Archiv der Kategorie: Horror & Unheimliches

King, Stephen – Gesang der Toten, Der

_Das geschieht:_

Der zweite Teil einer Sammlung früher Stephen-King-Geschichten präsentiert neun weitere Geschichten, die vom Einbruch des Grauens in eine womöglich ohnehin furchtbare Gegenwart (oder Vergangenheit oder Zukunft) erzählen: Die ‚Normalität‘ der Situation steigert den zudem geschickt geschürten Schrecken und sorgt für eine durchweg gruselige Lektüre.

– „Mrs. Todds Abkürzung“ (|“Mrs. Todd’s Shortcut“|, 1984): Ihr Hobby ist es, nach der kürzesten Strecke zu suchen; dass manche Abkürzung buchstäblich nicht von dieser Welt und lebensgefährlich ist, nimmt Mrs. Todd dabei in Kauf.

– „Der Hochzeitsempfang“ (|“The Wedding Gig“|, 1980): Der hässliche Streit zweier Gangster lässt eine ohnehin groteske Hochzeit im Chicago des Jahres 1927 in einer Katastrophe enden.

– „Travel/Der Jaunt“ (|“The Jaunt“|, 1981): Zwar kann der Mensch durch Raum & Zeit reisen, aber es gilt dabei gewisse Regeln zu beachten, was in dieser Geschichte mit üblen Folgen ignoriert wird.

– „Kains Aufbegehren“ (|“Cain Rose Up“|, 1986): Eines allzu heißen Sommertages hat der junge Student die Nase voll von der Welt – und ein Gewehr im Schrank.

– „Das Floß“ (|“The Raft“|, 1982): Pubertäre Wallungen verfliegen abrupt, als vier junge Schwimmer feststellen, dass sie ihren Badesee mit einer seltsamen und sehr hungrigen Kreatur teilen.

– „Der Gesang der Toten“/“Die Meerenge“ (|“The Reach“/“Do the Dead Sing?“|, 1981): Als die alte Stella ihren toten Gatten zu sehen beginnt, bricht sie eines eisigen Wintertages zu ihrer letzten Reise auf.

– „Der Sensenmann“/“Das Bildnis des Sensenmanns“ (|“The Reaper’s Image“|, 1969): Der alte Spiegel ist verhext, doch was seine neugierigen Betrachter trifft, haust nicht in seinem Inneren.

– „Nona“ (|“Nona“|, 1978): Seelennot und Hirnstörungen des jungen Mannes setzen ein hübsches aber mörderisches Geschöpf in die Welt.

– „Onkel Ottos Lastwagen“ (|“Uncle Otto’s Truck“|, 1983): Ein Mord ist nicht wirklich perfekt, wenn dem Opfer die Zeit bleibt, seinen Mörder mit einem Fluch zu belegen.

_Liebe & andere Katastrophen_

„Liebst du?“, werden die Protagonisten in den Geschichten „Der Gesang der Toten“ und „Nona“ gefragt. Die Antwort lautet „Ja“, aber Liebe ist ein gefährliches Gefühl, das nicht nur an ungewöhnlichen Orten existieren, sondern auch zerstören kann. Selbst wenn der Grundton versöhnlich ist, bleibt die Liebe riskant: In „Die Abkürzung“ benötigt sie Jahre des ängstlichen Abwartens, während das Objekt der Begierde durch exotisch gefährliche Regionen des Raum-Zeit-Kontinuums reist.

Die alte Stella wird von freundlichen Geistern weniger heimgesucht als begrüßt. Dennoch lässt sie Stephen King nicht friedlich im Bett sterben. Stella ist nicht nur eine Greisin an der Schwelle des Todes, sondern ein Element ihrer Heimat: Liebe beschränkt sich nicht auf Personen. Sie kann auch einem Ort wie der nur scheinbar kargen Insel gelten, die Stella Zeit ihres Lebens keineswegs grundlos nie verlassen hat.

Was den meisten Autoren zur sentimentalen Beschwörung von ewiger Liebe über den Tod hinaus geronnen wäre, kommt bei King angenehm schmalzarm und über weite Strecken beinahe dokumentarisch daher. Sein Erfolg bei einem breiten Publikum resultiert zu einem Gutteil aus seinem Talent, Emotionen nicht auszuwalzen, bis sie zur eigenen Parodie ausdünnen, sondern sie nachvollziehbar auszudrücken und es damit gut sein zu lassen.

|Der Horror der realen Welt|

In die dunklen Ecken des Menschenhirns, das auf reale Gespenster nicht angewiesen ist, weil es Nachtmahre und Phantome ausbrütet, mit denen diese kaum mithalten könnten, führt uns „Nona“. In „Kains Aufbegehren“ geht es nicht um (enttäuschte) Liebe, doch der Protagonist verdeutlicht Kings Konzept vom Wahn, der ohne Schaum vor dem Mund, sondern furchtbar banal bzw. alltäglich daherkommt. Niemand ahnt, wie es im Kopf des jungen Studenten aussieht, weshalb er seinen Amoklauf problemlos vorbereiten und durchführen kann.

„Nona“ ist ein ‚personifiziertes‘ Hirngespinst. Der Geist eines auf seine Weise ebenfalls gescheiterten und frustrierten Mann zerfällt in zwei scheinbar unabhängig voneinander funktionierte Wesenheiten. Tatsächlich ist Nona die Projektion einer unterdrückten Wut, die auf diese Weise die anerzogenen Barrieren überwinden und sich Bahn brechen kann.

Einen Schritt weiter geht King in „Onkel Ottos Lastwagen“. Plagt wirklich der Geist eines ermordeten Freundes den alten Otto, oder ist es das schlechte Gewissen, das ihn an den Tatort bannt, wo er die Rache, die das Gesetz nicht bringen kann, so sehr erwartet, dass er sie schließlich Gestalt annehmen lässt? Diese Frage bleibt offen; der Leser muss oder kann sie sich nach Belieben beantworten.

|Die Welt ist ein seltsamer Ort|

Andere Storys legt King weniger mehrschichtig an, sondern stellt – allerdings mit dem für ihn typischen Geschick, das in diesen frühen Geschichten besonders ausgeprägt ist – ‚realen‘ Horror in den Vordergrund. Unter seiner Feder wirkt dieser beängstigend, zumal es immer völlig alltägliche Menschen sind, denen er begegnet: King ist ein Meister in der Darstellung solcher Zeitgenossen, was selbst früher und vielfach von anderen Autoren beschworene Schreckensszenarien vergessen lässt.

Großartig in ihrer sowohl unmittelbaren als auch nachklingenden Wirkung sind Storys wie „Das Floß“ oder „Onkel Ottos Lastwagen“. Was Furcht ausmacht, stellt King in einfachen oder besser: klaren Worten dar. Das Grauen kann sehr handfest sein, so lautet die daraus zu ziehende Lehre, was uns zum „psychologischen“ Horror zurückführt.

Überraschungen sind dabei nicht nur möglich, sondern an der Tagesordnung. „Der Sensenmann“ mag in einem Spiegel hausen, aber seine Opfer finden ihr Ende in der realen Welt. Wie dies ablaufen könnte, verschweigt uns King. Er muss es auch nicht erläutern und darf es sogar nicht, weil seine Geschichte so sehr viel stärker wirkt. Deshalb bleibt auch „Mrs. Todds Abkürzung“ ein Geheimnis.

|Nicht alles kann perfekt sein|

Zwei Storys dieser (Teil-) Sammlung fallen aus dem Rahmen. „Der Hochzeitsempfang“ zeigt den Geschichtenerzähler Stephen King, der auf den Faktor Phantastik keineswegs angewiesen ist. Als Bestseller-Autor, der sich oder seinen Kritikern längst nichts mehr beweisen muss, ist King mutiger geworden und legt seinen Lesern ohne Scheu Erzählungen vor, die den alten Spruch belegen, dass zuerst und vor allem der Mensch des Menschen Wolf ist.

Die an sich witzige Geschichte von der dicken Braut des Gangsterbosses, der ebenso gefährlich wie leicht reizbar ist, wird zur Tragödie mit groteskem Epilog. Schon vorher trübt King die Atmosphäre einer Geschichte aus der „guten, alten Zeit“ ein, indem er quasi nebenbei auf zeitgenössische Hässlichkeiten in Gestalt eines ausgeprägten und aufgrund seiner Selbstverständlichkeit noch erschreckenderen Rassismus hinweist.

„Travel“ ist weniger eine Kurzgeschichte als eine Novelle. Sie ist nur bedingt gelungen, was auf eine unglückliche Zweiteilung der Handlung zurückgeht, deren Stränge nicht wirklich zueinanderfinden. Das in der Zukunft spielende Geschehen wird durch einen gegen Ende des 20. Jahrhunderts spielenden Rückblick ergänzt, der die Erfindung des Materietransmitters – denn genau dies ist die Jaunt-Maschine – nacherzählt. Originell ist das nicht und heute deutlich angestaubt; eine Story, die so in den SF-Magazinen der 1950er und 60er Jahre erschienen sein könnte. Nur Kings Stil lädt zum Weiterlesen ein.

Der zweite Handlungsstrang leidet unter einem Ende, das sich viel zu früh ankündigt und anschließend zu lange auf sich warten lässt. Selbstverständlich wird sich wiederholen, was in der Vergangenheit schiefging und vertuscht wurde. Immerhin trifft es eine überaus unsympathische Figur, die ihr Schicksal freiwillig herausgefordert hat. King erspart uns hämisches Frohlocken, denn „Travel“ ist in diesem Teil der Handlung ironisch angelegt: Die Familie auf dem Weg ist eine Parodie auf die US-Bilderbuch-Familie, wie sie über Jahrzehnte vor allem im Fernsehen propagiert wurde. Bei King ist der Vater ein eingebildeter Besserwisser, die Mutter eine dumme Gans, und die Kinder sind disziplinarme Nervensägen.

|Aus eins mach drei|

In einer Bibliografie der originalen Stephen-King-Werke wird man den Titel „Der Gesang der Toten“ vergeblich suchen: In Deutschland wurde die voluminöse Story-Sammlung „Skeleton Crew“ nicht in toto veröffentlicht, sondern in drei Taschenbuch-Bände aufgeteilt. Auf diese Weise konnte man mehr Geld aus dem Titel schlagen. Außerdem mag die Furcht mitgespielt haben, der deutsche Leser könnte vor dem Erwerb eines allzu seitenstarken Buches zurückschrecken, das ’nur‘ Storys bot.

In den 1990er Jahren war Stephen King auch in Deutschland nicht nur ein erfolgreicher Autor, sondern eine eingeführte Marke. Unter seinem Namen ließen sich vermutlich auch Gedichte vermarkten. 1996 wurden die immer wieder aufgelegten und gründlich ausgewerteten Story-Bände deshalb auch hierzulande endlich zusammengelegt.

Die in Deutschland ursprünglich dreigeteilte Sammlung erschien 1996 als Sammelband unter dem Titel „Blut“ im Wilhelm Heyne Verlag; diverse Übersetzungen wurden von Joachim Körber überarbeitet oder neu angefertigt. Später kehrte man zur Dreiteilung zurück, die bis heute beibehalten wird.

|“Skeleton“-Crew – die deutschen Bände:|

– „Im Morgengrauen“ – Heyne TB 6553/Ullstein TB 26376
– „Der Gesang der Toten“ – Heyne TB 6705/Ullstein TB 26329
– „Der Fornit“ – Heyne TB 6888/Ullstein TB 26377

_Autor_

Normalerweise lasse ich an dieser Stelle ein Autorenporträt folgen. Wenn ich ein Werk von Stephen King vorstelle, pflege ich dies zu unterlassen – aus gutem Grund, denn der überaus beliebte Schriftsteller ist im Internet umfassend vertreten.

|Taschenbuch: 283 Seiten
Originaltitel: Skeleton Crew [Teil 2] (New York : G. P. Putnam’s Sons 1985)
Übersetzung: Martin Bliesse (1), Alexandra von Reinhardt (6), Rolf Jurkeit (2)
Deutsche Erstausgabe: 1986 (Wilhelm Heyne Verlag/Allgemeine Reihe Nr. 01/6705)
ISBN-13: 978-3-453-02309-3|
[www.stephen-king.de]http://www.stephen-king.de
[www.stephenking.com]http://www.stephenking.com
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

|Aktuelle Auflage: 2006 (Ullstein Verlag/TB Nr. 26329)
Taschenbuch: 283 Seiten
ISBN-13: 978-3-548-26329-8|
[www.ullsteinbuchverlage.de]http://www.ullsteinbuchverlage.de

|Gesamtausgabe (unter dem Titel „Blut“): 1996 (Wilhelm Heyne Verlag/Allgemeine Reihe/TB Nr. 01/8900)
Taschenbuch: 701 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-09936-4|
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

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Croft, Mike – Tief – Warnung aus dem Ozean

_Das geschieht:_

Als sich ein Pottwal ausgerechnet an den Strand des südenglischen Seebades Brighton wirft, wird Dr. Roderick „Roddy“ Ormond, Direktor des Instituts für Meeressäugetiere in London, alarmiert. Obwohl Ormond ein klassischer, nur auf seine Forschungen fixierter Wissenschaftler ist, der die Medien ignoriert und vor den Kopf stößt, gelingt es ihm, den riesigen Säuger mit Hilfe einer Strandschmierung durch Spülmittel zurück in den Ärmelkanal zu befördern.

Aber der Wal hat eine Mission: Er will die Menschen vor einem Unheil warnen, das in den Tiefen des nördlichen Atlantiks lauert. Dort hat Großbritannien nach dem II. Weltkrieg eine „Special Operations No Access Zone“ – kurz SONAZ – eingerichtet, die der Erprobung experimenteller Waffen meist atomarer Natur diente. Zwar hat man dort seit vielen Jahren keine Tests mehr durchgeführt, doch die Sünden bzw. Gift- und Kampfstoffe der Vergangenheit haben ein Eigenleben entwickelt und sich zu gruseligen, der Forschung gänzlich unbekannten Mixturen verbunden.

Hinzu kommt regelmäßiger Nachschub, denn der skrupellose Reeder Tony Rattigan missbraucht SONAZ, um dort illegal Giftmüll aus der ehemaligen Sowjetunion zu verklappen. Jetzt haben zumindest die Wale die Nase voll. Sie rammen und versenken Schiffe, die in die Zone eindringen wollen, und schicken Botschafter nach Großbritannien.

Da der oben erwähnte Pottwal sich nicht verständlich machen kann, alarmiert er 77 Walgenossen, die sich erneut an den genannten Strand werfen. Allmählich ahnt Ormond, worum es den Tieren geht. Mit Hilfe einiger Forscher-Kollegen sowie der Journalistin Kate Gunning löst er das SONAZ-Geheimnis, was freilich weder Rattigan noch die britische Regierung erfreut, sondern zu Gegenmaßnahmen provoziert ,,,

_Wale und Gutmenschen gegen Umwelt-Sünder_

Zwar wird es für die potenzielle Leserschaft vorsichtshalber nicht explizit ausgedrückt, doch schon nach weniger Lektüre-Seiten keimt ein gewisses Misstrauen auf: Haben wir es hier etwa mit einem dieser ‚ökologischen‘ Mystery-Thriller zu tun, die ihre Botschaft als Unterhaltung verpacken und dabei erst recht den erhobenen Zeigefinger sehen lassen? Hinzu kommen Ereignisse wie diese: Wale werfen sich vor oder gegen Schiffe, um sie am Entladen von Giftmüll zu hindern, dann springen sie aus dem Wasser, um ein Signal zu setzen, und schließlich krault ein Rudel Killerwale die Themse hinauf, um in London unterhalb des Parlamentsgebäudes auf die Verschmutzung der Meere aufmerksam zu machen.

