Archiv der Kategorie: Belletristik

Martin Andersen Nexø – Pelle der Eroberer

Der große belletristische Sozial-Gegenentwurf

Zeit und Autor

Vor gut hundert Jahren, als die Sozialdemokratie noch in so menschlichen wie neuartigen Kinderschuhen ging, hat sich ein Wikinger darangemacht, das Leben eines dänischen Eroberers, nämlich Pelles, zu beschreiben. Dieser Pelle, von dem sein Vater sagte, er sei im Siegerhemd geboren, war aber gar nicht darauf aus, etwa andere Länder zu erobern wie seine Vorfahren, sondern wuchs wie Nexø selbst in ärmsten Verhältnissen auf. Hätte es nicht dieses Mäzenatentum in Dänemark gegeben, in diesem Fall nahm den Schriftsteller die Witwe eines dänischen Dichters auf, wäre dieses umfängliche Werk nie entstanden.

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Ullrich, Allyssa / Ullrich, Hortense – Last Girl Standing: Die Wette

Diese Rezension stammt von Nadine Stifft

_Inhalt_

Charly ist ziemlich tollpatschig. Erst recht, wenn ein Mann in ihrer Nähe ist. Dann blamiert sie sich auch schon mal kräftig. Auch als sie Felix begegnet, ist es nicht anders und sie möchte im Boden versinken, denn sie hat sich ein wenig in Felix verguckt und berichtet dies später ihren vier Freundinnen Lavender, Emmy, Leonie und Sofia bei ihrem nächsten Treffen. Die fünf Damen verbringen jeden Freitagabend miteinander, um das Thema „Männer“ zu diskutieren. Und eigentlich haben sie auch gedacht, dass sie so schnell kein Mann auseinanderbringen kann. Bis Felix ihnen wegen einer Wette mit seinem besten Kumpel Tim einen Strich durch die Rechnung macht. Denn in der Wette geht es darum, an einem Abend drei Dates gleichzeitig zu haben und dabei nicht aufzufliegen. Blöderweise sucht sich Felix nun drei von den besten Freundinnen aus …

_Kritik_

„Last Girl Standing“ von Allyssa und Hortense Ullrich ist ein frischer und spritziger Frauenroman, bei dem der Humor nicht auf der Strecke bleibt. Allein auf den ersten Seiten musste ich wegen der süßen Tollpatschigkeit von Charly schon viel schmunzeln. Die Geschichte ist aus der Sicht eines Beobachters geschrieben, die Sätze sind nicht allzu lang und flüssig zu lesen. Es gibt viele und auch lustige Dialoge. Die Kapitel sind meist kurz, so dass man sich auch zwischendurch mal eine Pause gönnen kann.

Es ist sehr amüsant zu lesen, wie sich die verzwickte Geschichte entwickelt. Denn irgendwie weiß ja keiner von den Mädels, dass sie den gleichen Typen kennen gelernt haben. Und auch Felix und Tim tappen erst mal im Dunkeln. So nach und nach dämmert es den beiden aber doch. Weil Felix aber seine Wette nicht verlieren will, datet er dann trotzdem alle drei, was in einem kleinen Spektakel endet. Danach sinnen die Freundinnen auf eine kleine Rache.

Besonders gelungen finde ich, dass die Kapitel jeweils nach einem Cocktail benannt sind, dessen Rezept am Ende des Kapitels immer abgedruckt ist. Viele hören sich recht lecker an.

Negativ finde ich, dass so ein Namenswirrwarr herrscht. Bei so vielen Protagonisten bleibt es wahrscheinlich nicht aus, aber nach einer Weile blickt man doch ganz gut durch und man kann die Geschichte genießen. Leider ist es generell ein Buch, welches ein absehbares Ende hat. Also ist es meines Erachtens nicht allzu spannend.

_Autorinnen_

Hortense Ullrich ist im Saarland geboren und in Bad Homburg aufgewachsen. Nach ihrem Design-Studium in Wiesbaden arbeitete sie in einer Werbe- und PR-Agentur in Frankfurt. Nachdem sie bei verschiedenen Fachzeitschriften Redakteurin, Ressortleiterin und Chefredakteurin war, entschloss sie sich, Drehbuchautorin zu werden. Inzwischen lebt sie als erfolgreiche Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendbücher mit ihrer Familie in Bremen.

Allyssa Ullrich lebt seit knapp zwei Jahren in Hamburg, studiert Media Management und hat nun ihren zweiten Roman geschrieben. (Verlagsinfo)

_Fazit_

„Last Girl Standing“ von Allyssa und Hortense Ullrich ist eine tolle kleine Lektüre für zwischendurch, wenn man mal Lust auf etwas Humor hat oder sich den Tag ein wenig versüßen möchte. Die Geschichte an sich ist nicht sehr lang und somit gut zu lesen. Ich kann das Buch demnach mit gutem Gewissen weiterempfehlen.

|Taschenbuch: 256 Seiten
ISBN-13: 978-3499216053|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

 

Ullrich, Allyssa / Ullrich, Hortense – Last Girl Standing: Die Wette

_Inhalt_

Freitagabend ist bei Charly und ihren vier Freundinnen immer Mädelsabend. Zu diesem hat Charly die Aufgabe, Salatgurken mitzubringen, die die Mädels für ihre Cocktails brauchen. Da Charly wie immer unpünktlich und vergesslich ist, vergisst sie die Gurken und muss noch einmal zum Supermarkt. Da dieser bereits geschlossen hat, löst Charly versehentlich die Alarmanlage aus und versucht zu flüchten. Gerettet wird sie hierbei von Felix, der sie mit dem Auto abfängt und ihr dabei hilft, Salatgurken zu besorgen. Dass sie sich hierbei Hals über Kopf in ihren fremden Retter verliebt, ist mal wieder typisch. Er gibt ihr seine Handynummer, doch die verliert sie schneller, als ihr lieb ist. Sie möchte ihn unbedingt wiedersehen, aber wie soll das funktionieren, wenn sie gerade mal seinen Vornamen kennt?

Gleichzeitig plant Felix‘ bester Freund Tim sämtliche Vorbereitung für die Wette, die er mit Felix abgeschlossen hat. Ziel ist es, mit drei Frauen gleichzeitig eine Verabredung zu haben, ohne dass es den anderen Frauen auffällt. Doch was die beiden damit auslösen, wird ihnen erst viel zu spät bewusst …

_Eindruck_

„Last Girl Standing: Die Wette“ gehört zur „Junge Erwachsene“-Reihe aus dem Rowohlt-Verlag. Bislang wurde ich mit diesen Büchern immer bestens unterhalten, jedoch kann das Buch hier nicht mithalten. Die Idee, dass zwei junge Männer die Wette abschließen, mit mehreren Frauen gleichzeitig auszugehen, ist alles andere neu. Dadurch wirkt die komplette Geschichte sehr vorhersehbar und ich konnte nur sehr wenige Überraschungen in dieser Geschichte entdecken.

Allerdings muss hier gesagt werden, dass sich die Autorinnen große Mühe gemacht haben, sich von anderen Geschichten zu unterscheiden. Leider ist ihnen dies nicht ganz gelungen, da der Lesespaß sehr getrübt war, da die Charaktere alles andere als überzeugen konnte. Zwar konnte mich die Protagonistin Charly einigermaßen unterhalten und mich in ihren Bann ziehen, aber das war es auch schon, was es Positives über die Charaktere zu sagen gibt. Vor allem Charlys beste Freundin Leonie ist alles andere als eine tolle Protagonistin. Sie ist unsympathisch, oberflächlich, arrogant und eine schlechte Freundin. Wieso die Autorinnen sie als so guten Menschen darstellen, ist mir bis jetzt noch schleierhaft. Auch sonst sind die fünf jungen Frauen keine Gruppe, mit denen man gerne befreundet wäre. Zwar werden diese hier als unzertrennliche Freundinnen beschrieben, aber spürbar ist dies nicht. Vielmehr hatte ich immer wieder das Gefühl, dass es sich bei allen nur um eine Zweckgemeinschaft handelt. Bei mir ist der Funke leider nicht übergesprungen.

Der Schreibstil des Duos konnte mich trotz der Protagonistinnen überzeugen. Allyssa und Hortense Ullrich schreiben die Geschichte mit einer großen Portion Sarkasmus und Humor in salopper Jugendsprache, ohne aufgesetzt zu wirken. Die knapp 260 Seiten lassen sich dadurch flüssig lesen. Jedes Kapitel ist nach einem Cocktail benannt, am Ende des jeweiligen Kapitels findet man das Rezept zu den Cocktails, die man gut nachmachen kann. Diese Idee ist ein ganz klarer Pluspunkt.

Die Covergestaltung ist schlicht und bildet eine Frau ab, die auf einer Couch steht. Die knalligen Farben passen gut zu dem Kleid und geben ein tolles Gesamtbild ab.

_Fazit:_

Obwohl die Handlung alles andere als neu ist, hat das Autoren-Duo das Beste aus der Geschichte herausgeholt, konnte mich allerdings nicht ganz überzeugen. Fans von typischen Chick-Lit-Büchern werden allerdings ihre wahre Freude an diesem Buch haben.

|Taschenbuch: 256 Seiten
ISBN-13: 978-3499216053|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de/

_Sabrina Reithmacher_

Laura Brodie – Ich weiß, du bist hier

Inhalt

Sarahs Mann David ist bei einem Kajakunfall ums Leben gekommen. Bislang hat man seine Leiche allerdings nicht gefunden, nur das Boot und ein paar Sachen von ihm. Somit schöpft Sarah immer noch Hoffnung, dass David doch noch lebt. Und als sie ausnahmsweise in einem etwas weiter weg gelegenen Supermarkt einkauft, steht sie ihrem verschollenen Ehemann gegenüber. So plötzlich, wie er da war, ist er auch schon wieder weg. Sarah ist verwirrt. Hat sie sich das alles nur eingebildet? Wenig später klopft der „verschwundene Ehemann“ aber an ihre Tür und sie lässt ihn rein, um sich eine unglaubliche Geschichte anzuhören …

Kritik

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McQueen, Holly – Sie dürfen die Torte jetzt küssen

_Inhalt_

Isabel arbeitet bei der angesehenen Hochzeitsplanerin Pippa Everitt in London als Assistentin. Eigentlich hatte sie sich von der Anstellung bei Pippa erhofft, selbst etliche Erfahrungen in der Hochzeitsplanung sammeln zu können. Stattdessen darf sie aber nur Hilfsarbeiten leisten. Als ihr dann auch noch ein Malheur passiert, so dass sie am Tag der Trauung zwei Bräute in die falsche Kirche schickt, wird sie gefeuert. Sie lässt sich dadurch nicht unterkriegen und macht sich selbstständig. Und prompt erhält sie ihren ersten Auftrag: eine Promi-Hochzeit.

Isabels eigene Hochzeit steht allerdings noch in den Sternen. Als sie aber eines Tages einen hübschen Ring in der Wohnung ihres Freundes Will findet, denkt sie, er möchte ihr einen Antrag machen. Doch leider ist dies wohl nicht der Fall, denn sie entdeckt den Ring kurze Zeit später am Finger ihrer besten Freundin Lara. Was hat der Ring denn da zu suchen?

_Kritik_

„Sie dürfen die Torte jetzt küssen“ von Holly McQueen wird von der Protagonistin selbst erzählt. Die Sätze sind nicht zu lang und gut verständlich. So wird das Lesen zu einem Vergnügen. Manche Kapitel waren mir etwas zu lang, andere sind wieder etwas kurz geraten. Dennoch hält sich durchweg eine gewisse Spannung, so dass man immer wieder gerne zum Buch greift, um weiterzulesen. Die Entwicklung der Story ist nachvollziehbar und anschaulich geschildert.

Die Protagonistin Isabel ist mir, auch aufgrund ihrer kleinen Fehler, die im Laufe des Buches deutlich werden, sehr sympathisch. Es macht Spaß, ihre Geschichte zu verfolgen. Als sie aufgrund ihres Missgeschicks bei Pippa gefeuert wird, ist das der Anfang eines neuen Lebensabschnitts für sie. Endlich nimmt sie allen Mut zusammen und macht sich selbstständig. Sie kann ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und muss nicht nur die Hilfsarbeiten für ihre Chefin erledigen. Allerdings ergattert sie die zu planende „Promi-Hochzeit“ nur, weil sie ein wenig schwindelt und sich noch als Angestellte von Pippa Everitt ausgibt. Es ist schon ein wenig spannend, zu gucken, ob und wie lange sie die Lüge aufrechterhalten kann.

Im Laufe der Geschichte tut Isabel dem Leser dennoch etwas leid. Denn sie wünscht sich selbst auch so gerne eine Hochzeit, und als sie den Ring bei ihrem Freund findet, ist sie überglücklich. Als sie dann aber den Ring am Finger ihrer besten Freundin entdeckt, ist sie verwirrt. Außerdem redet ihr Freund Will momentan nur von einem Bausparvertrag und lässt mit einigen Anmerkungen durchblicken, dass er kein Interesse an einer Hochzeit oder aber an Kindern hat. Ich finde, dass auch dieser Teil der Erzählung interessant dargestellt ist. Erst nach und nach werden die Verwirrungen, die Isabel derzeit umgeben, aufgelöst.

_Autor_

Holly McQueen wollte Schriftstellerin werden, seit sie herausfand, dass ihr die Nonnen in der Schule die Matheaufgaben erließen, wenn sie stattdessen eine Geschichte schrieb. Nach unvorhergesehenen Umwegen über Jura, Journalismus und das Musiktheater schrieb sie die Romane „Mein glamouröses Doppelleben“ (rororo 24793) und „Schwindelfrei“ (rororo 25373). Mit ihrem Ehemann lebt Holly McQueen heute in London. Der Mathematik geht sie immer noch aus dem Weg.

_Fazit_

„Sie dürfen die Torte jetzt küssen“ von Holly McQueen ist ein turbulenter und auch humorvoller Roman, den man gelesen haben sollte. Das Buch ist durchweg leicht und flüssig zu lesen. Besonders gelungen finde ich die häufig zum Ende der Kapitel abgedruckten und lustigen Briefe, die Isabel an verschiedene Leute schreibt.
Ich kann das Buch nur empfehlen.

|Taschenbuch: 560 Seiten
Originaltitel: Confetti Confidential
Übersetzt aus dem Englischen von Isabel Lorenz und Claudia Preuschoft
ISBN-13: 978-3499256592|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

_Nadine Stifft_

Scotch, Allison Winn – Was im Leben zählt

_Inhalt_

Tilly wohnt mit ihrem Mann Tyler in der Kleinstadt Westlake, USA. Mit Tyler ist sie schon seit der Schulzeit zusammen und inzwischen glücklich verheiratet. Sie hat ihren Traumjob als Lehrerin auf der Westlake High School und ist voll mit der Planung der nächsten Prom-Night beschäftigt. Alles ist bestens, bis sie ihrer ehemaligen Freundin Ashley begegnet, die als Wahrsagerin durch verschiedene Städte bummelt. Nach diesem Treffen fühlt sich Tilly irgendwie komisch und bricht später zusammen. In der Bewusstlosigkeit hat sie die Vision, dass ihr Vater betrunken gegen einen Baum fährt. Als wenig später dann ein Anruf aus dem Krankenhaus erfolgt, der genau das mitteilt, wird sie stutzig, denkt aber erst mal an einen Zufall. Aber eine weitere Vision folgt, die zeigt, dass Tyler seine Sachen packt und geht. Tilly bekommt Angst. Kann sie etwa doch in die Zukunft schauen? Und wenn ja, kann sie die Zukunft noch ändern?

