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Erbe, Günter – Dandys – Virtuosen der Lebenskunst

Günter Erbe, Dozent für Kultur- und Literatursoziologie an der FU Berlin und der Universität Zielona Gora in Polen, legt mit „Dandys – Virtuosen der Lebenskunst“ die erste umfassende kultur- und sozialgeschichtliche Darstellung des Dandytums im europäischen Maßstab vor. Erbe bedient sich hierbei aus einem reichhaltigen Fundus – als Quelle seiner Untersuchungen dienen ihm u. a. Memoiren, Briefe, Tagebücher von Zeitzeugen, Biographien, Traktate, Artikel der Modepublizistik, Karikaturen sowie die so genannte „schöne“ Literatur“.

Dieses breite Spektrum dürfte bereits andeuten, weshalb eine vergleichbare Untersuchung bisher nicht realisiert wurde: Das Dandytum ist ein äußerst vielschichtiges gesellschaftliches Phänomen, welches einen fließenden Übergang zwischen Ideal und praktischer Verwirklichung, zwischen Fiktion und Realität aufweist. Erbes Darstellung kann in diesem Kontext als Genealogie des Dandytums betrachtet werden. Indem wir rückwirkend das erstmalige Auftauchen und den anschließenden Werdegang des Typus „Dandy“ nachvollziehen, können wir nach und nach einen Eindruck davon gewinnen, was einen Dandy generell ausmacht, und was für mögliche Ausformungen dieses Typus es bisher gegeben hat. Ich werde daher kurz skizzieren, was sich der geneigte Leser überhaupt unter dem Begriff des Dandytums vorzustellen hat:

Das Dandytum – als Kunst der ästhetischen Selbstinszenierung – ist der Vorbote einer neuen sozialen Mobilität, welche die Grenze zwischen viktorianischer Aristokratie und dem reichen Bürgertum des modernem Liberalismus verwischen lässt. Jeder Dandy ist einem permanenten Spannungsverhältnis zwischen seinen individualistischen Bestrebungen einerseits und den Rollenerwartungen der mondänen Gesellschaft andererseits ausgesetzt. Er will die bestehenden Verhältnisse nicht umstürzen, sondern sich innerhalb der bestehenden Vorstellungen von Schicklichkeit Originalität verschaffen, um die modisch-kulturelle Entwicklung indirekt voranzutreiben. Die Vervollkommnung des bereits Bestehenden hat dabei absoluten Vorrang vor modischer Neuschöpfung. Gezielte Provokationen dieser „Modehelden“ finden immer innerhalb eines bestimmten Rahmens statt, welcher durch den jeweils amtierenden |arbiter elegantarium| („Schiedsrichter der Eleganz“) vorgegeben wird. Die wirkliche, „moderne“ Provokation zeigt sich primär im Habitus des einzelnen Dandys, nicht in seiner Kleidung.

George Brummel (1778 – 1840) – in vielerlei Hinsicht der erste Dandy – war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Sein aus einfachen Verhältnissen stammender Vater brachte es zu einigem Wohlstand und schickte George auf die Eliteschule Eton sowie anschließend das Oriel-College in Oxford. Bereits dort suchte Brummel den Kontakt zu gesellschaftlich höher gestellten Studenten, und während seines anschließenden Militärdienstes im Zehnten Husarenregiment machte er die Bekanntschaft des Prinzen von Wales. Als er 1799 eine Erbschaft von 30.000 Pfund antrat, verfügte er über alle wichtigen Ressourcen für einen gesellschaftlichen Aufstieg zum |arbiter elegantarium|: Die richtigen Kontakte, ein ausreichendes Startkapital, um sorgenfrei leben zu können, und – vielleicht das Entscheidendste – ein untrügliches Gespür für modische Eleganz und geistreiche Konversation. Auf dem Höhepunkt seiner Macht (1798 – 1816) kam keine exklusive Party ohne ihn aus – Brummel war selbst zum Statussymbol avanciert.

Das Dandytum, wie es durch Brummel konstituiert wurde (der Begriff setzte sich allerdings erst ab ca. 1815 durch), ist eine Synthese aus der Ästhetik des modebewussten „Beaus“ und den traditionellen Rollenvorstellungen des britischen Adels von Anstand und kultiviertem Benehmen. Brummel übernahm die damals verbindliche Kleidungsnorm des „Gentleman“ – lange Beinkleider, Frack, Weste, gestärkte Krawatte und Zylinderhut – und ergänzte sie durch gewitztes und schlagfertiges Auftreten. Er war in der Literatur und den schönen Künsten bewandert, übte sich im Zeichnen und in der Poesie und war ein Kenner seltener Antiquitäten.

Letztlich wurde Brummel zum Verhängnis, dass sich der soziale Status eines Dandys nicht an seinem realen Vermögen, sondern an seiner Kreditwürdigkeit misst. Sein kostspieliger Lebensstil und seine Wettleidenschaft führten ihn in den finanziellen Bankrott (ein Schicksal, das er mit vielen Dandys teilte), so dass er 1816 aus London nach Frankreich fliehen musste. Dort ließ er sich von den ihm verbliebenen Gönnern aushalten. Er lebte jedoch weiterhin über seine Verhältnisse, bis er im Alter von 62 Jahren völlig verarmt und geistig verwirrt aus dem Leben schied. Sein wohl inszenierter Abgang aus der Londoner High Society war jedoch rechtzeitig erfolgt, so dass sein Ruhm über seinen Tod hinaus andauern sollte.

Die Souveränität des Dandys, wie sie durch Brummel definiert wurde, äußert sich primär in der Verschwendung materieller Ressourcen und einer demonstrativen Zurschaustellung der persönlichen Distanziertheit. Es handelt sich hier mithin um eine soziale Rolle, die niemals zur Gänze verinnerlicht werden kann.

Der Aufstieg der Dandykultur geht einher mit dem Aufstieg der britischen Herrenklubs, welche aus den Kaffeehäusern des 17. Jahrhunderts hervorgegangen waren. Diese exklusiven Klubs waren zugleich eine Schnittstelle zwischen Adel und Bürgertum, so dass hier ein Übergang zwischen den sozialen Hierarchien entstand. Der Bewegungsraum der meisten Dandys beschränkte sich dementsprechend im Wesentlichen auf einzelne Klubs, Opernhäuser und bestimmte Geschäfte. Die gelangweilte britische High Society nahm das Phänomen des Dandytums dankbar auf und entwickelte auch die modische Raffinesse weiter. Die Nachfolger Brummels provozierten nun auch in modischer Hinsicht; sein Kriterium der Schlichtheit war fortan nicht mehr verbindlich.

Erbe konzentriert sich im Laufe seiner Untersuchungen primär auf bestimmte Individuen, welche als entscheidende Charaktere des britischen Dandytums hervorgehoben werden können: Lord Byron, Benjamin Disraeli, Thomas Carlyle, Alfred d`Orsay, Oscar Wilde, Max Beerbohm und Aubrey Beardsley. Zusätzlich untersucht er die Entwicklung des Dandytums innerhalb der französischen Kultur, nebst Persönlichkeiten wie Barbey d`Aurevilly, Charles Baudelaire, Robert de Montesqiou und Boni de Castellane. Das Spektrum der kulturellen Zusammenhänge reicht dabei von Verschwendung bis zur Askese, von satanischer Literatur bis zum Katholizismus, von sexueller Abstinenz bis zur mehr oder weniger offenen Homosexualität. Eine gesonderte Wiedergabe dieser Sachverhalte würde hier den thematischen Rahmen sprengen.

Das britische Dandytum breitete sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern Europas aus. Erbe beschränkt sich hier auf eine Darstellung des französischen Dandytums – eigentlich schade, denn auch im deutschsprachigen Raum hätte es sicherlich viel Interessantes zu Entdecken gegeben. Analog zu den britischen Klubs etablierte sich in Paris eine neue Salonkultur, in welcher die französischen Dandys verkehren konnten. Insbesondere die nach der französischen Revolution weitgehend entmachteten jungen Adeligen fanden hier eine willkommene Möglichkeit der Ablenkung und Zerstreuung. Exklusive Herrenklubs waren jedoch auch hier bald im Entstehen begriffen. Eine interessante Entwicklung ist insbesondere bei Dandys wie Charles Baudelaire zu vermerken, welche finanziell zu einem bescheidenen Lebensstil gezwungen waren und als Ausgleich das Ideal des Dandytums literarisch überhöhten, indem sie es mit asketischen Motiven verbanden.

Erbe schließt seine Betrachtungen mit einem Ausblick auf die Zukunft des Dandytums im Zeitalter der Massenkultur. Was ist von der Eleganz des Dandys geblieben? Wer widmet sein Leben noch ausschließlich dem Vergnügen und der stilistischen Vervollkommnung? An Menschen, die prinzipiell über ein entsprechendes Budget verfügen, mangelt es nicht. Sicher: Das Bild eines Menschen, welcher den Großteil seiner Lebensspanne für sein modisches Image aufwendet, mag aus heutiger Sicht reichlich absurd erscheinen. Es steckt jedoch mehr dahinter. In unserer hektischen Zeit, in welcher Markenfetischismus und wirtschaftszentriertes Denken dominieren, ist der Dandy im Großen und Ganzen schlichtweg in Vergessenheit geraten.

Eleganz ist eine Frage der individuellen Präferenzen geworden, und doch scheint es, dass es nur mehr Wiederholungen des bereits Bestehenden gibt. Wo alles möglich ist, geschieht oftmals gar nichts – auch die Mode hat sich dem kulturellen Egalitarismus untergeordnet. Es gibt für potenzielle Dandys einfach kein Terrain, keine vollen Entfaltungsmöglichkeiten mehr.

Tatsächlich scheint sich jedoch der kulturelle Anspruch des Dandytums zumindest symbolisch erhalten zu haben. Der französische Modemacher Christian Lacroix etwa hat kürzlich ein neues Design für den „Striding Man“, das berühmte Markenzeiche des Whisky-Herstellers Johnnie Walker, entworfen. Lacroix:

„Der Dandy ist nicht nur ein Synonym für Raffinesse und Extravaganz. Er steht über der Mode und formt seinen eigenen Stil.“

In diesem Sinne kann auch der heutige Individualist von der Extravaganz des Dandytums profitieren. Er kann sich Anregungen für seine persönliche Definition von Stil und Eleganz verschaffen, ohne sich in der (modischen) Beliebigkeit der heutigen Massenkultur zu verlieren. Und er kann neue persönliche Ausdrucksformen für sich selbst in Literatur, Kunst und Mode entdecken.

Fazit: Erbes Untersuchungen genügen den Standards wissenschaftlicher Forschung, lassen aber auch erkennen, dass der Autor von der Thematik selbst begeistert ist. Das einzige, was mir persönlich noch gefehlt hat, ist eine konkrete bildliche Darstellung der einzelnen Modestile in den verschiedenen Epochen des Dandytums. Wer sich umfassend über Grundlagen und Geschichte des Dandytums informieren möchte, kommt an diesem Buch jedoch nicht vorbei. Der Geist der Exklusivität, welcher jederzeit in „Dandys – Virtuosen der Lebenskunst“ präsent ist, offenbart eine positive Reduktion, welche die Lektüre dieses Buches zu einem außergewöhnlichen Genuss werden lässt.

Buttler, Monika – Herzraub

In „Herzraub“ befasst Monika Buttler sich mit der Thematik der Organspende. Durch sorgfältige Recherche und einer gehörigen Portion Sachverstand versteht es die Medizinredakteurin, die Problematik der Explantation (Organspende) beängstigend und eindrücklich zu schildern, ohne dabei in einen reißerischen Erzählstil zu verfallen. Dabei wäre ihr fast ein erstklassiger Wissenschaftsthriller gelungen, hätte sie nicht versucht, das Ganze in einem altmodischem Krimi zu verpacken. Der Versuch, knallharte medizinische Fakten und Schicksale mit den üblichen Zutaten eines Krimis zu vermischen, verursacht in „Herzraub“ am Ende des Romans ein eher schales als befriedigendes Gefühl im Leser.

Zunächst geht es um den Mord an der bekannten Schauspielerin Celia Oswald, die vor zwei Jahren ein Spenderherz und damit ein zweites Leben erhielt. Nun wurde ihr dieses Herz gestohlen. Ein Spaziergänger findet ihre Leiche im Klövensteener Forst, dem Hamburger Stadtwald. Hauptkommissar Werner Danzig und sein Partner Torsten Tügel fangen an, in diesem bizarren Mordfall zu ermitteln. Verdächtig sind natürlich zunächst die engsten Angehörigen: ihr Lebensgefährte Marco Steinmann, ihr Exmann Claus Saalbach und ihr Sohn Alexander. Vorstellbar wäre aber auch, das der Täter aus dem Umfeld der Organspende zu finden ist: ein enger Angehöriger eines Organspenders oder ein Herzkranker, der zu Gunsten von Celia Oswald bei der Organspende übergangen wurde. Motive gibt es viele, doch zunächst tappen die Ermittler trotz der Hilfe der Wissenschaftsjournalistin Laura Fleming, die an einem Buch über Organspende arbeitet, im Dunkeln, auch ein anonymer Tipp führt ins Leere.

In einem zweiten Handlungsstrang geht es um den Regisseur Alexander Oswald, Celia Oswalds Sohn. Kurz nach dem Tod seiner Mutter verliert er bei einer rasanten Fahrt die Kontrolle über sein Motorrad und erleidet ein schweres Schädelhirntrauma. Von den Ärzten wird er als potenzieller Organspender trotz Hirntodes künstlich am Leben gehalten, nun muss sein Vater Claus Saalbach die schwere Entscheidung treffen, ob er die Organe seines Sohnes anderen Menschen spenden will. Dabei versuchen die Mitarbeiter des Organspendedienstes alles, um ihn zu einer Zusage zu bewegen. Schweren Herzens entschließt er sich letztlich, das Herz, und nur das Herz, seines Sohnes zu spenden. Das Transplantationsteam nimmt jedoch gegen seinen ausdrücklichen Wunsch eine Vollspende vor, d. h. dass sämtliche spendbaren Organe entnommen werden, Lunge, Leber, Herz, Bauchspeicheldrüse, Darm, Niere, Augenhornhaut und Knorpel.

Als Claus Saalbach seinen Sohn schließlich beim Bestattungsunternehmer ein letztes Mal sieht, ist er entsetzt, dass Alexander im wahrsten Sinne des Wortes ausgeweidet wurde. Als er beim verantwortlichen Arzt eine Rechtfertigung dafür verlangt, wird er von diesem nur lakonisch abgefertigt: „… Wer ein Organ aus Liebe gibt, der gibt doch auch alles, meinen Sie nicht?“ … „Sind Sie sicher, dass Sie noch zurechnungsfähig sind?“ In seiner Hilflosigkeit wendet sich Claus Saalbach schließlich an eine Selbsthilfe-Gruppe, die NZO (Nein zur Organspende), deren Mitglieder ähnliche Erfahrungen wie er gemacht haben. Dabei trifft er Brigitte Lasbeck, deren Sohn ebenfalls bei einem Motorrad-Unfall ums Leben kam und aufgrund ihrer Einwilligung explantiert wurde. Hier schließt Monika Buttler nun wieder den Bogen zum Mord an Celia Oswald. Denn ausgerechnet die Schauspielerin hat das Herz des fünfundzwanzigjährigen Holger Lasbecks bekommen.

So weit äußerst packend und authentisch geschrieben, doch plötzlich rückt die ganze Thematik der Organspende völlig in den Hintergrund, als die Ermittler beginnen, den Fall zu lösen. Der Herzraub wird zur Nebensache, denn Celia Oswald ist mit Rattengift getötet worden und zwar von dem wahrscheinlichsten Verdächtigen. Im letzten Drittel von „Herzraub“ schafft es Monika Buttler durch das klassische und langweilige Krimifinale, die im ersten Teil aufgebaute Dramatik auf den absoluten Nullpunkt fallen zu lassen.

Ein weiterer Minuspunkt sind eingeführte Handlungstränge, die komplett im Nichts verschwinden. Keine Auflösung, keine Erklärung, nicht einmal Hinweise auf eine Weiterführung der Geschichte in einer Fortsetzung. Wer bedroht die Wissenschaftsjournalistin Laura Flemming? Werden die verantwortlichen Ärzte zur Rechenschaft gezogen und gibt es eine größere Organisation hinter den Organspendediensten, denn die Ärzte und das Krankenhauspersonal bekommen ja offensichtlich ein Kopfgeld für jeden gemeldeten Organspender?

„Herzraub“ ist trotz der Mängel lesenswert, gerade wegen der schonungslosen Ehrlichkeit, mit der die Problematik der Organspende behandelt wird. Ein Thema, das immer noch in der Gesellschaft totgeschwiegen wird, obwohl seit fast 40 Jahren Transplantationen aus der Medizin nicht mehr wegzudenken sind. Wenn über Organspenden berichtet wird, dann immer nur einseitig aus der Sicht des glücklichen Empfängers, nur allzu oft wird vergessen, dass für das neue Leben ein Mensch erst sterben musste.

Scholl-Latour, Peter – Fluch des neuen Jahrtausends, Der

Und immer noch lässt uns alle die weltpolitische Lage nicht los. Während sich Michael Moore mit der transatlantischen Gemengelage auf humorige Weise beschäftigt, gehört Scholl-Latour zu der ernsthaften Literatur, die sich mit dem globalen Dilemma befasst, in welchem auch wir Europäer zwangsläufig mit drinstecken. Der mittlerweile zweite Irak-Krieg kam alles andere als unvorhergesehen und kann bei weitem noch nicht als beendet angesehen werden, trotz alle Beteuerungen aus Übersee und seines nunmehr für eine Amtszeit wiedergewählten Kriegs-Präsidenten Bush. Wenigstens ein Kenner der weltpolitischen Bühne hat schon lange darauf hingewiesen, dass es dazu kommen würde. Peter Scholl-Latour, seines Zeichens deutsches Journalismus-Urgestein und Globetrotter in Sachen Recherche, der Hardy Krüger der deutschen Presse sozusagen, hat es vorausgesehen und wurde nicht müde, das kundzutun.

In diesem vorliegenden Werk, welches Ende 2001 abgeschlossen wurde, zieht er bereits Bilanz über das noch recht junge Jahrtausend. Wiewohl eines, das aber bereits sehr kriegerisch beginnt. Die Brandherde sind mannigfaltig und scheinen nur auf den ersten Blick grundverschieden, doch einen sie mehrere Parallelen: Immer wieder sind die letzte Supermacht USA, der angebliche fundamentalistische Islam und natürlich auch die NATO und die UNO darin verwickelt. Selbst Deutschland steckt trotz der ehemals ach-so-pazifistischen Koalition aus Rot-Grün bis über beide Ohren im Schlamassel des vorgeblichen „Human Rights“-Wahns.

Dass dieses bigotte Streben nach wirtschaftlicher und politischer Macht nicht erst seit der Bush-Regentschaft gepflegt wird und dass so manche UN-Resolution aus ethnischer Sicht gefährlicher Nonsens ist, versucht Scholl-Latour mit „Fluch des neuen Jahrtausemds – Eine Bilanz“ zu verdeutlichen. Er begibt sich auf Spurensuche vom Balkan über den Kaukasus bis zum Hindukusch und der immer noch heißumkämpften Zone am persischen Golf. Überall dort befinden sich die vermeintlichen „Schurkenstaaten“, wobei die einen verdammt, die anderen hingegen beinahe hofiert werden vom großen Weltsheriff. Mit wechselnder Sympathie der USA mal für den einen, dann wieder für den anderen.