Was hier ein wenig spöttisch skizziert wird, sind nur Elemente einer insgesamt wüsten Geschichte. Trotzdem ist „Tief“ weder grüner Hieb mit dem Zaunpfahl auf die Schädel gleichgültiger Öko-Ferkel noch Allmacht-Fantasie realiter machtloser Gutmenschen, die wenigstens im Roman ihren umweltzersetzenden Gegnern in Vertretung der leider stummen Mutter Gäa die Rechnung präsentieren können. „Tief“ bewegt sich in der sicheren Mitte zwischen diesen Polen und scheut sogar vor milden Sarkasmus nicht zurück, der in sämtliche politischen Richtungen ausstrahlt.

Selbstverständlich träufelt Autor Mike Croft ein wenig Mahnung und Warnung zwischen die Zeilen, was ja völlig legitim ist, solange die Primärfunktion nicht beeinträchtigt wird. Dies ist keineswegs der Fall: „Tief“ bietet ungeachtet des kruden Plots Spannung, einige gegen den Strich gebürstete Klischees und einen Schriftsteller, der – unterstützt von einer inspirierten Übersetzerin – seinen Job beherrscht.

|Was unter der Oberfläche schwappt …|

Was uns zum Plot zurückbringt, der es wahrlich in sich hat! An sich ist die Story ziemlich simpel. Croft zündet jedoch ein ganzes Bündel Nebelkerzen, das sein Publikum lange im Nebel tappen lässt, bis es merkt, in welche Richtung der Spuk gehen wird. Dabei verzichtet der Autor nicht nur auf Predigten, sondern meidet auch den Schritt zu viel in die andere Richtung: „Tief“ ist kein Frank-Schätzing-/Michael-Crichton-Klon. Hightech und Naturwissenschaft werden nicht effektvoll – oder übertrieben – miteinander verquirlt, Technobabbel fällt aus. Was uns Croft in diesen Richtungen zu sagen hat, baut er in die Handlung ein und erspart sich & uns kluge aber abschweifende Kommentare.

Lieber schildert er den alltäglichen Wahnwitz einer Menschheit, die unbekümmert oder gierig den Ast absägt, auf dem sie selbst sitzt. Politiker wollen wiedergewählt werden und Geschäftsleute verdienen. Die Medien produzieren Schlagzeilen und inszenieren Skandale, während die ohnehin schafsdumme Mehrheit der Menschheit sich manipulieren lässt. Wer sich verweigert, wird vom System überrollt wie Roddy Ormonds unglücklicher Assistent, den ein Pottwal unter sich begräbt.

Das gar nicht so exotische Rätsel im Nordatlantik funktioniert problemlos; es klingt sogar erschreckend realistisch, was sich Croft diesbezüglich ausgedacht hat. Dass die Wale der Welt den Kanal voll haben und die Alarmglocke betätigen, ist ein riskanter Zug, der das Geschehen hart an den Rand des Lächerlichen führt. Croft hält auch hier das Gleichgewicht, obwohl er ganze Passagen aus der Sicht des Pottwals Blackfin schildert, dem damit ein Bewusstsein und menschenähnliche Intelligenz zugebilligt wird. Croft meistert die Herausforderung, diese beiden Welten glaubhaft miteinander in Kontakt zu bringen. Er extrapoliert die rudimentären aber realen Versuche, mit Walen zu kommunizieren, und belässt es klug bei einer nur ansatzweisen Verständigung, die zudem die Spannung schürt.

|Je weiter das Wasser entfernt ist …|

… desto zahlreicher werden leider die Schnitzer, die sich Croft erlaubt. Wer war es, der ihm einredete, die Drohung der globalen Apokalypse sei nicht publikumswirksam genug? Jedenfalls meint der Autor, den Ereignissen individuelle Gesichter zuweisen zu müssen. Roddy Ormond ist deshalb nicht nur ein geradezu vernagelt idealistischer und genialer, sondern auch ein verschrobener Forscher, der zudem nach Jahren eines verbitterten Hagestolz-Daseins die verlorene Liebe seines Lebens wiedertrifft, die sich – in großzügiger Auslegung des Elements Zufall – als Gattin genau jenes Finsterlings entpuppt, dessen Giftmüll-Versenkungen das ozeanische Fass buchstäblich zum Überlaufen bringen. Wiederum ‚zufällig‘ waren er und Ormond einst Nebenbuhler, woraufhin genannter Schurke zusätzlich einen Rachefeldzug gegen den immer noch verhassten Ormond einleitet.

Dann ist da noch des Übertäters hübsches Töchterlein, das den bösen Papi als Fünfte Kolonne jenes buntscheckigen Teams ausspioniert, das Ormond um sich scharen kann. Dazu gehören eine geläuterte Sensationsreporterin, ein väterlicher Freund sowie ein witzboldiger Jung-Walkundler. Gejagt werden sie von Verschwörern und Berufskillern, die ihre Jobs sämtlich beim eifrigen Studium des Vorabendfernsehens gelernt haben müssen.

|Der menschliche Faktor|

Dabei versteht es Croft, Figuren zu zeichnen. Er vermeidet, zwischen ‚Gut‘ und ‚Böse‘ scharf zu konturieren. Der menschliche Charakter liegt nach Croft irgendwo dazwischen. Zudem ist er wandelbar, weshalb Tony Rattigan auf der einen Seite ein global aktiver Kapitalverbrecher ist, der seine Kontrahenten erpressen und umbringen lässt und die Gattin schlägt, während er andererseits anonym Millionensummen in Waisenhäuser und Schulen fließen lässt, weil er als Kind elternlos und ungeliebt aufwachsen musste und zu allem Überfluss missbraucht wurde. Vom eiskalten Verbrecher zum Menschenfreund und wieder zurück kann Rattigan in Sekunden mutieren – ein glaubwürdig begründeter Charakter, der doppelt bedrohlich wirkt, weil nie klar, ob Rattigan gerade Jekyll oder Hyde ist.

Auch Ormond ist bereit, die Linie zu überschreiten: Vor Jahren hat er bei einer Wal-Zählung die Zahlen zu niedrig angesetzt, um ein Wiedereinsetzen des Walfangs zu verhindern. Von den gestrandeten Walen schlachtet er eigenhändig sieben Tiere, um in ihren Innereien nach Ursachen für ihr eigentümliches Verhalten zu forschen. Die Medien ignoriert er mit einer Intensität, die ihn pathologisch und arrogant wirken lässt. Das Resultat gibt Croft Recht: Seine Ambivalenz verwandelt auch Ormond in eine interessantere Figur.

Kleine Meisterwerke gelingen Croft mit Randfiguren. Victoria Adlington, die feiste, schlaue, eisenharte britische Verteidigungsministerin, ist offensichtlich eine Kombination aus Queen Victoria und Margareth Thatcher. Aus wesentlich weicherem Holz ist der selbstmitleidige Kapitän Isaksson geschnitzt, der immer neue Ausreden für seine Bereitschaft findet, die Weltmeere zu verseuchen.

Insgesamt ist „Tief“ weder literarisch noch in Sachen Unterhaltung eine Offenbarung. Stattdessen bietet Croft die bestmögliche Alternative – einen Roman, der in den beiden genannten Kategorien über dem Durchschnitt sowie DEUTLICH oberhalb des Papiermülls rangiert, der auf den Verkaufstischen moderner Buchhandelsketten verklappt wird.

_Autor_

Mike Croft ist das Pseudonym des Dichters und Schriftstellers Mike Stocks, der 1965 in Nordengland geboren wurde. Er studierte an der Birmingham University. Seit 1995 veröffentlicht Stocks, der im schottischen Edinburgh lebt, als Autor, wobei er sich ursprünglich auf die ‚Nacherzählung‘ dabei drastisch auf ihre Grundstrukturen reduzierter bzw. ‚entschärfter‘ Roman- und Kurzgeschichten-Klassiker für Kinder und Jugendliche spezialisierte.

Als Dichter gründete Stocks das Magazin „Anon“, dessen Beiträge ausschließlich anonym veröffentlicht werden. Bekannt wurde Stocks in Literaturkreisen durch seine Übersetzung von Sonetten des römischen Poeten Giuseppe Gioacchino Belli (1791-1863).
2006 erschien Stocks Romandebüt „White Man Falling“ (dt. „Weißer Mann fällt“), für das er auf dem „Guildford Book Festival“ mit einem „Goss First Novel Award“ ausgezeichnet wurde. Zwei Jahre später erschien „Down Deep“ (dt. „Tief – Warnung aus dem Ozean“). Für dieses eher der ‚trivialen‘ Unterhaltung zuzurechnende Werk wählte Stocks das Pseudonym „Mike Croft“.

|Taschenbuch: 383 Seiten
Originaltitel: Down Deep (Richmond : Alma Books 2008)
Übersetzung: Theda Krohm-Linke
ISBN-13: 978-3-832-16122-4|
[www.dumont-buchverlag.de]http://www.dumont-buchverlag.de

Scott, Rob – 15 Meilen

_Das geschieht:_

Samuel Doyle, Polizeibeamter in Richmond im US-Staat Virginia, ist ein Getriebener: Er trinkt, ist tablettensüchtig und betrügt seine Ehefrau, die ihm gerade das zweite Kind geboren hat. Dass man Doyle gerade zur Mordkommission versetzt hat, erhöht seinen Stress, zumal dem unerfahrenen Ermittler als erster Fall die Klärung eines bizarren Geschehnisses übertragen wird: 15 Meilen vor den Toren der Stadt wurden auf einer einsamen und völlig verwahrlosten Farm zwei Leichen entdeckt. Captain Carl James Bruckner gehörte einst zum US-Marine Corps und zeichnete sich im Vietnamkrieg durch besondere Tapferkeit aus. Mit seiner Ehefrau Claire und der geistig behinderten Tochter Molly lebte er seit Jahren völlig zurückgezogen. Nachbarn gibt es nicht, niemand weiß, welche Tragödie sich auf dem Hof abgespielt hat.

Mit den beiden älteren Bruckners starben ihr Vieh und ihre Haustiere, deren Kadaver überall im Haus und in den Stallungen ausliegen. Claires Leiche wurde in Katzenstreu mumifiziert. Karls Körper steckt in einer Truhe; aus seinen Schultern wurden Fleischstücke geschnitten. Molly ist spurlos verschwunden.

Was ist hier geschehen? Doyle, der alles richtig machen will, gerät ins Schwimmen. Die Indiziendecke ist dünn, erste Untersuchungsergebnisse deuten Ungeheuerliches an: Offenbar war Bruckner in Vietnam an einen schlecht geplanten Einsatz beteiligt, der den meisten Kameraden das Leben kostete. Die Schuldigen wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Einer von ihnen stellt sich in Richmond als zukünftiger Präsident der USA vor. Wollte sich Bruckner rächen?

Als klar ist, was die Farmtiere umbrachte, bricht Panik aus. Alles deutet darauf hin, dass Molly ahnungslos weiterhin versucht, das Attentat durchzuführen. Nur Doyle ahnt die wesentlich gefährlichere Wahrheit, aber auch ihn hat inzwischen erwischt, was auf der Bruckner-Farm umgeht …

_Die tausend Tücken des Objekts_

Diese Rezension ist ein Drahtseilakt: Eigentlich lässt sie sich überhaupt nicht schreiben, ohne die Katze beim Namen zu nennen, die Autor Scott schließlich aus dem Sack lässt. Er entfesselt keinen Geisterspuk, weder Zombies noch (Gott bewahre!) Vampire geistern durch die hochsommerlichen Sümpfe von Virginia. „15 Meilen“ erzählt stattdessen die Geschichte eines ‚realen‘ Horrors, der seinen Weg in eine unvorbereitete und entsetzte Menschenwelt findet.

Insofern führt der Klappentext, der in das Versprechen „Gänsehaus garantiert – Rob Scott ist der neue Star des Horrorgenres!“ mündet, den Leser in eine gänzlich falsche Richtung. Andererseits ignoriert der erfahrene, weil durch böse Erfahrung klug gewordene Leser Klappentexte ohnehin; sie werden heute in der Regel von Knechten der Werbe-Branche geschrieben, die das Buch dazu höchstens überflogen haben.

Ohne solchen Dummsprech kann sich der Leser viel unbefangener auf einen tatsächlich etwas anderen Horror-Roman einlassen. „15 Meilen“ bietet Mystery-Grusel, wie ihn Michael Crichton selig oder das erfolgreiche Duo Preston & Child liefer(te)n: Scott entwirft ein Rätsel an der Grenze zum Absurden bzw. zum Übernatürlichen, das er nach und nach und möglichst spannend auflöst. Das Wirken jenseitiger Mächte wird dabei als Verkettung jederzeit erklärbarer Ereignisse geschildert.

Die Kunst besteht darin, den Leser dadurch nicht zu enttäuschen, sondern im Gegenteil zu faszinieren. Dies ist durchaus möglich, wenn der Rätsel Lösungen überraschen können und der Weg bis dahin spannend ist. Beide Hürden kann Scott nehmen.

|Auf Nummer Sicher gehen – und es übertreiben|

„15 Meilen“ ist Scotts erster Solo-Roman. Dies lässt verstehen, dass er es richtig machen und auf Nummer Sicher gehen wollte. Auf keinen Fall sollte diese Geschichte simple Horror-Action werden. Scott ist ehrgeizig. „15 Meilen“ soll nicht nur spannend und gruselig sein, sondern auch Tiefgang bieten.

Diesen verbindet der Autor mit seiner Hauptfigur. Schon in der Inhaltsbeschreibung wurden einige der Bürden aufgezählt, die auf „Sailor“ Doyles Schultern lasten. Obwohl dies mehr als genug Stoff für den Entwurf einer interessant gebrochenen Existenz sein dürfte, ist die Liste keinesfalls vollständig. Weitere seelische Altlasten brechen über den armen Doyle herein, der ohnehin die meiste Zeit damit beschäftigt ist, den endgültigen Einsturz seines maroden Privatlebens aufzuhalten.

Es überrascht kaum, dass Scott es übertreibt, zumal er einen unguten Hang zum Exkurs hat. So reicht es ihm nicht, Doyle mit einer tragisch verunglückten Schwester zu schlagen. Wo die Erwähnung der Tatsache und der daraus resultierenden psychischen Probleme gereicht hätte, lässt Scott Marie in zwei Rückblenden quasi auferstehen. Ihr Schicksal hat mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun und lässt gleichgültig. Wenn der Leser dies bemerkt, reagiert er gereizt, zumal uns Scott noch auf weitere nutzlose Abwege führt.

|Detective Doyle: Schmerzensmann oder Idiot?|

Schon die Einleitung ist durchaus eine Zumutung: 41 Seiten sitzen Doyle und seine Kollegen in einer Kneipe und saufen. Was in Doyles Welt einführen soll, gerinnt so zur Abfolge von Wiederholungen. Viel effektiver wäre es gewesen, in die Handlung einzusteigen und Doyles Probleme und Dämonen nach und nach einfließen zu lassen, zumal seine Schwierigkeiten mit dem Geschehen nur am Rande oder gar nicht zu tun haben.

So funktioniert es jedenfalls nicht: Doyle dröhnt und schüttet sich zu, bleibt dabei jedoch als Fahnder stets am Ball. Der Fall wird gelöst, obwohl die nörgelnde Gattin, die unzufriedene Geliebte, die tote Schwester, der lästige Vorgesetzte, die verlockend hübsche neue Kollegin und andere Hindernisse sich in Doyles Hosenboden verbeißen.