_Kritik_

Bei dem Roman „Was im Leben zählt“ von Allison Winn Scotch plätschern die ersten Seiten etwas lieblos dahin. Erst passiert nichts wirklich Aufregendes. Die Ich-Erzählerin beschreibt ein wenig ihr momentanes Leben, wie schön es ist, wie wohl sie sich fühlt und wie sie die Prom-Night der Westlake High School plant. Man bekommt so generell erst mal einen positiven Eindruck über ihr Leben.

Nachdem Tilly aber ihre alte Schulfreundin Ashley getroffen hat, mit der sie jahrelang nichts zu tun hatte, wendet sich das Blatt. Es scheint doch nicht alles so toll zu sein, wie sie berichtet. Es kommt Schwung und Leben in die Geschichte, die Figuren nehmen Formen an. Ihre Mutter starb bereits, als Tilly noch ein Kind war, der Vater wurde danach alkoholabhängig und ihre kleine Schwester machte nur Probleme.

Man stellt nun fest, dass Tilly etliche Dinge verdrängt hat, die sie belastet haben. Erst als die Visionen auftreten, muss sie sich diesen wieder stellen. Auch scheint ihr Mann Tyler nicht so glücklich in der Kleinstadt zu sein, wie sie immer dachte. Er hat einen Traum, den er nun verwirklichen könnte, und lässt Tilly deswegen rücksichtslos hängen. Nun steht sie alleine da.

Nun erlebt man eine wirklich starke und sympathische Protagonistin, die versucht, dass Verlassensein irgendwie zu überwinden und sich ein eigenständiges Leben aufzubauen. Man fühlt in einigen Momenten wirklich mit ihr und wird hinein gesogen in die emotionale Szenerie. Zum Glück hat Tilly ihre beste Freundin und auch ihre Schwester, die sie in der schweren Zeit unterstützen.

Auch einige andere Charaktere, wie z. B. der Vater oder aber die beste Freundin der Protagonistin werden anschaulich dargestellt. Selbst über die Wahrsagerin Ashley erfährt man einiges, sodass sich später viele Dinge schlüssig zusammenfügen und man gespannt ist, wie die Geschichte sich entwickelt.

_Autor_

Allison Winn Scotch wurde 1973 in Charlottesville, Virginia, geboren. Sie arbeitet als Journalistin für diverse Zeitungen, Magazine und Websites. Mit dem berühmten Roman „Heute und ein Leben lang“ (rororo 24778) landete sie auf Anhieb einen Bestseller. Auch ihr zweiter Roman „Gestern fängt das Leben an“ (rororo 25223) schaffte es auf die Bestsellerliste der New York Times. Allison Winn Scotch lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in New York. (Quelle: Verlagsinfo)

_Fazit_

„Was im Leben zählt“ von Allison Winn Scotch ist eine locker und leichte Sommerlektüre. Die Sätze sind einigermaßen kurz gehalten und die Kapitel nicht allzu lang. Nach einem etwas langweiligen Beginn der Geschichte entfaltet sich im Laufe des Buches doch noch eine spannende Story. Ich war außerdem wirklich fasziniert von der toughen Protagonistin, die gegen die Hürden ihres Lebens ankämpft, um wieder glücklich zu werden. Auch war ich überrascht von dem Ende. Damit hätte ich nicht gerechnet. Alles in allem kann ich das Buch nur empfehlen.

|Taschenbuch: 329 Seiten
Originaltitel: The One That I Want
ISBN-13: 978-3499255922|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

_Nadine Stifft_

Kuipers, Alice – Vor meinen Augen

_Inhalt_

Seit dem schrecklichen Tag, der ihr Leben verändert hat, ist auch Sophie nicht mehr dieselbe. Sie ist schüchtern und zurückhaltend, bekommt Panikattacken und ist lieber für sich allein. Auch die Menschen, die ihr nahe stehen, wissen nicht, wie sie sich Sophie gegenüber verhalten sollen. Ihre beste Freundin Abi interessiert sich momentan sowieso nur noch für Partys und Jungs. Davon hält Sophie eigentlich gerade eher wenig. Sie trifft sich lieber mit der neuen Klassenkameradin Rosa-Leigh, die Gedichte schreibt. Vielleicht hat sie in Rosa-Leigh eine Freundin gefunden, mit der sie über die furchtbaren Dinge, die ihr widerfahren sind, reden kann?

_Kritik_

„Vor meinen Augen“ von Alice Kuipers ist als Tagebuch aufgebaut und wird durch die Protagonistin selbst erzählt. Die Erzählung beginnt erst ca. ein halbes Jahr nach dem einen „schrecklichen Ereignis“. Sophie beschreibt ihre eigenen Emotionen, ihr komisches Verhältnis zu ihrer Mutter und die angespannte Situation zu ihrer eigentlich besten Freundin Abi.

Der Leser wird sehr lange über den „furchtbaren Tag“ im Dunkeln gelassen, wodurch die Spannung an sich eine Weile hochgehalten wird. Aber je mehr Seiten vergehen, in denen man nicht erfährt, was geschehen ist, desto mehr strengt das Lesen an. Nach einer Weile war ich sogar etwas genervt, dass so viel „drum herum“ beschrieben wird und man nicht auf den Punkt kommt. Manchmal war ich geneigt, das Buch beiseitezulegen.

Als dann endlich das Aha-Erlebnis kam, war ich recht enttäuscht, da der „schreckliche Tag“ meines Erachtens nach aufgrund der vorher aufgebauten Erwartung zu kurz beschrieben wurde. Danach verpuffte die Spannung natürlich zusehends und die letzten Seiten dümpeln noch so vor sich hin.

_Autor_

Alice Kuipers wurde 1979 in London geboren, studierte in Manchester und lebt heute in Saskatoon in Kanada. Sie hat Kurzgeschichten in Literaturzeitschriften und als Radioproduktionen veröffentlicht. Ihr erster Roman „Sehen wir und morgen?“ erschien in 29 Ländern, wurde mehrfach ausgezeichnet und zu einem internationalen Bestseller. (Verlagsinfo)

_Fazit_

Generell ist es kein schlechtes Buch. Man sollte natürlich den Hintergrund des Buches, die Terroranschläge, nicht außer Acht lassen. Dies ist ein wichtiges Thema. Doch das Buch schleppt sich etwas schwerfällig dahin. Wie bereits geschrieben, ist ein Teil der Geschichte spannend, dennoch bin ich der Meinung, dass man den Leser nicht so lange auf die Pointe der Story warten lassen müsste. Oder man hätte zwischendurch ein paar Anhaltspunkte mehr geben können, sodass die Fantasie des Lesers etwas mehr angekurbelt wird. Für mich ist es kein Buch, das ich noch mal lesen müsste.

|Gebundene Ausgabe: 220 Seiten
Originaltitel: Lost of Words
ISBN-13: 978-3-8414-2121-0|
[www.fischerverlage.de]http://www.fischerverlage.de

_Nadine Stifft_

Heather Gudenkauf – Das Flüstern der Stille

Die siebenjährige Calli und ihre beste Freundin Petra sind eines Morgens aus ihren Betten verschwunden. Calli ist ein süßes und verträumtes Mädchen, das seit seinem vierten Lebensjahr nicht mehr spricht. Petra ist ihre Seelenverwandte. Sie versteht Calli ohne Worte und ist so zu Callis Stimme geworden.

Petras Vater Martin stellt am frühen Morgen fest, dass seine Tochter Petra nicht mehr in ihrem Bett ist, auch die Suche im Haus verläuft ergebnislos. Petras Eltern beschließen Deputy Sheriff Louis einzuschalten, schließlich wurde vor nicht allzu langer Zeit in dem stillen Ort ein kleines Mädchen misshandelt und tot aufgefunden worden.

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Ingemarsson, Kajsa – große Glück kommt nie allein, Das

_Inhalt_

Bei der Schriftstellerin Stella Friberg läuft momentan alles gut: Sie ist erfolgreich und schreibt an ihrem zehnten Buch, sie hat eine neue Eigentumswohnung, genug Geld und eine intakte Beziehung. Sie überlegt sogar, den nächsten Schritt zu wagen und mit ihrem Lebensgefährten Frederik in eine Wohnung zu ziehen. Gerade als Stella ihm diese freudige Nachricht überbringen möchte, erwischt sie ihn beim Sex mit jemand anderem. Ihre so kleine perfekte Welt bricht zusammen. Sie verschanzt sich tagelang zu Hause, bringt keinen einzigen Satz aufs Papier und zu allem Überfluss gibt es nun auch noch einen Wasserschaden in ihrer Wohnung.

Leider sind alle Handwerker in der nächsten Zeit nicht abkömmlich, sodass sie die Hoffnung auf eine schnelle Reparatur des Schadens schon fast aufgibt. Lediglich ein Handwerker kann direkt am nächsten Tag vorbeikommen, um sich das Dilemma anzuschauen, da ihm gerade ein Kunde abgesprungen ist.

Johnny ist nicht gerade der Typ Mann, den Stella sich als Handwerker vorgestellt hat: kaum älter als Mitte zwanzig, glatzköpfig und mit Goldohrringen. Als er ihr dann noch verkündet, dass er ihr neu gefliestes Badezimmer wahrscheinlich komplett aufreißen muss, ist sie der Verzweiflung nahe.

Doch Johnny ist nicht nur handwerklich begabt, sondern auch einfühlsam und hilft Stella in den nächsten Wochen auf seine ganz eigene Art und Weise wieder auf die Beine …

_Kritik_

„Das große Glück kommt nie allein“ von Kajsa Ingemarsson ist eine Liebesgeschichte, die man gelesen haben sollte. Sie ist aus der Sicht eines Beobachters geschrieben. Die Sätze sind meist kurz und leicht zu lesen, die Entwicklung der Geschichte ist nachvollziehbar und die Charaktere sind schlüssig miteinander verknüpft.

Da die Protagonistin in diesem Buch eine Schriftstellerin ist, wurden Passagen aus dem von ihr geschriebenen Werk mit in das Buch eingebunden, sodass sich eine kleine Geschichte in der Geschichte ergibt. Dies finde ich nicht besonders gelungen, da sich erstmal kein wirklicher Zusammenhang zwischen den beiden Erzählungen erschließt. Die Ausschnitte des von Stella geschriebenen Buches sind meines Erachtens manchmal etwas zu lang gezogen und reißen den Leser aus der eigentlichen Handlung heraus.

Dennoch wird die Spannung durch einige gut gewählte Kapitelenden hochgehalten, sodass man das Buch kaum zur Seite legen kann.

_Autorin_

Kajsa Ingemarsson hat 2002 ihren ersten Roman veröffentlicht. Zuvor hat sie als Übersetzerin und Radiomoderatorin gearbeitet. Ihre Bücher erscheinen regelmäßig auf den Bestsellerlisten und werden von der Kritik sehr gelobt. Die Autorin lebt mit Mann und zwei Töchtern südlich von Stockholm. (Quelle: Wikipedia)

_Fazit_

„Das große Glück kommt nie allein“ von Kajsa Ingemarsson ist ein äußerst gelungener Roman, der viele Frauenherzen erobern wird. Durch die zwei sympathischen Protagonisten Stella und Johnny und die gelungene und detaillierte Beschreibung der sich entwickelnden Gefühle füreinander ist es eine leicht zu lesende und fesselnde Lektüre. Da kann man über die eingeschobenen Passagen des von der Protagonistin geschriebenen Romans locker hinwegsehen. Ich kann dieses Buch nur empfehlen.

|Taschenbuch: 576 Seiten
Originaltitel: Bara vanligt vatten
ISBN-13: 978-3596185887|
[www.fischerverlage.de]http://www.fischerverlage.de

_Nadine Stifft_

Evanovich, Janet – Kuss mit Soße (Stephanie Plum 15)

_|Stephanie Plum|_

Band 01: „Einmal ist keinmal“
Band 02: „Zweimal ist einmal zu viel“
Band 03: „Eins, zwei, drei und du bist frei“
Band 04: „Aller guten Dinge sind vier“
Band 05: „Vier Morde und ein Hochzeitsfest“
Band 06: „Tödliche Versuchung“
Band 07: „Mitten ins Herz“
Band 08: „Heiße Beute“
Band 09: Reine Glückssache“
Band 10: „Kusswechsel“
Band 11: „Die Chaos-Queen“
Band 12: „Kalt erwischt“
Band 13: „Ein echter Schatz“
Band 14: „Kuss mit lustig“
Band 15: _“Kuss mit Soße“_

Stephanie Plum kennt das Rezept für Desaster nur zu gut: Man nehme einen Mord an einem bekannten Fernsehkoch, dazu ihre exzentrische Kollegin Lula als Zeugin und ein Preisgeld von einer Million Dollar für jeden Hinweis auf den Mörder. Einmal umrühren und fertig ist das Chaos! Aber Stephanie behält einen kühlen Kopf, obwohl sie zusätzlich zu ihrem Job als Verbrecherjägerin noch eine Nebenbeschäftigung in der Sicherheitsfirma ihres attraktiven Kollegen Ranger angenommen hat. Jemand scheint dort vertrauliche Daten zu entwenden, um dann bei Klienten einbrechen zu können. Stephanie soll sich nun unauffällig bei Rangers Mitarbeitern umhören und die Sicherheitslücke finden. Mord zum Frühstück und Spione zum Dessert – Stephanie ist in ihrem Element! (Verlagsinfo)

_Meine Meinung_

Janet Evanovich hat mal wieder ihr Talent fürs Komische unter Beweis gestellt. Dieser Band der Serie ist einer der lustigsten, die ich je gelesen habe.

Stephanie Plum ist mal wieder da, um ihrer Freundin Lula und ihrem Immer-mal-wieder-Kuschelfreund Ranger zu helfen. Lula sieht eines Abends den Mord an einem bekannten Fernsehkoch, danach sind die Killer hinter ihr her. Dabei wird viel gebraten, gekocht und gegrillt, jedenfalls wirds versucht. Dass auch noch ein Mann dabei ist, der lieber in Frauenkleidern rumläuft, ist dabei noch so eine lustige Nebensache.