_Der Autor_
Peter Scholl-Latour stammt aus Bochum, wurde im Jahre 1924 geboren und kann heute somit auf ein 80-jähriges, äußerst erlebnisreiches Leben zurückblicken. Heute wird die Ikone der deutschen Presse gerne in diversen Talkshows und anderen Sendungen zu seiner Expertise über die derzeit herrschende Politik zwischen der westlichen und der islamischen Welt befragt. Vor allem |n-tv| wird in den letzten Wochen nicht müde, ihn zu diversen Sendeformaten einzuladen. Doch wer ist Peter Scholl-Latour eigentlich? Nun, nicht immer war er Publizist bzw. Reporter – neben seinem Studium an der Sorbonne in Paris, wo er in Politikwissenschaften promovierte, legte er noch einen nach und erwarb in Beirut das Diplom für Islam-Studien. Bevor seine journalistische Zeit 1950 anbrach, diente er in Indochina sogar für die französische Fremdenlegion. Bekannt wurde er jedoch in den Siebzigern, als er damals zusammen mit einer US-Marines-Einheit durch den Dschungel Vietnams krauchte, in der Funktion eines Kriegsberichterstatters (Heute würde man „embedded reporter“ sagen) für das ZDF.

Sein weiterer Werdegang ließ ihn Programmdirektor beim WDR und auch Herausgebers des „Stern“ werden. Sein Fachgebiet ist jedoch stets die Politik respektive der Orient/Islam geblieben, dessen Länder er auch heute noch regelmäßig bereist. Kein Wunder, dass seine fundierte Meinung zum tagesaktuellen Geschehen gerade im Irak-Krieg derzeit so hoch im Kurs steht. Kaum ein westlicher Berichterstatter ist in seinem Leben so weit herumgekommen oder hat eine solche Nähe auch zu den so genannten „Schurkenstaaten“ wie Scholl-Latour – der dort wegen seiner kritischen, aber ehrlichen Sichtweise ebenfalls hoch geschätzt wird und Interviews erhält, wo anderen Journalisten die Türen vielleicht verschlossen bleiben.

_Zum Inhalt_
Scholl-Latour stellt von 1997 bis 2001 beinahe monatlich, manchmal sogar täglich (je nachdem, ob seiner Meinung nach irgendetwas Berichtenswertes vorfiel) seine Gedanken und Reportagen zusammen und präsentiert sie uns Lesern in chronologischer Reihenfolge. Lediglich das Vorwort und das erste Kapitel tanzen aus dieser Zeitlinie, sie sind etwas wie ein Vorgriff auf die folgenden Beiträge, welche er jedoch allesamt seit ihrer Niederschrift unverändert gelassen hat. Zum Teil sind dies wirklich Berichte und Reportagen, die veröffentlicht wurden, andere wiederum basieren auf persönlichen Notizen, die er zu exakt dieser Zeit niederschrieb, als bestimmte Ereignisse ihm ins Auge sprangen. Diese Abschnitte „Kapitel“ zu nennen wäre übertrieben, meist beschränken sich die einzelnen Segmente (versehen mit Überschrift und Datum) auf zwei Seiten pro entsprechendem Datum, selten überschreiten sie sechs oder mehr Seiten.

Die Ausnahme bilden die Abschnitte über das Kosovo bzw. den Balkan-Konflikt, diese gehören grundsätzlich zu den längeren Passagen. Dem Balkan und seiner speziellen Problematik wird ohnedies sehr viel Raum gewidmet, offenbar liegt ihm dieser Krisenherd – den er gerne als „Eiterblase“ bezeichnet – im Kernland Europas sehr am Herzen. Stück für Stück ergibt sich aus vielen kleinen Mosaiksteinchen ein grausiges Gesamtbild unseres Planeten, in welchem es eigentlich nur noch um Machterhalt durch große Konzerne und ihren „Wildwest“-Kapitalismus geht, den fast alle Staaten mit Hurra-Geschrei als Globalisierung bejubeln. Jedenfalls solange man kräftig mitverdient und das Deckmäntelchen der „Human Rights“ gewahrt bleibt – da man bei Nordkorea auf Seiten der Amerikaner generös von Drohgebärden absieht (die haben schließlich Atomwaffen), wird stattdessen kräftig auf die kleinen „Schurkenstaaten“ eingeprügelt. Von Afrika und dem immer wieder entflammenden Kriegen und schweren Menschenrechtsverletzungen dort schweigt des Dichters Höflichkeit (und auch das Gros der Presse) geflissentlich.

Der Wettlauf in Übersee und Russland um die globalen Ressourcen wird anderswo unerbittlich ausgefochten, doch deutlich zeigt sich die Unfähigkeit Europas und der UNO, dem Moloch USA und seinem Hunger nach Allmacht entgegenzutreten. Der schwächelnde, aber unter Wladimir Putin – welchen er gern mit Zar Peter dem Großen vergleicht – wieder erstarkende russische Bär ist als „Evil Empire“, sprich: als Feindbild im Westen weggebrochen und daher müssen jetzt „fundamentalistische“ Islam-Staaten herhalten. Russland kann nicht mehr mithalten und holt sich derweil im Kaukasus eine blutige Nase, beim Geschacher um die Öl- und Gaspipelines, während die Clinton- und später die Bush-Administrationen intrigant und geschickt den Nahen und Mittleren Osten manipulieren, um sich die Ressourcen zu sichern.

Dabei wird die Türkei ebenso geködert wie zunächst der Irak gefördert, beide Staaten wären (und sind geopolitisch) ein exzellenter Brückenkopf und zudem ein Garant dafür, dass die angrenzenden arabischen Staaten es sich zweimal überlegen, das US-Protektorat Israel weiter zu bekämpfen, wenn „Big Brother“ direkt vor ihrer Haustüre campiert. Doch wenngleich man sich den Irak und somit auch den Iran gefügig machen will – auf der anderen Seite der Welt gibt es noch weitere Staaten mit Großmacht-Gelüsten: China, Nordkorea und die so genannten „Tigerstaaten“ in denen es auch brodelt und die endlich auch ein Stück vom Wohlstands-Kuchen haben wollen. China und Nordkorea haben zur Durchsetzung ihrer Ansprüche sogar Nuklear-Potenzial zur Verfügung. Wo wir grade bei Nuklear-Technik sind: Auch Indien, Pakistan und vermutlich der Iran sind im Besitz von Kernwaffen. Armut und religiös angestrichene Machthaber – ein extrem explosives Gemisch: Die Lunte brennt bereits …

_ Meinung_
Hilflos muss die Staatengemeinschaft, allen voran die Institutionen der UNO, immer häufiger zusehen, wie die US-Administration den Ton angibt und fast alle anderen blind – sei es aus wirtschaftlichen Überlegungen oder vor Konformismus – folgen bzw. zwangsläufig folgen müssen. Dies ist seit langen Politik in Washington, doch kaum jemand kann sich gegen diese Vormachtstellung der letzten großen Weltmacht behaupten, Europa schon gar nicht, wie wir in den zurückliegenden Monaten eindrucksvoll miterleben durften.

Schon die Begebenheiten rund um den geschilderten Kosovo-Konflikt ließen laut Scholl-Latour auf die heutige Entwicklung schließen und viele seiner Bedenken, die er damals bereits in sein Tagebuch schrieb, geben ihm heute Recht. Hierbei beweist er aber sein Gespür für ethnische Zusammenhänge, die selbst der UN und auch all den anderen staatlichen Regierungen entgehen oder geflissentlich ignoriert werden. Zu behaupten, dass die derzeitige Weltlage ein „Kampf der Kulturen“ oder gar ein verkappter Glaubenskrieg ist, trifft nur bedingt zu, im Hintergrund stehen – wie meistens – vorrangig wirtschaftliche Interessen.

Obwohl der (Unter-)Titel eindeutig von einer „Bilanz“ spricht, ist dieses Buch eher eine „Never Ending Story“ aneinander gereihter Streiflichter und Gedanken, die Peter Scholl-Latour in die richtige zeitliche Reihenfolge gebracht hat, sich aber beliebig mit aktuellen Geschehnissen fortführen lässt. Da das Buch Ende 2001 / Anfang 2002 herauskam, erscheinen heute viele der Prognosen (auch laut Covertext) „visionär“, dem möchte ich widersprechen, denn eine Vision als solche kommt aus heiterem Himmel und davon kann bei Scholl-Latour wirklich nicht die Rede sein. Vielmehr hat er über viele Jahre – ja, Jahrzehnte – hinweg die weltpolitische Lage und speziell die Lage in den islamischen Staaten unter Beobachtung gehabt und „nur“ die richtigen Schlüsse gezogen: Konsequent, schonungslos und überaus kritisch.

Das Buch dürfte für manchen schwer zu lesen sein, es strotzt vor Fremdworten und Phrasen, die – jedenfalls bei den Kiddies heute – kaum mehr in Gebrauch sind, darunter auch einige geflügelte Worte und Aphorismen in anderen Sprachen, welche manchmal nicht gesondert übersetzt sind. Das gilt im Besonderen für das Französische, welchem sich der Autor immer wieder gerne bedient und zuwendet. Diese leicht archaische Art des Sprachgebrauchs ist sicher nicht jedermanns Sache, passt aber zu seinem Stil und verdeutlicht seinen Standpunkt durch Wortspiele und -wahl.

Es wirkt nicht so, dass Scholl-Latour damit „von oben“ herab missionieren oder belehren will – es ist ganz einfach die Sprache seiner Generation. Als Kenner gerade der islamischen Welt, dem meist sogar bei Diktatoren die Türen für Interviews offen stehen, berichtet er quasi direkt von der „Front“ und das überaus kritisch und mit großer Sachkenntnis der tieferen Zusammenhänge – wenngleich nicht immer sehr distanziert, man merkt, dass ihm die besuchten Länder ans Herz gewachsen sind.

Was mich anbelangt, so kann ich mir förmlich vorstellen, wie Scholl-Latour mit seiner markanten, leicht nasalen Stimme diese Reportagen vorträgt, wie er es seinerzeit im ZDF beim „Länderspiegel“ immer tat und auch heute zum Teil noch in diversen Beiträgen auf verschiedenen Sendern tut. Dadurch, dass es sich streng genommen um Einzelbeiträge handelt, die nicht für ein Buchprojekt wie dieses angepasst wurden, wiederholen sich manche Sätze zwischendrin immer wieder mal fast wortwörtlich. Gerade diese Passagen fallen dem aufmerksamen Leser sehr ins Auge und beweisen rückblickend, dass eben jene Punkte und Einschätzungen, die ihm augenscheinlich so wichtig erschienen, von der Realität heute tatsächlich beinahe Wort für Wort eingeholt wurden.

_Fazit_
Es gibt leider nicht mehr viele Journalisten wie ihn, was teilweise an seinem Alter liegen mag; er hat während seiner langjährigen Karriere die ganze Welt bereist und kann dadurch auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen, der vielen der heutigen Reporter abgeht. Das Buch ist sicher kein leichter Lesestoff (nicht nur wegen der streckenweise archaischen Sprache) und richtet sich eindeutig an Leute, die sich auf der weltpolitischen Bühne, im Bereich der Allgemeinbildung und mit den handelnden Personen auskennen.

Bedauernswerterweise sind für Einsteiger in die Materie keinerlei Karten enthalten, so bleibt dem ambitionierten Nichtkenner der geopolitischen Lage nur der eventuelle Griff zum hoffentlich vorhandenen Atlas. Schade, ein wenig Kartenmaterial hätte dem lesenswerten Werk noch den allerletzten Schliff gegeben, wer allerdings ein wenig im Feuilleton der Presse heimisch ist, kommt auch ohne aus. Die Gliederung und die häppchenweise Präsentation machen es leicht, mal zwischendrin abzusetzen, man findet selbst dann problemlos wieder hinein. Am Stück gelesen, brauchen geübte Bücherwürmer etwa sechs bis sieben Stunden Lesezeit. Insgesamt betrachtet ein Exkurs internationaler Zusammenhänge und ethnisch-politischer Bildung, den man gelesen haben sollte, um die heute vorherrschende Lage auf der Weltbühne besser verstehen zu können.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Titel: „Der Fluch des neuen Jahrtausends – Eine Bilanz“
Erscheinungsjahr: 2002 (Bertelsmann)
Format: Hardcover m. Schutzumschlag / 320 Seiten
oder: Taschenbuch / 352 Seiten (Goldmann / Mai 2004)
ISBN: 3-570-00537-2 (HC)
ISBN: 3-442-15272-0 (TB)
Preis: ab 9,95 (TB), 22 Euro (HC)

Bass, Bill / Jefferson, Jon – Knochenleser, Der

Knoxville im US-Staat Tennessee gehört zu jenen unglücklichen Städten, die nur über eine echte Sehenswürdigkeit verfügen, mit der indessen rein gar kein touristischer Staat zu machen ist: Hier hat die University of Tennessee in den 1970er Jahren die „Body Farm“ eingerichtet. Dr. Bill Bass, ein forensischer Pathologe, der von kriminalistischen Einrichtungen aller Art immer wieder als Berater bei rätselhaften Leichenfunden zu Rate gezogen wurde, war lange Zeit mit der ärgerlichen Tatsache konfrontiert, dass bei der Bestimmung der Zeit, die so ein „Kunde“ in einem Wald, einem Fluss oder unter dem Fundament eines Hauses gelegen hatte, der Zeitpunkt des Todes einfach nicht präzise festgestellt werden konnte: Niemand wusste wirklich, wie der Prozess der Verwesung ablief.

Aus Gründen, die auf der Hand liegen, waren selbst Wissenschaftler vor grundsätzlichen Forschungen auf diesem Gebiet zurückgeschreckt. Es bedarf einer besonderen Sorte Mensch, um sich planmäßig dem Grauen zu stellen, das Zeit, Feuchtigkeit und vor allem Insekten aus einer Leiche modellieren. Bill Bass ist ein solcher Mensch; zwar nicht immun gegen die unerfreulichen Seiten seiner Wissenschaft, aber mit Leidenschaft dabei, das Notwendige anzugehen. Den letzten Anstoß gab ihm die in ihrer grausigen Komik äußerst unterhaltsame Episode mit einer kopflosen Leiche, die er in einer bizarren Verkettung unglücklicher Zufälle um mehr als ein Jahrhundert falsch datierte.

Anschließend richtete Bass jene Institution ein, die von den dankbaren Medien später „Body Farm“ getauft wurde: Auf einem Stück Land wurden (und werden) Leichen auf den Waldboden oder in Pkw-Kofferräume gelegt, in Wasserbecken getaucht, flach oder tief eingegraben – und dann in Ruhe gelassen; in Ruhe der Fäulnis überlassen, um es beim Wort zu nennen, wobei dieser Vorgang detailliert in Wort und Bild festgehalten wird. Damit gewinnt man Vergleichsdaten, die es möglich machen, Leichen zu „entschlüsseln“, um so Todesursachen und –zeitpunkte zu fixieren.

Dass dies nicht nur Voyeure be- und Igittisten entgeistert, sondern von Wert für die kriminalistische Alltagsarbeit ist, weiß Bass an vielen Beispielen anschaulich zu belegen. So manchem Mörder konnte er ins Handwerk pfuschen, bevor dieser allzu sehr in Serie ging. Auch in der Archäologie sowie in allen Wissenschaften, die an den Überresten von Menschen über Menschen forschen, weiß man die Erkenntnisse zu schätzen, die Bass und seine magenstarken Kolleginnen und Kollegen ihren stinkenden Versuchspersonen entlocken.

Mit den Schilderungen berühmter oder „nur“ interessanter Fälle, an denen er forensisch beteiligt war, verknüpft Bass seine Lebensgeschichte. Beide Bereiche erklären einander, so dass Bass es nie nötig hat, in regelmäßigen Abständen einen neuen Gruselkadaver ins Geschehen zu bringen, um den gelangweilten Leser zu fesseln: „Der Knochenleser“ ist eine Biografie mit rotem Faden, keine kunterbunte Sammlung aberwitziger Anekdoten. An denen spart der Verfasser nicht, aber er stellt sie in den Dienst seiner Geschichte. Diese wird dadurch auch zur Historie der (US-)Forensik in den vergangenen fünfzig Jahren.

Weil Bass dabei das Persönliche nicht scheut, stellt er sich auch der verständlichen Frage, wie ein Mensch nur solche Arbeit tun kann. Unausgesprochen steht sie während der Lektüre immer im Raum. Die Labor- und Feldgeschichten sind spannend, sogar faszinierend, dazu witzig, aber dennoch … Wie schafft der Mann es, Tag für Tag mit faulenden, grässlich anzusehenden Leichen umzugehen, ohne darüber verrückt zu werden?

Die Antwort ist einfach – oder typisch amerikanisch, wenn man so möchte: Es liegt halt ein höheres Ziel und damit ein Sinn in dieser Tätigkeit. Bass sieht sich einerseits als Wissenschaftler, d. h. als Kopf-Mensch, der den Verstand an- und den Bauch (und die Nase) abschaltet, sobald ein „Job“ – die Identifizierung und Untersuchung eines Kadavers – ansteht. Andererseits gibt dies besagter Leiche, die einst ein Mensch war, der unter ungeklärten Umständen das Leben verlor, seine Identität, seine „Stimme“ zurück: Wenn er, Bill Bass, nicht klärt, was zum Zeitpunkt des Todes geschah, kommt ein Mörder davon und kann seine Tat womöglich wiederholen.

Starke Argumente, keine Frage, aber Mr. Bass gehört dennoch eindeutig einem ganz besonderen Menschenschlag an! Möglicherweise ist es ja auch sein Sinn für Humor bzw. die Absurditäten des Lebens & des Todes, die ihn zu seiner Arbeit befähigen. Negativ-Kritiker werden es ihm ankreiden, dass er es manchmal am gebotenen „heiligen“ Ernst mangeln lässt. Sie werden freilich überhaupt wie viele Bürger von Knoxville urteilen: Macht es, wenn es denn sein muss, aber schweigt darüber! Doch Bass ist stolz darauf, was er mit seinem Team geschafft hat. Außerdem will er der Mythenbildung vorbeugen.
Denn die „Body Farm“ ist spätestens seit Anfang der 1990er Jahre in aller Munde, als sie ganz besonderen Besuch bekam: Die ehemalige Forensikerin und spätere Schriftstellerin Patricia Cornwell besuchte Knoxville und ließ sich von Bass in die Geheimnisse der „Farm“ einweihen, die sie anschließend reichlich in einen ihrer enorm erfolgreichen Kay-Scarpetta-Romane („The Body Farm“; dt. „Das geheime ABC der Toten“) einfließen ließ. Seitdem genießt der seltsame Ort fast schon zu viel Publicity; sogar Pfadfindergruppen fragten schon Führungen nach … Faszination und Abscheu liegen beim Thema Tod sehr nahe beieinander!