Solche künstlichen Verwicklungen sind im Grunde überflüssig. Der Detective mag unerfahren sein, aber er kann seinen Job. Wenn wir ihn bei seiner Polizei-Arbeit beobachten, kommt „15 Meilen“ endlich in Schwung. Selbst Sohn eines Polizisten und auch mit der Kulisse Virginia vertraut, versteht es Scott, die Ermittlungen anschaulich darzustellen.

Das Finale ist ambivalent: Einerseits schildert Scott eine spannende Jagd auf Leben & Tod, während er andererseits seinen Helden dabei mit Rauschgift und Medikamenten vollpumpt, an einer tödlichen Krankheit leiden, von gleich mehreren Giftschlangen beißen, einem religiösen Irren in die Arme laufen sowie sich anschießen und von einer Brücke stürzen lässt. Jedes Mal, wenn es ihn trifft, beteuert Doyle glaubhaft, am Ende zu sein, und taumelt doch dem nächsten Desaster und der Auflösung jeglicher Glaubwürdigkeit entgegen.

|CSI-Ekel ist steigerbar|

In seinem Element ist Scott, wenn er den zentralen Ort des Geschehens nicht einfach beschreibt, sondern zelebriert. Die Bruckner-Farm wird zur Stätte eines Grauens, das umso stärker wirkt, weil es vor allem im Menschenhirn nistet. Zwar sorgt die Natur in ihrer evolutionären Gleichgültigkeit für Tod, Hitze, Fliegen und Fäulnis, doch an den wirklich finsteren Ereignissen ist sie unschuldig.

Was sich im Haus der Bruckners abgespielte, ist dabei so traurig, lächerlich und bizarr wie das wahre Leben. Die Ereignisse liefen dort ohne das spätere Grauen bereits aus dem Ruder. Bis dies offenbart und schlüssig beschrieben wird, wirft Scott leider erneut seine Nebelkerzen und führt den inzwischen längst misstrauisch gewordenen Leser nicht elegant in die Irre, sondern packt ihn am Schlafittchen und zerrt ihn dorthin.

Sollte es Scott gelingen, seinen Hang zum Aus- und Abschweifen zu bändigen oder durch eine energische Redaktion kontrollieren zu lassen, dürften seine nächsten Romane deutlich besser geraten. Wie dies aussehen könnte, lässt sich einfach vorstellen: „15 Meilen“ minus 200 Seiten ergäben ein Grusel-Garn, das dem pompösen Klappentext wesentlich besser entspräche!

_Autor_

Robert Scott (geb. 1968 in New York) studierte zunächst Musik. Sein Instrument war die Gitarre, mit der er sich als Künstler seinen Lebensunterhalt verdiente, bevor er ein Studium der Erziehungswissenschaften anschloss.

Schriftsteller wurde Scott, nachdem er in seinem Schwiegervater Jay Gordon ebenfalls einen Liebhaber epischer Fantasy entdeckte. Sie beschlossen, eine eigene Serie zu schreiben. Aus diesem Plan entwickelte sich nach mehrjähriger Vorbereitung der |Eldarn|-Zyklus, der als Trilogie endete, als Gordon 2005 einer schweren Krankheit erlag.

Als „Rob Scott“ veröffentlichte Scott 2010 seinen ersten Solo-Roman und wechselte dabei von der Fantasy zum Horror. In diesem Genre hatte er seit 1985 diverse Kurzgeschichten veröffentlicht. Hauptberuflich arbeitet Scott heute als Direktor einer Schule im US-Staat Virginia, wo er mit seiner Familie lebt.

|Taschenbuch: 527 Seiten
Originaltitel: 15 Miles (London : Victor Gollancz Ltd./Orion Publishing Group 2010)
Übersetzung: Andreas Brandhorst
ISBN-13: 978-3-453-52740-9|
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

Boothby, Guy Newell – Experiment des Doctor Nikola, Das

_Die |Doctor Nikola|-Reihe:_

(1895) [„Die Rache des Doctor Nikola“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6319 (|“A Bid for Fortune, or: Dr. Nikola’s Vendetta“| / |“Enter Dr. Nikola!“|)
(1896) [„Die Expedition des Doctor Nikola“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6746 (|“Dr. Nikola“|)
(1898) |“The Lust of Hate“|
(1899) _“Das Experiment des Doctor Nikola“_ (|“Dr. Nikola’s Experiment“|)
(1901) „Der Palazzo des Doctor Nikola“ (|“Farewell, Nikola“|)

_Das geschieht:_

Das Leben meint es nicht gut mit Dr. Douglas Ingleby. Ohne Job und Einkommen nagt er buchstäblich am Hungertuch, als ihn ein alter und erfolgreicher Freund nicht nur in sein Haus einlädt, sondern dem genialen Wissenschaftler Dr. Nikolai vorstellt, der just auf der Suche nach einem abenteuerlustigen Assistenten ist.

Rasch wird man sich einig, und schon ist Ingleby auf dem Weg in die englische Grafschaft Northumberland. Dort hat Nikolai Allerdyne Castle, ein einsam am Meeresstrand gelegenes Schloss, für ein großes Experiment erworben: Nach jahrelangen Bemühungen ist er sicher, das Geheimnis des ewigen Lebens gelüftet zu haben!

Bis es soweit ist, muss freilich noch einige Forschungsarbeit geleistet werden. Nikolai gedenkt keinesfalls, sich den damit verbundenen Risiken auszusetzen. Er hat sich ein menschliches Versuchskaninchen gesucht: Don Miguel de Moreno ist im Alter von 98 Jahren dem Tod deutlich näher als dem Leben. Begleitet von der blutjungen Consuelo, seiner Urenkelin, und zukünftig ärztlich betreut von Dr. Ingleby, zieht er deshalb in Allerdyne Castle ein, wo Nikola ihn ‚behandeln‘ wird.

Doch Nikola hat sich auf seiner weltweiten Jagd nach der Unsterblichkeitsformel zahlreiche Feinde gemacht. Zuletzt brachte er eine chinesische Geheimorganisation gegen sich auf, die ihm auch in England nach dem Leben trachtet. Der einohrige Mordbube Quong Ma umschleicht das Schloss, in dem die Natur sich nicht wehrlos von Nikola ins Handwerk pfuschen lässt. Während Consuelo machtlos die Hände ringt, macht sich Ingleby, der sich längst in die spanische Schönheit verliebt hat, für Recht & Ordnung stark …

|Keine Furcht vor Geistern oder Klischees|

Ein uraltes, baufälliges, mit Keller-Kerkern ausgestattetes und von Geheimgängen durchzogenes Schloss auf einer sturmumtosten Meeresklippe, darin ein mysteriös und bedrohlich ausgestattetes ‚Labor‘, das eher einer Alchimistenstube gleicht, sowie eine abgelegene Kammer, in der die gruseligen Überlebenden nur bedingt gelungener Experimente ihr Dasein fristen: Man kann beim besten Willen nicht behaupten, dass sich Guy Newell Boothby vor dem Klischee fürchtet. Schon als er vor einem Jahrhundert „Das Experiment des Doctor Nikola“ schrieb, war dessen ‚gotisches‘ Ambiente keine frische Schöpfung mehr. Auch die übrigen Zutaten dieses dritten „Nikola“-Abenteuers sind gut abgehangen aber schmackhaft bzw. bewährt. Mordgierige Asiaten waren dem viktorianischen Publikum wohlvertraut; dass sie dieses Mal in England selbst ihr Unwesen treiben, sorgt für zusätzliche Angstschauer.

Da Nikola der Rolle des genialen Übermenschen treu bleiben muss, führt Boothby zwei ‚Normalsterbliche‘ als Identifikationsfiguren ein. Schon die erste Begegnung zwischen Ingleby und Consuelo lässt den erfahrenen Leser seufzen: Eine Liebesgeschichte ist vorprogrammiert. In der Tat verzichtet Boothby keinesfalls auf dieses nicht nur zu seiner Zeit probate und angeblich unverzichtbare Element eines Romans, der ein möglichst breites Publikum finden sollte. Der Verfasser griff auf dabei auf jene Balzrituale und Liebesschwüre zurück, mit denen sich die entsprechenden Sequenzen offensichtlich automatisch schrieben – auf den Leser des 21. Jahrhunderts wirken sie jedenfalls recht mechanisch.

|Ein Bösewicht wird reaktiviert|

Mit dem brillanten aber skrupellosen bis diabolischen Dr. Nikola war dem Vielschreiber Boothby 1895 eine attraktive und publikumswirksame Figur gelungen. Der Autor schmiedete dieses Eisen, so lang es heiß war, und ließ dem ersten Abenteuer mehrere Fortsetzungen folgen. „Das Experiment des Doctor Nikola“ ist dabei deutlich kürzer geraten als der erste und zweite Roman. Der stets von Terminen gehetzte Boothby wollte einerseits vom Erfolg der Nikola-Reihe profitieren, während ihm andererseits keine wirklich originelle Story einfiel, was für ihn nie ein Grund war, die Feder ruhen zu lassen.

In der Tat fällt nach dem in China und Tibet spielenden zweiten Teil mit seinen ausführlichen, farbenfrohen Schilderungen geheimnisvoller Orte die Beschränkung auf ein Schloss im wenig exotischen England auf. Obwohl Boothby sich Mühe gibt, wirkt Allerdyne Castle nur auf die chronisch gefühlsschwache Consuelo unheimlich. Ohnehin erreicht die Handlung diesen Ort vergleichsweise spät. Wie üblich vertändelt Boothby viel Zeit mit einer allzu breit angelegten Einleitung. Diese Verzögerung muss er später aufholen. Mit ausdrücklicher Ausnahme der Liebesgeschichte gelingt ihm dies: „Das Experiment …“ profitiert von der relativen Kürze der Story.

|Ein Schurke verändert sich|

Dr. Nikola ist ein Mann mit vielen Facetten. Ein „Schurke“ ist er jedoch nur bedingt. Schon in „Die Expedition …“ erwies er sich als Kamerad, der seinen Gefährten zwar in die Höhle des Löwen führte, dort und im Verlauf der späteren Flucht aber treu an seiner Seite stand. Wenn Nikola ein Schurke ist, so bezieht sich dies auf die Bedingungslosigkeit, mit welcher er seine Ziele verfolgt. Nikola ist ein besessener Forscher, der wie sein Vorgänger Frankenstein an den Grundfesten des Lebens selbst rührt. Macht und Geld sind ihm dabei nur notwendige Instrumente.

Auch seine ‚Assistenten‘ fallen in diese Kategorie. Dies wird deutlich, als Nikola in „Das Experiment …“ ein einziges Mal die Maske fallen lässt: Ingleby hat durch ein Versehen beinahe den Tod des alten Don Miguel verschuldet. Nikola verliert die Fassung und droht: |“Sie haben das ganze Experiment gefährdet, und wenn der alte Mann gestorben wäre, … dann hätten Sie, so wahr ich lebe, die Sonne nicht mehr aufgehen sehen. Ich schwöre Ihnen, ich hätte Sie getötet, ohne irgendwelche Gewissensbisse, wie einen Hund, der mich gebissen hat.“| (S. 92) Boothby macht hier deutlich, dass und wieso Nikola ein gefährlicher Mann ist.

Ansonsten beschränkt er sich auf die Schilderung von Nikolas Taten, ohne diese zu werten. Es bleibt dem Leser überlassen zu fragen, wie es um die Moral eines Mannes bestellt ist, der raubt und wohl auch mordet, um an begehrtes Wissen zu kommen. Das Mittel zur Lebensverlängerung probiert er an einem Menschen aus, den niemand außer der Urenkelin vermissen wird, weshalb Nikola sie einfach mit in sein Schloss nimmt und damit mundtot macht.

Allerdings verändert der unerwartete Ausgang seines Experimentes Nikola. Sein ganzes Leben hatte er darauf ausgerichtet. Nun muss er sich ein neues Ziel setzen. Boothby bereitet geschickt die Fortsetzung der „Nikola“-Saga vor: Der Mann, der bisher alles unter Kontrolle hatte, ist aus dem Gleichgewicht geraten. Dies werden seine Feinde erkennen und ausnutzen.

|Alles bleibt gut|

Ob sie erfolgreich waren, erfuhren Boothbys englische Leser bereits 1901. Das deutsche Publikum musste sich 99 Jahre gedulden. Nachdem „Die Expedition des Doctor Nikola“ 1912 erschienen war, wurde die Reihe nicht mehr fortgesetzt bzw. übersetzt. Erst 2011 ging es im Rahmen der „Doctor Nikola“-Edition des Wurdack-Verlags weiter, die – da offensichtlich erfolgreich – ihrer Vollendung entgegengeht: Dieses Mal werden wir auch hierzulande Nikolas Schicksal kennenlernen.

Wie üblich und vom Leser erfreut registriert, liest sich „Das Experiment …“ trotz der geschickt berücksichtigten Anachronismen sehr flüssig. Das Denken und Handeln unserer Vorfahren wird im Roman zusätzlich dramatisiert, doch was einst fesselte, wirkt heute oft langweilig oder sogar peinlich. Diese Hürde muss der Leser nicht fürchten. Stattdessen geht es mit Schwung in die Zielgerade. Im „Palazzo des Doctor Nikola“ werden wir uns wiedertreffen!

|Bonustrack: Unsterbliche Liebe|

Weil dieses dritte „Nikola“-Abenteuer ein wenig kurz geraten ist, hängt der deutsche Herausgeber eine (ebenfalls erstmalig in Deutschland veröffentlichte) Kurzgeschichte (S. 139-157) an. G. N. Boothby schrieb „Eine Geschichte von Ägypten“ („A Professor of Egyptology“) 1904. Er erzählt von der jungen Erbin Cecilia Westmoreland. Sie wird im Verlauf einer Ägyptenreise damit konfrontiert, die Wiedergeburt einer Prinzessin zu sein, welche zur Zeit der Pharaonen einen tragischen Tod starb.

Der Handlungsverlauf birgt für den heutigen Leser keine Überraschungen. Sie ist vor allem Beleg für jene historische Epoche, die ein ‚gebildetes‘ Europa im Bann des alten Ägyptens zeigt. Bis in die 1930er Jahre sorgten Ausgrabungen für spektakuläre und die Fantasie anregende Funde. Schriftsteller sprangen auf diesen Zug auf und schrieben spannende, die Forschungsergebnisse notfalls ignorierende Geschichten über mächtige Pharaonen, schöne Prinzessinnen und rächende Mumien. Reinkarnation bildete eine beliebte Brücke in die ausgeschmückte Vergangenheit. Auch Boothby beschreitet sie, doch wesentlich interessanter ist seine ausführliche Einleitung geraten, die mit deutlichem Spott aber trügerisch elegant das hohle gesellschaftliche Treiben der britischen Oberschicht in Kairo um 1900 schildert: Boothby war sicherlich ein Vielschreiber, aber sein Handwerk beherrschte er!

_Autor_

Am 13. Oktober 1867 wurde Guy Newell Boothby im australischen Glen Osmond, einer Vorstadt von Adelaide, geboren. Die Boothbys gehörten zur Oberschicht, Guys Vater saß im Parlament von Südaustralien. Der Sohn besuchte von 1874 bis 1883 die Schule im englischen Salisbury, dem Geburtsort seiner Mutter.