Rangers Geschichte ist dagegen schon viel komplizierter. Da versucht jemand, seine Firma und seinen guten Ruf zu vernichten, und da bittet er gerade Stephanie um Hilfe. Natürlich stellt er ihr wieder Autos zur Verfügung. Und alle, die die Serie schon kennen, werden ahnen, was mit ihnen passiert. Natürlich knisterst es ordentlich zwischen den beiden, sodass man meinen könnte das Buch stünde in Flammen, aber Frau Evanovich lässt sich immer wieder lustige Szenen einfallen, wie Stephanie sich herauswinden kann.

Natürlich ist auch Morelli wieder dabei, wenn auch nur in wenigen Szenen. Stephanies Familie darf sich auch wieder im Buch beweisen.

_Fazit_

Ein absolutes Muss für alle Janet-Evanovich- und „Stephanie Plum“-Fans. Von 5 Sternen bekommt dieses Buch 4,5.

|Broschiert: 316 Seiten
Orginaltitel: Finger Lickin‘ Fifteen
Ins Deutsche übertragen von Thomas Stegers
ISBN-13: 978-3442546688|
[www.randomhouse.de/manhattan]http://www.randomhouse.de/manhattan/index.jsp
[www. janetevanovich.de]http://www.janetevanovich.de

_Annika Nett_

Mosse, Kate – Wintergeister

_Das geschieht:_

Frederick Watson ist ein unglücklicher Mann, als er im Dezember 1928 eine einsame Autofahrt durch das winterliche Südfrankreich unternimmt. Seit sein geliebter Bruder zwölf Jahre zuvor im Ersten Weltkrieg fiel, leidet er an Depressionen. Die Reise soll ihn auf andere Gedanken bringen, was nur bedingt funktioniert, bis Watson aufgrund eines Schneesturms in der Berglandschaft der Pyrenäen liegen bleibt.

Auf der Suche nach Hilfe kommt er in das Bergdorf Nulle, das außerhalb der Feriensaison in einen Winterschlaf gefallen ist. Watson wird einige Tage auf die Reparatur seines Autos warten müssen. Die freundliche Wirtin der kleinen Pension, in der er unterkommt, lädt Watson ein, an der „féte de Saint-Étienne“ teilzunehmen: Verkleidet erinnern die Bürger von Nulle an die bewegte Vergangenheit ihres Dorfes, das u. a. im Mittelalter den letzten Katharern Unterschlupf auf der Flucht vor den Häschern der katholischen Inquisition bot.

Da Watson sich langweilt, sagt er zu. In der Nacht verirrt er sich im Gewirr der Straßen und gerät in eine Gesellschaft, die er irrtümlich für die Feiernden der „féte“ hält. Watson unterhält sich gut und lernt die schöne Fabrissa kennen, in die er sich augenblicklich verliebt. Das Gefühl wird womöglich erwidert, doch bevor man sich näherkommen kann, dringen altertümlich gewandete Soldaten in den Festsaal ein. Ein Massaker beginnt, dem nur Watson und Fabrissa entkommen.

Kurz darauf verschwindet die junge Frau spurlos. Am nächsten Morgen will niemand von ihr oder dem Überfall wissen. Man hält Watson für geistig verwirrt, während dieser entschlossen das Dorf und seine Umgebung abzusuchen beginnt, um das Rätsel zu lösen und vor allem Fabrissa zu finden …

_Ist die Geschichte ein Fluss?_

Falls dieses bekannte Bild zutrifft, könnte es womöglich so präzisiert werden: Ein Fluss im Naturzustand strömt durchaus nicht geradlinig durch die Landschaft. Er dreht und windet sich, und nicht selten findet man sich flussabwärts der Quelle näher als der Mündung: Der Fluss hat seine Richtung geändert.

Kate Mosse geht davon aus, dass die Zeit ähnlich ungeordnet abläuft. Nicht räumliche Nähe, sondern emotionale Ausnahmezustände lassen die Entfernung zwischen Vergangenheit und Gegenwart schrumpfen, die Grenzen dünn oder sogar durchlässig werden. Damit schreibt die Autorin dem menschlichen Geist eine Kraft zu, die von der Wissenschaft geleugnet wird, während einfallsreiche Schriftsteller sich von dieser ebenso romantischen wie unheimlichen Vorstellung inspirieren ließen und lassen.

Mosse entscheidet sich, die Handlung als klassische Geistergeschichte zu erzählen. Sie wandelt auf den Spuren großer Vorbilder, die sie erwähnt, als sie Frederick Watson in einem Antiquariat auf Bücher von M. R. James und Algernon Blackwood stoßen lässt. Vor allem Blackwood hat immer wieder unternehmungslustige Engländer in abgeschiedene Regionen Europas geschickt und sie dort in gespenstische Umtriebe verwickelt.

|An Englishman in Old France|

Ebenfalls klassisch ist das Motiv: Sein Arzt hat Watson auf den Kontinent geschickt, der offensichtlich bessere Luft oder Kost bieten kann als die britischen Inseln. Unsere Geschichte ereignet sich 1928 (mit einer Rahmenhandlung, die fünf Jahre später spielt), als Europa noch reich an Orten war, die von der Zeit offenbar vergessen waren und ein sowohl anheimelnd altmodisches als auch latent bedrohliches Ambiente boten: Hinter traulichen Kulissen verbirgt sich das Böse besonders gern.

Selbstverständlich bildet Nulle keine Ausnahme. Mit ihrem vor allem in der ersten Buchhälfte ausgeprägten Sinn für Beschreibungen und Stimmungen beschwört Mosse eine Pyrenäen-Welt herauf, in der es quasi spuken muss. Wie es sich für eine zünftige Geistergeschichte gehört, beschränkt sich die Verfasserin zunächst auf Andeutungen. Lange fragen sich Watson und der Leser, ob die seltsamen Geräusche und Schatten, die stets ein wenig außerhalb des Gesichtsfeldes ertönen und tanzen, nur Einbildungen eines ohnehin unter Hirnstress leidenden Mannes sind.

Diese Ambivalenz wird durch die Unsicherheit der Hauptfigur unterstrichen, die als Fremder und Ausländer in eine isolierte und verschworene Dorfgemeinschaft quasi eindringt. Watson spricht die Sprache schlecht, die einheimischen Sitten und Gebräuche sind ihm unbekannt. Dies erschwert es ihm zusätzlich zu begreifen, wo Reales in Einbildung übergeht. Immerhin ermöglicht der Ausnahmestatus Watson, die eigentümliche Atmosphäre ewiger Trauer zu erfassen, die über Nulle hängt.

|Gewalt ist schrecklich zeitlos|

Auf eine gewisse Weise ist Nulle verflucht. Die Einwohner erkennen jedoch den Grund nicht. Mosse lässt ihre Geschichte 1928 spielen. Nur zwölf Jahre zuvor endete der „Große Krieg“, dessen Westfront sich vom Ärmelkanal bis zur Schweizer Grenze viele Kilometer durch Frankreich zog. In erbitterten Grabenkämpfen ließen die jungen Männer aller verbündeten und verfeindeten Nationen ihr Leben; ihre Zahl ging in die Millionen. Kaum eine Familie blieb verschont, sodass zu den an der Front Gefallenen ihre trauernden Hinterbliebenen kamen. Der Schock war tief, und die Erinnerungen blieben – auch in Nulle – quälend lebendig.

Frederick Watson war zu jung für die Front. Gezeichnet wurde er vom Krieg trotzdem; der Bruder starb, die Eltern kamen nicht über den Verlust hinweg. Die Zeche zahlte der überlebende und sich dafür schuldig fühlende Sohn, der schließlich zusammenbrach. Daraus resultiert eine psychische Verfassung, die beispielhaft für zahlreiche ‚kriegsneurotische‘ Zeitgenossen war.

Mosse investiert viel Mühe in den Versuch, ihren Lesern diese Tatsache nicht nur mitzuteilen, sondern unmissverständlich zu machen. Sie benötigt diese Erkenntnis, damit sie den Bogen zu einem weiteren schrecklichen Krieg schlagen kann, der ebenfalls vor allem sinnlose Opfer forderte. Die Parallele wirkt bemüht, weil Mosse vor allem das dramatische bzw. tragische Element der „Wintergeister“-Ereignisse hervorheben möchte. Tatsächlich ist sie unnötig und in ihrem aufdringlichen Moralisieren kontraproduktiv, denn es nimmt dem historischen Handlungsteil von „Wintergeister“ viel von seiner Eindringlichkeit. Eine Schilderung jener Vergangenheit, die sich auf Fabrissa und ihre unglücklichen Leidensgefährten konzentriert, wäre zweckdienlicher.

|Memento Mori einmal anders|

Vor dem Hintergrund des Œuvres der Kate Mosse wirkt „Wintergeister“ wie ein Nebenprodukt. Parallele Ereignisse in der südfranzösischen Vergangenheit und Gegenwart dramatisierte sie bereits in ihrer „Languedoc“-Serie (seit 2005), die auch in Deutschland veröffentlicht wird. Der Roman „Wintergeister“ basiert auf der Novelle „The Cave“, die Mosse ebenfalls 2009 veröffentlichte und den Engländer Freddie Smith ins Zentrum von Ereignissen stellt, die Frederick Watson sehr vertraut dünken würden …

Lässt man diese überflüssig anmutende Doppelung beiseite, beeindruckt „Wintergeister“ in erster Linie stilistisch. Der Plot fällt dagegen ab; er wirkt melodramatisch, sogar abgedroschen. Mosses Faszination für die Kultur der katharischen „Ketzer“ und ihr bitteres, historisch belegtes und Generationen von Schriftstellern inspirierendes Schicksal ist verständlich, aber sie überfrachtet die Geschichte mit ihren Reflexionen und Grübeleien über Trauer, Schuld & Erlösung, denen sie eine Lovestory aufpfropft, die sich nicht aus dem Geschehen entwickelt, sondern von der Autorin behauptet wird. Faktisch gibt der Plot einen Roman – und sei er auch recht kurzgefasst – einfach nicht her; eine Erkenntnis, die den von Mosse genannten Grusel-Meistern James und Blackwood sehr wohl bekannt war.

In der Kürze liegt manchmal in der Tat die Würze. Wer sich für (winterliche) Stimmung begeistern und Klischees ignorieren kann, wird die „Wintergeister“ dennoch spannend finden und sogar angerührt sein. Mosse arbeitet mit bekannten und bewährten Modulen, aber darin legt sie eine Routine an den Tag, dem bereits ein beachtlicher Unterhaltungswert innewohnt.

_Autorin_

Nachdem Kate Mosse, geboren am 20. Oktober 1961 in der englischen Grafschaft Sussex, Anfang der 1990er Jahre zwei Sachbücher veröffentlicht hatte, debütierte sie 1996 mit dem Roman „Eskimo Kissing“, dem sie zwei Jahre später den Zeitreise-Thriller „Cruzifix Lane“ folgen ließ.

2005 erschien „Labyrinth“ (dt. „Das verlorene Labyrinth“), ein Roman, an dem Mosse nach eigener Auskunft zehn Jahre gearbeitet hatte. Er beschreibt auf zwei Handlungsebenen die Abenteuer der im südfranzösischen Languedoc arbeitenden Archäologin Alice Tanner, deren Existenz durch ein geheimnisvolles Buch gefährlichen Inhaltes mit dem Leben der jungen Alais verknüpft wird, die es acht Jahrhunderte zuvor hütete. „Labyrinth“ wurde in seiner gefälligen Mischung aus (gut recherchierter) Historie, Mystery und dramatischem Frauenschicksal weltweit zu einem Bestseller, der 2007 fortgesetzt und 2011 zur „Languedoc“-Trilogie ausgebaut wurde.

Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit stellt Mosse für die BBC und in einer eigenen Fernsehsendung Schriftsteller und ihre Werke vor. Sie schreibt Kolumnen und Artikel für diverse Magazine und Zeitungen. 1996 wurde Mosse Mitbegründerin des „Orange Broadband Prize for Fiction“, der jährlich für den besten in englischer Sprache von einer Frau geschriebenen Roman ausgeschrieben wird.

Mit ihrem Gatten Greg rief Kate Mosse in ihrem Heimatort 2007 das Chichester Writing Festival in West Sussex ins Leben. Beide lehren kreatives Schreiben am ebenfalls nahe Chichester gelegenen West Dean College. Wenn das umtriebige Paar nicht in Chichester aktiv ist, lebt und arbeitet es in seinem Haus im französischen Carcassonne.

|Gebundenes Buch: 221 Seiten
Originaltitel: The Winter Ghosts (London : Orion 2009)
Übersetzung: Ulrike Wasel u. Klaus Timmermann
ISBN-13: 978-3-426-19890-2|
[www.droemer.de]http://www.droemer.de
[www.katemosse.com]http://www.katemosse.com

_Kate Mosse bei |Buchwurm.info|:_
[„Das verlorene Labyrinth“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1650]
[„Das verlorene Labyrinth“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1976

McCarthy, Cormac – Kein Land für alte Männer

Man darf sich natürlich fragen, ob der in Amerika längst zu den prominentesten Bestseller-Autoren zählende Cormac McCarthy hierzulande so markant hätte Fuß fassen können, hätten sich die renommierten Coen-Brüder sich nicht seines vielleicht stärksten Buches angenommen und für ihren Streifen 2008 mehrere Oscars eingeheimst. Insgesamt vier der beliebten Trophäen behielt der Film für sich, darunter auch diejenige für das beste adaptierte Drehbuch – ein Verdienst, der in erster Linie McCarthy zuzuschreiben ist, dessen pessimistische, ja fast schon völlig verzweifelte moderne Western-Story geradezu danach geschrien hat, auf die Leinwand gebracht zu werden. Wie so viele potenzielle Leser, hat auch der Rezensent sich erst mit dem Kinofilm beschäftigt und posthum den zugehörigen Roman gelesen. Macht dies überhaupt Sinn, mag man sich da fragen. Doch die unglaublich dichte Atmosphäre und dieser verträumt-abwesende, hoffnungslose Weltblick, den McCarthy hier über sein Medium, den Sherriff, nach außen trägt, beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja.

