemanden doppelt zu täuschen, etwa als Doppelagent. Gemeint ist auch ein doppeltes Kreuz. Diesmal bedeutet es aber, dass Alex Cross von gleich zwei Mördern aufs Korn genommen wird.

_Der Autor_

James Patterson, ehemaliger Besitzer einer Werbeagentur, ist der Autor zahlreicher Nummer-1-Bestseller. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt. Für Einsteiger sei gesagt, dass Alex Cross ein sympathischer schwarzer Polizeipsychologe ist, der mit seiner Familie in Washington, D.C., lebt. Seine Actionreihe „Maximum Ride“ kommt demnächst über |Columbia Pictures| unter der Produktion des |Marvel|-Geschäftsführers Avi Arad als Filmreihe in die Kinos.

Patterson ist extrem fleißig. Sein letzter Solo-Roman vor „Blood“ in Deutschland hieß „Ave Maria“, ein Alex-Cross-Roman. Davor erschienen neue Alex-Cross-Romane mit den Titeln „The Big Bad Wolf“ und „London Bridges“. Im Original ist bereits „Double Cross“ erschienen. Seit 2005 sind weitere Patterson-Kooperationen veröffentlicht worden, darunter „Lifeguard“ sowie „Judge and Jury“; im Juli 2007 erschien die Zusammenarbeit „The Quickie“ (deutsch „Im Affekt“, 2008). Im Frühjahr 2003 (deutsch Mitte 2005) erschien auch eine Kollaboration mit dem Titel „Die Rache des Kreuzfahrers“ („The Jester“), deren Story im Mittelalter spielt.

Nähere Infos finden sich unter http://www.twbookmark.com und http://www.jamespatterson.com. Patterson lebt mit seiner Familie in Florida und Westchester, New York.

Mehr von James Patterson auf |Buchwurm.info|:

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Blood“ 4835
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Der 1. Mord“ 5247
[„Die 5. Plage“ 5376
[„Die 6. Geisel“ 5412
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47

_Handlung_

Der Audience Killer inszeniert seine erste „Story“ in dem netten Apartmenthaus, das in einem der besseren Viertel Washingtons liegt. Hier wohnt die Krimiautorin Tess Olsen. Er weiß, dass die Lady eine Biographie des brillanten Mörders Kyle Craig schreiben will und diesen sogar schon in seinem Hochsicherheitsgefängnis in Colorado besucht hat. Wie er Kyle Craig, den früheren FBI-Agenten, bewundert! Solche brillanten Morde schafft heute kaum noch einer. Höchstens er selbst.

Und er bemüht sich wirklich. In das überwachte Haus zu kommen, erweist sich als Kinderspiel, weil der Müll von einem einzelnen Bediensteten zu immer der gleichen Tageszeit rausgebracht wird. Der unbewachte Eingang ist schnell überwunden, die Treppen sind frei, und schnell ist die Apartmenttür der lieben Tess gefunden. Gut, wenn man schon eine Generalprobe erfolgreich absolviert hat. Das macht vieles leichter. Doch jetzt kommt die Nagelprobe: Wird die liebe Tess einem Handwerker öffnen, den sie gar nicht kennt?

Worauf man sich verlassen kann. So eine Handwerkeruniform hat noch jeden getäuscht. Flugs ist die liebe Tess außer Gefecht gesetzt, von ihren Kleidern befreit und an die Leine gelegt. Sie versucht, sich freizukaufen, doch das nützt nichts. Er hängt die moderne Lady Godiva über das Geländer ihres kleinen Balkons, bis die Leute von der Straße sich nach dem Ursprung der Schreie umsehen. Ja, wer hätte gedacht, dass sich in dieser ruhigen Gegend solch ein Schauspiel inszenieren ließe. Eine gaffende Menge sammelt sich unten auf der Straße. Zum Glück hat er alles auf Video aufgezeichnet. Und nun die Hauptattraktion des Abends, Ladies and Gentlemen: die fliegende Lady Godiva …

|Cross|

Alex Cross ist nicht mehr bei einer der Strafverfolgungsbehörden der Stadt oder des Bundes, sondern übt wieder seinen ersten Beruf als Psychotherapeut in seiner eigenen Praxis aus. Heute hat er es allerdings geschafft, mit seiner Freundin, der Polizistin Brianna Stone, aufs Land hinauszufahren und an einem Bergsee zu kampieren. Alles ist zu beider größter Zufriedenheit, ganz besonders der Sex. Bis Briannas Pager piepst und sie zum Dienst ruft. Irgendein Irrer hat eine Krimiautorin umgebracht. Bizarr. Cross fährt sie mit seinem Mercedes-Rover, auf den er sehr stolz ist, direkt zum Tatort.

Brianna Stone lässt sich einweisen, und bald folgt ihr Cross, der über die Menge vor dem Haus ein wenig besorgt ist. Ein Killer, der ein Publikum anlockt, um einen Mord zu begehen – das gab es bislang wohl kaum. Am Tatort wird er durchgelassen, denn die Beamten kennen ihn alle von früher, und zudem ist er mittlerweile landesweit bekannt. Nicht zuletzt durch seine Bücher. Zusammen mit Brianna durchsucht er alle Räume. Ihm fallen die unsignierten Hallmark-Postkarten auf. Erst später kommt er auf den Zusammenhang. Sie stammen aus Kansas City, abgekürzt KC – die Initialen von Kyle Craig.

Wesentlich interessanter als Postkarten ist jedoch ein Video, das der Täter ihnen hinterlassen hat. Cross staunt: Der Typ hat doch tatsächlich seine ganze Tat von A bis Z gefilmt. Ganz so, als inszeniere er seine eigene Show. Und ganz am Schluss wendet er sich direkt an Dr. Cross! Ganz so, als wolle er ihn herausfordern, doch mal zu versuchen, ihn zu schnappen. Es stellt sich heraus, dass der Audience Killer noch ganz am Anfang seiner „Karriere“ steht.

Die Nachricht, dass es Kyle Craig, dem er zu einem Freifahrschein ins Kittchen verholfen hat, gelungen ist, mit Hilfe seines Anwalts zu entkommen, trägt nicht gerade zur Beruhigung von Alex‘ Nerven bei. Nun sieht er sowohl sich, Brianna als auch seine Familie im Fadenkreuz dieses psychopathischen Killers. Was, wenn sich Kyle Craig mit seinem erklärten Bewunderer, dem Audience Killer, in Washington träfe, um gemeinsame Sache mit ihm zu machen? Aber wie er Craig kennt, hält sich Mastermind Craig für einen viel zu tollen Hecht, um Konkurrenz neben sich zu dulden.

_Mein Eindruck_

Nach dem ziemlich lahmen „Ave Maria“-Fall in Hollywood und den Mordfällen in „Blood“ ist Alex Cross wieder in alter Stärke zurück. Der Autor hat sich wohl seine fallenden Verkaufszahlen angeschaut und sich gesagt, er müsse sich mehr anstrengen. Das belegt jedenfalls die Stärke des vorliegenden Falls. Natürlich kann man sich sagen, dass es ein todsicheres Rezept gibt, um einen Thriller doppelt so gut zu machen machen wie den vorherigen: Man lässt zwei Serienmörder auftreten statt nur einen.

|DCAK|

Während wir von Kyle Craig nur die gewohnten Psaychopathenvorstellungen geboten bekommen, erweist sich der Audience Killer als eine wesentlich interessantere Erfindung. Der Typ tötet nur vor einem größeren Publikum, und je größer dieses ist, desto besser. Ein Kino – guter Platz! Ein Theater – noch besser! Die Leute im Publikum werden denken, der blutige Mord auf offener Bühne gehöre zum Stück – harhar! Der alte Shakespeare hat dafür jede Menge gute Szenen geschrieben.

|Psychologie|

Der „Publikumsmörder“ oder DCAK hält der mediengeilen und vergnügungssüchtigen amerikanischen Öffentlichkeit den Spiegel vor. Ihr wollt Blut, ihr wollt Mord, ihr wollt Tränen? Ich gebe sie euch! Und wenn die Medien auch nur wittern, dass es von diesen wertvollen Rohstoffen ein Tröpfchen geben soll, das sie dem lechzenden Publikum stolz apportieren können, dann fallen sie über den Ort des Geschehens, pardon: der Lieferung begierig her. Braves Hundchen.

Dies Sätze stammen nicht etwa von mir, sondern aus dem Buch. Doch der Autor legt sie nicht etwa den Mördern ins Hirn, sondern Alex Cross. Schließlich ist die sympathische Hauptfigur ja auch Psychologe und weiß sowohl ein krankes Hirn zu untersuchen wie auch eine seelenkranke Gesellschaft. Manchmal fragt sich der Leser, wer nun psychopathischer ist: die Mörder oder seine Opfer. Und er findet natürlich Trittbrettfahrer, die ihn imitieren. Er macht kurzen Prozess mit Plagiatoren.

|Technik|

Diesmal hat der DCAK-Killer sogar seine eigene Webseite eingerichtet, um mit seinen Taten und Fotos zu prahlen. Er lässt sich in geheimen Chat-Foren von seinen Fans gehörig feiern. Nicht wenige darunter halten allerdings Kyle Craig für den unübertroffenen Großmeister des Serienmordes. Daran muss DCAK noch arbeiten. In diesem Band spielt erstmals die modernste Kommunikationstechnik eine Rolle: das Internet mit seinen Foren etc., Mobiltelefone mit Kameras zum Fotografieren sowie Displays zum Anzeigen empfangener Fotos – alles nichts Neues mehr, klar, aber doch erfrischend up-to-date in Pattersons Thrillern.

|Der Sinn und Zweck|

Was soll das Ganze, fragt sich der Leser zusammen mit Stone und Cross. Wie schon angedeutet, wendet sich der DCAK-Mörder direkt an Dr. Cross. Dies ist eine Herausforderung an den Fachmann und Mörderjäger Cross, aber auch an seinen Boss, das Polizei-Department von Washington (DCPD) und somit auch an Brianna Stone. Der Publikumsmörder legt es zusammen mit seiner Komplizin darauf an, die ganze Polizei bloßzustellen.

Je länger die Suche nach ihm ergebnislos verläuft, desto schlechter steht die Polizei da. Und statt selbst Jäger zu sein, macht der Publikumsmörder nun zusammen mit Kyle Craig Jagd auf die beiden. Die Hirten sind zu Schafen geworden. Wirklich? Wie das fulminante Finale ausgeht, soll hier nicht verraten werden. Eins ist aber sicher: Alex wird weiterhin das zweifelhafte Vergnügen von Kyle Craigs Gesellschaft haben. Das sorgt hoffentlich für entsprechende Thriller.

_Unterm Strich_

Auch dies ist kein Thriller für zartbesaitete Leser. Die Opfer sind durchweg unschuldige „Zivilisten“, und viele von ihnen bekommen vor dem Tod noch ein ordentliches Spektakel geboten. „Spektakel“ ist das Schlüsselwort für den Audience Killer: Er inszeniert seine „Story“-Morde stets vor großem Publikum, als sei er ein Künstler des Mordes. Im Internet lässt er sich für seine „Kunst-Werke“ auch noch loben. Und die sensationsgeilen Medien instrumentalisiert er, um die maximale Reichweite und Wirkung seiner „Kunst-Werke“ zu erzielen. Das ist ungefähr das gleiche, als würde Damien Hirst einen weiteren Totenschädel mit Platin und Brillanten besetzen.

Vielleicht wollte James Patterson, wie schon des öfteren, wieder mal die nahezu pathologische Sensationsgier der US-Medien kritisieren. Besonders Dokumentationen über Serienmörder und Forensiker erfreuen sich großer Beliebtheit. Diesmal versucht er die Schattenseiten dieser Neugier und der sie bedienenden Medien zu beleuchten: Diese Mörder bedrohen auch Familien und Fernsehzuschauer.

Andererseits ist er verpflichtet, den Leser zu unterhalten. Dazu lässt er die beiden Mörder brutal zuschlagen. Es ist aber eine Sache, solche Morde zu schildern, und eine andere, den Leser sich daran aufgeilen zu lassen. Genau dies versucht der Autor durchweg zu vermeiden. Als beispielsweise Alex Cross eine der Täterinnen mit dem Auto quer durch Washington verfolgt, mutet dies zwar ungeheuer spannend an, doch letzten Endes führt die Verfolgte ihren Jäger nur im Kreis und an der Nase herum. Die Verfolgungsjagd, ein Topos in jedem Thrillerfilm, ist nur eine Farce. Ätsch!

Hinweis: Sein nächster Fall führt Alex Cross nach Afrika.

|Originaltitel: Double Cross (Alex Cross 13)
Originalverlag: Little, Brown & Co., New York 2007
Aus dem Amerikanischen von Leo Strohm
Taschenbuch, Broschur, 384 Seiten
ISBN-13: 978-3-442-37204-1|
http://www.blanvalet-verlag.de
http://www.jamespatterson.com

Rankin, Ian – Kinder des Todes, Die

_Inspektor Rebus: Der Elefant im Porzellanladen_

Ein Mann erschießt zwei Schulkinder, verletzt ein drittes schwer und tötet sich anschließend selbst. Alles an diesem Amoklauf erinnert die Bewohner des Städtchens South Queensferry an das Massaker von Dunblane. Sie fragen sich: Was hat den ehemaligen Elitesoldaten Lee Herdman nur zu dieser Tat getrieben? Inspector John Rebus von der Kripo Edinburgh ahnt beim Auftauchen von zwei Militärermittlern, dass der Fall noch weitere Rätsel birgt. Die Suche nach den Hintergründen führt ihn nicht nur zu den kriminellen Jugendlichen der kleinen Stadt, sondern in die eigene Vergangenheit beim Militär. Aber je näher er der Wahrheit kommt, desto dunkler wird der Abgrund, in den er blickt. (abgewandelte Verlagsinfo)

_Der Autor_

Sir Ian Rankin gehört zu den wichtigsten Kriminalschriftstellern der britischen Insel. Sein Inspektor Rebus macht die schottische Hauptstadt Edinburgh nun schon in zahlreichen Abenteuern sicherer – soweit man ihn lässt! Für „Die Kinder des Todes“ wurde Rankin mit dem Deutschen Krimipreis 2005 ausgezeichnet. Die englische Königin verlieh ihm für seine Verdienste um die Literatur den „Order of the British Empire“. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh.

Ian Rankin auf |Buchwurm.info|:

[„Verborgene Muster“ 956
[„Das zweite Zeichen“ 1442
[„Wolfsmale“ 1943
[„Ehrensache“ 1894
[„Ein eisiger Tod“ 575
[„Das Souvenir des Mördern“ 1526
[„Die Sünden der Väter“ 2234
[„Puppenspiel“ 2153
[„Die Tore der Finsternis“ 1450
[„So soll er sterben“ 1919
[„Im Namen der Toten“ 4583
[„Eindeutig Mord“ 5063
[„Der diskrete Mr. Flint“ 3315
[„Ein Rest von Schuld“ 5454

_Handlung_

Detective Sergeant (DS) Siobhan Clarke wundert sich über ihren Vorgesetzten Detective Inspector John Rebus: Seine Hände sind verbrüht. Oder verbrannt? Er lässt sich immer neue Erklärungen einfallen, was sie nicht gerade beruhigend findet. Ebenso wenig wie der Umstand, dass er denjenigen Mann besucht, der sie, Siobhan, seit Wochen piesackte – und der nun verbrannt in seiner Wohnung aufgefunden wird. Wenige Stunden, nachdem Rebus ihn verließ. Hat Rebus etwas mit dem Brand zu tun? Das fragen sich auch seine Vorgesetzten und suspendieren ihn nach wenigen Tagen vom Dienst. Die Sache ist ein gefundenes Fressen für die Sensationsreporter wie Steve Holly, der sich an die Fersen der Bullen geheftet hat. Ebenso wie Holly liebt es auch der Politiker Jack Bell, die Polizei als unfähig hinzustellen.

Und jetzt wird schon wieder ein grausiger Fall von Waffenmissbrauch entdeckt. Ein Amokläufer ist in die Schule des Städtchens South Queensferry eingedrungen, hat zwei der Schüler mit Kopfschüssen exekutiert und einen dritten – den Sohn von Jack Bell – schwer verletzt, bevor er sich selbst richtete. Alle halten Lee Herdman, den Täter, für durchgeknallt, aber Rebus ist insgeheim anderer Ansicht. Hätte ein Irrer derart präzise Kopfschüsse abfeuern können? Andererseits war Herdman ein ehemaliger Elitesoldat, der beim Special Air Service (SAS) diente, was dem Pendant zur deutschen GSG9 entspricht. Rebus wollte selbst vor Jahren mal in diese Truppe aufgenommen werden, bestand aber die unmenschliche psychologische Prüfung nicht.

Rebus ist auch durch eines der Opfer in den Fall verwickelt: Derek Renshaw war der Sohn seines Cousins Allan, mit dem er in seiner Kindheit spielte. Dereks Schwester Kate setzt sich nun gegen Waffenmissbrauch ein und unterstützt die Kampagne von Jack Bell. Rebus warnt sie als gutmeinender Onkel, doch sie hört nicht auf ihn. Das zweite Opfer war der Sohn eines Richters, doch dieser Vater bewahrt nach wie vor Haltung. Als Rebus herausfindet, dass an der Schule Waffen gelagert wurden und die älteren Schüler wie Derek regelmäßig Kadettenübungen durchführten, taucht eine engere Verbindung zu Herdman auf. Die Schüler trafen den Wasserskilehrer und Exsoldaten regelmäßig auf Partys. Sind Drogen und Sex im Spiel?, fragt sich Rebus.

Das Militär hat zwei Ermittler geschickt. Whiteread ist eine eiserne Lady mit Haaren auf den Zähnen, doch ihr junger Begleiter Simms ist unbedachter und lässt sich zu gehässigen Bemerkungen über Rebus‘ Erfolglosigkeit und Suspendierung hinreißen. Das macht Rebus überhaupt nichts aus: Sein Kollege Bobby Hogan hat ihn lediglich als „Berater“ angefordert, nicht als offiziellen Ermittler. Er kann also tun, was ihm beliebt. Und so besorgt er sich mit Hilfe von Siobhan Clarke die Militärakte von Herdman, die unverschlossen in Simms‘ Hotelzimmer liegt. Na, na, wie leichtsinnig. Denkt’s und kopiert sie klammheimlich. Ein Blatt wurde „auf Anweisung entnommen“. Der SAS hat also etwas zu verbergen, wie es aussieht.

In der Personalakte ist von Herdmans Einsatz bei einem Rettungstrupp auf der schottischen Insel Jura die Rede. Der Reporter Steve Holly tut ihm einen Gefallen und recherchiert kurz mal bei Google (Rebus steht mit Computern auf Kriegsfuß). 1995 stürzte ein Helikopter des Militärs, der mit ranghohen Offizieren an Bord Richtung Nordirland flog, auf Jura ab. Dem Piloten wurde die Schuld gegeben, und Soldaten suchten in den Inselbergen die sterbliche Überreste und Hubschrauberwrackteile. Was fand Herdman, das nicht verraten werden darf? War es etwas, womit er seine Boote bezahlte?

Zusammen mit Siobhan lässt sich Rebus von einem Bekannten Herdmans zur Insel Jura fliegen …

_Mein Eindruck_

Dieser Krimi von Ian Rankin macht mal wieder deutlich, warum er so erfolgreich ist: seine Kombination aus Wagemut, Anteilnahme und kriminalistischer Kleinarbeit. Dafür steht Inspektor John Rebus, und der Originaltitel weist schon darauf hin: „A Question of Blood“ – eine Frage des Blutes.

Dass Blut dicker ist als Wasser, weiß jeder, der sich mal für ein Geschwister oder die Verwandten eingesetzt hat. Und so ergeht es nun auch Rebus, der sich um den verlorenen Neffen Derek Renshaw und dessen Schwester Kate sorgt, aber auch um ihren Vater Allan, der sich auf einmal wieder mit Kinderspielsachen seine Zeit vertreibt. Es ist Rebus ein Herzensanliegen, den Tod von Derek aufzuklären. Dafür steigt er nicht nur hinab in die Niederungen der Jugendkultur, inklusive Spanner-Websites, sondern spannt auch die moderne Simulationstechnik ein.

Die Blutspuren am Tatort, so ergibt die Simulation, stimmen in keiner Weise mit den Aussagen von James Bell überein, dem überlebenden Opfer von Herdmans Amoklauf. Und es gibt noch weitere Widersprüche. Aber Rebus wird zunehmend klar, dass es eine Eifersuchtsaffäre ist, die das Blut des Todesschützen derart in Wallung gebracht hat, dass er zur Waffe griff. Um diese Zusammenhänge zu begreifen, stützt sich Rebus auf seine einzigartige Fähigkeit: kriminalistische Intuition und Kombinationsgabe. Und sobald er diese Einsicht erhalten hat, schreckt er vor nichts zurück, um seiner Überzeugung gemäß zu handeln – auch nicht beim Vorgehen bei Parlamentsabgeordneten. Nichts ist Rebus heilig (außer vielleicht der Produktionsweise von gutem Whisky). Für den Leser ist es stets ein Fest, wenn heilige Kühe geschlachtet werden.

Zu solchen heiligen Kühen gehört zweifellos auch der Special Air Service, der auf der Insel wie hierzulande die GSG9 verehrt wird, jene Elitetruppe, die das entführte Flugzeug in Mogadischu stürmte und befreite. Der SAS ist gleichbedeutend mit dem Militär, und dessen abgesandte Ermittler erweisen sich als abgebrüht und nicht zimperlich beim Einsatz brutaler Methoden. Rebus bemüht sich nicht um Fairplay ihnen gegenüber, und so dauert es nicht lange, bis sie auf seinen Köder anbeißen, geradezu verzweifelt, wie es ihm erscheint. Zum Glück hat er einen Zeugen dabei, so dass Schlimmeres als eine Prellung verhütet wird.

Der Autor führt uns Rebus zu Anfang als eine Art Clown und Tolpatsch vor: zwei umwickelte Hände, die ihn hilflos machen. Doch der Schein trügt: Sobald Rebus wieder Herr der Lage ist, kann er immensen Schaden anrichten – oder Nutzen, je nachdem, auf welcher Seite des Gesetzes man steht. Das wissen leider auch seine Vorgesetzten, allen voran Gillian Templer, ebenfalls eine eiserne Lady, und deren Vorgesetzte. Einen Cop unter Mordverdacht ziehen sie sofort aus dem Verkehr, aber das ficht Rebus nicht an: Er arbeitet einfach ehrenamtlich weiter, für seinen guten Freund Bobby Hogan nämlich. Der ist zufällig ebenfalls Ermittler.

Rebus und seine Chauffeuse DS Siobhan Clarke (ausgesprochen [schiwå:n], weshalb jeder kumpelhaft „Shiv“ zu ihr sagt) verbinden zwar keine Blutsbande, aber dafür etwas ebenso Starkes: Loyalität unter Kollegen, wenn nicht sogar menschliche Zuneigung, die sie aber unter einem Mantel von ruppigen Umgangsformen und Frotzeleien zu verbergen wissen. Zu mehr kommt es nicht, obwohl beide Single sind und sich abends auch mal bei Rebus treffen. Aber zwischen ihnen liegt auch die Kluft unterschiedlicher Generationen. Er mag die Band |Hawkwind| aus den Siebzigern, sie mag |Mogwai| aus den Achtzigern und Neunzigern. Und beide trennt die Kluft zur neuesten Generation.

Diese moderne Generation soll das eigentliche Thema des Krimis sein, suggeriert der deutsche Titel. Doch wir erfahren relativ wenig über sie. Das liegt aber nur am Ermittler, der mit Goths, Jazzfreunden, Waffenfetischisten und Dealern wenig mehr anzufangen weiß, als sie eines Verbrechens zu überführen – oder sie dazu zu benutzen, andere eines Verbrechens zu überführen. Hier liegt meines Erachtens ein Schwachpunkt des Romans. Der Autor hat oder gewährt (vielleicht aus Platzgründen) zu wenig Einsicht in die Jugendkultur Edinburghs. Das hätte wohl nur mit einer Schilderung aus subjektiver Sicht behoben werden können. Das aber hätte die Erfindung einer entsprechenden Hauptfigur erfordert, und so etwas wäre für einen Rebus-Krimi sehr ungewöhnlich gewesen.

Am Schluss gibt es ein spannendes Finale, wie sich das gehört. Wir bangen mit Rebus um die tapfere und unerschrockene Siobhan Clarke, die sich womöglich an Bord eines Flugzeugs befindet, das ein krimineller Selbstmörder steuert. Mehr soll nicht verraten werden.

|Die Übersetzung|

Claus Varrelmann macht seine Sache recht gut. Besonders bei sämtlichen Realien wie Ortsnamen, Whisky- und Bierbezeichnungen ist er makellos. Probleme hatte ich nur, wenn er mir unbekannte DEUTSCHE Wendungen verwendete. Dazu gehört der Ausdruck „auf Zuwachs gekauft“. Nein, das ist kein neues dubioses Finanzmarktprodukt, sondern bedeutet lediglich, dass der Träger eines Kleidungsstücks noch in dieses hineinwachsen muss. Und was bitte ist eine „Victor-Meldrews-Stimmung“ (S. 196)? Manchmal wäre eine kleine Fußnote angebracht gewesen, um solche Details zu erläutern.

Des Weiteren gibt es ein paar Druckfehlerchen. Statt „Grampains“ (S. 332) sind die „Grampians“ gemeint, die Berge von Schottland. Statt „Barcadi-Cola“ (S. 346) sollte es wohl richtiger „Bacardi-Cola“ heißen, also Cola mit Rum.

Diese Angaben beziehen sich auf die Hardcoverausgabe von |Manhattan|. Vielleicht wurde die neuere Taschenbuchausgabe von |Goldmann| in dieser Hinsicht nachgebessert.

_Unterm Strich_

Man kann sich fragen, warum der Autor für die Lösung eines Falles fast 550 Seiten braucht. Die Antwort lautet, dass es nicht nur um einen Fall geht, nämlich den Amoklauf an der Schule, sondern um nicht weniger als vier Fälle, die alle gleichzeitig recherchiert werden. Sie hängen alle miteinander zusammen, wie Rebus und Clarke mit der Zeit feststellen. Das Leben ist eben kein Bühnenstück, für das ein einziger roter Faden ausreicht, sondern voller Zufälle und Unwägbarkeiten.

Aber Rebus ist eh nicht der Typ des One-track-minds, des Mannes mit Scheuklappen, der wie ein Rennpferd nur einer vorgegebenen Bahn folgt, um möglichst schnell ans Ziel zu gelangen. Hat er in seinem Alter (Mitte fünfzig) gar nicht nötig. Seine Interessen sind vielfältig. Manchmal ermittelt er breit gestreut in alle Richtungen und stößt so auf unvermutete Zusammenhänge. Manchmal, wie in [„Ehrensache“, 1894 schnüffelt er nur so aus Neugier – und stößt unweigerlich auf Leichen, die niemand finden soll.

Auch nicht bei der Polizei, wie der Krimi [„Die Tore der Finsternis“ 1450 zeigte. Darin wird ein korrupter Bulle gejagt, der daher den Spieß umdreht und Rebus & Clarke bedroht. Hier, in „Die Kinder des Todes“, stellt der Autor die karrieregeilen Inspektoren vom Drogendezernat DMC als Volltrottel dar. Im Augenblick ihres vermeintlich größten Triumphes arbeitet Rebus gerade an der Aufklärung ihres Falles, in einer völlig anderen Richtung allerdings.

Ansonsten wundert sich der Leser nur noch darüber, dass der Autor so viel Schleichwerbung für schottische und britische Musikgruppen macht. Von |Led Zeppelin| dürft so mancher gehört haben, vielleicht sogar von |Hawkwind| (der SF-Autor Michael Moorcock wirkte bei ihnen mit), aber auch von |Mogwai|? Vielleicht wird Ian Rankin ja vom schottischen Tourismusministerium gesponsert. Nicht umsonst ist das jährliche |Edinburgh Music Festival| ja weltbekannt.

|Originaltitel: A Question of Blood, 2003
Aus dem Englischen übersetzt von Claus Varrelmann

Hardcover-Ausgabe bei |Manhattan| 2004:
543 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-442-54550-6

Taschenbuch-Ausgabe bei |Goldmann| 2006:
544 Seiten, Broschur
ISBN-13: 978-3-442-46314-5|

http://www.ian-rankin.de
http://www.goldmann-verlag.de
http://www.manhattan-verlag.de

Philip Reeve – Gwyna – Im Dienste des Zauberers

In Artors Welt: zwischen Illusion und Drama

Als ihr Hof von Artus‘ Kampftruppe geplündert und niedergebrannt wird, rettet sich die junge Gwyna („Maus“) mit einem Sprung in den kalten Fluss. Sie ist eine exzellente Schwimmerin und Taucherin. Artus‘ Barde Myrddin (= Merlin) findet die Halberfrorene am Ufer und nimmt sich ihrer an, denn er weiß sich ihre Tauchfähigkeit zunutze zu machen. Er ist schließlich auch Artus‘ Propagandaminister und will seinen Herrn zum Herrscher über ganz England machen.