Nach Australien zurückgekehrt, versuchte sich Boothby als Theaterautor. Sein Geld verdiente er allerdings als Sekretär des Bürgermeisters von Adelaide. Beide Tätigkeiten wurden nicht von Erfolg gekrönt. Boothbys Lehr- und Wanderjahre führten ihn 1891/92 kreuz und quer durch Australien sowie den südasiatischen Inselraum. Sein 1894 veröffentlichter Reisebericht wurde zum Start einer außergewöhnlichen Schriftstellerkarriere.

1895 siedelte Boothby nach England um, heiratete und gründete eine Familie. Er schrieb nun Romane, wobei er sämtliche Genres der Unterhaltungsliteratur bediente und lieferte, was ein möglichst breites Publikum wünschte. Boothby war ein findiger und fleißiger Autor, der überaus ökonomisch arbeitete, indem er seine Worte nicht niederschrieb, sondern in einen Phonographen diktierte und die so besprochenen Wachswalzen von einer Sekretärin in Reinschrift bringen ließ. Jährlich konnten auf diese Weise durchschnittlich fünf Titel erscheinen. Boothbys Einkünfte ermöglichten ihm den Kauf eines Herrenhauses an der Südküste Englands, in dem er mit seiner Familie lebte, bis er am 26. Februar 1905 im Alter von nur 37 Jahren an einer Lungenentzündung starb.

|“The Lust of Hate“| wird keine Neuauflage erfahren; Dr. Nikola tritt nur als ‚Gaststar‘ in einer Geschichte auf, die ansonsten mit ’seiner‘ Serie nichts zu tun hat.

|Paperback mit Klappenbroschur: 157 Seiten
Originaltitel: Dr. Nikola’s Experiment (London : Ward, Lock & Co. 1899)
Übersetzung: Michael Böhnhardt
Cover: Ernst Wurdack
ISBN-13: 978-3-938065-73-0|
[doctornikola.blogspot.com]http://doctornikola.blogspot.com
[www.wurdackverlag.de]http://www.wurdackverlag.de

_Guy N. Boothby bei |Buchwurm.info|:_
[„Pharos der Ägypter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=297

Gord Rollo – Amputiert

Obdachlos und verzweifelt gerät Michael Fox in die Fänge eines skrupellosen ‚Arztes‘, der ihn im Verlauf wahnwitziger ‚medizinischer‘ Experimente buchstäblich in Stücke schneidet … – Die simple bzw. geradlinige und mit drastischen Effekten nicht sparende Story erinnert an den Trash-Horror-Papst Richard Laymon, ist aber vor allem stilistisch besser geraten: Splatter-Grusel mit gefühlvoll gedachten jedoch klischeestarken Zwischenspielen.
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Saintcrow, Lilith – Blutige Vergeltung (Jill Kismet 3)

_|Jill Kismet|:_

Band 1: [„Dämonenmal“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6337
Band 2: [„Schattenjagd“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6789
Band 3: _“Blutige Vergeltung“_
Band 4: „Totenzirkus“ (08.09.2011)
Band 5: „Heaven’s Spite“ (noch ohne dt. Titel)
Band 6: „Angel Town“ (01.11.2011, noch ohne dt. Titel)

Lilith Saintcrows erfolgreiche Reihe um die Dämonenjägerin Dante Valentine mag beendet sein, doch mit der Jägerin Jill Kismet hat die Autorin eine Dante würdige Nachfolgerin geschaffen. „Blutige Vergeltung“ ist bereits der dritte Band der Serie.

Als Jägerin ist Jill Kismet dafür zuständig, Santa Luz von gefährlichem Übersinnlichem freizuhalten. Doch dieses Mal bittet ihr Vorgesetzter Monty sie, in menschlichen Angelegenheiten zu ermitteln. Mehrere Polizisten werden in der Stadt tot aufgefunden, einer davon war Montys Partner und er kann sich dessen Tod nicht erklären. Als Jill sich damit beschäftigt, ist es, als ob sie in ein Wespennest tritt. Plötzlich hat sie keine ruhige Minute mehr. Man schießt auf sie, sprengt ihr geliebtes Auto in die Luft – als ob sie nicht schon genug Ärger mit der Schattenwelt hätte!

Dort nämlich hält eine Scurf-Epidemie sie und die Werwesen der Stadt in Atem. Das Scurf-Virus verwandelt Menschen in blutsaugende, lichtscheue Wesen, die an und für sich selten in Santa Luz zu finden sind. Auf einmal gibt es jedoch regelrechte Nester von ihnen – und sie scheinen mit den Dämonen zusammenzuarbeiten. Jill ahnt, dass ihrer Stadt etwas sehr Großes und sehr Unangenehmes bevorsteht und sie beschließt, zu kämpfen …

_Wem „Twilight“ zu weich_ und zu romantisch ist, der sollte sich einmal mit Saintcrows Büchern auseinandersetzen. Die „Jill Kismet“-Serie vereint Übersinnliches mit Kriminalfällen und einer Menge Action. Die Fälle sind dabei glücklicherweise nicht einfach gestrickt, sondern, im Gegenteil, sehr ausgeklügelt, mit vielen Finten und Überraschungen. An der einen oder anderen Stelle ist es zwar auch zu viel des Guten, doch da die Autorin sich trotzdem darauf versteht, die Geschichte flüssig und zügig zu erzählen, kann man darüber hinwegsehen. Stets hat man den Eindruck, dass Saintcrow mit ganzem Herzen dabei ist und sehr gut recherchiert hat. Die Kampfszenen sind authentisch und es wirkt so, als ob die Autorin genau wüsste, worüber sie schreibt, wenn sie Jill mit Waffen oder Händen kämpfen lässt.

Jill Kismet ist, genau wie Dante Valentine, eine unglaublich gut ausgearbeitete, komplexe Figur, die jede Buchreihe interessant machen würde. Jill zeichnet sich vor allem durch ihren Mut, ihre Intelligenz und ihre nüchterne Art aus. Obwohl sie durchaus Humor hat, wirkt sie niemals albern oder mädchenhaft, wie andere Protagonistinnen des Genres. Durch die Ich-Perspektive ist man nah bei ihren Gedanken und Handlungen und wird bereits nach wenigen Seiten in die Geschichte gezogen.

Saintcrows souveräner Schreibstil ist letztendlich nur die Kirsche auf der Sahnetorte. Die Autorin erzählt ähnlich unaufgeregt wie der Charakter ihrer Protagonistin. Sie besitzt einen großen Wortschatz und hat ein sehr gutes Händchen für die Beschreibung der emotionalen Situation von Jill. Mit wenigen, aber sehr treffsicheren Worten schafft sie eine düstere, manchmal sogar hoffnungslose Atmosphäre, die den manchmal aussichtslosen Kampf gegen das Böse gut transportiert.

_“Blutige Vergeltung“ ist ein_ weiteres, actionbepacktes Buch der Serie, das vor allem dank der Hauptfigur glänzt. Die Handlung, die sich erfreulicherweise stark von den anderen Mystery-Büchern abhebt, besticht durch viel Action und einen nicht einfach zu lösenden Fall. Dieser allerdings ist manchmal fast ein bisschen zu kompliziert, was man dank der anderen Pluspunkte aber schnell vergisst.

|Broschiert: 373 Seiten
Originaltitel: Redemption Alley
Deutsch von Nadine Mannchen
ISBN-13: 978-3802583087|
[www.egmont-lyx.de]http://www.egmont-lyx.de
[www.lilithsaintcrow.com]http://www.lilithsaintcrow.com

_Weitere Bücher von Lilith Saintcrow bei |Buchwurm.info|:_
[„Teufelsbraut“ (Dante Valentine – Dämonenjägerin 1)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5288
[„Höllenritt“ (Dante Valentine – Dämonenjägerin 2)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5957
[„Feuertaufe“ (Dante Valentine – Dämonenjägerin 3)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6150
[„Sündenpfuhl“ (Dante Valentine – Dämonenjägerin 4)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6353
[„Höllenschlund“ (Dante Valentine – Dämonenjägerin 5)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6476

Brian Keene – Die Verschollenen

Auf einer pazifischen Tropeninsel treiben Teilnehmer einer billigen TV-Reality-Show ihre dümmlichen Spielchen, bis die heimlichen Herrscher des Eilands zornig, hungrig und geil über sie kommen … – Trash-Horror der besonders grobgestrickten Art, dessen Verfasser zwei entscheidende Fehler begeht: Die Story ist trotz aller Drastik nicht nur langweilig, sondern wird auch noch überraschungslos erzählt.
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Andrews, Ilona – Magisches Blut (Stadt der Finsternis 4)

_|Stadt der Finsternis|:_

Band 1: [„Die Nacht der Magie“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5963
Band 2: [„Die dunkle Flut“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6134
Band 3: [„Duell der Schatten“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6289
Band 4: _“Magisches Blut“_
Band 5: „Magic Slays“ (noch ohne dt. Titel)

Das Autorenduo Ilona Andrews steht seit nun mehr drei Bänden „Stadt der Finsternis“ für Action, eine wirklich toughe Heldin und jede Menge düsterer Figuren. In Band 4, „Magisches Blut“, kommt noch eine weitere dunkle Gestalt hinzu. Eine, mit der Kate Daniels nicht gerechnet hat …

Die mutige Ordensritterin steht vor einem großen Rätsel. Eine Bar, in der sowohl Gestaltwandler als auch Menschen verkehren, wurde von einem mysteriösen Unbekannten angegriffen, der anschließend einen der Gestaltwandler mit einer höchst ansteckenden Krankheit infizierte. Nachdem es ihr mit Mühe und Not gelungen ist, den sehr lebendigen Krankheitserreger in die Ecke zu drängen, muss Kate feststellen, dass niemand den Unbekannten identifizieren kann. Allerdings scheint es, als ob er sein Unwesen nicht nur in Atlanta, sondern in ganz Amerika treibt.

Es gilt also, diesen Übeltäter zu stoppen. Dabei macht Kate einige höchst beunruhigende Entdeckungen. So unbekannt ist der Unbekannte nämlich gar nicht. Jedenfalls ihr nicht. Doch das ist selbstverständlich nicht Kates einziges Problem. Curran, der Herr der Gestaltwandler, und sie pflegen eine etwas ruppige, auf vielen Missverständnissen basierende Beziehung. Doch dieses Mal hilft der Ordensritterin weder Witz noch Streit. Sie steht vor einer schwierigen Entscheidung…

_Es ist beinahe_ schon beängstigend, wie Ilona Andrews kontinuierlich herausragende Bücher schreiben. Auch der vierte Band von „Stadt der Finsternis“ überzeugt auf ganzer Linie. Die rasante, actionreiche Handlung lässt keine Wünsche offen. Kate Daniels stolpert von einem Tatort zum nächsten und kämpft gegen diverse Widersacher. Dabei rücken ihre eigene Vergangenheit und ihre mysteriöse Herkunft einmal mehr in den Vordergrund. Während diese in den ersten Bänden häufig nur nebenbei erwähnt wurden, zeichnet sich nun ab, dass ihre Abstammung noch reichlich Potenzial für weitere spannende Bücher bietet. Darüber hinaus gibt es auch etwas fürs Herz – allerdings auf die raue und kitschfreie Kate-Daniels-Art.

Überhaupt Kate Daniels. Sie tritt erneut als überaus sympathische, mitreißende Hauptfigur auf. Ihr Charakter vertieft sich weiter, da noch mehr Details über ihre Herkunft ans Tageslicht kommen. Ihre erfrischend freche Art und ihr Mut sowie ihr neuer Gefährte, der Kampfpudel, sorgen für weitere Höhepunkte in der Geschichte. Schön ist, dass auch andere Nebenfiguren sich weiter entwickeln und stärker in den Fokus rücken. Die Autoren nutzen diese Gelegenheit, um anhand dieser Personen das Wesen und die Traditionen der Gestaltwandler besser zu erklären. Ihre Ideen haben dabei stets Hand und Fuß. Die düstere Welt, in der die Geschichte spielt, ist überaus gelungen und überrascht auch dieses Mal mit einigen Innovationen.

Der Schreibstil ist, wie jedes Mal, perfekt auf die Ich-Erzählerin Kate zugeschnitten. Frech, humorvoll und vor allem nie langatmig bringen die Autoren den Leser durch die Geschichte. Sie verzichten dabei zwar nicht auf detaillierte Beschreibungen, halten diese aber angenehm kurz. Der schnörkellose Stil und die gute Wortwahl sorgen ebenfalls dafür, dass sich die Geschichte flott und mühelos lesen lässt.

_Mit „Magisches Blut“_ haben Ilona Andrews den mittlerweile vierten Band ihrer Serie „Stadt der Finsternis“ vorgelegt und überzeugen erneut durch eine starke Leistung. Die Handlung, die Figuren und der Schreibstil passen wie die Faust aufs Auge. Dank der Rahmenhandlung, Kates Herkunft, die in jedem Buch ein wenig mehr Beachtung findet, bleibt es auch weiterhin spannend.

|Broschiert: 409 Seiten
Originaltitel: Magic Bleeds
Deutsch von Bernhard Kempen
ISBN-13: 978-3802583421|
[www.egmont-lyx.de]http://www.egmont-lyx.de
[www.ilona-andrews.com]http://www.ilona-andrews.com

_Ilona Andrews bei |Buchwurm.info|:_
[„Magische Begegnung“ (Land der Schatten 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6772

Briggs, Patricia – Zeichen des Silbers (Mercy Thompson 5)

_Mercy-Thompson-Serie:_

Band 1: [„Ruf des Mondes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4490
Band 2: [„Bann des Blutes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5091
Band 3: „Spur der Nacht“
Band 4: [„Zeit der Jäger“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6250
Band 5: _“Zeichen des Silbers“_
Band 6: „Siegel der Nacht“ (erscheint am 12.09.2011)

Patricia Briggs‘ Mercedes-Thompson-Reihe hebt sich von anderen Mysteryserien angenehm durch ihre Ernsthaftigkeit ab. Hauptfigur Mercy ist kein verhuschtes Mädchen mit einem Hang zu Romantik, sondern eine ziemlich robuste Automechanikerin, die sich in einen Kojoten verwandeln kann und sich kein X für ein U vormachen lässt. Und das ist auch gut so, denn dass sie mit Adam, dem Anführer eines Werwolfrudels zusammen ist, sieht dessen Gefolge nicht besonders gerne. Doch nicht nur bei den Wölfen hat Mercy Feinde …

Der Buchhändler Phin, der Feenblut in sich hat, gibt Mercy ein wertvolles Feenbuch, auf das sie aufpassen soll. Das ist einfacher gesagt als getan, denn eines Tages verschwindet Phin, nachdem seine Buchhandlung verwüstet worden ist, und Mercy wird von einem Feenwesen bedroht. Wenig später fliegt auch noch ihr Wohnwagen in die Luft und ihr Geliebter Adam wird schwer verletzt, als er in das brennende Domizil rennt, weil er sie darin wähnt. Mercy beschließt, etwas zu unternehmen, damit die Feen nicht noch mehr Unheil in ihr Leben bringen, doch sie weiß nicht, mit wem sie sich einlässt …

_“Zeichen des Silbers“_ gefällt durch eine geradlinige, spannende Handlung, die sich nicht in unwichtigen Nebenschauplätzen verläuft. Der fünfte Band reiht sich gut in die Gesamtreihe ein, bringt aber nichts essentiell Neues. Spannend ist neben der Auseinandersetzung mit dem Feenvolk die Entwicklung von Adams Rudel. Mercy ist nach wie vor dort nicht richtig akzeptiert, obwohl sie die Gefährtin des Alphawolfs ist. Diese Tatsache nutzt die Autorin, um interessantes Wissen über Werwölfe einzuflechten. Ihre Interpretation dieses Themas beeindruckt dabei vor allem durch die Einfachheit und Natürlichkeit. Das Verhalten der Werwölfe entspricht in etwa dem, das man als Laie auch von normalen Wölfen erwartet, nur eben auf Menschen übertragen.