_Story:_

Eigentlich müsste Llewlyn Moss der glücklichste Mann der Welt sein; eher zufällig entdeckt er mitten in der Wüste einen Koffer, in dem sich ganze 2,4 Millionen US-Dollar verbergen. Doch der Anschein täuscht, denn in der Umgebung jenes Koffers befinden sich neun Leichen, eine zerstörte Heroin-Ladung, mehrere von Kugeln durchsiebte Wagen und eine Blutspur ins Nirgendwo. Dennoch beschließt Moss den Koffer an sich zu nehmen und das Risiko einzugehen, plötzlich zwischen die Fronten eines Drogenkrieges zu geraten. Als ihm die Gefahr bewusst wird, kehrt er zum Schauplatz des Verbrechens zurück, um seine Spuren zu verwischen – ein Fehler, denn vor Ort wartet bereits der skrupellose Killer Anton Chigurh, der sofort nach Moss‘ Leben trachtet und fortan alles daran setzt, den unbeteiligten Nutznießer um die Ecke zu bringen. Mit letzter Kraft gelingt Moss die erneute Flucht. Doch von nun an ist er an keinem Ort mehr sicher; nicht nur Chigurh schwört Rache, sondern auch die am gescheiterten Deal beteiligten Oberhäupter der Drogenmafia geben keine Ruhe mehr, bis Moss endgültig der Lebensatem ausgehaucht wird. Sheriff Bell, der seit Längerem mit der Verbrechensrate in seiner Provinz überfordert ist, beschreibt schließlich, wie sich das Leben im Wilden Westen verändert hat – und wie die Gewalt in der Nähe zur mexikanischen grenze ein Maß angenommen hat, welches jeglichen menschlichen Charakterzug aus den Augen verliert.

_Persönlicher Eindruck:_

Grundsätzlich ist „Kein Land für alte Männer“ ein sehr verstörendes Werk, da es sich immer wieder freizügig über die Grenzen der Genres hinwegsetzt, welchen es rein inhaltlich prinzipiell angehören könnte, darüber hinaus aber auch mit so vielen Kontrasten die Prioritäten verschiebt, dass man zwischenzeitlich nie so recht weiß, was man nun von McCarthys Geschichte halten mag.

Wie gehabt beginnt alles sehr spektakulär: Hauptakteur Moss macht den Fund seines Lebens und schaufelt sich durch seine zeitweilige Gier sein eigenes Grab. Doch es ist nicht nur dieser spannungsgeladene, selbstsüchtige Trip, den der Protagonist einschlägt, es ist vor allem das Szenario, in welches er hier eintaucht, das schließlich so einprägsam und erschreckend ist. Der Autor beschreibt sehr ausführlich, welche Spuren der Bandenkrieg hinterlassen hat, in den Moss hier unfreiwillig eintaucht. Kleinste Details sind maßgeblich, schaffen somit aber auch diese sehr spezielle Atmosphäre, die auch im Film zu spüren ist, die jedoch an dieser Stelle oftmals noch über die eigene Vorstellungskraft hinausgeht. Insofern ist es sicher schade, dass man immer wieder die Bilder der Kinoproduktion vor Augen hat – denn McCarthy spielt hier sehr deutlich mit den düsteren Fantasien und lässt die Gewalt auf eine zunächst banal-oberflächlich anmutende Art und Weise, dann aber mit eben jenen verstörenden Ambitionen aufflammen, die sich im Laufe des Buches immer wieder zu Wort melden.

Insofern hat der Autor von der ersten Seite an die Zügel fest in der Hand und eröffnet sich selber das Potenzial, die Story in alle erdenklichen Richtungen zu lenken: Wilde Verfolgungsjagden, brutale Schießereien, ein klassisches Road Movie, ein moderner Western: „Kein Land für alte Männer“ bedient sich sehr gierig in den einzelnen Segmenten, nutzt sie jedoch letzten Endes nur zur Ausschmückung des sehr pessimistischen Dramas, welches schließlich aus der Perspektive des ortsansässigen Sheriffs erzählt wird. Während Moss auf der Flucht die Hölle durchlebt und seine Häscher sich die Action auf sehr aggressive Art und Weise gegenseitig zuspielen, berichtet der prinzipientreue Beamte vom gesellschaftlichen Wandel, von der Macht des Kartells, von den grausamen Verbrechen, die zur Normalität geworden sind und schließlich auch von Unterdrückung, Erpressung und Intrigen, die nicht nur seine Provinz, sondern auf weite Sicht die ganze Menschheit spalten. Es sind philosophische Aspekte, die hier herangezogen werden und die auch sehr konkret zum Nachdenken anregen, auf diesem Weg aber schließlich auch über das hinausgehen, was der Film in seiner eher temporeichen Präsentation offenbaren konnte. Dass die Vorlage und die Adaption deswegen weit auseinanderliegen, bleibt jedoch ein Trugschluss – es ist lediglich so, dass hier noch viel mehr zwischen den Zeilen steht, die generelle Ausrichtung deswegen auch ein wenig auseinanderdriftet und der Tiefgang, jenes letzte Bisschen, hier noch besser herausgearbeitet werden kann, als es im dialogreichen, aber letzten Endes doch etwas stärker auf die Action ausgerichteten Kinostreifen.

Damit wäre die eingangs angeregte Diskussion über die Notwendigkeit, dieses Buch alsn Zusatzlektüre anzuschaffen, ebenfalls geklärt. „Kein Land für alte Männer“ betont zusätzliche Aspekte, legt den Schwerpunkt ein wenig anders und nimmt sich ein wenig mehr Zeit für die Charaktere, vor allem aber für die Person des Sheriffs. Die Wechsel zwischen der Hetzjagd auf Moss und den persönlichen Geschichten von Bell wirken hier noch nachhaltiger und lassen dem Buch daher im direkten Vergleich auch die Nase vorne behalten. Und eine solche Aussage zu einem Streifen zu treffen, der völlig zu Recht vier Oscars einfahren konnte, spricht wohl Bände im Bezug darauf, wie brillant McCarthys literarische Arbeit tatsächlich ist. Denn ganz unabhängig vom Erfolg von „No Country For Old Men“ – diese Geschichte sollte man unbedingt gelesen haben!

|Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Originaltitel: No Country For Old Men
ISBN-13: 978-3498045029|

_Cormac McCarthy bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Straße“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3648
[„Die Abendröte im Westen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4349

Nevo, Eshkol – Wir haben noch das ganze Leben

_Story:_

Alle vier Jahre werden die vier Jugendfreunde Churchill, Amichai Ofir und Juval für eine kurze Zeit fanatisch; in allen schwierigen Lebenssituationen ist es ihnen bis hierhin gelungen, ihre Leidenschaft für den Fußball zu teilen und die Weltmeisterschaften um das begehrte Leder gemeinsam zu verfolgen. Dies ist 1998, zur Zeit des Weltereignisses in Frankreich, nicht anders. Gemeinsam schauen sie in ihrer Tel Aviver Wohnung das Finale und nutzen auf Anraten Amichais die Gelegenheit, ihre persönlichen Ziele und Träume zu notieren, um sie bei der nächsten WM dann auch für alle anderen publik zu machen und zu bewerten.

Jedoch entpuppen sich die hier verankerten Sehnsüchte und Hoffnungen schon bald als Traumschlösser, die mit dem Alltag der Endzwanziger kaum mehr zu vereinbaren ist. Vor allem Juval, der sich sein Familienglück wünscht, muss eine schwere Zeit durchleben, da sich seine Geliebte Jaara eines Tages für seinen besten Freund Churchill entscheidet. Aber auch Ofir, der mit seinem Job in der Werbebranche unzufrieden ist, und Amichai müssen schwere Schicksalsschläge durchleben und verlieren ihre Ziele zwischenzeitlich gänzlich aus den Augen. Es scheint Churchill vorbehalten, sein Glück zu finden und für seine Zielstrebigkeit und Offenheit belohnt zu werden: Doch auch ihn ereilt der Einbruch, zunächst im beruflichen Alltag, dann auch in der Liebe – ganz zur Freude von Juval, der seinem Freund diesen Fehltritt nie wirklich verzeihen konnte. Doch was ist wirklich stärker? Ist es die Freundschaft unter vier gleichgesinnten Männern oder doch die von Missgunst und Leid erfüllten Einstellungen, die sich zwischen jenen beiden Sportereignissen ansammeln? Vier Jahre später bekommt das Quartett schließlich die lang ersehnte Möglichkeit, das Leben der jüngeren Vergangenheit Revue passieren zu lassen …

_Persönlicher Eindruck:_

Eshkol Nevo hat mit seinem aktuellen Roman definitiv etwas Besonderes, irgendwie aber auch Eigenartiges geschaffen. „Wir haben noch das ganze Leben“ ist kein Buch, welches von Spannung, einer nachvollziehbaren Stimmungskurve oder rasanten Wendungen lebt – auch wenn es hier vor allem auf emotionaler Ebene genügend sphärische Wechsel gibt, die hiermit vergleichbar wären. Allerdings hat der Autor völlig andere Ambitionen, eigene Sehnsüchte und Ansprüche an sein Schriftwerk, die viel tiefer gehen als es so mancher beeindruckende Thriller oder Krimi je erreichen könnten.

Nevo taucht ab in die Welt vier gleichaltriger Männer, die so viele Leidenschaften teilen, darunter die des Fußballs, die sie auch in den außergewöhnlichsten Situationen zu einer Zusammenkunft bewegen. Selbst Krankenhausaufenthalte und die Berufung zur Armee haben ihn dies nicht nehmen können und somit einen Fixpunkt geschaffen, an denen sich die Freundschaft als oberflächlicher gemeinsamer Nenner immer klammern kann. Ausgehend hiervon erstellt der Autor das Profil eines jeden einzelnen von ihnen, angefangen beim selbstbewussten, teils auch überheblichen Churchill über den rationalen Ofir bis hin zu Juval und Amichai, die wesentlich sensibler sind, gerade deswegen aber auch zu den schicksalsgeplagten Personen im Rahmen der Handlung avancieren. Und was Nevo aus diesen Charakteren, die an sich so gewöhnlich und bodenständig sind, denen jegliche Extravaganz abgeht, herausholt, ist zunächst beeindruckend, später einzigartig und am Ende einfach nur faszinierend.

Was dieses Buch so einzigartig macht, ist die Art und Weise, wie man mit den vier tragenden Säulen, sprich den Hauptfiguren, umgeht. Sie sind so gewöhnlich, absolut nicht befremdlich, in irgendeiner undefinierbaren Form aber doch unnahbar, da sie mit ihren persönlichen Tiefschlägen leben müssen und Situationen durchleben, die an sich so alltäglich sind, die aber am Ende doch so bewegend und schwierig sind, weil sie dann wieder sehr individuell und einzigartig bleiben. Man kann sich sehr gut in den dominanten Churchill hineinversetzen, dem selbstbewussten, manchmal auch egoistischen Menschen, der seine Ziele vielleicht am deutlichsten vor Augen hat und nicht so viel investieren muss, um diese auch zu erreichen.

Er ist ein fortschrittlicher Typ, oftmals auch verwöhnt und mit dem größten Durchsetzungsvermögen ausgestattet, gerade deswegen aber auch so anfällig für Misserfolge und Rückschläge, sodass seine Entwicklung vielleicht auch am ehesten nachzuvollziehen ist. Dem gegenüber steht der introvertierte Juval, ein von Melancholie und gelegentlichen Selbstzweifeln angetriebener Charakter, der viele positive Grundzüge in sich trägt, mit denen man auch sofort sympathisiert. Und dennoch bleibt er ein bekannter Fremder, eine Romanfigur, mit der man sich anfreundet, deren Leid man teilt, zu dem aber doch eine sehr angenehme Distanz gewahrt wird, die einem nie das besondere Element raubt. Und so kann man auch mit den übrigen Protagonisten fortfahren: Sie wirken vertraut, dies aber nur bis zu einem gewissen Punkt, von dem an man dann auch wieder zu spüren bekommt, dass ihre Persönlichkeit speziell bleibt und vielleicht doch nicht so einfach mit hiesigen Lebenssituationen vergleichbar sind, da so viele Faktoren diese Geschichte bestimmen, die in unserer Gesellschaft heute verloren gegangen sind oder einfach nicht mehr mit mancher, anti-emotionaler Entwicklung in Einklang zu bringen sind, die den Europäer des 21. Jahrhunderts bestimmen.

Insofern wagt Eshkol Nevo einen kontinuierlichen Rückzug zur Basis des Menschlichen, bringt Probleme auf den Punkt, die so nah und doch so fern sind, vereint diese in den Persönlichkeitsstrukturen dieser vier Menschen und erzählt währenddessen noch eine wunderschöne Geschichte, die zum Träumen einlädt, aber auch nie den Gedanken verliert, wie hart und ernst der Alltag ist und immer sein wird. Dass die politischen Entwicklungen in Israel hierbei auch eine bestimmte Rolle spielen, die vereinzelten Erwartungen ans Leben der vier Männer aus Tel Aviv stark von den unsrigen differenziert werden und Werte aufgegriffen werden, die stellenweise wie ein Relikt aus einer vergessenen Zeit anmuten, unterstreicht diesen außergewöhnlichen Eindruck eines Buches, welches vielleicht Personen wie Du und Ich in den Vordergrund bringt, aber an entscheidenden Stellen immer so weit abhebt, dass man das eigentlich Gewöhnliche als etwas Spektakuläres, Intensiver, aber leider nicht mehr permanent Greifbares wahrnimmt – und in der Selbstreflektion auch so akzeptieren muss.

Wenn die vier Herren sich schließlich zur WM 2002 in ihrem Wohnzimmer sammeln und die offengelegten, schriftlich verankerten Träume ins Gespräch bringen, wähnt man sich am Ende einer Traumreise durch den Alltag – und am Ziel eines vierjährigen Erlebnisses mit allen Höhen und Tiefen, die das Leben mit sich bringt. Die Wirkung dessen in Worte zu fassen, scheint derweil unmöglich. Doch „Wir haben noch das ganze Leben“ ist wohl am besten mit den banalen Begriffen ’schön‘ und ‚beeindruckend‘ zusammenzufassen. Und all dies mit der hier gebotenen Kontinuität aufrechtzuerhalten, ohne einen Einbruch in einer vermeintlich langatmigen Passage zu erleben oder bei der verzweifelten Suche nach Spannung aufzugeben, macht Nevos Titel zu einer sehr universellen Arbeit, in die sich wirklich jeder Liebhaber der modernen, gesellschaftlich inspirierten Belletristik auf Anhieb verlieben wird. Ganz bestimmt!

|Broschiert: 440 Seiten
Originaltitel: Mashala echat yamina
ISBN-13: 978-3423247900|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de

Davidson, Andrew – Gargolye

|“Ab und an ereilt das Unheil den Arglosen gewaltsam wie die Liebe“|

Kann Liebe die Ozeane der Zeit überwinden und sich über ein Leben hinaus weiterentwickeln? Ja, welch eine abstruse Frage oder vielleicht doch nicht? In vielen romantischen Büchern und Filmen ist davon die Rede, dass der Tod einer vollkommenen Liebe nichts entgegenzusetzen vermag und Liebende sich im Jenseits wiederfinden! Bei Menschen, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen und sich keinerlei Gedanken darüber machen, dass Gesundheit etwas sehr Wertvolles ist, schlägt das Schicksal manchmal gnadenlos zu. Und das mit einer Schmerzhaftigkeit, dass es uns leider erst zu spät auffällt, wie schön und vor allem kurz das Leben sein kann. Überlebt man solch einen schicksalshaften Niederschlag, so sieht der ehemals naive und nun geläuterte Mensch sein Leben zumeist aus einer ganz anderen Perspektive.

Der kanadische Autor Andrew Davidson hat mit seinem Debütroman „Gargoyle“ (Wasserspeier) die Bestsellerlisten erobert. Dem Titel nach erwartet man hier vielleicht eher einen Roman aus dem Genre Fantasy, aber weit gefehlt. Mit „Gargoyle“ ist ihm eine wundervolle, romantische und sehr tiefsinnige Geschichte gelungen.

_Inhalt_

An einem Karfreitag fährt ein Mann mit zu viel Kokain und Alkohol im Blut eine kurvige Straße entlang. Er unterschätzt seine gedämpften Reflexe und den steilen Berghang zu seiner Linken, in einer Art Vision oder eher seiner Drogenparanoia sieht er aus dem Wald zu seiner Rechten einen Hagel von brennenden Pfeilen, die auf ihn abgeschossen werden. Zuvor allerdings tränkt sich der Fahrer mit einem hochprozentigen Bourbon seine Hose, er reißt das Lenkrad herum, durchbricht die Leitplanke und stürzt in die Schlucht.

Der Wagen fängt sofort nach dem Aufschlag Feuer, der vergossene Bourbon ist ein Brandbeschleuniger und der verletzte, eingeschlossene Mann, noch bei vollem Bewusstsein, droht zu verbrennen. Glück im Unglück – der Wagen rutscht noch ein wenig weiter und landet in einem Gebirgsbach, der ihm wohl sein Leben rettet.

Als er im Krankenhaus wieder aufwacht, ist ihm zuerst klar, dass er den Unfall überlebt hat. Doch seine Verbrennungen sind so schwer und schmerzvoll, dass er für immer gezeichnet ist. Sein Kopf, seine Brust, Rücken und Beine sind aufs Schwerste verbrannt. Damit ist seine Karriere als Pornodarsteller und erfolgreicher Produzent beendet. Sein schöner Körper und sein bestes Stück sind durchs Fegefeuer gefahren und er wird nie wieder vor oder hinter der Kamera stehen können. Sein „Lebenswerk“, sein Beruf ist für immer verloren. Unter schmerzstillenden Mitteln und mit Hilfe und Unterstützung von seiner Station für Schwerstverbrannte, verliert er den Mut weiterleben zu wollen. Zynisch plant er schon seinen perfekten Selbstmord, wenn er eines Tages aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte. Seine Rekonvaleszenz, die noch Wochen oder gar monatelang andauern wird, betrachtet und beschreibt er mit einer Menge Wut und Schmerz auf sich selbst.

Eines Tages taucht an seinem Bett eine mysteriöse Frau auf und sagt: „Das ist jetzt das dritte Mal, dass Du verbrannt wurdest!“ Kurz danach flüstert sie ihm das Wort „Engelthal“ zu und fragt, ob er sich nicht an damals erinnern könnte! Die Frau, die keineswegs verwirrt wirkt und Marianne Engel heißt, ist zugleich eine begnadete Bildhauerin und eine psychiatrische Patientin, die allerdings nicht stationär behandelt wird.

Bei weiteren Besuchen erzählt Marianne Engel ihm, dass sie sich schon seit 700 Jahren kennen würden. Damals war er ein Söldner und sie eine Nonne im mittelalterlichen Deutschland. Skurril und verwirrend erzählt sie ihm Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit, und das mit einer Überzeugungskraft, die erschreckend realistisch klingt.

Nach und nach erholt sich der Patient und die dunklen Gedanken um Selbstmord verflüchtigen sich. Die Geschichten der etwas schrägen Marianne Engel sind unterhaltsam und doch weiß sie viel mehr, als sie zu diesem Zeitpunkt zugeben möchte. Auch die Narbe auf seiner Brust, die er seit seiner Geburt trägt und die nicht von einer Verletzung herführt, scheint ihr vertraut zu sein. Auf dem Wege der Besserung überzeugt Marianne ihn davon, bei ihr einzuziehen, damit sie ihn pflegen kann … beiläufig erwähnt sie dann, dass sie ihm ihr letztes Herz versprochen hat …

_Kritik_

Es gibt Bücher, Geschichten, die man nicht mehr vergessen kann und die einen noch jahrelang in positiver Erinnerung bleiben. „Gargoyle“ von Andrew Davidson ist so ein Roman. Die Geschichte beginnt so, als würde man einen kleinen Stein in einen See schmeißen, die Wellen breiten sich langsam, aber unerbittlich aus und sind um ein Vielfaches größer, als dieser so kleine, unauffällige Kiesel.

In welchem Genre siedelt man „Gargoyle“ an? Kein Werk der Fantasy kommt verwandtschaftlich nahe, auch kein Thriller, vielleicht phasenweise ein historischer Roman, aber den größten Raum und vor allem die meiste Zeit nimmt diese mystische und sehr, sehr romantische Liebesgeschichte ein.

Die Geschichte um den namenlosen, verbrannten Hauptdarsteller und seiner schönen wie auch schrägen Marianne Engel ist voller Symbolik. Wie ein Phönix aus der Asche oder wie eine Larve aus der ein wunderschöner Schmetterling entsteht, entpuppt sich der Hauptprotagonist. Das hier Wort- und Gedankenspiele entstehen, ist vom Autor wissentlich gewollt. Intelligent und tiefgründig werden hier Parallelen aufgebaut und erzählerische Elemente mit viel philosophischem Geschick eingestreut. Alleine schon der Nachname von Marianne – Engel – schließt darauf, dass sie für ihn die Rettung bedeutet. Gleich aus der Hölle des Feuers geboren, wird sie ihm vor Augen führen, wie wundervoll und einmalig oder auch mehrmalig die Liebe Zeit und Raum zu überwinden vermag.

Und obgleich jeglicher Romantik gibt es hier auch Passagen, die realistisch und vor allem auch grausam erzählt werden. Nüchterne Beschreibungen der Behandlung von Schwerstverbrannten und wenige Seiten später lässt der Autor Marianne Engel romantische Geschichten erzählen, die den Leser aufs Tiefste berühren. Gerade diese Nebengeschichten hallen noch lange nach, und dass Liebe, so vielfältig und schmerzvoll sie auch sein mag, so lebenswert und schön ist, begreift nicht nur unser namenloser, verbrannter Patient.

Andrew Davidson beschreibt mit seinem sensiblen und gefühlvollen Stil Situationen, in denen sich Liebende nicht aufgeben, in denen sie nicht aufhören, zu hoffen und sich selbst opfern, um den Geliebten nahe zu sein.

„Gargolye“ ist so brillant geschrieben, dass es ohne Einschränkungen zu empfehlen ist. Es gibt nur wenige erzählerische Längen im Buch, und auch wenn diese manchmal etwas zu lang erscheinen, so sind dieses Passagen doch ungemein wichtig für die Entwicklung. Neben der Symbolik werden hier auch Fragen, die die Religion betreffen, aufgegriffen, z. B. „Reinkarnation“, und auch hier gibt es neben der Unterhaltung viel zu lernen.

Die Nebengeschichten in „Gargolye“ sind die romantischen Diamanten in diesem Buch. Egal, um es sich um homosexuelle Wikinger handelt oder einen pestkranken Schmied, eine japanische Glasbläserin oder eine Nonne, die vor Martin Luther damit beginnt, die Bibel zu übersetzen. Die Liebe zeigt sich in jeder dieser Geschichten und wirkt wie Amors Pfeil, der wie üblich sein Ziel trifft. Auch hier nur ein Wortspiel, diesmal von mir, aber wer „Gargoyle“ schon gelesen hat oder später wird, der wird es dann verstehen, wie ich es gemeint habe.

_Fazit_

„Gargolye“ von Andrew Davidson ist einer der romantischsten Romane, die ich je gelesen habe.

Analysiere ich den Titel, das Wort „Gargoyle“ und manifestiere ich ihn mit den Wasserspeiern, die uns von Kirchen und imposanten Kathedralen beobachten, so sind „Gargoyles“ unverwundbar, haben evtl. ein Herz aus Stein und sind für die Ewigkeit bestimmt.

„Gargoyle“ ist ein Roman, der ein romantisches Echo besitzt, ein Roman, der wundervoll erzählt ist, sodass man ihn gerne mit anderen teilen möchte. Einfach aus der Situation heraus, dass „anders“ nicht schlechter oder besser ist, als andere Romane.

Dennoch, „Gargolye“ ist ein Buch, das etwas ganz besonderes ist. Romantisch, tiefgründig, auch spannend, aber ein Plädoyer für die Liebe in all ihren Facetten.

_Autor_

Andrew Davidson (*12. April 1969 in Pinawa, kanadische Provinz Manitoba) ist ein kanadischer Schriftsteller. Er schloss 1995 sein Studium an der University of British Columbia mit einem B. A. in englischer Literatur ab und arbeitete danach zunächst für einige Jahre als Lehrer in Japan. Nach seiner Rückkehr nach Kanada lebt er heute in Winnipeg, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba. (Wikipedia)

|Taschenbuch: 576 Seiten
Originaltitel: The Gargoyle
ISBN-13: 978-3833306686|
[www.berlinverlage.com]http://www.berlinverlage.com

Diamond, Lucy – Diät-Pralinen

Passend zur bevorstehenden warmen Jahreszeit haben Diäten wie jedes Jahr Hochkonjunktur, und so kommt Lucy Diamonds „Diät-Pralinen“ natürlich genau zur richtigen Zeit.

Maddie arbeitet beim Radio und träumt von einer Karriere als Moderatorin, obwohl ihr das Herz in die Hose rutscht, wenn sie nur daran denkt, im Radio etwas sagen zu müssen. So arbeitet sie der unsympathischen Collette zu, und die beschließt eines Tages, die Aktion „Birmingham soll schön werden“ zu starten, und das beinhaltet auch eine Verschönerung ihres Teams, sodass Maddie sich unversehens in der Abspeckgruppe „FatBusters“ wiederfindet. Maddie bringt gut und gerne 40 kg zu viel auf die Waage und dennoch ist es ihr peinlich, dass nicht nur Collette sie zum Abspecken zwingt, sondern dass ihre übereifrige Mutter ihr auch noch eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio aufzwingt. Doch bei den FatBusters trifft sie schnell zwei neue Freundinnen – Jess und Lauren, die mit dem gleichen gewichtigen Problem kämpfen wie Maddie.

Jess verwöhnt nur andere Menschen, und zwar mit Massagen, Gesichtsbehandlungen oder Maniküre, doch sie selbst kommt ganz zuletzt. Dabei träumt Jess doch nur von ihrem ganz persönlichen Glück. Ihr Verlobter Charlie hat schon wieder die Hochzeit verschoben, weil er der Meinung ist, dass Jess vorher noch viel abnehmen müsse. Und auch sonst trampelt er ständig auf ihren Gefühlen herum und behandelt sie wie eine Abtretmatte. Doch Jess kann den Gedanken nicht ertragen, alleine zu sein und so schluckt sie allen Kummer herunter bzw. erstickt ihn in Schokolade.

Auch Lauren ist in Liebesdingen unglücklich, obwohl sie selbst eine Partnervermittlung betreibt. Dort trifft sie bald auf ihren Traummann, doch leider gibt der wie eigentlich jeder im Wunschprofil seiner Traumfrau eine schlanke und sportliche Figur an. Nur leider kann Lauren damit rein gar nicht dienen, und so findet auch sie den Weg zu den FatBusters.

Zu dritt treten Maddie, Jess und Lauren den Kampf gegen die überflüssigen Pfunde an und erleben dabei so manch eine Überraschung …

_Leichte Lektüre_

Trotz der gewichtigen Hauptcharaktere ist „Diät-Pralinen“ eine locker-leichte Lektüre, die einen gut an einem lauschigen Sommerabend unterhält. Maddie, Jess und Lauren sind Frauen, die ganz aus dem Leben gegriffen sind. Maddie ist verheiratet und hat zwei Kinder, doch läuft es in ihrer Ehe nicht mehr ganz so rund. Die großen Gefühle kommen nicht mehr auf und Paul ist in letzter Zeit alles andere als verständnisvoll und scheint sie lieber weiterhin fett haben zu wollen. Denn in ihrem Abnehmbemühen unterstützt er Maddie nicht mehr. Doch ist sie mit Paul immer noch glücklicher als Jess mit ihrem Charlie, den sie zwar nach wie vor heiraten möchte, der aber alles andere als liebevoll mit ihr umgeht. In ihrem Freundeskreis kann niemand Charlie leiden, doch Jess hält aus Angst vor Einsamkeit krampfhaft an ihrer Beziehung fest. Auch bei der Arbeit ist sie alles andere als glücklich, da ihre Chefin eine blöde Zicke ist, mit der sie überhaupt nicht auskommt. Und dabei ist es Jess, die den Großteil der Kunden bedient. So stehen Jess beruflich große Veränderungen bevor, denn eines Tages kündigt sie kurzerhand. Lauren hat schon viele glückliche Paare zusammen geführt, doch sie selbst ist geschieden und glaubt nicht mehr an ihr Glück. Sie tröstet sich stattdessen mit Süßigkeiten und Wein, was ihr gut auf die Hüften geschlagen ist.

Lucy Diamond beschreibt Frauenprobleme, wie sie die meisten ihrer Leserinnen kennen dürften. Wer hat noch nicht eine Diät gemacht? Und sie schon nach kurzer Zeit mit einer Tafel Schokolade wieder beendet? Und auch den Liebeskummer kennt man nur zu gut, und so kann man sich wunderbar in die Hauptfiguren hineinversetzen und fühlt sich ihnen dadurch sehr nah.

Ein bisschen habe ich den Wortwitz vermisst, wie frau ihn z. B. von Helen Fielding, Marian Keyes oder Sophie Kinsella gewöhnt ist. So unterhält Lucy Diamonds Geschichte zwar gut, doch kann sie sich nicht durch eine besonders gute Schreibe von anderen Autorinnen abheben. „Diät-Pralinen“ ist nett, aber mehr auch nicht. Ein bisschen hat mich Jess‘ Verhalten genervt, denn sie hat sich von ihrem Freund wirklich alles gefallen lassen, sodass man sie gerne zwischendurch geschüttelt hätte.

_Insgesamt gefiel mir_ das Buch schon recht gut, da Lucy Diamond wirklich sympathische Charaktere zeichnet, mit denen man gerne einige Stunden verbringt und denen man wünscht, dass sie nicht nur ihre Traumfigur bekommen, sondern auch den Traummann finden. Doch leider hebt sich das Buch nicht vom Einheitsbrei der zahlreichen Frauenbücher ab, sodass es mir wohl eher nicht im Gedächtnis bleiben wird – schade.

|Taschenbuch, 382 Seiten
Originaltitel: Sweet Temptations
ISBN-13: 978-3499256073|
[www.rororo.de]http://www.rororo.de

LeCraw, Holly – Swimmingpool

Wie verschlungen die Wege des Schicksals sein können, zeigt Holly LeCraw in ihrem ersten Roman „Swimmingpool“. Ein Mord vor sieben Jahren sorgt hier bei fast drei Generationen für Aufregung.

Für Marcella ist der Ferienort Cape Cod ein Ort voller schlechter Erinnerungen. Dort hat ihre Affäre mit dem verheirateten Cecil begonnen, die durch den Mord an Cecils Frau überschattet wird. Der Täter wurde nie gefunden. Cecil ist mittlerweile ebenfalls verstorben, ihr Mann Anthony hat sich von Marcella getrennt. Ganz alleine lebt sie nun in einem kleinen Strandhaus.

Eines Tages bekommt sie Besuch von Jed, Cecils Sohn, der von der damaligen Liebelei keine Ahnung hat. Er möchte endlich herausfinden, wer seine Mutter umgebracht hat. Dies ist Marcella unangenehm, immerhin war Cecil in der Nacht, in der seine Frau gestorben ist, mit ihr zusammen. Wider besseres Wissen beginnt sie eine leidenschaftliche Affäre mit Jed.

Zur gleichen Zeit nimmt Marcellas und Anthonys Tochter Toni einen Job als Babysitterin bei Jeds Schwester Callie an. Die hat gerade ihr zweites Kind bekommen und verbringt die Zeit zusammen mit Jed auf Cape Cod. Auch sie hat die sieben Jahre zurückliegenden Ereignisse noch nicht verarbeitet. Dann beginnt auch noch Toni, die im besten Teenageralter ist, sich für Jed zu interessieren. Innerhalb kürzester Zeit kochen bei allen Beteiligten die Emotionen hoch …

_LeCraws erstes Buch_ verspricht mehr, als es halten kann. Der Klappentext klingt so, als ob der Roman durchaus thrillerhafte Züge hat. Letztendlich stehen aber vor allem die Figuren und ihre Gefühle im Vordergrund. Diverse Perspektiven aus Vergangenheit und Gegenwart werden abgearbeitet, um das damalige und das gegenwärtige Geschehen möglichst facettenreich darzustellen. Die Handlung selbst beschränkt sich auf minimale Ereignisse, die nicht wirklich zusammenhängen, sondern vielmehr nebeneinander platziert sind. Diese Ereignisse ziehen ihre Kreise und beeinflussen die Hauptfiguren, die wiederum andere Figuren beeinflussen. Doch dafür, dass der Mord vor sieben Jahren im Klappentext so sehr hervorgehoben wird, spielt er nur eine geringe Rolle. Seine Auswirkungen werden zwar deutlich gezeigt, aber die Aufklärung verläuft nicht gerade spannend.

Dass der Leser das Buch trotzdem nicht aus der Hand legt, hängt mit den zwei großen Stärken der Autorin zusammen: ihrem Schreibstil und den Figuren. Ersterer zeichnet sich vor allem durch seine Intensität aus. Holly LeCraw räumt sowohl den Gedanken und Gefühlen ihrer Figuren als auch Situations- und Ortsbeschreibungen viel Raum ein. Mithilfe ihres niveauvollen und vielfältigen Vokabulars gestaltet die Autorin ihren Text allerdings so abwechslungsreich und atmosphärisch, dass man ihr die eine oder andere Langatmigkeit verzeiht – genauso wie die Schwächen im Plot.

Die Figuren, allen voran Marcella, überzeugen, ähnlich wie der Schreibstil, mit Facetten und Tiefgang. Der Leser lernt die Figuren vor allem über ihre Emotionen und Erinnerungen kennen. Auch hier tun die umfangreichen Beschreibungen das Ihrige, damit man sich die Personen gut vor Augen führen kann. Auffällig ist, dass alle Personen alltäglich wirken. Abgesehen vielleicht von Marcella, deren italienische Herkunft sie abhebt, sind alle Auftretenden durchschnittliche Amerikaner mit durchschnittlichen Jobs und durchschnittlichen Eigenschaften. Allerdings stellt LeCraw diese Durchschnittlichkeit authentisch dar. Man kann sich gut in die Personen hineinversetzen und, dank der ausführlichen Beschreibung ihres Innenlebens, ihre Handlungen gut nachvollziehen.

_Wenig Spannung, dafür_ aber ein gutes Auge und Händchen für Figuren und Schreibstil – Holly LeCraws Debütroman ist sicherlich nicht für jeden etwas. Doch wer ruhige Geschichten mag, die sich vorrangig auf ihre Protagonisten konzentrieren, dem dürfte auch „Swimmingpool“ gefallen.

|Broschiert: 350 Seiten
Originaltitel: The Swimming Pool
Deutsch von Karl-Heinz Ebnet
ISBN-13: 978-3570100226|
[www.cbertelsmann.de]http://www.cbertelsmann.de

Donnelly, Jennifer – Blut der Lilie, Das

Vor zwei Jahren hat Andi auf tragische Weise ihren kleinen Bruder Truman verloren. Seitdem ist nichts mehr so, wie es mal war. Ihre Mutter hat schwere Depressionen und malt den ganzen Tag Portraits ihres toten Sohnes. Ihr Vater hat sich von der Familie abgewendet und lebt sein eigenes Leben, in dem für Andi und erst recht für seine Frau kein Platz mehr ist. Er ist erfolgreicher Wissenschaftler – mit dem Nobelpreis ausgezeichnet – und hat bereits eine neue Freundin, die von ihm schwanger ist. Andi dagegen ist völlig allein und hat nur ihre Musik. Auch in der Schule bringt sie nicht mehr die Leistungen wie zuvor, stattdessen wirft sie in einer Tour Medikamente ein. Nur einen guten Freund hat sie, der immer für sie da ist und sie versteht. Doch niemandem außer ihren Eltern hat sie erzählt, was damals bei Trumans Tod vorgefallen ist, für den sie sich immer noch die Schuld gibt.

Eines Tages stellt ihr Vater ihr ein Ultimatum: Er bringt seine Frau in eine Klinik, in der ihre Depressionen behandelt werden sollen. Und Andi nimmt er mit nach Paris, wo sie das Konzept für ihre Abschlussarbeit schreiben soll, denn Andi hat sich bereits aufgegeben und beschlossen, die Abschlussprüfung nicht mehr zu machen. Nur widerwillig fliegt Andi mit ihrem Vater nach Paris.

Dort arbeitet ihr Vater an einem wissenschaftlichen Projekt, das den Ursprung eines kleinen mumifizierten Herzens klären soll. Ein Freund von Andis Vater glaubt, dass es sich dabei um das Herz des kleinen Louis Charles handelt, dem verlorenen König Frankreichs, der in den Wirren der Französischen Revolution von den Gegnern des Königs eingesperrt worden ist und im Gefängnis vereinsamt und unter Qualen gestorben ist.

Durch Zufall findet Andi in einem Gitarrenkoffer ein kleines Tagebuch von Alex, die im 18. Jahrhundert die Gesellschafterin des kleinen Prinzen Louis Charles gewesen ist und für ihn ihr Leben aufs Spiel gesetzt hat. In dem Tagebuch schildert sie die Ereignisse nach dem Sturz des Königs – in einer Zeit, in der sie sich selbst in Gefahr gebracht hat, um vielleicht doch noch Louis Charles zu retten. Andi versinkt völlig in der Geschichte und identifiziert sich immer mehr mit Alex, die sich ebenfalls für das Leben eines kleinen Jungen verantwortlich fühlt …

_Pariser Geschichten_

Zunächst lernen wir Andi kennen, die auch zwei Jahre später noch jede Minute um ihren kleinen Bruder trauert. Andi ist ein gebrochenes junges Mädchen, das sich für den Tod ihres kleinen Bruders verantwortlich fühlt. Sie will die Schule abbrechen und findet nur in der Musik Erlösung. Stundenlang kann sie Gitarre spielen und ihre Gedanken schweifen lassen. Doch in Paris wird sie gezwungen, sich mit dem Schicksal eines Komponisten und mit dem eines ebenfalls jungen Mädchens auseinanderzusetzen. Das Lesen in dem Tagebuch wird für Andi eine Sucht, immer wieder greift sie zu dem kleinen Büchlein und vergisst um sich herum die ganze Welt. Das Tagebuch wird für sie zu einem Rettungsanker, da sie in Alex eine Seelenverwandte entdeckt, mit der sie sehr viel gemeinsam hat. Und so wird Alex‘ Mission, den kleinen Prinzen zu retten, ihre eigene – so könnte sie vielleicht einen Teil ihrer eigenen Schuld loswerden, wenn Alex es nur schaffen würde, Louis Charles zu befreien. Doch schafft Alex dies?

Jennifer Donnelly schildert in vielen Details die dramatischen Ereignisse in der Französischen Revolution. Dabei legt sie den Schwerpunkt auf den Thronfolger Louis Charles, der nicht wie seine Eltern getötet, sondern in den Kerker geworfen wurde. Dort vereinsamt er allerdings völlig und geht daran schlussendlich zugrunde. Nur ein mutiges junges Mädchen versucht, mit bunten Feuerwerken dem kleinen Prinzen ein Zeichen zu geben, dass sie an ihn denkt und dass noch nicht alles verloren ist.

Donnelly erzählt zwei Geschichten parallel – einmal die von Andi in der Neuzeit und dann die im 18. Jahrhundert. Beide sind eng miteinander verwoben und entwickeln sich gleichzeitig weiter. In beiden jungen Mädchen entdecken wir viele Parallelen, beide scheinen Seelenverwandte zu sein, die nur an das Wohl eines kleinen Jungen denken und ihr eigenes dafür zurückstellen.

Je mehr Andi in dem Tagebuch liest und je mehr sie sich in den Wirren der Französischen Revolution verliert, umso mehr nimmt Donnelly auch uns gefangen. Ebenso wie Andi hofft man selbst auf das Wunder, dass Alex doch irgendwie den kleinen Prinzen retten kann. Als sie zu scheitern scheint und ihr letzter Tagebucheintrag blutbefleckt ist, bekommt Andi selbst die Chance – denn plötzlich findet sie sich im 18. Jahrhundert wieder und wird überall mit Alex verwechselt. Schafft Andi das, was ihrer Seelenverwandten nicht gelungen ist?

Geschickt verbindet Jennifer Donnelly beide Geschichten und lässt in ihrer Erzählung den Spannungsbogen immer weiter ansteigen. Nur ein Manko hat die Geschichte aus meiner Sicht, und zwar Andis Ausflug ins 18. Jahrhundert. Im einen Moment flüchtet sie noch durch die Pariser Katakomben, um im nächsten Moment schon den bekannten Komponisten zu treffen, über den sie ihre Abschlussarbeit schreiben möchte. Und er rettet sie aus den Katakomben und nimmt sie bei sich auf. Andi schlüpft in Alex‘ Rolle, zündet weiter Feuerwerke und riskiert nun auch ihr Leben für den kleinen Prinzen. Diese kleine Zeitreise (die ja vielleicht auch doch nur in Andis Kopf stattgefunden hat?!) hat mich etwas befremdet und ging mir einen Schritt zu weit.

_Starke Frauen_

Super gelungen sind Jennifer Donnelly ihre Protagonistinnen. Andi und Alex sind beides starke Persönlichkeiten mit einem schweren Schicksal, das sie immer wieder verzweifeln und manchmal auch aufgeben lässt. In ihrer Trauer kommt man Andi recht nahe, auch wenn ihre Handlungen oftmals nicht nachvollziehbar sind, doch wünscht man ihr umso mehr, dass sie doch ihr Glück finden möge – und zwar nicht nur in der Flucht in die Musik, sondern im wirklichen Leben. Sowohl mit Andi als auch mit Alex fiebert man mit, drückt ihnen die Daumen und hofft, dass ihre jeweiligen Geschichten ein positives Ende finden werden. Beide jungen Frauen sind die Stützpfeiler der gesamten Geschichte und tragen sie ganz hervorragend!

_Genial mit wenigen Abstrichen_

Insgesamt hat mich Jennifer Donnellys neuester Roman fast vollkommen überzeugt – nur diese kleine Zeitreise (wenn es denn eine war) ins 18. Jahrhundert hätte nicht sein müssen, das war mir doch zu abgefahren. Die beiden Geschichten, die Donnelly parallel erzählt, sind aber beide so spannend, dass man beim Lesen genau wie Andi vollkommen die Zeit vergisst und in der Erzählung versinkt. Ein kleiner Kritikpunkt geht jedoch an den Verlag, denn in dem Buch häufen sich leider die Rechtschreibfehler. Oftmals sind Buchstaben zu viel oder zu wenig, dann gibt es Buchstabendreher oder ein überflüssiges Wort. Das sollte in dieser Häufung definitiv nicht passieren, denn die hohe Anzahl der Fehler trübt den Gesamteindruck des ansonsten sehr schönen Buches doch ein wenig.

|Hardcover: 448 Seiten
Originaltitel: Revolution
ISBN-13: 978-3866122888|
[www.piper-verlag.de/pendo]http://www.piper-verlag.de/pendo

Barceló, Elia – Töchter des Schweigens

Im Sommer 1974 ist etwas passiert, das das Leben von sieben jungen Mädchen für immer verändert hat. Mit 18 haben sie auf ihrer Klassenfahrt etwas erlebt, das ihr Leben seitdem bestimmt und in ganz andere Bahnen gelenkt hat. Keine der sieben Frauen kann vergessen, was geschehen ist, und 33 Jahre später holt die Vergangenheit sie wieder ein. Zwei von ihnen haben kurz danach das Land verlassen und sich ein neues Leben aufgebaut, 2007 treffen sie sich erstmals alle wieder. Eine der sieben Frauen ist auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen – zunächst sieht es aus, als habe Lena sich die Pulsadern aufgeschnitten, doch wie konnte dann die Rasierklinge verschwinden? Wer profitiert von Lenas Tod? Und wieso hat jemand Spuren ausgelegt, die Rita als Schuldige dastehen lassen?

Rita, Lena, Teresa, Sole, Candela, Carmen und Ana waren einst unzertrennlich, sie haben den Rest ihrer Schulzeit gemeinsam verlebt und hatten große Pläne für die Zeit nach dem Abitur. In Valencia wollten sie studieren und dort ihre Freiheit genießen, doch dann kommt die Klassenfahrt nach Mallorca dazwischen, die alles über den Haufen wirft. Doch was ist auf dieser Fahrt geschehen, das sich dermaßen ins Gedächtnis der Frauen eingebrannt hat? Manch eine der Freundinnen hat daraufhin einen ganz anderen Weg eingeschlagen, etwas anderes studiert oder sich in die Ehe geflüchtet. Bei ihrem Wiedersehen 2007 versuchen sie, das Erlebte aufzuarbeiten. Erstmals gestehen sie sich, welche Wendungen ihr Leben genommen hat und welche Probleme sie schon damals 1974 gehabt haben, von denen manchmal nicht einmal ihre besten Freundinnen etwas geahnt hatten.