In seinem Auftrag schlüpft Gwyna, die er als Junge verkleidet, in verschiedenste Rollen, darunter als Knappe und als Spionin am Hof der Königin. Doch dann wird die Königin Opfer eines Verrats – und Gwyna schwebt als deren Vertraute unvermittelt in Lebensgefahr …

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Vermes, Geza – Anno Domini. Ein Who\’s Who zu Jesu Zeiten

_Überraschung: Jesus war ein Exorzist, Joseph pädophil_

„Wer waren die VIPs vor 2000 Jahren?“ Obwohl die Zeitenwende bis heute eines der bedeutendsten Ereignisse der menschlichen Geschichte ist, kann kaum jemand diese Frage beantworten. Geza Vermes ist ein renommierter Jesus-Kenner. In seinem Who’s Who zu Jesu Zeiten beschränkt er sich nicht allein auf theologisch relevante Personen, er porträtiert auch römische Politiker wie Pontius Pilatus und andere weltliche Schlüsselfiguren, die in der Bibel kaum oder gar nicht auftauchen, in Kurzbiografien.

_Der Autor_

Geza Vermes, 1924 in Ungarn geboren, studierte Orientalistik und orientalische Sprachen und promovierte in Theologie. Er wurde zum ersten Professor für Jüdische Studien an der Universität Oxford, wo er noch heute als Professor Emeritus wirkt. Seit 1991 ist er Direktor des Forums für Qumran-Forschungen am Zentrum für Hebräische und Jüdische Studien in Oxford. Er ist Mitglied der British Academy und der Europäischen Akademie für Wissenschaften, Kunst und Literatur sowie Träger diverser Ehrendoktorate. Zu seinen Werken zählen „Die Passion. Die wahre Geschichte der letzten Tage im Leben Jesu“ und „Die Geburt Jesu. Geschichte und Legende“.

_Inhalte_

Nach einem Verweis auf die Quellen und Mitarbeiter stellt der Autor stichwortartig die Gruppen von Namen vor, die er später im biografischen Teil seines Who is Who eingehend vorstellt und beurteilt. Zwei Stammtafeln über die Hasmonäer/Makkabäer (Priesterkönige) und die Herodianer (Könige und Statthalter) beschließen diese Einführung.

Ganz wichtig für das Verständnis der Biografien und deren zeitliche Einordnung ist der Überblick „Das Zeitalter Jesu im breiteren Kontext“. Denn hier stellt der Autor erstmals vor, welchen Zeitraum er überhaupt berücksichtigt. Er könnte ja bei Adam und Eva oder Stammvater Abraham anfangen. Nein, sein zeitlicher Blickwinkel ist auf die Jahre 164 vor der Zeitenwende (v. d. Z.) und 135 n. d. Z. begrenzt – zwei einschneidende Daten in der Geschichte des jüdischen Volkes.

Im Jahr 164 v. d. Z. – der Autor spricht niemals von „vor/nach Christi Geburt“, aus Gründen, die bald ersichtlich werden – erlangen die Juden erstmals nach Jahrhunderten der Unterdrückung durch Babylonier, Perser und Griechen ihre politische Unabhängigkeit und wählen Jerusalem als ihre Hauptstadt. Das bereits erwähnte Geschlecht der Hasmonäer erringt nach dem Makkabäeraufstand die politische und religiöse Macht.

Im Verlauf von Machtkämpfen und Erbstreitigkeiten holt man im Jahr 63 v. d. Z. den römischen Konsul und General Pompeius zu Hilfe – ein schwerer Fehler, denn er annektiert einfach das Land als die römischen Provinzen Judäa und Galiläa (später weitere). Während es Galiläa, wo Jesus geboren wird, gelingt, von seiner eigenen Oberschicht regiert zu werden, ist Judäa bald schlechter dran: die Römer herrschen hier direkt und ohne Vermittlung.

Sie unterdrücken diverse aufrührerische Bewegungen, doch ohne durchschlagenden Erfolg, bis es anno 63 n. d. Z. zum Ausbruch des Ersten Jüdischen Krieges kommt, der mit der Eroberung Jerusalems und der Festung Masada anno 66 endet. Es kommt anno 70 zur Zerstörung des Tempels von Jerusalems, womit die Saat für den Zweiten Jüdischen Krieg gelegt wird, der erst 135 n. d. Z. mit einer vernichtenden Niederlage des Ben Kochba endet. Dies führt zur Diaspora, der Zerstreuung des jüdischen Volkes in alle Winde. Somit deckt der Autor rund 300 Jahre Geschichte ab, die außerordentlich gut dokumentiert ist.

Eine CHRONOLOGIE liefert am Ende des Buches nochmals einen Überblick über die diversen kritischen Ereignisse in diesen drei Jahrhunderten. Der Überblick „Das Zeitalter Jesu im breiteren Kontext“ ist in fünf Abschnitte eingeteilt, in denen die jeweils wichtigsten Personen der Zeitgeschichte kurz auftauchen. Der titelgebende Mann, Jesus von Nazareth, lebte ungefähr in der Mitte des beleuchteten Zeitraums, wird aber nur kurz betrachtet, da es ja vor allem die jüdischen und christlichen Bewegungen in seiner Nachfolge waren, die bis heute die Kirchen- und Glaubensgeschichte von Juden- und Christem beeinflussen.

|Das „Who’s Who“|

Es wäre sinnlos, irgendwelche Artikel aus diesen Biografien zur Gänze zitieren zu wollen. Ja, schon der Versuch einer Übersicht muss im Ansatz scheitern. Sinnvoller ist daher, die wichtigsten BEFUNDE der historischen Beurteilungen, die der Historiker Vermes vornimmt, mal kurz in Beispielen vorzustellen. Sein Ansatz ist, wohlgemerkt, völlig unparteiisch und nur der historischen Disziplin verpflichtet. Daher können sehr religionskritische Aussagen dabei herauskommen. Wie der Leser diese Aussagen aufnimmt und bewertet, steht auf einem ganz anderen Blatt.

|Die Apostel|

Es gibt, wie man inzwischen weiß, jede Menge Evangelien (griechisch für „gute Nachricht“), aber nur vier davon wurden vom Konzil zu Nicaea/Nicäa (heute İznik in der Türkei) im 4. Jahrhundert genehmigt: die von Markus, Matthäus, Lukas und Johannes. Dies ist zugleich die chronologische Folge ihrer Entstehung: Markus ist das älteste, das der historischen Figur des Wanderpredigers, Heilers und Exorzisten Jesus von Nazareth am nächsten ist.

Matthäus und Lukas haben gehörig hinzugedichtet und Jesus zu einem Sohn Gottes, einem Messias und und Propheten gemacht. Hier ändert sich bereits die Bewertung der Juden. Und Johannes macht das Maß voll, indem er die Juden in Grund und Boden verdammt, was mit Jesu Botschaft, der sich strikt ans Mosaische Gesetz hielt, rein gar nichts mehr zu tun hat. Vermes hält es für höchst wahrscheinlich, dass der Evangelist Johannes nichts mit dem Apostel Johannes zu tun hat. Und dass Lukas wie auch „Johannes“ Nichtjuden waren.

|Jesus|

Der historische Jesus, den der Autor nach seinen Recherchen für wahrscheinlich, jedoch nicht für gesichert hält, wurde im Jahr 6 vor der Zeitenwende geboren. Von einem Jahr null = Jesu Geburt kann also keine Rede sein! Jesus wurde nach der Begegnung mit Johannes dem Täufer im Jahr 29 n. d. Z. zu einem eifrigen Wanderprediger, der das Kommen eines Reiches Gottes und somit des Messias für höchst dringlich hielt und verkündete. Im Herbst 29 und dem Frühjahr 30 zog er also mit den bekannten zwölf Aposteln durch Galiläa, sprach aramäisch (nicht hebräisch oder gar lateinisch oder neugriechisch) und entfremdete sich von seiner Familie, außer von seinem Bruder oder (je nach Quelle) Stiefbruder Jakobus, der später der erste Bischof von Jerusalem wurde.

Der einzige Grund, den der Autor für Jesu Verhaftung gelten lässt, ist dessen Auftritt im Tempel von Jerusalem kurz vor dem Passah-Fest. Nicht Römer ließen ihn verhaften, sondern jüdische Älteste und Priester. Er wurde von Hannas verhört, von Kaiaphas verurteilt und an den römischen Präfekten von Judäa, Pontius Pilatus, zur Exekution übergeben.

Das Bemerkenswerte an dem Vorgehen des Glaubensrates von Hannas und Kaiaphas: Damals wie auch heute ist es für einen Juden kein Verbrechen, sich als „Sohn Gottes“ zu bezeichnen, alldieweil sich alle Juden als Söhne Gottes betrachten. Auch gibt es kein Gesetz, wonach Personen, die sich als Messias bezeichnen, als Gotteslästerer zu verurteilen seien. Gotteslästerung hätte mit Steinigung geahndet werden müssen. Stattdessen wird Jesus der Aufwiegelung gegen die Römer bezichtigt, was durch Kreuzigung bestraft wurde – für ein Verbrechen, das er gar nicht begangen hatte. Ein politischer Mord unter so vielen.

All dies geschah aber nicht an jenem Feiertag des Passah- oder Osterfestes, sondern, da an diesem Tag Amtshandlungen verboten waren, einen Tag zuvor. Die Kreuzigung fand dann am Karfreitag des Jahres 30 n. d. Z. statt. Jesus war also 36 Jahre alt. Aber wie verhielt es sich mit seiner „Auferstehung“, die ihn zu jenem gottähnlichen Wesen machte, als das er heute verehrt wird? Wie sich herausstellt, beruht dieser Glaube allein auf den „Visionen“ seiner Anhänger.

Die Evangelien widersprechen sich in zahllosen Details zur Auferstehung wie auch zum Prozess und der Passion Jesu. Nur Markus kann man zutrauen, noch Zeuge der Kreuzigung gewesen zu sein oder wenigstens mit Zeugen gesprochen zu haben. Der Autor stellt die verschiedenen Evangelien einander gegenüber, was zu dem erstaunlichen Resultat führt, dass a) der historische Kern kaum noch sichtbar ist und b) 99 Prozent der Passionsgeschichte Legenden, Dichtungen, Verfälschungen und andere spätere Hinzufügungen sind. Meist musste die „gute Nachricht“ den Verkündern in den religionspolitischen Kram passen. Erst sie machten aus dem jüdischen Wanderprediger, der keine Nichtjuden anerkannte, den christlichen Messias und Erlöser, der für alle da ist.

|Maria|

Kann eine Jungfrau wirklich den Sohn Gottes geboren haben? Dies ist seit dem 19. (päpstliche Bulle von 1854) und 20. Jahrhundert (Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel von 1950) die Doktrin der Katholischen Kirche. Die Quellen besagen etwas ganz anderes. Maria soll mit Joseph dem Zimmermann verheiratet gewesen sein und mit ihm sieben Kinder gehabt haben. Jesus, der Älteste, hatte vier Brüder und mindestens zwei Schwestern. Nach späteren, politisch korrekten Versionen der Evangelien war sie bloß die Verlobte oder zweite Frau des Witwers Joseph. Sie lebte in Nazareth.

Die Geburtslegende, die jedes Kind zu Weihnachten erzählt bekommt, ist in höchstem Maße unwahrscheinlich. Erstens gab es im Jahr 6 v. d. Z., Jesu Geburtsjahr, gar keine Volkszählung plus Steuerschätzung, sondern erst zwölf Jahre später. Zweitens hätte Joseph gar nicht nach Bethlehem reisen müssen, sondern entweder in Nazareth oder der Stadt seiner männlichen Vorfahren vorstellig werden müssen. Und eine Flucht nach Ägypten ist reine Legende. Joseph lässt sich sogar als Pädophiler einstufen, allerdings nur nach heutigen Moralvorstellungen. Sobald Maria zwölf Jahre geworden war oder in die Pubertät kam (= geschlechtsreif wurde), wurde sie einem würdigen Mann anvertraut, eben Joseph: verlobt oder verheiratet? Und der war schon etwas älter als die Zwölfjährige.

|Die Anhänge|

Das Buch endet mit einigen Anhängen. Dazu gehört die erwähnte „Chronologie“ ebenso wie eine Landkarte Palästinas im Zeitalter Jesu, ein Glossar mit wichtigen Begriffen, eine Liste der Abkürzungen (zu Quellen und Publikationen) sowie eine Bibliografie. Ein Stichwortregister (Index) erübrigt sich durch die alphabetische Sortierung der Biografien.

_Mein Eindruck_

Dies ist nur eine knappe Übersicht über die Inhalte und erstaunlichen Befunde. Ich habe mich in der Lektüre wirklich wohlgefühlt und an einem Nachmittag die wichtigsten Artikel gelesen, so etwa über die Apostel, Evangelisten und Jesus plus Familie. Unglaublich, wie winzig der historische Kern ist, der im Neuen Testament enthalten ist. Ich sage ausdrücklich „Neues Testament“ und nicht „Bibel“, weil der Autor mit „Bibel“ nur die Hebräische Bibel meint, die einen ganz anderen Inhalt haben kann als die von christlichen Organisationen wie den Kirchen und Sekten verbreiteten Versionen.

Eine weitere Besonderheit ist die Zählung der Jahre. Ich musste mich erst an die nirgends erklärte Bezeichnung „v. bzw. n. d. Z.“ gewöhnen. Z. ist nicht etwa „Zeitrechnung“ wie in der DDR, sondern „Zeitenwende“. Die Muslime haben ja ebenso wie Hindus, Buddhisten etc. anderen Zeitrechnungen und -wenden. Muslime zählen ab der ersten Hedschra des Propheten Mohammed im Jahr 622 n. d. Z. und zwar nach Mondjahren.

|Eignung und Zielgruppe|

Dieses Werk ist von einem Wissenschaftler für andere Wissenschaftler geschrieben worden. Doch auch „Power-User“ der Kultur- und Religionsgeschichte wie etwa Angehörige der klassisch und humanistisch gebildeten Schichten können das Buch mit großem Gewinn lesen. Sie müssen eben Fachbegriffe wie „Konkordanz“, „Apokryphen“ und „Parusie“ notfalls nachschlagen. Der zentrale Begriff „eschatologisch“ wird hingegen im Glossar erklärt.

Abgesehen von dieser Handvoll Fremdwörter konnte ich den Text aber sehr gut verstehen. Die Darstellung ist an jeder Stelle nachvollziehbar. Weil der Autor mit einer Menge Überraschungen aufwartet, macht das Lesen neugierig. Allerdings nur denjenigen, der für solche Überraschungen offen sein kann. Dogmatische Leser dürften erhebliche Probleme damit haben.

Die zähesten Buchteile sind naturgemäß die Anhänge. Man kann aber die Chronologie gut als Einstieg und ersten Überblick lesen. Fast ebenso schwer, aber ungleich unterhaltsam ist der erste „Überblick“, der in fünf Abschnitte unterteilt ist und sich so ebenfalls leichter konsumieren lässt. Den harten Kern, aber eigentlichen Inhalt bildet das „Who’s Who“.

|Übersetzung|

Eine wunderbare Arbeit von Yvonne Badal: sehr verständlich und eindeutig formuliert. Ich konnte keine Druckfehler finden. Der einzige Fehler, auf den ich stieß und der wohl aufs Konto des Autor geht, steht im Artikel über Joseph, „Vater“ von Jesus“ auf Seite 188/89. In einer koptischen Legende ist Joseph bereits 89 Jahre alt, als er Maria heiratet. Er sei nach 22 Jahren Ehe mit Maria im Alter von 101 Jahren gestorben und vom 22-jährigen Jesus begraben worden. Nun ja, 101 minus 89 ergibt bei mir immer noch zwölf statt 22. Aber die Zeit ist ja auch nicht mehr das, was sie mal war.

_Unterm Strich_

Ein Who’s Who bietet einen biografischen Überblick, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Daher kann dieses Buch sowohl ein erster Einstieg in ein spezielles Thema wie etwa die Passions- oder Geburtsgeschichte Jesu sein (die der Autor beide geliefert hat), als auch eine spannende Lektüre über die während der 300 Jahre Betrachtungszeit lebenden historischen Personen. Letzteres fand ich sehr viel unterhaltsamer und aufregender – die Biografien liefern den Anreiz für den Einstieg in die Vertiefung eines Themas.

Die Zielgruppe des Buches sind sicherlich nicht die blutigen Laien, die von Kirchen- und Glaubensgeschichte keine Ahnung haben. Hier wird schon einiges an Bildung vorausgesetzt. Die Texte sind aber schon derart fundiert, dass man sie ohne weitere Prüfung akzeptieren kann, sofern man kein Dogmatiker ist. Der Ansatz ist unparteiisch und undogmatisch, rein von der historischen Methode getrieben und mit dem Wunsch vorgetragen, jene für Christen so wichtige Zeit besser zu verstehen. Das ist dem Autor gelungen.

Zu wünschen wäre eine Onlinepublikation, die mit entsprechenden Links zu anderen Artikeln weiterführt. Die Einträge des Buches sind in sich konsistent, d. h. sie widersprechen einander nicht. Aber häufig tauchen Namen, Orte und Begriffe auf, die man liebend gerne sofort woanders nachschlagen würde.

Fazit: ein Volltreffer.

|Originaltitel: Who’s Who in the Age of Jesus, 2005
Aus dem Englischen von Yvonne Badal
334 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-7857-2347-0|
http://www.luebbe.de

Shepard, Lucius – Hobo Nation

_Reiter des ‚Stahls‘: Hobos zwischen Himmel und Hölle_

Im Jahr 1998 schreibt der Autor Lucius Shepard eine Reportage über eine mutmaßliche Hobo-Mafia namens FTRA für die amerikanische Zeitschrift „Spin“. Im Rahmen seiner Recherchen reist er mit den Tramps, den Ausgestoßenen und Gescheiterten der Gesellschaft, auf Güterzügen durch die USA. Es wird eine Reise ins dunkle, sagenumwobene Herz des amerikanischen Kontinents, dorthin, wo die Legenden und Mythen von Woody Guthrie und Jack Kerouac noch lebendig sind. Aber es gibt auch die Hardpunks, die ganz anders als romantisch drauf sind. Und es gibt Mörder.

Wie ist es tatsächlich um die die „große Freiheit der Schienen“ und des weiten Landes fernab aller gesellschaftlichen Zwängen und Konventionen bestellt? Die Reportage verrät es uns. Der Band vertieft diese Informationen mit zwei Erzählungen, darunter das laut Verlag preisgekrönte „Drüben“ (der Name der Auszeichnung wird aber nicht angegeben). Sie entstanden aus Shepards Erfahrung des Lebens am Rande heraus und soll laut Verlag zeigen, „wie die Phantasie des Schriftstellers reales Erleben in große Literatur verwandelt“. Da bin ich mal gespannt.

_Der Autor_

Lucius Shepard, geboren 1947, zunächst ein Rockmusiker, Bordellrausschmeißer und Dichter, war in den achtziger Jahren einer der wichtigsten SF-Autoren, der mehrfach mit Preisen des Genres ausgezeichnet wurde. In seinen Erzählungen „Salvador“ (1984) und mit dem Roman „Das Leben im Krieg“ (1987) setzte er sich sehr kritisch und provokativ mit dem Engagement der Vereinigten Statten unter Präsident Reagan in Mittelamerika auseinander. Die CIA, das Pentagon und sicherlich noch andere Behörden des Geheimdienstapparates bildeten Contras aus: Sie sollten in El Salvador und Nicaragua gegen das sozialistische Regime operieren. Die Folge war ein Stellvertreterkrieg, in dem nicht nur Tausende von Zivilisten ums Leben kamen, sondern auch die Iran-Contra-Affäre (Waffenschmuggel) die totale Amoralität der Verantwortlichen im Pentagon offenlegte.

Mit seinen anderen Werken war Shepard nicht so erfolgreich. In „Grüne Augen“ (1984) stellt die CIA illegale Experimente zur Wiederbelebung von Leichen an; in dem Kurzroman „Kalimantan“ wandelt die Hauptfigur auf den Spuren Joseph Conrads. Aber jede Erzählung Shepards hält ein gutes Leseerlebnis bereit, so etwa in „Delta Sly Honey“ (1989) und „Muschelkratzer-Bill“ (1994). Die Fantasy-Story „Der Mann, der den Drachen Griaule malte“ (1984) bildet mit „The Scalehunter’s Beautiful Daughter“ (1988) und „Father of Stones“ (1988) eine schöne Sequenz aus der High Fantasy.

Zuletzt veröffentlichte |Edition Phantasia| die Kurzromane „Endstation Louisiana“, „Aztech“ und „Ein Handbuch amerikanischer Gebete“. „Hobo Nation“ ist teils Reportage, teils Erzählungen.

Mehr von Lucius Shepard auf |Buchwurm.info|:

[„Ein Handbuch amerikanischer Gebete“ 3176
[„Endstation Louisiana“ 5517

_1) Einleitung: Der Stahl_

Der Autor berichtet von seinem Auftrag für die Reportage und wie er sie umsetzte. Er stieß auf die Güterzug-Tramps, die es seit Ende des Bürgerkriegs 1865 gibt, auf ihr Leben und ihre Mythen. Poeten und Künstler wie Portland-Dave verehren die Güterzüge als den Gott „Stahl“ oder als „Die Kreatur“, und selbst den Autor erinnern sie an die Riesen-Sandwürmer in [„Der Wüstenplanet“. 5333

Diesen Mythos wollte er einfangen und für die Nachwelt bewahren. Denn die Hobos sind vom Aussterben bedroht. Die Eisenbahngesellschaften statten ihre Rangierbahnhöffe mit immer raffinierterer Warntechnik aus, um illegale Mitfahrer abzuschrecken. Aber es sei Aufgabe des Künstlers, so der Autor, diese Lebensform und Kultur zu bewahren, als handle es sich um einen versinkenden Kontinent. Ohne diese Region werde die Landkarte Amerikas stets unvollständig sein.

Hier ist der Autor ebenso sachlich wie in seiner Reportage. Allerdings fasst er hier bereits seine Beobachtungen zusammen. Danach erst folgt der „Ermittlungsbericht“, der sie rechtfertigt und belegt. Die Spannung steigt …

_2) Die FTRA-Story (Reportage)_

Gibt es wirklich eine Hobo-Mafia, wie manche Gazetten und TV-Berichte unterstellen? Der Autor machte sich für einen Artikel auf die Socken, um dieser Frage auf den Grund zu gehen. Er hört überall bei den Behörden die Bezeichnung FTRA: Freight Train Riders of America. Ja, die seien gefährlich, tönt der Polizist Grandinetti, und sie seien Mörder. Zu ihrem Aufnahmeritual für Frauen gehöre Vergewaltigung. Na, das klingt aber martialisch, denkt Shepard. Und obendrein nach einer Verschwörung wider die Rechtschaffenen Amerikas. Ob da was dran ist?

Er beschäftigt sich mit der Tradition und der Geschichte der Hobos. Er hört von berühmten Hobos wie dem Folksänger und Aktivisten Woody Guthrie, der zu Bob Dylans Vorbild wurde. Aber die modernen Hobos scheinen doch einiges auf dem Kerbholz zu haben. In Kneipen, Missionen und auf geheimen Treffen der Hobos hört er immer wieder, dass es ganz schön rau und blutig zugehe unter den Güterzugfahrern. Auch von etlichen Morden ist die Rede. Und das klingt ganz schön authentisch.

Aber von der FTRA hält keiner was. Ja, Leute wie der Poet Adman lehnen jede Verbindung zur FTRA ab. Und die Leitung der Eisenbahngesellschaft Union Pacific kennen Grandinettis „Horrorgeschichten“ über die FTRA, aber von einer Verschwörung könne keine Rede sein. Shepard merkt, dass man zwar schwer an die bekannten FTRA-Mitglieder wie Erie Flash rankommt, sie sich dann, nach ein paar Flaschen Whisky, aber als ganz umgänglich erweisen können. Militant sind sie jedoch nicht, und eine Organisation sind sie erst recht nicht. Es gibt keinen Anführer.

Ein Bild von verschiedenen Generationen und vielen kulturellen und ethnischen Gruppen schält sich heraus, von den alten, romantisch veranlagten Konservativen, den etwas Abgehobenen wie Adman bis hin zu Punks und Gossenpunks, den härtesten und jüngsten Gruppen. Darunter sind Aussteiger, Ausgestoßene, verkrachte Existenzen, kurzum: lauter Treibgut am Rande und außerhalb der US-Gesellschaft. Was sie alle eint, sind das Fahren und das Leben unter den Sternen. Kurzum: die Freiheit, nichts mehr zu verlieren zu haben. Außer dem Güterzugfahren.

|Mein Eindruck|

Die Reportage müllt den Leser nicht mit Fakten und Zahlen zu. Stattdessen vermittelt der Autor Ansichten, Berichte, Meinungen und viele eigene Beobachtungen. Das sind die besten Szenen und glaubwürdigsten, wenn auch subjektivsten Eindrücke, die er vermittelt. Fazit ist, dass es weder eine Hobo-Mafia noch eine Verschwörung gibt. Dafür sind die Hobos viel zu heterogen und auf Unabhängigkeit bedacht.

Aber auf diesem Fundament kann der Autor seine zwei Erzählungen aufbauen. Ergo muss man durch die Reportage durch, wenn man die Erzählungen verstehen will.

_3) Drüben (Kurzroman)_

Billy Long Gone ist ein Hobo. Auf dem Güterbahnhof von Klamath Falls, Oregon wird ihm jedoch sein Deutscher Schäferhund Stupid gestohlen. Und als Hobo einen Hund zu verlieren, ist wie eine treue Seele zu verlieren. Stupid muss wieder her. Billy packt den Axtstiel, den er immer zur Verteidigung bei sich hat, fester und durchsucht die Züge in Klamath Falls. In einem langen Monsterzug findet er auch Stupid, doch auch einen seltsamen Mann, der den Hund nicht mehr hergibt. Das macht Billy wütend, doch er muss auch herausfinden, dass er gegen den Fremden nichts auszurichten vermag. Das Einzige, was ihm zu tun übrig bleibt, ist die Mitfahrt, egal wohin.

Der Zug fährt nach Drüben, verrät ihm Pie alias Pieczynski, der Fremde. Es ist ein besonderer Zug, versteht sich, und die Strecke ist ebenso besonders: durch unbekannte Berge und an Sümpfen vorbei durch eine Ebene, bis sie wieder zu Bergen gelangen: zur Endstation. Unterwegs sieht Bill zu seinem Entsetzen schwarze geflügelte Wesen, die wie Vampire den benachbarten Zug angreifen, der auf dem Parallelgleis fährt. Es sieht aus, als wäre der Zug lebendig und würde von den Vampiren angegriffen und ausgesaugt.

|Das Drüben|

Die Endstation Drüben stellt sich als ein Riesenbaum heraus, doch das Haus hat jede Menge Zimmer mit anderen Ex-Hobos wie Billy. Eine längst Verflossene namens Annie Ware (= anywhere, überall), an die sich Billy, der Ex-Alki, nicht mehr zu erinnern vermag, weist ihm wütend sein Zimmer zu. Er muss ihr wirklich was Schlimmes angetan haben, aber was nur? Sie verrät es ihm nicht. Er muss wohl seinen halben Verstand versoffen haben. Nachdem sie es ihm gesagt hat, bittet er sie reumütig um Verzeihung, so dass sie ein richtig gutes Paar werden können.

Doch dieses Drüben scheint für Billys Geschmack zu sehr in Stagnation zu versinken. Ist dies ein Paralleluniversum oder nur eine Computerspielsimulation? Es ist einerlei für den, der darin lebt. Aber das Drüben kennt auch Grenzen und Gefahren. Als erst ein guter Angelfreund von einem Wasserungeheuer verschlungen und dann der Baum auch noch von fladenförmigen Flugwesen angegriffen wird, die Menschen mit Gift töten, platzt Billy endgültig der Kragen: Er muss hier weg!

|Zum Jenseits|

Annie erklärt sich nach einigen Protesten bereit, ihn über die „Mauer“ des Gebirges zu begleiten. Nach einer Abschiedsfeier besteigen sie den nächsten Zug und kuscheln sich in den Schlafsack, denn es wird saukalt. Zudem wird der Zug wird von den schwarzen Flugmonstern, den Beardsleys, angegriffen, und sie verletzen Billy. Dennoch hält das Paar so lange durch, bis es die Endstation erreicht.

Hier liegt überall Schnee, und über den weißen Hügeln und Gipfeln zucken violette Blitze, die das schweigende Land in ein gespenstisches Licht tauchen. Billy und Annie wollen in den Wald, doch die Hügel, die zuvor so harmlos aussahen, erheben sich und entpuppen sich als eine Art Yeti – mit einem eindrucksvollen Gebiss. Die einzige Rettung bietet der schnurgerade verlaufende Fluss, und Annie springt ohne zu zögern hinein. Sie taucht nicht wieder auf, was Billy so besorgt macht, dass er hinterherspringt.