Mit Mercy hat Briggs eine der sympathischsten Figuren des Genres geschaffen. Wie eingangs erwähnt gefällt die Gestaltenwandlerin vor allem durch ihre herbe Persönlichkeit, die mit den Bellas dieser Welt nur wenig zu tun hat. Ihr trockener Humor trägt ebenfalls dazu bei, dass einem die Kojotin sympathisch wird. Auch die übrigen Charaktere zeichnen sich dadurch aus, dass sie leicht zugänglich sind und jeder etwas Spezielles hat. Zee beispielsweise, ein Freund Mercys und Mitglied des Feenvolks, ist meistens schlecht gelaunt und flucht gerne auf Deutsch, was gerade für die deutschen Leser interessant ist.

Der lockere Tonfall von Briggs bietet einen sehr angenehmen Hintergrund für die Geschichte. Durch die Ich-Erzählerin bekommt das Buch eine sehr persönliche Note und ihre humorvolle Persönlichkeit lockert den Erzählfluss zusätzlich auf. Die Autorin macht allerdings nicht den Fehler, dass jeder zweite Satz einen Witz enthält. Stattdessen wägt sie die humorvollen Bemerkungen und die nüchternen Beschreibungen gut gegeneinander ab, sodass eine feine Mischung entsteht.

_Mit „Zeichen des Silbers“_ ist Patricia Briggs ein weiterer, sehr guter Roman ihrer Reihe um die Automechanikerin Mercy Thompson gelungen, vermutlich sogar einer der besten. Kompakte Handlung, toller Schreibstil, interessante Personen – hier passt alles!

|Taschenbuch, 396 Seiten
Originaltitel: Silver Bourne
Deutsch von Vanessa Lamatsch
ISBN-13: 978-3453527522|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de
[www.patriciabriggs.com]http://www.patriciabriggs.com

_Weitere Bücher von Patricia Briggs bei |Buchwurm.info|:_
[„Drachenzauber“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3933
[„Rabenzauber“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4943
[„Schatten des Wolfes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5926
[„Spiel der Wölfe“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6851

Anonymus – Buch ohne Staben, Das

Wenn der Autor Anonymus heißt und der Roman „Das Buch ohne Staben“ und noch dazu der Nachfolger von „Das Buch ohne Namen“ ist, dann sollte man nicht unbedingt allzu viel Ernst erwarten.

Der Bourbon Kid ist in Mondega wohlbekannt und gefürchtet, hat er sich doch in den letzten 18 Jahren einen Ruf als grausamen Massenmörder erarbeitet. Seine Spezialität sind Massaker, bei denen niemand überlebt, doch damit macht man sich nicht unbedingt nur Freunde. Als der Bourbon Kid beschließt in Rente zu gehen, hat er eine lange Liste von Feinden angesammelt, die ihn gerne tot sehen würden, darunter drei Vampirpolizisten und ein Mönch.

An und für sich juckt ihn das wenig, doch dann vergreifen sich die drei Vampirpolizisten an seinem kleinen Bruder – und sollen das bitter bereuen …

_“Das Buch ohne Staben“_ ist definitiv kein Buch für jedermann. Der eine wird es für puren Klamauk halten, ein anderer wird es gerade für seine Skurrilität lieben. Vergleiche mit Douglas Adams oder Quentin Tarantino kommen nicht von irgendwoher. Der Autor erzählt nicht unbedingt die schönste Handlung, dafür aber eine ziemlich bunte. Dutzende Figuren mit zwielichtiger Vergangenheit und noch zwielichtigeren Absichten tummeln sich an den seltsamsten Schauplätzen, vorzugsweise düstere Bars mit exzentrischen Barkeepern. Es wird geschossen, gemetzelt und gewitzelt. Die Spannung bleibt dabei auf der Strecke. Lange passiert nicht wirklich etwas, dann passiert auf einmal etwas völlig anderes. Es fehlt an Struktur und Ordnung und die Kreativität von Anonymus kann dies nicht immer wettmachen.

Die Protagonisten sind zahlreich und entsprechen zumeist typischen amerikanischen Klischees, die der Autor leicht überspitzt. Das ist durchaus amüsant, erinnert aber häufig an schon Dagewesenes. Anonymus kann den Stereotypen nicht immer Neues hinzufügen, nur wenige Figuren stechen wirklich heraus. Der Bourbon Kid gehört nicht dazu. Er tritt erst relativ spät in Erscheinung und bleibt dabei schemenhaft. Andere Charaktere kommen über Stereotype nicht hinaus. Gelungen ist allerdings Sanchez, ein etwas eigenwilliger Barkeeper, der ungeahnten Anklang mit seinem „selbstgebrannten“ Whiskey findet. Sein Charakter wirkt wesentlich unverbrauchter als einige andere Figuren im Buch.

Geschrieben ist „Das Buch ohne Staben“ witzig, aber nicht mitreißend witzig. Stellenweise wirkt es bemüht, die wirklich guten Gags fehlen. Dennoch schafft der Autor es, seine Geschichte gut darzustellen und verirrt sich nicht in langen, verschwurbelten Beschreibungen. Er schreibt wenig kunstvoll, sondern sehr geradlinig – nur das mit dem Humor haut nicht immer hin.

_“Das Buch ohne Staben“_ von Anonymus ist gut geschrieben, überzeugt ansonsten aber nicht wirklich. Die Handlung ist etwas zu chaotisch, die Figuren stechen nicht wirklich hervor und der Humor ist auch nicht immer witzig.

|Broschiert, 441 Seiten
Originaltitel: The Eye of the Moon
Deutsch von Alex Merz
ISBN-13: 978-3785760314|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de
[www.bourbonkid.de]http://www.bourbonkid.de

_Anonymus bei |Buchwurm.info|:_
[„Das Buch ohne Namen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5855

Ketchum, Jack – Schwestern, Die

_Das geschieht:_

Arizona 1848: Der Westen der noch jungen USA ist nicht nur wild, sondern auch kaum erschlossen. Die schier unendlich weite Landschaft steckt voller Gefahren und Geheimnisse, bietet aber denen, die sich diesen Herausforderungen stellen, viele Möglichkeiten, zu Geld oder Ruhm zu kommen.

Marion T. Bell ist ein Reporter, der nach dem mexikanisch-amerikanischen Krieg (1846-48) in Arizona gestrandet ist und die Erinnerung an erlebte Gräuel im Alkohol ertränkt, bis er sich mit dem Revolvermann John Charles Hart anfreundet. Dieser nimmt den jungen Mann unter seine Fittiche und überredet ihn, mit ihm und seinem Partner Mother Knuckles Mustangs zu fangen.

Der harte aber ruhige Alltag des Trios findet ein Ende, als sie in der Prärie die junge Mexikanerin Elena finden. Sie wurde zusammen mit ihrer Schwester Celina von Paddy Ryan und seinen Spießgesellen entführt und ins geheime Lager der grausamen Valenzura-Schwestern verschleppt. Eva, Maria und Luzia lassen im Grenzraum der USA und Mexiko junge Frauen entführen, um sie als Liebessklaven zu verkaufen. Wer nicht spurt, stirbt als Menschenopfer zu Ehren jener alten Dämonengötter, zu deren Dienerinnen sich die Schwestern ernannt haben.

Elena konnte flüchten, musste aber Celina zurücklassen. Als sie wieder zu Kräften gekommen ist, will sie zurückkehren, um ihre Schwester zu befreien. Hart, Bell und Mother wollen ihr helfen – und geraten in einen nur zu realen, blutigen Höllenpfuhl …

_Cowboys gegen böse Geister?_

Warum sollte ausgerechnet der US-Westen des 19. Jahrhunderts eine geisterfreie Zone (gewesen) sein? An allen möglichen und auch unmöglichen Orten dieser Welt sowie zu allen Zeiten trieben Spukgestalten ihr Unwesen. Da außerdem gewaltsam zu Tode gekommene Zeitgenossen sichere Brutstätten für rachsüchtige Gespenster sind, ist besagter Westen gerade prädestiniert für zünftige Gruselgeschichten. In der Tat schrieb bereits Ambrose Bierce (1842-1913/14), der die große oder zumindest turbulente Zeit des Wilden Westens selbst miterlebt hatte, spannende, stimmungsvolle und vor allem unheimliche Storys, die in dieser Zeit und Landschaft spielen.

Trotzdem stutzt nicht nur der europäische Leser, wenn es um Cowboys phantastisch wird. Ist es der Schatten von John Wayne, der noch heute von Wolke 7 auf die Reinheit des Western-Genres pocht und nur die bekannten Geschichten von Viehzüchtern, Revolvermännern, Bardamen und natürlich Indianern gestattet? Eine offizielle Vorschrift ist dies nicht, aber der Western wird doch vergleichsweise selten spielerisch mit anderen Genres gemischt.

|Nichts ist bösartiger als der Mensch|

Auch Jack Ketchum bleibt mit seiner ‚Geisterwestern-Novelle‘ zurückhaltend. Ihm geht es ohnehin höchstens marginal um Dämonen oder andere übernatürliche Gestalten. In erster Linie spielt sich der Horror – typisch für Ketchum – ungeachtet der historischen Kulissen nicht nur im Diesseits ab, sondern wird von den Menschen selbst entfacht.

Um den Boden für seinen Historien-Horror zu bereiten, öffnet Ketchum mit „Die Schwestern“ zunächst die Augen für die ‚Vorgeschichte‘ der USA. Bevor diese 1776 unabhängig wurden, erforschten, besiedelten und beraubten europäische Siedler Nordamerika (und den Südkontinent natürlich ebenfalls) bereits seit über 250 Jahren. Die Ureinwohner beider Amerikas blickten auf eine Geschichte zurück, die viele Jahrtausende in die Vergangenheit reichte – Raum und Zeit für eigenständige und üppige Dämonen-, Geister- und Monster-Dynastien gab es also mehr als genug.

Damit verbanden sich Erinnerungen an Menschenopfer, Kriegsgräuel und andere Grausamkeiten, die sich die Menschen gegenseitig antun. Folgerichtig fällt es Ketchum leicht, die phantastischen Elemente zu dämpfen. Er erspart uns Quetzalcoatl & Co., die aus dem Götterhimmel springen und von unseren Cowboys mit einem Kugelhagel empfangen werden. Ketchum geht viel einfacher, raffinierter und heimtückischer vor. In dieser bizarren Geschichte stecken durchaus übernatürliche Aspekte. Der Autor lässt sie jedoch wie nebenbei einfließen, wodurch sie wesentlich eindringlicher wirken.

|Überforderte Gringos in feindlicher Fremde|

Ketchum hat das Terrain für sein Garn nicht nur gut gewählt, sondern auch perfekt vorbereitet. Das mexikanisch-amerikanische Grenzland lag 1848 noch jenseits einer „american frontier“, die in voller Bewegung war. Obwohl Siedler von Osten und Westen in den Kontinent vordrangen, gab es weiterhin Regionen, die völlig unerschlossen waren. Recht und Gesetz blieben fromme Wünsche.

Mehr als einmal nimmt Ketchum Bezug auf den Krieg zwischen Mexiko und den USA, eine erbitterte, auf beiden Seiten von Brutalität und Unmenschlichkeiten geprägte Auseinandersetzung. Sie bereitet den Boden für den ‚realen Horror‘, dem Ketchum den Vorzug gibt. Wenn die Valenzura-Schwestern die phantastische Seite der Furcht verkörpern, ist Paddy Ryan das Produkt einer grausamen Wirklichkeit.

|Erbarmen ist Schwäche|

Auf ihre Weise sind auch John Charles Hart und William T. Bell Opfer. Beide haben sie am Krieg teilgenommen, haben Opfer bringen müssen und leiden unter den Folgen. Anders als Ryan haben sie das Grauen nicht angenommen und verinnerlicht. Zumindest Hart ist genretypisch jedoch tiefer gezeichnet, als der verschlossene Mann sich anmerken lässt: Sein finaler Amoklauf wirkt kaum überraschend.

Zu den bitteren Zutaten, aus denen Ketchum seine Horror-Suppe bereitet, gehört der allgegenwärtige Rassismus. Zwar rettet Hart die den Valenzuras entflohene Elena, aber er achtet sie nicht oder verachtet sie sogar. Als ‚Begründung‘ nennt er einmal seine Kriegserlebnisse, was Elena nicht gelten lässt. Sie dringt zum Kern unter den Ausflüchten durch: Mexiko ist die Beute dessen, der sie sich nehmen kann. Das schließt nicht nur das Land und seine Bodenschätze, sondern auch seine Bewohner und hier vor allem die Frauen ein. Nicht nur die USA mischen – mal verschämt, mal verlogen – in diesem schmutzigen Spiel mit. Die mexikanische Regierung ist korrupt und macht gemeinsame Sache mit denen, vor denen sie ihre Bürger schützen sollte. Ketchums scheinbar simple Story beinhaltet eine Menge Subtext.

|Novelle oder Luftballon?|

Was seine Novelle freilich nicht hergibt, ist ihre Erhöhung zum ‚richtigen‘ Buch. Die literarische Form und der Seitenumfang verhindern es. Das eine lässt sich ignorieren, das andere buchstäblich bemänteln: Der eigentliche, an sich schon durch großzügige Absätze und Leerseiten in die Länge gezogenen Haupttext umfasst gerade 75 Seiten. Hinzu kommen ein Vorwort des Verfassers, ein Interview, das Christian Endres mit Ketchum geführt hat, und ein Nachwort, in dem ebenfalls Endres über Jack Ketchum und sein Werk informiert.

Dieses Beiwerk ist interessant für Leser, die gern einen Blick hinter die Kulissen der gerade gelesenen Geschichte werfen und ihren Verfasser besser kennenlernen wollen. Dennoch bleibt die Tatsache, dass „Die Schwestern“ ein kaum hundertseitiges Büchlein ergeben. Hier gilt es an den alten aber weisen Spruch „Klasse statt Masse“ zu erinnern.

Die dicken Ketchum-Brocken – seine Romane – hat sich der Heyne-Verlag geschnappt. Für die ‚Kleinen‘ bleiben die Brosamen. Ein „Ketchum“ ziert derzeit jedes Verlagsprogramm. „Die Schwestern“ stellen ganz sicher kein Abfallprodukt dar. Den Leser erwartet ein ‚echter‘ Ketchum. Dafür muss er jedoch einen Preis entrichten, für den er sonst ein ‚richtiges‘ Buch erwerben kann. Bleibt zu hoffen, dass es über den Unterhaltungswert der Geschichte und die zugelieferten Infos hinaus mit ihren weiteren Pfunden wuchern kann: der sorgfältigen und lesenswerten Übersetzung und dem schlichten aber ‚handgemachten‘ Cover eines handwerklich hochwertigen Paperbacks.

_Autor_

Dass „Jack Ketchum“ ein Pseudonym ist, daraus machte Dallas William Mayr (geb. 1946) nie ein Geheimnis. Er wählte es nach eigener Auskunft nach dem Vorbild des Wildwest-Outlaws Thomas „Black Jack“ Ketchum, der es Ende des 19. Jahrhunderts sogar zum Anführer einer eigenen Bande – der „Black Jack Ketchum Gang“ brachte, letztlich jedoch gefangen und gehängt wurde. „Jack Ketch“ lautete zudem in England der Spitzname für den Henker.