_Wendepunkt_

Das Buch beginnt im Juni 2007, wo die berühmte Filmregisseurin Rita Montero ihre Freundin Lena besuchen will, die Wohnungstür aber offen vorfindet. Als sie die Wohnung betritt, kommt ihr schon alles sehr merkwürdig vor. Langsam tastet sie sich von Zimmer zu Zimmer vor – bis sie Lena im Badezimmer findet. Sie liegt tot in der Badewanne, die Pulsadern aufgeschnitten. Rita erinnert sich zurück, denn schon einmal hat sie Lena mit aufgeschnittenen Pulsadern gefunden – nur winzige Narben an den Handgelenken zeugten noch von dieser Tat. Doch dieses Mal ist Lena wirklich tot, und dabei hatte sie Rita doch zu einem Abendessen eingeladen, um ihr etwas Wichtiges zu sagen. Die fertige Suppe steht noch auf dem Tisch. Was ist in Lenas Wohnung geschehen? Die Polizei ahnt schnell, dass Lena ermordet wurde, schließlich fehlt von der Rasierklinge jede Spur. Und Rita Montero hat eindeutig etwas zu verbergen – nur was?

Doch nicht nur Rita hat einiges auf dem Herzen. Zu dem Wiedersehen mit ihren ehemaligen Freundinnen, die sie seit über 30 Jahren nicht mehr gesehen hat, hat sie als seelisch-moralische Unterstützung ihre persönliche Assistentin und Lebensgefährtin Ingrid mitgebracht, doch Ingrid ahnt nichts von den Erlebnissen des Sommers 1974, denn keine der Freundinnen hat je über das Erlebte gesprochen. Lena war die Erste, die zu dem stehen wollte, was sie damals gesehen und erlebt hat.

Aber alle anderen Freundinnen haben auch ihr Päcklein zu tragen: Sole ist in eine Diplomatenehe geflüchtet, die sie nach Kuba geführt hat. Glücklich ist sie nicht, weiß sie doch von der Affäre ihres Mannes. Zudem hat ihr eigener Onkel ihr einst die Unschuld geraubt. Carmen hat immer noch nicht verwunden, dass sie damals nicht studieren konnte, weil sie ungewollt schwanger geworden ist. Ihre erste Ehe ist gescheitert, die zweite auch, und nun hat sie eine eher unglückliche Affäre mit einem verheirateten Mann. Candela hat nie geheiratet, hatte aber die eine oder andere Beziehung, doch keine der Freundinnen hat jemals geahnt, dass Candela gar nicht auf Männer steht. Und nur eine von ihnen weiß, dass Candela schwer krank ist und nicht mehr lange zu leben hat. Doch vorher möchte sie noch ihre einzig wahre Liebe zurückerobern, die 1974 ein so plötzliches und schmerzhaftes Ende gefunden hat.

_Fragezeichen_

Elia Barceló schafft das nahezu Unmögliche: Von der ersten Seite an hatte sie mich gepackt. Schon im ersten Kapitel legt sie Spuren aus, die unweigerlich ins Jahr 1974 führen, in dem etwas schier Unglaubliches passiert sein muss. Doch nur nach und nach erzählt sie vom Sommer 1974, in dem die sieben Mädchen Abitur gemacht haben. Parallel erzählt uns Barceló die Lebensgeschichte der sieben Frauen, berichtet wie sich das Leben jeder einzelnen unweigerlich verändert hat, welche Sorgen und Nöte die jungen Mädchen hatten und worüber sie sich jetzt im Jahr 2007 sorgen. Keine der sieben hatte ein leichtes Leben, jede hat nicht nur die Last der Schuld zu tragen, sondern jede Einzelne hat unglückliche Beziehungen hinter sich, gescheiterte Ehen, Familientragödien oder Ähnliches. Auf leider nur 422 Seiten eröffnet sich uns ein ganzes Universum von Lebensgeschichten bzw. -tragödien. Elia Barceló beweist dabei auf jeder einzelnen Seite, dass sie eine wunderbare und sehr geschickte Erzählerin ist. In farbenfrohen Worten schildert sie uns, was jede der sieben Frauen erlebt hat und macht uns dabei zu einer achten Freundin, die alles hautnah miterlebt und zu jeder der Frauen eine innige Beziehung aufbaut, weil man mit jeder Einzelnen mitleidet.

Die erzählte Geschichte baut dabei immer Faszination auf, man wird beim Lesen immer weiter in die Geschehnisse verstrickt und fiebert auf die Auflösung, die selbstverständlich erst wenige Seiten vor Schluss kommt. Elia Barceló spitzt ihre Erzählung dabei immer weiter zu, springt von der Gegenwart in die Vergangenheit und an einer besonders spannenden Stelle wieder zurück, um ihre Leser immer mehr gefangen zu nehmen und nicht wieder los zu lassen. Der Spannungsbogen setzt bereits im ersten Kapitel ein, in dem wir von Lenas Tod erfahren, und auch schnell klar wird, dass in dem Leben der sieben Freundinnen etwas ganz Entscheidendes geschehen sein muss. Langsam aber sicher steigt die Spannung immer weiter an, je mehr man sich den entscheidenden Ereignissen des Sommers 1974 nähert.

Auch sprachlich braucht Barceló sich nicht zu verstecken, sie ist eine großartige Erzählerin, nicht nur wegen der gelungenen und authentischen Charaktere oder wegen der Faszination, die die Geschichte entwickelt, sondern auch wegen der wunderbaren Worte, die Barceló wählt, um ihre Geschichte zu erzählen. Es ist zwar eine leicht verständliche Sprache, doch schmückt Barceló wunderbar aus und lässt damit farbenfrohe Bilder von dem inneren Auge ihrer Leser entstehen. Stets ist man ganz nah dabei, hat alles vor Augen und versinkt förmlich in der Welt der sieben Freundinnen.

Nur eins könnte man Elia Barceló ankreiden und zwar, dass sie es ihren Leserinnen nicht ganz leicht macht. Zwar verrät uns jedes Kapitel, in welchem Jahr und in welchem Monat es spielt, doch da die Ereignisse sehr nah beieinanderliegen und Barceló immer wieder hin und her springt, ist es nicht ganz leicht nachzuvollziehen, an welcher Stelle genau wir uns wiederfinden. Mal ist Lena beispielsweise schon tot, dann wiederum springen wir zu einem kleinen Fest zurück, an dem sie noch gelebt hat. All dies geschah im Mai 2007, sodass man sich erst neu einlesen muss, um herauszufinden, ob wir uns vor den bisherigen Ereignissen befinden oder ob wir wirklich in der Gegenwart gelandet sind. Hätte Elia Barceló den genauen Tag dazugeschrieben, wäre es deutlich leichter gewesen, sich zurechtzufinden.

_Faszination_

Was Elia Barceló mit „Töchter des Schweigens“ abgeliefert hat, ist ganz großes Kino! Von der ersten Seite an schafft sie es, ihre Leser mitzureißen, in dem sie früh ihren Spannungsbogen ansetzt und von da an kontinuierlich ansteigen lässt, bis die Nerven jedes einzelnen Lesers bis zum Zerreißen gespannt sein dürften. Ihre Geschichte birgt eine unglaubliche Faszination – wegen der authentischen und sympathischen Charaktere und vor allem auch, weil man einfach wissen _muss_, was 1974 geschehen ist, das das Leben von sieben jungen Frauen derart durcheinandergewirbelt hat. Und so viel sei verraten: Es ist wirklich etwas Schreckliches, das vorgefallen ist, etwas mit dem der Leser nicht gerechnet hätte und das einen trifft wie ein Faustschlag direkt in den Magen. „Töchter des Schweigens“ überzeugt erzählerisch auf ganzer Linie und wird einen ganz besonderen Platz in meinem Bücherregal einnehmen, denn dieses Buch habe ich mit Sicherheit nicht zum letzten Mal gelesen. Selten hat mich ein Buch so sehr mitgerissen und mich beeindruckt wie dieses, daher kann ich es uneingeschränkt weiterempfehlen!

|Hardcover: 432 Seiten
Originaltitel: Las largas sombras
ISBN-13: 978-3866122666|
[www.piper-verlag.de/pendo]http://www.piper-verlag.de/pendo

Sternmut, Norbert / Funke, Volker – 88 Rätsel zur Unendlichkeit

_Semantische Forschungsreise in Text und Bild_

Ein Grafiker und ein Schriftsteller haben sich zusammengetan, um ein sogenanntes „Gesamtkunstwerk“ zu schaffen. Nun, im Zeitalter von Multimedia sehen „Gesamtkunstwerke“ wohl anders aus als eine gedruckte Kombination von Grafik und Text, die weder bewegt noch mit Ton unterlegt ist. Umso reizvoller ist es zu sehen, welche Wirkung aus dieser Beschränkung heraus erreicht werden kann.

_Über die Künstler_

Beide Künstler werden am Schluss des Buches ausführlich vorgestellt.

Norbert Sternmut
Norbert Sternmut

Norbert Sternmut (= Norbert Schmid), geboren 1958, lebt in Ludwigsburg und arbeitet als Sozialpädagoge. Der Theaterautor, Rezensent, Maler, Lyriker und Romanschreiber erhielt Stipendien vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Gerlingen. Er veröffentlichte zwanzig Einzeltitel seit 1980 und ist in über 50 Anthologien vertreten. Als Maler trat er mit 75 Ausstellungen an die Öffentlichkeit. Der gelernte Werkzeugmacher wurde nach einem Studium zwischen 1982 und 87 Sozialpädagoge und ist seit 1993 in der Bildungsarbeit im Bildungszentrum Stuttgart tätig. Mehr Infos gibt’s auf seiner Website www.sternmut.de.

Seit 1980 hat Sternmut eine ganze Reihe von Lyrikbänden veröffentlicht, darunter die von mir vorgestellten Bücher „Photofinish“, „Triebwerk“ und „Absolut, du“. In dem Band „88 Rätsel zur Unendlichkeit“ arbeitete er mit dem Grafiker Volker Funke zusammen: Die Rebus-artigen Rätselgrafiken harmonierten mit den frei assoziierenden Gedichttexten Sternmuts. Eine Webseite ergänzte das multimediale Werk auf der Zeit angemessene Weise.

Auf der Prosaseite ist seine Romantrilogie hervorzuheben, zu der „Der Tote im Park“ (1999), „Marlies“ (2003) und sein Roman mit dem Titel „Norm@n“ gehören. Eine Reihe von z.T. phantastischen Erzählungen erschienen in dem Band „Das Zeitmesser“ (Rainar Nitzsche Verlag, Kaiserslautern, 1997).

Volker Funke, gen. Funné, geboren 1964 in Heilbronn. 1987-93 Studium an verschiedenen Kunstakademien und Freien Kunstschulen Kunst und Freie Grafik, 1993-97 Studium an der Universität Stuttgart Kunstgeschichte und Philosophie. Seit 1993 freischaffend als Bildender Künstler und Dozent tätig. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland. Lebt und arbeitet in Heilbronn.

_Der Prolog_

Wie Funke in seinem PROLOG erzählt, entstanden die 88 Collagen am Computer, und zwar während des Halbjahres vom Juni bis Dezember 2000. Es waren seine ersten Arbeiten am Rechner, doch schon bald hatte er den Bogen raus.

Er wollte Rätsel darstellen, aber nicht irgendwelche, sondern solche zur Unendlichkeit. Das seit dem 17, Jahrhundert übliche Symbol dafür ist eine liegende 8, auch als Lemniskate bezeichnet. Diese Schleife ist unendlich und liefert zahlreiche Möglichkeiten, sie zu spiegeln und zu verdoppeln. Daher kam Funke schließlich auch auf die Anzahl 88 … Norbert Sternmuts Gedichte kamen dann im Jahr 2004 hinzu.

Für Esoteriker sei erwähnt, dass die Lemniskate auf der TAROT-Karte des Magus zu finden ist. Der Magus wird auch als Schwindler bezeichnet. Doch wie den Weisen vom Betrüger unterscheiden? Möglicherweise beschäftigen sich deshalb viele der Rätsel mit unendlichen Dingen wie etwa der Zeit und Leuten, die damit zu tun, wie etwa der Erfinder. „Der Erfinder“ ist der Titel des ersten Rätsels, „Die Zeit“ der des letzten.

Dem Prolog ist ein Textzitat angehängt, das angeblich aus einem Buch namens „Der große Magier, 11. Buch, De Tempore“ [Über die Zeit] stammt. Ich kenne dieses Buch nicht, lasse mich aber gerne aufklären.

_Inhalte_

Im Anfang war die Grafik. So eine Grafik scheint auf den ersten Blick rein assoziativ zusammengestellt worden zu sein, um dem gestellten Thema gerecht zu werden. Vielfach sieht man grafische Motive mit Figuren aus dem 19. Jahrhundert oder der Jahrhundertwende von 1900. Es ist manchmal, als läse man den „Struwwelpeter“ oder eine technische Illustration aus jener Zeit.

Diesen Eindruck hebt die Verarbeitung auf: Verfremdende Farben, die recht kräftig wiedergegeben sind, entrücken das Motiv dem Reich des Realismus. Hinzu kommen zwei Konstanten, die in jedem Bild auftauchen: das Buchstabenpaar „UE“ – für Unendlichkeit – und das Zeichen für „acht“ beziehungsweise „endlos“ oder „unendlich“. Am ehesten entsprechen die Motiv-Kombinationen noch dem Rebus-Rätsel.

Mal sehen, was sich der Dichter dabei gedacht hat. Denn die Gedichte dienen nicht allein der Beschreibung der Grafiken, sondern entwickeln vielmehr ein lyrisches Eigenleben, ohne jedoch die Verbindung zur Grafik und deren Thema aufzugeben. Somit entsteht ein Spannungsfeld von thematischen Assoziationen – zwischen Bild und Sprache, zwischen grafischer Aussage (oder Rätsel) und einer möglichen Interpretation durch einen lyrischen Text.

_Die Themen und ihre Verarbeitung_

Was soll denn nun an diesen Bildern und Texten so rätselhaft sein? Und müssen es gleich so viele sein – 88 Stück? (Siehe dazu oben den PROLOG.) Viele Titel verraten schon, um was es in den Texten gehen soll: um geheimnisumwobene Gestalten der Märchen, Mythen und Sagen: Ikarus, der Seher, der Prophet, die Nixe, das alte Weib (eine Hexe?) und den Fliegenpilz, die Nymphe und so weiter. Die entsprechenden semantischen Resonanzräume, die der Begriff öffnet, erkundet der lyrische Text auf seine jeweils eigene Weise.

Die nachzulesenden Ergebnisse sind manchmal originell und vor Ideen sprühend, manchmal abgedroschen und matt. Deutlich ist das Interesse des Dichters für seine Seelenverwandten zu spüren, allen voran Ikarus und „der Narr“. Diese Texte sind entweder voll Leidenschaft oder voll Wortwitz, rühren aber den Leser an. Andere Texte wie etwa „Fliegenparade“ sammeln lediglich – und laut Autor mit Absicht – enzyklopädische Wissenstrümmer, wieder andere, wie „Die Dämonen“, quälen den Leser mit Schreckensvision, wie sie Paul Celan nicht evokativer hätte formulieren können. Hier ist zu spüren, dass Celan („Die Todesfuge“) mit zu den dichterischen und sprachlichen Vorbildern Sternmuts gehört.

Der Dichter sehnt sich nach dem Ausbrechen aus den Vorgaben der Welt, die er in der Mehrzahl seiner Texte erkundet. Das Freudsche „Unbehagen an der Kultur“ wird überdeutlich an den Rückblicken auf Genesis und Propheten: Es gibt keinen Weg zurück zur Unschuld, und auch die Warnungen und Prophezeiungen änderten nichts am Lauf der Welt. Ausbrüche aus den Vorgaben sind Narren und Liebenden vorbehalten.

Die Narren dürfen ungestraft, weil maß-los und unzurechnungsfähig, kritisieren und mit ihrer Narrenkeule strafen („Sei doch ein Narr“). Den Liebenden ist die Tiefe des Eros geöffnet, der als „Jungbrunnen“ fungieren kann, sofern die Kommunikation („Lichtspruch“) klappt. Dabei schreckt das Begehren des Erotikers keineswegs vor Heiligenfiguren zurück, wie der Text „Madonna“ deutlich macht. Grenzüberschreitung ist das belebende Prinzip der Erotik und eine Voraussetzung für befreiende Liebe im Eros – Richtung Unendlichkeit, wie die Grafikzeichen verdeutlichen. Dass der Schelm Hand in Hand mit dem Erotiker geht, versteht sich von selbst. Die „Vorsehung“, der „Brillenmacher“ (Erkenntnisfähigkeit) – sie haben nach ihrem Scheitern ausgedient.

_Mein Eindruck_

Ist das nun ein „Bilder-Buch“ – oder ein Gedicht-Band? Von beidem etwas, also sowohl als auch. Denn beide Komponenten ergänzen und verstärken einander. Obwohl zuerst das Bild kam und der Lyriker sich davon inspirieren (mitunter ‚be-geistern‘) ließ, lädt doch der Text das Bild in umgekehrter Richtung wieder semantisch auf. Natürlich tauchen assoziativ eingesetzte Motive wie etwa ein Frosch oder Käfer in merkwürdig unmotiviertem Kontext in manchen Texten auf. Nicht immer gelingt es dem Lyriker, alle grafischen Elemente unter einen Generalthema-Hut zu bringen. Und nicht immer kommt dabei Lyrik heraus. Der Text über Hildegard von Bingen („Die Kräuterfrau“) ist eher Prosa, wie sie aus einer Enzyklopädie stammen könnte. Und nicht immer stimmen die Titel von Gedicht und Grafik überein, wie man leicht am vierspaltig gesetzten Inhaltsverzeichnis ablesen kann.

„88 Rätsel“ liefern einen Rundumblick über die Welt der Phänomene, doch es ist nur selten ein Blick in die Gegenwart darunter. Gerade, dass mal ein Handy oder ein VW „Käfer“ vorkommt, doch viele mythisch resonante Begriffe stammen aus den Jahrhunderten vor dem schrecklichen zwanzigsten. Nur die moderne Sprache und die skeptische Melancholie bewahren die Lyrik-Grafik-Verbindung vor dem Biedermeiertum. Das Lob des Eros und der Narrheit lassen die Perspektive, den Horizont des Erlebens aus den Schranken des 19. Jahrhunderts ausbrechen.

Ein hohes Ziel hatten sich die beiden Künstler gesetzt, formuliert in Pro- und Epilog-Texten. „Ernsthaft sein, aufwühlend, fragend, / Ergreifend, nicht langweilig, / Kalt oder mürbe“, so sollten die Bild-Text-Kombinationen wirken. Die allerwenigsten dieser Texte sind langweilig, kalt oder mürbe. Doch Zweifel kommen auf hinsichtlich der Fähigkeit einiger Texte, den Leser zu „ergreifen“ und gar „aufzuwühlen“. Vieles ist mir zu „ernsthaft“, wohl wahr, etliches auch Celanisch und zu melancholisch.

Mit ein wenig mehr Mühe und Sorgfalt, so mein Eindruck, wären einige Texte, die bislang noch zerfasern oder ganz in Prosa abgleiten, zu fokussierten Sinn- und Sprachgebilden geworden, deren Wirkung sich der Leser nicht entziehen könnte. Die Offenheit der Form, die lyrischer Text und Grafik anbieten, geboten jedoch möglicherweise das Thema und sein Gestaltungsprinzip: Unendlichkeit, Endlosschleifen, Kombinatorik.

_Unterm Strich_

„88 Rätsel“ ist eine interessante Erkundung der Möglichkeiten, die Grafik und Lyrik in Kombination bieten. Mag auch nicht alles gelungen erscheinen – schon gar nicht auf den ersten Blick -, so bieten sich dem interessierten Leser und Betrachter doch zahlreiche Facetten der semantischen Forschungsreisen, die hier unternommen wurden.

Ziel war es offenbar nicht, Klassiker der Darstellung und Formulierung zu schaffen. Bestimmend ist vielmehr der offene, aber unendliche Prozess- und Experiment-Charakter des Kunstwerks. Wünschenswert wäre eine multimediale Realisierung, in der auch Ton und Musik zu ihrem Recht gelangen. Vielleicht könnte sich einer der Hörbuchverlage für ein solches Projekt erwärmen.

_Warum das Buch so teuer sein muss_

38 Euro sind kein Pappenstiel, wird sich jetzt so mancher Leser dieses Berichts denken. Ob es sich lohnt? Der Grund für den hohen Preis ist das offensichtlich enorm hochwertige Papier, das dem 200-Seiten-Buch auch sein hohes Gewicht verleiht. Die Notwendigkeit, genau dieses und kein billigeres Papier zu verwenden, ergibt sich aus der Wiedergabe der Grafiken. Diese Wiedergabe muss farbecht sein und auch winzige Nuancen und Linien beachten.

Wie oft habe ich schon Druckerzeugnisse gesehen, in denen die Farben verschwammen oder „absoffen“, wie der Drucker sagt. Das lag am billigen Papier, das die Tinte anders als gewünscht aufnahm. So ein Ergebnis kann nicht im Sinne des Urhebers sein. Entweder ganz oder gar nicht, muss hier die Devise sein. Daher besitzt „88 Rätsel“ die Druckqualität eines Ausstellungskatalogs. Und dass diese meist weit über 40 Euro kosten, dürfte sich herumgesprochen haben.

Somit eignet sich das stabil gebundene und vorzüglich gedruckte Buch sowohl als wertvolle Bereicherung einer Kunstbibliothek wie auch als Weihnachtsgeschenk für feinsinnige, für Literatur und Grafik empfängliche Rätselrater.

|Hardcover: 201 Seiten
ISBN-13: 978-3937101354|
[www.wiesenburgverlag.de]http://www.wiesenburgverlag.de

_Norbert Sternmut bei |Buchwurm.info|:_
[„Triebwerk. Gedichte“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3752
[„Marlies“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1935
[„Der Tote im Park“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3751
[„Photofinish“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7067
[„Absolut, Du“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7068

Norbert Sternmut – Absolut, Du. Liebesgedichte

Eine Feier des Lebens im Eros

Bereits ein Jahr nach „Photofinish“ (1997) veröffentlichte Norbert Sternmut einen weiteren Gedichtband in der Edition Thaleia. Es ist eine deutliche sprachliche Weiterentwicklung hin zu einem eigenständigen Vokabular festzustellen. Zugleich sind deutliche Anklänge an Celans Dichtung und den späten Trakl zu finden, die sich in düsteren Bildern und Todesmetaphern bemerkbar machen. Insgesamt aber bildet „Absolut, Du“ eine Feier des Lebens, herbeigeführt durch eine erotische Erfahrung und Übersteigerung des Leibes, besonders in der Liebesvereinigung.

Der Autor

Norbert Sternmut
Norbert Sternmut

Norbert Sternmut (= Norbert Schmid), geboren 1958, lebt in Ludwigsburg und arbeitet als Sozialpädagoge. Der Theaterautor, Rezensent, Maler, Lyriker und Romanschreiber erhielt Stipendien vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Gerlingen. Er veröffentlichte zwanzig Einzeltitel seit 1980 und ist in über 50 Anthologien vertreten. Als Maler trat er mit 75 Ausstellungen an die Öffentlichkeit. Der gelernte Werkzeugmacher wurde nach einem Studium zwischen 1982 und 87 Sozialpädagoge und ist seit 1993 in der Bildungsarbeit im Bildungszentrum Stuttgart tätig. Mehr Infos gibt’s auf seiner Website www.sternmut.de.

Seit 1980 hat Sternmut eine ganze Reihe von Lyrikbänden veröffentlicht, darunter die von mir vorgestellten Bücher „Photofinish“, „Triebwerk“ und „Absolut, du“. In dem Band „88 Rätsel zur Unendlichkeit“ arbeitete er mit dem Grafiker Volker Funke zusammen: Die Rebus-artigen Rätselgrafiken harmonierten mit den frei assoziierenden Gedichttexten Sternmuts. Eine Webseite ergänzte das multimediale Werk auf der Zeit angemessene Weise.

Auf der Prosaseite ist seine Romantrilogie hervorzuheben, zu der „Der Tote im Park“ (1999), „Marlies“ (2003) und sein Roman mit dem Titel „Norm@n“ gehören. Eine Reihe von z.T. phantastischen Erzählungen erschienen in dem Band „Das Zeitmesser“ (Rainar Nitzsche Verlag, Kaiserslautern, 1997).

_Mein Eindruck_

Die Wort- bzw. Bilderwahl und der Gedichtaufbau erinnern häufig an Paul Celan und den späten Georg Trakl. Als würde der Tod, den Celan und Trakl erfuhren und beschreiben, eine Art Geisterlicht auf alles Lebendige und Leibliche werfen, stellt Sternmut in seinen Bilder in auffallender Häufigkeit leibliche Elemente in den Mittelpunkt, vermag diese aber auch zu transzendieren. Der Körper ist ein Mittel, buchstäblich ein Instrument zum Zwecke der Selbstüberhöhung im Reich des Empfindens, des Geistes, der Seele und darüber hinaus.

Das Licht des Tages ist die Gegenwart, und sie wird als Sonnengeflecht, -muster, -gespinst und -teppich beschrieben. In diesem Gewebe findet sich der Körper wieder, gewärmt und fühlend. Im Zentrum des Körpers schlägt das Herz, das zugleich ein Instrument der Empfindung ist. Der „Blutsturz der Tage“ ist ein enger Zusammenhang zwischen diesen beiden Polen.

Dieser Blutsturz wiederum kann durch verschiedene Ereignisse ausgelöst oder wahrnehmbar gemacht werden. Dies kann beispielsweise ganz konkret auf dem Bett der jungfräulichen Braut geschehen. Die blutrote ROSE ist lediglich ein Angramm von EROS und somit Erotik – eine leicht morbide Verknüpfung, die der Fin-de-siècle-Lyrik des frühen Trakl besser ansteht als einem Jünger Celans.

Die „Herzmuschel“ findet sich im „Sommer der Begierde“ unter der erwähnten Sonne der „Sphärenmusik“ und dem „Planetentaumel“ ausgesetzt, so sehr, dass sich der Leib als Instrument der Begierde und der leiblichen Kommunion mit der Geliebten wahrnimmt. In „Instrumental“, einem längeren Stück, wird der Liebesakt Musik, der Leib zum „Klang-körper“ – und nicht nur wegen des Rhythmus‘. Ein Gedicht heißt nicht umsonst „Frühlingsgefühle“.

Gegenbilder des Negativen gibt es genügend: Die „Türme der Trauer“ stehen im „Seelenfeld“ und dem „steinweißen“ „Seelengranit“, gesehen durch „Maskengitter“. Auch lässt sich der Eros in seinen modernen Varianten auf einfache eise durch den Kakao ziehen: In „Fetisch“ führt Sternmut Permutationen mit den Begriffen Lack, Leder, Mutter, Jagd und Sankt Hubertus (Schutzpatron der Jäger) durch und gelangt auf diese Weise zu lustigen bis witzigen Ergebnissen. Permutationstechnik findet sich auch auf das Wort „Fall bzw. fallen“ angewandt, allerdings mit weit weniger reizvollen Resultaten. Die Technik ist zu durchsichtig, die Ergebnisse vorhersehbar, daher unter Wert erreicht.

Wie Celan mit der „Todesfuge“ kann auch Sternmut mit „Echo“ ein langes Werk vorweisen: Es erstreckt sich über rund 17 Seiten. Hier raunt es gar mächtig: Wörter wie „heilig“, „ewig“ und „geheim“ werden keineswegs persifliert oder ironisch gebraucht, sondern als hehre erstrebenswerte Ziele an die Wand der Imagination geworfen. Hier probt Sternmut den hohen Ton Hölderlins, reduziert auf die Vokabeln Celans. Aber wohl ist dem heutigen Leser dabei nicht zumute. Zu oft wurde diese Vokabel in braunen Zeiten missbraucht.

_Unterm Strich_

„Absolut, Du“ ist eine Durchgangsstation im Werke Sternmut, so wie es im Grunde jeder Gedichtband ist. Doch dem Leser bieten sich hier in unscheinbarer Aufmachung – beiger Einband mit schwarz-monochromer Illustration und dunkelblauer Schrift – einige kleine Juwelen von sinnlicher, zuweilen erotischer Dichtung. Diese Edelsteine findet man am Anfang des Bandes häufiger.

Dass Sternmut meines Wissens später einen solchen Ton wie in „Echo“ vermieden hat, ist ebenfalls positiv. Mehr der Gegenwart und ihrem zynischen Urteil zugewandt sind Gedichte wie „Fetisch“, in denen sich erotische „Abweichler“ in sonderbaren Gefilden wie der Jagd wiederfinden. Das zeugt vom Humor und dem kritischen Bewusstsein des Zeitgenossen Sternmut. Angesichts von pathetischen Elogen wie „Echo“ würde man sich mehr davon wünschen.

|Taschenbuch: 128 Seiten
ISBN-13: 978-3924944421|
[www.edition-thaleia.de]http://www.edition-thaleia.de
[ www.sternmut.de]http://www.sternmut.de

_Norbert Sternmut bei |Buchwurm.info|:_
[„Triebwerk. Gedichte“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3752
[„Marlies“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1935
[„Der Tote im Park“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3751
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