Er erwacht in einer Mulde auf einem trockenen Hügel. Aber neben Annie liegen noch drei weitere „Besucher“ hier. Nirgendwo Schnee. Er späht ins Tal hinab, dort liegt eine Blockhüttenstadt wie im Wilden Westen. Mit einem kleinen, aber unübersehbaren Unterschied: Aus ihrer Mitte ragt ein weißer Turm, der durchsichtig ist. Violette Blitze zucken darin, und er ragt bis in den Himmel. Liegt dort seine Bestimmung? Er wird es herausfinden.

|Mein Eindruck|

Die Handlung folgt dem klassischen Muster der amerikanischen Reisegeschichte. Es ist immer eine Reise der Hauptfigur zu sich selbst und darüber hinaus. Insofern weist eine Reise immer auch einen spirituellen Aspekt auf. Billy folgt einem Gefährten (Stupid) und gerät in eine Abenteuer, doch nach einer Phase der Stagnation und des Kennenlernens eines weiteren Gefährten (Annie), bricht er aus diesem Pseudo-Elysium aus, um die Grenze zu überschreiten. Er wird zum Pionier, wie ihn die amerikanische Mythologie verherrlicht. Jenseits der Grenze und allgemeiner Erfahrung erschaut er das Mysterium, das ihm hilft, sein bisheriges Dasein zu transzendieren (lat. „transcendere“: überschreiten).

In diesem Handlungsverlauf spiegelt sich, wie gesagt, eine innere Entwicklung des Helden wider, nur dass dieser diesmal ein Hobo ist, ein Outlaw. Billy folgt dem Weg wie die Hauptfigur in Shepards Kurzroman „Kalimantan“ und wie Malory in Joseph Conrads Roman [„Herz der Finsternis“, 1538 der Vorlage zu Coppolas „Apocalypse Now“. Dieser Hinweis genügt, um klarzumachen, dass das jenseits der Grenze liegende Territorium ein innerer Raum der Seele ist, an dem sowohl unaussprechlicher Schrecken (der Herrschaftsbereich von Colonel Kurtz) als auch größte Schönheit im Mysterium liegen.

Wenn dies also sowohl Hölle als auch Himmel auf Erden ist, erhebt sich die Frage, welche Art von Jenseits für einen reuigen Hobo vorgesehen ist. Dieser Pilger hat den „Stahl“, die Züge, benutzt, um die Fahrt zu ertragen, hat Angriffen widerstanden, Wunden davongetragen und seine Gefährtin beschützt. Sicherlich genügt dies doch, um ihn für den Eintritt in den Himmel zu qualifizieren, oder? Der in den Himmel ragende Schacht deutet dies an, doch ganz sicher darf man sich da bei Shepard nie sein.

_4) Die Ausreißerin_

Madcat ist vor Jahren wegen seiner Migräneanfälle und Blackouts arbeitsunfähig geworden und hat Arbeit und Familie verloren. Inzwischen hat er sich zu einem gewieften Hobo entwickelt. Er mag zwar seinen Schnaps wie jeder andere auch, aber er weiß, wo das Leben als Hobo halbwegs gut ist. Deshalb will er von der kalten Nordgrenze runter nach Tucson, ins warme Grenzgebiet nach Mexiko.

In Spokane, Idaho, schließt sich ihm eine junge Ausreißerin an, die vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein mag, aber unter ihrem T-Shirt schon schwere Brüste verbirgt. Grace will nach Kalifornien, um bei einem reichen Onkel ein leichtes Leben anzufangen. Aber gerade hat jemand ihren Begleiter Carter erschlagen und sie warnt Madcat vor dem Irren, der hier rumläuft. Sie bittet Madcat, sich ihm anschließen zu dürfen, und würde auch in „Naturalien“ für ein wenig Schutz und Begleitung bezahlen. Gegen die weibliche Art von „Naturalien“ hat Madcat nichts einzuwenden, und Grace scheint trotz ihrer roten Dreadlocks in Ordnung zu sein. Ihre tiefblauen Augen haben es ihm sogar angetan.

In Klamath Falls, Oregon, kommt es jedoch zu einer schicksalhaften Begegnung. Sie treffen auf zwei Hobos, von denen der eine, F-Trooper, ein Indianer, sich sofort beim Anblick der Neuankömmlinge verdrückt. Kaum hat sich Madcar ein bisschen mit dem anderen Hobos unterhalten, als F-Trooper wieder auftaucht und wütend einen Axtstiel gegen Madcat schwingt. Ist er eifersüchtig wegen Grace? Im Handgemenge werden beide verletzt und Madcat erleidet einen schweren Migräneanfall, der ihn halluzinieren lässt. Grace warnt Madcat, dass F-Trooper vielleicht der Mörder von Carter ist. Und der Indianer ist keineswegs tot und erhebt sich noch einmal zum Kampf …

|Mein Eindruck|

Dies ist eine wunderbar actionreiche, sinnliche Kurzgeschichte, die man wohl nicht so schnell in einer Science-Fcition-Anthologie finden dürfte. Madcat ist ein Hobo, wie er im Buche steht, aber Grace ist eine explosive Mischung aus Aphrodite und Medusa, die Madcats Leben ganz schön aufmischt, bis es zu einem Showdown kommt. Und danach wartet auf das ungleiche Paar an diesem Scheideweg entweder die Hölle oder der Garten Eden. Blutrot ist der Abendhimmel, doch in dieser Richtung, das weiß Grace ganz genau, liegt Kalifornien, das Gelobte Land.

Grace, das versteht sich von selbst, ist für die Sinnlichkeit in der Geschichte zuständig und Madcat für die abschließende Action im Showdown. Die beiden sind zwar nicht gerade Romeo und Julia, aber dass sie eine gemeinsame Bestimmung haben, wird dem Leser – und Madcat – bald klar. Bis der Schatten des Bösen und der Vergangenheit überwunden ist, ist eine heftige Auseinandersetzung notwendig, bei der sich Madcat selbst überwinden muss.

Er hat die Wahl: Will er ein Mörder wie der besoffene Indianer F-Trooper werden? Ist er am Ende selbst an Carters Tod, begangen in einem Blackout, schuldig? Oder kann ihn Grace erlösen? Am Schluss sagt sie einen wunderbaren Satz, der sehr simpel und altklug klingt: „Du bist meine Stärke, aber ich bin dein Herz.“ Klasse.

|Die Übersetzung|

Während der sprachliche Stil ziemlich in Ordnung ist, stolperte ich immer wieder über doppelte Wörter und ausgelassene Buchstaben. Am meisten verwirrten mich jedoch Entstellungen der ursprünglichen Namen. So müsste es statt „Bitterfoot Mountains“ (S. 25) wohl „Bitterroot Mountains“ heißen, wie jeder weiß, der schon mal die Geschichte des „Wilden Westens“ gelesen hat. Aus „Kalipsell“ müsste „Kalispell“ werden. Aber das sind lässliche Sünden. Im unten erwähnten Artikel aus der |Süddeutschen Zeitung| hat die automatische Rechtschreibung aus dem Ort „Klamath Falls“ das lächerliche „Klamauk Falls“ kreiert. Es geht also schlimmer.

_Unterm Strich_

Vom Faktischen der Reportage bewegt sich der Tenor des Inhalts dieser Sammlung hin zum Fiktionalen und Fiktiven der zwei Erzählungen. Die Reportage fand ich recht spannend, aber man muss ein wenig Geduld aufbringen, denn der Autor führt sehr viele Zeugenaussagen an, um seinen Befund zu belegen, dass es keine Hobo-Mafia gebe.

Von den beiden Erzählungen hat mir die Shortstory „Die Ausreißerin“ sehr gut gefallen, denn der Autor kommt schnell zur Sache. Ich habe mich gefragt, warum sie nicht dem Kurzroman vorangestellt wurde, aber dann fiel mir auf, dass es hier um ein Pärchen unter den Hobos geht. Und die Paarbildung ist eine komplizierte Sache, der erst einmal in der Novelle ausführlich dargestellt werden muss, bevor man sie in der Kurzgeschichte in ihrer ganzen Bedeutung würdigen kann.

Außerdem bietet der Schluss der Novelle einen transzendenten Ausblick auf den Himmel der Hobos, das „Drüben“ und das „Jenseits“. Damit der Eindruck des Mystischen und Spirituellen nicht zu stark zurückbleibt, bringt die Kurzgeschichte den Leser wieder auf den Boden der Tatsachen, und die sind alles andere als spirituell (sondern haben mehr mit Spirituosen zu tun). Der Himmel der Hobos wird hier zu einem ziemlich weltlichen Ort, nämlich Kalifornien, das Gelobte Land der „Hobo Nation“. Wer weiß, ob nicht die schwere Rezession, der sich die USA gegenübersehen, viele weitere „Reiter des Stahls“ erzeugen wird.

Habe ich mich durch die Mitte des Kurzromans durchquälen müssen – das „Drüben“ steht für Stagnation in Billys Entwicklung -, so entschädigten mich der Romanschluss und die Kurzgeschichte vollauf für diese Mühe. Hier passiert etwas, es wird erotisch, und nach dem Showdown wird die Kurzgeschichte für zwei Seiten regelrecht poetisch.

HINWEIS: In der |Süddeutschen Zeitung| vom 15.1.2009 findet ihr eine weitere [Rezension]http://www.buecher.de/shop/USA/Hobo-Nation/Shepard-Lucius/products__products/content/prod__id/23448115/#sz dieses Buches.

|Originaltitel: Two Trains Running, 2004
Aus dem US-Englischen von Joachim Körber
207 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-937897-29-5|
http://www.edition-phantasia.de

Meyer, Kai / Maetz, Stefan / Hagitte, Christian / Bertling, Simon – Alchimistin, Die. Teil 6: Die schwarze Isis (Hörspiel)

_Die Gilgamesch-Vision_

Folge 6: Aura folgt geheimnisvollen Spuren und stößt auf eine bestialische Mordserie. Nicht ahnend, dass zur gleichen Zeit vermummte Kämpfer ihren Sohn und ihre Nichte entführen, gerät sie in einen Strudel von Gewalt und düsteren Visionen. Währenddessen macht sich Gillian, der neue Großmeister der Templer, gemeinsam mit der Ordensschwester Karisma auf die Suche nach dem legendären Schatz seines Ordens. (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar Jerry-Cotton-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen. Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei |Loewe| erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis |CORINE| ausgezeichnet.

Die erste Staffel der achtteiligen Hörspielreihe umfasst die Folgen:

1) [Der Stein der Weisen 5052
2) [Das Erbe des Gilgamesch 5155
3) [Die Katakomben von Wien 5220
4) [Das Kloster im Kaukasus 5263

Im August 2008 erschien die zweite Staffel:

5) [Die Unsterbliche 5379
6) Die Schwarze Isis
7) Der Schatz der Templer
8) Der Alte vom Berge

Weitere Titel von Kai Meyer auf |Buchwurm.info|:

[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)

_Sprecher & Inszenierung_

Erzähler: Friedhelm Ptok (Ian ‚Imperator Palpatine‘ McDiarmid)
Aura Institoris: Yara Blümel-Meyers
Gillian: Claudio Maniscalo (Jimmy ‚The Haitian‘ Jean-Louis)
Tess: Marie-Luise Schramm (Mara Wilson)
Salome Kaskaden: Christine Marx
Lucrecia Kaskaden: Daniela Hoffmann (dt. Stimme von Julia Roberts)
Karisma: Ulrike Stürzbecher (Patricia Arquette, Kate Winslet)
Raffael: Norman Matt (Cillian ‚Scarecrow‘ Murphy, ‚Guybrush Threepwood‘ in den „Monkey Island“-Spielen)
Escriva: Kaspar Eichel (James ‚Scotty‘ Doohan, Richard Dreyfuss)
Und andere, darunter Tilo Schmitz (dt. Stimme von Ving Rhames).

Für Regie, Ton und Musikkomposition zeichnen Christian Hagitte und Simon Bertling vom Studio |STIL| verantwortlich. (Das Hörspiel ist daher Cornelia Bertling gewidmet, die 2007 mit 40 Jahren starb.) Die Musik spielt das Filmorchester Berlin und der Hochmeisterchor Berlin unter der Leitung von Hagitte. Die Hörspielbearbeitung stammt von Stefan Maetz. |Lübbe Audio| produzierte das Hörspiel und nicht etwa ein Rundfunksender.

_Vorgeschichte_

Schloss Institoris, ein düsteres Gemäuer an einer einsamen Küste. Inmitten eines Labyrinths endloser Gänge und Säle wächst Aura heran, die älteste Tochter des Schlossherrn. Sie ist die Erbin eines uralten Rätsels, der Rezeptur des Steins der Weisen. Doch als ihr Vater im Auftrag seines Widersachers Lysander ermordet wird, schlägt die Stunde für Auras Stiefbruder Christopher – er beansprucht das Geheimnis der Unsterblichkeit für sich …

Folge 2: Aura enthüllt das Geheimnis ihrer Familie. Ausgerechnet der Mörder ihres Vaters, der geheimnisvolle Hermaphrodit Gillian, befreit sie aus den Klauen grausamer Mörder. Auf der Spur von Auras entführter Schwester Sylvette reisen sie nach Wien. In den Katakomben unter der Stadt geraten sie in einen Konflikt, dessen Ursprünge weit zurück ins Mittelalter reichen …

Folge 3: Sieben Jahre sind vergangen. Aura hat die Geheimnisse der Alchimie erforscht und das Erbe ihres Vaters angetreten. Doch alle, die ihr etwas bedeutet haben, sind tot. An der Seite ihres verhassten Stiefbruders Christopher muss sie abermals den Kampf gegen den alten Feind ihrer Familie aufnehmen – tief unter der Wiener Hofburg. Zugleich dämmert daheim auf Schloss Institoris eine neue Gefahr: Auras wahnsinnige Mutter Charlotte hat eigene Pläne …

Folge 4: Jenseits des Schwarzen Meeres, in den einsamen Bergen des Kaukasus, liegt die vergessene Festung der Tempelritter. Hier in der Wildnis am Ende der Welt nähern sich Ara Institoris und ihr Stiefbruder Christopher endlich dem Versteck ihres Gegners Lysander. Zugleich reist Gillian, der Hermaphrodit, mit den Institoris-Kindern nach Venedig ins neue Hauptquartier des Templerordens. Sein schwerster Kampf steht ihm noch bevor – gegen Morgantus, den unsterblichen Alchimisten …

Folge 5: Zehn Jahre nach den Ereignissen im Kaukasus in Folge 4. Aura Institoris hat die Unsterblichkeit gewonnen. Doch ihre große Liebe ist daran zerbrochen, ihre Familie in alle Winde zerstreut. Während die Welt in einen großen Krieg taumelt, taucht Aura einsam und verzweifelt in Paris unter. Ein geheimes Zeichen, der blutige Abdruck einer Hand mit sechs Fingern, ändert alles. Auras Nachforschungen führen auf die Fährte eines Mörders, dem jedes Mittel recht ist, um die Geheimnisse der Alchimistin zu offenbaren. (Verlagsinfos)

_Handlung_

In Paris findet Aura den Autor des Buches „Die sechs Finger des Magus“ ermordet in seiner Wohnung vor. Die Leiche muss schon eine Woche lang kalt sein, doch die zwei Hände wurden abgetrennt und zu einer Art Stempel zusammengenäht. Diesen Stempelabdruck hat Aura auf ihrem Betttuch entdeckt. Aber wer hat ihn angefertigt? Sie entdeckt das Bild eines Kastells in den andorranischen Pyrenäen. Sie erkennt es, denn es ist im Besitz ihrer Familie: Von dort stammte ihr Vater Nestor. Eine typische Templerburg, achteckig, trutzig – und voller Geheimnisse.

Die geplante Séance bei den deutschen Zwillingsschwestern Salome und Lucrecia Kaskaden findet ohne den verschwundenen Chevalier de Veldan statt. In der spiritistischen Sitzung sieht Aura vor ihrem geistigen Auge eine schwarz gewandete Frau in den Wehen liegen und einen Sohn mit blauen Augen gebären. Ein Name weht ihr zu: die schwarze Isis. Und sie verbreitet Dunkelheit. Als Aura aus der Vision erwacht, teilen ihr die Zwillinge mit, sie hätten die Vision mitverfolgen können. Es sei die gleiche, die auch der Chevalier hatte.

Als die französische Polizei an die Wohnungstür pocht, um die drei Deutschen festzunehmen und zu internieren, müssen die Damen über die Dächer fliehen und alle möglichen Tricks anwenden, um die Verfolger abzuschütteln. Da staunt auch Aura über den Einfallsreichtum der Zwillinge. Auf dem Gut Philippe Montheillets stellt sie dessen Lover Raffael bei einem Diebstahl und erfährt in dessen Wohnung, dass auch Philippe fortgegangen sei: nach Brest vermutlich. Hier erkennt sie auch, welch armseliges Schicksal Raffael mit seiner kranken Frau teilt. Raffael nennt sie, Aura, eine „Göttin in Schwarz“, genau wie jene Isis. Aura reist nach Andorra, doch jemand scheint sie zu verfolgen.

Unterdessen ist es Tess und Gian nicht gelungen, aus ihrer Gefangenschaft zu fliehen. Und Gillian sucht auf Mallorca nach dem Templerschatz, den schon viele vor ihm gesucht haben. Doch von einem alten Mann namens Escriva erhält er endlich einen wertvollen Tipp und begibt sich zur steilen Nordküste.

_Mein Eindruck_

Im Mittelpunkt dieser Folge steht eindeutig Auras Vision von der schwarzen Isis. Es handelt sich dabei um eine real existierende Person und höchstwahrscheinlich eine Unsterbliche. Könnte sie durch Mittelsmänner und Handlanger hinter den Ereignissen stecken, welche die Figuren der drei Handlungsstränge bewegen? In einer weiteren Vision erblickt Aura die schwarze Isis, wie sie dem König Gilgamesch von Uruk das Kraut der Unsterblichkeit stibitzt. Die Fremde hat also auch die gleiche Kraft wie Aura selbst. Dass die Isis – eine ägyptische Gottheit – in der Legende eigentlich Inanna hieß, soll nicht weiter stören. Beide waren Mond- und Muttergottheiten.

Doch das Rätsel darum, was die Isis mit Aura vorhat, soll erst in der letzten Folge gelüftet werden. Auch der Grund, warum sie die SCHWARZE Isis genannt wird, bleibt vorerst im Dunkeln. Es ist aber nicht abwegig anzunehmen, dass sie das dunkle Gegenstück zu Aura ist. Dass Aura aber auf irgendeine Weise per se gut und somit WEISS sein soll, wird durch keinerlei Taten Auras belegt. Es sei denn, man zählt ihre Bekämpfung der finsteren Tempelritter dazu. Damals setzte sie deren Unsitte, mit ihren Töchtern Nachkommen zu zeugen und deren Blut zu trinken, eine Ende. Hätte sie nicht aufbegehrt, hätte auch ihr Vater sie dergestalt missbraucht.

Recht seltsam fand ich den Auftritt der beiden deutschen Schwestern Kaskaden. Nirgendwo wird erklärt, warum sie empathische Kräfte haben, eventuell wegen einer Verbindung zur Familie Institoris. Offenbar besteht ihre Funktion lediglich darin, Aura zu der Vision der schwarzen Isis zu verhelfen. Auch welche Verbindung sie zum Chevalier de Veldan haben, bleibt unklar. Der Chevalier könnte ebenfalls ein Unsterblicher sein, der früher unter dem Namen Cagliostro an den Fürstenhöfen des 18. Jahrhunderts auftrat.

Aufgrund dieser vielen offenen Fragen bleibt die zweite Folge der neuen Staffel etwas unbefriedigend. Dafür gibt aber mal wieder ein wenig Action (und damit ist kein Sex wie in der ersten Folge gemeint). Die Flucht über Dächer, durch Gassen und verborgene Katakomben hat ihren eigenen Charme und erzeugt eindeutig Spannung – die angesichts der Ereignislosigkeit der anderen Handlungsstränge sehr willkommen ist.

_Unterm Strich_

Diese Folge dient dem Übergang vom Schauplatz Paris zu den Schauplätzen in Spanien. In Paris werden gruselige Szenen wie aus „Das Schweigen der Lämmer“ aufgeboten, aber auch eine spannende Verfolgungsjagd. Eine Vision gibt Aura Rätsel auf: Was hat die schwarze Isis mit den Unsterblichen zu tun? Es ist ein Hinweis auf das Gilgamesch-Epos. Unterdessen gelangen Gian und Tess sowie Gillian und Karisma an interessante Bestimmungsorte. Besonders interessant ist der Hinweis auf die Höhle auf Mallorca, wo der Templerschatz verborgen liegen könnte.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und Stimmen von bekannten Schauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert und die Stimmen der Stars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Wer jedoch mit Melodramatik absolut nichts am Hut hat, sich aber trotzdem zünftig gruseln will, der sollte zu härterer Kost greifen.

|69 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3611-1|
http://www.kai-meyer.com
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name

Zietsch, Uschi – Dämonenblut (Waldsee-Chroniken 1)

_Action-Fantasy: Helden mit Unterleib, freundliche Dämonen_

Rowarn ist kein gewöhnlicher junger Mann. Seit jeher neigt er zu Gewaltausbrüchen. Eines Morgens erwacht er im Wald, neben sich die Leiche einer furchtbar zugerichteten jungen Frau. Schon bald bezichtigen ihn, wie befürchtet, die Dorfbewohner des Mordes und fordern Vergeltung. Rowarn kann sich nicht erinnern, die Tat begangen zu haben. Was er nicht weiß: Er hat eine finstere Vergangenheit, in der uralte Dämonen schlummern – die Dämonen von Valia.

_Die Autorin_

Uschi Zietsch wurde 1961 in München geboren. Nach ihrem Studium von Jura, Theaterwissenschaft, Geschichte und Politik machte sie ihren kaufmännischen Abschluss an der IHK. Bis Mitte 1996 war sie neben ihrem Schreiben hauptberuflich in Marketing/Vertrieb tätig. Seither ist sie freischaffende Schriftstellerin. 1986 veröffentlichte sie ihren ersten Fantasyroman „Sternwolke und Eiszauber“. Bis heute folgten über hundert weitere Publikationen. Im Dezember 2008 wurde ihr für ihre Kurzprosa „Aische“ der „Armin T. Wegner
Literaturpreis Menschenrechte“ von |Amnesty International| verliehen. Zietsch lebt mit ihrem Mann im bayerischen Unterallgäu. Ihr eigener Verlag heißt |Fabylon|.

Die Waldsee-Chroniken:

1) Dämonenblut
2) Nachtfeuer
3) Perlmond
4) Nauraka

_Handlung_

Der 19-jährige Rowarn lebt im idyllischen Wald von Inniu, doch weit abseits des Dorfes bei seinen Muhmen, den beiden Zentauren bzw. Velerii Schattenläufer und Schneemond. Sie vertreten bei ihm die Stelle seiner Eltern, die er nie kennengelernt hat. Doch dies soll sich nun ändern, denn große Ereignisse werfen ihre Schatten nun auch auf seine Region.

Rowarn hat mit Anini, einer Dorfschönheit, eine angenehme Liebesnacht verbracht. Doch als er am nächsten Morgen am Waldrand aufwacht, ist sein Liebeslager voller Blut. Entsetzt springt er in den See, um sich zu reinigen, und statt das Dorf Aninis zu verständigen, irrt er umher. So kommt es, dass man ihn schließlich im Dorf selbst für den Mörder des Mädchens hält, und ihr Bruder Rayem, der Sohn des Wirtes Hallim, würde ihn am liebsten umbringen. Rowarn kann lediglich seine Unschuld beteuern.

Deshalb zieht es ihn weiter hinaus in den Wald, um Frieden zu finden. Dieses Jahr ist der weiße Falke ausgeblieben, der sonst immer die Mitte des Jahres anzeigt, das Kommen des Sommers. Stattdessen stößt Rowarn an seinem Lieblingsbaum auf eine Schar unbekannter Reiter, vor der er sich nicht zu verbergen vermag. Deren Führer stellen sich als Fürst Noirun und Zwerkenkönig Olrig vor. Sie wollen Rekruten für ihren Krieg gegen die Dämonen von Femris anwerben.

Als Rowarn sie zu seinen Zieheltern führt, erfährt er zunächst einiges über die Vorgänge in Ardig Hall, dem Zentrum des Landes Valia auf der Welt Waldsee. Dort wurde ein Mord begangen, an Ylwa, der letzten Angehörigen des magiebegabten Volkes der Nauraka, die einst aus der Tiefe des Meeres kamen. Der Mörder war der Dämon Femris, der Ylwas Bruchstück des Tabernakels, eines mystischen Gegenstandes großer Macht, rauben wollte. Nun erfährt Rowarn von Schneemond unter vier Augen, dass Ylwa Rowarns Mutter war. Ylwa hatte vor 20 Jahren ihr Kind in die Obhut der Velerii gegeben, damit es in Sicherheit aufwachse. Rowarn schwört den Dämonen Rache für den Mord an seiner Mutter.

Doch zuvor gilt es den Mord an Anini aufzuklären. Fürst Noirun und Kriegskönig Olrig erklären sich dazu bereit, bei der Suche nach dem Täter behilflich zu sein. Morwen, die ausgezeichnete Fährtensucherin Noiruns, bemerkt die eindeutigen Spuren um den Tatort: eine Gruppe Dämonen ist bis hierher vorgedrungen, doch raubte sie nur das Herz Aninis. Das deutet darauf hin, so Morwen, dass der Gruppenführer Kraft sammelt, um sich dieses Land untertan zu machen. Folglich müssen die Menschen sich beeilen, die Dämonen zu stoppen, bevor sie so mächtig geworden sind, dass keiner sie mehr bezwingen kann.

Mit der Erlaubnis des Dorfältesten begibt sich die Soldatentruppe des Fürsten auf die Suche nach der Gruppe Dämonen. Rowarn schließt sich ihnen an, denn er bewundert Noirun, Olrig und Morwen und hofft, etwas von ihnen zu lernen. Rayem, Aninis Bruder, bildet mit ihm ein streitsüchtiges Paar Treiber. Als sie in den Höhlen im Wald nichts finden, fällt es Rowarn wie Schuppen von den Augen: Die Dämonen sind zwar hier – aber bereits im Dorf!

Rowarn eilt mit dem keuchenden Rayem ins Dorf zurück, wo sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten. Jetzt heißt es, allen Mumm zusammenzunehmen und die letzten Überlebenden zu verteidigen.

_Mein Eindruck_

Das hört sich vorerst relativ konventionell an, wie eine Kombination aus Detektivstory und Fantasy à la Tolkien. Doch die langjährige Fantasyautorin Uschi Zietsch hat für ihre Waldsee-Chroniken ein eigenes Universum entworfen, das sich dem jungen Helden Rowarn ebenso schrittweise erschließt wie seine eigene Herkunft und Natur. Deshalb ist sein Weg ins Herz dieses Weltentwurfs für ihn wie auch für uns gepflastert mit Entdeckungen. Viele davon sind freundlich, etliche aber auch reichlich unangenehm. Rowarn muss sich seinen ihm zustehenden Platz erst erobern.

Das klingt ein wenig nach Tolkiens [„Herrn der Ringe“. 1330 In der Tat greift die Autorin zunächst auf bewährte Muster zurück, um den Leser in Sicherheit zu wiegen. So macht sich Rowarn wie Frodo mit einem Auftrag auf den Weg, und sein treuer Freund Rayem begleitet ihn. Doch nicht neun Gefährten machen sich von Bruchtal aus auf eine Expedition ins Herz des Feindeslandes, sondern eine ganze Armee. Dass mit dieser Truppe etwas nicht ganz stimmen kann, merkt Rowarn spätestens dann, als die Fährtenleserin der Rekrutenkompanie nachts unter seine Decke schlüpft, um mit ihm Liebe zu machen.

Aber holla, so einen Sauhaufen hätte es bei Professor Tolkien nicht gegeben! Nicht nur Rowarn darf es munter im Schlafsack treiben, sondern auch Rayem und etliche andere. Dies gehört jedoch nicht zum Rekrutentraining, wie es aussieht, sondern ist ein den Rekruten vorbehaltenes Privileg. Aber immerhin bilden sich schnell persönliche Bande und die „faulen Eier“ unter den Rekruten sind schnell aussortiert.

Im Armeelager steht Rowarn, der von Knappen zum persönlichen Adjutanten des Fürsten beförderte Frischling, dem Widerstand der anderen Rekruten gegenüber. Ein erster Versuch, den Streit gütlich beizulegen, scheitert, und er muss seine Kampfkunst demonstrieren. Fortan hat er zwei erste Feinde. Es werden nicht die letzten sein.

|Vorgeschichte|

Fürst Noirun und Kriegskönig Olrig ziehen Rowarn zu ihrem Kämpen heran. Nicht nur das Kämpfen mit richtigen Waffen erlernt der Jüngling, sondern in Unterredungen mit Fürst Noirun auch die Geschichte Valias und Ardig Halls. In Ardig Hall herrschte Rowarns Mutter Ylwa, was er Noirun nicht verrät. Sie hütete einen Splitter des heiligen Tabernakels, das für ganz Waldsee von elementarer Bedeutung ist.