Als Jack Ketchum durchlief Mayr diverse ‚Karrieren‘ als Schauspieler, Sänger, Lehrer, Literaturagent, Handlungsvertreter usw.: die typische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Laufbahn à la USA, nur dass Mayr nie wirklich seinen Durchbruch schaffte, da er sich als reichlich sperriger Schriftsteller erwies, der lieber im Taschenbuch-Ghetto verharrte als der Bestsellerszene Mainstream-Zugeständnisse zu machen. Noch heute ist der Autor stolz auf eine Kritik der „Village Voice“, die sein Romandebüt „Off Season“ (dt. „Beutezeit“) 1980 als „Gewaltpornografie“ verdammte.

Die Literaturkritik musste Mayr alias Ketchum inzwischen als unkonventionellen aber fähigen Schriftsteller zur Kenntnis nehmen. 1994 gewann seine Story „The Box“ einen „Bram Stoker Award“, was Ketchum 2000 mit „Gone“ wiederholen konnte. Zudem wurde Ketchum mehrfach nominiert. Längst wurde auch Hollywood aufmerksam auf sein Roman- und Kurzgeschichtenwerk, das ob seiner Kompromisslosigkeit vor allem im plakativ Sexuellen dem prüden US-Amerika Problemen bereitet.

|Taschenbuc: 99 Seiten
Originaltitel: The Crossings (Forest Hills/Maryland : Cemetery Dance Publications 2003)
Übersetzung: Ben Sonntag
Cover: Timo Kümmel
ISBN-13: 978-3-941258-24-2|
[atlantisverlag.wordpress.com]http://atlantisverlag.wordpress.com
[www.jackketchum.com]http://www.jackketchum.com

_Jack Ketchum auf |Buchwurm.info|:_
[„Evil“ 2151
[„Beutezeit“ 4272
[„Amokjagd“ 5019
[„Blutrot“ 5488
[„Beutegier“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6045
[„The Lost“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6924

Frank Festa (Hg) – Das rote Zimmer. Lovecrafts dunkle Idole II

festa-rotes-zimmer-cover-kleinH. P. Lovecraft war nicht nur als Schriftsteller ein Meister der modernen Phantastik, sondern auch ein profunder Kenner des Genres. Diese Sammlung enthält 14 Storys berühmter, aber auch wenig bekannter oder vergessener Autoren, die Lovecraft oft mehrfach lobend erwähnte. Als roter Faden zieht sich das Motiv der elementaren und belebten Furcht durch diese manchmal literarischen, manchmal trivialen aber durchweg spannenden Geschichten.
Frank Festa (Hg) – Das rote Zimmer. Lovecrafts dunkle Idole II weiterlesen

Kilborn, Jack – Angst

_Das geschieht:_

Safe Haven im US-Staat Wisconsin ist ein Städtchen mit 907 Einwohnern. Hier bleibt man gern unter sich. Sheriff Arnold Streng steht kurz vor der Pensionierung und amtiert 40 Fahrminuten entfernt, was dieses Mal von Nachteil ist: Ein Helikopter stürzt in den Wald und hinterlässt scheinbar nur Leichen. Aber noch während Feuerwehr und Sheriff zur Unglücksstelle ausrücken, springen vier böse Männer und eine ebensolche Frau aus dem Wrack: In ihren früheren Leben waren Bernie, Santiago, Taylor, Ajax und Logan sadistische Psychopathen und Serienkiller, die in diversen Gummizellen oder Todeszellen schmorten.

Doch seit die USA im Krieg mit allerlei Schurkenstaaten stehen, sind Gesetze nur noch Makulatur, wo sie mit der gerechten Sache kollidieren. Auf der Suche nach billigen und effizienten Waffen lief unter Leitung von General Tope das streng geheime Militär-Projekt „Red-op“ an: Entbehrliche Lumpen werden hirnmanipuliert und biotechnisch ‚verbessert‘, um hinter feindlichen Linien zu morden, zu vergewaltigen und anderen Schrecken zu säen.

Zu Topes Schrecken wurden seine Zöglinge nun in den USA aktiv. Schleunigst wird Safe Haven von der Außenwelt abgeriegelt, denn nichts darf an die Öffentlichkeit dringen, die nie verstehen will, dass ein Krieg auch Opfer erfordert. „Red-op“-Mediziner Ralph Stubin soll vor Ort die teuren Mordstrolche einfangen. Allerdings kocht er schon lange sein eigenes Terror-Süppchen: Das gruselige Quintett sucht in seinem Auftrag nach Warren Streng, dem Bruder des Sheriffs, der sich als Global-Gangster im Ruhestand in Safe Haven niedergelassen hat und ein lukratives Geheimnis hütet.

Während sich die „Red-op“-Killer durch Safe Haven schlachten, formiert sich Widerstand: Der Sheriff, Feuerwehrmann Josh VanCamp und Kellnerin Fran Stauffer kriegen zwar ständig kräftig aufs Maul, aber US-unverdrossen versuchen sie weiter, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen …

_Kein Klischee gerät in Vergessenheit!_

Der Weg ist das Ziel, und das heißt bei Jack Kilborn „Unterhaltung“. Anspruch, Originalität oder wenigstens Variation sind Elemente, die in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Der Verfasser kann uns sogar eine ganze Weile erfolgreich vorgaukeln, dass wir auf sie verzichten bzw. Standards und Stereotypen sie ersetzen können. Also entwirft er eine simple Hit-and-Run-Story, die er mit einschlägigen Szenen und Figurenmustern aus unzähligen Kino- und Fernsehfilmen der Kategorien B und C auskleidet.

Neu stellt er sich einzig der Herausforderung, grausige Folter- und Mord-Schnetzeleien zu ersinnen, die er aber – darin ist er ein Meister (glaubt er) – so be- oder besser umschreibt, dass wirklich erschreckende Details angedeutet bleiben. Dies ist wohl auch besser, denn wird mit aufgeblendeten Scheinwerfern gekillt, wirkt der Schrecken so grotesk, dass er abstrakt wird: Was Santiago mit den unglücklichen Mortons anstellt, ist wesentlich erschreckender als der vor allem logistisch komplizierte Massenmord (wo stapeln wir bloß die vielen Leichen?) an der trickreich zusammengelockten Dorfbürgerschaft.

|Zu viele Wiederholungen|

„Angst“ benötigt keine Geheimnisse. Wer da im Wald und auf der Heide mörderisch munkelt, wird vom Verfasser en passant erläutert. Die schon erwähnte Unterhaltung soll allein aus dem Katz-und-Maus-Spiel der Guten & Bösen entstehen. Es läuft jedoch durchweg nach dem berüchtigten Schema F ab. Auf der einen Seite verfolgen die fünf „Red-op“-Mutanten ihre Mission. Dass sie dabei stur und einfallsarm vorgehen, kann man nicht ihnen vorwerfen; schließlich wurden ihre Hirne in ferngesteuert bootfähige Festplatten verwandelt, die sie in reine Erfüllungsgehilfen verwandeln.

Auf ihrem Weg zum einprogrammierten Ziel fallen sie wie geplant über die ahnungslosen Bürger von Safe Haven her. Zwar gibt sich Kilborn Mühe (s. o.) und denkt sich diesbezüglich immer neue Gräuel aus, doch es hilft nichts: Nach dem fünften, sechsten oder zehnten Folter-Mord wirds langweilig. Schlimmer noch: Der Leser beginnt zu grinsen, weil er merkt, wie Kilborn immer stärker aufs Gaspedal tritt, um durch hohes Tempo die ständigen Wiederholungen zu verschleiern.

Diese werden noch wesentlich augenfälliger, sobald sich unsere Helden formieren. Sie haben im Grunde keine Chance, die sie trotzdem wacker nutzen: Kilborn reitet die uralte Moral vom Sieg der Gerechtigkeit. Zwar müssen solche guten Menschen auf dem Weg dorthin tüchtig bluten, dürfen aber ausgleichend auf Seelenfrieden, Erlösung oder wenigstens einen gemeinschaftsnützlichen Tod hoffen.

|Zu viele Unwahrscheinlichkeiten|

In fachkundiger Dosierung ist dieses Konzept erträglich. Bei Kilborn ist es kontraproduktiv. Lang und breit stellt er uns fünf ohnehin moralfreie Unmenschen vor, die dank Hightech in superstarke, unverwundbare, unüberwindliche Kampfmaschinen verwandelt wurden. Ihre ‚Gegner‘: ein alternder Sheriff, ein überforderter Feuerwehrmann, eine hübsche Kellnerin mit dem Mutterherz einer Löwin. Mitgeschleppt wird ein zehnjähriger Junge, der unbelehrbar wie ein lebensmüder Lemming immer dorthin rennt, wo es besonders gefährlich ist; wundert es, dass diese Nervensäge von einem zum Kotzen niedlichen Mischlingshund namens „Woof“ begleitet wird?

Zurück zum Thema: Die „Red-op“-Kämpfer machen Bürger zu Hunderten nieder, und eine bis an die Zähne bewaffnete Spezialeinheit der US-Army hält ihnen keine Minute stand. Das gerade skizzierte Grüppchen stellt sich den Mord-Soldaten wieder und wieder in den Weg, entkommt ihnen zuverlässig, fügt ihnen kräftige Blessuren zu und stiehlt ihnen die Ausrüstung. Nachdem dies mehrfach genau so geschah und sich fortsetzt, verfliegt die Langeweile des Lesers; er lächelt auch nicht mehr, sondern schreit vor Frustration und Ärger.

|Das Prinzip der „letzten Sekunde“|

Wieder sitzt einer unserer Helden hoffnungslos in der Falle. Alle Auswege sind versperrt, das Bein steckt in einem Loch fest, Flammen schlagen am Hintern hoch, und grinsend reckt der gerade für bedrohliches Auftreten eingeteilte Killer ihm oder ihr die Faust mit dem Ausbein-Messer entgegen. Der Sack ist zu – und dann schneidet Kilborn einfach ein Loch hinein, durch das besagter Held wider sämtliche Logik entschlüpft. Das ist Willkür und verhöhnt den Leser, der diese Masche als Methode erkennt, diesen Roman auf Länge zu bringen. Schematisch flanscht Kilborn Modul an Modul, bis es Zeit für das Finale wird. Erst dann dürfen auch Hauptfiguren sterben.

Dumm, dass die einem herzlich gleichgültig sind. Kilborns Schurken sind als Menschenfresser, Brandstifter oder Frankensteins Monster so übertrieben böse, dass es erneut ins Lächerliche umschlägt. Die Helden sind eindimensionale Pappkameraden, die in ihrem eindimensionalen Reden und Handeln nicht minder hirnmanipuliert wirken wie die „Red-op“-Kämpen.

|Kanonenfutter nach Abklatsch-Technik|

Bis es final ans Eingemachte geht, lässt Kilborn viele Bürger über diverse Klingen springen, nachdem er sie uns kurz vorgestellt und ans Herz gelegt hat. Der Versuch missglückt, denn die guten Menschen von Safe Haven sind schlicht und ergreifend Dorftrottel. Woof ist nur ein dummer Hund, doch welche Entschuldigung können sie geltend machen? Die Verheißung eines Lottogewinns lässt sie kollektiv in die Falle der „Red-op“-Meuchler stürzen, wo sie gierig zur Schlachtbank drängen. Als Individuen sind sie notorisch begriffsstutzig und immer bereit, ihren Mördern vor die Füße zu stolpern. Trotzdem versucht Kilborn, uns die Dörfler als liebenswerte Zeitgenossen zu verkaufen, deren Schicksale ganz schrecklich sind. Weit gefehlt – als es beispielsweise den tumben Hilfsfeuerwehrmann Erwin oder seine nervige Verlobte Jessie Lee erwischt, sind dies Momente echter leserlicher Erleichterung!

Diese steigert sich, als das Buchende naht. Wenigstens das Finale bringt noch einige spannende Momente. Dennoch bleibt ein fader Nachgeschmack und „Angst“ das Produkt eines routinierten und fleißigen aber wenig inspirierten Autors. Der Titel dieses ersten in Deutschland erschienenen Kilborn-Werkes benennt deshalb auch jenes Gefühl, das sich angesichts der Möglichkeit einstellt, in den nächsten Monaten und Jahren öfter auf die Erzeugnisse dieses Verfassers zu stoßen …

_Verfasser_

Jack Kilborn wurde 1970 als Joseph Andrew Konrath in Skokie, einem Vorort von Chicago, US-Staat-Illinois, geboren. Nach dem College schrieb er zwölf Jahre nie veröffentlichte Romane. Erst mit „Whiskey Sour“, dem ersten Band einer Krimi-Serie um Jacqueline „Jack“ Daniels vom Chicago Police Department, fand er 2004 einen Verleger.

Konrath ist für sein ausgeprägtes Talent der Selbstvermarktung bekannt. Gemeinsam mit der Autoin Julia Spencer-Fleming pries er 2006 im Rahmen eines Mailings 7000 US-amerikanischen Bibliothekaren seine Werke an. Konrath ist ein Pionier als eBook-Autor. Exklusiv für das Amazon-Kindle veröffentlicht er immer wieder Kurzgeschichten und Romane. Am College of DuPage in Glen Ellyn, Illinois, lehrt er kreatives Schreiben.

Während er unter seinem Geburtsnamen weiterhin Kriminalgeschichten veröffentlicht, wählte Konrath 2008 für sein Debüt als Horror-Autor das Pseudonym „Jack Kilborn“. In schneller Folge schrieb er – oft mit Co-Autoren – weitere Gruselromane und Kurzgeschichten. 2011 kam „Joe Kimball“ als Verfasser einer Serie jugendorientierter SF-Romane hinzu. J. A. Konrath lebt und arbeitet in Schaumburg, ebenfalls einer Vorstadt von Chicago.

|Taschenbuch: 398 Seiten
Originaltitel: Afraid (London : Headline 2008/New York : Grand Central Publishing 2009)
Übersetzung: Wally Anker
ISBN-13: 978-3-453-52797-3|
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne
[jakonrath.blogspot.com]http://jakonrath.blogspot.com

Briggs, Patricia – Spiel der Wölfe (Alpha & Omega 2)

_ Alpha und Omega:_
Band 1: [„Schatten des Wolfes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5926
Band 2: _Spiel der Wölfe_

Anna hat im ersten Band von Patricia Briggs Serie „Alpha und Omega“ gelernt, dass sie einer der seltenen Omega-Werwölfe ist. Sie steht außerhalb der in einem Rudel so wichtigen Hierarchie und hat dadurch einen beruhigenden Einfluss auf andere. Im zweiten Band, „Spiel der Wölfe“, lernt sie, wie wichtig ihre Omegafähigkeiten sein können und auch, wie begehrt sie sind …

_Der Marrok von_ Amerika, der mächtigste Werwolf in den USA, hat beschlossen, das streng gehütete Geheimnis der Werwölfe preiszugeben. Sie wollen ihr Leben nicht mehr versteckt inmitten der Menschen führen, sondern offen mit ihrem besonderen Wesen umgehen. Doch dieses Vorgehen stößt nicht überall auf Zustimmung. Vor allem die europäischen Werwölfe sind damit nicht einverstanden. Eine gemeinsame Konferenz in Seattle soll Vorbehalte aus der Welt schaffen.