„Der Knochenleser“ beinhaltet zwei Fotostrecken, die sich glücklicherweise nur in Andeutungen dessen ergehen, was der Verfasser im Text überaus drastisch beim Namen nennt. Der optische Eindruck davon, was den Alltag des Dr. Bass ausmacht, steigert allerdings die Bewunderung für das, was dieser Mann leistet. Seien wir ehrlich: Möchten wir wirklich die Fotos vom Hinterhof jenes pflichtvergessenen Bestatters sehen, der „seine“ Leichen nicht urnengerecht verbrannte, sondern sie zwischen Waldbäumen stapelte, in Schrottautos stopfte oder sonstwie „entsorgte“ – 339 Stück? Da kam es bei der anschließenden Identifizierung zu unerfreulichen Wiedersehensszenen zwischen Familienangehörigen, von denen die Lebenden die Toten längst in der Urne auf dem Kaminsims wähnten … Nein, wir sind Dr. Bass dankbar, dass er uns in klaren Worten, aber nicht gar zu krass über seine Arbeit informiert; darüber hinaus müssen und wollen wir nicht alles wissen! Das überlassen wir den Spezialisten, die es wissen müssen, um es anwenden zu können. Dank Bill Bass (wohltuend unterstützt vom wortgewandten Journalisten Jon Jefferson) ist uns nun klar, dass dieser Job keine Horde ghulischer Frankensteine erfordert, sondern Menschen mit Köpfchen, Herz & stählernen Nasen!

Margolin, Phillip M. – Hand des Dr. Cardoni, Die

Er ist ein echter Widerling, dieser Dr. Vincent Cardoni. Als Chirurg am St. Francis Medical Center in Portland, Oregon, schurigelt er seine Untergebenen. Die Kunstfehlerchen häufen sich, denn der Chirurg hat ein Kokainproblem. Seine schöne Frau, die Assistenzärztin Justine Castle, hat die Scheidung eingereicht, die schmutzig und teuer zu werden verspricht. Außerdem gibt es da womöglich Kontakte zum Drogengangster Martin Breach, dessen Gegner spurlos zu verschwinden pflegen.

Besagter Breach steigt gerade in den illegalen Organhandel ein. Er kauft und verkauft Herzen, Nieren und andere Innereien, deren ursprüngliche Besitzer sich womöglich nicht freiwillig davon trennen wollten. Gerade ist so ein Geschäft geplatzt, wofür Breach Cardoni verantwortlich macht. Der Arzt ahnt nichts von der Gefahr, die ihm durch den rachsüchtigen Gangster entsteht, denn ihn plagen ganz andere Sorgen: Auf dem Grundstück einer abgelegenen Waldhütte, die angeblich ihm gehört, wurden neun verstümmelte Leichen gefunden – offenbar mit Hilfe chirurgischer Instrumente teils zu Tode gefoltert, teils ausgeweidet.

Cardoni beteuert seine Unschuld und heuert als Anwalt den berühmten Frank Jaffe an. Diesem wird seit kurzem von seiner jungen, schönen (etc.) und ehrgeizigen Tochter Amanda assistiert. Mit der schleimigen Trickfertigkeit vorzüglich entlohnter US-Rechtsverdreher gelingt es dem Vater-Tochter-Team tatsächlich, der Polizei gravierende Verfahrensfehler nachzuweisen. Cardoni kommt frei – und vom Regen in die Traufe.

Ist er tatsächlich der Mörder, der jetzt womöglich weitermacht? Besonders Amanda macht dies zu schaffen. Ihre Ermittlungen deuten eine mögliche Schuld der gar nicht so redlichen Ex-Gattin Cardonis an. Amanda und ihr neuer Freund, der junge Arzt Tony Fiori – ein Kollege Dr. Castles – beschatten die Verdächtige und behalten auch Cardoni im Auge. Doch dieser verschwindet – nicht ganz spurlos, denn Amanda findet seine abgetrennte Hand …

Die Zusammenfassung macht es bereits deutlich: Originalität ist nicht gerade das Pfund, mit dem diese Story wuchern könnte. Stattdessen haben wir es mit einem durchschnittlichen Thriller zu tun, der seine grundsätzlich solide Geschichte ziemlich ungeschickt verkauft (und mit einem abstoßenden, die Selbstjustiz feiernden, zudem bei Quentin Tarantino „entliehenen“ Schlussgag ausklingt).

Denn Margolin ist durchaus in der Lage, Spannung und Atmosphäre zu erzeugen. Auch ein zu langsames Tempo kann man ihm nicht vorwerfen. Deshalb verzeihen wir ihm, dass er uns eigentlich nur alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen möchte. Sadist killt in Serie, dieses Mal als Arzt, was stets funktioniert, weil uns alle kalte Schauder erfassen, wenn wir uns OP-Tisch und Skalpell vorstellen. Um auf Nummer Sicher zu gehen, konstruiert Margolin einen zweiten Handlungsstrang um einen brutalen Gangster, der zwar „nur“ geschäftsmäßig, aber mindestens genauso eklig mordet.

Vordergründigkeiten à la Kopf im Kühlschrank verfehlen auch nie ihre Wirkung, das laute Gekreisch soll verbergen, dass die Story mächtig über tief ausgefahrene Geleise rattert. Manchmal wird sie allerdings unvermittelt umgeleitet – und dann ist man unwillkürlich gefesselt. Margolin rüttelt gern an den Grundfesten des Plots. Verdächtige werden zu Opfern, Opfer zu Mördern, Mörder zu Marsmenschen … Es ist alles möglich, und manchmal schafft es Margolin sogar, auf dem schmalen Grat zwischen Überraschung und Übertreibung zu balancieren. Bemerkenswert ist es beispielsweise, dass es nach US-Gesetz offenbar möglich ist, als Serienmörder vor Gericht freizukommen, wenn die Beweise für das blutige Tun nicht vorschriftsmäßig erbracht wurden; sie werden dann höchstrichterlich für nichtig erklärt. Kann (oder will) man das glauben? Immerhin fällt uns dies leichter als sich vorgaukeln zu lassen, der untergetauchte Verbrecher könne sich chirurgisch so „umbauen“ lassen, dass sich seine schändlichen Spiele am Schauplatz früherer Übeltaten und unter den Augen ehemaliger Kollegen und Freunde ungestört fortsetzen lassen … (Dies wird nicht der letzte Sturz ins logisch Leere bleiben.)

Eindeutig der Schwachpunkt dieses Romans – die Figurenzeichnung. Was heißt Schwachpunkt: Margolin versetzt seiner gar nicht unflotten Geschichte fast den Todesstoß, indem er sie ausschließlich mit oberflächlichen Pappkameraden besetzt. Man fasst sich bei der Lektüre an den Kopf, weil man es gar nicht glauben kann, dass sich der Autor eine Dreistigkeit dieses Ausmaßes tatsächlich traut. Da treten also alle Hoffungsträger des modernen Thrillers in einem Buch versammelt auf: der taffe Anwalt, der rettungswütige Arzt, die schöne Unschuld, die verdächtige Schöne, der hartnäckige Cop, der degenerierte Gangster, der psychopathische Serienmetzler … Es gibt für sie kein Entrinnen, sie sind an ihre Rollen gebunden, die sie bis zum allerletzten Klischee durchspielen müssen.

Für den europäischen Leser kommt erschwerend hinzu, dass er (und sie) sich nicht recht am Bild des US-Anwalts als Helden erfreuen kann. Viele Seiten füllt Margolin (der selbst Anwalt war) mit salbungsvollen Vorträgen Frank Jaffes, dass es schließlich der Job eines Strafverteidigers sei, seine Klientin freizubekommen. Die Frage der Unschuld ist für ihn sekundär; er hofft aber immerhin, nicht den einen oder anderen Serienmörder oder Kinderschänder wieder auf die Welt losgelassen zu haben …

Töchterchen Amanda, die weibliche Hauptrolle, agiert so naiv, dass man schreien möchte. Sie schlägt sich mit diversen Reiches-Mädchen-will-selbstständig-werden-Problemchen herum, will ein noch schärferer Justiz-Hund als Papi werden und sucht natürlich nebenbei nach Mr. Right. Dass sich genau der scheinbar gefundene Prinz als der wahre Täter erweist, vermag nur Amanda zu verblüffen; selbst der nicht besonders aufmerksame Leser hat das schon circa auf Seite 100 herausgefunden, so auffällig bemüht sich Margolin, ihn unverdächtig wirken zu lassen.

Es wird besser nach dem Zeitsprung über vier Jahre, der den zweiten Teil des Romans einleitet. Möglicherweise wollte Margolin seine Amanda einem Reifeprozess unterziehen. Weil sein schriftstellerisches Talent nun einmal beschränkt ist, muss er dabei halt mit dem Quast und nicht mit der Feder arbeiten. Das betrifft, wie weiter oben skizziert, ebenso das übrige Personal. Der Mörder ist übrigens fast nur Gaststar in seiner Geschichte. Von seinen grausigen Taten hören wir nur indirekt. Ein kluger Schachzug, der die Vorstellungskraft unheilvoll stimuliert – wäre da nicht der Verdacht, dass Margolin auch hier kühl kalkuliert: Offene Folter- und Metzelszenen könnten nämlich die Mainstream-Leserschaft verstören und vom Kauf abhalten. Das gilt auch für Hollywood, das sich womöglich für „Die Hand des Dr. Cardoni“ interessieren könnte, denn Margolin hat sein Bestes getan, alle Elemente eines Drehbuchs für einen potenziellen Blockbuster zusammenzutragen …

Phillip M. Margolin wurde 1944 in New York geboren. Nach dem College studierte er Jura in Washington und New York. Zwischenzeitlich ging er für zwei Jahre mit dem Friedenscorps der Vereinigten Staaten nach Monrovia. Der studentischen Puppenhülle entschlüpft, zog Margolin nach Oregon und eröffnete eine Anwaltskanzlei. Hier spezialisierte er sich als Strafverteidiger auf Mordfälle und war damit (nach US-Maßstäben) anscheinend recht erfolgreich.

Seit den späten 1970er Jahren verfolgte Margolin seine schriftstellerischen Ambitionen. Nach einigen Jahren zeichneten sich solche Erfolge ab, dass er sich ab 1996 ganz dem Schreiben widmete. Margolins Romane haben Stammplätze auf den US-Bestsellerlisten. Sein unbedingter Wille, es allen Recht zu machen, wird dabei keine geringe Rolle spielen.

Phillip M. Margolin lebt mit Frau und zwei Kindern in Portland, Oregon.

Homepage des Autors: http://www.phillipmargolin.com/

Mankell, Henning – Brandmauer, Die

Kriminalromane sind in Deutschland so populär wie nie zuvor, und besonders schwedische Krimis stehen auf der Beliebtheitsskala dank Henning Mankell ganz weit oben. Der größtenteils in Afrika lebende Autor hat mit Kurt Wallander einen Kommissar geschaffen, der an Authentizität möglicherweise unübertroffen ist. Bei der „Brandmauer“ („Brandvägg“, 1998) handelt es sich leider um den letzten Fall, den Kurt Wallander in Ystad zu lösen hat.

_Wallander wird alt_
Inzwischen hat Kurt Wallander das stolze Alter von 50 Jahren erreicht, sodass ihm nur noch etwa zehn Jahre bis zur lang ersehnten Pensionierung bleiben. Einst war er mit Mona verheiratet, doch bereits vor „Mörder ohne Gesicht“ hatten die beiden sich getrennt. Aus der Ehe geblieben ist Wallander seine Tochter Linda, zu der er ein sehr wechselhaftes Verhältnis hat; mal verstehen die beiden sich blendend, mal scheint Linda ihrem Vater völlig entrückt zu sein. Wallander ist kein großer Held, er wird eher von vielen Zweifeln geplagt, ob sein Beruf wirklich noch das Richtige für ihn und er den immer schwierigeren Belastungen noch gewachsen ist. Bei Wallander wurde unlängst Diabetes diagnostiziert, sodass er inzwischen seinen Lebenswandel umstellen musste. Mittlerweile hat er etwas abgenommen und sich tägliche Spaziergänge zur Gewohnheit gemacht, aber auch das macht ihn nicht viel glücklicher, Wallander fühlt sich einsam, denn auch seine Beziehung zu Baiba Liepa, die in Riga lebt, ist in die Brüche gegangen, sein ehemals bester Freund Sten Widen will auswandern und auch sein exzentrischer Vater ist inzwischen gestorben. Was bleibt ihm noch?

_Mord oder Selbstmord – das ist hier die Frage_
Zu Beginn lernt der Leser kurz Tynnes Falk kennen, der sorgfältig seinen Tagesablauf notiert und eines Abends noch einmal spazieren gehen will. Er holt am Bankautomaten einen Kontoauszug und denkt, dass alles in Ordnung ist. Doch danach kann er sich an nichts mehr erinnern. Kurz darauf wird seine Leiche vor dem Bankautomaten aufgefunden.

Fast zur gleichen Zeit wird ein Anschlag auf den Taxifahrer Lundberg verübt. Zwei junge Mädchen, nämlich die neunzehnjährige Sonja Hökberg und die erst vierzehnjährige Eva Persson, überfallen den Taxifahrer, schlagen ihm mehrmals mit einem Hammer auf den Kopf und stechen ihm ein Messer in die Brust. Kurze Zeit später erliegt Lundberg seinen schweren Verletzungen und Wallander ist entsetzt angesichts der brutalen Gewalt, mit der die beiden jungen Mädchen vorgegangen sind. Schnell gestehen die beiden ihre Tat, zeigen allerdings keine Reue. Warum bloß haben sie den unschuldigen Taxifahrer angegriffen?

Wallander versteht die Welt nicht mehr, was ist passiert, dass junge Frauen so eiskalt sein können? Bald darauf kann Sonja Hökberg aus ihrer Haft fliehen, gleichzeitig zieht Eva Persson ihr Geständnis zurück. Dann fällt in Ystad der Strom aus und eine verkohlte Leiche wird in der Transformatorstation gefunden. War es Selbstmord oder Mord? Wie konnte die Tür zum Häuschen aufgeschlossen werden, obwohl die Schlüssel nur wenigen Menschen zugänglich sind? Wie hängen all diese mysteriösen Todesfälle zusammen? Wallander und seine Kollegen tappen im Dunkeln. Gleichzeitig gibt Wallander eine Kontaktanzeige auf, um vielleicht eine Frau kennen zu lernen. Zunächst ist er skeptisch, aber vielleicht wird ihm doch eine Frau antworten …

_Mankell-Wallandersche Betrachtungen_
Für mich ist und bleibt Henning Mankell ein echtes Phänomen. Seine Krimis sind absolute Weltspitze und reißen den Leser von Beginn an mit, selten habe ich spannendere Bücher gelesen. Auch hier steigen wir mitten in die Geschichte ein und schon im ersten Kapitel kommt Tynnes Falk ums Leben. Die Polizei steht vor einem Rätsel, denn Falks Todesursache bleibt lange Zeit im Dunkeln. Gleich am Anfang überschlagen sich die Ereignisse, denn sowohl zum Thema Tynnes Falk gibt es schnell neue Erkenntnisse, wie auch im Fall um Sonja Hökberg. Um den Leser und seine Aufmerksamkeit an keiner Stelle zu verlieren, baut Mankell regelmäßig Cliffhanger ein. Oftmals hängt Wallander seinen Gedanken nach:

|“Er konnte seinen Gedankengang nicht klar zu Ende denken. Aber er wusste, dass er wichtig war.“|

Als Leser könnte man Wallander dann nur zu gern am Kragen packen und schütteln, um seinen Denkprozess voranzutreiben, denn diese Ungewissheit ist kaum auszuhalten.

Einmal streut Mankell die Information ein, dass Wallander einen so schwerwiegenden Fehler begeht, dass er später immer wieder daran zurückdenken muss. Wallander befürchtet, an einem weiteren Todesfall schuldig zu sein und man fiebert der Auflösung dieses Fehlers entgegen, auf die man allerdings fast bis zum Schluss des Buches warten muss.

|“Später sollte Wallander stets denken, dass er an jenem Nachmittag, als er in seinem Büro saß und Ann-Britt zuhörte, einen der größten Fehler seines Lebens begangen hatte. Als sie von ihrer Entdeckung berichtete, dass Sonja Hökberg sehr wohl einen Freund gehabt hatte, hätte er sogleich begreifen müssen, dass an der Geschichte etwas faul war. Ann-Britt hatte nicht die ganze Wahrheit ausgegraben, sondern nur die halbe. Und halbe Wahrheiten haben, wie er wusste, die Tendenz, sich in ganze Lügen zu verwandeln. Er sah nicht, was er hätte sehen müssen. Sein Fehler musste teuer bezahlt werden. In finsteren Stunden dachte Wallander, dass sein Versagen zum Tod eines Menschen beigetragen hatte. Und es hätte dazu führen können, dass eine andere Katastrophe tatsächlich eingetreten wäre.“|

Der Spannungsbogen ist wieder nahezu perfekt gelungen, die letzten 350 Seiten habe ich praktisch an einem Stück gelesen, weil ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Mankell bräuchte meiner Meinung nach gar keine Cliffhanger, um seine Leser bei Laune zu halten, seine Geschichten wären auch ohne sie spannender als die meisten anderen Kriminalfälle. Interessant ist bei der „Brandmauer“ darüber hinaus, dass scheinbar gar nicht zusammenhängende Fälle doch miteinander verwoben sind. Mal gibt es neue Erkenntnisse zum einen Fall, dann wieder welche zum anderen Fall, doch erfährt man bis kurz vor Schluss nicht die wahren Zusammenhänge und ist dadurch ständig am Miträtseln. Sehr verwirrend war auch, dass Wallander zwischendurch ab und an Spuren verfolgt, die logisch klingen und Wallanders berühmter Intuition entspringen, die aber dennoch in eine falsche Richtung weisen. Als Leser kann man also nie sicher sein, ob man sich auf der richtigen Spur befindet. Mankell spielt gerne mit den Informationen über die Täter und ihre Motive, so ist der Leser oftmals der Kriminalpolizei einen Schritt voraus. An einer Stelle erfahren wir einige Kleinigkeiten über den Drahtzieher hinter den Morden und lernen einen Komplizen kennen. Wallander dagegen ist ahnungslos und weiß nicht, wem er trauen kann und wem nicht. Das führt dazu, dass man Wallander in sein Verderben rennen sieht und immer weiter hoffen muss, dass er noch rechtzeitig bemerken wird, wer die Komplizen des Drahtziehers sind.

_Faszination Wallander_
Wieder einmal steht Kurt Wallander im Mittelpunkt des Geschehens. Mankell legt stets viel Wert auf die Charakterzeichnung seines nicht-perfekten Krimihelden. In diesem Fall hadert Wallander mit sich und seiner Einsamkeit. Am liebsten würde er ausbrechen aus seinem Alltag und seine Arbeit hinschmeißen, wie es auch andere seiner Bekannten getan haben. Zudem fühlt er sich einsam, da ihm die Frau an seiner Seite fehlt. Als Linda ihm dann eine Kontaktanzeige vorschlägt, ist Wallander zunächst skeptisch, gibt dann aber schweren Herzens doch eine auf. Ein wenig Bergauf geht es mit seiner Gesundheit, denn Wallander hat etwas abgenommen und mit dem Rauchen aufgehört. Gewann man in anderen Fällen noch den Eindruck, dass Wallander auch ein kleines Problem mit dem Alkohol hat, scheint er dieses inzwischen in den Griff bekommen zu haben. In jedem Wallanderkrimi kommen neue Mosaiksteinchen hinzu, die das Bild unseres Krimihelden immer weiter vervollständigen, sodass dieses im Laufe der Reihe immer detaillierter wird. Dadurch wächst einem Wallander richtig ans Herz, man leidet mit ihm mit, wenn er sich einmal mehr einsam und verlassen fühlt oder er es wieder nicht schafft, seine Wäsche zu waschen (dieses Mal bringt er das allerdings einmal zustande!). Wallander wird einem zunehmend sympathischer, je mehr man über ihn liest, zumindest ging das mir so und auch allen, mit denen ich bisher darüber gesprochen habe.

Mankell schafft es sogar im Laufe der gesamten Krimireihe, auch seine anderen Figuren immer weiter auszubauen, so werden darüber hinaus Wallanders Kollegen besser vorgestellt, besonders über Martinsson wird man in der „Brandmauer“ einige interessante Dinge erfahren. Ann-Britt Höglund erlebt in diesem Roman ähnlich wie Wallander zuvor persönliche Schicksalsschläge und wird immer mehr zu seiner Lieblingskollegin.

Neben der ausführlichen Charakterzeichnung der handelnden Personen ist eine weitere Besonderheit der Mankell-Krimis die meist enthaltene „Botschaft fürs Leben“; so wird auch hier wieder ein Problem behandelt, das die heutige Gesellschaft kritisieren soll. In seinem Nachwort schreibt Mankell dann auch, dass er sich vorstellen könne, dass dies durchaus so geschehen könnte, wie er es für seinen Krimi erfunden hat. Im Mittelpunkt stehen dieses Mal nicht politische Missstände, sondern die Verwundbarkeit der heutigen Gesellschaft. Was man darunter genau zu verstehen hat, wird ausführlich im Buch beschrieben, würde hier aber zu viel verraten. Ich persönlich fand die Idee nicht schlecht, dieses Problem aufzugreifen, auch wenn „Die Brandmauer“ dadurch vielleicht nicht ganz das Gewicht erhält wie zum Beispiel „Die weiße Löwin“. Am Ende war ich dann doch ein ganz klein wenig enttäuscht, dass nicht mehr hinter den Ereignissen steckte, aber das ist natürlich Geschmackssache.

Obwohl in jedem der Wallander-Krimis ein neuer Fall aufgeklärt werden muss, ist es doch wichtig, dass man die Bücher in chronologischer Reihenfolge liest, denn Mankell spielt in allen seinen Büchern auf bereits vergangene Ereignisse an. Dieses Mal geht er sogar ein Stück weiter und deutet diese nicht nur an, sondern beschreibt recht ausführlich den Täter aus „Die falsche Fährte“. Unfreiwillig werden dem Leser neben dem Mörder auch einige seiner Opfer und sein Motiv verraten, hier verrät Mankell so viel wie nie zuvor über einen vergangenen Krimi.

_Was am Ende übrig bleibt_
Insgesamt ist Henning Mankell mit der „Brandmauer“ ein mehr als solider Krimi gelungen, der spannender ist als die Romane seiner skandinavischen Kollegen, allerdings nicht ganz heranreichen kann an „Die weiße Löwin“ oder auch „Mittsommermord“, dennoch ist der Fall wieder hochspannend und brisant. Das Buch unterhält gut und man kann es praktisch kaum noch aus der Hand legen, wenn man erst einmal damit angefangen hat.

Deutsche Wallanderseite: http://www.wallander-web.de/

Weis, René – Welt ist des Teufels, Die. Die Geschichte der letzten Katharer 1290 – 1329

Über die Katharer, eine gnostische Bewegung, und deren gnadenlose Ausrottung durch die christliche Kirche wurde viel geschrieben, veröffentlicht und spekuliert. Konsens dabei ist, dass die Katharer (die „Reinen“) in ihrer Glaubensvorstellung tatsächlich nicht denjenigen gnostischen Strömungen zuzuordnen sind, welche Sexualität als Mittel zur Erleuchtung benutzten. Die Katharer sahen die materielle Welt als sündhaftes Werk des Teufels und versuchten, die Seelen aus dem Kreislauf der Wiedergeburt zu befreien. Im Extremfall wählten sie die |Endura|, den heiligen Märtyrerweg des Verhungerns durch vollkommene Entsagung. Sexualität fand offiziell bei den Katharern nicht statt.

Dennoch wurden den Katharern aber von der Inquisition die perversesten Sexualdelikte zum Vorwurf gemacht. Der Autor untersuchte jahrelang alle Berichte der Inquisition, besuchte die heutigen Stätten und versuchte, Historisches zu rekonstruieren. Herausgekommen ist eine detaillierte Beschreibung einzelner verfolgter Familien; ganze Dorfgeschichten mit den Verhältnissen der Bewohner untereinander werden akribisch vorgelegt. Anhand der Aufzählung dieser Quellen stellt das Buch wirklich keine leichte, sondern vielmehr eine sehr anstrengende Lektüre dar. Aber wer sich die Mühe macht, sich durch den Text zu kämpfen, erhält einen wirklichen Einblick in die Gepflogenheiten der Katharer.

Und Sexualität lässt sich nun mal gesellschaftlich nicht unterdrücken. Da der Geschlechtsverkehr nach katharischer Lehre unter Eheleuten noch sündhafter sei als mit Fremden wurde tatsächlich gebuhlt, was nur geht. Gerade die katharischen Priester nutzten ihre Autorität und Macht dafür aus, viele Frauen aus den Dörfern als Konkubinen zu haben. Die Arten der sexuellen Begegnungen werden offen in allen Details vorgelegt; wie und auf welche Weise der Geschlechtsverkehr stattfand, welche oralen Praktiken betrieben wurden und so weiter und so fort. Alle sexuellen Verhältnisse werden mit Namen, Zeit und Ort rekonstruiert. Eine historische Sittengeschichte der Kultur der Katharer zwischen religiösem Ideal und sozialer Wirklichkeit, wie sie zuvor noch nicht vorgelegt wurde.

Die Entscheidung des |Lübbe|-Verlages, solch ein anstrengendes Buch zu publizieren, ist mutig, aber aufgrund des gegenwärtigen Interesses an vielleicht „sensationellen“ Neuigkeiten über die Geheimnisse der Katharer findet das Werk sicherlich auch seine Käufer.

Mehr Informationen unter http://de.wikipedia.org/wiki/Katharer.

John S. Marr – Die achte Posaune

Das geschieht:

Zwei Jahre ist es her, dass die Welt (= die Vereinigten Staaten von Amerika) vom irren Reagenzglas-Psychopathen und Bio-Terroristen Theodore Graham Kameron heimgesucht wurde. Die zehn Plagen des Alten Testaments hatte der geniale, unter akutem religiösen Wahnsinn leidende Naturwissenschaftler in seinem Labor heraufbeschworen: dies sehr erfolgreich und mit für seine zahlreichen Opfer unerfreulichen Folgen.

Auf die Schliche gekommen war dem selbst ernannten Engel des Bösen damals Jack Bryce, Spezialist für Infektionskrankheiten. Noch heute leidet er unter den Folgen der Hetzjagd, die ihn das große Finale nur arg ramponiert überleben ließ. Schlimmer: Kameron konnte entkommen. Für die Behörden gilt er als tot, aber Bryce weiß es bald besser. Wie nahe ihm sein Feind ist, ahnt er nicht: Im US-Südstaat Virginia hat Bryce eine Stelle als Universitätsdozent angenommen. Der Zufall (bzw. die von Hollywood geprägte Dramaturgie des modernen Bestseller-Thrillers) hat ihn dorthin verschlagen, wo der Kameron-Clan – dessen Angehörige schon immer verhaltensauffällig waren – seit 150 Jahren Übles treibt.

Theodore wandelt auf den Spuren seiner Vorfahren. Wieder plant er die Welt für allerlei sündhaftes Tun zu strafen. Dieses Mal wählt er eine besonders widerliche Methode: Er malträtiert seine Opfer mit Würmern, Zecken oder Blutegeln, die er zusätzlich mit exotischen Krankheitskeimen auflädt. Im Inneren eines menschlichen Körpers entwickelt sich diese Höllenbrut prächtig, um dann am Tage X hungrig über die Organe ihres Wirtes herzufallen. Das garantiert ein eindrucksvolles Sterben, wie u. a. Shmuel Berger bestätigen kann (Kotztüten bereithalten!), dessen Studienfreund und Zimmergenosse just auf diese Weise zu Tode kam. Shmuel hatte damals geholfen, dem entfesselten Kameron das Handwerk zu legen. Mit im Bunde waren Vicky Wade, Fernsehreporterin, und FBI-Agent Scott Hubbard, die Kameron ebenfalls nicht vergessen hat.

Doch zunächst gilt es die übliche Alltagsarbeit eines gemeingefährlichen Irren zu verrichten. Kameron kontaminiert diverse Pechvögel mit seinen Parasiten, um jene Angst und jenen Schrecken zu säen, nach dem er süchtig ist. Lange dauert es nicht, bis Jack Bryce aufmerksam wird. Glücklicherweise hat er an seinem neuen Wirkungsort einige Verbündete gefunden, die mit den alten Mitstreitern dafür sorgen werden, dass die Posaune des achten Engels vorläufig noch im Schrank bleibt …

Mikro-Wesen säen Makro-Schrecken

Doch bis es soweit ist, gibt es wieder tüchtig Action und Krawall, in die sich dieses Mal mehr als ein ordentliches Quäntchen Splatter mischt. Recht unappetitlich fällt Kamerons zweite Attacke auf die sündige Menschheit aus. Was bleibt einem hart arbeitenden Unterhaltungs-Schriftsteller schon übrig, um auf dem umkämpften Markt des Medizin-Thrillers die leidige Konkurrenz auszustechen? Ekel mit der groben Kelle ist immer gut fürs Geschäft; die Leser lieben ihn, und die Tugendbolde schäumen, was für gern gesehene Gratis-Werbung sorgt.

Natürlich ist „Die achte Posaune“ ein Reißbrett-Roman von der ersten bis zur letzten Zeile. Hier wurde rein gar nichts dem Zufall überlassen. Nur bewährte Thriller-Elemente fanden Verwendung in einem mechanisch geplotteten Werk, das seinen Verfasser an die Spitze der Bestseller-Listen tragen sollte. Das hat recht gut geklappt. So schlecht klingt diese „Posaune“ außerdem nicht. Wenn man Überraschungen hasst und Remmidemmi liebt, kommt man auf seine Kosten.

Noch besser: Die Handlung entwickelt sich geradezu surreal, scheut nie vor dem völlig Absurden zurück und streift sogar den blanken Horror. Theodore Kameron entpuppt sich als letzter Vertreter einer wahrlich verdammten Sippe von Lumpen, Irren, Kannibalen und Serienkillern, die seit Jahrhunderten erst im alten Europa und dann in der Neuen Welt ihr Unwesen treiben. Das ist einfach hirnrissig, wird aber hinreißend erzählt.

Vollgas nach Stotter-Start

Dies sorgt für echte Verblüffung: John Marr gehört zu den seltenen Autoren, die denkbar ungeschickt starten, um sich dann zu echten Geschichtenerzählern zu mausern. „Die achte Posaune“ ist auch mit einer zweiten Eigenschaft etwas Seltenes: der zweite Teil einer Story, die den ersten deutlich übertrifft. Absurd ist dieses Garn zweifellos, aber eben auch vergnüglich und spannend, und wenn der erfahrene Thriller-Leser auch stets im Bilde ist, so geschieht doch ständig etwas, das die Aufmerksamkeit fesseln kann.

Liegt es daran, dass Marr das zweite Bryce/Kameron-Spektakel im Alleingang entfesselt? John Baldwin, Co-Autor von „The Eleventh Plague“ (1998; dt. „Die elfte Plage“) genoss derweil die Freuden der Vaterschaft, wie wir dem Nachwort entnehmen. Eine weitere Fortsetzung wäre möglich, denn der böse Hannibal Frankenstein entkommt schon wieder seinen Häschern!

Das lässt den Leser nicht leise aufstöhnen, sondern kann sogar Erwartungen wecken. Mit „Teddy“ Kameron ist Marr ein wirklich schaurig-schillernder Bösewicht gelungen. Heimlich, still und leise führt er seinen bizarren Ein-Mann-Krieg gegen den Rest der Welt und legt dabei einen ausgeprägten Sinn für schräge Einfälle an den Tag.

Medizinschrank als Gruselkabinett

Sind die beschriebenen Schrecken realistisch? Das bleibt Nebensache. Sie lesen sich jedenfalls spannend. Sein außerordentliches Hintergrundwissen bringt Marr, ein studierter Mediziner und Seuchenspezialist, der viele Jahre das Gesundheitsamt der Stadt New York leitete, dieses Mal deutlich souveräner als noch in „Die elfte Plage“ ins Spiel bzw. in den Dienst seiner Geschichte. Todesviren ziehen in Literatur und Film immer, und Marr weiß, wovon und wie man schreibt.

Leserherz (bzw. -hirn), was willst Du mehr? Manchmal wünscht man sich, Marr in seinem Enthusiasmus bremsen zu können, denn der Kampf gegen den biologischen Terror, der ganz real und auch ohne Dr. Kamerons Nachhilfe über die Menschheit kommen kann, ist dem Verfasser ein echtes Anliegen. Mehrfach unterbricht er seine Geschichte mit ausführlichen Referaten über Seuchen, die per Schiff oder Flugzeug in Windeseile um den Globus reisen, sich mit harmlosen einheimischen Krankheiten mischen und sich in das Unsägliche verwandeln könnten. Stört das den Fluss der Geschichte? Ganz erheblich, obwohl der Leser gern zugibt, dass solche Hintergrundinformationen das furchtsame Schütteln noch steigern!

Dass Marr seine Leser zwar ernst nimmt, um die ironischen Aspekte seiner Schauermär aber sehr wohl weiß, demonstriert er u. a. mit der Figur des Dwight Fry, den die Faszination in den Bann des dämonischen Dr. Kameron zwingt. Der Horrorfan erkennt die Anspielung: Dwight Frye (1899-1943) war der Schauspieler, der im Filmklassiker „Frankenstein“ (1931) die Rolle des „Fritz“ spielt, seinem Herrn hündisch ergeben ist und seinen Teil dazu beiträgt, Frankensteins Monster über die Welt zu bringen. Marrs Fry entspringt darüber hinaus dem legendären Schocker „Freaks“ (1931), den Regisseur Tod Browning mit tatsächlich körperbehinderten Männern und Frauen besetzte, die sich normalerweise ihren Lebensunterhalt als Jahrmarkts-Monstrositäten verdienten. Unter ihnen, die gequält und betrogen werden, bis sie sich gegen ihre Peiniger erheben: Johnny Eck, ein junger Mann ohne Unterleib!

Drama ohne Finale

Für den dümmlichen deutschen Titel, der wieder einmal platt das Alte Testament bemüht, um geradezu apokalyptische Dramatik zu suggerieren, dürfen wir den Verfasser nicht verantwortlich machen. Dem war „Wormwood“, also „Wermut“ eingefallen, aus dem u. a. der berüchtigte, halluzinogene und süchtig machende Absinth hergestellt wurde.

Teddy ist überaus einfallsreich, und der Wahnsinn liegt bei den Kamerons offensichtlich in den Genen. Hinter den Kulissen der Weltgeschichte waren sie schon immer für allerlei Schauerlichkeiten verantwortlich. Möglicherweise ist Theodore nur die Spitze des Eisbergs: Es gibt da einen finsteren, alten, komplexen Plan, der von Jack Bryce und seinen wackeren Gefährten bisher nur in Ansätzen enthüllt wurde. Die wiederum flüchtige Kameron selbst plant jedenfalls noch Großes für die Zukunft.

Wir sind durchaus gespannt. Auf eine Fortsetzung dürfen wir aber offenbar nicht mehr hoffen. John S. Marr, der so schwungvoll vom Arzt zum Unterhaltungsschriftsteller wurde, hat nach „Die achte Posaune“ keinen weiteren Roman geschrieben, sondern kehrte zur ‚reinen‘ Medizin zurück.

Taschenbuch: 477 Seiten
Originaltitel: Wormwood (New York : Frog City Ltd. 2000)
Übersetzung: Axel Merz
http://www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (10 Stimmen, Durchschnitt: 1,20 von 5)

Lincoln Child – Das Patent

Das geschieht:

„Utopia“, der größte und modernste Freizeitpark der Welt, ist eine Schöpfung des unlängst verstorbenen Zauberkünstlers und Visionärs Eric Nightingale. In der Wüste des US-Staats Nevada erhebt sich die gigantische Kuppel, unter der vier virtuelle Welten perfekter Illusionen täglich bis zu 70.000 Besucher anlocken. Doch es gibt Ärger im bisher so einträglichen Paradies: Die Roboter, die vor und hinter den Kulissen aktiv sind, zeigen seit einiger Zeit Fehlfunktionen. Gerade hat eine fehlgeleitete Reparaturmaschine eine katastrophale Achterbahn-Entgleisung provoziert. Funktioniert etwa „Metanet“, das neurale Netz zur zentral Steuerung, nicht mehr richtig? Oder probt es womöglich den Aufstand? Dazu könnte es fähig sein, wurde es doch von seinem Schöpfer als lernfähige künstliche Intelligenz entworfen.

Sarah Boatwright, die ehrgeizige Geschäftsführerin von „Utopia“, ruft Dr. Andrew Warne nach Nevada. Der kommt gern, denn mit seiner Karriere steht es schlecht. Auch lockt ihn die Anwesenheit Boatwrights, mit der ihn einst ein Verhältnis verband. Der Wissenschaftler ahnt nicht, dass die Fehlfunktionen auf das Konto einer Bande entschlossener Industriespione gehen. Unter der Leitung des charismatischen aber völlig skrupellosen „John Doe“ haben sie das „Metanet“ infiltriert. Nun schlagen sie zu, postieren Heckenschützen, legen Zeitbomben, nehmen die gesamten Besucher als Geiseln, um die Herausgabe des revolutionären Patents zu erzwingen, auf dem die Attraktionen von „Utopia“ basieren. Die Technik ließe sich von findigen Schurkenstaaten in eine Waffe verwandeln, die der Weltpolizei USA schwer zu schaffen machen könnte. Lincoln Child – Das Patent weiterlesen

Robert Jordan – Suche nach dem Auge der Welt, Die (Das Rad der Zeit 1 – Das Original)

Seit Jahren ärgere ich mich immer wieder, dass die Regale in den Buchläden mit lauter „Rad der Zeit“-Romanen verstopft sind (Inzwischen ist Band 28 herausgekommen plus ein Band mit der Vorgeschichte!). Einmal habe ich ein Remittenden-Exemplar gekauft und versucht, den Geist der Endlos-Serie zu schnuppern, der sie zu einem Bestseller gemacht hat. Entnervt habe ich das Buch nach 50 Seiten weggelegt, erschlagen von nichts sagenden Namen, Titeln, Orten und kursiv gedruckten Bezeichnungen. Viel Handlung gab es auch nicht, nur ewiges Herumgereite und tiefsinnige Gespräche über unverständliche magische und geschichtliche Zusammenhänge.

Robert Jordan – Suche nach dem Auge der Welt, Die (Das Rad der Zeit 1 – Das Original) weiterlesen

Tolkien, J. R. R. – Silmarillion, Das

Er ist wohl der berühmteste Autor von Fantasy-Literatur, der bislang auf unserem kleinen Planeten zu wandeln geruhte und uns die Meisterwerke rund um Mittelerde hinterlassen hat. Kein anderer Autor hat dieses Genre so beeinflusst wie John Ronald Reuel Tolkien und selbst Harry-Potter-Schöpferin Joanne K. Rowling hat sich – wie schon so viele andere vor ihr – ganz mächtig für ihren Zauberlehrling beim Altmeister und Gebieter über Orks, Trolle und Drachen bedient.

Die Krefelder Metaller BLIND GUARDIAN haben in ihren Alben immer wieder Tolkien-Themen angepackt und sogar so etwa, wie den kompletten Soundtrack zu eben diesem Buch geliefert: |“Nightfall in Middle Earth“|. Doch gerade durch die kaum zu toppende Verfilmung der „Herr der Ringe“-Trilogie von Peter Jackson ist sein Lebens-Werk wieder verstärkt ins Bewusstsein gerückt.

Doch heute soll es um die Anfänge der Mittelerde gehen, nicht um den erst viel später stattfindenden Ringkrieg, der im HdR seinen Höhepunkt findet. Nein, heute kümmern wir uns um das, was davor geschah und zwar nicht unmittelbar davor, als Bilbo den |Einen Ring| in „Der Hobbit“ findet, sondern noch einige tausend Jahre vorher, als die Elben zunächst noch nicht und später als junges Volk durch die Gestade Mittelerdes wandelten und die ersten Menschen erst langsam auftauchten.

All diese Geschichten finden sich in „Das Silmarillion“, welches Tolkiens Sohn Christopher erst nach dem Tod JRRs zusammenstellte und veröffentlichte. Es geht hierbei um die ersten beiden Zeitalter des legendären Elbenreichs Valinor und der Blütezeit des Menschengeschlechts des Landes Númenór, welches von Sauron später verraten und zerschmettert wird, was im „Dritten Zeitalter“ zu den Begebenheiten führen, die wir als HdR-Trilogie kennen …

_Die Umstände der Veröffentlichung_

Sicher kommt man in einer solchen Rezension nicht umhin, ein paar Worte zum Autor zu verlieren, jedoch halte ich das so knapp wie nur irgend möglich, denn die genaue Biographie Tolkiens kann man in vielerlei Quellen nachlesen, daher hier nur ein paar allgemeine Infos zum besseren Verständnis. Es soll ja tatsächlich Menschen geben, die weder von Tolkien noch von seinen Werken jemals was gehört haben. Unvorstellbar, aber wahr.

Anfang der 20er Jahre begann Tolkien als junger Mann in den Wirren des ersten Weltkriegs, sich Geschichten rund um das fiktive Reich Mittelerde auszudenken, als Sprachgenie (später ein angesehener Professor für Sprachwissenschaften), erfand er sogar eine eigene Sprache für das Reich Mittelerde samt eigener Grammatik, Runenschrift usw. Bei der einen Sprache blieb es jedoch nicht, so sprechen die alten Lichtelben beispielsweise anders als die ebenso alten Grauelben und das „heutige“ (zur Zeit der HdR-Geschichte) Elbenvolk parliert in „Quenya“, einer Mischsprache, aber das nur am Rande.

Tolkien bediente sich für „seine“ Mittelerde in vielerlei Mythologien und so mancher Leser seiner Geschichten wird sich an die Bibel, Homers Atlantis-Sage oder an die skandinavisch-keltische Sagenwelt erinnert fühlen, was von ihm auch durchaus beabsichtigt ist. Das alles diente dem Zweck, seinen Protagonisten einen Stammbaum und einen ordentlich ausgearbeiteten Background zu verpassen, gerade so, als wären seine Storys und Figuren geschichtlich real und nicht erfunden.

Tolkien schrieb generell nie zeitlich zusammenhängend an einem einzelnen Buch, mit einer Ausnahme: |“Der Hobbit“|. Dieser war von vornherein als komplettes Kinderbuch geplant, doch JRR hat schon währenddessen immer wieder Hintergrundmaterial für Mittelerde ersonnen und quasi aus der Luft geschrieben, ganz so wie es ihm in den Kram passte. Was die wenigsten wissen: Der Herr der Ringe ist nicht „in einem Rutsch“ geschrieben worden, sondern stellt ein Konglomerat aus Einzelteilen dar, welches Tolkien nach dem Erfolg vom „Hobbit“ zusammenfügte und noch mal überarbeitete, damit es in sich schlüssig ist.

Was das mit dem „Silmarillion“ zu tun hat? Ganz einfach: Das Silmarillion als solches ist auch kein „Roman“, wie er nun vorliegt, sondern in Wahrheit eine Sammlung von Loseblättern und Kapiteln, die sich JRR zwischendurch und über mehrere Jahrzehnte immer mal wieder als Gedächtnisstütze angefertigt hat, ohne je daraus ein eigenes Buch machen zu wollen, denn einen Teil der Sagen und Personen daraus findet man auch im HdR in Form von Liedern und Anspielungen wieder.

Erst nach JRRs Tod hat sein Sohn Christopher diese Notizen und unvollendeten Kapitel in Buchform gebracht und veröffentlicht. Von ihm stammen auch die meisten Karten und Zeichnungen zum Lebenswerk seines Vaters. Christopher Tolkien hat also lediglich zusammengesetzt, was zusammengehört, und dieses Material in eine chronologische Reihenfolge gebracht, ohne dabei den Inhalt anzutasten. Herausgekommen ist dabei das, was einige heute spöttisch (aber gleichwohl ehrfurchtsvoll) als „Das Telefonbuch der Elben“ titulieren.

_Die Entstehung einer Welt – Zum Inhalt_

Die ersten Kapitel des Silmarillion lesen sich wie ein kruder Mischmasch aus der Bibel und diversen Göttersagen, es geht hier um die Entstehung des Himmelsreiches auf Erden, genauso wie in der Genesis (1. Buch Mose), nur das Jachwe/Jehova hier „Illúvatar“ heißt und noch so einige Göttervertreter hat, die wiederum verschiedenen Aufgabengebiete auf der neu erschaffenen „Mittelerde“ inne haben, ähnlich wie die Götter, die man allgemeinhin aus der ägyptischen, römischen oder griechischen Mythologie kennt.

So findet sich dort ein Anubis nicht unähnlicher Gott namens „Manwe“, der das Totenreich unter seiner Führung hat, das zudem ein wenig an die Ruhmeshalle der nordischen Walhalla erinnert, da gibt’s den Meeresgott, den Gott des (Süß-)Wassers „Ulmo“, der besonders später mit den Grauelben gut Freund ist usw. Diese Vertreter Illúvatars nennen sich Valar und leben auf Mittelerde im Lande Valinor (der Insel der Unsterblichen). Um Mittelerde zu bevölkern, schafft Illúvatar weitere Völker, zunächst die unsterblichen Lichtelben auf Valinor und auf dem Hauptkontinent (dem späteren Mittelerde, wie wir es kennen) auch die Rasse der sterblichen Menschen.

Doch auf Valinor herrscht nicht lange eitel Sonnenschein, denn ein Valar namens Melkor will ganz gerne alles Lebendige vernichten, was Illúvatar geschaffen hat, da er neidisch darauf ist, dass er nicht der Hauptvertreter des Gottes wurde, sondern ein anderer. Valinor ist jedoch nicht die einzige Landmasse, sondern es gibt dort noch etliche andere Inseln und den uns „heute“ bekannten Kontinent von Mittelerde, der zu dieser Zeit vor der großen Katastrophe noch eine etwas andere Form hat, jedoch schon früh von Elben (und etwas später auch von Zwergen und Menschen), aber anfangs noch dünn besiedelt ist.

So kommt es, wie es kommen muss: Durch Lug und Trug werden die beiden „Lebensbäume“ auf Valinor von Melkor vernichtet. Noch bevor er auf den Hauptkontinent verbannt wird, erschafft Feanor, ein Mächtiger unter den Lichtelben, die drei „Silmaril“, Gemmen (Edelsteine mit magischen Kräften), die das ewige Licht und die Kraft der zerstörten Lebensbäume in sich tragen. Feanor ist so stolz darauf, dieses Licht eingefangen zu haben, bevor es auf ewig schwinden konnte, dass er eifersüchtig darauf Acht gibt, dass niemand außer ihm und seiner Sippe Hand an diese Preziosen legen darf. Fatal, wie sich später herausstellt …

Melkor wird also von Valinor verbannt, doch stiehlt er vorher die drei Silmaril von Valinor und nimmt sie mit in seine dunkle Festung Angband, wo er in seinem Exil und nun unter dem Namen „Morgoth“ nur darauf wartet wieder zuzuschlagen. Dort in Angband schafft er aus ehemaligen Elben auch das Volk der sinistren Orks, paktiert mit Drachen und setzt seinen später so berühmten Statthalter Sauron ein. Nicht nur an den Küsten des Hauptkontinents haben sich nämlich schon recht früh abenteuerlustige und seefahrende Elben angesiedelt, zwar außerhalb von Valinor, doch immer in freundschaftlichem Kontakt stehend zu ihrem „Heimatland“.

Auf der Insel der Unsterblichen hingegen schwört Feanor einen schicksalhaften Schwur, der auch tausende Jahre später noch seine Nachkommen binden und ins Verderben treiben soll: Er und seine sieben Söhne wollen nicht eher ruhen, bis die Silmaril aus Morgoth Klauen (bzw. seiner Krone) wieder in deren Händen sind … sprachs, packte seine gesamte Sippschaft auf Schiffe und segelte aus Valinor weg, hin zum Hauptkontinent ins freiwillige Exil, um Melkor / Morgoth dort ordentlich die Hölle heiß zu machen, solange es auch dauern möge. Ein Kampf, der über Zeitalter hinweg toben sollte und bei dem so ziemlich alle Rassen einbezogen werden.

Zu erwähnen wäre da noch, dass natürlich irgendwann zwischendrin die Menschen und die Naugrîm (Die Zwerge) in Mittelerde auftauchen, teils zur Freude, teils zum Leid der Elben, von denen es zudem verschiedene Stämme mit verschiedenen Ansichten und Verhaltensweisen gibt und die sich untereinander auch häufiger bekriegen. So tummeln sich dort in Mittelerde Lichtelben (Noldor), Grauelben (Sirdar), See-Elben (Teleri) und auch die Dunkelelben, nebst einigen anderen Völkern mit ihren Splittergruppen. Allianzen und ganze Reiche werden geschmiedet, um dann irgendwann wieder zu vergehen.

Für Kenner des Herrn der Ringe / Hobbit: Wir erfahren zudem, woher Celeborn, Galadriel und Elrond stammen und was es mit dem legendären Pärchen Beren (Mensch) und Luthíen (Elbin) auf sich hat, dem ersten Mischehepaar der alten Welt, dem noch so einige folgen sollen und von denen beispielsweise Aragorn und auch Elrond bzw. seine Tochter Arwen abstammen. Ja ja, wer nur den Film kennt und gedacht hat, Meister Elrond wäre ein reiner Elb, der sieht sich getäuscht. Er ist zur Hälfte Mensch. Desweiteren bedeutet das, dass Aragorn und Arwen später eine klitzekleine Form des Inzestes betreiben – schließlich gehen beide auf ein und dieselbe Geburtslinie zurück, wenn auch nur entfernt.

Natürlich erfahren wir auch etwas über Sauron, den Gestaltwandlungszauberer und Stiefelputzer von Morgoth, erst später mutiert er zum bekannten Ober-Bösewicht, zu dieser Zeit jedoch ist er noch längst nicht so mächtig. Aber immerhin mächtig genug, um ordentlich Ärger zu machen im Namen seines dunklen Herrn von Angband, bis dieser niedergeworfen werden kann. Dabei möchte ich es einstweilen bewenden lassen, denn ich denke, bis hierher war es schon verwirrend genug, gibt aber einen guten Vorgeschmack darauf, was euch beim Lesen so erwartet.

_Meinung_

Puh! Starker Tobak, weil uns das Buch eine verwirrende Anzahl von Orts-, Personen- und Götternamen um die Ohren haut, die es gilt, erst mal zu verdauen und zu verinnerlichen. Die ersten Kapitel lesen sich ungefähr so zäh, wie sich eine alte Schuhsohle kauen lässt. Das liegt zum einen am rohen Sammelsuriumcharakter des Werkes, zum anderen an der Vielfalt unterschiedlicher Namen für ein und dieselbe Sache, daran muss man sich erst einmal gewöhnen.

Mit fortschreitender Seitenzahl hat man den Bogen aber so langsam raus und auch die Geschichte ist längst nicht mehr so trocken, da jetzt verstärkt Personen und Figuren auftauchen, mit denen der beschlagene HdR-Fan auch was anfangen kann. Zudem kommen nach der trägen Entstehungsgeschichte Mittelerdes nun endlich auch mal ein paar handfeste Schlachten vor, sei es Elb gegen Elb oder alle gegen Morgoth und seine Schergen. Orks, Drachen, Balrogs und auch die Urmutter der Spinne Kankra („Ungoliant“) geben sich scharenweise ein Stelldichein – es wird gemetzelt, gehauen, gestochen, geklaut und betrogen.

Interessant finde ich die Tatsache, dass die Elben keine so weiße Weste haben, wie sie diese im Hobbit oder beim HdR zur Schau tragen. Auch unter ihnen gibt’s Zwietracht und Kampf innerhalb und außerhalb der Sippen. Bis man jedoch richtig in die Story reingefunden hat, muss man sich ganz schön durchbeißen, denn es gibt zu der Namensverwirrung auch noch einige logische Inkonsistenzen, doch schließlich hat Christopher Tolkien die Finger von dem Material gelassen und so kriegen wir die unangepassten Kapitel JRRs so ziemlich in der Urfassung zu lesen, wodurch natürlich an einigen Stellen der Schliff fehlt.

Die Erzählgeschwindigkeit wechselt auch des Öfteren mittendrin, mal sind die Begebenheiten sehr ausführlich geschildert, dann wiederum geht’s Hopplahopp mit Zeit und Ortssprüngen woanders hin zu einer weiteren Nebenhandlung … Notizen eben, die ursprünglich nicht für unsere Augen gedacht waren und auf die sich wohl nur der verblichene JRR einen genaueren Reim machen könnte. Wer nur die Filme kennt und/oder sich mit dem Gedanken trägt, den Herrn der Ringe als Buch zu lesen, dem rate ich, die letzten Seiten auszulassen, weil dort dessen Ende quasi vorweggenommen wird, ein weiteres Zeichen dafür, dass große Teile der Geschichten und des reichhaltigen Backgrounds aus den Notizen, aus denen ja „Das Silmarillion“ eigentlich besteht, von Tolkien seinerzeit bereits mehr oder weniger subtil im HdR eingebaut wurden.

Damit der geneigte Leser nicht vollkommen verwirrt mit Fragezeichen über dem Kopf aus dem Buch entlassen wird, befinden sich am Ende noch ein paar vereinfachte Stammbäume, Hinweise zur Aussprache und Bedeutungen von Silben in der Elbensprache und die obligatorischen Landkarten Cristopher Tolkiens. An manchen Stellen springen einen die Inkonsistenzen regelrecht an, und man rätselt, was sich JRR dabei gedacht haben mag, wenn er zuvor detaillierte Handlungsstränge einfach nicht weiterführte und ins Leere laufen ließ. Wir können das heute nicht mehr nachvollziehen, da er ja nicht mehr unter uns weilt, und auch sein Sohn war nicht in der Lage oder willens, irgendetwas anderes zu machen als das Silmarillion zusammenzustellen – Geändert hat er an seines Vaters Manuskripten nach eigenem Bekunden im Vorwort nichts. Immerhin wissen wir, dass es JRR wichtig gewesen sein muss, denn er fand es wert, es aufzuschreiben.

_Fazit_

Für Tolkien- und „Herr der Ringe“-Fans ein absolutes Must-Read, wobei diese sich aber gleich von der Illusion frei machen sollten, dass es sich dabei um leichte Kost handelt. Das Teil ist sperrig, verwirrend und zuweilen dröge – selbst Meinereiner, der sehr viel liest, musste an einigen Stellen absetzen, einige Passagen nochmal lesen oder in den Appendices nachschlagen, weil da irgendwas nicht ganz hinhaute mit der Kontinuität. Damit muss man wohl leben, interessant ist der Aufstieg und Fall Mittelerdes und seiner Königreiche der Elben & Menschen allemal. Ich würde vorschlagen, die vermeintlichen „Nachfolgewerke“ (den „Hobbit“ und die „Herr der Ringe“-Trilogie) in diesem besonderen Fall |vorher| zu lesen, für Neueinsteiger in die Welt von Mittelerde ist „Das Silmarillion“ nicht geeignet. Die Bezeichnung „Bibel Mittelerdes“ oder salopper: „Das Telefonbuch der Elben“ trägt es zu Recht.

_Buchdaten:_
Originaltitel: „The Silmaril“
Autor: John Ronald Reuel Tolkien
(zusammengestellt von Christopher Tolkien)
Ersterscheinung: 1977 (2001 / |Klett-Cotta|-Verlag)*
Neuübersetzung: Wolfgang Krege
ISBN: 3-608-93245-3
Format: Hardcover oder broschiert erhältlich / um 390 Seiten*
Zusatzfeautures: Kartenmaterial (herausnehmbar)

*) Der von mir rezensierte 2002er Schmuckband (Leinen-Hardcover mit aufwendig gestaltetem Schutzumschlag und Lesebändchen) stammt als Lizenzausgabe vom |Club Bertelsmann|. Der Inhalt sowie sonstige Ausstattung (gesondertes Kartenmaterial Mittelerdes von Christopher Tolkien) ist mit der Original-Ausgabe von |Klett-Cotta| identisch.

Douglas Adams – Per Anhalter ins All

|In vielen der etwas lässigeren Zivilisationen am äußersten Ostrand der Galaxis hat der Reiseführer „Per Anhalter durch Galaxis“ die große „Encyclopaedia Galactica“ als Standard-Nachschlagewerk für alle Kenntnisse und Weisheiten inzwischen längst abgelöst. Denn obwohl er viele Lücken hat und viele Dinge enthält, die sehr zweifelhaft oder zumindest wahnsinnig ungenau sind, ist er dem älteren und viel langatmigeren Werk in zweierlei Hinsicht überlegen.
Erstens ist er ein bisschen billiger und zweitens stehen auf seinem Umschlag in großen, freundlichen Buchstaben die Worte KEINE PANIK.|

Aus: „Per Anhalter durch die Galaxis“

„Per Anhalter durch die Galaxis“ ist über den Status eines reinen Kultbuches längst hinaus: Man darf sagen, dass es längst ebenso sehr Eingang in die westliche Kultur gefunden hat wie Mickey Mouse, Batman oder die Simpsons – der Anhalter gehört für jeden Reisenden (und wer wäre das nicht?) längst zur Allgemeinbildung. In diesem Sinne will ich gar nicht lange mit einer (ohnehin bestens bekannten) Inhaltsangabe langweilen, sondern lieber einen Blick auf die skurrilen Personen werfen, die das Universum bevölkern.

Da wäre natürlich zunächst Arthur Dent zu erwähnen, einer der letzten Nachkommen jener vom Affen abstammenden Spezies, die den Planeten Erde bevölkerten und deren simples Gemüt man leicht daran erkennt, dass sie Digitaluhren noch immer für eine ganz tolle Sache halten. Zu Beginn der Erzählung teilen sich Arthurs Haus und dann auch sein Planet das gleiche Schicksal: Beide müssen einer Umgehungsstraße weichen. Die eine ist von der Stadtverwaltung geplant und liegt als Konzept im Klo des Kellers einer Behörde aus, die andere ist von der Rasse der Vogonen vorgesehen und war auf einem unserer Nachbarsterne zu begutachten. Arthur wie auch die Menschheit im Allgemeinen hätten also jede Chance gehabt, gegen das Bauvorhaben zu protestieren, nur haben es leider beide versäumt, ihre Ansprüche gelten zu machen und so muss man sich eben von Haus und Heimat trennen.
Natürlich ist die Sprengung der Erde ein Ereignis, dem man sich nur schwer entziehen kann, aber Arthur Dent hat Glück im Unglück, denn kurz bevor der Planet Erde in seine Bestandteile aufgelöst wird, trifft er auf …

… Ford Prefect. Ford ist zwar dem Äußeren nach ein Mensch, stammt aber tatsächlich von einem fernen Stern aus dem Beteigeuze-System. Sein Name resultiert aus schlampiger Recherche – er dachte, er wäre auf der Erde unauffällig. Er ist so eine Art freischaffender Journalist und schreibt Artikel für den „Anhalter“. Unglücklicherweise ist er vor einigen Jahren in dem abgelegenen Spiralarm gestrandet, der bis vor kurzem auch das Sonnensystem und die Erde enthielt und kommt nun nicht mehr weg. Immerhin gab ihm das genug Zeit, einen neuen und verbesserten Artikel über den seltsamen Planeten zu verfassen, auf dem er da gestrandet war. Der alte Eintrag „harmlos“ war der reichen Kultur und der Geschichte des Planeten und seiner ganzen Bedeutung nicht mehr so richtig würdig und so konnte er im Laufe der Jahre auf „weitgehend harmlos“ erweitert werden.

Ford ist um drei Ecken mit dem Präsidenten des Universums verwandt und ein erfahrener Reisender und Anhalter, weswegen er auch nie ohne Handtuch an Bord eines fremden Raumschiffes gehen würde. Mit den Vogonen hat er sich und Arthur Dent leider relativ ungemütliche Zeitgenossen als Gastgeber gesucht. Nicht nur, dass diese sie durch die Luftschleusen einfach ins Vakuum hinausbefördern wollen, sie geben auch vorher einige Kostproben ihrer berüchtigten Dichtkunst ab. Da der Tod in der Kälte des leeren Alls jederzeit der vogonischen Dichtkunst vorzuziehen ist, finden sich die beiden Freunde schnell auf der falschen Seite der Schleuse wieder, doch da geschieht das Unwahrscheinlichste, was hätte passieren können … Die „Herz aus Gold“ nimmt sie im selben Moment auf!

Das ist selbstverständlich so unwahrscheinlich, dass es quasi gar nicht vorkommt, aber das Raumschiff „Herz aus Gold“ hat einen Unwahrscheinlichkeitsdrive, der auf der Theorie der Instochastik basiert. Mit Hilfe der Instochastik können ein Raumschiffantrieb konstruiert werden, die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass sich eine Rakete in einen Wal verwandelt oder – und daran sieht man wirklich, um welche Potenzen es bei der Unwahrscheinlichkeitstheorie geht – Fehler in einer Restaurant-Rechnung gefunden werden!

Die „Herz aus Gold“, das modernste Schiff der Galaxis, wurde jedenfalls soeben von Zaphod Beeblebrox entführt. Dieser ist ein Egomane vom Herrn, Präsident der Galaxis, Abenteurer und Ex-Hippi. Als Präsident obliegt es seiner Pflicht, von den wahren Machtverhältnissen im Universum abzulenken und daher gilt er als einer der erfolgreichsten Männer, die dieses würdevolle Amt je innehatten. Er hat übrigens einen zweiten Kopf und einen zusätzlichen Arm. Trotz der körperlichen Unterschiede ist er mit Ford Prefect verwandt.

Ebenfalls an Bord der „Herz aus Gold“ befinden sich Tricia McMillan, genannt Trillian, eine lose Bekannte von Arthur Dent, die ihn mal auf einer Party hat abblitzen lassen und lieber mit Zaphod davongebraust ist (weswegen sie die Zerstörung der Erde auch überlebt hat) und der Roboter Marvin, der über ein Gehirn mit einer absolut fantastischen Rechenleistung verfügt und zudem mit einem echten menschlichen Persönlichkeitsprofil ausgestattet ist – er ist also ständig depressiv.

Zusammen mit diesen – nennen wir sie doch in Ermangelung eines besseren Begriffs „Leute“ – mit diesen Leuten also durchstreift Arthur Dent das Universum, erlebt Abenteuer, bekommt tiefere Einblicke in den Sinn des Lebens und muss dazu nicht einmal einen Pangalaktischen Donnergurgler trinken – eine Kreation von Zaphod, die sich anfühlt, als würde einem mit einem in Zitronenscheiben gehüllten Goldbarren das Gehirn rausgeprügelt werden …

Der Kreis schließt sich: Als Radiohörspiel hat das Kultbuch „Per Anhalter durch die Galaxis“ seinen Siegeszug begonnen und nun ist es dort auch wieder angekommen: Dazwischen liegen alle bekannten Formen der medialen Umsetzung eines Stoffes, sowie der Eingang des Werkes – oder doch zumindest einiger seiner Teile – in die westliche Kultur: „Per Anhalter durch die Galaxis“ gehört längst zum Kanon einer Literatur jenseits Marcel Reich-Ranickis.

Jeder Mensch, der auf die eine oder andere Art und Weise an Büchern interessiert ist, wird früher oder später auf dieses brillante Werk stoßen und nun hat |Der Hörverlag| eine Möglichkeit gefunden, es auch allen Lesemuffeln zugänglich zu machen.

Das Hörspiel ist erfolgreich bemüht, die abstruse Atmosphäre des Buches einzufangen und dabei jener legendären, beinahe mystisch verklärten BBC-Produktion nachzueifern, die nun auch schon demnächst ein Vierteljahrhundert alt ist. Dies gelingt souverän und die Gründe heißen Dieter Borsche, Klaus Löwitsch und Bernhard Minetti. Als Stimmen der Hauptdarsteller hauchen sie den Textzeilen des großen Douglas Adams Leben ein, sind so verrückt und überdreht, so seltsam und philosophisch, so gleichgültig und engagiert, wie die Helden der einzig bekannten fünfbändigen Trilogie. Es wäre jedoch unfair, nur diese Sprecher lobend zu erwähnen, denn auch und gerade die Nebenrollen sind liebevoll und mit viel Feingefühl besetzt, man denke nur an die Rede der Frau vor der Demonstration gegen die Errichtung der Schnellstraße durch Arthurs Haus – eine staunenswerte Leistung, die mich ungläubig und sprachlos vor den Boxen kauern ließ: Gerade in diesen Zwischentönen bzw. Zwischensequenzen brilliert die Hörbuchfassung ungemein.

Leider ist mir nicht bekannt, ob die textliche Vorlage des Hörspiels die der Originalfassung des „Anhalters“ ist, aus dem ja erst später ein Buch wurde, oder ob es sich um ein eigenes „Drehbuch“ handelt, aber so oder so sind die Kürzungen, die vorgenommen wurden, eine Reduzierung auf das Maximum. Schnell und witzig kommt die Geschichte nun daher, ohne jedoch auf den Tiefgang der Romanvorlage zu verzichten.

Die optische Gestaltung des Covers dürfte ganz im Geiste der ersten Erscheinungen des berühmten Buches sein, meine Uralt-Taschenbücher sehen jedenfalls so ähnlich aus … Löblich zu erwähnen ist auch die Trackunterteilung, die so angelegt ist, dass ein schnelles Wiederfinden einer bestimmten Szene oder die Wiederaufnahme nach Unterbrechung des Hörgenusses kein Problem darstellt.

Ein Ersatz zur Lektüre des „Anhalters“ ist das Hörbuch nicht – aber den kann und wird es sowieso nicht geben. Vielmehr bietet die Produktion von |Der Hörverlag| eine willkommene Möglichkeit, in die unendlichen Weiten des Douglasschen Kosmos einzutauchen, selbst, wenn das Buch nicht zur Hand ist. Somit kann es Kennern wie Neulingen nur wärmstens empfohlen werden – macht’s gut und danke für den Fisch.

_Marcel Dykiert_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Miéville, China – Perdido Street Station

„Perdido Street Station“ gewann im Jahre 2003 den Kurd-Laßwitz-Preis als bestes fremdsprachiges Werk der Phantastik. Die Übersetzerin Eva Bauche-Eppers gewann passenderweise den Preis für die beste Übersetzung.

Grund genug für ein wirklich fantastisch günstiges Sonderangebot von |amazon.de|: Exklusiv bei |amazon| erscheint eine einbändige Sonderausgabe des zuvor für den deutschen Markt in zwei Bände („Die Falter“ und „Der Weber“) aufgeteilten Originals. Das gebundene Buch besticht nicht nur durch seine hochwertige Bindung und gefällige Präsentation, man spart auch ungefähr sechs €uro gegenüber dem Erwerb der beiden Paperbacks.

„Phantastik“ ist wohl noch die treffendste Beschreibung für den wilden Mix aus Fantasy, Science-Fiction und innovativen eigenen Gedanken, den der Autor China Miéville mit „Perdido Street Station“ abliefert:

New Crobuzon ist ein gigantischer Moloch, eine Stadt, in der Menschen, fremdartige Rassen, mechanische Konstrukte, Mutanten, Arbeiter, Sklaven, Huren, Magier, Wissenschaftler und Scharlatane leben. Sowie zahlreiche gescheiterte Existenzen, wie der wegen eines Verbrechens mit der Entfernung seiner Flügel bestrafte Garuda Yagharek. Er sucht die Hilfe des arg verzettelten Genies Isaac Dan dar Grimnebulin – für viel Gold soll dieser ihm helfen, seine ursprünglichen Flügel wiederherzustellen.

Dieses einfache Anliegen ist der Auslöser für eine große Katastrophe: Isaac untersucht verschiedene Flugwesen, von fliegenden Eidechsen über normale Vögel bis hin zu Insekten. Eines seiner Sorgenkinder ist eine exotische, bunt schillerende Raupe, die sein Interesse geweckt hat: Sie frisst nichts, bis auf … Dreamshit, die angesagteste Droge von ganz New Crobuzon!

Die kleine Raupe wächst zu gewaltiger Größe und verpuppt sich. Als Isaac wieder nach Hause kommt, findet er einen seiner besten Freunde halbtot als lallenden Idioten wieder. Das erste Opfer des „Falters“, der ausgebrochen ist, ihn ausgesaugt hat, und nun mit seinen besonderen Fähigkeiten Angst und Schrecken in der Stadt verbreitet!

Sicher kein harmloses, kleines Insekt, wie man meinen könnte … Der Falter befreit seine Artgenossen, die von dem Gangsterboss „Vielgestalt“ zu kommerziellen Zwecken missbraucht werden. Ironischerweise arbeitet Isaacs Freundin Lin, eine Khepri, gerade an einer Plastik des eitlen Vielgestalt … Dieser wird wütend auf Isaac, den er fälschlich als Rivalen auf dem Drogenmarkt ansieht, und nimmt Lin als Geisel.

Die Lage spitzt sich zu: Auch die Regierung ist in Machenschaften mit den tödlichen Faltern und der Unterwelt verwickelt. Bürgermeister Rudgutter weiß keine anderen Rat mehr, als den „Weber“, eine gigantische transplanare, absolut fremdartige Riesenspinne, um Hilfe zu bitten. Doch auch andere Gruppen nehmen den Kampf gegen die Falter auf, während der von allen Seiten gehetzte Isaac mit seinen Freunden Zuflucht im Zentralbahnhof, der namensgebenden „Perdido Street Station“, sucht.

_Der Autor_

Der 1972 geborene China Miéville ist, um Missverständnissen vorzubeugen, ein Mann. Den Namen erhielt er von seinen Hippie-Eltern, es handelt sich hierbei um kein Pseudonym – was bei einem solch prägnanten Namen wohl überflüssig wäre.

Der politisch stark links orientierte, bekennende Sozialist Miéville hat eine bildhafte Phantasie, die sich auch in seiner wortreichen Sprache und seinem gewaltigen Ideenreichtum niederschlägt. Seine politische Einstellung erschließt sich dagegen nicht aus seinen Romanen, nur eine deutlich anti-autoritäre Haltung ist unverkennbar. Derzeit promoviert China an der |London School of Economics| in „Philosophy of International Law“, an der er auch seinen Master-Titel in sozialer Anthropologie mit Auszeichnung erworben hat. Bereits sein erster Roman, „König Ratte“, wurde für zahlreiche Auszeichnungen nominiert.

Bis heute erschienen desweiteren „Perdido Street Station“ (Deutsch: „Die Falter“, „Der Weber“), „The Scar“ („Die Narbe“ , [„Leviathan“) 612 und „Iron Council“ (Deutsch in Kürze, der Titel wird vermutlich „Moloch“ und der Roman diesmal nicht aufgeteilt sein). Alle diese voneinander völlig unabhängig lesbaren Romane spielen in der fantastischen Welt Bas-Lag.

_Ein Kaleidoskop der Ideen_

Bunt und exotisch ist die Welt Bas-Lag. New Crobuzon besitzt eine exotische Atmosphäre, die begeistert. Exotische Lebensweisen und Bewohner gibt es zuhauf, wobei besonders auffällt: keine Elfen, keine Orks, keine bekannten fantasytypischen Rassen. Der ganz normale Mensch ist vielmehr der Exot. So ist Isaacs Freundin Lin eine Khepri: Ein Wesen mit menschlichen Körper, aber mit einem insektoiden Käferkopf. Im wahrsten Sinne des Wortes ein „flotter Käfer“. Die Unterhaltung des ungleichen Paares erfolgt über Gesten und schriftlich. Diese Beziehung könnte Isaac seine Stellung an der Universität kosten, auch Lin ist bei den Khepri als Skandalfigur bekannt. Darum sind sie stets bemüht, ihre Liebschaft geheimzuhalten.

Dann gibt es noch Yagharek, den Garuda – ein an den mythischen indonesischen Vogel erinnerndes Vogelwesen. Er tritt in das Leben der beiden und löst die verhängnisvolle Kette von Ereignissen aus, die New Crobuzon an den Rand des Verderbens bringt.

Dies unterscheidet „Perdido Street Station“ von vielen anderen Büchern: Die Geschichte entsteht aus einer natürlich anmutenden Verkettung von Ereignissen und verbindet zahllose interessante Einzelschicksale miteinander. Keine Prophezeiung, Legende oder ein klar definiertes Ziel treibt die Handlung voran. Vielmehr ergibt sie sich aus dem puren Zufall, dem sozialen Chaos New Crobuzons.

So ist man anfangs ein wenig im Unklaren, worum es überhaupt geht. Bis der Falter schlüpft, dauert es eine ganze Weile, während der man sich an die zahllosen exotischen Rassen New Crobuzons, wie die an Kakteen erinnernden Kaktusmenschen oder die von der Regierung als Strafe für Verbrechen in eine Art dampfgetriebene Cyborgs oder in absurde Kreaturen umgewandelten „Remades“, gewöhnen kann.

Dabei liegt Miévilles Stärke in seinen Ideen, seine Welt ist wirklich innovativ und einzigartig in ihrer Vielfalt, die sie lebendig macht. Seine anti-autoritäre Einstellung zeigt sich in der negativen Darstellung der Regierung New Crobuzons: Sie ist eng mit der Unterwelt verbandelt und an der Katastrophe mitschuldig. Bevor man sich an den „Weber“ wendet, ersucht der Bürgermeister erst einmal Hilfe vom Botschafter der Hölle in New Crobuzon, der direkt unter seinem Amtssitz residiert – deutlicher geht es wohl kaum, Mr. Miéville …

Seine bildhafte Sprache ist oft wunderschön, leider kann sie auch oft in Verbindung mit der erst spät einsetzenden Handlung bremsend und störend wirken. So wirft Miéville oft mit Wörtern wie „elyktrisch“ oder „chymisch“ herum, wo es ganz klar um elektrische oder chemische Zusammenhänge geht. Alchemie würde den Gebrauch des letzten Wortes eher rechtfertigen. Genauso ist der Ausdruck „numinoser Arachnide“ genauso faszinierend wie auch irritierend und schlichtweg unverständlich.

Hierzu eine kleine Leseprobe von Miévilles Stil:

|“Das Wissen, dass sie den Auftrag an Land gezogen hatte, das große Los, den Haupttreffer, die künstlerische Herausforderung, von der alle träumten, das Lebenswerk, trennte sie von ihren Freunden. Und ihr furchteinflößender Klient machte die Isolation perfekt. Lin fühlte sich, als wäre sie plötzlich, unvermittelt aus der maliziösen, verspielten, lebhaften, prätentiösen, selbstbezogenen Enklave von Salacus Fields in eine gänzlich andere Welt gestoßen worden.“|

Mitunter kann ein derartiges Adjektivbombardement das Lesen unnötig erschweren, was meiner Faszination leider ein wenig Abbruch tat.

Der Übersetzerin Eva Bauche-Eppers kann man das kaum zum Vorwurf machen – sie hat ihre Aufgabe wirklich hervorragend gelöst und den sehr eigenen Stil Miévilles vortrefflich ins Deutsche übertragen. Frau Bauche-Eppers übersetzte übrigens auch die Romane der ebenfalls für ihre sprachliche Finesse bekannten Autorin Robin Hobb [(„Der Adept des Assassinen“). 229

Im Gegensatz zu ihrer Stärke, überzeugenden und beeindruckend charakterisierten Figuren, wie ihren bekanntesten Helden Fitz, sind Miévilles Charaktere etwas blass, sie leben vielmehr von der Exotik ihrer Umwelt und der Handlung. Wirklich starke Sympathieträger oder Schurken sucht man vergeblich, sie ordnen sich der Vielfalt der Charaktere und Handlungsstränge unter.

_Fazit: Innovation pur_

Den Kurd-Laßwitz-Preis hat sich der Roman wirklich verdient: Neue Ideen braucht das Land – und da ist dieser Roman einfach einsame Spitze.

Die Art der Erzählung ist eine große Stärke, alles wirkt natürlich entstanden, aus einfachen Dingen entwickelt sich zufällig ein großes Abenteuer, in dem zahllose interessante Charaktere und ihre Schicksale miteinander verbunden werden. Ein gewisses Horror-Element ist auch vorhanden, die Falter wüten wirklich schrecklich in New Crobuzon.

Die Sprache kann faszinieren, aber sie ist auch anstrengend zu lesen und oft einfach zu ausladend und sonderbar, was das Lesen mitunter erschwerte und mich zu Pausen nötigte. Die Art der Handlungsentwicklung ist innovativ und interessant, aber leider dauert es ziemlich lange, bis ein Faden erkennbar wird, in Verbindung mit den bremsenden Eigenheiten der Sprache die einzige wirkliche Schwäche dieses Romans.

Alles in allem kann ich „Perdido Street Station“ nur empfehlen – und die wirklich günstige und hochwertige einbändige Sonderausgabe von Amazon ganz besonders. Das schöne Titelbild ist hier der einzige Kritikpunkt: Der Hintergrund zeigt ganz klar New Crobuzon – die Frau auf dem Cover taucht dagegen im Roman niemals auf, sie sieht keiner Person auch nur ähnlich. Ein reiner Eyecatcher für bei Amazon browsende Kunden.

Wer weiß, vielleicht bringt Amazon ja auch eine einbändige Sonderausgabe des zweiten Buches in Bas-Lag, [„The Scar“, 591 heraus? Eines ist gewiss: Preis und Leistung stimmen hier – ein absoluter Geschenktipp für Leseratten und Buchwürmer, die offen für neue Ideen sind.

Homepage des Autors:
http://www.chinamieville.co.uk/

Fanseite im Stil der |New Crobuzoner|-Untergrundzeitung:
http://runagate-rampant.netfirms.com/

Ringo, John – Invasion: Der Gegenschlag (Invasion 3)

_Landser im Weltraum_

Teil 1: Invasion – [Der Aufmarsch 497
Teil 2: Invasion – [Der Angriff 520

Die Handlung des dritten Bandes der Reihe spielt fünf Jahre nach „A Hymn before Battle“ und „Gust Front“. Lapidar zählt Ringo zunächst auf den ersten zwei Seiten den Verlust von fünf Milliarden Menschen auf. Nur noch in kalten, unwirtlichen Zonen der Erde verschanzen sich die Reste der Menschheit – und natürlich in den USA und Kanada! Hier wird den menschenfressenden Posleen weiter gezeigt, wer auf der Erde den Ton angibt! Millionen über Millionen von Aliens werden am Bollwerk der Amerikaner vernichtet, aber das hilft recht wenig. An die zwölf Milliarden Monster fressen inzwischen die Erde kahl und vermehren sich wie die Kaninchen.

Im vorliegenden Band, der die Ereignisse innerhalb eines Zeitraums von zwei Wochen im Jahr 2009 schildert, erfährt man einiges über die derzeitigen Lebensumstände vieler Handlungsträger der früheren Romane. Die Wege einiger dieser Figuren kreuzen sich, Zukunftspläne werden geschmiedet, selbst der Vater von „Mighty Mite“, dem Kommandeur der inzwischen stark dezimierten Kampfanzug-Streitmächte, scheint noch einmal ein wenig Liebesglück abzubekommen, und seine kampferprobte kleine Tochter interessiert sich außer für Waffen inzwischen auch für Make-up, aber genau da bricht ein konzertierter Angriff der Posleen über sie herein. Diese haben in der Zwischenzeit viel dazugelernt und durchbrechen die Verteidigungslinien der Amerikaner, erobern sogar eine der unterirdischen Rückzugsstädte. Eine Million Frauen und Kinder werden innerhalb eines Tages zu Fleischrationen verarbeitet!

Ringo schildert nun die Flucht einer Handvoll Überlebender, den verzweifelten Kampf der restlichen Truppen im eroberten Gebiet und wie diese durch heldenhaften Einsatz (und erstmaligen Gebrauch von Atombomben) noch einmal das Ende hinausschieben können.

Über die unterschwelligen Geheimdienstaktivitäten der „guten“ Aliens, die bereits im vorigen Band angedeutet wurden, erfährt man weiterhin nur sehr wenig. Das Buch endet zu einem Zeitpunkt, an dem die überlebenden Protagonisten in vorläufiger Sicherheit sind und die Rückeroberung der verlorenen Stellungen wahrscheinlich erscheint.

Außer einer Stelle, wo ausführlich alte Witze erzählt werden, bei denen die stereotypen Blondinen, Ostfriesen oder Anwälte durch „Posleen“ ersetzt worden sind, bietet das Buch wenig Innovatives. Der zwischenmenschliche Bereich wird etwas stärker beleuchtet, aber charakterlich hat sich in den vergangenen fünf Kriegsjahren trotz aller erfahrenen Gräuel wenig getan.

Im Zusammenhang mit einer kürzlich ausgestrahlten Fernsehsendung ist mir übrigens aufgegangen, woher unter anderem die Faszination kommt, die solche Bücher trotz aller rationalen Kritik auf den Leser ausüben: Die geschilderten Helden haben keinerlei Tötungshemmung!

Wenn also Mighty Mites kleine Tochter ohne zu zögern einem bösen Menschen mit der Pistole das Gehirn hinausbläst, bekommt man einen „Thrill“, der wesentlich stärker als erwartet ist. Auch schon früher, bei R. A. Heinlein, kamen immer wieder solche Szenen vor, die mir sehr stark im Gedächtnis geblieben sind. Auch Weber und Flint verwenden solche Beschreibungen, um ihre Leser zu schocken. Bei der amerikanischen Scharfschützin in „1632“, die ungerührt Hunderte von Feinden wegputzt, bekommt ja sogar Gustav Adolf eine Gänsehaut!

Was aber bei Ringo praktisch nicht vorkommt, ist eine Schilderung der immensen psychologischen Probleme, mit denen sich Soldaten, denen die Tötungshemmung wegtrainiert wurde, später auseinandersetzen müssen. Viele der Methoden sind übrigens von Nazi-Wissenschaftlern ausgearbeitet worden, die nach dem zweiten Weltkrieg von den Amerikanern eingesammelt wurden, um dort in Ruhe weiter an diesem Problem zu arbeiten (ohne intensive Gehirnwäsche feuern nämlich achtzig Prozent der Soldaten im Nahkampf nicht ihre Waffe auf den Feind ab!).

Fazit: Spannend und rasant geschrieben, erträglich aber nur für Leser der vorigen Bände.

_[Dr. Gert Vogel]http://home2.vr-web.de/~gert.vogel/index.htm _

Deaver, Jeffery – Gesicht des Drachen, Das

Jeffery Deaver gilt nicht umsonst als einer der herausragenden Thriller-Autoren unserer Zeit, schließlich gelang es ihm mit |“Der Knochenjäger“|, einen absoluten Hit zu landen, der auch recht erfolgreich im Zuge der Serial-Killer-Welle mit Denzel Washington und Angelina Jolie in den Hauptrollen als Ermittler-Team Rhyme/Sachs verfilmt wurde. Thomas Harris und seine Figuren-Evergreens Clarice Starling und Hannibal „The Canibal“ Lecter hatten urplötzlich auf dem Sektor des intelligenten Thrillers Konkurrenz bekommen. Dennoch setzt er seine beiden besten und bekanntesten Zugpferde nicht in allen seinen Romanen ein, seine Themengebiete sind breit gefächert; so hat er mit „Lautloses Duell“ zum Beispiel auch einen packenden und authentischen Roman aus der Hacker-Szene auf der Pfanne.

|“The Stone Monkey“| jedoch (was im Deutschen vollkommen unverständlicherweise zu „Das Gesicht des Drachen“ vermurkst wurde, wenngleich der Originaltitel – wie so oft – viel passender gewesen wäre) ist wieder einmal seinem Dreamteam gewidmet und somit der vierte Roman, bei dem sich das dynamisch-forensische Duo aus New York auf seine unvergleichliche Art gemeinsam auf Verbrechersuche begibt. Diesmal bewegt Deaver sich aber ein wenig weg von dem typischen Bild des (westlichen) Serienkillers und macht die Menschenjagd auf illegale Einwanderer aus China zum Gegenstand seiner Geschichte. Als geneigter Leser des Erstlings |“The Bone Collector“| war ich natürlich besonders gespannt …

_Ghost(’s)ship – Zur Story_

Eigentlich heißt er Kwan Ang, doch wird er nur „Gui – Der Geist“ genannt – seines Zeichens chinesischer Menschenschmuggler, berüchtigter Profi-Killer, skrupelloser Psychopath … Niemand hat wirklich je sein Gesicht gesehen und wer es sah, der lebte meist nie lange genug, um davon jemandem zu berichten. Sein persönliches Motto: „Nianxi“ („Geduld – Alles zu seiner Zeit“), sein Auftrag: Eine Ladung illegaler Dissidenten und sich selbst aus China per Schiff in die USA zu schleusen, mit ihm unterwegs: Sein „Bangshou“ (Handlanger / Assistent). Doch das Schiff – die „Fuzhou Dragon“ – wird bereits von FBI und INS (der US-Einwanderungsbehörde) vor New York erwartet; nicht zuletzt dank der akribischen Mitarbeit des querschnittsgelähmten, forensischen Ermittler-Genies Lincoln Rhyme bekommen die Behörden Wind von dem Transport und seinem hochrangigsten Passagier.

Der Geist ist für die INS weiß Buddha kein Unbekannter und ein dicker Fisch, den man gerne dingfest machen möchte. Als sich das Patrouillenboot der Küstenwache dem verdächtigen Frachter nähert, zeigt der Geist, wie wenig ihm Menschenleben wert sind: Kurzerhand lässt er eine vorbereitete Ladung hochgehen und schickt das Schiff in Küstennähe eiskalt auf Grund. Natürlich trägt er Sorge dafür, als einziger mit heiler Haut davonzukommen – Einigen Flüchtlingen gelingt es unerwartet aber dennoch, der Todesfalle des absaufenden Potts zu entfliehen und sich per Schlauchboot zu retten. Der Geist setzt zu einer brutalen Verfolgungsjagd zu Wasser und zu Lande an …

Trotz seiner Bemühungen alle Opfer wenn schon nicht auf dem Meer selbst, dann zumindest am Ufer auszuschalten, schlüpfen ihm zwei ganze Familien durch die Finger, die sich an Land mittels eines gestohlenen Vans mit knapper Not Richtung New York absetzen können, zudem wird der Killer von seinem herbestellten Kontaktmann in den USA am Strand verladen und schmählich im Stich gelassen. Während die beiden Familien allein in diesem fremden Land einen sicheren Unterschlupf finden müssen, hat der Geist das Problem, sich vor den schon herannahenden Polizisten (allen voran Rhymes „Assistentin“ Amelia Sachs) auch erstmal in Sicherheit zu bringen, bevor er seine dreckige Arbeit – die verbleibenden Überlebenden zu eliminieren – zu Ende führen kann.

Bei ihrer Untersuchung des Tatortes stellt Sachs fest, dass es mindestens noch einen lebenden Flüchtling des Massakers gibt: Der chinesische Doktor und Dissident John Sung treibt lediglich angeschossen im Meer. Bei seiner Rettung übersieht sie jedoch einen weiteren Chinesen, der ebenfalls ohne Schrammen (und unbemerkt) davongekommen ist und zunächst eine höchst undurchsichtige Rolle in diesem neuen Fall für das Ermittlerteam um Rhyme/Sachs spielt. Doch wer ist der geheimnisvolle Sonny Li, der sich kurz darauf bewaffnet in das Haus Rhymes schleicht, wirklich? Wird es den Ermittlern gelingen, den Wettlauf gegen den Geist zu gewinnen, der auf der Suche nach den entflohenen und untergetauchten Familien Wu und Chang mit Leichen seinen Weg pflastert? Ihr aktueller Fall ist knifflig und gefährlich zugleich, denn Kwan Ang unterliegt einer ganz anderen Mentalität, die weder Gnade noch Reue kennt, was ihn schwer einzuschätzen (und noch schwerer zu fassen) macht …

_Das forensische Duo – Die beiden Hauptfiguren_

|Lincoln „Linc“ Rhyme| – Kriminalistisches Genie, der eine ganze Reihe Lehrbücher zur Forensik schrieb, bevor er bei der Tatortuntersuchung eines Mordfalles von einem herabfallenden Deckenbalken getroffen wurde. Die Ärzte konnten sein Leben zwar retten, doch ist Rhyme seither vom Hals abwärts gelähmt und kann nur noch den Kopf, die Schultern und einen Finger bewegen. Lange Zeit wollte sich Lincoln sogar das Leben nehmen und hatte auch schon einen Euthanasie-Arzt aufgetrieben. Er residiert in einem schmucken Stadthaus am Central Park West inmitten seiner hochtechnischen Apparaturen und Computer.

Diese erlauben ihm ein halbwegs bequemes (aber arbeitsreiches) Dasein, denn Rhyme wird gerne von den Behörden bei kniffligen Fällen hinzugezogen und dient als „Berater“. Aus dem aktiven Dienst als Cop ist er wegen seines schweren Handicaps natürlich ausgeschieden, dennoch hat sein berufenes (oft mürrisches) Wort auch an höchsten Stellen Gewicht. Entgegen der filmischen Darstellung Rhymes als Schwarzer in „The Bone Collector“ durch Denzel Washington, ist das Romanvorbild ein dunkelhaariger, etwa 40-jähriger Weißer.

|Amelia Sachs| – Sie kommt eher durch Zufall in das |Crime Scene Investigation|-Team, als sie die erste Leiche beim Knochenjäger-Fall findet. Da war sie noch ein Straßen-Cop und stand kurz davor, wegen ihrer schweren Arthritis freiwillig zur Abteilung Jugendkriminalität überzuwechseln. Rhyme erkannte jedoch ihr Talent für die Spurensicherung und Forensik und hat die zunächst recht widerspenstige Amelia in seine „Dienste“ geholt. Auch privat sind die beiden nach dem Fall ein Paar geworden, wobei die deutschstämmige und rothaarige Amelia (beim „Bone Collector“ durch Angelina Jolie verkörpert) nicht nur die rechte, sondern auch die linke Hand Rhymes am Tatort darstellt und mehr als ersetzt.

Aus verständlichen Gründen kann er mit seinem Rollstuhl nur selten sein Haus und die Obhut seines gestrengen Pflegers Thom verlassen. Amelias Gespür für Tatorte und Spuren ist ihr quasi angeboren, sie schreckt jedoch auch nicht vor handfesten Auseinandersetzungen / Ermittlungen zurück, dafür ist sie immer noch zu sehr Cop – ein Erbe ihres Vaters (auch ein „Plattfuß“ sprich Straßenpolizist), der im Dienst erschossen wurde und dem sie nacheifert. Legendär sind ihre rasanten Fahr- und Schießkünste und Vorliebe für ihren getunten Camaro nebst ihrer Dienstwaffe, einer schweren „Glock“.

_Einmal Chop-Suey bitte! – Die Kritik_

Es ist ein typischer „Deaver“ und ein noch typischerer Rhyme/Sachs-Roman obendrein, doch eins muss man dem guten Jeffery mal wieder zu Gute halten und zugestehen: Er bereitet sich stets exzellent auf das verwendete Thema vor. Das ist bei dieser Problematik, sprich der ausführlichen Auseinandersetzung mit der asiatischen Mentalität, speziell dem traditionellen Taoismus und Konfuziusismus, sehr gelungen. Die handelnden Personen und ihre Motive sind überaus glaubhaft und die unterschiedlichen Vorgehensweisen der westlich-rationalen Ermittlungsmethoden mit den fernöstlichen (mehr intuitiven) Sichtweise, sorgen für frischen Wind. Eine gute Portion Feng Shui und chinesische Ying-Yang-Lehre darf logischerweise nicht fehlen, doch flicht Deaver das geschickt mit ein und erschlägt seine Leserschaft nicht mit schwülstigen Weisheiten von Konfuzius oder Lao-Tse. Vielmehr nimmt man den betreffenden Figuren ab, dass sie tatsächlich danach leben.

Dazu passt auch, dass auch immer wieder Begriffe in Chinesisch wie selbstverständlich eingebaut wurden, durch die ständige Wiederholung mancher dieser Ausdrücke bekommt man ein gutes Feeling für den Plot und seine Stimmung. Das Flair der Story geht also vollkommen in Ordnung, auch die Action stimmt – Deaver verzichtet dabei aber weitgehend auf die Schilderung exzessiv-blutiger Gewalt und arbeitet lieber mit subtileren Methoden, um bei seiner Leserschaft Beklemmung und Spannung auszulösen, indem er Dinge unausgesprochen lässt und stattdessen einen eleganten Szenenwechsel einleitet. Ein alter und erprobter Trick, seine Leserschaft bei der Stange zu halten, aber dennoch sehr wirksam …

Die Geschichte krankt aber in meinen Augen durchaus daran, dass der Täter von vorneherein quasi feststeht, das mag ich meist nicht so gern, trotzdem ist der Thriller intelligent und logisch aufgezogen, wie vom Autor gewohnt – Lücken gibt es keine. Doch irgendwie beschleicht mich ein wenig Déjà-vu gepaart mit einer ziemlichen Vorhersehbarkeit des Plots. Deaver gibt sich zwar redlich Mühe, einige Wendungen herbeizuführen, allerdings kommt mir das zum Teil recht erzwungen vor. Klar passen diese eingestreuten Nebenhandlungen und Wendungen in die Story, wenn ich auch hier und da sagen würde, dass er unter einer Art Originalitätsdruck gestanden haben muss. Sequels sind halt immer eine kribbelige Sache. Die Hauptfiguren sind nun mal ziemlich feststehende Größen, da kann man beim immerhin vierten Roman mit Rhyme/Sachs schlecht großartig noch weitere, unbekannte Aspekte aus dem Ärmel schütteln, denn die Hauptfiguren sind schon hinreichend ausgeleuchtet. Unnötig zu erwähnen, dass der Rest des „Casts“ recht farblos und austauschbar bleibt …

Da konstruiert Deaver auf Nummer Sicher eben eine „riskante“ Operation, der sich Rhyme unterziehen will und Amelias bislang vergeblicher Kinderwunsch, ihre Arthritis und ihre Klaustrophobie werden auch einmal aufs Neue einbezogen und als Aufhänger verwendet. Glaubhaft: ja, originell: nein. Zu allem Überfluss lässt Deaver Amelia nämlich auch noch im Wrack des Schiffes tauchen und nach Spuren suchen. Nun gut, das kann man natürlich machen, war aber irgendwie abzusehen. Ich fand dagegen den sympathischen, chinesischen Counterpart zu Rhyme – den chinesischen Cop Sonny Li – mit seinen unorthodoxen Methoden schon wesentlich gelungener, die Figur hat etwas, ganz im Gegensatz zu den üblichen Reibereien und dem zu erwartenden Hick-Hack zwischen dem Ermittlerteam und den zuständigen Departments. Das kennt man bereits hinlänglich und reißt dadurch nicht gerade vom Hocker.

_Ente (süß-sauer) gut … alles gut? – Das Fazit_

Alles in allem eine durchaus spannende und gute Lektüre, die Leseratten innerhalb von guten sechs bis acht Stunden durchackern können. Wäre da nicht die Vorhersehbarkeit, könnte ich dem doch immerhin intelligenten – wenn auch wenig originellen – Thriller sogar eine Maximalbewertung verpassen, die gezeichneten Figuren sind prima, auch die chinesische Mentalität ist exzellent getroffen, ebenso die unterschwellig kritischen Töne an der Einwanderungspolitik bzw. der Menschenverachtung der INS, wenn es um „Illegale“ geht. Doch erinnert mich das Ganze unweigerlich an |“Lethal Weapon 4″| (mit Mel Gibson & Danny Glover), wo man eigentlich nur die Figuren austauschen muss (eben nicht Riggs & Murtaugh, sondern Rhyme & Sachs) und ein klitzekleines bisschen an der Story schütteln, die Parallelen sind unbestreit- und übersehbar.

Zack! Schon hat man fast das Gleiche in Grün mit etwas anderen Protagonisten, leicht abgewandeltem Plot, gleichwohl mit mehr Thriller-Elementen und weniger Ballerei – selbst der eiskalte Bösewicht aus |“Lethal Weapon 4″| (dort genialst dargestellt von Jet Li) ähnelt der Figur des „Geist“ Kwan Ang in Deavers Werk in vielerlei Hinsicht, sodass ich vermute, dass diese Rolle hier mehr als nur Pate gestanden hat. Trotzdem ein lesenswertes und kurzweiliges Buch. Wenn auch kein Gassenhauer, so doch wenigstens leicht verdauliche und unterhaltsame Thriller-Kost, die solide verfasst wurde und den Erwartungen von Deaver-Fans sicher gerecht wird. Mir ist es stellenweise schlicht zu seicht und durchsichtig.

Wilson, Colin – Tanz der Teufel – Scharlatane, Gurus, Sektenführer

„Tanz der Teufel“ ist auf den ersten Blick ein reißerisch aufgemachtes Werk mit Vorzeige-Bösewicht Aleister Crowley auf dem Titelbild. Ärgerlich, dass ein früher esoterisch so niveauvoller Verlag wie |Diederichs|, der mit seiner |Gelben Reihe| für hohe Qualität stand, nach seinem Verkauf mit Titeln wie „Dracula“ und „Frankenstein“ und eben vorliegendem „Tanz der Teufel“ – Untertitel „Wie die Gurus Seelen fangen“ – nach einer Geld bringenden breiten Masse schielt. In einer Reihe stehen da Leute wie David Korresh, Jim Jones, Charles Manson, Aleister Crowley zusammen mit Persönlichkeiten wie Rudolf Steiner, Sigmund Freud und einigen anderen, welche normalerweise nicht in der Öffentlichkeit als Sektenführer gelten.

Der Autor Colin Wilson ist seit seinem bahnbrechenden Werk „Das Okkulte“ Bestseller-Autor. Ihm gelingt es, zwischen den Zeilen zu schreiben. Er steht damit in der Tradition einer Geheimnisse verbergenden Symbolsprache, wie es der „eher eingeweihte“ Leser auch von gnostischen, alchemistischen und tantrischen Texten her kennt. Ohne wirklich zu werten, untersucht er die Geschichte der Messiasgestalten – zu denen er alle großen Führer von einflussreichen Bewegungen zählt – und findet heraus, dass im Grunde überall sexuelle Energie und entsprechendes Charisma die wesentliche Rolle spielen.

Das war schon bei Jesus Christus nicht anders und interessanterweise kommt bei all diesen Glaubenssystemen auch die Vorstellung eines baldigen apokalyptischen Weltendes hinzu. Irgendwie erinnern diese Konzepte an den befreienden Orgasmus – oft auch der „kleine Tod“ genannt – da seine Erfahrung mit Auflösung der stofflichen Welt einhergeht. Seit den späteren gnostischen Bewegungen steht in allen im Buch beschriebenen Fällen die sexuelle Energie, der damit verbundene orgiastische Augenblick überwältigender Freude und Erleuchtung, im Mittelpunkt der jeweiligen Lehren. Für Colin Wilson wird deutlich, dass alle bedeutenden Führer dies erkannten und es offensichtlich ist, dass sie ihre Kenntnisse der Bedeutung des Einsatzes von Sexualmagie irgendwann auch in die Praxis umsetzen.

Die „Verführung“, durch das mächtigste Werkzeug, das zur Verfügung steht, die Welt verändern zu können, ist deswegen nicht mehr verwunderlich und es wird deutlich, aus welchen tieferen Beweggründen es immer wieder zu den so genannten Skandalen kommt. Zum einen ist die Verantwortung, in welcher sich solche Führer sehen, zu groß, als dass sie dieses Mittel nicht auch einsetzten, zum anderen ist die göttliche Erfahrung auch zu umfassend, als dass sie Sexualität noch personal auf einzelne Beziehungen beschränken könnten. Es kann keine Trennung der uranfänglichen Schöpfungsenergie – dem Verschmelzen von Gott-Göttin, der weiblich-männlichen Kraft, der Polaritäten dieser Welt – in egoistischer Personenprojektion mehr stattfinden. Alle Vernunft spielt dann, wie bei den gewöhnlichen menschlichen Beziehungen ja nicht anders, keine Rolle mehr.

Sexualität ist immer auch Religion. Sexualität ist immer ein Transformationssystem, die mächtigste Methode zur Verwandlung der Realität überhaupt. Wilson zeigt auf, dass dies auch nicht als Selbsttäuschung abgetan werden kann, sondern dass die derart sexuell aufgeputschten Anhänger mitsamt ihren Messias-Führern tatsächlich in ihrer Wahrnehmung in einem viel höheren Feld sind als die restlichen Durchschnittsmenschen und aufgrund des erfahrenen Wissens schamlos promiskuitiv sein müssen. Aus ihrer Warte heraus begehen sie dabei Rituale in ähnlicher Bedeutung wie das Sakrament der heiligen Kommunion. Die offiziellen Erklärungen, dass es bei den vielen Sexskandalen – die mit vielen historischen Beispielen aufgezeigt sind – um fehlgeleitetes Ausleben von Sexualtrieben ginge, vereinfachen zu sehr den wirklichen Sachverhalt. Evolution ist ohne Sex nicht möglich und deswegen experimentieren Menschen auf einer hohen Entwicklungsstufe auch damit, denn sie wollen verborgene Kräfte entdecken und freisetzen. Das geht nicht immer gut, was die ganzen Beispiele auch zeigen.

Sich die Guru- und Messiasgeschichten unter diesem Gesichtspunkt einmal neu anzusehen, ist spannend, aufschlussreich und macht das Buch von Wilson äußerst lesenswert.

http://de.wikipedia.org/wiki/Colin__Wilson
http://de.wikipedia.org/wiki/Sexualmagie
http://de.wikipedia.org/wiki/Sekte
http://de.wikipedia.org/wiki/Guru

William Shatner (mit Judith u. Garfield Reeves-Stevens) – Sternennacht (Star Trek)

Das geschieht:

Das Romulanische Reich ist in Aufruhr, seit der Klon Shinzon die gesamte Regierungsmannschaft umgebracht und die Macht an sich gerissen hatte. Der Usurpator konnte gestoppt werden, aber eine verhängnisvolle Lawine war in Gang gekommen: Romulus, der Zentralplanet des Reiches, besitzt einen bisher geheimen Nachbarn – Remus, einen unwirtlichen, düsteren Minenplaneten, auf dem die Remaner, das Brudervolk der Romulaner, Sklavenarbeit leisten müssen. Unter Shinzon begehrten die Unterdrückten auf. Auch nach dem Tod ihres Anführers fordern sie ihr Recht auf Mitsprache und dürsten nach Vergeltung. Auf Romulus und Remus liefern sich Separatisten, religiöse Eiferer, fanatische Neuerer und verbissene Wahrer alter Traditionen offene und heimliche Kämpfe.

In dieser Situation trifft Botschafter Spock auf Romulus ein. Der berühmte Diplomat träumt von einer Wiedervereinigung von Romulanern und Vulkaniern, Bei einem sorgfältig inszenierten Attentat ‚stirbt‘ er vor den Augen seines romulanischen Publikums, um so als Märtyrer seine Sache populär zu machen. William Shatner (mit Judith u. Garfield Reeves-Stevens) – Sternennacht (Star Trek) weiterlesen

Andrascz Jaromir Weigoni – Zur Sprache bringen …

Die Integration von Mesnchen mit Behinderung in die ’normale‘ Gesellschaft ist ein Prozess, der schon seit Jahren schleppend vorangeht, aber von vielen leider nicht wahrgenommen wird bzw. nicht die verdiente Aufmerksamkeit, welche diese Menschen verdient haben, bekommt. Sicherlich steckt hinter dieser Aussage eine recht negative Wertung, die ich mir an dieser Stelle aufgrund des direkten Bezuges – ich selber arbeite hauptberuflich mit körperlich und geistig behinderten Menschen zusammen – auch sicher erlauben darf.

Andrascz Jaromir Weigoni – Zur Sprache bringen … weiterlesen

Tolkien, J. R. R. – Hobbit, Der

Tolkiens Bücher sind Klassiker und erlangten zu Recht Weltruhm, anders als beim Ringkrieg, besser bekannt als die |“Herr Der Ringe“|-Trilogie, welche aus einem Sammelsurium von zunächst unzusammenhängenden Kapiteln besteht, ist |“Der Hobbit“| eine Geschichte, die Tolkien in einem Rutsch schrieb. Von Anfang an war die Geschichte um Bilbo Beutlin als Kinderbuch geplant gewesen, allerdings mit dem Hintergrund der Fantasywelt Mittelerdes, deren Grundzüge Tolkien bereits kurz nach dem ersten Weltkrieg schuf.

Der Erfolg dieses Werkes kam für JRR recht unerwartet und dem ist es auch zu verdanken, dass Tolkien überhaupt in Erwägung zog, den heute wesentlich berühmteren |Herrn der Ringe| zu überarbeiten und als eigenständige Geschichte zu veröffentlichen – eigentlich waren die Geschichten rund um Mittelerde nur für ihn selbst bestimmt und fanden dementsprechend nur in der Phantasie seines Kopfes statt. Selbst nach seinem Tod wurde die Fackel weitergetragen: Sein Sohn Christopher – JRRs allererster und kritischster Rezensent – zeichnete nicht nur die Karten, die heute in allen Büchern zu finden sind, sondern trug auch unveröffentlichtes Material seines Vaters zusammen, was posthum in weiteren Publikationen gipfelte.

Das Berühmteste davon ist sicher [|“Das Silmarillion“|, 408 welches die Anfänge und die Schöpfungsgeschichte Mittelerdes behandelt. Eine Rohfassung der Historie von Mittelerde, wie sie das Silmarillion beschreibt, sind |“Die verlorenen Geschichten“| in zwei Bänden, die sich hauptsächlich um das Reich „Westernis“ (später besser bekannt als „Númenór“) kümmern. Somit stellt |“Der Hobbit“| bemerkenswerterweise das erste komplett fertiggestellte Buch und nicht den tatsächlichen Anfang der niedergeschriebnen Geschichten dar (wie man es bei „Fortsetzungen“ eigentlich erwarten könnte), sondern streng genommen ein Bindeglied mittendrin.

_Zur Story_

Hobbits sind die leicht kleinbürgerlichen Spießer von Mittelerde, die für alles, was sich außerhalb ihres geliebten, friedlichen Auenlands abspielt, nicht nur wenig Interesse, sondern vielmehr spöttische Verachtung übrig haben. Hobbits – oder auch „Halblinge“ genannt – leben in bequemen und gut ausgestatteten Erdhöhlen. Sie weisen einen kleinen Wuchs auf, selten werden sie größer, als 1 – 1,2 Meter, noch dazu ist ihre Statur eher gedrungen und rundlich um die Hüften. Wahrlich kein Volk, das dem Bild heldenhafter Abenteurer entspricht, die sich für gewöhnlich mit der Bekämpfung von Drachen beschäftigen. Solcherlei „Unfug“ überlässt der gemeine Auenländer lieber dem „Großen Volk“ (den Menschen) oder den geschäftstüchtigen Zwergen.

Doch ab und zu schlagen immer wieder mal Hobbits aus der Art und die zieht’s tatsächlich zu Abenteuern hin, das gilt vor allem für die Sippe des alten Tuck, zu welcher auch Bilbo Beutlin gehört. Bilbo ist bis dato ein bodenständiger Hobbit von 50 Jahren, als der Zauberer Gandalf eines schönen Tages an seine Tür klopft und die Geschichte ihren Lauf nimmt. Ehe Bilbo es sich versieht, steckt er als „Meisterdieb“ engagiert mitten in einer zwölfköpfigen Schar von Zwergen, die seine Dienste beim Zurückerobern eines Zwergenschatzes tief unten im „Einsamen Berg“ benötigen.

Das Dumme dabei ist, dass Bilbo eigentlich gar kein Meisterdieb ist, wenngleich eine Eigenschaft seines Volkes darin besteht, beinahe lautlos zu verschwinden, wenn sie es wünschen. Noch dazu wird der Schatz vom alten Drachen Smaug beschützt, der sicher nicht davon begeistert sein wird, wenn man Hand an „seine“ geraubten, unermesslich wertvollen Wertgegenstände legt. Smaug mag alt sein, doch gefährlich ist er dennoch. Und blöd ist er auch nicht.

Obwohl nun Hobbits alles andere als abenteuerlustig sind, riskiert Bilbo die beschwerliche Reise, wohl die Schicksalsschwere seiner Handlungen in weiter Zukunft unterbewusst ahnend. Der kleine Hobbit und seine Mitstreiter sollen auf ihrem Weg so mancher Gefahr trotzen. Dabei sind drei gefräßige Trolle erst der Anfang und so richtig zur Sache geht’s hernach, als man Bruchtal – die Heimstadt Elronds des Halbelben – in Richtung Nebelgebirge verlässt und in den dortigen Höhlen von Orks überfallen und gekidnappt wird. Hier in den finsteren Kavernen kommt es auch zu der schicksalshaften Begegnung mit dem Geschöpf Gollum, dem Bilbo den später so berühmten und heiß begehrten |Einen Ring| und sein blankes Leben mit einer List abringen kann.

Damit werden Ereignisse in Gang gesetzt, die später im Ringkrieg gipfeln sollen, doch noch ist der Ring einfach nur ein Zauberring, der Bilbo und seinen später wiedergefundenen Zwergen-Kameraden im Laufe dieser Odyssee noch häufiger die Haut retten soll. Dennoch ist der Schatten des Herrn von Mordor ebenfalls anzutreffen, wird aber nur am Rande erwähnt, als Gandalf die Gruppe zwischenzeitlich sich selbst überlässt, um den „Nekromanten“ aus dem Finsterwald zu vertreiben. (Richtig geraten, es ist Sauron.)

Unsere Helden schlagen jedoch einen anderen Weg ein, der sie nach weiteren gefahrvollen Momenten und Begegnungen in die Drachenhöhle unter dem Einsamen Berg führen soll. Hier muss Bilbo nun beweisen, dass er wirklich der Meisterdieb ist, für den die Zwerge ihn halten und „sein“ später so berühmter und gefürchteter Zauberring bekommt ordentlich zu tun.

_Meinung_

„Der Hobbit – oder: Hin und Zurück“ – Ich habe dieses Werk des Altmeisters der Fantasyliteratur bereits im zarten Alter von neun Jahren zum ersten Mal gelesen und war fasziniert. Damals hieß es noch: „Der |kleine| Hobbit“. Mittlerweile ist man zu einer akkurateren Übersetzung des Titels und des Inhalts übergegangen, wofür sich Wolfgang Krege verantwortlich zeigt. Das hat nicht überall Anklang gefunden, viele meinen, man hätte die deutsche Urfassung unangetastet lassen sollen. Ich mag beide Varianten. Jede hat ihre Vor- und Nachteile. Die Neuübersetzung ist moderner und flotter, während die alte etwas geschwollen-sperrig („very british“ sozusagen) und archaisch daherkommt. Besser ist es natürlich,wenn man direkt das englische Original liest.

Der Stil des Hobbits ist wesentlich einfacher gehalten als die anderen etwas ernsthafteren Bücher Tolkiens aus Mittelerde, immerhin handelt es sich dabei ja auch um ein Kinderbuch. Die angedachte jugendliche Leserschaft wird von JRR oft im Plural geduzt („Was würdet IHR machen?“) und somit direkt angesprochen bzw. mit einbezogen, hier gönnt Tolkien seinen Lesern zwischendurch die Gelegenheit, das Gelesene zu reflektieren. Diese Einschübe, wo er quasi zum Mitdenken auffordert, sind zudem willkommene kleine Pausen in der temporeichen Geschichte, die ich für Kinder ab acht bis zehn Jahren für geeignet halte.

Trotzdem weist „Der Hobbit“ viel Handlung und Querverweise auf, die es auch für erwachsene HdR-Fans nicht nur lesenswert, sondern immens wichtig machen, denn hier ist das Bindeglied zur Trilogie und den zeitlich früher handelnden Büchern. Viele Personen, Wesen, Orte und Gegebenheiten, die später von Bedeutung sind, hat JRR teils gut versteckt untergebracht, sodass sie den Fan ansprechen, jedoch auch den Neuling nicht vor den Kopf stoßen – Letztere werden vielleicht den einen oder anderen Satz einfach so überlesen, der einem Fan ein schiefes Grinsen abverlangt.

Doch auch ohne den restlichen Mittelerde-Kontext findet sich der Leser zurecht, die eingestreuten Hinweise auf andere Handlungen sind zwar für den Kenner das Salz in der Suppe, benötigt man aber nicht, um diese Geschichte zu verstehen und zu mögen. Sie ist in sich schlüssig und kann für sich alleine stehen, ohne dass man den Rest kennt. Tolkiens oft gepflegter subtiler und feiner Humor findet sich auch im Hobbit wieder, doch denke ich, dass dieser wohl nur (fast) erwachsenen Lesern ins Auge fallen dürfte, auch deshalb ist es nicht nur ein Buch für Kinder, sondern für alle Generationen.

Jede Altersgruppe wird damit angesprochen und etwas für sich darin finden, man muss nur genau hinlesen. Eine gelungene Gratwanderung, die ihresgleichen sucht. Im Buch wird auch gewaltsam gestorben, wenngleich auch nicht so heftig und blumig-ausführlich beschrieben wie im HdR. Wird dort noch darüber referiert, wie schön aerodynamisch (Ork-)Köpfe rollen & fliegen, nimmt JRR hier nen Gang zurück und redet allenfalls von „erschlagen“, was zwar prinzipiell aufs Gleiche herauskommt, sich jedoch wesentlich weniger blutig anhört.

_Fazit_

Ein Must-Read-Buch für Kinder und Erwachsene gleichermaßen, die knapp 320 Seiten zu lesen und die darin enthaltenen Botschaften zu verstehen, fällt leicht. Wem es sprachlich möglich ist, sollte das Original lesen, denn dann erübrigt sich auch die Diskussion, welche der deutschen Übersetzungen die treffendere ist. Die Abenteuergeschichte ist zeitlos genial und kann auch losgelöst von seinem berühmten Nachfolger verstanden werden, es empfiehlt sich aber, den „Hobbit“ zu lesen, bevor man sich an HdR (Film oder Buch) wagt. Man ist über manche Zusammenhänge wesentlich besser im Bilde. Das Nicht-Kennen des Hobbits ist zudem eine echte Bildungslücke, obwohl er ja seit jeher im Schatten der Trilogie stand. Unverdient. Nicht nur HdR-Fans, die nur die Verfilmung von Peter Jackson kennen, und ein wenig tiefer in die Geschichte von Mittelerde eintauchen wollen, kommen auf ihre Kosten.

_Buchdaten:_

Originaltitel: „The Hobbit“
Ersterscheinungsjahr: 1937
Deutsche Übersetzung: Margaret Carroux oder Wolfgang Krege
ISBN: 3-608-93805-2 (1998 Neuübersetzung / Klett-Cotta)*
ISBN: 3-423-20277-7 (2001 „Klassische“ Übersetzung / dtv)*
ISBN: 0-261-10221-4 (2001 Englisches Original / HarperCollins)
Format: Broschiert oder Hardcover / um 320 Seiten
Extras: Kartenmaterial *
Preis: variiert je nach Ausgabe von 4,50 – 14,95 €

*) Die von mir rezensierte Version des Werkes ist eine Lizenz-Ausgabe (2001) aus dem |Club Bertelsmann|. Der dort erhältliche, leinengebundene Hardcover-Schmuckband hat herausnehmbare Karten Mittelerdes, Lesebändchen und einen Golddruck-Präge-Schutzumschlag. Inhaltlich ist das Buch jedoch mit dem Original aus dem |Klett-Cotta|-Verlag und der Taschenbuchausgabe von |dtv| identisch.

Ann C. Crispin – Alien: Die Wiedergeburt

Zwei Jahrhunderte nach ihrem Tod erwacht Ellen Ripley als Mensch-Alien-Hybrid und Gefangene jenes Konzerns, dessen Bemühen, einen Alien-Krieger zu züchten, sie stets durchkreuzt hat. Zusammen mit einer bunt zusammengewürfelten Schmuggler-Truppe kämpft sie sowohl gegen als auch für die Aliens, da sie sich ihrer Herkunft nicht mehr sicher ist … – Faktisch überflüssige, aber zumindest als Film spannende und gut gefilmte Fortsetzung der „Alien“-Saga. Die Autorin hangelt sich brav am Drehbuch entlang, füllt aber diverse Handlungslücken: typisches, immerhin verbraucherfreundliches (= lesbares) Merchandising-Produkt.
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