Der Dämon Femris ist bemüht, alle Bruchstücke des Tabernakels an sich zu bringen. Doch wie konnte es ihm gelingen, eine zaubermächtige Nauraka wie Ylwa zu überwinden? Noirun und andere Ritter erzählen Rowarn, wie Ylwa von einem Zwielichtgänger namens Nachtfeuer überwältigt wurde, der in Femris‘ Diensten steht.

|Finale?|

Der Clou an der Geschichte ist jedoch, dass es Femris und seiner Armee nicht gelungen ist, den Belagerungsring, den Noiruns Armee um sie gelegt hat, zu durchbrechen. Folglich kann nur eine Schlacht die Entscheidung bringen, ob Femris den Splitter behält oder an Noiruns Scharen verliert. Rowarn verrät es Noirun nicht, aber einem anderen Ritter: Er sinnt auf Rache für den Mord an seiner Mutter. Also hat er Femris und Nachtfeuer im Visier. Er ahnt nicht, dass auch diese es auf ihn abgesehen haben. Deshalb sorgt der Schluss dieses Bandes für einige handfeste Überraschungen. Die obligatorische Schlacht ist noch lange das letzte Wort in dieser Geschichte.

|Gegen den Strich|

Nicht nur führt die Autorin Fabelwesen wie Zentauren und ziegenfüßige Monster in eine Tolkien-Welt ein, sondern sie revidiert auch die überkommene Tradition der Bilder. Jeder kennt inzwischen aus Jacksons Verfilmung den schrecklichen Balrog von Moria, der an der Brücke von Khazad-dûm Gandalf zum Verhängnis wurde. Nun lässt die Autorin solch ein Monster-Viech auch in ihrer Geschichte auftreten, allerdings auf der Seite der Guten. Diese Wesen werden einfach „Dämonen“ genannt. Dummerweise gibt es aber auch Abtrünnige unter ihnen, die zu Femris halten.

|Erotik|

Wir sind außerdem daran gewöhnt, dass die Recken im „Herrn der Ringe“ vorläufig unbeweibt durch die Gegend latschen. Arwen taucht nur bei Jackson laufend auf, nicht aber im Original. Aragorn lebt also keusch, und zwar monatelang. Dito Boromir und sein Bruder Faramir. Sie haben daheim niemanden, der ihnen ein Süppchen am Herd kocht oder das Bettchen wärmt. (In Mittelerde wurden noch keine Glasfenster erfunden …)

Nicht so Fürst Noirun. Wie Rowarn zu seinem wachsenden Erstaunen feststellt, ist der Fürst keineswegs ein Kostverächter, was weibliche Gesellschaft angeht. Diese Ladys sind weit verstreut in verschiedenen Gasthöfen zu finden. Versteht sich von selbst, dass auch Zwergendamen vom Menschengeschlecht angezogen sind, und die betreffende Lady bedauert sehr, dass sie Rowarn nicht mit ihren Liebeskünsten verwöhnen darf. Er hat nämlich gerade Spione des Feindes belauscht und Wichtigeres vor, als mit ihr ins Heu zu hüpfen. Vielleicht ein anderes Mal, honey! Wie schön, dass diese Helden auch einen Unterleib haben dürfen!

|Die Anhänge|

Die Anhänge enthalten als besonders hilfreichen Teil ein Glossar, das die zahlreichen Namen und Begriffe erklärt, welche die Autorin für ihr Waldsee-Universum erfunden hat. Dieses Glossar wird in den Folgebänden je nach Bedarf weiter ausgebaut. Ein zweiter Text ist die Rede einer Mutter an ihr Kind – es könnte sich um Rowarn handeln -, in der es um den Traum des Schöpfers geht, auf dem das ganze Waldsee-Universum basiert.

_Unterm Strich_

Der erste Band eines neuen Fantasy-Zyklus ist immer etwas heikel. Dieser bildet keine Ausnahme. Für den Leser fängt alles erst ganz gemütlich an, bevor im Mittelteil eine erhebliche Umgewöhnungsphase eintritt. Viele Figuren widersprechen den Klischees, die das Fantasygenre (oder vielmehr die amerikanischen Verlage) für sich eingerichtet hat. Soldaten und Recken haben ein Liebesleben, das sie dennoch nicht lächerlich macht. Und Monster wie Balrogs entpuppen sich als Verbündete, wenn man auch nicht versuchen sollte, mit ihnen Kirschen zu essen.

Das letzte Drittel ist dann wieder vertrautes Terrain: die Entscheidungsschlacht. Dies ist zwar nicht das Ringen der Völker um das Schicksal von Mittelerde, aber die diversen Durchgänge bietet doch eine Reihe von dramatischen Kämpfen gegen ernstzunehmende Gegner. Leider kommt es in den Reihen der Guten zu beklagenswerten Verlusten. Rowarn fällt es schwer, den Befehl seines neuen Dienstherrn Noirun zu befolgen und nur vom Seitenaus zuzuschauen. Wenigstens kann er von dieser Position aus den Überblick über das Geschehen bewahren, wofür ihm der Leser dankbar ist.

Da noch zahlreiche Geheimnisse der Enthüllung harren und Rowarn seinen Racheplan weiterverfolgt, bin ich gespannt, wie der Zyklus weitergeht. Der Weltentwurf der versierten Autorin birgt jedenfalls noch einiges Potenzial, um aufregende Abenteuer mit fremdartigen Wesen zu gestalten.

|415 Seiten
ISBN-13: 978-3-404-28517-4|
http://www.uschizietsch.de
http://www.bastei-luebbe.de
http://www.fabylon-verlag.de

Haensel, H. / Böhmert, F. / Feldhoff, R. / Effenberger, S. A. / Hagitte, Chr. / Bertling, S. – Land unter dem Teich, Das (Perry Rhodan – Sternenozean, Folge 20)

_Auf Bagger-Mission: Perry gräbt ein Mädel aus_

|Lübbe Audio| vertont die Abenteuer des Kadetten Kantiran und des Sternenadminstrators Perry Rhodan, die in der Unterserie „Sternenozean“ im |Perry Rhodan|-Universum spielen. Bislang sind vierundzwanzig Hörspiele veröffentlicht, doch will |Lübbe| offenbar vierzig Hörspiele produzieren. Dies ist die vierte Staffel.

Folge 19: Unbekannte Mächte zapfen die sechsdimensionale Energie der toten Superintelligenz ARCHETIM in der Sonne an. Als im Rahmen der „Operation Kristallturm“ ein Forschungsschiff zur Aufklärung dieser Vorkommnisse startet, entdeckt TLD-Agentin Mondra Diamond einen gefährlichen Saboteur an Bord …

Folge 20: Zephyda hat einen Konvent einberufen und soll zur stellaren Majestät der Motana ausgerufen werden. Währenddessen erspürt die geheimnisvolle Schildwache Lyressea ihre Schwester in einer Asylkapsel unterhalb der Stadt Kimte. Als sie Perry Rhodan in das Land unter dem Teich führt, wird beiden klar, dass Kimte in wenigen Minuten die Vernichtung droht …

_Die Reihe_

„Perry Rhodan“ ist die größte SF-Heftchen- und Roman-Reihe der Welt. Eine Vielzahl von Autoren schreiben seit Jahrzehnten für die Reihe, und koordiniert wird dieser Aufwand vom |Pabel|-Verlag in Rastatt. Auch Andreas Eschbach fühlte sich geehrt, einen oder zwei Bände beitragen zu dürfen.

Es gab vor der aktuellen |Lübbe-Audio|-Reihe schon Vertonungen der PR-Silberbände, doch nicht in der stilvollen Inszenierung des |STIL|-Tonstudios. Die Vorlage für das vorliegende Abenteuerhörspiel lieferten die Romane „Friedenskämpfer“ von Hubert Haensel, „Das Land unter dem Teich“ von Frank Böhmert sowie Zeuge der Zeit“ von Robert Feldhoff.

Die 1. Staffel:

1) [Der Sternenbastard 3030
2) [Die Mascantin 3031
3) [Der Hyperschock 3035
4) [Planet der Mythen 3058
5) [Havarie auf Hayok 3263
6) [Das Blut der Veronis 4468

Die 2. Staffel:

7) [Der Gesang der Motana 3627
8) [Sonderkommando Kantiran 3639
9) [Tau Carama 3656
10) [Überfahrt nach Curhafe 3664
11) [Entscheidung in Vhalaum 3682
12) [Die Femesängerin 3699

Die 3. Staffel:

13) [Der Flug der Epha-Motana 4589
14) [Terraner als Faustpfand 4592
15) [Die Sekte erwacht 4595
16) [Der Todbringer 4609
17) [Kampf um den Speicher 4633
18) [Die mediale Schildwache 4661

Die 4. Staffel:

19) [Operation Kristallsturm 5339
20) Das Land unter dem Teich
21) Attentat auf Hayok
22) Kybb-Jäger
23) Auf dem Weg nach Magellan
24) Jenseits der Hoffnung

_Die Sprecher & Die Inszenierung_

Erzähler: Christian Schult (Richard Belzer in „Law & Order: New York“)
Perry Rhodan: Volker Lechtenbrink (Schauspieler, Sänger, Synchronsprecher: Kris Kristofferson, Burt Reynolds als ‚Logan‘)
Atlan: Volker Brandt (Stimme von Michael Douglas)
Rorkhete: Charles Rettinghaus (Jean-Claude van Damme)
Lyressea: Yara Blümel-Meyers (‚Aura Institoris‘ in den Hörspielen zu „Die Alchimistin“)
Zephyda: Claudia Urbschat-Mingues (Angelina Jolie, Kristanna Loken, Maria Bello)
Ilkhete: Barbara Ratthey (Elaine Stritch, Miranda Richardson in „Merlin“ 1 & 2)
Kischmeide: Karin David
Sowie Martin Baden und Kerstin Ratschke.

Volker Lechtenbrink wurde 1944 in Cranz/Ostpreußen geboren. Bereits als Achtjähriger sprach er im Kinderfunk und stand zwei Jahre später auch schon auf der Bühne. 1959 wurde er durch den Antikriegsfilm „Die Brücke“ (Regie: Bernhard Wicki) bundesweit bekannt. Er besuchte die Schauspielschule in Hamburg und ist heute in zahlreichen TV-Serien zu sehen. Darüber hinaus ist er am Theater tätig, geht auf Tourneen oder wirkt als Intendant. (Verlagsinfo)

Die Hörspieladaption stammt von S. A. Effenberger. Regie, Musik, Ton und Programmierung lagen in den Händen von Christian Hagitte und Simon Bertling vom Ton-Studio |STIL|. „Die Musik wurde exklusiv für die Perry-Rhodan-Hörspiele komponiert und vom Berliner Filmorchester unter der Leitung von Christian Hagitte live eingespielt. Die elektronischen Klänge und Effekte wurden speziell für die Hörspiele vom |STIL|-Team durch den Einsatz von Computertechnik generiert“, heißt es im Booklet. Executive Producer der Reihe ist Marc Sieper.

Am Schluss erklingt der Song „Post #1“ von |Radiopilot|. Musik und Text stammen von Lukas Pizon und Rafael Triebel. Mehr Info: www.radiopilot.de und MySpace.

_Vorgeschichte_

Die Lage des Jahres 1332 Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist in der Galaxis so bedrohlich und zugleich offen wie seit Jahren nicht mehr. Und alles bewegt sich auf eine einzige Veränderung hin: die Erhöhung des Hyperphysikalischen Widerstandes, kurz Hyperimpedanz genannt. Dieser „Hyperimpedanzschock“ trifft die Galaxis mehrfach. Durch ihn fällt jede hochwertige Technologie aus. Dies kündigt sich durch eine stark verminderte Höchstgeschwindigkeit der Raumschiffe und eine reduzierte Reichweite des interstellaren Hyperfunks an. Auch das Gesicht der Galaxis verändert sich. Durch die Hyperimpedanz ausgelöst, kommt es zu schweren Hyperstürmen und Raumbeben. Bisher unter Hyperkokons verborgene Sternenhaufen stürzen in die Galaxis zurück.

In dieser Zeit sind Perry und Atlan noch immer im Sternenozean von Jamondi verschollen, jenem optisch nicht wahrnehmbaren Sternhaufen, der direkt neben dem Sektor Hayok aufgetaucht ist – aus einem Hyperkokon, in den er offenbar seit Jahrmillionen gehüllt war. Es gibt Verbindungen zwischen der Galaxis und Jamondi, die sich den Menschen bisher noch nicht erschließen. Fieberhaft arbeiten terranische Wissenschaftler an Erklärungen für die angestiegene Hyperimpedanz.

|Unterdessen im Jamondi-Sternenozean.|

Im Jahr 1332 NGZ sind Perry und Atlan, die beiden Unsterblichen und ehemaligen Ritter der Tiefe, noch immer im Jamondi-Sternenozean unterwegs. Seite an Seite mit den menschenähnlichen Motana und dem Nomaden Rorkhete stehen sie im Kampf gegen die Herrscher des Sternenhaufens, die Kybb – kybernetische, igelähnliche Wesen. Ein Kontakt mit Terra ist nicht möglich – siehe oben.

Nach großen Anfangserfolgen ihres Aufstandes zerplatzt die Zuversicht der Rebellen, als sie erstmals den übermächtigen Kybb-Traken gegenüberstehen. In einem einzigen Gefecht über dem Planeten Baikhal Cain geht den Motana eine große Zahl ihrer bionischen Kreuzer an die Kybb verloren (Folge 18). Nachdem Perry während der Kämpfe die geheimnisvolle Schildwache Lyressea aus ihrer zeitlosen Asylkapsel auf Baikhal Cain befreit hat, sind die Gefährten nach Tom Kartay, der einzigen freien Motana-Welt, zurückgekehrt, um den Kampf gegen die Kybb fortzuführen.

_Handlung_

Damit die Revolte nicht stirbt, bevor sie so richtig begonnen hat, wird ein Konvent der planetaren Majestäten einberufen, der die junge Motanafrau Zephyda zur Stellaren Majestät erheben soll. Nur unter ihrem Kommando vereint können die Motana den Befreiungskrieg gegen die Kybb führen, den sie sich in den langen Jahren der Unterdrückung immer erhofft haben. Einzige Kandidatin für das Amt ist Zephyda. Als sie in der Festung Rödergorm ihre Rede hält, sorgt sie unter den über 300 Planetaren Majestäten für einiges Aufsehen.

Sie berichtet nämlich, was sie und Perry von der Medialen Schildwache Lyressea erfahren haben. Vor sieben Millionen Jahren herrschte in unserer Milchstraße und der Großen Magellanschen Wolke (GMW) ein Bruderkrieg. In der GMW fiel der Gott Gon-Orbhon vom wahren Glauben ab und schuf eine große Festung: Parrak. Die Schutzherren der Galaxien waren machtlos gegen ihn. Nach sieben Jahrhunderten beendete die Superintelligenz ES den Krieg, indem sie den Sternenozean von Jamondi und die Bastion von Parrak in sogenannten Hyperkokons voneinander abschottete: kleinen Taschenuniversen.

Doch der Schutzherr Takazani wurde ebenfalls abtrünnig und initiierte eine Revolte, die als „Blutnacht von Barings“ in die Geschichte einging. Dabei wurden alle Schutzherren bis auf eine getötet, die fliehen konnte. Fortan herrschten die Kybernetischen Völker über den Sternenozean, denn die Kybb Cranar halfen Takazani. Sie unterdrückten die Motana fortan brutal. Bis heute residiert Takazani in seinem Schloss Kerzesch, das sich im Afronie-Sternhaufen befindet. Dieser Sternhaufen ist von Jamondi ebenfalls durch einen Hyperkokon abgetrennt. Und Gon-Orbhon herrscht noch immer in der Großen Magellanschen Wolke.

Nun ist jedoch Jamondi in den Normalraum zurückgestürzt, was für Terra die Gefahr eines Angriffs der Kybb heraufbeschwört. Um sowohl den Motana als auch Terra zu helfen, will die Mediale Schildwache Perry Rhodan und Atlan, die ehemaligen Ritter der Tiefe, in den Stand von Schutzherren erheben und ihnen somit mehr Macht verleihen. Zu diesem Zweck müssen jedoch die anderen fünf Schildwachen ebenso gefunden werden wie das Paragonkreuz.

Die erste dieser fünf Schildwachen spürt Lyressea bereits auf dieser Welt, auf Tom Kartay. Es sei ihre Schwester Katiane, und sie befinde sich tief unten, am Fuße des Stadt-Baums von Kimte. Nach einigem Suchen entdecken sie, dass Katianes Asylkapsel unter dem Boden des Teiches liegen muss. Zusammen mit Perry betritt sie die Tunnel, die in das Land unter dem Teich führen …

_Mein Eindruck_

Endlich haben wir unsere alten Helden wieder! Da sind Perry, Atlan, die schöne Zephyda und der geheimnisvolle Shozide Rorkhete, eine Art letzter Mohikaner. Zephyda erlangt nun höchste Würden, wird sich doch ruckizucki zur Stellaren Majestät gewählt. Es macht nichts, wenn wir nicht wissen, wie sie zu dieser Würde kommt, wo sie doch nur eine Planetare Majestät unter 300 ist. (Ob die Zahl 300 etwas mit den Spartanern des Königs Leonidas zu tun hat, wage ich zu bezweifeln.) Hauptsache, Zephyda tritt den anderen Majestäten verbal in den Hintern und macht ihnen klar, dass es Zeit für einen ordentlichen Befreiungskrieg ist. Wir wähnen uns im Amerika des Jahres 1776.

Unterdessen im Sumpf. Hier schleicht Perry mit seinem Spezialmädel, der Medialen Schildwache Lyressea, durch Busch und Strauch. Picknick und Schäferstündchen stehen jedoch nicht auf dem Stundenplan, sondern vielmehr das Ausbuddeln einer weiteren Schildwache: Schwesterherz Katiane soll die Gute heißen, und ganz klar ist Perry auch auf dieses Mädel scharf. Vielleicht ahnt er ja auch schon, was er von all diesen Schildwachen bekommen kann: nämlich die Erhebung zur Würde des Schutzherren.

Wie auch immer: Der Held muss mal wieder wie weiland Odysseus und Faust „hinab zu den Müttern“, will heißen: in den Bauch der Erde. Dort ist jedoch ebenfalls nicht Baggern angesagt, sondern die Befreiung der Schildwache (was im Grunde aufs selbe hinausläuft). Die stellt sich als schwieriger heraus als gedacht, denn wenn die „Asylkapsel“ Katianes bewegt wird, dürfte ein Selbstzerstörungsmodus aktiviert werden, der große Hitze entwickelt. Diese wiederum dürfte den Stadt-Baum in Brand setzen, aus dem die hiesige Stadt Kimte besteht. Die Bürgermeisterin Kishmaede ist denn auch wenig entzückt von dieser Nachricht aus dem Sumpf. Sie ordnet die Evakuierung an.

Nun darf auch Rorkhete mitbaggern. Wie sonst soll die Asylkapsel auch ausgegraben werden? Vielleicht braucht der letzte (und ganz bestimmt ziemlich einsame) Shozide aber auch ein eigenes Mädel? Wie auch immer: Die Außenschleuse der Kapsel öffnet sich – und wie so oft bei der Begegnung mit weiblichen Wesen ist der Gang dahinter tiefer als Mann denkt. Genauer gesagt, führt ein Dimensionstor auf eine andere Welt. Da staunen Perry und Rorkhete nicht schlecht.

Dumm nur, dass die fremde Welt einen verderblichen Einfluss auf ihre Besucher auszuüben scheint. Lyressea sieht mit Schrecken, wie Rorkhete seine Waffe gegen sie erhebt. Und Perry, der sich auf die Prärie hinausgewagt hat, wird plötzlich von einem gigantischen Reittier verfolgt. Nein, es ist nicht Woody Allens Riesenbusen, der sich selbständig gemacht hat, sondern etwas viel Schlimmeres: eine Riesenamöbe …

Wie man sieht, scheint es mit unseren Helden ziemlich rasch ein böses beziehungsweise lächerliches Ende zu nehmen. Da jedoch die Serie weitergehen muss, komme was da wolle, ist anzunehmen, dass die Riesenamöbe schon bald ein frühzeitiges Ableben ereilen wird, und auch Lyressea zeigt, was in ihr steckt. Schließlich hängt die Zukunft des Universums von ihr ab.

_Die Inszenierung_

Im Rahmen einer guten Radiostunde erlebt der Hörer hier ein mal mehr, mal weniger actiongeladenes Drama, das es in puncto Produktionsqualität mit einer Star-Wars-Episode aufnehmen kann. Die SF-Handlung, kombiniert mit Fantasyelementen – immer wieder sind Psikräfte am Werk -, weiß für flotte Unterhaltung zu sorgen.

So fangen Sternenopern an: mit einer schmissigen Titelmelodie und raunenden Stimmen, die Schicksalhaftes verkünden. Ein Erzähler wie Christian Schult hat eine recht hohe Autorität und wir glauben ihm seine Geschichte nur allzu gern, wenn er von der Flucht Perrys und Atlans erzählt. Atlan klingt wie Michael Douglas. Ihm und Volker Lechtenbrink als Perry Rhodan nehme ich die Actionhelden ab. Die Figur des Rorkhete gewinnt zunehmend an Bedeutung, und mit Charles Rettinghaus drängt sich die deutsche Stimme von Jean-Claude van Damme in den Vordergrund. Können wir also künftig mit mehr Action rechnen?

|Geräusche|

Die größte akustische Leinwand bemalen jedoch die tausend elektronisch erzeugten Sounds, die der ganzen Handlung erst das kosmische Science-Fiction-Feeling verleihen. Ohne sie könnte es sich ebenso gut um Fantasy auf einem fernen Planeten handeln, wie sie z. B. Jack Vance fabriziert hätte.

Diese Sounds kommen besonders gut in dem Land unter dem Teich und auf dem neuen Planeten zum Tragen. Hier könnte ich mir sehr gut einige charakteristische Sound-Samples aus |Star Trek| oder |Star Wars| vorstellen, doch diese Vorgaben vermeiden die Sounddesigner mit peinlicher Genauigkeit. Sie hätten ja sonst womöglich Lizenzgebühren zahlen müssen.

|Musik|

Insgesamt sind die Musik und die Geräuschkulisse eine ganze Menge Aufwand für eine simple Sternenoper, aber es lohnt sich: Das Hörspiel klingt höchst professionell produziert. Ich könnte Gegenbeispiele nennen, in denen die Musikbegleitung in die Hose ging, aber sie stammen alle nicht vom Studio |STIL|.

|Der Song|

Am Schluss erklingt der Song „Post #1“ der deutschen Band |Radiopilot|. Mit dreieinhalb Minuten Länge ist er von durchschnittlicher Popsonglänge. Nach den obligaten Perry-Rhodan-Zitaten hören wir einen elektronisch verzerrten deutschen Text von erstaunlicher Banalität. Er ist mit einem Drum-&-Bass-Rhythmus unterlegt, der wie ein stockender Herzschrittmacher klingt, welcher gerade den Geist aufgibt. Ich kann nicht behaupten, dass ich diesen Song sonderlich eindrucksvoll fand. Aber wahrscheinlich soll das Ganze unheimlich innovativ wirken.

|Das Booklet …|

… umfasst neben den oben genannten Credits auch jede Menge Werbung für die vorhergehenden Episoden der Serie. Außerdem findet sich in der CD-Box ein Einleger mit Werbung für die Band |Radiopilot|. Offenbar findet hier eine Art Reklameaktion auf Gegenseitigkeit statt. Das interessiert mich aber nicht die Bohne. Am wichtigsten ist im Booklet die Sektion „Was bisher geschah …“, die eine Zusammenfassung dessen gibt, was der Hörer für die vorliegende Episode an Vorgeschichte wissen muss.

_Unterm Strich_

Was ist bloß aus unseren Helden Perry Rhodan, Kantiran und Zephyda geworden, fragte ich mich in Folge 19, doch nun habe ich die Antwort: Sie sind quicklebendig und wie stets zu Abenteuern aufgelegt. Diesmal bekommen es Perry und Rorkhete mit gleich zwei Schildwachenmädels zu tun. Hoffentlich können sie sich entscheiden, wer welches anbaggert. Denn Baggern muss sein, um Katiane aus der Asylkapsel, einem Raumschiff, herauszubekommen. Nur die lächerliche Riesenamöbe, gelenkt von „Echsenwesen“, hätte wirklich nicht sein müssen. Manchmal schlagen die Drehbuchautoren wirklich über die Stränge.

Jugendliche beiderlei Geschlechts zwischen 14 und 17 Jahren dürften sich rasch mit den Helden identifizieren, und das ist eine der besten Voraussetzungen, ein treues Publikum aufzubauen. Auch Zephyda ist eine solche Identifikationsfigur, und ich hoffe, dass sie möglichst lange Teil des Serienpersonals bleibt.

Was die Qualität des Inhalts angeht, so darf man wohl kaum tiefschürfende und daher langweilige Monologe erwarten. Vielmehr sind kämpferische Action und romantische Exotik angesagt – das ist genau die Mischung, die auch „Star Wars“ so erfolgreich gemacht hat. Über einen Mangel an Action konnte ich mich diesmal wirklich nicht beklagen.

|69 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3596-1|
http://www.perryrhodan.org
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name
http://www.perry-rhodan-game.com
[Ausführlicher Überblick über diesen Zyklus der Heftromanserie]http://www.perrypedia.proc.org/Der__Sternenozean__%28Zyklus%29

_Mehr |Perry Rhodan| auf |Buchwurm.info|:_

[„Die Sternenarche“ 769 (Perry Rhodan – Lemuria 1)
[„Der Schläfer der Zeiten“ 871 (Perry Rhodan – Lemuria 2)
[„Exodus der Generationen“ 886 (Perry Rhodan – Lemuria 3)
[„Der erste Unsterbliche“ 949 (Perry Rhodan – Lemuria 4)
[„Die letzten Tage Lemurias“ 1021 (Perry Rhodan – Lemuria 5)
[„Die längste Nacht“ 1137 (Perry Rhodan Lemuria 6)
[„Die Lebenskrieger“ 2189 (Perry Rhodan PAN-THAU-RA 1)
[„Die Trümmersphäre“ 2468 (Perry Rhodan PAN-THAU-RA Band 2)
[„Die Quantenfestung“ 3050 (Perry Rhodan PAN-THAU-RA 3)
[„PERRY RHODAN: Odyssee“ 3240
[„Die Kaiserin von Therm“ 3241 (Perry Rhodan Silberband 94)
[„Die Rückkehr“ 1611 (Perry-Rhodan-Roman 2295)
[„Das Antares-Riff“ 1706 (Perry Rhodan Extra 2)
[„Perry Rhodan – Das Rollenspiel“ 2925 (Grundregelwerk)

Thompson, Kate – silberne Pferd, Das

_Es waren zwei Königskinder …_

Als der jugendliche Reiter Michael den verlassenen Pfad entlangreitet, trifft er am Flussufer Annie. Annie, die mit den vielen Piercings so viel anders ist als er selbst. Eine Leidenschaft teilen sie: Beide lieben Pferde. Michael erklärt sich bereit, Annie Reitstunden zu geben, und mit der Zeit verlieben sie sich. Doch Annie umgibt ein düsteres Geheimnis, welches sie trotz ihrer Liebe nicht preisgeben kann. Er muss den tückischen Fluss durchqueren, um sie für sich zu gewinnen…

Die Geschichte basiert nach Angaben der Autorin auf dem Volkslied „Annan Water“ aus dem 17. Jahrhundert, das 1890 erstmals in schriftlicher Form veröffentlicht wurde.

_Die Autorin_

Kate Thompson, 1956 geboren, wuchs in England auf, trainierte Rennpferde in USA, studierte Jura in London und machte ausgedehnte Reisen durch Indien, bevor sie sich in Kinvara im irischen County Galway niederließ. Dort entwickelte sie ihre Leidenschaft für das Fiddlespiel. Sie hat eines ihrer Zimmer in eine Werkstatt umgewandelt, in der sie alte Instrumente restauriert.

Sie schreibt Lyrik, Drehbücher, Romane und Kinder- und Jugendbücher, für die sie bereits zweimal den |Irish Children’s Book of the Year Award| gewonnen hat. Ihr Roman [„Zwischen den Zeiten“ 3668 wurde laut Verlag mehrfach ausgezeichnet.

_Handlung_

Der etwa 14 Jahre alte Michael lebt mit seinen Eltern Jean und Frank auf einer Pferdefarm. Ursprünglich stammt die Familie aus Yorkshire, doch nach dem Tod der kleinen Tochter zogen die Eltern ins schottische Dumfries, von wo Jeans Familie stammt. Hier schuftet Michael von frühmorgens bis spätabends für eine Gewinnbeteiligung am Pferdehandel. Die Schule leidet natürlich darunter, aber Michael gelingt es, seine Eltern darüber zu täuschen, wie mies seine Leistungen in Wahrheit sind. Das wird sich bald ändern …

Bei einem Ausritt mit der lebhaften silbergrauen Stute (des deutschen Titels) und einem Wallach auf einem vergessenen Pfad gelangt Michael an einen Fluss, vor dem die Stute zurückschreckt. Angesichts des Wassers geht ihm ein Vers eines Liedes durch den Sinn, das ihm seine Großmutter in Dumfries immer vorgesungen hat: „Annan Water“. Das Wasser verkündet einem jungen Mann, der zu seiner liebsten Annie will, Unglück.

Zwei Erwachsene und ein Teenager-Mädchen begrüßen ihn. Mike wundert sich über die vielen Piercings, die das Mädchen im Gesicht trägt. Sie stellt sich als Annie vor und würde sehr gerne reiten lernen. Sie wohnt am anderen Flussufer mit ihrer Mutter, die an Multipler Sklerose leidet. Ein Nachbar namens Jimmy Souter, den Mikes Mutter noch als Nachbarn kennt, unterstützt die beiden.

Aus den Reitstunden für Annie wird schnell mehr, als sie sich begeistert und mit Schwung an den Arbeiten auf dem Pferdehof beteiligt. Auch Jean und Frank sind von ihr begeistert, weil sie ihnen so viel Arbeit abnimmt. Doch Michael ist von ihr mehr als nur beflügelt: Er verliebt sich unversehens in sie. Doch während er sie küsst, vergisst er seine Pflichten. Seine Mutter Jean stürzt mit ihrem Pferd auf regennassem Boden. Beim Parken am Krankenhaus verursacht er einen Verkehrsunfall, den er seinen Eltern verschweigt.

Obwohl er mit Annies Motivation eine Pferdeschau nach der anderen gewinnt und sie selbst ebenfalls einen Sieg nach Hause holt, ist das dicke Ende doch unausweichlich. Und als Annies Vater aus dem Knast entlassen wird und mit Annie wegziehen will, dreht Michael vor Angst und Frust vollends durch. Darauf hat der tückische Fluss vor Annies Haus nur gewartet …

_Mein Eindruck_

Der Leser fragt sich unwillkürlich, was denn an diesem recht prosaischen Plot bitteschön „phantastisch“ sein soll. Tatsache ist jedoch, dass nirgends auf dem Umschlag das verräterische Etikett „Fantasy“ steht und es sich daher einfach um eine recht poetisch aufgemotzte Romanze handeln darf. Vielleicht sind deswegen allenthalben weiße Blümchen auf dem Umschlag zu finden.

Wer also wie ich von Kate Thompsons phantastischen Romanen wie [„Zwischen den Zeiten“ 3668 begeistert war, dürfte sich relativ enttäuscht sehen. Aufhänger der Story ist besagtes altes Volkslied „Annan Water“, das unsere zwei Königskinder trennt, so dass sie nicht ordentlich zueinander kommen können.

Wer jedoch genauer hinschaut, der entdeckt, dass die beiden Hauptfiguren Michael und Annie aus ihren jeweiliges familiären Gefängnissen ausbrechen wollen und müssen, um ihrer inneren Bestimmung folgen zu können. Michael möchte eigentlich ein Tierarzt sein, doch der Pferdehandel in der Drei-Mann-Familie nimmt ihn derartig in Beschlag, dass er sogar für die Hausaufgaben zu müde ist. In Annie steckt eine verhinderte Künstlerin oder Innenarchitektin. Sie ist jedoch durch Frust und Schuldgefühle in ihrem Unterbewusstsein so sehr gegen sich selbst gerichtet, dass sie sich pierct und ritzt, um sich spüren zu können (Borderline-Persönlichkeitsstörung).

Der dunkle Fluss stellt die Barriere dar, die die beiden sowohl buchstäblich als auch psychologisch und sozial voneinander trennt. Folglich muss einer von beiden irgendeinen Weg finden, die Barriere zu finden und so sie beide zu befreien. Der Haken dabei ist die große Gefahr, die den Versuch der Überquerung mit dem Tode bedroht.

Letzten Endes ist es, wie sich zeigt, eine Frage des Vehikels: Die quecksilbrige Stute („the bonny grey mare“ des Liedes) verweigert den Dienst, doch der brave Wallach trägt Michael gerne in das tosende Wasser, auch um den Preis des eigenen Lebens. Wie das Lied es ausdrückt: Wahre Liebe baut eine Brücke, und Treue ermöglicht das Fundament.

Bange Wochen vergehen, in denen die Familien nichts von dem verschwundenen Liebespaar hören. Haben sie es geschafft, zueinander zu gelangen, oder treiben sie mit dem Fluss dem Meer entgegen? Das soll hier nicht verraten werden. Im Lied geht der Überquerungsversuch unglücklich aus.

|Realismus|

Was mich jedoch besonders für das Buch eingenommen hat, ist nicht die recht konventionelle Liebesromanze, sondern der beeindruckend realistisch geschilderte Alltag eines Pferdehändlerhofes. Hier wird nicht gezüchtet oder aufgezogen, sondern nur gehandelt. Allerdings müssen die Ponys und Pferde zugeritten werden, um einen Mehrwert damit erzielen zu können. Die sichersten und gehorsamsten Tiere erzielen auf Pferdeschauen nicht nur Auszeichnungen, sondern in den nachfolgenden Verhandlungen auch bessere Preise.

Es gibt eine gute Episode, in der die Autorin, vertreten durch Jean und Michael, nichtsnutzige, schlechte Reiter kritisiert. Eine dünkelhafte Mittelklassemami will für ihren ebenso hochnäsigen, aber schweigsamen Sohnemann ein passendes Pony kaufen. Das Pony ist brav und gut ausgebildet, doch der junge Reiter ist viel zu ängstlich und nimmt das Tier viel zu stark an die Kandare, so dass es völlig durcheinander gerät. Die ganze Partie endet schließlich, wie es Michael hat kommen sehen: in einem Sturz. Selbstredend gibt Supermami dem Ponybesitzer die Schuld statt ihrem inkompetenten Sohn. Dass Michael Recht hat, zeigt er später bei einem Schaurennen.

_Unterm Strich_

Solche Szenen kann man sich sehr plastisch wie einen Film vorstellen. Das Buch besteht fast nur aus solchen Szenen und lässt sich daher ohne Mühe verstehen und lesen. Die Schrift ist groß gehalten, die Kapitel sind kurz wie bei James Patterson.

In Irland käme so ein Buch wahrscheinlich nur in einer winzigen Auflage als Liebhaberausgabe auf den Markt, aber die Autorin hat bei uns dank der guten Presse- und Marketing-Arbeit des Verlags ein größeres Publikum.

Dieses Publikum besteht vor allem aus weiblichen Fans, und sie dürften sich für die Romanze auf dem Pferdehof besonders begeistern. Mich selbst hat mehr die realistische Darstellung von Michaels Umwelt überzeugt. Von Annie hingegen erfahren wir nur sehr wenig, weil intensivere psychologische Szenen kaum vorhanden sind, in denen sie das Ritzen und Piercen näher erklären kann.

Für ein Buch, das die realistische und in die Gegenwart verlegte Umsetzung eines alten Volksliedes darstellt, vermag „Das silberne Pferd“ dennoch sehr gut zu unterhalten. Man darf jedoch keine höheren Erwartungen hegen. Weder Krimi- noch Fantasyliebhaber kommen hier auf ihre Kosten. Und der Liedtext ist auch nicht ins Deutsche übertragen worden.

|Originaltitel: Annan Water, 2004
Aus dem Englischen von Kattrin Stier
219 Seiten
Empfohlen ab 12 Jahren
ISBN-13: 978-3-570-30447-1|
http://www.cbj-verlag.de

Meyer, Kai / Hagitte, Christian / Bertling, Simon – Alchimistin, Die. Teil 5: Die Unsterbliche (Hörspiel)

_Action in der Wüste und unbekannte Lover_

Schloss Institoris, ein düsteres Gemäuer an einer einsamen Küste. Inmitten eines Labyrinths endloser Gänge und Säle wächst Aura heran, die älteste Tochter des Schlossherrn. Sie ist die Erbin eines uralten Rätsels, der Rezeptur des Steins der Weisen. Doch als ihr Vater im Auftrag seines Widersachers Lysander ermordet wird, schlägt die Stunde für Auras Stiefbruder Christopher – er beansprucht das Geheimnis der Unsterblichkeit für sich …

Folge 2: Aura enthüllt das Geheimnis ihrer Familie. Ausgerechnet der Mörder ihres Vaters, der geheimnisvolle Hermaphrodit Gillian, befreit sie aus den Klauen grausamer Mörder. Auf der Spur von Auras entführter Schwester Sylvette reisen sie nach Wien. In den Katakomben unter der Stadt geraten sie in einen Konflikt, dessen Ursprünge weit zurück ins Mittelalter reichen …

Folge 3: Sieben Jahre sind vergangen. Aura hat die Geheimnisse der Alchimie erforscht und das Erbe ihres Vaters angetreten. Doch alle, die ihr etwas bedeutet haben, sind tot. An der Seite ihres verhassten Stiefbruders Christopher muss sie abermals den Kampf gegen den alten Feind ihrer Familie aufnehmen – tief unter der Wiener Hofburg. Zugleich dämmert daheim auf Schloss Institoris eine neue Gefahr: Auras wahnsinnige Mutter Charlotte hat eigene Pläne …

Folge 4: Jenseits des Schwarzen Meeres, in den einsamen Bergen des Kaukasus, liegt die vergessene Festung der Tempelritter. Hier in der Wildnis am Ende der Welt nähern sich Ara Institoris und ihr Stiefbruder Christopher endlich dem Versteck ihres Gegners Lysander. Zugleich reist Gillian, der Hermaphrodit, mit den Institoris-Kindern nach Venedig ins neue Hauptquartier des Templerordens. Sein schwerster Kampf steht ihm noch bevor – gegen Morgantus, den unsterblichen Alchimisten …

Folge 5: Zehn Jahre nach den Ereignissen im Kaukasus in Folge 4. Aura Institoris hat die Unsterblichkeit gewonnen. Doch ihre große Liebe ist daran zerbrochen, ihre Familie in alle Winde zerstreut. Während die Welt in einen großen Krieg taumelt, taucht Aura einsam und verzweifelt in Paris unter. Ein geheimes Zeichen, der blutige Abdruck einer Hand mit sechs Fingern, ändert alles. Auras Nachforschungen führen auf die Fährte eines Mörders, dem jedes Mittel recht ist, um die Geheimnisse der Alchimistin zu offenbaren. (Verlagsinfos)

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar Jerry-Cotton-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen. Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei |Loewe| erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis |CORINE| ausgezeichnet.

Die erste Staffel der achtteiligen Hörspielreihe umfasst die Folgen:

1) [Der Stein der Weisen 5052
2) [Das Erbe des Gilgamesch 5155
3) [Die Katakomben von Wien 5220
4) [Das Kloster im Kaukasus 5263

Im August 2008 erschien die zweite Staffel:

5) Die Unsterbliche
6) Die Schwarze Isis
7) Der Schatz der Templer
8) Der Alte vom Berge

Weitere Titel von Kai Meyer auf |Buchwurm.info|:

[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)

_Sprecher & Inszenierung_

Erzähler: Friedhelm Ptok (Ian ‚Imperator Palpatine‘ McDiarmid)
Aura Institoris: Yara Blümel-Meyers
Gillian: Claudio Maniscalo (Jimmy ‚The Haitian‘ Jean-Louis)
Tess: Marie-Luise Schramm (Mara Wilson)
Gian: Kim Hasper (Jamie Oliver)
Philippe Monteillet: Frank Glaubrecht (deutsche Stimme von Al Pacino)
Karisma: Ulrike Stürzbecher (Patricia Arquette, Kate Winslet)
Konstantin: Dietmar Wunder (Cuba Gooding jr., Edward Norton)
Raffael: Norman Matt (Cillian ‚Scarecrow‘ Murphy, ‚Guybrush Threepwood‘ in den „Monkey Island“-Spielen)
Und andere, darunter Tilo Schmitz (dt. Stimme von Ving Rhames).

Für Regie, Ton und Musikkomposition zeichnen Christian Hagitte und Simon Bertling vom Studio |STIL| verantwortlich. (Das Hörspiel ist daher Cornelia Bertling gewidmet, die 2007 mit 40 Jahren starb.) Die Musik spielt das Filmorchester Berlin und der Hochmeisterchor Berlin unter der Leitung von Hagitte. Die Hörspielbearbeitung stammt von Stefan Maetz. |Lübbe Audio| produzierte das Hörspiel und nicht etwa ein Rundfunksender.

_Handlung_

Zehn Jahre sind seit den Ereignissen im Kaukasus vergangen, in deren Verlauf Aura ihren Bruder verlor und ihre Schwester wiederfand. Sie sieht aus wie 24, ist aber 34, eine potenziell Unsterbliche. Aber ist sie die einzige? Vor acht Jahren hat sie ihren Geliebten Gillian, den Vater ihres Sohnes Gian verlassen. Er wollte nicht ebenfalls unsterblich werden. Doch sie mischte ihm trotzdem das Gilgameschkraut in sein Getränk, missbrauchte sein Vertrauen. Das führte zum Bruch, doch er wurde ebenfalls unsterblich. Wer weiß, wo er sich herumtreibt, seit er der neue Großmeister des Templerordens geworden ist.

Aura treibt sich einsam in Paris herum und sucht viele Bibliotheken heim, auf der Suche nach Hinweisen. Sie sucht das Erste Wort der Schöpfung: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“, heißt es in der Genesis, doch um welches Wort handelt es sich, will Aura wissen: das Verbum Dimissum. Eines Tages findet sie den blutigen Abdruck einer sechsfingrigen Hand auf ihrem Betttuch. Sofort fühlt sie sich verfolgt. Die sechs Finger entsprechen den sechs Strahlen des Sterns des Magus, eines esoterischen Wegweisers.

Sie besucht ihren Freund Philippe Montheillet, der in einem ihrer Häuser vor den Toren der Stadt wohnt. Handelt es sich bei den sechs Fingern um einen Hinweis oder eine Warnung? Eine Warnung, meint der fünfzigjährige und homosexuelle Philippe, der mit Rafael einen Lover beherbergt, der auch mal Aura anbaggerte. Sie brach Rafael die Nase. Philippe ist über den nun ausgebrochenen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich besorgt. Aber Aura hat als Deutsche wohl noch mehr Anlass, sich vor der Internierung durch die Polizei in Acht zu nehmen.

In einer Buchhandlung der Alchimisten stößt sie auf das Buch „Die sechs Finger des Magus“ aus dem Jahr 1911 und lässt sich die Adresse des Autors geben. Auf einem Maskenball Philippes hat sie Sex mit einem Maskierten, der sich Chevalier Veldan nennt und sie zu einer Séance bei zwei deutschen Damen einlädt. Die Adresse, wo er angeblich wohnt, ist seltsamerweise die gleiche wie die der deutschen Damen. Aura ist neugierig, was der Bursche, der sich auf den Maskenball eingeschlichen hat, vorhat.

|Unterdessen im Irak|

Auras 15-jähriger Sohn Gian und seine ein Jahr jüngere Cousine Tess befinden sich im Irak, wo Professor Goldstein Ausgrabungen in den Ruinen Uruks vornimmt, jener Residenz, in der einst König Gilgamesch vor 5000 Jahren herrschte. Tess hat dauernd Albträume von einem Tempelritter, der Angst und Schrecken verbreitet. Da merkt sie, dass der telepathische Gian ihren Geist angezapft hat. Sie schimpft und verpasst ihm eine Ohrfeige. Er lehnt seine Mutter Aura ab, sie verteidigt ihre Tante. Er will das Geheimnis der Unsterblichkeit ergründen, sie warnt ihn davor.

Kurze Zeit später sieht sie, wie Gian von einer Bande schwarz gekleideter und maskierter Krieger gefangen genommen wird. Sie versucht zu fliehen, doch auch das Lager des Professors wird bereits angegriffen …

|Auf dem Mittelmeer|

Gillian schippert mit seiner Ordensschwester Karisma von Venedig nach Palma de Mallorca, an Sizilien vorbei. Er ist Nachfolger von Großmeister Laskari, der auf dem Sinai starb. Nun steht er als Großmeister dem Templum Novum vor, hat aber vom sterbenden Laskari den Auftrag erhalten, den im 14. Jahrhundert verschwundenen Schatz der Templer auf der Baleareninsel zu suchen.

_Mein Eindruck_

Einen tiefen Einschnitt bedeutet diese Folge, denn immerhin sind zehn Jahre vergangen. Praktisch fängt eine neue Handlung an, doch immerhin mit bereits bekannten Akteuren wie Aura, Gillian sowie ihrem Sohn Gian und der Nichte Tess. Zu jedem bekannten Element muss etwas Neues hinzukommen, sonst würde sich das Interesse des Publikums nicht lohnen. Für Gillian besteht das Neue nicht in seinem neuen Status als Großmeister oder in Karisma, sondern in den Suche nach dem Templerschatz, mithin nach dem Gral.

Wir wissen inzwischen durch Dan Browns [„Da Vinci Code“, 1897 dass der Gral auch Menschenform annehmen kann. Ob sich dies auch für den Gral, den Gillian – und später auch Aura – sucht, bewahrheitet, soll hier noch nicht verraten werden. Gian und Tess werden in diese Gralssuche verstrickt, als die Templer-Assassinen sie verschleppen. Interessant ist dabei der Gegensatz zwischen der warnenden Tess, Sylvettes Tochter, und dem faustisch erscheinenden Gian, der das Geheimnis der Unsterblichkeit zu erlangen sucht. Ganz so, als wäre er der wahre Erbe von Nestor Institoris, dem Alchimisten, Auras Vater.

Tja, und Aura, die bislang reichlich ziellos in Paris herumgehangen haben muss, bekommt nun von einem Fremden eine paar ziemlich dicke Zaunpfähle gezeigt: Sie soll unbedingt das Verbum Dimissum finden. Dummerweise befindet sich dieses ebenfalls in den Gral eingeritzt. Alle Fährten führen also zum Gral. Doch wer ist der Strippenzieher im Hintergrund, der alle drei Parteien zu sich ruft? Dieses Geheimnis wird erst in späteren Folgen gelüftet.

Ich fand es aber schon ziemlich bemerkenswert, dass Aura zwar nach ihrer Trennung von Gillian an gebrochenem Herzen leidet, aber keineswegs ein Kind von Traurigkeit ist, sonst würde sie ja wohl kaum mit dem wildfremden Maskierten ein heißes Schäferstündchen wagen. So viel Promiskuität wirkt etwas frivol, andererseits hat sie Gillian schon mindestens acht Jahre hinter sich und könnte ebenso gut unter Liebesentzug leiden. Gut, dass Aura kein Vampir ist. Sie würde eine relativ auffällige Spur von Leichen hinter sich zurücklassen. Sie muss aber kein Monster sein, um von der Polizei verfolgt zu werden: Es reicht schon, eine Deutsche zu sein, denn der Krieg ist ja ausgebrochen.

Recht bemerkenswert fand ich auch die Homosexualität von Auras Freund Philippe Montheillet, der später noch eine große Rolle spielen wird. Philippe hat eine Geliebten namens Rafael, der sich als eine Art Callboy entpuppt. Doch wie Aura herausfindet, hat Rafael einen guten Grund dafür, seine Liebesdienste zu verkaufen …

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Kai Meyer lobt die Darstellung Yara Blümels in höchsten Tönen, insbesondere die Übereinstimmung mit seiner Vorstellung von der Entwicklung der Heldin Aura Institoris. Mittlerweile ist sie bereits eine selbständige junge Frau von 24 oder 25 Jahren, die sich zu helfen weiß. Dies ist keine Frau, die etwas anbrennen lässt, wenn man es nicht sofort erledigen kann, beispielsweise auch ein Schäferstündchen mit einem interessanten Maskierten. Yara Blümels Stimme weiß dies genau auszudrücken. Um Aura braucht man sich wirklich keine Sorgen zu machen – es sei denn, die Geschichte verlangt es.

Frank Glaubrecht (deutsche Stimme von Al Pacino) spricht diesmal die Rolle eines älteren Herrn, der gut betucht und weltgewandt ist. Zu Aura ist Philippe Montheillet freundlich, wenn nicht sogar herzlich, aber das erweist sich später rückblickend als Verstellung.

|Die Geräusche|

Die realistisch gestalteten Geräusche werden nur sehr dezent eingesetzt, um keinesfalls den Dialog zu stören. Sie dienen sozusagen als Andeutungen oder Regieanweisungen, um dem Hörer mitzuteilen: Du befindest dich in einer Straße, denn die Kutsche, die du hörst, rollt über Kopfsteinpflaster, und der Hund, den du bellen hörst, gehört ebenfalls nur in die Stadt. Auch die Schritte, die von harten Schuhen herrühren, können nur auf Stein so klingen. Sie klingen ganz anders als Schritte auf Holz – oder auf Sand. In der Wüste nahe der Ausgrabungsstätte von Uruk fallen Schüsse.

|Die Musik|

Die Musik ist neben dem Text das überragende Merkmal dieser Hörspielreihe. Christian Hagitte und Simon Bertling vom Studio |STIL| haben sich wieder richtig ins Zeug gelegt und einen Score geschaffen, der diesen Namen auch verdient. Die Musik schafft die Stimmung für jede Szene, und wer auf die Musik achtet, bekommt sofort mit, wenn sich die Stimmung ändert, so etwa bei einem Wechsel des Schauplatzes. Im kultivierten Paris erklingt klassische Musik, in Spanien hingegen eine sehr schön gespielte Flamenco-Gitarre.

Aufgrund dieser vielfältigen Wechsel fällt es nicht leicht, die Musik pauschal zu charakterisieren, aber mir ist aufgefallen, dass sich die klassische Instrumentierung häufig auf der melancholischen und wehmütigen, wenn nicht sogar düsteren Seite des Farbenspektrums bewegt. Allerdings ist diese Gemütslage höchst romantisch und keineswegs morbide oder zerfahren. Daher fällt es der Musik leicht, aus dem romantischen Ton in den dramatischen Ausdruck zu wechseln. Mehr als einmal habe ich den Chor „Ora pro nobis, domine“ (Bitte für uns [Sünder], o Herr) vernommen – die Stimme des Schicksals sozusagen.

Wird die Musik dramatisch, kann sie auch recht flott werden, besonders in Kampfszenen, von denen es nicht wenige gibt. Doch die Musik muss aufpassen, dass sie nicht die Rufe und Schreie während dieser Kampfszenen überlagert. Die Figuren sollten immer die Oberhand über die Stimmung haben, sonst erscheinen sie als Marionetten. Das Outro erfüllt diesmal eine andere Funktion als die eines Aufräumers. Es ist ein Ausklang, der eher düster vorausverweist. Das Motiv, das die Streicher spielen, verklingt in der Ferne.

Lutz Riedel verweist wie üblich auf die Fortsetzung, die den Titel „Die schwarze Isis“ trägt.

|Das Booklet|

Ein Geleitwort des Autors lobt die Darstellung Yara Blümels in höchsten Tönen, sagt aber immerhin genau, was ihm daran so gefiel, nämlich die Übereinstimmung mit seiner Vorstellung von der Entwicklung der Heldin Aura Institoris. Außerdem gefiel ihm die Musik ausnehmend gut. Er hat jetzt Lust, die Fortsetzung zu schreiben. Wird auch Zeit!

Der Rest des Booklets liefert einen Überblick über die zweite Staffel und eine Biografie des Autors.

_Unterm Strich_

Mit dieser fünften Folge startet der Roman sozusagen durch, um drei neue Handlungsstränge einzuleiten. Diese drehen sich um Aura und ihren unbekannten Lover, um Gillian und Karisma sowie um Gian und Tess. Ein weiteres Paar bleibt noch als Strippenzieher im Hintergrund. Nach einem actionreichen Auftakt, der zur Verschleppung der beiden Kinder führt, gerät Aura auf die Spur eines weiteren Unbekannten, der ihr unbedingt etwas über das Erste Wort mitteilen will. Ebenso geheimnisvoll wie die Identität ihres Lovers sind die Absichten dieses zweiten Unbekannten, so dass man mit Spannung der Fortsetzung entgegensieht.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und Stimmen von bekannten Schauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Mir war die Umsetzung an vielen Stellen zu romantisch und melodramatisch, aber von einer statischen Handlung kann keine Rede sein, denn die folgerichtige Entwicklung von Auras Abenteuern im Kampf gegen den Alten vom Berge ist mitreißend geschildert.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert und die Stimmen der Stars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Wer jedoch mit Melodramatik absolut nichts am Hut hat, sich aber trotzdem zünftig gruseln will, der sollte zu härterer Kost greifen.

|64 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3610-4|
http://www.kai-meyer.com
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name

Connelly, Michael – Kalter Tod (Hörbuch)

_Spannender Harry-Bosch-Thriller, ausgezeichnet umgesetzt_

In der Nähe des Mulholland Drive, wo die Hollywood-Stars ihre Villen haben, findet man Dr. Stanley Kent mit zwei Kugeln im Kopf tot an einem Aussichtspunkt (= Overlook). Als Harry Bosch von der LAPD-Mordkommission entdeckt, dass Dr. Kent für die Handhabung gefährlicher radioaktiver Substanzen in den Kliniken der Stadt zuständig war, entwickelt sich der Fall schnell zu einer Angelegenheit der nationalen Sicherheit. In einem Krankenhaus der Stadt fehlt aus dem Safe der gesamte Vorrat an radioaktivem Cäsium. Stattdessen befindet sich dort eine geheimnisvolle Nachricht von Dr. Kent …

_Der Autor_

Michael Connelly war jahrelang Polizeireporter in Los Angeles und lernte das Polizeigewerbe von außen kennen. Bekannt wurde er mit seinen Romanen um die Gesetzeshüter Harry Bosch und Terry McCaleb, besonders aufgrund der Verfilmung von „Das zweite Herz / Blood Work“ durch Clint Eastwood. Zuletzt erschienen „Der Mandant“, „Vergessene Stimmen“ und „L.A. Crime Report“ auf Deutsch.

|Michael Connelly auf Buchwurm.info (in Veröffentlichungsreihenfolge):|

|Harry Bosch:|

[„Schwarzes Echo“ 958
[„Schwarzes Eis“ 2572
[„Die Frau im Beton“ 3950
[„Das Comeback“ 2637
[„Schwarze Engel“ 1192
[„Dunkler als die Nacht“ 4086
[„Kein Engel so rein“ 334
[„Die Rückkehr des Poeten“ 1703
[„Vergessene Stimmen“ 2897
[„Kalter Tod“ 5282 (Buchausgabe)

[„Das zweite Herz“ 5290
[„Der Poet“ 2642
[„Im Schatten des Mondes“ 1448
[„Unbekannt verzogen“ 803
[„Der Mandant“ 4068
[„L.A. Crime Report“ 4418

_Der Sprecher_

Frank Engelhardt ist als Synchronsprecher aus zahlreichen Filmen und TV-Serien bekannt. Er lieh seine Stimme u. a. Humphrey Bogart, Samuel L. Jackson und Martin Sheen. Doch auch als Autor und Regisseur war Engelhardt bereits für den SWR, das Bayerische Staatstheater und die Produzenten zahlreicher TV-Serien wie z. B. „The Closer“ und „Beverly Hills 90210“ tätig (Verlagsinfo)

Die gekürzte Fassung erstellte Birgit Pooth. Regie führten Aufnahmeleiter Volker Gerth und Dr. Anke Susanne Hoffmann.

_Handlung_

Harry Bosch ist mittlerweile 56 Jahre alt. Nach seiner Rückkehr aus dem Ruhestand als Privatschnüffler war er in der Abteilung für unaufgeklärte Fälle („The Closers“), doch für seine erfolgreiche Arbeit wurde nun mit einer Stelle bei der Zentralen Mordkommission „Homicide Special“ belohnt. Es ist mitten in der Nacht, als Harry Jazz hört, da trifft der erste Anruf ein und ruft ihn zum Dienst. Als Sonderabteilungsmitarbeiter ist Harry keinem der Bezirke von Los Angeles zugeteilt wie die anderen Kripos, sondern kann sich seinen Einsatzbereich aussuchen. Harry ruft seinen Partner Ignacio Ferras zum Dienst und fährt los.

Der Tatort befindet sich ausgerechnet an einem der schönsten Aussichtspunkte der Stadt der Engel, dem Mulholland Drive Overlook. Hier hat ein betuchter Mann das Zeitliche gesegnet. Wegen der zwei Schüsse in den Hinterkopf spricht der Rechtsmediziner von einer Hinrichtung. Ein Porsche steht mit offener Haube auf dem Parkplatz, und Harry nimmt die Wagenschlüssel an sich. In den Habseligkeiten des Fahrers findet er jede Menge Zugangscodekarten. Dieser Bursche hatte Zugang zu allen Krankenhäusern der Stadt, aber wozu, rätselt Harry. Und er hatte einen Ausweis fürs St. Agatha’s. Vor dem Beifahrersitz erblickt er die Dellen, die ein schwerer Behälter hinterließ, der nun weg ist.

Über jedem Anfang liegt ein Zauber, doch als Harry die FBI-Agentin Rachel Walling, seine einstige Geliebte, an der Absperrung erspäht, fällt seine Stimmung um einige Grade. Auf seine verbalen Annäherungsversuche reagiert sie zickig, aber sein Sarkasmus ist bei ihr ebenfalls verschwendet. Immerhin lässt sie sich dazu herbei, ihm den Namen des Toten mitzuteilen: Dr. Stanley Kent. Und sie gibt ihm sogar dessen Akte, ist es zu glauben. Was Rachel so besorgt macht, ist der Umstand, dass Dr. Kent Zugang zu radioaktivem Material hatte. Dieses Zeug wird für Krebsbekämpfung eingesetzt, und er hantierte damit. Ein kleiner Strahlungsindikator beweist es. Was Rachel jedoch zur Eile drängen lässt, ist ihre Annahme, dass es auch Kents Frau Alicia erwischt haben könnte.

Als sie sich Alicias Haus nähern, trickst Harry Rachel aus und ertappt sie bei einer Lüge: Entgegen ihrer ersten Angabe kennt sie Alicia bereits von einem Beratungsgespräch, das sie vor etwa einem Jahr mit den Kents führte, um sie zur Erhöhung der Sicherheitsmaßnahmen zu drängen. Terroristen könnten mit dem radioaktiven Material, mit dem Dr. Kent umging, eine „schmutzige Bombe“ bauen und versuchen, L.A. zu verseuchen oder zu erpressen.

Alicia lebt noch, wenn auch nur gefesselt. Die Spurensuche fördert wenig zutage, und das Eintreffen des FBI-Beamten John Brenner lenkt Harry zusätzlich ab. Brenner und Walling wollen offenbar diesen Fall übernehmen, und das will Harry keinesfalls zulassen. Er vernimmt Alicia Kent daher persönlich. Zwei Männer, von denen einer schlecht englisch sprach, überwältigten sie demnach. Sie willigte in alles ein, was sie von ihr verlangten, denn sie drohten, sie zu vergewaltigen und zu foltern, bevor sie sie töteten. Dazu kam es nicht, doch ihr Mann starb stattdessen.

Ein Sondereinsatzkommando stellt lediglich fest, was Harry eh schon geahnt hat: Das radioaktive Cäsium im St. Agatha’s Hospital, für das Kent verantwortlich zeichnete, ist verschwunden. Nun geraten die Bundesheinis ganz schön aus dem Häuschen, findet er. Sie konferierten online mit Washington und der Zentrale. Werden die USA von Terroristen angegriffen, die sich als Schläfer haben einschleusen lassen? Oder was läuft hier eigentlich, will er von Rachel wissen. Wie üblich mauert sie erst, bevor er sie knacken kann. Ja, es gebe zwei Hauptverdächtige, die für diesen Raub infrage kämen.

Was sie ihm erzählt, will in seinen Augen einfach nicht zu den Fakten passen, doch er hält sich zurück. Und so verschweigt er ihr und ihr Kollegen völlig, dass seine Leute einen Zeugen aufgetrieben haben, der tatsächlich die Mordtat angesehen und gehört hat. Es ist ein Madonna-Fan von der kanadischen Ostküste. Etwas Harmloseres ist Harry noch nie untergekommen. Aber wenigstens stützt die Zeugenaussage seine eigene Mordtheorie. Und zweitens hat Harry jetzt gegenüber den FBI-Leuten eine Trumpfkarte. Wer seinen Zeugen haben will, muss erst einmal gute Informationen rausrücken. Natürlich versteckt er den Zeugen gut.

Und er tut gut daran, denn nun fühlt sich der Terroristenjäger der L.A.-Polizeitruppe dazu berufen, einem wichtigen Verdacht nachzugehen. Ein Unidozent namens Samir hat die Taten der Attentäter vom 11. September befürwortet und sich auch sonst ziemlich unbeliebt gemacht. Jetzt sieht der Mann vom OHS die Chance, diesen Typen kleinzukriegen. Harry warnt ihn vergebens, ja, er wird sogar von ihm entwaffnet und in einen Einsatzwagen gesperrt.

Mit seinen schwer bewaffneten Jungs stürmt der OHS-Leiter das Haus des Dozenten, kaum dass die Tinte auf dem Gerichtsbeschluss schon getrocknet ist. „Das ist doch Wahnsinn!“, meint Boschs Partner Ferras entsetzt. Aber der Wahnsinn hat Methode. Und ist unaufhaltsam.

Harry weiß nun, dass seine Zeit, den MORD-Fall zu lösen, abläuft.

_Mein Eindruck_

Für Connellys Verhältnisse ist dies ein ziemlich kurzer Roman, und ich habe ihn in wenigen Stunden verschlungen. Zunächst wurde die Geschichte im New York Times Magazine als Serie abgedruckt, was zum Teil ihre Kürze erklärt. Erst nachträglich, so Connelly (s. u.), habe er die 3000-Wörter-Stücke zu einem Text zusammengefügt, erweitert und die Figuren genauer erklärt. Schließlich ist dann noch ein Schlusskapitel hinzugekommen, das mir aber eher wie eine Überleitung zum nächsten Roman vorkommt, quasi als Appetitanreger.

Die Story fängt ganz langsam und überlegt an, doch schon mit Rachel Wallings Auftauchen werden Spannungen und Differenzen sichtbar. Bereits hier zeigt Bosch seine Meisterschaft im Austricksen von Lügnern. Leider verweist er immer wieder auf den vorhergehenden Fall in „Echo Park“, was sich sowohl auf den Ort in L.A. bezieht als auch auf Connellys gleichnamigen Roman, der in Deutschland allerdings erst 2009 erscheint, also in verkehrter Veröffentlichungsreihenfolge. Der Leser von „The Overlook“ soll sich durchaus animiert fühlen, „Echo Park“ zu lesen, um die Chemie zwischen Bosch und dem FBI im Allgemeinen und Rachel Walling im Besonderen nachvollziehen zu können.

Schon mit dem Auftauchen und Verstecken des Augenzeugen wird selbst dem letzten Leser klar, dass Bosch ein gefährliches Spiel spielt. Ein gewöhnlicher Bulle, der der großmächtigen Bundespolizei einen Augenzeugen vorenthält? Aber holla! Das ist ja unerhört. Dass sich Boschs Vorbehalte gegen das FBI auf bitterste Weise bewahrheiten, gehört zu den vielen Ironien in dieser Story. Bosch hält die Feds quasi für betriebsblind*, ideologisch indoktriniert und obendrein für dünkelhafte und arrogante Geheimniskrämer. Sie halten sogar das Hauptquartier ihrer Tactical Intelligence Unit, von wo aus sie Terroristen bekämpfen, geheim. Auch dies erweist sich als Schuss ins Knie: Genau dort findet jetzt ein Doppelmord statt, den Bosch und Walling vielleicht hätten verhindern können.

|*: Der Originaltitel „overlook“ ist doppeldeutig und meint sowohl einen Aussichtspunkt als auch den Vorgang, wenn man etwas übersieht („something was overlooked“). Das FBI meint, es hätte die Übersicht, übersieht aber die verräterischen Details, die das Gegenteil seiner Theorie belegen. Dafür ist Bosch zuständig.|

Nicht zum ersten Mal versteckt sich in den FBI-Reihen ein Maulwurf, ein Verräter. Mit seinen Kenntnissen kann er seine Kollegen an der Nase herumführen. So wird aus einer Dreiecksgeschichte mit Todesfolge unversehens ein Terroristenszenario. Nur durch Kommissar Zufall gelangen Bosch und Walling auf die richtige Spur: Ein Müllwühler hat sich mit dem radioaktiven Cäsium verstrahlt. Aber werden die beiden noch rechtzeitig kommen, um den Mörder und seinen Komplizen dingfest zu machen? Ein weiterer Showdown ist fällig. Und dabei muss sich erstmals auch Boschs Partner Ignacio Ferras bewähren.

|Der Sprecher|

Frank Engelhardt verfügt über eine sehr tiefe, männliche Stimme voll Autorität. Deshalb kann er Harry Bosch genauso gut darstellen wie Samuel L. Jackson (den schwarzen Killer in „Pulp Fiction“). Die Stimmlage des Erzählers ist die gleiche wie die für Harry. Alle anderen reden ein weniger anders, meist ein wenig höher, was die männlichen Figuren angeht. Nur der (namenlose) Polizeichef redet noch tiefer als Harry, falls das möglich ist. Harry flüstert eindringlich und brüllt auch schon mal zornig.

Die faszinierendste Stimme in Frank Engelhardts Arsenal ist zweifellos die von Rachel Walling. Auch wenn er Mühe hat, die weibliche Stimmhöhe zu erklimmen, so gelingt es Engelhardt doch die meiste Zeit, Rachel ganz anders sprechen zu lassen als Harry. Sie tut dies sehr flexibel: anfangs heiter, dann nervös und unsicher, schließlich drohend. Mehr als einmal ruft sie laut, manchmal auch begeistert oder überrascht.

Engelhardt gelingt es also, die Emotionalität einer Szene genau einzufangen und darzustellen. Das weist ihn als routinierten Profi aus. Mit der Individualität der Figuren hat er aber so seine Probleme. Nur Ignacio Ferras weist er als Spanischsprecher aus, indem er ihn das R entsprechend rollen lässt. Alle anderen sprechen ganz normal.

Die vielleicht beste Szene – neben vielen Konfrontationen – ist das Finale, als Bosch und Walling den Mörder in die Enge getrieben haben. Engelhardts Aufgabe ist es nun, den angeschossenen Mörder glaubwürdig keuchen und röcheln zu lassen, denn es geht offensichtlich mit ihm zu Ende. Dabei darf er es aber auch nicht übertreiben. Aber wir müssen Mitleid mit ihm haben, um sein Ende würdigen zu können.

|Musik|

Gleich der Anfang bietet dem Hörer Musik. Allerdings handelt es sich um ein Jazzstück, denn Harry Bosch lauscht gerade einer Jazzaufnahme von Harry Morgan. Ob es wirklich das Morgan-Stück ist, kann ich allerdings nicht beurteilen, da ich Rockfan bin und Jazz nur alle Schaltjahre höre.

Die restliche Musik ist völlig anders, nämlich von modernem Easy-Listening-Feeling. Wir hören mal flotte, mal langsam-ruhige Synthesizermusik. Sie hat stets die Aufgabe, eine Zäsur zu setzen. Deshalb erklingt sie am Ende einer spannenden Szene und leitet die nächste ein, indem sie in den Hintergrund wandert. Die meisten Stücke sind ein bis zwei Minuten lang. Das Hinhören lohnt sich also nicht. Auch weil der Klangstandard lediglich Mono ist.

|Sounds|

Es gibt zwar keine Geräusche, aber dafür einen recht auffälligen Sound, der jedoch keine Musik ist. Dieser Sound ist sehr tief und klingt unheimlich, als würde gleich eine Gruselszene folgen. Er endet in einem Misston, der eher an eine Kreissäge erinnert.

_Unterm Strich_

Keine Schnörkel, keine Gefangenen – das scheint die Devise für diese rasante, mordsmäßig spannende Thriller-Story Connellys gewesen zu sein. Der Meister übertrifft sich zwar nicht selbst, aber er liefert die gewohnt packende Handlung ab – es ist ein echter Harry-Bosch-Fall, und Fans des harten Burschen werden sich freuen. Es gibt sogar einen kurzen Ausflug nach Vietnam („Charlie surft nicht“, eine Anspielung auf die Surfszene in Coppolas „Apocalypse Now“).

Bei genauerem Hinschauen wird klar, dass der Autor eine ziemlich kritische Aussage macht: Für die heilige „national security“ wird einfach alles geopfert, als Erstes natürlich die Wahrheit, dann auch Freiheit und Unversehrtheit des Heims. Und was noch hinzukommt: Im Namen der „National Security“ hat auch die Polizei nichts mehr zu melden, sondern nur noch der Bund, also die Bundespolizei FBI und ihre geheimen Agenturen.

Polizisten wie Harry Bosch, die anderer Meinung sind als das FBI, haben mit schweren Sanktionen zu rechnen, wenn sie dem FBI ans Bein pinkeln. Typisch: Kaum hat sich Harry beim Polizeichef persönlich Rückendeckung geholt, wird er im Trakt des FBI von Agent Jack Brenner in ein Vernehmungskabuff gesperrt, das von versteckten Kameras beobachtet wird. Das gibt ihm einen Vorgeschmack dessen, was einen gewöhnlichen Bürger im nationalen Notfall erwarten würde. Es ist absolut beängstigend.

Dass Agentin Rachel Walling ihren Prinzipien und Direktiven einfach alles opfert, selbst wenn sie völlig auf dem Holzweg ist, beruhigt Harry nicht gerade. Sie lügt ihn von Anfang an an, doch er trickst sie aus. Und durch ihre Fixiertheit auf den „Raub des Cäsiums“ übersieht sie glatt, dass es noch andere Erklärungen für den Mord an Stanley Kent geben könnte. Sie und das ganze FBI glauben an Raub, er als Einziger an Mord: Hat man den Mörder, hat man auch das Cäsium, ist seine These.

Die Vorgehensweise der beiden Seiten ist diametral entgegengesetzt, und wie sich zeigt, ist seine die wesentlich bessere. Nur seine Theorie passt auf die vielen widersprüchlichen Fakten. In klassischer Krimi-Manier erklärt er Walling den Tathergang. Dennoch ist sie widerwillig, ihm zu glauben – die optimale Stichwortgeberin. Aber sie braucht eine ganze Weile, um Harry über eine fundamentale Tätertheorie, die er hat, zu korrigieren: Er verdächtigt den Falschen. Und los geht die Jagd!

|Das Hörbuch|

Mit Engelhardts Vortrag war ich hochzufrieden, denn er zog mich stets in jede Szene hinein. Er ist zwar kein Stimmenkünstler wie Rufus Beck, aber das ist in diesem Fall auch gar nicht nötig. Hauptsache, die Thrillerstimmung kommt richtig zum Tragen. Die Musik weiß in den Pausen zwischen den Szenen zu entspannen und einen Übergang auf unaufdringliche Weise zu schaffen. Ein Sound allerdings erklang im Hintergrund an besonders unheimlichen und angespannten Stellen, so dass man das Schlimmste fürchtet – raffinierter Effekt.

Das Einzige, was ich vermisse, ist das Bonuskapitel, das in der Originalausgabe von 2008 zu finden ist. Es ist aber nicht in der deutschen Übersetzung enthalten, die auf der Originalausgabe von 2006/07 basiert.

Fazit: ein Volltreffer, auch wegen des günstigen Preises von nur 15 €uro. Das freut Krimi-Liebhaber.

|Originaltitel: The Overlook, 2006/08
Aus dem US-Englischen übersetzt von Sepp Leeb
356 Minuten auf 5 CDs
ISBN-13: 978-3-86804-496-6|
http://audiomedia.de/category/verlag/hoerbuch/target-mitten-ins-ohr/

Nagula, M. / Anton, U. / Ellmer, A. / Effenberger, S. A. / Hagitte, Chr. / Bertling, S. / Sieper, M. – Operation Kristallsturm (Perry Rhodan – Sternenozean, Folge 19)

_Mondra, unsere Agentin im Weltraum_

|Lübbe Audio| vertont die Abenteuer des Kadetten Kantiran und des Sternenadminstrators Perry Rhodan, die in der Unterserie „Sternenozean“ im Perry-Rhodan-Universum spielen. Bislang sind achtzehn Hörspiele veröffentlicht, doch will Lübbe offenbar vierzig Hörspiele produzieren. Dies ist die dritte Staffel.

Folge 19: Unbekannte Mächte zapfen die sechsdimensionale Energie der toten Superintelligenz ARCHETIM in der Sonne an. Als im Rahmen der „Operation Kristallturm“ ein Forschungsschiff zur Aufklärung dieser Vorkommnisse startet, entdeckt TLD-Agentin Mondra Diamond einen gefährlichen Saboteur an Bord …

_Die Reihe_

„Perry Rhodan“ ist die größte SF-Heftchen- und Roman-Reihe der Welt. Eine Vielzahl von Autoren schreiben seit Jahrzehnten für die Reihe, und koordiniert wird dieser Aufwand vom |Pabel|-Verlag in Rastatt. Auch Andreas Eschbach fühlte sich geehrt, einen oder zwei Bände beitragen zu dürfen.

Es gab vor der aktuellen |Lübbe-Audio|-Reihe schon Vertonungen der PR-Silberbände, doch nicht in der stilvollen Inszenierung des |STIL|-Tonstudios. Die Vorlage für das vorliegende Abenteuerhörspiel lieferten die Romane „Die Gotteskriegerin“ von Michael Nagula, „Zwischen den Äonen“ von Uwe Anton und „Operation Kristallsturm“ von Arndt Ellmer.

Die 1. Staffel:

1) [Der Sternenbastard 3030
2) [Die Mascantin 3031
3) [Der Hyperschock 3035
4) [Planet der Mythen 3058
5) [Havarie auf Hayok 3263
6) [Das Blut der Veronis 4468

Die 2. Staffel:

7) [Der Gesang der Motana 3627
8) [Sonderkommando Kantiran 3639
9) [Tau Carama 3656
10) [Überfahrt nach Curhafe 3664
11) [Entscheidung in Vhalaum 3682
12) [Die Femesängerin 3699

Die 3. Staffel:

13) [Der Flug der Epha-Motana 4589
14) [Terraner als Faustpfand 4592
15) [Die Sekte erwacht 4595
16) [Der Todbringer 4609
17) [Kampf um den Speicher 4633
18) [Die mediale Schildwache 4661

Die 4. Staffel:

19) Operation Kristallsturm
20) Das Land unter dem Teich
21) Attentat auf Hayok
22) Kybb-Jäger
23) Auf dem Weg nach Magellan
24) Jenseits der Hoffnung

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Erzähler: Christian Schult (Richard Belzer in „Law & Order: New York“)
Perry Rhodan: Volker Lechtenbrink (Schauspieler, Sänger, Synchronsprecher: Kris Kristofferson, Burt Reynolds als ‚Logan‘)
Atlan: Volker Brandt (Stimme von Michael Douglas)
Mondra Diamond: Heide Domanowski (Bitty Schram in „Monk“ & „Thief“)
Julian Tifflor: Friedhelm Ptok
Homer G. Adams: Hasso Zorn
Myles Kantor: Klaus-Peter Grap
Reginal Bull: Lutz Riedel (dt. Stimme von Timothy Dalton)
Marla Sarasi: Sabine Arnhold
Malcolm Scott Daelian: Romanus Fuhrmann
Biopositronik: Thomas Nicolai
Schiffsführer: Bodo Wolf
Sowie Thorsten Van Der Aik, Rudolf Hartmann und Klaus Herbert.

Volker Lechtenbrink wurde 1944 in Cranz/Ostpreußen geboren. Bereits als Achtjähriger sprach er im Kinderfunk und stand zwei Jahre später auch schon auf der Bühne. 1959 wurde er durch den Antikriegsfilm „Die Brücke“ (Regie: Bernhard Wicki) bundesweit bekannt. Er besuchte die Schauspielschule in Hamburg und ist heute in zahlreichen TV-Serien zu sehen. Darüber hinaus ist er am Theater tätig, geht auf Tourneen oder wirkt als Intendant. (Verlagsinfo)

Die Hörspieladaption stammt von S. A. Effenberger. Regie, Musik, Ton und Programmierung lagen in den Händen von Christian Hagitte und Simon Bertling vom Ton-Studio |STIL|. „Die Musik wurde exklusiv für die Perry-Rhodan-Hörspiele komponiert und vom Berliner Filmorchester unter der Leitung von Christian Hagitte live eingespielt. Die elektronischen Klänge und Effekte wurden speziell für die Hörspiele vom |STIL|-Team durch den Einsatz von Computertechnik generiert“, heißt es im Booklet. Executive Producer der Reihe ist Marc Sieper.

Am Schluss erklingt der Song „Post #1“ von |Radiopilot|. Musik und Text stammen von Lukas Pizon und Rafael Triebel. Mehr Info: www.radiopilot.de und MySpace.

_Vorgeschichte_

Die Lage des Jahres 1332 Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist in der Galaxis so bedrohlich und zugleich offen wie seit Jahren nicht mehr. Und alles bewegt sich auf eine einzige Veränderung hin: die Erhöhung des Hyperphysikalischen Widerstandes, kurz Hyperimpedanz genannt. Dieser „Hyperimpedanzschock“ trifft die Galaxis mehrfach. Durch ihn fällt jede hochwertige Technologie aus. Dies kündigt sich durch eine stark verminderte Höchstgeschwindigkeit der Raumschiffe und eine reduzierte Reichweite des interstellaren Hyperfunks an. Auch das Gesicht der Galaxis verändert sich. Durch die Hyperimpedanz ausgelöst, kommt es zu schweren Hyperstürmen und Raumbeben. Bisher unter Hyperkokons verborgene Sternenhaufen stürzen in die Galaxis zurück.

In dieser Zeit sind Perry und Atlan noch immer im Sternenozean von Jamondi verschollen, jenem optisch nicht wahrnehmbaren Sternhaufen, der direkt neben dem Sektor Hayok aufgetaucht ist – aus einem Hyperkokon, in den er offenbar seit Jahrmillionen gehüllt war. Es gibt Verbindungen zwischen der Galaxis und Jamondi, die sich den Menschen bisher noch nicht erschließen. Fieberhaft arbeiten terranische Wissenschaftler an Erklärungen für die angestiegene Hyperimpedanz.

|Unterdessen auf Terra|

Zeitgleich hat sich unverhofft auf Terra eine neue Religion herausgebildet: der Endzeitkult um den Gott Gon-Orbhon, der immer mehr Menschen erfasst. Der Kult redet den Untergang herbei und predigt Hass auf die Maschinen. Fast täglich verüben Sektenanhänger Selbstmordanschläge auf terranische Einrichtungen und gefährden so die öffentliche Sicherheit Terras. Mondra Diamond, Sonderauftragte der Regierung, ermittelt gegen die Sekte und ihre Anführer. In einer spektakulären Aktion kann sie das Attentat gegen den Wirtschaftsminister Terras, Homer G. Adams, vereiteln. (Folge 15).

Am Brennpunkt Hayok ist dank des Riesenraumschiffs |Praetoria| zumindest für kurze Zeit Ruhe eingekehrt. Nach der Einnahme des Sternenarchipels unter Führung der Liga-Ministers für Verteidigung Reginald Bull kann nun endlich mit der Wiederherstellung des interstellaren Hyperfunks und der Vorbereitung der „Operation Kristallsturm“ begonnen werden …

_Handlung_

Aus dem Sternenozean kommt die Meldung, dass ein Planet aus dem Hyperraum in den Normalraum gestürzt sei, aber ohne Sonne. Die Erkaltung des Planeten ist absehbar und damit der Tod seiner möglichen Bewohner. Tifflor und Adams entsenden Reginald Bull zur Erkundung. Dieser berichtet, es handle sich um den Planeten Ash-Irtumo, der von Humanoiden namens Motana bewohnt sei.

Es fänden sich auch Spuren einer igelartigen Rasse, die von den Motana als Kybb-Cranar bezeichnet werden. Bull fordert ein Dutzend Atomsonnen an, um den Planeten zu wärmen, was ihm bewilligt wird. Wie sich bei der Erforschung der Motana herausstellt, waren Perry Rhodan und Atlan, zwei hochgestellte Persönlichkeiten der Terranischen Föderation, hier. Sie haben sie knapp verpasst.

Unterdessen stellt Myles Kantor auf dem Merkur mit Hilfe der Forschungsstation |Volkan Center| etwas Beunruhigendes fest: Von der toten Superintelligenz Archetim in der Sonne führt ein Energiestrahl direkt zur Großen Magellanschen Wolke. TLD-Agentin Mondra Diamond bekommt Kantors Top-Secret-Bericht zu lesen. Was mag das zu bedeuten haben? Wenn eine fremde Macht die Energie der Superintelligenz anzapft, dann wohl, um ihre eigene Intelligenzmacht zu vergrößern. Und wenn es sich um Gon-Orgon, den Gott des gleichnamigen Kultes handelt und er ins Solsystem käme, könnte er hier die mentale Kontrolle übernehmen. Grauenhaft!

Zwei Maßnahmen werden veranlasst. Erstens soll die Operation Kristallsturm zur Großen Magellanschen Wolke fliegen und Gon-Orgon aufspüren. Zweitens soll ein Experiment zeigen, ob sich die Energie der Superintelligenz speichern lässt. Dazu fliegt Mondra mit einem Kugelraumer zur Sonne jenseits der Merkurbahn. Ihr zur Seite stehen das Container-Gehirn Malcolm Scott Daelian sowie eine Biopositronik an Bord ihres Schiffes. Wenn die Sekte Gon-Orgons die Operation Kristallsturm sabotieren will, dann schlägt sie wahrscheinlich jetzt zu.

Tatsächlich stößt Mondra, während sich das Speichern der Solarenergie dem Ende nähert, auf einen Attentäter, der Sprengladungen an den Energiemeilern des Schiffes befestigt. Doch auch er hat sie entdeckt und feuert als Erster …

_Mein Eindruck_

Die neue Staffel versucht, an die bisherigen Staffeln anzuknüpfen. Deshalb sind erst einmal Zurückverweise zu finden, doch währen diese zum Glück nicht allzu lange. Vielmehr passieren gleich ein paar neue Ereignisse, die Maßnahmen erfordern. Das Erscheinen Ash-Irtumos im Normalraum führt die Terraner auf die Fährte Perry Rhodans. Blöd, dass sie ihn knapp verpasst haben. Was nun diese Rückkehr in den Normalraum verursacht haben könnte, erfahren wir allerdings nicht.

Wichtiger ist jedoch die Entdeckung des „sechsdimensionalen Energiestroms“ (klar, dass wir den Strom nicht wahrnehmen können, wenn unsere jämmerliche Realität nur vier Dimensionen aufweist), der von einer feindlichen Macht in der nächsten Galaxie – die ja bloß läppische 179.000 Lichtjahre von der Erde entfernt ist – angezapft wird. Recht ungemütlich wäre die Vorstellung der Orgonisten, dass es sich bei dieser Macht tatsächlich um einen Gott handelt, der gerade seine geistigen Batterien auflädt. Ein kleiner Hausbesuch auf der Erde wäre dann sicherlich nicht willkommen.

Wozu die Terraner nun unbedingt die Energie der Superintelligenz in der Sonne anzapfen und speichern wollen, habe ich nicht begriffen. Wahrscheinlich habe ich da nicht aufgepasst, war krankgeschrieben oder musste gerade niesen. Wie auch immer: Endlich kommt James-Bond-Ersatz Mondra Diamond wieder zum Einsatz. Dass sie ihren so niedlich trompetenden Klonelefanten Norman dabei hat (als blinder Passagier hat er sich an Bord geschlichen, der Schlaumeier!), darf uns nicht zu der Vorstellung veranlassen, sie sei auf den Trost von Kuscheltieren angewiesen.

O nein, unsere Frau im Weltraum ist eine taffe Agentin, die mit der Knarre in der Hand die Menschheit zu verteidigen weiß. Ins Schwitzen kommt sie lediglich, wenn sich Attentäter als widerspenstig erweisen und das Raumschiff, auf dem sie sich gerade befindet, wegen Überlastung auseinanderbricht. Danach sind dringend eine Dusche und ein Drei-Wetter-Haarfestiger nötig. Frau muss auch in der härtesten Zeit gut aussehen. Fragt sich bloß, für wen, Mondra, für wen?

_Die Inszenierung_

Im Rahmen einer guten Radiostunde erlebt der Hörer hier ein mal mehr, mal weniger actiongeladenes Drama, das es in puncto Produktionsqualität mit einer Star-Wars-Episode aufnehmen kann. Die SF-Handlung versucht, für flotte Unterhaltung zu sorgen. Diesmal ist dies allerdings erst im letzten Drittel der Fall, denn die ersten zwei Drittel gehen für den Aufbau der Konfliktsituation und die Vorbereitung der Handlungsansätze drauf. Deshalb tat ich mich mit dieser Episode etwas schwer und fand sie wenig unterhaltend.

Ein Erzähler wie Christian Schult hat eine recht hohe Autorität und wir glauben ihm seine Geschichte nur allzu gern, wenn er von Mondra, Gon-Orgon und irgendwelchen „Superintelligenzen“ erzählt. Offensichtlich sollte man sich einmal näher mit dem PR-Universum beschäftigt haben, um die ungewöhnlicheren Wesen und Gegebenheiten (s. o.) verständlich zu finden.

|Musik|

Mit einer schmissigen Titelmelodie und raunenden Stimmen, die Schicksalhaftes verkünden, fängt die Sternenoper an. Insgesamt verrät die Musik ebenso wie die Geräuschkulisse eine ganze Menge Aufwand für eine simple Sternenoper, aber es lohnt sich: Das Hörspiel klingt höchst professionell produziert. Ich könnte Gegenbeispiele nennen, in denen die Musikbegleitung in die Hose ging, aber sie stammen alle nicht vom Studio |STIL|.

|Geräusche|

Die größte akustische Leinwand bemalen die tausend elektronisch erzeugten Sounds, die der ganzen Handlung erst das kosmische Science-Fiction-Feeling verleihen. Ohne sie könnte es sich ebenso gut um Fantasy auf einem fernen Planeten handeln, wie sie z. B. Jack Vance fabriziert hätte. Diese Sounds kommen besonders in der Schießerei an Bord der |Rainbow-1| zum Tragen, wo Mondra den Saboteur stellt. Hier könnte ich mir sehr gut einige charakteristische Sound-Samples aus |Star Trek| oder |Star Wars| vorstellen, doch diese Vorgaben vermeiden die Sounddesigner mit peinlicher Genauigkeit. Sie hätten ja sonst womöglich Lizenzgebühren zahlen müssen.

Richtig nett ist der Trompetensound des Klon-Elefanten Norman, der sicherlich zu den witzigsten Einfällen der Sounddesigner gehört. Den muss man aber selbst gehört haben, denn er ist schwer zu beschreiben.

|Song|

Am Schluss erklingt der Song „Post #1“ der deutschen Band |Radiopilot|. Mit dreieinhalb Minuten Länge ist er von durchschnittlicher Popsonglänge. Nach den obligaten Perry-Rhodan-Zitaten hören wir einen elektronisch verzerrten deutschen Text von erstaunlicher Banalität. Er ist mit einem Drum-&-Bass-Rhythmus unterlegt, der wie ein stockender Herzschrittmacher klingt, welcher gerade den Geist aufgibt. Ich kann nicht behaupten, dass ich diesen Song sonderlich eindrucksvoll fand. Aber wahrscheinlich soll das Ganze unheimlich innovativ wirken.

|Das Booklet …|

… umfasst neben den oben genannten Credits auch jede Menge Werbung für die vorhergehenden Episoden der Serie. Außerdem findet sich in der CD-Box ein Einleger mit Werbung für die Band |Radiopilot|. Offenbar findet hier eine Art Reklameaktion auf Gegenseitigkeit statt. Das interessiert mich aber nicht die Bohne.

_Unterm Strich_

Was ist bloß aus unseren Helden Perry Rhodan, Kantiran und Zephyda geworden? Das mag sich so mancher fragen, der es nun mit der neuen Staffel zu tun bekommen. Keine Spur von ihnen lässt sich finden, denn Reginald Bull hat sie knapp verpasst. Vielmehr muss nun Mondra Diamond, der weibliche James Bond aus Episode 17, einspringen und den Ballermann sprechen lassen.

Was die Qualität des Inhalts angeht, so darf man wohl kaum tiefschürfende und daher langweilige Monologe erwarten. Vielmehr ist im letzten Drittel kämpferische Agenten-Action angesagt. Vorher muss man sich aber mit drögen Meldungen über in den Normal „gestürzte“ Planeten auseinandersetzen – oder abfinden. Manchmal geht es zu wie an Bord des Todessterns und man erwartet jeden Moment, den Dunklen Lord Darth Vader auftreten zu hören. Das wäre nett gewesen, denn jedes Stück braucht einen großen Schurken, an dem sich die Helden beweisen können.

|63 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3595-4|
http://www.perryrhodan.org
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name
http://www.perry-rhodan-game.com
[Ausführlicher Überblick über diesen Zyklus der Heftromanserie]http://www.perrypedia.proc.org/Der__Sternenozean__%28Zyklus%29

Joseph Delaney – Der Kampf des Geisterjägers (Spook 4)

Hexenzauber und nächtliche Action

Der 13-jährige Tom Ward ist der siebte Sohn eines siebten Sohns und daher zum Geisterjäger qualifiziert. Der Spook nimmt ihn in die Lehre und zeigt ihm, was Tom über Hexen, Boggarts und Poltergeister wissen muss. Mehrere schwere Kämpfe muss Tom bestehen. Zum Glück kann sich Tom auf die Hilfe von Alice stützen. Dummerweise ist sie ebenfalls eine Hexe …

Toms Bruder Jack und dessen Familie sind von den Hexen aus Pendle verschleppt worden, mitsamt den Truhen von Toms magiebegabter Mutter, die sein Erbe sind. Während Alice sich auf die Spur der Hexen setzt, bereitet Tom mit seinem Lehrmeister Gregory und dem Priester Stocks den Angriff auf die Hexenstadt vor – nicht nur um Jacks Familie zu befreien und Alice zu helfen, sondern um dem Unwesen der drei Hexenklans von Pendle ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod.
Joseph Delaney – Der Kampf des Geisterjägers (Spook 4) weiterlesen

Herbert, Frank / Kaiser, Kerstin – DUNE 1: Der Wüstenplanet. Teil 2 von 2 (Hörbuch)

SF-Epos, zweiter Teil: Reite den Wurm, Paul!

Im 11. Jahrtausend tun sich der Imperator und Harkonnen zusammen, um das Haus Atreides unter Herzog Leto zu vernichten. Die große Mausefalle ist der Wüstenplanet Arrakis, der Köder unermesslicher Reichtum in Form des einzigartigen Rohstoffs |Spice-Mélange|. Der Plan klappt wie am Schnürchen, doch eine Kleinigkeit geht schief: des Herzogs Konkubine und sein Sohn Paul entkommen in die Wüste. Dort bauen sie mit den einheimischen Fremen eine Guerilla-Organisation auf, die droht, die lebenswichtige Spice-Produktion zum Erliegen zu bringen – und damit jeden Verkehr im Imperium! Der Imperator, gezwungen von der Raumfahrtgilde, muss nach Arrakis kommen …
Herbert, Frank / Kaiser, Kerstin – DUNE 1: Der Wüstenplanet. Teil 2 von 2 (Hörbuch) weiterlesen

Barclay, Linwood – Dem Tode nah (Hörbuch)

_Spannender Provinzkrimi mit kleinem Schönheitsfehler_

Als die Familie seines besten Freundes Adam verreist, versteckt sich der 17-jährige Derek im Keller, um sich später im leeren Haus mit seiner Freundin Penny treffen zu können. Der Junge kauert noch unter der Treppe, als die Familie überraschend zurückkehrt. Während Derek in seinem Versteck darüber nachdenkt, wie er seine Anwesenheit erklären soll, klingelt es an der Tür. Mr. Langley öffnet die Haustür – und wird sofort niedergeschossen. Derek muss mit anhören, wie der Killer auch seinen Freund und dessen Mutter niederschießt. Er selbst entgeht dem suchenden Blick des Mörders, bis dieser das Haus wieder mit seinem Komplizen verlässt. Derek kehrt völlig verstört nach Hause zurück, wo er kein Wort sagt.

Weil er nicht wagt, sich als einziger Zeuge an dem Dreifachmord bei der Polizei zu melden, kommt viel zu spät ans Licht, dass es der Mörder gar nicht auf die Nachbarn abgesehen hatte, sondern auf Dereks Eltern …

_Der Autor_

Der Kanadier Linwood Barclay machte seinen Abschluss in Literatur an der Trent University in Petersborough, Ontario. Anschließend arbeitete er lange Jahre als Journalist und hatte bis 2008 eine beliebte Kolumne im „Toronto Star“. [„Ohne ein Wort“, 3947 sein erster Psychothriller, wurde zum internationalen Bestseller und nominiert für den |Arthur Ellis Award|, den |Barry Award| und landete bei den |International Thriller Writers| auf der Shortlist als bester Roman.

_Der Sprecher_

Frank Arnold ist Schauspieler, Rundfunksprecher und Dramaturg. Er führte bei zahlreichen Theater und Opern-Produktionen Regie, arbeitet für verschiedene Sendeanstalten und ist ein gefragter Hörbuchsprecher.

Gabriele Kreis führte im Eimsbütteler Studio Regie.

_Handlung_

|PROLOG|

Als die Familie seines besten Freundes Adam verreist, versteckt sich der 17-jährige Derek Cutter in einem Verschlag im Keller, um sich später im leeren Haus mit seiner Freundin Penny treffen zu können. Der Plan, von dem Adam nichts weiß, geht auch beinahe auf. Er hat nur zwei Fehler: Penny hat wegen eines Blechschadens, den sie am Wagen ihres Vaters verursacht hat, Hausarrest. Und zweitens kehrt Adams Familie zurück, weil sich Adams Mutter Donna unwohl fühlt. Derek eilt sofort in sein Versteck zurück und hofft, später, wenn alle schlafen, aus der Hintertür schleichen zu können. Die Kombination der Alarmanlage kennt er längst.

Nach 22 Uhr scheint sich die Lage gerade zu beruhigen, als an die Haustür geklopft wird. Mister Langley öffnet. Anscheinend sind es zwei Männer, und einer von ihnen schreit: „Schande! Dreckskerl!“ Dann hört Derek voll Entsetzen einen Schuss, dem ein Poltern folgt. Adam will wegrennen, wird aber von hinten niedergeschossen. Als Mrs. Langley aus dem Obergeschoss herabkommt, um nachzusehen, was los ist, ereilt auch sie der Tod. Der Schütze schleicht durchs Haus, um es zu durchsuchen, doch Derek bleibt zum Glück unentdeckt. Als er ein Auto wegfahren hört, wagt er sich aus seinem Versteck, eilt durch die Diele und zur Haustür hinaus. Er kann kaum seinen Schock angesichts der drei Leichen beherrschen, doch er bleibt nicht stehen, bevor er zu Hause angelangt ist: auf dem hundert Meter entfernten Nachbargrundstück, dem Heim der Cutters.

|Haupthandlung.|

Promise Falls liegt im Norden des Bundesstaates New York und ist ein friedliches Städtchen, denkt Jim Cutter, als er am Samstagmorgen um halb sieben aufsteht. Aber immerhin ist das Städtchen bedeutend genug, um ein eigenes Uni-College vorzuweisen, an dem seine Frau Ann als Organisatorin des alljährlichen Literaturfestivals für Professor Chase arbeitet. Jim selbst arbeitet mit seinem Gartenservice an den Rasen und Bäumen der Bewohner, seit er vor zwei Jahren Bürgermeister Randall Finlay, dessen Fahrer er war, einen Nasenstüber versetzte.

Jim will aufbrechen, doch weil Derek ihm helfen soll, weckt er ihn: Derek pennt in seinen Kleidern! Diese Jugend von heute! Weil Derek kein Frühstück will, brechen sie gleich auf. Jim bemerkt, dass bei den Langleys zwei Autos vorm Haus stehen. Wollten die nicht verreisen? Als er einen Anruf von Ann erhält, kehrt er nach Hause zurück. Sheriff Barry Duckworth will ihn sprechen. Bei der Rückkehr ist jede Menge Polizei vorm Haus der Langleys zu sehen, und sogar die Zufahrt zum Cutter-Haus ist abgesperrt. Ann holt sie ab, völlig außer sich: Die Langleys seien alle tot. Weil Albert Langley ein angesehener Rechtsanwalt und Strafverteidiger war, ist das Aufsehen entsprechend groß.

|Alibis|

Als der Sheriff Jim, Ann und Derek nach einem Alibi befragt – was Ann gehörig aufbringt -, gibt Jim seinem Sohn ein Alibi. Das ist nett, aber nicht besonders schlau. Duckworth hegt einen kleinen Verdacht gegen einen gewissen Mr. McKindrick, erwähnt aber auch, dass schon zuvor zwei Morde entdeckt worden seien. Mit dem Frieden in Promise Falls scheint es vorbei zu sein. Kein Wunder, dass Ann am liebsten sofort wegziehen würde. Aber wie würde das in den Augen des Sheriffs wirken, fragt sich Jim. Er ist fürs Bleiben, obwohl er schon ein paar „Leichen“ im Keller hat, so etwa die, dass Ann ein Verhältnis mit dem Universitätsleiter Conrad Chase hatte. Und die Sache mit dem Bürgermeister.

Am Sonntagmorgen bittet Duckworth Derek, der Adam Langley ja als Letzter lebend gesehen habe, um eine Besichtigung des Tatorts. Ob irgendetwas verändert sei, will er wissen. Der Siebzehnjährige muss sich sehr beherrschen, um die Blutflecken auf dem Boden zu übersehen und alle Fragen zu beantworten, ohne dass der Sheriff Verdacht schöpft. Er erzählt auch von Penny Tucker und ihrem Hausarrest. Er habe das Haus zwei Stunden vor der Tatzeit verlassen, also etwa um acht Uhr abends. Auch diese Falschangabe erweist sich später als Fehler.

|Der Verdacht|

Als er allein mit seinem Vater ist, erzählt Derek Jim, dass er bemerkt habe, dass der Computer aus Adams Zimmer verschwunden sei. Na und, will Jim wissen. Na ja, Derek hatte Adam die Kiste ausgeliehen. Er selbst hatte sie von Jims Kundin Agnes Stockwell erhalten. Und die wiederum hatte den Rechner von ihrem Sohn Brad. O nein – der junge hoffnungsvolle Student, der sich an den Promise-Wasserfällen umbrachte. Tja, fährt Derek herumdrucksend fort, auf der Festplatte des Rechner befand sich ein Romanmanuskript, das ziemlicher Schweinkram sei.

Zum Glück hat Derek eine Kopie auf Diskette gezogen und kann seinem Vater einen Ausdruck des Romans geben. Jim erkennt den Text sofort wieder: Es ist der Anfang von Conrad Chases erotischem Roman „Das beste Stück“. Das Buch, das Chase zu Ruhm, Ehre, Geld und Uni-Posten verhalf, steht in der elterlichen Bibliothek. Und jetzt stellt sich heraus, dass Chase die Grundlage seines Reichtums, seines Ansehens und seiner Macht seinem Studenten Brad Stockwell gestohlen hat.

Was wenn Chase sich veranlasst sah, die letzte Kopie dieses Originals durch den Diebstahl des Rechners von den Langleys zu beseitigen, grübelt Jim zusammen mit Ann, der er seine Entdeckung mitteilt. Aber wozu dann drei Leichen hinterlassen? Ann hindert Jim daran, sofort zu Chase zu laufen. Er würde nur als gehörnter Ehemann erscheinen, der nun zurückschlagen wolle, und nichts weiter erreichen. Nein, sie müssten die Diskette zurückgeben!

Jim starrt sein Eheweib an, als wäre sie von allen guten Geistern verlassen. Auf welcher Seite steht sie eigentlich? Erst später weiht sie ihn ein, dass auch sie eine Vergangenheit mit Conrad Chase und Brad Stockwell verbindet. Aber dann ist der Fall Langley bereits zu einem Albtraum für die Tuckers geworden.

_Mein Eindruck_

Die Welt ist voller Heuchler und Geheimnisse. Das gilt ganz besonders für die Provinzstadt Promise Falls. Sie hat einen sprechenden Namen: „promise“ – das Versprechen (des amerikanischen Traums?) – „falls“: fällt; gemeint sind aber auch die lokalen Wasserfälle. Man könnte Promise Falls sehr gut mit dem Städtchen Twin Peaks in David Lynchs TV-Serie vergleichen. Hier ist im Grunde fast alles möglich: von Massenmord bis zu nächtlichen Orgien, von vergleichsweisen „Lappalien“ wie Ehebruch und Sex mit Minderjährigen ganz zu schweigen.

Das Vergnügen, diese Geheimnisse aufzudecken, sorgte für mein anhaltendes Interesse an diesem Thriller aus dem kühlen Kanada. Und Jim Cutter (ebenfalls ein sprechender Name) ist kein Mann, der etwas anbrennen lässt oder ein Blatt vor den Mund nimmt. Ganz besonders dann nicht, wenn es um die Zukunft seiner Ehe und Familie geht. Schlimm genug, dass sein eigener Sohn als Dreifachmörder der Langleys verhaftet und angeklagt wird. Das kann einen Vater schon zum Wahnsinn treiben. Nein, auch seine eigene Frau, die liebe Ann, hintergeht ihn und scheint ein falsches Spiel zu treiben. Das bringt die Grundfesten ins Wanken, denn Jim ist weder ein Collegeabsolvent noch hat er einen vernünftigen Beruf gelernt. Ein (beinahe) grundehrlicher Bursche wie du und ich also.

Die zwei Kidnapper, die Jim gefangen nehmen und foltern, scheinen aber nichts mit Ann zu tun zu haben, denkt Jim. Denn auch Ann ist gefesselt und geknebelt. Merkwürdig findet es aber schon, dass Morty, sein Folterknecht, ihn penetrant nach der Diskette mit dem Romanmanuskript Brad Stockwells fragt und die Kopie haben will. Da steckt am Ende also doch Anns Lover, dieser fiese Conrad Chase, dahinter, denkt Jim. Aber die Sache ist dann doch etwas komplizierter, als er denkt. Und weitaus blutiger im Verlauf.

Dass Jims Arbeitsersatz für Derek, dieser schweigsame Drew Lockus, einiges auf dem Kerbholz haben muss, merkt man sofort, doch Jim ist voll Vertrauen in den entlassenen Sträfling. Ganz besonders nach der Sache mit den beiden Kidnappern, die Drew ganz allein angriff. Ein gewiefter Krimileser hat aber einige Vorbehalte gehen den ebenso hilfsbereiten wie schweigsamen Drew und zählt zwei und zwei schon lange zusammen, bevor Jim es tut. Drew hatte eine Tochter, die vor kurzem im Krankenhaus starb. Wir erinnern uns an Randall Finlays Begegnung mit einer minderjährigen Prostituierten. Und dass ausgerechnet Jim Cutter seinen Namen und seine Telefonnummer in deren Notizbuch schrieb.

Die Vorhersehbarkeit der an Drew gebundenen Handlung stellt sich aber als doch nicht so abträglich für die Spannung heraus. Denn Drew hat eine ganz besondere Forderung an den Sünder Randall Finlay. Der Bürgermeister von Promise Falls soll seine Sünde öffentlich bekennen, und zwar nicht irgendwo, sondern auf der Bühne, auf der er seine Kandidatur für den US-Kongress bekanntgeben will. Finlay hält diese Forderung natürlich für völlig absurd, aber Jim sorgt dafür, dass Finlay die handfesten Argumente Drews berücksichtigt: Drew bedroht Jims Sohn und Frau mit dem Tode.

Was nun Ann mit Conrad Chase und Brad Stockwell zu tun hat, ist eine völlig andere Geschichte, wie es scheint. Und deshalb sollen die Feinheiten dieser falschen Fährte nicht weiter dargelegt werden. Ein Red Herring wie dieser dient lediglich dazu, weiter Belege für die Heuchelei und Geheimnisse der Provinz zu liefern. Aber zufrieden stellte ich fest, dass so das Rätsel um „Das beste Stück“ ebenso gelöst wird wie die scheinbar dubiose Loyalität von Ann Cutter.

Und wozu mag all dieser Tumult in der Provinz gut sein, mag sich der Leser fragen. Nun, der Autor will wohl zeigen, dass nichts ist, wie es scheint, und dass Ehre nicht immer ehrenvoll erworben sein muss. Und dass Selbstmord nicht immer Selbstmord ist, und ehrbare Ehefrauen auch mal mit dem Sohn des Nachbarn ins Bett gehen können, um Spaß zu haben. Und wenn sich der Pulverdampf verzogen und der Schurke im Stück seine gerechte Strafe erhalten hat, dann können die Hauptfiguren möglicherweise zu neuen Ufern aufbrechen. Ein weiteres „Promise Falls“ lockt sie, denn der amerikanische Traum, er währet ewiglich. Jedenfalls bis zur nächsten Krise.

|Der Sprecher|

Dass Frank Arnold ein Theatermann ist, merkt man an seiner Vortragsweise. Sie unterscheidet sich kaum von anderen Meistern der Stimme, aber er beherrscht die Darstellung sämtlicher Emotionen auf dem Effeff. Das lässt die Szenen sehr lebendig erscheinen. Mehr als einmal ertappte ich mich dabei, mir die jeweilige Szene bildlich vorzustellen. Arnold kann aber auch von den lauten Tönen des Zorns und des Erstaunens schnell wieder umschalten auf leise Töne des Schmerzes und der Zärtlichkeit. Die Story gibt beide Stimmungslagen in reichlichem Maße her.

Selbstredend sprechen die männlichen Figuren in einer tieferen Tonlage als die weiblichen. Besonders Sheriff Duckworth sticht durch seine sehr tiefe, autoritäre Stimme hervor. Sein genaues Gegenteil ist der aalglatte und hinterfotzige Universitätspräsident Conrad Chase. Chase ebenbürtig ist seine Frau, ein ehemaliges Hollywood-Starlet mit familiären Verbindungen zur Mafia. Auch sie säuselt so blond und täuschend freundlich, dass man kaum glaubt, dass sie einen Mordauftrag vergeben haben soll.

Ganz wunderbar gelungen fand ich auch die Figur des Bürgermeisters Randall Finlay. Obwohl der schmierige, aber leutselige und charmante Typ immer wieder ins Amt gewählt wird, erfahren wir doch im Laufe von Jims Enthüllungen, dass es Finlay mit einer Nutte trieb, die sich als minderjährig entpuppte. Das brachte ihm Jims Nasenstüber ein. Nun, Finlay wird seine Strafe erhalten und so für den Showdown mit dem Mörder der Langleys sorgen.

Die Aufnahme hat nur einen einzigen Schönheitsfehler. Dieser geht nicht aufs Konto des Sprechers, sondern auf das des Aufnahmeleiters und des Schnitts. Wird er deshalb nicht namentlich erwähnt? Wie auch immer: Auf CD Nr. 3 tritt bei der Marke von 54:06 Minuten eine unmotivierte Pause ein, die etwa fünf Sekunden anhält, bevor die Aufnahme fortfährt. Zum Glück geht keine Information des Textes verloren, aber etwas irritierend und ablenkend ist diese Lücke schon.

_Unterm Strich_

Dies ist kein Copthriller und schildert auch nicht die Ermittlung gegen den klischeehaften Serienkiller. Vielmehr betrachten wir das Geschehen, das nach dem kriminellen „Erdbeben“ des Mordes an den Langleys stattfindet, aus der Sicht eines gewöhnlichen Bürgers: des Nachbarn. Ein einfacher Gärtner, Fahrer und Hobby-Kunstmaler. Was könnte unverdächtiger sein? Aber unversehens sieht sich Jim Cutter in sinistre Abläufe verwickelt: als Opfer von Folterknechten, unsichtbaren Strippenziehern und natürlich dem Serienmörder, der die Langleys auf dem Gewissen hat.

Glücklicherweise legt Jim Cutter nicht die Hände in den Schoß und sagt: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, sondern packt die Sache auf bewährte Yankeeweise an. Doch weil nichts ist, was es zu sein scheint, muss er auch seine eigene Ehefrau verdächtigen und fällt aus allen Wolken, als sein Sohn ihm ein geheimes Sexleben offenbart. Außerdem glaubt er sich auf der Spur eines Literaturskandals erster Größenordnung, der sich zudem als tragische Verkettung von Taten und Unterlassungen entpuppt.

Es gibt einige schöne Höhepunkte, von denen vielleicht der witzigste die Selbstenthüllung des Bürgermeisters als Freier einer minderjährigen Nutte ist. (Natürlich tut er das nicht freiwillig.) Aber auch die Bloßstellung von Conrad Chases Frau Eliana als zwielichtige Mordauftraggeberin ist eine köstliche Szene. Enthüllungen gibt es reihenweise, und manche davon sind so verzwickt und heikel, dass man nicht anders kann, als entsprechende Geduld mitzubringen. Die Wahrheit über Brad Stockwells angeblichen Selbstmord ist solch eine Szene.

Barclays Thriller eilt von Höhepunkt zu Höhepunkt, und so manche Szene mag an den Haaren herbeigezogen erscheinen. Aber die Story sorgt für eine Menge spannender Unterhaltung, ohne dabei in Kitsch oder Klamauk abzugleiten. Ob der richtige Mörder der Langleys am Schluss gestellt wird, ist eine Frage, die einen Spannungsbogen über die ganze Handlung errichtet. Darunter hat der Autor eine Reihe weiterer, kleinerer Spannungsbögen errichtet. Und kaum glaubt der Leser mit Jim eine Verschnaufpause einlegen zu können, geht unversehens die Action erneut los. Feine Sache.

|Das Hörbuch|

Frank Arnold gestaltet seinen Vortrag dieses spannenden Krimis sehr lebhaft und unter hohem Einsatz seiner Stimmfertigkeit. Schon nach wenigen Minuten achtete ich kaum noch auf seinen Ausdruck in der Charakterisierung der Figuren, so sehr hatte mich seine Versiertheit überzeugt. Daher konnte ich mich an den emotionalen Einzelszenen erfreuen, ohne mich von den gelieferten Informationen, welche die Beweiskette gegen diverse Verdächtige aufbauen, ablenken zu lassen.

Ein Fehler im Schnitt der Aufnahme verblüffte mich indes. Einfach so eine Lücke von rund fünf Sekunden entstehen zu lassen beziehungsweise zu überhören – das findet man nicht alle Tage.

|Originaltitel: Too close to home, 2008
Aus dem kanadischen Englischen übersetzt von Sky Nonhoff
457 Minuten auf 6 CDs
ISBN-13: 978-3-89903-636-7
Buchausgabe bei Ullstein Taschenbuch unter der ISBN-13 978-3-548-26744-9|
http://www.hoerbuch-hamburg.de
http://www.ullsteinbuchverlage.de

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Doyle, Arthur Conan / Coules, Bert / Cotterel, Ian – A Study in Scarlet – A Sherlock Holmes Mystery (Hörspiel)

_Holmes singt: ein garstig‘ Lied in Scharlachrot_

Das Wort „Rache“ ist an die Wand eines leeren Hauses in London gekritzelt, in dem die Polizei die Leiche eines Mannes gefunden hat. Um das Rätsel zu lösen, bittet Scotland Yard einen jungen Mann um Hilfe, der über einen analytischen Verstand verfügt und dem es offenbar Vergnügen bereitet, die kniffligsten Rätsel zu lösen: ein gewisser Sherlock Holmes. Als dieser Holmes zusammen mit seinem neuen Wohngenossen Dr. John Watson auf der Szene des Verbrechens erscheint, zweifeln die Inspektoren und Polizisten des Yard erst einmal, was Amateure wie diese beiden ausrichten können. Sie sollen sich schon bald wundern.

_Der Autor_

Sir Arthur Conan Doyle lebte von 1859 bis 1930 und gelangte mit seinen Erzählungen um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu Weltruhm. Dabei begann der Mediziner, der eine eigene Praxis hatte, erst 1882 mit dem Schreiben, um seinen Einkommen aufzubessern. Neben mystischen und parapsychologischen Themen griff er 1912 auch die Idee einer verschollenen Region (mit Dinosauriern und Urzeitmenschen) auf, die von der modernen Welt abgeschnitten ist: [„The Lost World“ 1780 erwies sich als enorm einflussreich und wurde schon 13 Jahre später von einem Trickspezialisten verfilmt.

Weitere Holmes-Hörspiele auf Englisch im |Hörverlag| sind „The Hound of the Baskervilles“ und „The Sign of Four“.

Mehr von Arthur C. Doyle auf |Buchwurm.info|:

[„Eine Studie in Scharlachrot“ 1780 (Buchausgabe)
[„Die geheimnisvolle Kiste“ 3756 (Hörbuch)
[„Der Patient“ 3609 (Hörspiel)
[„Der griechische Dolmetscher“ 2427 (Hörspiel)
[„Im Zeichen der Vier“ 2285 (Hörbuch)
[„Der Bund der Rothaarigen“ 2268 (Hörbuch)
[„Neue Fälle von Sherlock Holmes & Dr. Watson“ 2148 (Hörspiel)
[„Sherlock Holmes Collectors Edition II“ 2130 (Hörspiel)
[„Sherlock Holmes Collectors Edition I“ 1950
[„Der Hund der Baskervilles“ 1896
[„Die vergessene Welt“ 1780
[„Der Fall Milverton / Der Teufelsfuß“ 1410 (Hörspiel)
[„Der Vampir von Sussex / Das gefleckte Band“ 1240 (Hörspiel)
[„Das Zeichen der Vier“ 1234 (Hörspiel)

Themenverwandtes bei |Buchwurm.info|:

[„Sherlock Holmes und der Fluch von Addleton“ 417
[„Sherlock Holmes – Mythos und Wahrheit. Eine Spurensuche mit Musik und Geräuschen“ 3916
[„Sherlock Holmes. Die unautorisierte Biographie“ 3428
[„Sherlock Holmes und die Riesenratte von Sumatra“ 3083
[„Sherlock Holmes und der Fall Houdini“ 2339
[„Sherlock Holmes: Schatten über Baker Street. Mörderjagd in Lovecrafts Welten“ 1893

_Die Sprecher & die Inszenierung:_

|Sherlock Holmes:|

Clive Merrison, geboren 1945, wurde bekannt durch seine Arbeit beim Fernsehen, am Theater und beim Rundfunk. Seine erfolgreichsten Produktionen sind „Dr. Who“, „Yes, Prime Minister“ und „Saving Grace“ (Grasgeflüster). Merrison ist der einzige Schauspieler, der es geschafft hat, Holmes in den Bearbeitungen sämtlicher Kurzgeschichten und Romane zu spielen, in denen der berühmte Detektiv auftritt (und das sind mehrere Dutzend Werke).

|Dr. John Watson:|

Michael Williams, geboren 1935, war ein britischer Schauspieler irischer Herkunft. Er trat regelmäßig im Fernsehen und in Filmen wie „Educating Rita“ oder „Henry V.“ auf. In Radiospielen lieh er vielen Figuren seine Stimme. 1971 heiratete er die vielfach ausgezeichnete Schauspielerin Dame Judi Dench (geb. 1934, ‚M‘ in „James Bond“), mit der er erfolgreich in mehreren Sitcoms zusammenarbeitete. Williams starb 2001.

Regie führte Ian Cotterel, die Hörspielfassung erarbeitete Bert Coules, für eine Produktion der BBC aus dem Jahr 1998. Die Violine spielt laut Booklet Abigail Young, laut Ansage aber Alexander Balanescu. Vielleicht spielten ja beide.

_Handlung_

Um das Jahr 1886 lebt der Militärarzt Dr. John Watson wieder in London, nachdem er im zweiten Afghanistankrieg verwundet wurde und an Typhus erkrankt war. Nun lebt er von einer winzigen Rente und erträgt die Schmerzen in seiner Schulter. Da kommt ihm das Glück zu Hilfe. Sein guter Bekannter Stanford, ein Medizinstudent, erzählt ihm von einem Mann an der Uni, der einen Mitbewohner für eine gemeinsame Mietwohnung sucht. Watson ist sofort hellhörig, aber Stanford warnt ihn vor diesem seltsamen Vogel. Dieser Sherlock Holmes betreibe makabere Experimente mit Tierkadavern. Indeed!

Waltson und Holmes nehmen die Wohnung, die Mrs. Hudson in der Baker Street 221B anbietet, und versuchen, sich aneinander zu gewöhnen. Holmes ist wirklich gewöhnungsbedürftig, und Watson macht sich eine ganze Liste mit seinen Mängeln, insbesondere seiner Ahnungslosigkeit auf bestimmten Wissensgebieten. Eines Tages verrät ihm Holmes endlich, was er eigentlich beruflich tut: er ist beratender Ermittler. Private und behördliche Schnüffler bitten ihn um seine Dienste, sein bester Kunde sei Inspektor Lestrade vom Scotland Yard, der britischen Kripo. Aber die Zeiten sind Holmes zu ruhig – er kann seine Fähigkeit der analytischen Deduktion kaum unter Beweis stellen. Da kommt ihm ein neuer Mord wie gerufen.

Zusammen mit Dr. Watson, den er als Assistenten missbraucht, besichtigt Holmes den Tatort, der sich in einem leerstehenden Haus in Brixton befindet. Die Inspektoren Lestrade und Tobias Gregson sind bereits vor Ort. Holmes warnt Watson, dass der Tatort seine Nerven belasten könnte. In der Tat sieht all das viele Blut um die Leiche eines Mannes am Boden nicht sehr beruhigend aus. Dessen Körper ist völlig verdreht, weist aber seltsamerweise keine Wunde auf. Doch einmal am Mund des Toten geschnuppert und beide wissen Bescheid: Gift. Und an einer Wand des Zimmers steht mit Blut geschrieben das deutsche Wort „RACHE“. Für Lestrade ist der Fall klar: Es hat etwas mit einer Frau namens RACHEL zu tun. Holmes ist sich da nicht so sicher. Er gedenkt seinen Fall zu einem Gesamtkunstwerk zu machen, das er „Eine Studie in Scharlachrot“ (A Study in Scarlet) nennen will.

Der Tote wird als der Amerikaner Enoch Drebor identifiziert, er habe in der Pension einer Madame Charpentier logiert, zusammen mit seinem Sekretär Joseph Stangerson. Hier bohrt Tobias Gregson besonders intensiv nach und fördert schon bald zutage, dass Charpentiers Sohn Arthur heftigen Streit mit den beiden Amis hatte, weil sie sich an seiner Schwester Alice vergriff. Es kam zu einer Schlägerei auf der Straße und Arthur verschwand. Alles klar wie Kloßbrühe: Arthur muss der Mörder sein.

Holmes beliebt, anderer Meinung zu sein, ist aber weit davon entfernt, Gregson den Tag zu vermiesen. Für ihn ist das wichtigste Indiz an der Leiche der weibliche Ehering, der so gar nicht zu den beiden Amis passt. Es geht also um eine Frau innerhalb einer Dreiecksgeschichte. Holmes gibt in Watsons Namen (er will nicht in Erscheinung treten) eine Zeitungsannonce auf, in der er nach dem Besitzer des Rings sucht. Unterdessen lässt er seine Kindertruppe von Möchtegernpolizisten nach Verdächtigen suchen.

Gregson triumphiert gerade über seinen Fahndungserfolg, als Lestrade eintrifft. Er habe einen weiteren Ermordeten entdeckt. Dreimal darf man raten, um wen es sich handelt.

_Mein Eindruck_

Schon in dieser ersten Erzählung, die im Dezember 1887 veröffentlicht wurde und ihren Helden unsterblich machte, bietet der Autor fast alle Charakteristika auf, die den berühmten Detektiv kennzeichnen. Er hat einen scharfen, wenn auch etwas eingleisigen Verstand, praktisch kein Privatleben, spielt leidenschaftlich gerne die Geige und ist stets für einen blutigen Mord zu haben. Dass er sich so gut mit Kindern und seiner Haushälterin/Vermieterin versteht, grenzt an ein Wunder.

|Der Auftrag|

Noch erstaunlicher ist sein letzter Satz: „Write your book, Dr. Watson“, aber das geschieht aus purem Eigennutz. Die beiden stümperhaften Inspektoren Lestrade und Gregson beanspruchen nämlich laut Zeitung alle Lorbeeren für sich und wagen es sogar, den „Amateur-Detektiv“ Sherlock Holmes ihren „Schüler“ zu nennen – diese Unverfrorenheit! Um der Nachwelt ein „richtiges“ Bild vom Schaffen des kompetentesten Detektivs der Welt zu hinterlassen, kommt ihm Dr. Watson als Biograph gerade recht. Das kann Dr. Waltson nur angenehm sein, denn er hat bereits seine Bewunderung für Holmes ausgedrückt. Der Titel für das erste Werk dürfte wohl klar sein.

|RACHE|

Doch worin liegt nun die Lösung des blutigen Doppelmordes, mit diesem mysteriösen Wort „RACHE“ an der Wand? Die Kripo verfällt natürlich auf das Naheliegende, dass sich hier nämlich politische Flüchtlinge aus Deutschland an Amerikanern rächen wollten. Doch Holmes ist alles andere als ein Freund des Naheliegende und Offensichtlichen. Das könnte ja jeder Stümper kapieren, aber das sei genau das, was die Verbrecher wollten. Nein, so blöd ist er nicht.

Allerdings ist auch Holmes nicht allwissend, denn der Verdächtige schlägt ihm geschickt ein Schnippchen. Um den Ring abzuholen, tritt eine ältere Dame auf, die sich Mrs. Sawyer nennt. Nachdem sie gegangen ist, folgt er ihr unauffällig oder vielmehr ihrer Droschke. Als die Mietkutsche an ihrem angegebenen Ziel eintrifft, ist jedoch von „Mrs. Sawyer“ weit und breit nichts zu sehen. Sie hatte sich verkleidet und war natürlich ein Mann! Homes lacht herzhaft über seine eigene Stupidität.

|Das Geständnis|

Sobald der Täter sich dann selbst zeigt – was an sich schon recht verwunderlich ist -, will er auch sogleich ein Geständnis ablegen. Schließlich sei er ein todkranker Mann, der jeden Augenblick den Löffel abgeben könne, erkennt Dr. Watson. Bequemerweise erfolgt das Geständnis im Kripohauptquartier, vor den Ohren von Lestrade und Gregson, und natürlich Holmes. Die ganze verhängnisvolle Dreiecksgeschichte begann vor nicht weniger als vierzig Jahren in jenem trockenen Landstrich westlich der Rocky Mountains, der den Briten als „Zentralamerikanische Wüste“ bekannt ist.

Durch die Assoziation mit den Mormonen erklärt sich auch der erstaunliche Titel des zweiten Teils des Hörspiels: „The Country of the Saints“. Die Mormonen nennen sich bekanntlich gar nicht nach dem Buch Mormon ihres Gründers John Smith, sondern als „Heilige der letzten Tage“ (Latter Day Saints). Ihre Hauptstadt ist Salt Lake City. Ich war selbst dort und habe die riesige Kathedrale bewundert – den Tempel! – und das Hochhaus, in dem sich das Hauptquartier des Ordens befindet.

|Die Wirkung|

Ich werde hier nicht das ganze Geständnis wiedergeben, das Jefferson Hope ablegt. Aber der Fall ist im Grunde klar. Für die von ihnen geraubte Braut rächte er sich an Drebor und Stangerson auf grausame Weise, nach zwanzig Jahren der Verfolgung. Diese Geschichte bildet den Kern des zweiten Teils: sehr romantisch und bewegend mit einer tragischen Romanze und einer erbitterten Verfolgungsjagd, schon fast ein Western.

Die Zeitgenossen des Autors müssen hingerissen gewesen sein, obwohl das Buch zuerst in den USA erschien und als „shilling shocker“ (= Pulp Fiction) nicht gerade höchsten literarischen Rang genoss. Ganz im Gegenteil. Erst die Sherlock-Story „Ein Skandal in Böhmen“, die ab 1891 im „Strand Magazine“ erschien, brachte ihrem Autor den erhofften Durchbruch.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Das ganze Hörspiel dreht sich im Grunde nur um die zwei Hauptfiguren Watson und Holmes. Folglich sind ihre Sprecher die wichtigsten im ganzen Ensemble – und es ist ein beachtlich kompetentes Ensemble, gegen das sie sich durchsetzen müssen. Dass Michael Williams seinen Dr. Watson wie den älteren Herrn spielt, den wir alle sattsam aus unzähligen Holmes Verfilmungen kennen, war zu erwarten. Doch Williams verleiht Watson keineswegs den Charakter eines leicht debilen, gutgläubigen Medizinmannes, wie er so unsäglich von Nigel Bruce porträtiert wurde. Dieser Watson ist ein Armeemann und hat einiges vom Leben gesehen. Dennoch bereitet ihm der blutige Tatort in Brixton Albträume.

Die eigentliche Überraschung liefert Clive Merrison (der auf dem Foto auf der CD-Rückseite selbst etwas debil dreinschaut), denn mit dem herzhaften Lachen, in das Holmes so häufig und gerne ausbricht, hatte ich nicht gerechnet. Das ist ein ganz anderer Holmes als der von Basil Rathbone, nicht düster, sondern weltoffen und verständnisvoll, nicht neurotisch, sondern einfühlsam. Dies ist ein menschliches Wesen, mit dem wir – beinahe – mitfühlen können, so etwa, wenn er sich um seine Meriten als Detektiv Sorgen macht und an eine Art PR-Feldzug denkt, mit Watson als Manager.

|Geräusche|

Wozu kleckern, wenn man auch klotzen kann, dachte sich wohl der Sounddesigner und lässt das Hörspiel gleich mit Kanonnendonnern und Gewehrschüssen beginnen. Verwundete schreien nach Doktor Watson, da fallen zwei Schüsse – Watson hat’s erwischt, verkündet die unheilvolle Stille. Nach der Ansage beginnt Dr. Watsons alias Michael Williams‘ ruhige Stimme von den nachfolgenden Ereignissen zu berichten, die zu seiner langen Bekanntschaft mit Holmes führen sollten.

Die Geräusche im Hintergrund sind realistisch, passend und verdecken nie den Dialog. Allerdings muss man sich eine Szene, die in sukzessiven Ausschnitten dargestellt wird, selbst zusammenreimen. Es handelt sich um die Auseinandersetzungen in der Pension der Madame Charpentier, bei denen die betrunkenen Amerikaner ihre Familie drangsalieren. Diese Szene ist clever eingesetzt, denn sie lässt ein Rätsel offen: Hat Arthur Charpentier wirklich Enoch Drebor getötet – oder war es ganz anders?

Es gibt ein paar Soundeffekte, die mich stutzen ließen. Einer davon ist der einer riesigen schlagenden Uhr, als ob sich das Uhrwerk Big Bens (nicht die Glocken!) im Wohnzimmer befände und mit einem feinen Mikro aufgenommen und tausendmal verstärkt würde. Die Wirkung ist unheimlich, denn der Sound kündet Unheil an, nach dem Motto: Wem die Stunde schlägt …

|Musik|

Ich bin nicht sicher, ob das Geigenspiel Basil Rathbones zur Musik zählt, aber dasjenige, das wir in diesem Hörspiel zu hören bekommen, tut es ganz bestimmt. Wir hören lieblichen Bach, elegischen Wagner und noch einiges mehr. Im Outro erklingt die Violine zusammen mit einer Flöte und einem romantischen Piano und geleitet den Hörer wieder zurück in seine eigene Welt. Holmes singt sogar! Dies ist das erste Mal, dass ich Holmes singen hörte. Vielleicht zählt das zu seinem Gesamtkunstwerk „Studie in Scharlachrot“.

Relativ unheimlich ist der gestrichene Kontrabass, der am Anfang der zwei Teile mit tiefsten Bässen erklingt. Dagegen hebt sich die flotte Pausenmusik, welche die Szenen trennt, geradezu wohltuend ab. Man sieht, dass es eine ganze Palette von Musik gibt. Trotzdem ist das Hörspiel weit davon entfernt, ein Musical zu sein.

_Unterm Strich_

Sherlock Holmes und Dr. John liefern sich bereits in diesem ihrem ersten Fall die typischen Diskussionen, wobei Watson stets der Stichwortgeber ist und Holmes allzu häufig der Schlaumeier, der sich alles bereits aus winzigsten Details zusammenreimt. Schon die erste Begegnung ist symptomatisch. Holmes begrüßt Watson als Mann, der in Afghanistan war. Der gute Doktor ist natürlich von den Socken, aber Holmes hält mit des Rätsels Lösung nicht hinterm Berg.

Spannung, Action, Humor, geistvolle Diskussionen, eine Romanze – alle Sherlock-Freunde kommen also schon im ersten Fall voll auf ihre Kosten. Unglaublich, dass der Autor seinen Helden bereits sieben Jahre später, 1893, sterben ließ. Auf Druck des Publikums (und der Königsfamilie) musste er Holmes eine Auferstehung widerfahren lassen, so dass ab „The Hound of the Baskervilles“ (1901/02) weitere Geschichten mit dem beliebten Detektiv erscheinen konnten.

|Das britische Hörspiel|

In zweimal 56 Minuten erzeugt der Dramaturg Bert Coules erst eine Menge Spannung, dann eine ganze Menge von Action und Rührung. Schließlich geht es um eine tragische Dreiecksgeschichte. Der erste Teil gefiel mir wesentlich besser, weil er spannender und optimistisch gestimmt ist.

Das Englischniveau ist nicht „beginner“, sondern „intermediate“, also mittelschwer. Das erfordert Gymnasial- oder Uni-Ausbildung. Auch ich mit abgeschlossenem Magister und Englandaufenthalt konnte nicht alles restlos verstehen. Zum Glück reden die Sprecher wenigstens keinen Dialekt wie etwa Cockney. Ein Akzent ist aber dennoch hin und wieder zu hören. Merrison und Williams befleißigen sich aber des reinsten |BBC|-Englisch und sind sehr klar zu verstehen. Englischlernende dürfen aufatmen.

|A Study in Scarlet, 1887
BBC-Produktion 1998
112 Minuten auf 2 CDs
ISBN-13: 978-3-86717-303-2|
http://www.hoerverlag.de

McDowall, Iain – perfekte Tod, Der (Hörbuch)

_Die perfekte Ermittlung, mit Schwächen_

„Schlimmer geht es nicht“, denkt Chief Inspector Frank Jacobson, als in Crowby ein Drogendealer gefoltert und verbrannt aufgefunden wird. Nur 48 Stunden später gibt es einen noch grausigeren Fund: Das Oberhaupt von Crowbys „Familie des Jahres“ hat, wie es aussieht, erst seine Frau und die drei Kinder umgebracht und dann sich selbst erhängt. Nur eine hat das Blutbad überlebt: die Freundin der Jüngsten – und Tochter von Sheryl Holmes, der Geliebten des toten Drogendealers. Doch die Zehnjährige spricht nicht mehr. (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Iain McDowall wurde in Kilmarnock, Schottland, geboren und war Universitätsdozent für Philosophie und Computerfachmann, ehe er als Autor von Kriminalromanen hervortrat. Heute lebt er im englischen Worcester, in den Midlands, wo sich seine fiktive Stadt Crowby befindet. Hier spielen McDowalls Romane um die Polizisten Jacobson und Kerr.

Weitere Crowby-Romane, die bei |dtv| erschienen, sind „Zwei Tote im Fluss“ und „Gefährliches Wiedersehen“. Für August 2009 ist „So gut wie tot“ angekündigt.

_Sprecher & Produktion_

Herbert Schäfer, 1968 in Bonn geboren, absolvierte seine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule. Es folgten Engagements an den Münchner Kammerspielen, am Ulmer Theater, am Düsseldorfer Schauspielhaus sowie am Theater Freiburg. Er arbeitete mit namhaften Regisseuren zusammen und ist zudem regelmäßig in Kino- und Fernsehproduktionen zu sehen.

Schäfer liest eine von Cathrin Claußen gekürzte Textfassung. Regie führte Sebasian Reiß. Die Aufnahme erfolgte bei Acoustic Media in Freiburg.

_Handlung_

Darauf haben Charlie Taylor und Billy „Florida Boy“ Billston gewartet: Sheryl Holmes verlässt mit ihren zwei Töchtern Ann Marie und Lucy den Wohnblock, um sie zur Schule im „guten Viertel“ The Bartons zu bringen. Sie kommt aus der Sozialwohnung, in der sich noch ihr Lover David Carter befindet. Dave ist Barmann im Pub „Poet’s“ und Drogendealer. Charlies und FBs Auftrag lautet, Dave eine Abreibung zu verpassen.

Doch als sie Dave aus dem Bett zerren und mit der Drohung, ihn mit dem elektrischen Kamin zu verbrennen, gefügig machen wollen, macht der einen auf Macho und wehrt sich. Na so was! Das treibt den eh schon labilen FB zur Weißglut. Mit einem Montiereisen schlägt er Dave den Schädel ein. Au Backe, was wird wohl der Auftraggeber davon halten, fragt sich Charlie. Der will von der ganzen Geschichte nichts wissen. Sie haben’s verbockt, nun müssen sie sehen, wo sie bleiben. Tja, Probezeit ist harte Zeit. Und dass sie ihn ja nie wieder anrufen! Dabei hat ihm Charlie noch gar nicht alles gesagt, was sie angestellt haben …

Florida Boy hat sich Verbrennungen zugezogen, doch sie können damit nicht zum Arzt, ist ja logo. Deshalb muss Charlies Bekannte, die schnuckelige Lisa, ran und die Wunden behandeln. Lisa glaubt, er wolle was von ihr, und findet sich dazu bereit. Aber als Charlie mitbekommt, welchen Zinnober die Bullen wegen des Todes von Dave veranstalten, kriegt er kalte Füße: Sie müssen weg. Auch dagegen hat Lisa nix einzuwenden. Klasse, denkt Charlie mit einem Blick auf Lisas Brüste, und klaut das nächstbeste Auto.

Für Chief Inspector Frank Jacobson ist der Fall David Carter ein Fall wie jeder andere. In dem Sozialghetto Woodlands ist so was ja nichts Ungewöhnliches. Carter war Drogendealer und muss jemanden gelinkt haben. Der Inspektor lässt seine Untergebenen ihre Pflicht und Schuldigkeit tun und tröstet Sheryl Holmes, die von dem Verlust ihres Geliebten und ihrer abgefackelten Wohnung ganz schön erschlagen ist. Nur noch ihre persönlichen Dokumente hat sie gerettet, weil sie die stets in ihrer Handtasche mit sich herumschleppt.

Doch es gibt wenigstens einen kleinen Lichtblick. Sie kommt bei ihrer Freundin Candice unter und Ann Marie darf sogar bei den Eltern ihrer Schuldfreundin Sarah Adams übernachten. Vielleicht hat sie nochmal Glück gehabt, denn ihre neue Sozialwohnung bekommt sie sicher erst in ein paar Tagen gestellt. Und Ann Marie bekommt mal ein schönes Heim zu sehen statt der Drecklöcher, in denen sie sonst mit ihrer alleinerziehenden Mutter leben muss. Doch auch dieser Traum währt nicht lange …

Der Bauunternehmer Stephen Adams, der Vater von Sarah und ihren zwei Brüdern, weiß schon seit Monaten, dass sein Unternehmen am Abgrund steht, dazu braucht er nicht erst die Kassandrarufe seines freiberuflichen Buchhalters Alan Jones zu hören. Darauf einen Doppelten! Steve macht sich erst einmal einen schönen Abend bei einer Preisverleihung der Lokalzeitung: Die Adams‘ werden als „Familie des Jahres“ ausgezeichnet. Nach einem weiteren Doppelten wirft sich Steve auf dem WC noch eine Doppeldosis Antidepressiva ein. Gleich fühlt sich total entspannt. Der Abend wird wunderbar. Um Mitternacht beginnen die Albträume …

Als Frank Jacobson zum Haus der Adams gerufen wird, warnt ihn der Leiter der Spurensicherung vor: Es ist schlimm. In der Eingangshalle baumelt ein Mann vom Treppengeländer herab. Das war wohl mal der Herr des Hauses. „Es gibt noch mehr.“ Sie gehen nach oben. Das Zimmer der Jungs ist voll Blut, sie haben sich wohl gewehrt. Nicht so hingegen die Ehefrau Marion und die Tochter Sarah. Steve Adams hat sie wohl mit einem Kopfkissen erstickt.

Als Jacobsons Blick aus dem Fenster in den Garten fällt, eilt er hinunter ins Erdgeschoss, dann in den Garten. Er geht zu einem großen Baum, in dem er ein Baumhaus erspäht hat. Darin kauert ein kleines Mädchen und zittert am ganzen Leib. Es ist Ann Marie Holmes, wie sich herausstellt. Und sie ist unfähig, über das zu sprechen, was sie in der vergangenen Nacht im Haus gesehen hat, als der Tod sein Werk verrichtete.

_Mein Eindruck_

Natürlich hängt der Tod von Dave Carter, dem Drogen dealenden Barmann, mit dem von Steve Adams zusammen. Aber wie das genau erfolgt ist, das herauszufinden ist die Aufgabe von Chief Inspector Frank Jacobson. Zum Glück ist Jacobson sowohl ein gewiefter Bursche, der sich einen Fall nicht einfach durch die Drogenfahndung wegnehmen lässt, als auch ein energischer Fahnder, der seine Leute in alle Richtungen mit Nachdruck und Hartnäckigkeit ermitteln lässt. Von ihm könnte sich der behäbige Inspektor Barnaby noch ein Stück abschneiden, der im idyllischen Midsomer aufklärt.

|Familienvernichter|

Dass Jacobsons neuer Fall berührt, ist der Familientragödie um Steve Adams zu verdanken. Das Täterprofil entspricht dem des „Familienvernichters“: Wenn er schon selbst untergehen soll, dann soll auch seine Familie mit – und dran glauben. So ist es erst vor wenigen Wochen ganz real in England passierte, als der bankrotte Familienvater, ein Unternehmer, nicht nur sämtliche Angehörigen meuchelte, sondern auch die Haustiere nicht verschonte, um schließlich auch noch das Haus abzufackeln. So sollte seinen Gläubigern nichts mehr zu holen übrig bleiben.

|Bindeglied|

Im Fall Steve Adams sprechen jedoch einige Indizien und eine Zeugenaussage gegen die Vermutung, dass sich Adams auch selbst umbrachte. Der Täter ist das zweite Bindeglied zwischen dem Mord an Carter und dem an Adams. Das erste Bindeglied ist Ann Marie, die Tochter Sheryl Holmes‘. Die Genesung des Mädchens durch eine Expertin der psychologischen Betreuung ist wirklich anrührend. Erst durch Malen kann sich die wichtigste Zeugin ausdrücken. Zum Schrecken ihrer Mutter.

|Bad boys|

Diese Tragödie steht im krassen Gegensatz zu den frivolen Aktivitäten Charlie Taylors und seiner Freundin Lisa, von Florida Boy ganz zu schweigen. Hier wird ohne Fingerzeig deutlich gemacht, dass diese jungen Leute keine Hoffnung und keine Zukunft haben. Charlie hofft lediglich, noch ein paar Tage mehr in Freiheit bleiben zu können, bevor sie ihn schnappen. Er kann im Fernsehen zusehen, wie ihm die Bullen auf die Schliche kommen und sich nähern. Von einem „Getaway“ ist er jedoch weit entfernt. Hundertprozentig hat mich seine Figur nicht überzeugt: zu wenig Reflexion, zu wenig Energie. Und was er zusammen mit Lisa mit Florida Boy angestellt hat, wird zwar ganz am Schluss in einem der zahllosen inneren Monologe verraten, aber so ganz leuchtet es auch nicht ein. Warum sollte Lisa auf FB wütend sein?

|Der Sprecher|

Herbert Schäfer, den ich bislang nicht kannte, hat mich durch seine Vielseitigkeit in der stimmlichen Darstellung beeindruckt. Ihm gelingt es, sowohl weibliche wie männliche Figuren glaubhaft sprechen zu lassen, und zwar so, dass sie der Hörer leicht unterscheiden kann. So ist beispielsweise Lisa mit einer hohen Stimme versehen. Sie klingt zwar nicht wie Charleys Tante, ragt aber natürlich heraus, und man wartet schon aufs nächste Mal, dass sie wieder zu hören ist. Wesentlich glaubwürdiger ist die ungewöhnlich sanfte Stimme der Psychotherapeutin Burke, die Ann Marie betreut.

Ihr Gegenteil sind sicherlich die Tunichtgute Charlie, der Autoknacker, und Florida Boy, der labile Ausraster. Auch deren Auftraggeber Terry Shields klingt wie ein harter Bursche. Doch er beißt sich an Frank Jacobson die Zähne aus, der zudem noch viel Erfahrung mitbringt. So kann es der Chief Inspector locker nicht nur mit Typen wie Shields und Fliegengewichten wie Ray Walsh – ebenfalls eine tolle Charakterstimme – aufnehmen, sondern mit solchen aufgeblasenen Wichtigtuern wie seinem Chef DCS Greg Salter, der total arrogant und aalglatt daherkommt.

Der Abschuss ist sicherlich Alan Jones, der hochmütige Buchhalter des armen Steve Adams. Sehr interessant fand ich auch die Nebenfigur Peter Robinson (der Mann trägt den gleichen Namen wie ein erfolgreicher britischer Krimiautor). Der Pathologe wird durch seine besondere Redeweise zum Leben erweckt: Er stottert und stammelt, dass das, was er zu sagen hat, ganz besonders spannend wird. Es gibt noch andere Figuren, so etwa den mampfenden Kollegen Jacobson, der erstmal sein Mittagessen im Meeting runterwürgen muss – und währenddessen spricht. Kein schöner Klang.

Schäfer macht also auch noch aus den Nebenfiguren interessante Eindrücke. Erst so ergibt sich aus dem Gesamtbild der Figuren das Abbild einer sozialen Gemeinschaft. Und das ist genau das, was der Autor beabsichtigt hat (und was jedem Krimiautor am Herzen liegen sollte).

Geräusche und Musik gibt es nicht, weshalb ich darüber kein Wort zu verlieren brauche. Was mich jedoch geärgert hat, ist die Tatsache, dass nirgendwo auf dem Hörbuch die Längenangabe vermerkt ist. Neben dem Preis ist dies jedoch eine wichtige Größe, um das Verhältnis zwischen Preis und Leistung (= Länge der Aufnahme) abzuschätzen. Erst im Vergleich mit anderen Produkten anderer Verlage vermag der potenzielle Käufer dann dieses Preis-Leistungs-Verhältnis zu beurteilen. Wer solche Kenngrößen vorenthält, der stellt sich automatisch ins Zwielicht. Leider ist diese Unterlassungssünde bei |Hoffmann & Campe|-Hörbüchern Usus.

_Unterm Strich_

Es ist saubere Polizeiarbeit, die Jacobson den Fall aufklären lässt – so viel darf man auf jeden Fall erwarten. Dass auch in (erfundenen) Städten wie Crowby eine Zweiklassengesellschaft existiert, aber beide Klassen gleichermaßen vom Gleichmacher Heroin erfasst werden, hat man schon in Soderberghs Film „Traffic“ eindrucksvoll geschildert bekommen. Neu ist vielleicht die Botschaft , dass Drogen auch den englischen Alltag einer ländlichen Stadt längst durchdrungen haben. Und dass die Dealer nicht irgendwelche russischen Mafiosi sind, sondern brave britische Buchhalter. Etwas bizarr fand ich, dass eben dieser Buchhalter auch der Territorial Army angehört, die wohl der amerikanischen Nationalgarde entspricht, die ja auch nur eine bessere Miliz ist.

Vergleicht man Jacobsons effiziente Ermittlung, so erscheint die Flucht der Mörder Dave Carters zunehmend als überflüssiges Beiwerk, als eine Art „Getaway“-Szenario, komplett mit Gangsterliebchen Lisa. Klischeehafter geht’s nicht, aber das Leben entpuppt sich ja zunehmend als Abziehbild der Medien, so dass man schon bei manchen Szenen wie etwa einem Brand oder Autounfall allein beim Hinsehen ein Déjà-vu-Gefühl bekommt.

|Das Hörbuch|

Es kann aber auch sein, dass die Bearbeiter des Textes diesen so weit kürzten, dass die wichtigen Zwischentöne, die das Buch unverwechselbar machen, unter den Tisch fielen. Die zahlreichen inneren Monologe sind ein wichtiges Stilmittel, um die Motivation der Figuren zu verdeutlichen. In einer dramatischen Handlung dürfen sie jedoch nicht überhand nehmen, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. In dieser Hinsicht ist das Hörbuch dem Buch unterlegen. Dies muss der Sprecher mit entsprechenden stimmlichen Mitteln des Vortrags jedoch auszugleichen wissen. In gewissen Maße gelingt dies Herbert Schäfer auf eindrucksvolle Weise.

|Originaltitel: Perfectly dead, 2003
Aus dem Englischen übersetzt von Werner Löcher-Lawrence
ca. 154 Minuten auf 2 CDs
ISBN-13: 978-3-455-30581-4|
http://www.hoca.de
http://www.dtv.de
http://www.crowby.co.uk