Doch wenn so viele mächtige Alphawölfe auf einer Stelle sind, geht das natürlich nicht ohne Reibung vonstatten. Deshalb schickt der Marrok den mächtigen Charles und die Omega-Wölfin Anna nach Seattle. Doch sehr bald merken sie, dass der Gegenwind aus Europa stärker ist als gedacht. Anna wird bei einem Einkaufsbummel von einer Gruppe Vampire überfallen und wenig später findet man den Alpha der französischen Werwölfe ermordet in seinem Haus auf. Der Verdacht fällt ausgerechnet auf Charles, die Verhandlungen drohen zu kippen …

_Die „Alpha und_ Omega“-Serie spielt in der Welt von Briggs‘ Mercy-Thompson-Romanen. Einige der Figuren sind sogar gleich, die Erzählperspektive ist jedoch eine andere. Charles und Anna erzählen nicht nur von ihrer gemeinsamen Reise, sondern auch von ihrem gemeinsamen Leben. Charles fällt es immer schwerer, seinen Menschen und seinen inneren Wolf auseinander zu halten. Anna, seine Ehefrau, hilft ihm dabei mit ihren Omegafähigkeiten. Gleichzeitig fühlt sie sich nach ihren ersten traumatischen Erfahrungen in einem Werwolfrudel noch immer durch die Regeln und Sitten der Gestaltenwandler verunsichert. Die beiden ergänzen sich als Hauptpersonen gut, doch sie wirken zu distanziert. Für den Leser ist es schwierig, Zugang zu ihnen zu bekommen, worunter auch die Geschichte leidet.

Diese fängt darüber hinaus sehr ruhig an. Es dauert eine Weile, bis etwas wirklich Wichtiges passiert. Erst gegen Ende nimmt die Handlung Fahrt auf und wird spannend. Dann stellt sich nämlich die Frage, wer Anna angegriffen und wer den Werwolf ermordet hat. Allerdings legt Briggs nicht genug Fokus auf diesen Kriminalfall. Sie löst ihn zu schnell und zu simpel. Dadurch bleibt insgesamt doch ein etwas schaler Nachgeschmack zurück. Außer viel Politik, ein wenig Romanze und dem doch eher schwach erzählten Handlungsstrang um den Mord und den Angriff bietet „Spiel der Wölfe“ nicht viel.

Darüber hinaus ist der Schreibstil zumindest am Anfang etwas mühselig. Verwirrende Gedankensprünge und Schachtelsätze machen die Lektüre nicht gerade einfach. Einige Stellen muss man mehrmals nachlesen, um ihren Sinn zu verstehen. Überhaupt erfolgt der Einstieg in die Geschichte sehr hastig, was gerade dann, wenn man nicht alle Informationen aus dem ersten Band sofort wieder parat hat, ärgerlich ist. Mit der Zeit legen sich diese Probleme jedoch. Man steigt besser in die Geschichte ein, die ansonsten flüssig geschrieben ist.

_Doch diese Anlaufschwierigkeiten_ und die etwas simple Handlung sind Schuld daran, dass „Spiel der Wölfe“ nicht wirklich zündet. An die Mercy-Thompson-Reihe kommt „Alpha und Omega“ noch lange nicht heran.

|Taschenbuch, 415 Seiten
Originaltitel: |Hunting Ground|
Deutsch von Vanessa Lamatsch
ISBN-13: 978-3453526792|
http://www.heyne.de
http://www.patriciabriggs.com

_Weitere Bücher von Patricia Briggs bei |buchwurm.info|:_
[„Drachenzauber“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3933
[„Rabenzauber“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4943
[„Ruf des Mondes (Mercy Thompson 01)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4490
[„Bann des Blutes (Mercy Thompson 02)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5091
[„Zeit der Jäger (Mercy Thompson 04)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6250

Yancey, Rick – Monstrumologe, Der

_|Der Monstrumologe|:_

Band 1: _“Der Monstrumologe“_
Band 2: „The Curse of the Wendigo“ (noch ohne dt. Titel)

_New Jerusalem, 1888._ Der 12 Jahre alte Will Henry lebt, seit er seine Eltern bei einem Feuer verloren hat, bei dem skurrilen Dr. Warthrop und arbeitet als sein Assistent. Auch Will Henrys Vater hatte für Dr. Warthrop gearbeitet und vor Will und seiner Mutter immer ein großes Geheimnis um seine Tätigkeit gemacht. Warum das so war, muss der junge Will nun am eigenen Leib erfahren, Dr. Warthrop arbeitet als Monstrumologe, er erforscht und jagt jene Wesen, die eigentlich nur in Sagen und Albträumen vorkommen. Ob er will oder nicht, Dr. Warthrop meint auf Will angewiesen zu sein und so muss der 12 Jahre alte Junge ihm bei jeder noch so grauenvollen Studie assistieren.

Eines Nachts steht der Grabräuber Erasmus vor des Doktors Tür und liefert kreidebleich einen zutiefst verstörenden und grausamen Fund ab. Auf seiner Karre verbirgt Erasmus ein totes, sieben Fuß großes, kopfloses Monster, das sich mit seinen in Höhe des Bauches liegenden Zähnen in eine junge Frauenleiche verbissen hat und diese junge Frau in grausiger Umarmung festhält.

Dr. Warthrop hat das Monster schnell katalogisiert und berichtet Will, mit welch einer Rasse sie es zu tun haben: Den Anthropophagen. Bei den Anthropophagen handelt es sich um eine hochgefährliche Rasse, die eigentlich in Amerika nicht vorkommt. Wie dieses Exemplar die weite Reise über das Meer getätigt hat, bleibt rätselhaft.

Zu allem Überfluss findet Dr. Warthrop in der Frauenleiche den Embryo des Anthropophagen, somit ist klar, dass Dr. Warthrop und Will Henry es nicht nur mit einem Exemplar zu tun haben. In New Jerusalem scheint ein ganzes Rudel zu leben und nur der kauzige Dr. Warthrop und der kleine Will Henry stehen zwischen den ahnungslosen Menschen und den todbringenden Monstern …

_Kritik_

Der Autor Rick Yancey hat mit dem Titel „Der Monstrumologe“ einen düsteren Horror-Roman um die Forschung und Jagd nach Monstern geschrieben.

Erzählt wird der Roman aus der Sicht des erwachsenen Will Henry, der seine Erlebnisse noch einmal Revue passieren lässt und aus der Sicht eines an Erfahrungen reichen Erwachsenen seine eigene Geschichte schildert.

Der Autor bedient sich einer Sprache, die für die Zeit des endenden 19. Jahrhunderts passend erscheint. Anfangs muss der Leser sich vielleicht etwas an die Satzbauweise und die Sprache selbst gewöhnen. Sobald der Einstig geschafft ist, liest sich der Roman flüssig und durch einen stetig steigenden Spannungsaufbau ist der Leser schnell an das Geschehen gefesselt. Auch die Rätsel um die Figuren selber und die Klärung wie die nicht in Amerika vorkommenden Anthropophagen eingeschleust werden konnten, tragen zum Gelingen der Geschichte bei.

Detailgetreu schildert der Autor nicht nur die Umgebung und die Monster, auch vor sehr bildlichen Beschreibungen der Tatorte, der teilweise übelst zugerichteten Leichen und der Monster selbst, macht der Autor keinen Halt. Trotz der splatterfreien Sprache kommt das Grauen hier definitiv nicht zu kurz. Dem empfindsamen Leser kann sich hier bei der Beschreibung schon mal der Magen umdrehen.

Die Protagonisten sind passend zur düsteren Grundstimmung authentisch gezeichnet. Passend zu den Erlebnissen entwickeln sich diese weiter und der Leser erfährt einige Hintergründe der einzelnen Figuren.

Mit dem jungen Will Henry hat der Leser schnell Mitleid, er muss schnell erwachsen werden und mit dem Vorhandensein der albtraumhaften Monster klarkommen. Zeit, Kind zu sein, ist Will Henry nicht vergönnt, sein Mentor fordert von ihm, ein vollwertiger Ersatz für den verstorbenen Vater zu sein. Auch ist Will Henry für die Haushaltsführung und die eigene und des Doktors Verpflegung zuständig.

Dr. Warthrop ist seinen Monstern so sehr verschrieben, dass auch er kaum noch menschlich erscheint. Den Menschen ausmachende Fähigkeiten wie Feingefühl, Trost, Liebe scheinen diesem Charakter fremd zu sein. Dr. Warthrop kommt wie der perfekte Egoist daher, jeder, besonders Will Henry, hat sich ihm zu fügen und die Bedürfnisse andere sind ihm nur suspekt und nicht nachvollziehbar. Diesem Charakter Sympathien entgegenzubringen ist anfangs schier unmöglich. So manches Mal dürfte die Frage aufkommen, wer hier nun das wirkliche Monster ist.

Auch die weiteren Protagonisten kommen hier in der Beschreibung nicht zu kurz, der Autor versteht, jede Figur zu einer für die Geschichte unentbehrlichen zu machen.

Die Aufmachung des Paperbacks ist sehr gelungen. Schon das Cover zeigt den jungen Protagonisten Will Henry in düsterem Schwarz-Weiß, lediglich ein paar kleine Blutstropfen bringen Farbe ins Spiel. Auch im Buch finden sich Zeichnungen der vom Monstrumologen benötigten Werkzeuge und ganzseitige Illustrationen, die zu der Handlung passen. Auch spart der Verlag nicht an einem passenden Lesezeichen, hinten im Buch kann man es heraustrennen.

_Fazit_

Mit „Der Monstrumologe“ hat der Autor Rick Yancey einen schaurig düsteren Horrorroman geschrieben, der den Leser das Gruseln lehrt. Der Leser, der niedlichen Feen nichts abgewinnen kann, es dafür aber liebt, wenn ihm beim Lesen die Haare zu Berge stehen, ist mit „Der Monstrumologe“ bestens bedient.

Lediglich der Altersempfehlung des Verlages kann ich keinesfalls zustimmen, für Jugendliche ist dieser Roman kaum geeignet und hat in der Kinder/Jugendbuchabteilung nichts zu suchen. Die sehr lebendige Beschreibung der grausig verstümmelten Leichen ist für das vorgeschlagene Alter zu viel des Guten.

_Autor_

Rick Yancey wollte schon seit seiner Jugend Schriftsteller werden. Nach seinem Abschluss in Anglistik an der Roosevelt University in Chicago startete er in seiner Heimat Florida eine Künstlerkarriere. Während er in Teilzeit unterrichtete und sich als Theaterschauspieler versuchte, nahm er eine Anstellung beim Finanzamt an. Den Traum der Schriftstellerkarriere gab er nie auf, dafür aber nach zehn Jahren seine Beamtenstelle. Über seine Zeit beim Finanzamt schrieb er ein Memoire („Confessions of a Tax Collector“), das vom Wall Street Journal als eins der fünf besten Bücher bezeichnet wurde, das je über Steuern geschrieben wurde. Seine Jugendbuchtrilogie über Alfred Kropp erschien in 17 Ländern und wurde für die berühmte Carnegie Medal nominiert. Rick ist stolzer Vater von drei Söhnen. Er lebt mit seiner Frau Sandy in Florida.

|Taschenbuch: 416 Seiten
Originaltitel: The Monstrumologist
ISBN-13: 978-3785760406|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

Eine Leseprobe bietet der Verlag [hier]http://www.bic-media.com/dmrs/widget.do?isbn=9783785760406 an.

_Rick Yancey bei |Buchwurm.info|:_
[„Der Monstrumologe“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6655

Harrison, Kim – Bluteid

_Rachel Morgan:_
Band 1: [„Blutspur“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3253
Band 2: [„Blutspiel“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4512
Band 3: [„Blutjagd“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5252
Band 4: Blutpakt
Band 5: [„Blutlied“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5897
Band 6: [„Blutnacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5988
Band 7: [„Blutkind“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6332
Band 8: _Bluteid_

Mit „Bluteid“ legt die amerikanische Autorin Kim Harrison den mittlerweile achten Band ihrer Serie um die Hexe Rachel Morgan vor. Dass bei einer so großen Anzahl von Büchern, jedes mit beträchtlichem Umfang, auch mal ein schwächeres dabei ist, ist nur verständlich.

_Rachel Morgan hat_ als eine etwas unkonventionelle, aber dennoch gute Erdhexe begonnen, doch ihre zahlreichen unfreiwilligen Kontakte mit Dämonen haben dazu geführt, dass sie vom Hexenzirkel für ethische und moralische Standards gebannt wurde. Sie ist eine Geächtete, die in der Gesellschaft nicht mehr willkommen ist.

Als durch Zufall bekannt wird, dass Rachel Dämonenmagie nutzen kann und aufgrund genetischer Manipulation ihre Kinder Dämonen sein werden, wird sie plötzlich von allen gejagt. Der Hexenzirkel möchte sie unbedingt unschädlich machen, ihr ihre Zauberkräfte nehmen und sie sterilisieren. Ihr Intimfeind Trent Kalamack hingegen will die Gelegenheit nutzen und sich Rachels Dienste sichern, indem er ihr Schutz vor dem Hexenzirkel verspricht. Und dann ist da auch noch Nick aufgetaucht, Rachels tot geglaubter Exfreund, dessen Motive ihr gänzlich unklar sind. Will er ihr schaden oder ihr helfen? Immerhin auf ihre Freunde, die untote Vampirin Ivy und den Pixie Jenks, kann sie sich verlassen. Doch können sie etwas gegen den Hexenzirkel ausrichten, der gar nicht daran denkt, Rachel in Ruhe zu lassen?

_“Bluteid“ wirkt auf_ weiten Strecken wie ein Verbindungsband zwischen dem vorherigen und dem bald folgenden Buch. Rachels Kampf mit dem Hexenzirkel hat nur wenige Höhepunkte und die finden sich vor allem am Schluss. Davor finden sich ein paar Wendungen, die aber selten Akzente setzen, und einige Längen, die bei über 700 Seiten durchaus ins Gewicht fallen. Die Nebenhandlungen, die die anderen Rachel-Morgan-Bücher ausmachen, reduzieren sich hier fast ausschließlich auf die aufkeimende Romanze zwischen Rachel und Pierce. Diese ist jedoch sehr zerfahren. Mal will Rachel, mal will sie nicht – ihre Unentschlossenheit geht nicht nur dem Leser auf den Geist.

Insgesamt kommt „Bluteid“, anders als seine Vorgänger, nicht wirklich von der Stelle. Kim Harrisons Romane zeichnen sich eigentlich dadurch aus, dass sie sich ständig weiter entwickeln. Das bezieht sich nicht nur auf diverse Nebenhandlungen, sondern auch auf die Personen. Im achten Band wirkt es jedoch so, als ob der Autorin die Luft ausgegangen ist. Rachel – und auch die anderen Figuren – scheinen auf der Stelle zu treten. Sie sind deswegen nicht schlechter, aber trotzdem weniger interessant. Einziger Lichtblick: ein Ausflug in die Welt der Pixies. Rachel lässt sich auf die Größe von Jenks schrumpfen und ist Gast in seinem Baumstumpf. Dieser Einblick in das Pixieleben hätte durchaus mehr Platz in Anspruch nehmen dürfen.

Sprachlich überzeugt die Autorin erneut. Der lockere Tonfall der Ich-Erzählerin Rachel und ihre witzige, freche Art sind erfrischend, die Sprachbilder kreativ und die Dialoge erheiternd.

Überhaupt sollte man die Tatsache, dass „Bluteid“ nicht das Niveau der Vorgänger erreicht, nicht zu ernst nehmen. Immerhin hat Harrison bereits sieben tolle umfangreiche Bücher abgeliefert, da sei es erlaubt, auch mal eines zu schreiben, dass eher wie ein Platzhalter wirkt. Die sympathische Hauptperson und den Schreibstil kann man Harrison sowieso nicht nehmen, der Schwachpunkt ist eher die Handlung, die nicht wirklich in Gang kommt. Da ein Ende der Reihe nicht abzusehen ist, bleibt zu hoffen, dass sich die Autorin bereits im nächsten Band wieder fängt.

|Taschenbuch: 732 Seiten
Originaltitel: |Black Magic Sanction|
Deutsch von Vanessa Lamatsch
ISBN-13: 978-3453527508|
http://www.heyne.de
http://www.kimharrison.net

Saintcrow, Lilith – Schattenjagd (Jill Kismet 02)

_Jill Kismet:_
Band 1: [„Dämonenmal“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6337
Band 2: _Schattenjagd_

Nach dem Ende ihrer Erfolgsserie [„Dante Valentine“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6476 tritt die amerikanische Autorin Lilith Saintcrow nicht etwa kürzer, sondern legt sofort nach. Ihre neue Heldin heißt Jill Kismet und hat in „Schattenjagd“ bereits ihren zweiten Fall zu lösen.

_Jill Kismet ist_ die oberste Jägerin in Santa Luz, das heißt, sie ist für die übersinnlichen Wesen zuständig, die sich in der Stadt herumtreiben und nicht immer Gutes im Schilde führen. Sie hat schon viele verzwickte Fälle gelöst, doch dieser bringt selbst sie an ihre Grenzen. Mehrere junge Prostituierte werden grausam zerstückelt aufgefunden. Ihre inneren Organe fehlen und sie alle haben eine Gemeinsamkeit: Sie waren schwanger. Bei ihren Ermittlungen wird Jill von einem merkwürdigen Monster angegriffen, gegen das sie sich – trotz ihrer übersinnlichen Kräfte – kaum wehren kann. Ausgerechnet Perry, der Dämon, mit dem sie gezwungenermaßen zusammen arbeiten muss, rettet sie vor ihrem Tod. Ihr wird klar, dass Santa Luz von etwas heimgesucht wird, das selbst sie schwer unter Kontrolle bringen kann.

Zu allem Überfluss stellt Jill fest, dass die Mörderin ihres Mentors Michail in die Stadt gekommen ist. Belisa ist eine Sorrow, eine Anhängerin alter, mächtiger Gottheiten, und sie scheint etwas über die Morde zu wissen. Obwohl Jill es besser wissen müsste, traut sie der Sorrow – mit schrecklichen Folgen …

_Auch in ihrer_ zweiten Buchreihe macht Autorin Lilith Saintcrow Nägel mit Köpfen. „Schattenjagd“ ist gewohnt stark, spannend und facettenreich. Das Besondere: Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein Kriminalfall mit übersinnlicher Beteiligung und die Autorin schafft es, diesen spannend, fintenreich und mit jeder Menge Schwung zu erzählen. Das gelingt nicht in jedem Urban-Fantasy-Roman. Zu oft stehen bei vielen Autoren die Liebeswirren im Vordergrund. Ein wenig Romantik findet sich zwar auch in Saintcrows Büchern, doch sie stellt die Beziehung zwischen Jill und dem Werpuma Saul nüchtern und kitschfrei dar. Statt schwülstiger Erotik stehen authentische Emotionen im Vordergrund. Dabei wird diese Nebenhandlung nie wichtiger als der eigentliche, herrlich verwinkelte Kriminalfall.

Ähnlich abwechslungsreich ist der Charakter der Hauptperson. Jill Kismet erzählt aus der ersten Person, weshalb man als Leser schnell merkt, dass ihr hartes Auftreten häufig nicht ihrem aufgewühlten Inneren entspricht. Mit Bedacht deckt Saintcrow immer mehr Details ihrer Vergangenheit auf, so dass auch die Protagonistin spannend bleibt.

Ein weiterer Pluspunkt ist Saintcrows Darstellung des Übersinnlichen. Die Stadt Santa Luz ist deutlich greifbarer als der Science-Fiction-Hintergrund in den „Dante Valentine“-Büchern. Sehr gelungen ist vor allem Saul, der Werpuma. Die Autorin schafft es, aus ihm keinen oberflächlichen Gestaltenwandler zu machen, sondern gibt ihm ein richtiges Gesicht, eine eigene Historie und diverse Eigenschaften, die immer wieder daran erinnern, dass er nicht nur Mensch, sondern auch Tier ist.

Hinzu kommt ein mitreißender Schreibstil, der aufgrund der Ich-Perspektive sehr nah an der Protagonistin und ihren Gefühlen und Gedanken ist. Die Autorin spart dabei kein wichtiges Detail aus, schweift aber auch nicht ab. Die blutigen Taten und rasanten Kampfszenen beschreibt sie wort- und bildreich, an den richtigen Stellen wird sie auch mal weich. Sie peppt ihre Geschichte, wie üblich, durch eigene Begriffe auf, die „Schattenjagd“ das gewisse Etwas geben. Das Glossar am Ende des Buches ist da sehr hilfreich und liefert interessante Hintergrundinformationen.

_Lilith Saintcrow hat_ mit „Schattenjagd“ eine beeindruckende Fortsetzung zu „Dämonenmal“ geschrieben. Die tolle Protagonistin, die düstere Kulisse und vor allem die fesselnde Handlung machen das Buch zu einem echten Lesegenuss.

|Broschiert: 394 Seiten
Originaltitel: |Hunter’s Prayer|
Deutsch von Nadine Mannchen
ISBN-13: 978-3802583070|
http://www.egmont-lyx.de

About Lili

_Weitere Bücher von Lilith Saintcrow bei |buchwurm.info|:_
[„Teufelsbraut (Dante Valentine – Dämonenjägerin 1)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5288
[„Höllenritt (Dante Valentine – Dämonenjägerin 2)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5957
[„Feuertaufe (Dante Valentine – Dämonenjägerin 3)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6150
[„Sündenpfuhl (Dante Valentine – Dämonenjägerin 4)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6353
[„Höllenschlund (Dante Valentine – Dämonenjägerin 5)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6476

Stephen M. Irwin – Der Sog

In seiner australischen Heimatstadt entdeckt der hellsichtige Nick eine mörderische, im Wald hausende Hexe; während er dieser das Handwerk legen will, wartet sie darauf, dass Nick in ihren Bannkreis gerät … – Inhaltlich und formal gelungener Horror im Stephen-King-Stil: Durchschnittsmenschen werden mit einem sehr realen Grauen konfrontiert. Die Geschichte fesselt, doch Debüt-Autor Irwin geriet an einen Lektor, der ihm zu viele Längen durchgehen ließ. Stephen M. Irwin – Der Sog weiterlesen

David Moody – Todeshunger (Hater 2)

Eine Seuche teilt die Menschheit in mordgierige „Hasser“ und verfolgte „Unveränderte“. Das Ergebnis ist ein globaler Bürgerkrieg ohne Rücksicht auf Gesetz und Moral … – Anhand einiger Einzelschicksale wird dieser Kampf schonungslos (und natürlich politisch unkorrekt unterhaltsam) dargestellt, wobei der Verfasser die Sicht eines „Hassers“ wählt: eine interessante Entscheidung, durch die der routiniert geschriebene Action-Horror – Mittelteil einer Trilogie – dem Genre neue Aspekte gewinnt. David Moody – Todeshunger (Hater 2) weiterlesen

D’Lacey, Joseph – Entsorgt

_Das geschieht:_

Shreve ist eine gesichtslose Stadt irgendwo in den englischen Midlands. Die einzige ‚Sehenswürdigkeit‘ bildet eine gewaltige Müllkippe, auf der die Abfälle des gesamten Landkreises gesammelt werden. Korruption und Gleichgültigkeit führen dazu, dass kaum kontrolliert wird, was da täglich (und vor allem heimlich in der Nacht) angeliefert wird. Tief im Boden schwappt daher eine giftige aber unheilvoll fruchtbare Suppe, in der organische und anorganische Elemente seltsame Verbindungen eingehen.

Eines Tages ist es soweit: Ausgerechnet in Shreve gelingt die abiogenetische Urzeugung bisher unbekannten Lebens. Aus Unrat und Schrott entstehen formlose aber bewegliche, instinktgesteuerte und hungrige Kreaturen. Sie ernähren sich von Blut und sind ständig damit beschäftigt, ihre Mischkörper zu modifizieren und zu verbessern. Bei guter Ernährung wachsen sie schnell – und sie sind intelligent, wie der Einsiedler Mason Brand zufällig herausfindet, als sich eines Abends eines der Wesen in seinen Garten verirrt. Statt es zu töten, nimmt es der neugierige Mann auf, füttert und versteckt es. Ungestört kann der „Fäkalith“ sich entwickeln; er nimmt sich dabei seinen ‚Vater‘ zum Vorbild.

Andere Bürger begegnen den Artgenossen des Fäkalithen. Ohne Schutz und Förderung mutieren diese zu fressgierigen, aggressiven Ungeheuern, die unvorsichtigen Haustieren und bald auch Wanderern auflauern. Als der Fäkalith seine Entwicklung abgeschlossen hat, schwingt er sich zum Anführer auf. In seinem Auftrag fallen die Kreaturen über Shreve und seine Einwohner her. Sie säen Angst & Schrecken, und sie nutzen den Rohstoff Mensch mit nie gekanntem Einfallsreichtum. Die Außenwelt wird aufmerksam, Militär marschiert auf. Unbarmherzig werden Müll-Monster und ‚infizierte‘ Menschen ausgelöscht, ohne dem Phänomen auf den Grund zu gehen – das typisch grobe Vorgehen eines Establishments, dem dadurch entgeht, dass es dem bizarren Gegner in die Hände bzw. Tentakeln arbeitet …

_Horror der wahrhaft schmutzigen Art_

|“Geld stinkt nicht“|, wies der römische Imperator Vespasian (9-79 n. Chr.) Kritiker in die Schranken, als er ausgerechnet die öffentlichen Toiletten mit einer Latrinensteuer belegte. Sein Plan war ebenso einfach wie genial, sodass er aufgehen musste: Der Mensch kann nicht existieren, ohne Dreck zu verursachen, um den er sich – dies ist der nächste logische Gedankenschritt – tunlichst nicht selbst kümmern möchte.

Was stört, wird ausgelagert. Wer sich in dieses anrüchige Geschäft wagt, lässt sich gut dafür bezahlen. Der Profit steigt, wenn man nicht genau hinschaut, was die Kundschaft heranschafft, sondern es einfach dort stapelt oder vergräbt, wo es aus den Augen und damit aus dem Sinn gerät.

Leider bleibt der richtig gefährliche, grässliche Dreck oft nicht dort. Ungestört sickert er ins Erdreich, ins Grundwasser, verseucht Pflanzen und Tiere und landet letztlich doch wieder bei seinen Verursachern. Joseph D’Lacey dreht diese Schraube einige Windungen weiter und erfindet einen Müll, der sich seiner fauligen Haut zu wehren beginnt. Da es seiner Natur entspricht, geht er (der Müll, aber auch D’Lacey) dabei überaus garstig zu Werke.

Wer sich fragt, was damit gemeint ist, wird im letzten Drittel des hier vorgestellten Romans so offen ins Bild gesetzt, dass keine Frage mehr, sondern nur noch Übelkeit bleibt. Autor D’Lacey hat sich viel Mühe gegeben und tief im Wortschatz seiner Sprache geschürft, um die blutigen Exzesse kotig-brandiger Schreckgestalten möglichst anschaulich zu schildern. Vom Ehrgeiz gepackt, blieb ihm der Übersetzer nichts schuldig.

|Die Stadt als Spiegelbild der Müllkippe|

Obwohl man es angesichts der bizarren Handlung weder erwarten würde noch es zunächst bemerkt, hat diese Geschichte eine Moral. D’Lacey hat gelernt und serviert sie den Lesern nicht mehr wie in seinem Romanerstling „Meat“ mit der ganz groben Kelle. Gesellschaftskritik wird geübt, aber D’Lacey ordnet sie dieses Mal seiner Geschichte unter.

Der „Garbage-Man“-Horror setzt ähnlich schleichend und trügerisch ein wie ein weicher Furz. (Dieser Roman erzwingt solche Assoziationen.) Die halbe Geschichte vergeht für den Leser mit dem Kennenlernen immer neuer, generell unsympathischer Figuren und ihrer banalen, abstoßenden Geheimnisse. Immer lauter fragt man sich, wann dies endet und endlich der Horror beginnt.

Erst allmählich schält sich D’Laceys Intention heraus: Müllkippe und Stadt Shreve bilden Spiegelbilder, wobei der eigentliche Schrecken zunächst nicht von der Gift-Deponie ausgeht. In der Stadt ist das Leben aus den Fugen geraten. Sämtliche Figuren sind kriminell, psychisch gestört, ausgebrannt oder stecken in einer anderen Sackgasse fest. Nicht nur die Abfälle, die sie täglich verursachen, finden ihren Weg auf die Kippe. Hinzu kommt emotionaler Ballast, der das ohnehin geschädigte Erdreich zusätzlich tränkt.

Auf diese Weise schaffen die Menschen sich ihre Monster selbst. Als der Müll seine Kreaturen freigibt, sind diese zwar gefährlich aber nicht bösartig. Sie wollen nur leben, und dafür müssen sie fressen. Erst im Laufe ihrer Entwicklung verändern sie sich. Sie bauen ihre Körper und Hirne mit weiterem Unrat auf. Unabsichtlich verleiben sie sich dabei noch mehr Negatives aus Menschenhand und -hirn ein, was nicht folgenlos bleibt: Die Kreaturen wachsen, sie werden intelligent – und aggressiv.

|Müll mit Mission?|

An diesem Punkt weicht D’Lacey leider von seiner fröhlich-anarchischen Linie ab. Der lebende Müll entsteht nicht einfach. Er wird von Gäa, der personifizierten Mutter Erde, ins Leben gerufen. Gäa hat die Nase voll von den schmutzigen Umtrieben der Menschen, die ihre ‚Haut‘ mit Abfällen und Giften aller Art besudeln. Sie wirft die Evolutions-Maschine an und schafft den Fäkalithen und seine Brut.

Mit dieser Idee gerät „Entsorgt“ auf ein unerquickliches Nebengleis. Die Story verträgt so, wie D’Lacey sie erzählt, keinen Ernst. „Entsorgt“ ist dem „Toxic Avenger“ des Trash-Filmstudios Troma zu nah. Als der Verfasser seinem Garn eine Botschaft unterlegen will, macht er sich unnötig lächerlich. Grober Horror und esoterisches Fein-Gefasel vertragen sich nicht, weshalb man die entsprechenden Passagen am besten nur überfliegt, ausblendet und sich auf die rabiaten Szenen konzentriert, für die der Verfasser ein weitaus besseres Händchen hat.

P. S.: Das Cover-Zitat „Joseph D’Lacey rocks“, angeblich gesprochen von Stephen King, sollte der Leser mit der angemessenen Nichtachtung solcher Plump-Werbung strafen; es findet sich genauso bereits auf dem Cover von „Meat“, D’Laceys Roman-Erstling (der übrigens gar nicht rockt).

_Autor_

Joseph D’Lacey wurde in London geboren, lebte aber die meiste Zeit in den englischen Midlands. Auch heute lebt und arbeitet er in der mittelenglischen Grafschaft Northamptonshire – und zwar hauptberuflich nicht als Schriftsteller, sondern als Inhaber einer eigenen Praxis für Akupunktur. Als Autor trat er lange vor allem online in Erscheinung. Der Erfolg seines Romanerstlings „Meat“ sorgte dafür, dass D’Laceys Werke verstärkt im Druck erscheinen.

|Taschenbuch: 416 Seiten
Originaltitel: Garbage Man (London: Bloody Books, Beautiful Books 2009)
Übersetzung: Stephan Glietsch
ISBN-13: 978-3-453-43510-0|
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne