Spätestens seit den Verfilmungen von Peter Jackson ist „Der Herr der Ringe“ wohl jedem ein Begriff. Die groben Züge der Handlung sind auch denen bekannt, die die Filme nie gesehen und das Buch nie gelesen haben, und dass Mittelerde in Neuseeland liegt, wurde mittlerweile auch oft genug festgestellt. Doch die Ereignisse, die in „Der Herr der Ringe“ erzählt werden, sind nur der historische Endpunkt von Tolkiens überbordender Fantasie, erzählen sie doch den Übergang des Dritten in das Vierte Zeitalter. Dies impliziert schon recht deutlich, dass Mittelerde, das Tolkien Arda nennt, schon einige tausend Jahre Geschichte gesehen hat. Die wichtigsten Ereignisse dieser früheren Zeitalter erzählt „Das Silmarillion“. Wen also Hintergründe und Vergangenheit von Mittelerde interessieren, wer wissen möchte, wo Elben, Menschen und Zwerge herkommen, der sollte „Das Silmarillion“ ruhig einmal zur Hand nehmen. Doch der geneigte Leser sei gewarnt: Eine wirklich leichte Lektüre ist das Buch nicht!
„Das Silmarillion“ verbindet eine ganze Anzahl von in sich abgeschlossenen und doch verbundenen Erzählungen vom Anfang der Welt bis zu einer kurzen Rekapitulation des Ringkriegs, dem ja „Der Herr der Ringe“ gewidmet ist. Tolkien macht hier eine komplette Mythologie auf und beginnt naturgemäß am Anfang, nämlich mit der Musik der Ainur, seiner Götter. Durch deren Musik entsteht Arda und solange ihre Musik dauert, dauert auch Arda. Die Ainur, die auf die Erde geschickt werden, um sie zu formen, werden fortan die Valar genannt, die im heiligen Land Valinor leben – vergleichbar etwa mit dem Paradies der christlichen Religion. Zu diesem Zeitpunkt ist der Rest von Mittelerde noch ein unwirtlicher und dunkler Ort, denn einer der Vala, Melkor (später Morgoth genannt), entwickelt einen reichlich zerstörerischen Charakter und lässt sich in Mittelerde nieder, um niederzureißen, was die anderen Valar aufgebaut haben.
Als nun die Elben in Mittelerde erwachen, die Erstgeborenen, laden die Valar sie ein, mit ihnen in Valinor zu leben und ein Großteil folgt dieser Einladung auch. So verbringen die Elben zunächst viele glückliche und ungetrübte Jahrtausende in Valinor im Angesicht der Valar. Doch so handlungsarm darf die Geschichte natürlich nicht bleiben. Und so werden die drei Silmaril, Edelsteine von unbeschreiblicher Schönheit, den Elben zum Verhängnis. Sie treiben einen Keil zwischen sie und die Valar und viele der Elben verlassen Valinor, um nach Mittelerde zu ziehen. Dort aber lebt immer noch Melkor und fortan, auch nach der Ankunft der Menschen, wird das Land immer wieder von Krieg überzogen.
„Das Silmarillion“ erzählt hauptsächlich von den Wanderungen und Taten der Noldor-Elben, die Valinor verließen. Tolkien bedient sich hierbei einer seinem Thema angemessenen Sprache – der Text klingt antiquiert, da er sich hauptsächlich an alten Sagen und Mythen orientiert. Erzählt wird in großen Panoramen, Personen sind meist der Handlung untergeordnet, Dialoge oder direkte Rede sind eher selten. Da Tolkien ganze Zeitalter abhandelt, wird dem Leser automatisch große Aufmerksamkeit abverlangt. Namen und Orte tauchen reichlich und in unterschiedlichen Sprachen auf, sodass es sich anbietet, eine entsprechende Tolkien-Enzyklopädie zur Hand zu haben, um nicht schon nach den ersten Seiten komplett den Überblick zu verlieren. Klett-Cotta hat sich mit seiner Ausgabe zumindest die Mühe gemacht, ein kleines Namensregister und Wortstämme in Quenya und Sindarin (den beiden Elbensprachen) anzuhängen. Außerdem gibt es eine kurze Stammtafel ( die jedoch keineswegs umfassend ist) und zwei Karten auf den Buchklappen, auf die man während des Lesens öfter mal einen Blick werfen sollte. So gerüstet übersteht man hoffentlich auch Verwirrspiele wie jenes: „Hadors Söhne waren Galdor und Gundor; und Galdors Söhne waren Húrin und Huor; und Húrins Sohn war Túrin, Glaurungs Verderber; und Huors Sohn war Tuor, Vater Earendils des Gesegneten.“ Und so weiter und so fort. Da Tolkiens Geschichten sehr konzentriert sind, empfiehlt es sich „Das Silmarillion“ in kleinen Dosen zu genießen, da sonst kaum etwas vom Erzählten beim Leser hängen bleibt.
„Das Silmarillion“ ist sicherlich für Leser interessant, denen schon „Der Herr der Ringe“ gefallen hat und die tiefer in die Geschichte von Mittelerde eindringen wollen. Aber auch für jene, die sich allgemein für Mythologie interessieren, dürfte Tolkiens Mammutwerk eine wahre Fundgrube sein. Orientiert an alten nordischen Sagen, hat Tolkien hier eine komplette Mythologie des fiktiven Mittelerde geschaffen, die so reich an Tiefe und Details ist, dass es dem Leser glatt die Sprache verschlägt. Egal, ob man nun Tolkiens Fantasyreich verfallen ist oder nicht, diese schriftstellerische Leistung lässt sich kaum unterschätzen. Doch gerade diese Details machen „Das Silmarillion“ zu einer anstrengenden Lektüre – sprachlich wie inhaltlich. Wer nicht die Bereitschaft mitbringt, sich auf den Text einzulassen und Passagen auch mehrmals zu lesen, den wird die Lektüre schnell langweilen oder überfordern.
„Das Silmarillion“ liegt mir in der neuen Übersetzung von Wolfgang Krege vor, die ja wegen ihrer modernen Sprache in die Kritik geraten ist. Krege hält sich allerdings, bis auf wenige Ausnahmen, mit Modernismen im „Silmarillion“ relativ zurück und bedient sich einer – stellenweise monotonen – „und dann, und dann“-Sprache, die den Effekt alter Sagen hervorrufen soll. Nur an einigen Stellen gehen ihm die Zügel durch und absolut unpassende Wendungen ragen plötzlich unschön aus dem Text heraus. Solche stilistischen Ausrutscher lassen sich natürlich ganz einfach vermeiden, wenn man eine der zahlreichen englischen Ausgaben zur Hand nimmt und sich damit gleich dem Original widmet.
„Das Silmarillion“ eignet sich also für Tolkien-Fans und solche, die es werden wollen. Der panoramische Stil verbietet es, Charaktere darzustellen, mit denen man sich durch das Buch hindurch identifizieren kann. Figuren werden eingeführt und wieder fallen gelassen. Tolkien erweckt tatsächlich überzeugend den Eindruck einer Sage, die von lang vergangenen Reichen erzählt. Wem dies nicht liegt, der wird sich mit dem „Silmarillion“ schwer tun. Allen anderen sei das Buch empfohlen!
(p.s.: Wer keine Tolkien-Enzyklopädie zur Hand hat, um die Lektüre gut gerüstet zu beginnen, der findet einen treuen und zuverlässigen Begleiter in der [Encyclopedia of Arda]http://www.glyphweb.com/arda/ im Internet.)
In Paris fand 2002 ein Kolloquium statt, das sich mit literarischen Bezügen zu Utopien im deutschen Roman des letzten Jahrhunderts befasste. Hans Esselborn gab dazu ein Jahr später im Verlag |Königshausen und Neumann| dokumentarisch die entsprechende Vortragsreihe heraus.
Auffallend ist die stark politische und gesellschaftsbezogene Auslese, d. h. Science-Fiction und Fantasy in dem Sinne, was die meisten heute unter diesem Genre verstehen, werden kaum behandelt. Das Augenmerk liegt auf historischen Ereignissen wie den Weltkriegen und dem Kalten Krieg und wie sich Schriftsteller damit auseinandersetzten. Aufgrund der in Frage kommenden Bandbreite präsentiert sich eine vielfältige Vermischung von Utopie, Antiutopie und Science-Fiction. Science-Fiction wurde früher in Deutschland ja auch als „utopischer Roman“ bezeichnet und war wurde als ausschließlich technisch-utopischer Zukunftsroman verstanden. Erst in späteren Jahren nannte man das Genre auch hierzulande Science-Fiction, und unter diesem Begriff hatte sich auch die Thematik völlig verändert und legt nunmehr das Hauptgewicht ebenso auf entspannendere Unterhaltung nach ähnlichem Muster wie der Abenteuer- oder Kriminalroman. Um diese modernen Varianten geht es allerdings in den vorliegenden Beiträgen, die zeitchronologisch geordnet sind, nicht.
Zu Beginn des letzten Jahrhunderts entstanden zahlreiche Kriegsromane, die man als Utopien bezeichnet. Breite Diskussion nimmt der nichtmögliche Versuch ein, den „positiv“ gewerteten Anti-Kriegsroman vom „negativ“ gewerteten Kriegsroman unterscheiden zu können. Nach politischer Gesinnung trennt man Spreu vom Weizen, d. h. wenige pazifistische Autoren von der Menge der Kriegsverherrlicher. Da der 1. Weltkrieg ein völlig neuer Kriegstypus war, gelang es nur wenigen, dies in ihren Romanen hervorzuheben und diejenigen, die das erkannt hatten, ließen ihre Romane meist in der Apokalypse enden. Der deutsche Zukunftsroman war fest in den Händen der politisch extrem rechten Autoren, die völkisch die Nation hervorhoben, mit starken Führerfiguren, und die ihre Rassenkriege normalerweise mit dem Sieg Deutschlands enden ließen. Sofern das überhaupt auf niveauvoller Ebene stattfand, orientierte man sich an der Kritik der Moderne, wie sie von Friedrich Nietzsche formuliert worden war. Um es spannend zu machen, ging man insgesamt nach dem Erzählmuster vor, wie es Jules Verne vorgelegt hatte.
Als Ikone des faschistischen deutschen Science-Fiction-Autors wird Hans Dominik herausgestellt, der zwar auch mit Kriegs- und Kriminalromanen begonnen hatte, aber später tatsächlich in der Hauptsache utopische Romane schrieb. Seine Bücher gehen bis heute in die Millionenhöhe. Ideologisch hielt er sich an die Gesinnung, die Oswald Spengler mit seinem „Der Untergang des Abendlandes“ vorgegeben hatte. In manchen seiner Romane streifte er auch das Okkulte und diese sind mit entsprechendem Hintergrund auch heute noch lesenswert – z.B. „Atlantis“ (1925) und „Befehl aus dem Dunkeln“ (1933). In den meisten Zukunftsromanen nach 1933 wimmelte es ansonsten ja eher von technischen Utopien: kühnen Ingenieuren und Kampffliegern, mysteriösen Luftschiffen und Atomkanonen etc. Vom Autor des Essays, der sich im vorliegenden Band mit Hans Dominik auseinandersetzt, wird bemängelt, dass dessen Bücher ständig neu aufgelegt werden und er kritisiert dabei, dass Dominik nie so leidenschaftlich politisch engagiert gewesen sei, dass man ihn für die durch ihn geschürten Vorurteile – von denen er profitabel leben konnte – nie zur Rechenschaft habe ziehen können.
Interessanterweise wird der sonst gern als faschistischer Romanautor geltende Ernst Jünger endlich einmal überhaupt nicht so eingeschätzt. Seine Romane sind ja die gesellschaftlichen Utopien überhaupt. Auch er hatte mit Kriegsfront-Romanen begonnen, aber innerhalb seines 103-jährigen Lebens danach noch sehr viele unterschiedliche Entwicklungen beschritten. Er hat mit den Technikprognosen in seinen Romanen die verblüffendsten Übereinstimmungen mit der Realität erzielt. Die heutige Realität stellt sich genau so dar, wie er sie visionierte. Diejenigen, die sich mit dem ganzen Werk Jüngers auseinandersetzen, erkennen den NS-Kritiker, Pazifisten und spirituellen Visionär eines Wassermann-Zeitalters mit seinem zyklischen Philosophieverständnis als einen tief Eingeweihten der Tradition, welcher die Gesellschaft genauestens beobachtete.
Ein weiterer großer Utopieroman stellt natürlich „Das Glasperlenspiel“ von Hermann Hesse dar. Dieses Alterswerk ist eine Kritik an den Schrecken des 3.Reiches, die so viele Fragen aufwirft, dass sich auch heute noch die Literaturwissenschaftler immer wieder mit neuen Aspekten darin auseinandersetzen. Im Vordergrund steht der Mythos, zu dessen Wurzeln auch Nietzsche zurückfinden wollte. Hesse rehabilitierte damit auch den Geist von Nietzsche, der ja durch die NS-Diktatur missverstanden und missbraucht und durch die herrschenden politischen und finanziellen Machthaber in ihren Dienst genommen wurde. Im „Glasperlenspiel“ wird deutlich, dass der Begriff des „Übermenschen“ als Ziel nicht falsch sein kann, aber bei den Nazis in Gift umgeschlagen war. Das „Glasperlenspiel“ ist das utopische Märchen für Erwachsene schlechthin.
Ähnlichen Raum nimmt der Roman „Der Stern des Ungeborenen“ ein, das letzte Werk von Franz Werfel. Diese 700 Seiten sind noch immer nicht entschlüsselt und stießen auf große Kritik und Unverständnis, aber vor allem deswegen, weil der Roman sich von sämtlichen vorherigen realistisch gehaltenen Schriften Werfels vollkommen unterschied. Dieser Roman ist weder Anti-Utopie noch Satire auf Utopie, sondern eine eschatologische Absage an die Utopie und tief religiös.
Der nächste breit behandelte Roman ist dann „Die Erben des Untergangs“ von Oskar Maria Graf. Darauf folgt abschließend ein Streifzug durch den Schauerroman und eigentlich utopisch-technischen Roman, der aber nur unter realistisch wichtigen Tatsachen Betrachtung findet, wie die Raketenforschungen und Weltraumprojekte von Wernher von Braun, der ja unter Hitler tatsächlich an den V-2-Raketen arbeitete und später seine Forschungen bei den Amerikanern weiterführen konnte. Das Buch schließt mit philosophischen Science-Fiction-Themen im Osten während der DDR-Zeit und der neueren Science-Fiction, die mit Gen-Technologie und Reproduktionstechniken von der Wirklichkeit bereits eingeholt wurde.
Der vorliegende Band ist also keine Darstellung zeitgenössischer Science-Fiction-Literatur (der man ihren Tiefgang durchaus nicht absprechen möchte), sondern kulturhistorisch wie oben beschrieben gewichtet und für ein Grundverständnis der Ursprünge dieser Gattung unter spezialisiertem Blickwinkel ein wesentlicher Beitrag. Der Leser sollte also zunächst entscheiden, ob diese Themenausrichtung und akademische Betrachtung seiner Erwartungshaltung und seinem Interessenschwerpunkt entspricht. Für einen aktuelleren und weniger der ernsthaften oder vornehmlich gesellschaftsrelevanten Literatur zugewandten Blick in die Sci-Fi-Szene sei alternativ (oder noch besser: ergänzend) die traditionell bei |Heyne| verlegte und von Wolfgang Jeschke herausgegebene Reihe [„Das Science-Fiction-Jahr“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3453878965/powermetalde-21 empfohlen. Die diesjährige Ausgabe ist bereits im Mai erschienen.
„Die Spielleute von Dalemark“ ist der erste Band von Diana Wynne Jones‘ Dalemark-Zyklus. Er erzählt die Geschichte von Moril, einer der drei Hauptfiguren des Zyklus.
Moril ist ein elfjähriger Rotschopf, der mit seinen Eltern, seinem Bruder und seiner Schwester durch die Lande zieht. Die Lande bestehen in diesem Fall aus vielen verschiedenen Grafschaften, die miteinander rivalisieren oder richtig verfeindet sind. Vor allem aber stehen sich Nord und Süd feindlich gegenüber, und nur Leute mit Freibriefen dürfen die Grenze zwischen den nördlichen und südlichen Grafschaften Dalemarks überschreiten. Solche Freibriefe erhalten in der Regel nur Barden, und Morils Vater Clennen ist einer davon.
Clennens Familie lebt aber nicht nur von ihren Auftritten in den Dörfern und Städten, sie nimmt gelegentlich auch Leute mit. So auch den jungen Kialan, den Moril und seine Schwester Brid überhaupt nicht leiden können. Tatsächlich scheint es, als bringe Kialan Unglück! Clennen wird ermordet, und Morils Mutter Lenina zieht schnurstracks in die nächste Stadt, um dort zu bleiben. Die Kinder reißen aus, um Kialan auf eigene Faust in den Norden zu bringen. Diese Reise bringt eine Menge Überraschungen und Gefahren mit sich …
Was mich gleich als Allererstes an dem Buch überraschte, war das große Schriftbild. Es erinnert an ein Buch für 12-Jährige. Tatsächlich schreibt die Autorin hauptsächlich Kinder- und Jugendbücher. Den |Dalemark|-Zyklus würde ich unter „Jugendbücher“ einordnen, allerdings sollte man Jugendbücher nie unterschätzen, was auch „Das Elfenportal“ von Herbie Brennan beweist, von „Harry Potter“ ganz zu schweigen.
Dem ersten Band merkt man das Jugendbuch noch am deutlichsten an. Er ist der Kürzeste der vier, nicht nur wegen der größeren Schrift, sondern auch der Seitenzahl nach. Die Handlung verläuft einfach und linear, sie ist zwar nicht in der Ich-Form erzählt, aber konsequent aus Morils Sicht. So genannte Action gibt es so gut wie keine, erst gegen Ende kommt mehr Bewegung in die Handlung, und damit auch steigende Spannung.
Im Übrigen liegt das Hauptaugenmerk auf den Charakteren: auf der Entwicklung des Verhältnisses von Moril, Brid und Kialan, und vor allem auch auf der Entwicklung von Moril selbst. Der Verlust des Vaters zwingt ihn und seine Geschwister zum ersten Mal in ihrem Leben zu selbstständigem Handeln. Außerdem erfährt Moril eine Menge Neues und Unerwartetes, was ihn zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst zwingt. Und dann ist da natürlich noch die Quidder.
Die Quidder ist ein Saiteninstrument, ähnlich einer Laute. Die Barden begleiten sich damit, wenn sie singen. Als Clennen stirbt, vermacht er Moril seine große Tenor-Quidder. Er hat sie von seinem Vater geerbt, der sie von seinem Vater geerbt hat, und laut Clennen geht das Instrument auf Osfameron zurück, den berühmten Barden, von dem Clennen abstammen soll. Moril glaubt zuerst nicht daran, doch schon bald merkt er, dass bei diesem Instrument einiges sehr sonderbar ist.
Verbunden mit der Quidder und dem Beruf des Barden ist auch das Erzählen von Sagen aus der Vergangenheit. Diese Sagen sind voller Abenteuer und Magie, und die Quidder ist eng damit verwoben, denn Osfameron ist eine der Sagengestalten, nicht nur ein Barde, sondern auch ein Magier. Und nun hat Moril Osfamerons Quidder geerbt und muss lernen, damit umzugehen. Viel Zeit hat er nicht.
Erwachsene Leser werden sich bei der Lektüre vielleicht an kleinen Logikfehlern stören. So erklärt Kialan an einer Stelle, er hätte zuerst nicht geglaubt, dass Clennen Clennen sei, obwohl er kurz vorher noch davon gesprochen hat, er erinnere sich an Dagner, als sie noch Kinder gewesen seien. Doch das waren Kleinigkeiten, für die man passende Antworten konstruieren könnte, wenn man sich denn die Mühe machen möchte, insofern störten sie mich nicht sonderlich.
Sprachlich ist „Die Spielleute von Dalemark“ sehr einfach geschrieben, die Sätze sind relativ kurz und unkompliziert. Stimmungen, Gefühle, Gedanken und Beschreibungen von Landschaft und Leuten sind aber durchaus klar und deutlich gezeichnet und kommen gut rüber. Das Lektorat hat trotzdem wieder einige Schnitzer übersehen. Bei der relativen Kürze des Buches sollte das besser gehen. Daran muss Bastei Lübbe noch arbeiten.
Das Buch wird als in sich abgeschlossen bezeichnet. Dem kann ich nur bedingt zustimmen, insofern, als die Handlung zumindest nicht mittendrin aufhört. Genau genommen ist der erste Band aber nur die Einleitung, der noch jede Menge folgt. Wer nach dem ersten Band aufhört zu lesen, hat das Gefühl: Ganz nett, aber war’s das schon?
Tatsächlich werden in den folgenden Bänden die Handlungsfäden, die im ersten Band angelegt wurden, weitergesponnen und machen die Geschichte erst richtig interessant. Wäre der Zyklus kein Jugendbuch, wäre es vielleicht gar kein Zyklus geworden, sondern ein einziger Roman eben mit den ca. 1000 Seiten, die die vier Bände zusammenbringen. Jedem Erwachsenen, der die Geschichte lesen will, würde ich deshalb empfehlen, sie am Stück zu lesen, ohne größere Pausen. Das ist nicht weiter schwierig. Ein geübter Leser schafft den ersten Band locker in weniger als einem halben Tag. Die Folgebände gehen nicht mehr ganz so flott, wer aber den Zyklus als Einheit sieht und in einem Zug durchliest, profitiert davon im Hinblick auf Zusammenhang und Lebendigkeit, und dann ist der Zyklus durchaus auch etwas für Erwachsene.
Diana Wynne Jones lebt mit ihrer Familie in Bristol und gilt als die bedeutendste Jugendbuchautorin Großbritanniens. Viele ihrer Bücher erhielten angesehene Preise, u. a. den World Fantasy Award und den Guardian Award, wurden aber nicht alle ins Deutsche übersetzt. Unter anderem schrieb sie „Eine Frage der Balance“, „Einmal Zaubern – Touristenklasse“, und den Kinderbuch-Zyklus Die Welt des Crestomanci, zu dem nächstes Jahr unter dem Titel „Conrad’s Fate“ ein weiterer Band erscheinen soll.
In Baltimore treibt ein Mörder sein Unwesen, der sich vom Dichter Edgar Allan Poe inspirieren lässt. Privatdetektivin Tess Monaghan erkennt, dass sich dahinter handfeste finanzielle Interessen krimineller Natur verbergen … – Eleganter Krimi mit weiblicher Detektivin, die primär ihrem Job nachgeht, statt plakativ die moderne Musterfrau des 21. Jahrhunderts zu mimen. Viel Lokalkolorit aus Baltimore fließt in die Handlung ein. Insgesamt als Thriller keine Offenbarung aber ein mit leichter Feder geschriebenes, über die gesamte Distanz unterhaltendes und amüsantes Werk. Laura Lippman – In einer seltsamen Stadt weiterlesen →
Merkwürdige Mischung aus Biografie, zeithistorischer Betrachtung und Bilderbuch, das sich mit der Karriere des deutschen Komikers Heinz Erhardt (1909-1979) beschäftigt bzw. diese zelebriert. Die Gliederung ist z. T. schwer nachvollziehbar da sprunghaft, die Texte sind relativ knapp aber informativ. Das unschlagbare Plus des in jeder Hinsicht gewichtigen Werks sind seine Fotos, die in Auswahl und Wiedergabequalität schlicht Maßstäbe setzen.
Ein Komiker als Sinnbild einer Ära
Er war in den Augen seines Publikums und der zeitgenössischen Kritik ‚nur‘ ein Komiker, der Witze riss, die Deutschland mehrheitlich unterhielten. Tatsächlich muss man ihn als Multitalent werten: Heinz Erhardt (1909-1979) war Dichter, Komponist, Musiker, Sänger, Film- und Theaterschauspieler, Produzent und, und, und … – ein Workaholic, der hart für seinen Erfolg und an der scheinbaren Leichtigkeit seines Witzes arbeitete.
Obwohl er nicht sehr alt wurde und zudem ab 1971 nach einem Schlaganfall halb gelähmt und stumm zurückgezogen lebte, umspannt Erhardts Karriere knapp vierzig Jahre. Das vorliegende Werk nimmt davon jene beiden Jahrzehnte unter die Lupe, in denen der Künstler in der deutschen Unterhaltung quasi omnipräsent war und das Fundament eines Ruhmes legte, der bis auf den heutigen Tag nachwirkt und seinen Urheber unbestreitbar zum Kult werden ließ.
In den 1950er und 60er Jahren stand Heinz Erhardt auch als Schauspieler auf der Höhe seines Ruhms. Seine Filme wurden von einem Millionenpublikum gesehen. Es lohnt sich daher, einen Blick auf das Erhardtsche Schaffen zu werfen. Manfred Hobsch und Michael Petzel unternehmen den Versuch, dies anhand der ‚typischen‘ Filme dieser Ära darzustellen.
Ein Leben im Unterhaltungs-Dauerstress
„Heinz Erhardt“ wird eingeleitet durch eine kurze aber umfassende Biografie, die unter dem Titel „Aus dem Leben eines Komikers“ steht. Es folgt eine Art Ausblick („Papa Heinz wird es schon richten und Erhardts Ausflüge in den Wilden Westen“) auf den sich anschließenden Hauptteil, der in folgende Kapitel gegliedert ist:
„Vater, Mutter und neun Kinder (1958)“ berichtet auf den Seiten 60-182 (!) vom gleichnamigen Kinofilm, mit dem Erhardts Filmkarriere seinen eigentlichen Anfang nahm. Mit „Natürlich die Autofahrer (1959)“ setzte sich diese fort, um mit „Drillinge an Bord (1959)“ nach Ansicht der Kritik bereits ihren Höhepunkt zu erreichen.
„Der letzte Fußgänger (1960)“ zeigte den Komiker noch einmal in einer Hauptrolle, bevor „Freddy und der Millionär (1961)“ Erhardts ‚Abstieg‘ in größere und später immer kleinere Nebenrollen einläutete. „Der Ölprinz (1965)“ und „Das Vermächtnis der Inka (1965)“ informieren ausführlich über Erhardts kuriose Ausflüge in das Western- bzw. Abenteuer-Genre, in dem man ihn kaum vermutet hätte.
Ab S. 400 listet ein Lebenslauf Leben und Werk des Künstlers auf. Angesichts seiner Arbeitswut wundert es kaum, dass diese Aufstellung volle 18 Seiten umfasst. Auf noch einmal 100 Seiten folgt eine „Kommentierte Filmographie“, die Erhardts Kinoschaffen würdigt, sowie eine Liste der TV-Filme, in denen er auftrat. Für jeden Film finden die Mitwirkenden vor und hinter der Kamera Erwähnung. Es schließt sich eine Inhaltsangabe an, gefolgt von einigen Hintergrundinformationen und Zitaten aus zeitgenössischen Kritiken. Zu guter Letzt rundet eine Biografie der Werke von und über Heinz Erhardt das Werk ab.
Alte Fakten in neuem Blickwinkel
Was für ein Buch! 30 cm ist es hoch, 25 cm breit, 5 cm stark. Gewogen habe ich es nicht, aber auf dem Rücken liegend & den Bauch als Stütze nutzend lässt es sich nur kurz lesen. Ein Prachtband also, gedruckt auf edles und schweres Kunstdruckpapier, das vor allem die zahlreichen Bilder (s. u.) zur Geltung kommen lässt. Als Objekt des Buchdrucker-Kunsthandwerks ist er seinen stolzen Preis wert.
Der Textteil gibt bei näherer Betrachtung jedoch zu einiger Kritik Anlass. So ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dieses Heinz-Erhardt-Buch seinen Vorgängern nichts grundsätzlich Neues beizufügen hat. Allenfalls Sekundärliteratur wurde für den Text ausgewertet, Primärquellen werden jedenfalls nicht angegeben.
„Mopsfidel im Wirtschaftswunderland“ ist dennoch kein lieblos aus Zitaten, Vorläuferliteratur & Hörensagen nachgebetetes Machwerk. Die Dichte der Erhardt-Informationen mag vergleichsweise gering sein, doch die Verfasser arbeiten intensiv mit ihnen. Sie schaffen daraus nicht das übliche Starporträt, sondern betten eine Vita in das historische Umfeld ein: Heinz Erhardt lebte nicht nur in den Jahren des deutschen Wirtschaftswunders, sondern er repräsentierte es auf seine Weise.
Weg von tradierten Vorurteilen
Dies wird nicht auf den ersten Blick ersichtlich bzw. wurde von der Erhardt als Galionsfigur (oder Hofnarr) des oder des Nachkriegs-Establishments nicht immer objektiv gewogenen Kritik in ein schiefes Licht gesetzt. Hobsch & Petzel arbeiten heraus, was Erhardt zur Verkörperung des Wirtschaftswunderlands werden ließ und wieso diese Schlüsse nicht selten auf historisch bedingten Missverständnissen und Vorurteilen basieren.
So einfach ist es tatsächlich nicht, die spezifische Erhardt-Komik zu ‚erklären‘. Der nüchterne Gegenwarts-Deutsche mag sich fragen, wer über solche harmlosen Witzchen lachen geschweige wie man darauf eine Karriere darauf gründen konnte. Ungeachtet dessen ist da Erhardts Kultstatus, der nach Ansicht der Verfasser eine tiefgründende Sehnsucht der angeblich so zynischen Gegenwartsgenerationen nach der alten = guten Zeit verrät, als Massenarbeitslosigkeit, Auflösung des sozialen Netzes u. a. Unerfreulichkeiten noch unbekannt waren.
Dieser spezifische Aspekt hält – neben der qualitätvollen, zunächst unauffälligen Hintergründigkeit zahlreicher Kalauer – den ‚Kult‘ Heinz Ehrhardt am Leben. Insofern waren Hobsch & Petzel gut beraten, das Schwergewicht ihrer Darstellung auf die 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts zu beschränken: Vorher und später war bzw. wurde auch Heinz Erhardt Opfer der Zeit- und Lebensumstände und war noch nicht bzw. nicht mehr die angenehm alltagsferne Lichtgestalt, die seinen zeitlosen Reiz ausmacht.
Weniger reden, mehr sagen!
Was an einem Werk dieser Preislage stört, ist das Fehlen eines konsequent gelegten roten Fadens. Es fallen viele unnötige Wiederholungen auf. Der Lebenslauf gegen Ende des Buches ist manchmal wortidentisch mit der Einleitungsbiografie. Auch die Vorschau auf die Filmbesprechungen nimmt außerordentlich viel von dem vorweg, was später noch einmal breit ausgewalzt wird.
Zwar interessant aber dem Konzept des Werkes widersprechend sind die eingestreuten Biografien diverser Erhardt-Kolleginnen und Kollegen. Die Auswahlmodalitäten bleiben unklar; Trude Herr als vierfache Filmpartnerin verdient zweifelsohne eine gesonderte Erwähnung, aber trifft dies auch auf Freddy Quinn, Harald Phillipp oder Erik Schuhmann zu? Ihre Viten sind nicht hilfreich in dem Bemühen, Heinz Erhardts Leben und Werk zu illustrieren.
Ein Aspekt des vorliegenden Werkes lässt indessen Negativkritik nachdrücklich verstummen: Hobsch & Petzel haben eine Fülle selten oder nie gesehener Fotos zusammengetragen. Ihr Buch wirkt über weite Strecken wie ein Heinz-Erhardt-Schrein. In allen Lebenslagen sieht man den Künstler, der – so machen diese Bilder deutlich – eigentlich immer ‚im Dienst‘ war: Stets gab Erhardt den Erhardt, sobald sich ein Fotograf zeigte.
Die Macht des Bildes
Wobei diese Abbildungen sich in Stand-, Arbeits- und Privatfotos unterteilen lassen. Allerdings sind die Grenzen fließend: Viele angebliche Arbeitsfotos verraten durch ihre Präzision den eigentlichen Zweck: Sie entstanden zu Werbezwecken für die Presse und vermitteln folglich ein geschöntes Bild von der Atelier- oder Außendreh-Realität. Hobsch & Petzel präsentieren manchmal ganze Fotoserien, die stets das identische Motiv mit nur variierten Körperhaltungen und Gesichtsausdrücken zeigen. Auch hier sehen wir Erhardt als Profi, der geduldig in seiner Rolle als Komiker posiert.
Dank ihres wahrlich königlichen Formats kommen die Fotos richtig zur Geltung. Sie sind zudem von einer Wiedergabequalität, die einfach nur staunen lässt. Schwarzweiße Schärfe, akkurat ausgeleuchtet – auch die Art des Fotografierens sagt viel über die Zeit aus, in der diese Bilder entstanden: Nicht einmal in der freien Natur duldete man ‚Unordnung‘; jeder Grashalm steht stramm, Staub und Steine sind ordentlich gefegt. Außenaufnahmen entwickeln eine seltsam Sterilität, in der sich sichtlich nur zahme, harmlose, ‚saubere‘ Unterhaltung entfalten kann. (Die wenigen farbigen Aufnahmen wirken dagegen allzu ‚natürlich‘.)
Heute sind solche Fotos selbst Dokumente geworden. Außerdem versetzen Hobsch & Petzel jenen Filmbuch-Autoren, die ihre Leser mit miserablen, verschwommenen, lieblos zusammengestoppelten ‚Starfotos‘ für dumm verkaufen, einen verdienten Doppeltritt in die Hintern. Sie übertreiben es hier und da, wenn sie schier endlose Serien oder Porträtstudien zum Abdruck bringen. Aber „Mopsfidel im Wirtschaftswunderland“ ist dennoch ein formal wie inhaltlich (in dieser Reihenfolge) gelungenes Buch, das dem Objekt seiner Darstellung nahe kommt, statt sich auf pubertäre Götzenverehrung oder das Wühlen nach schmutziger Privatwäsche zu verlassen.
Obwohl Tanya Huff in den USA durch Fantasy-Zyklen wie die „Quarters“-Tetralogie und eine Unzahl von Romanen, die man sowohl dem Horror als auch der |Urban Fantasy| zurechnen kann, sehr bekannt ist, erschienen in Deutschland nur wenige ihrer Romane bei |Heyne|, bis |Feder & Schwert| sich der Abenteuer der Privatdetektivin Vicki Nelson und des Vampirs Henry Fitzroy angenommen hat. Die bisher fünf Romane dieser Reihe sind mittlerweile auch auf Deutsch erschienen.
Im kanadischen Ontario häufen sich seltsame Todesfälle rund um ein Museum. Ein Doktor der Archäologie und einige Wärter sterben kurz nach der Ankunft eines ägyptischen Mumiensarkophages scheinbar an Herzversagen, doch Detective-Sergeant Michael Celluci will nicht so recht an Zufälle glauben, zumal er mit dem Übernatürlichen vertraut ist und ihm einige Umstände seltsam vorkommen.
Er weiß, dass es mehr gibt als das Sichtbare und Vertraute, denn seine frühere Kollegin Vicki Nelson lebt mit einem Vampir zusammen und hatte selber schon mit ähnlichen Fällen zu tun. Trotz aller Rivalität zu dem gut 500 Jahre alten Nebenbuhler erzählt er den beiden von diesen Vorfällen.
Vicky zieht verrückte, aber gar nicht mal so abwegige Schlüsse: Könnte es nicht sein, dass ein altägyptischer Zauberpriester von den Toten auferstanden ist und versucht – just wie einst Boris Karloff in „Die Mumie“ – sein Werk fortzusetzen? Worin auch immer dies bestehen mag?
Auch Henry, der Bastardsohn Heinrich VIII. horcht auf, denn ihn quälen seit einiger Zeit schreckliche Alpträume. Die beiden beschließen Michael zu helfen und stürzen sich in die Ermittlungen, sammeln bald Informationen über weitere unerklärliche Todesfälle von Erwachsenen und Kindern.
Schon bald kommen sie auf die Spur eines Fremden, der sich Anwar Tawfik nennt, sich in die höchsten Kreise der Gesellschaft eingeschlichen hat und diese Menschen stark zu beeinflussen scheint. Sie rücken ihm auf den Leib, aber das ist ein Fehler…
Vicki und Henry müssen erkennen, dass sie es mit einem mächtigen und über 5000 Jahre alten ägyptischen Zauberpriester zu tun haben, den sie weder in seiner Macht noch in seinem Listenreichtum unterschätzen dürfen. Nicht zuletzt, weil er Vicki als Opfer seines Gottes Akhekh ausersehen hat…
Tanya Huff ist eine packende Erzählerin, der es gelingt, Action und Tiefgang miteinander zu verbinden. Sie setzt nicht nur auf eine spannende und überraschende Handlung, die kaum Kämpfe und nur wenig Blut benötigt, sondern auch auf interessant geschilderte Charaktere. Während jede der Hauptpersonen ihre Ecken und Kanten hat und die Kabbeleien zwischen Fitzroy, Celluci und Nelson die Handlung eher auflockern, gibt die Autorin dem ägyptischen Zauberpriester ebenfalls Tiefe und Raum. Er ist kein bloßer 08/15-Bösewicht, der stur nach seinem Schema handelt, sondern hat auch seine Höhenflüge und Zweifel, kann ebenso leidenschaftlich wie skrupellos handeln und findet sich schnell in der jetzigen Zeit zurecht, die ihn mehr als alles andere fasziniert.
Dadurch werden sowohl die Geschichte als auch die Charaktere lebendig, ohne dass der Roman in sentimentalen Gefühlskitsch abgeleitet, wie es bei vielen Romanen in der Richtung von Anne Rice üblich ist. Ich jedenfalls konnte den Roman kaum aus der Hand legen und möchte ihn vor allem den Leuten empfehlen, die intelligent erzählte Dark Fantasy mögen, die ohne Splatter auskommt.
Rezension des ersten Teils: [Blutzoll 123
http://www.meishamerlin.com/TanyaHuff.html
_Arielen_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|
In der isländischen Hauptstadt Reykvavík wird ein alter Mann umgebracht. Das Opfer war ein Gewaltverbrecher, der vom Gesetz gedeckt wurde, bis ihn nun die Vergeltung ereilte. Kommissar Erlendur Sveinsson folgt hartnäckig den Spuren eines Verbrechens, das alle Beteiligten gern unter den Teppich gekehrt sähen … – Endlich wieder ein Krimi aus Skandinavien, der die kollektiven Vorschussbeeren verdient, die hierzulande für Texte aus dem Norden allzu großzügig vergeben werden. Tragik, Spannung, dazu ein leiser aber kundig eingesetzter Humor: „Nordermoor“ ist das gelungene deutsche Debüt eines Schriftstellers, der sein Handwerk versteht. Arnaldur Indriðason – Nordermoor [Erlendur 3] weiterlesen →
Warum steigt der Mensch auf hohe Berge? Wieso taucht er in tiefe Meere? Aus welchem Grund durchquert er Wüsten auf Stelzen und trägt dabei mit den Zähnen einen Kanaldeckel aus Gusseisen? In der Regel einfach deshalb, weil es vor ihm (oder ihr) noch niemand getan hat! Unter uns tagarbeitenden und in der Freizeitgestaltung vergleichsweise fantasiearmen Zeitgenossen gibt es seit jeher Exoten, die es dazu drängt, eine ungewöhnliche Note in ihr Leben zu bringen. Nach Sinn und Logik darf man da nicht fragen, sondern muss das Phänomen als solches mit Interesse und Neugier zu Kenntnis nehmen. Man ist ja nicht zur Nachahmung verpflichtet.
In diese seltsame Welt eigentümlicher Individualisten, die sich heute gern selbst zu „Extrem-Sportlern“ adeln, entführt uns der Journalist und Segler Peter Nichols. Er hat eine bizarre Fußnote der Sporthistorie ausgegraben und erweckt dahinter eine fesselnde Geschichte zu neuem Leben. Die Chronik des „Golden Globe Race“ von 1968/69 wird von solchem Irrwitz geprägt, dass wir sie als Film mit Unglauben und Spott quittieren würden. Aber die Geschichte ist wahr, und als Sachbuch mit Thriller-Qualitäten glauben wir sie ihrem Verfasser, denn Nichols ist ein fabelhafter Schriftsteller. Nichols, Peter – Allein auf hoher See. Abenteuer einer Weltumseglung weiterlesen →
„Geschichten aus der Gerichtsmedizin“ lautet der Untertitel dieses Werkes; er muss ihm vom hilflos zwangsverpflichteten Lektor verliehen worden sein, um dem krausen Durcheinander wenigstens notdürftig ein Motto überzustülpen. Ansonsten gibt es nämlich keinerlei roten Faden, obwohl das Ganze halbwegs verheißungsvoll startet – mit einem Rückblick auf die Geschichte der Gerichtsmedizin und ihren langen Weg zwischen Skalpell und Hightech.
Aber dann springt uns plötzlich ein Kapitel mit der Überschrift „Nichts ist interessanter als ein toter Promi“ an, wir befinden uns in der Gegenwart und werden mit absolut oberflächlichen Regenbogenpresse-„Informationen“ über Fleddereien halb vergessener Leichen wie Elvis Presley gelangweilt.
In den Märztagen der noch jungen 1930er Jahre treibt in London der „Verrückte Hutmacher“ sein Unwesen: ein seltsamer Dieb, der Polizeihelme, Zylinder und andere Kopfbedeckungen an sich nimmt, um sie an möglichst auffälliger Stelle auszustellen. Da primär Respektspersonen attackiert werden, ist das Interesse der Medien groß. Vor allem für den jungen Reporter Philip Driscoll wird die Jagd auf den Hutmacher zum persönlichen Anliegen. Er will Karriere machen in seinem Job, denn Ansehen und Verdienst sind ihm wichtig, um endlich vor seinem Onkel Sir William Bitton, dem reichen Ex-Politiker und Sammler seltener Bücher, bestehen zu können.
Der liebt seinen Neffen eigentlich wie einen Sohn, hat ihn das aber als echter Mann nie spüren lassen. Nun ist es zu spät, denn Philip ist tot: Man findet ihn unterhalb von Traitor’s Gate im Tower von London, der alten Festung an der Themse. Er trägt Golfkleidung, auf dem Kopf einen Zylinder Sir Williams, und ein Armbrustpfeil ragt aus seiner Brust. John Dickson Carr – Der Tote im Tower weiterlesen →
Auf dem Kopf den Helm mit der 451, das Salamanderabzeichen am Ärmel und die Phönixplakette – dies sind die Merkmale von Guy Montags Feuerwehruniform. Montags Aufgabe besteht nicht darin, Brände zu löschen, sondern sie zu legen. Auf dem Rücken trägt er einen Flammenwerfer, gefüllt mit Kerosin. In Bradburys Welt vollstreckt die Feuerwehr eine staatlich legitimierte Bücherverbrennung: Fahrenheit 451 ist die Temperatur, bei der Papier brennt (233 Grad Celsius). Literatur ist verboten, wer Bücher besitzt, macht sich strafbar. Es gilt, „die kärglichen Reste der Kulturgeschichte auszutilgen“. Denunziationen lassen die Alarmglocken bei der Feuerwehr schrillen, das Haus wird ebenfalls eingeäschert, und der Delinquent erhält von einem mechanischen Hund mit Kanülenzunge eine kräftige Dosis Morphium injiziert.
Die Bücher wurden ersetzt durch Fernsehwände, auf denen interaktive hohlköpfige Soaps ablaufen -„Wozu etwas lernen, wenn es genügt, den Knopf zu drücken?“ Ansonsten amüsieren sich die Menschen in Turbinenautos, rasen mit aberwitziger Geschwindigkeit über die Autobahnen und wer zu langsam fährt, wird verhaftet. Selbstmorde sind an der Tagesordnung. Es gibt ein eigens dafür eingerichteten Express-Service, der mit Magen- und Blutpumpe anrückt und die Lebensmüden reanimiert. Das Familienleben existiert als solches nicht mehr. Kinder befördert man ins Fernsehzimmer und knipst an. „Es ist wie mit der Wäsche, man stopft sie in die Maschine und knallt den Deckel zu“.
Eines Tages trifft Montag die junge Clarisse, die nicht zu den normalen Menschen gehört, sondern zu jenen, die nicht nur wissen wollen „wie etwas gemacht wird, sondern warum“ und merkt in den Gesprächen mit ihr, wie unzufrieden und unglücklich er ist. „Er trug sein Glück wie eine Maske, und das Mädchen war damit davongelaufen; es bestand keine Möglichkeit, bei ihr anzuklopfen und die Maske zurückzufordern“. Doch die Begegnung ist von kurzer Dauer. Als man sie eines Tages verschwinden lässt, holt Montag die bei seinen Einsätzen heimlich gesammelten Bücher hervor und versucht damit die Wand zu seiner Frau und die Eintönigkeit seiner Ehe zu durchbrechen. Doch es geht um viel mehr. Er sieht die Bücher als einzigen Ausweg „aus dem Dunkel“, als einziges Mittel „zu verhindern, daß wir immer wieder dieselben unsinnigen Fehler machen.“ In den Büchern sucht er ein Mittel, einen Weg, der scheinbar unaufhaltsamen Annäherung an den Abgrund entgegenzusteuern. Seine Frau, das „Haar von Chemikalien zu sprödem Stroh zerfressen“, der Leib von Abmagerungskuren ausgemergelt und „das Fleisch weiß wie Kochspeck“, reagiert mit Befremden und Abscheu auf seine Rezitationen. Nur in dem ehemaligen Literaturprofessor Faber findet Montag einen Verbündeten, der ihn ermutigt und im Widerstand gegen seinen Vorgesetzten Hauptmann Beatty unterstützt. Einerseits bemerkenswert intellektuell und offenkundig belesen, andererseits ein fanatischer Inquisitor, entwickelt sich Beatty zu Montags entschiedenstem Gegenspieler und Feind. Als Montags eigene Frau ihn bei der Feuerwehr anzeigt und er sein Haus niederbrennen muss, hetzt Beatty den mechanischen Hund auf ihn und die Situation eskaliert. Montag muss flüchten und schließt sich einer Gruppe von Intellektuellen an, die in der Wildnis leben und durch das Auswendiglernen von Büchern das Wissen der Menschheit bewahren.
Vielleicht am falschesten verstanden wird die Rolle der Clarisse, vermutlich durch Truffauts Verfilmung des Romans. Clarisse Rolle im Buch ist kurz, sie dient nur als Katalysator, der Montags ohnehin schon schwelendes Umdenken beschleunigt. Faber, der ehemalige Literaturprofessor, unterstützt diesen Wandlungsprozeß. Hauptmann Beatty aber ist derjenige, der ihn bestätigt, indirekt vollendet und damit ist er eigentlich die wichtigste Figur des Romans. Bemerkenswert ist, dass Bradbury ähnlich wie Huxley die Wurzeln seiner Dystopie nicht in Verordnungen oder Zensur bettet, sondern in freiwilliger Lust an der Verdummung. 1953 von Bradbury publiziert, ist Fahrenheit 451 von beeindruckender visionärer Kraft. Die Dekadenz des Fernsehzeitalters, der parallele Verfall der Kultur und die hingebungsvolle Hinwendung zur Blödheit, die sich heute in den Bestsellerlisten und Reality-Soaps widerspiegelt und sicherlich noch krassere Ausdrucksformen finden wird, all das findet man in Bradburys düsterer Welt vorweggenommen.
Fahrenheit 451: ein Meisterwerk!
Ray Bradbury wurde am 22. August 1920 in Waukegan, Illinois geboren. Er besuchte die Schulen in Waukegan, Illinois, und später in Los Angeles, California. Seine schriftstellerische Karriere begann Bradbury 1940 als Zeitungsjunge in Los Angeles. 1943 fing er an, ganztägig zu schreiben, und seit damals hat er mehr als 500 Arbeiten – Romane, Kurzgeschichten, Spiele, Drehbücher, Fernsehspiele und Poesie – veröffentlicht. Als Drehbuchautor ist er durch Werke wie John Huston´s Film |Moby Dick| und François Truffaut´s |Fahrenheit 451| (wo er die Romanvorlage lieferte) bekannt. |Fahrenheit 451| ist auch der Titel, mit dem die meisten Leser den Autor in Verbindung bringen. Von den meisten zeitgenössischen Schriftstellerkollegen der Science-Fiction unterschied er sich deutlich durch das hartnäckige Ignorieren der „Science“. Bei Bradbury spielte der technologische Hintergrund immer eine untergeordente Rolle, menschliche Aspekte stehen in seinen Büchern im im Vordergrund.
Ray Bradbury gewann eine Vielzahl von Preisen für seine schriftstellerische Arbeit, zum Beispiel die |National Book Foundation Medal for Distinguished Contribution to American Letters|, 2000; zwei |O. Henry Memorial Awards|, 1947 und 1948; den |Master Nebula Award|, 1988; den |Benjamin Franklin Award|, 1954 oder den |World Fantasy Award|, 1977.
_Jim Melzig_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|
Noch jung an Jahren und längst nicht so weltgewandt wie er es gern von sich glaubt, nimmt John Stannard, seines Zeichens Architekt, im Winter des Jahres 1880 in einem abgelegenen Dorf Quartier, um die Pfarrkirche St. Mary‘s einer längst überfälligen Gesamtrenovierung zu unterziehen. Das alte Gotteshaus ist seinen Besuchern ans Herz gewachsen. Stannard macht sich daher keine Freunde, als er seine Aufgabe mit Eifer, aber ohne Einfühlungsvermögen angeht.
Er, der sich den einfachen Dörflern gesellschaftlich überlegen fühlt, geht rücksichtslos mit den Knochen der unter dem Kirchboden Verstorbenen um. Das alte Mobiliar wird herausgerissen und verbrannt. Seine beiden Arbeiter fasst Stannard hart an; Rücksicht nimmt er weder auf sich noch auf andere Menschen; Schwäche ist ein Schicksal, das ein Mann hinzunehmen hat, ohne auf die Hilfe der Starken und Reichen zählen zu dürfen. Jem Poster – Der Winter des Architekten weiterlesen →
Manchmal hat man Glück. Bei einem Remittendenverkauf konnte ich für zwei Euro einen echten Bestseller erwerben: Konsaliks „Der Arzt von Stalingrad / Das Herz der 6. Armee“. Der erste Roman des Doppelbandes markierte den Durchbruch des Autors, der auch heute noch als international erfolgreichster deutscher Autor angesehen wird.
Mir wurde dieser Roman empfohlen. Als Aufruf zur Humanität, auf wahren Tatsachen basierender Bericht über das Leben in russischen Gefangenenlagern wurde das Werk vielerorts angepriesen. Trivialliteratur mit einem wahren Kern, eine Landsergeschichte mit Ärzten – aber anscheinend eine verdammt gute. So war mein Eindruck, der mich dann auch zum Kauf animierte.
Nur entpuppte sich dieses Buch als ein unerträglich dem „Zeitgeist“ des kalten Krieges entsprechendes Machwerk, voller rassistischer, antikommunistischer, faschistischer sowie deutsche Kriegsverbrechen entschuldigender Inhalte. Eine braune Brühe, die ein Goebbels nicht besser hätte abschmecken können. Den deutschen Lesern, die nichts mit dem Nationalsozialismus mehr am Hut hatten, hat es seltsamerweise ebenfalls gemundet: Der große Erfolg des Buches mündete sogar in einer Verfilmung. Ideologisch ist das ein lupenreiner Trivialroman im Stile des Dritten Reiches. Dies trifft vor allem auf den „Arzt“ zu, das „Herz“ ist bei weitem nicht so durchsetzt mit Überbleibseln der Nazi-Ideologie wie dieser. Dieser Roman war jedoch bei weitem nicht so erfolgreich wie der „Arzt“, es ist fast schon zynisch, dass dieser der mit weitem Abstand erfolgreichste Roman Konsaliks ist.
Konsalik wurde am 28. Mai 1921 in Köln geboren. Er musste sein Studium der Medizin, Germanistik und Theaterwissenschaften abbrechen, da er in die Wehrmacht eingezogen wurde. Dort diente er seinen Fähigkeiten entsprechend als Kriegsberichterstatter, bis er in Russland schwer verwundet wurde. Was weitgehend unbekannt blieb ist, dass Konsalik Mitglied der GeStaPo war. Nach dem Krieg begann er 1951 eine Karriere als Schriftsteller. Seinen Durchbruch erzielte er 1956 mit dem „Arzt von Stalingrad“ – das mit einer Auflage von über 3,5 Millionen wohl meistgelesene Buch der Nachkriegszeit. Bevorzugtes Thema Konsaliks war der zweite Weltkrieg. Am 02. Oktober 1999 starb Konsalik an den Folgen eines Schlaganfalls und hinterließ neben seiner Lebensgefährtin Ke Gao und zwei Töchtern insgesamt 155 Romane mit einer Gesamtauflagenstärke von geschätzten 80-90 Millionen Exemplaren.
Das Geheimnis seines Erfolgs: „Dass ich so schreibe, wie mein Leser denkt und spricht. Darum hält mich die Literaturkritik für trivial. Ich würde nie einen Nobelpreis kriegen.“
Der Arzt von Stalingrad (1956)
In einem Gefangenenlager nahe Stalingrad kämpft der Stabsarzt Dr. Böhler mit seinen Helfern Dr. von Sellnow und Dr. Schultheiß um das Leben der unter unmenschlichen Bedingungen hausenden deutschen Kriegsgefangenen. Ihre Lage ist kritisch, denn Dr. von Sellnow hat ein Verhältnis mit der Lagerärztin Kasalinsskaja. Schlimmer noch ist die Liebschaft von Dr. Schultheiß: Er verliebt sich in die lungenkranke Janina, die ihm zur Pflege übergeben wird – sie ist die Geliebte des Lagerkommandanten Major Worotilow, von dessen Wohlwollen das Leben aller Gefangenen abhängt. Dr. Böhlers Können spricht sich herum, seine Kompetenz und menschliche Größe gewinnen die Herzen der Russen. Nachdem er einen kommunistischen Würdenträger gerettet hat, kann er vielen Gefangenen die Rückkehr nach Deutschland ermöglichen.
Ein Arzt- und Liebesroman vor einem grausamen Hintergrund? Durchaus, gemischt mit vielen Vorurteilen und Nazi-Ideologie – jede Seite dieses Romans zeigt, welch Geistes Kind der Autor ist. Die Handlung quillt nur so über von Beispielen, wie man sich laut Konsalik einen typischen Russen vorzustellen hat.
So gibt es zwei Typen von Russen: Den bösen, asiatischen Typus mit Schlitzaugen wie den Politkommissar Kuwakino oder den Chirurgen Professor Pawlowitsch. Der Erstere ist ein lüsterner Grabscher und brutal: Er reduziert gnadenlos Essensrationen und weidet sich an der Folterung von Gefangenen. Pawlowitsch ist inkompetent und hinterhältig, nachdem er den von dem Könner Böhler auf geniale Weise geretteten Patienten durch seine Inkompetenz verliert, arrangiert er es so, dass Böhler noch einmal geholt wird und ihm dann die Schuld zugeschoben wird. Zwar auch nur ein Russe, aber immerhin auf eine deutsche Kriegsschule gegangen, ist der zivilisiertere Major Worotilow, der auch nicht gerade eine gute Meinung über die beiden Erstgenannten hat:
„Ein Asiate, dachte Major Worotilow. In seinem Hals würgte der Ekel.“ (…) „Es fiel ihm schwer, zu dem kleinen, armseligen Juden ‚Genosse‘ zu sagen und ihn als seinesgleichen anzuerkennen. Aber er würgte es heraus, eingedenk der Ideologie, der er diente und die keine Rassen kannte, keine Hautfarben und keine Nationen, nur den Ruf der roten Fahne der Revolution.“
Dieser Rassismus ist jedoch vielmehr im Nationalsozialismus anzutreffen, der hier Worotilow in den Mund gelegt und damit bestätigt wird: Sogar die Russen erkennen, dass Asiaten die Minderwertigste aller Rassen sind. Die Juden kommen dabei keinen Deut besser weg. Doch auch Worotilow ist „nur“ ein Russe: „Er wurde steif und spürte Brutalität in sich aufsteigen. Das erschreckte ihn, aber er wehrte sich nicht dagegen. Es ist meine Natur, dachte er. Ich bin ein Russe!“ – genau, da kann man leider nichts dagegen machen, das ist „rassisch“ bedingt. So dachte man damals.
Worotilow wird als der „einsichtigste“ und menschlichste Russe beschrieben, der Rest ist weitgehend gemein oder triebhaft und dumm. Deshalb auch seine Bewunderung für die Kompetenz und den „Feingeist“ der Deutschen: „Im Herzen bewundern wir euch. Der Deutsche war oft der geschichtliche Lehrmeister der Russen.“
Kommissar Kuwakino legt Konsalik zudem noch seine Definition des Kommunismus in den Mund, der durch Nahrungsentzug stramme deutsche Soldaten zu Kommunisten machen will: „Wir werben durch Taten! Hunger erzeugt klare Köpfe! Wer nichts zu fressen hat, wird vernünftig! Das ist das ganze Geheimnis vom fruchtbaren Acker des Kommunismus. Je mehr Elend in der Welt, umso stärker die Partei! Satte Mägen revoltieren nicht!“
Konsalik wird auch zu Recht als Chauvinist bezeichnet: Sein Frauenbild ist geprägt von nationalsozialistischen Ideen und verfeinert mit eigenen Wunschträumen. Deutsche Krankenschwestern sind blond und anständig. Dr. Alexandra Kasalinsskaja, Janina Salja und die Küchenhilfe Bascha stehen für einige Stereotypen: So ist Janina die zarte Russin, die sich nach dem zivilisierten, deutschen Akademiker Dr. Schultheiß sehnt. Ganz anders Kasalinsskaja, eine Nymphomanin, die nichts lieber hat, als von Dr. von Sellnow hart gerammelt zu werden, der ihrer natürlichen Wildheit nicht widerstehen kann. Sie verkörpert die wilde, rauhe Schönheit Russlands. Hier möchte ich auch ein wenig den Wunsch als Vater des Gedankens unterstellen, auf alle Fälle war es recht unterhaltsam zu lesen. Als typisch triebhafte Russin wird auch die Küchenhilfe Bascha dargestellt, die bei jeder Gelegenheit, mehrmals am Tag, deutsche Gefangene vernascht und sie dafür mit ein bisschen Brot belohnt.
Dem vielzitierten Zeitgeist des Kalten Krieges entspricht auch die Charakterisierung der deutschen Ärzte, die edel, hilfreich und gut sowie natürlich Spitzenkönner sind. Hier fühlte ich mich an frühe vom ehemaligen Marineingenieur K. H. Scheer geschriebene Perry-Rhodan-Romane erinnert, auch hier waren die „Terraner“ quasi die „Deutschen“, allesamt „Spitzenkönner“. So auch Konsalik’s Dr. Böhler, der mit einem Taschenmesser, einem Faden und ein wenig Licht komplizierteste Operationen erfolgreich durchführt – ein klarer „MacGyver-Effekt“. Kein einziger Patient wird den deutschen Ärzten sterben, sie retten auch von den Russen als unheilbar abgeschriebene Fälle. Nebenher ist Böhler auch menschliches Vorbild: Er stellt das Wohl seiner Männer über sein eigenes, er gibt seine Chance nach Hause zu reisen auf, um einen unschuldigen SS-Arzt zu retten. Hier möchte ich auf ein Zitat verzichten, nur so viel: In schlimmen Zeiten geschehen schlimme Dinge, man hat zwar Unmenschliches getan, aber was soll man in solchen Zeiten schon dagegen tun? Eine der beliebtesten Ausflüchte und Verdrängungsmethoden – es war eben so, wie es war. Da konnte man nichts dagegen tun. Konsalik hebt dagegen Pflichtgefühl und Können der Ärzte hervor, und fragt, wie sich gerade die grausamen Russen als Richter über solche Männer aufspielen können.
Auch sonst malt Konsalik die Vergangenheit schön rosarot: Er erzählt von der Kameradschaft im Gefangenenlager, wo man sich brüderlich hilft und die knappe Nahrung teilt. Historisch belegt sind Fälle von Kannibalismus, Unterdrückung Schwächerer und dem nackten Kampf um das eigene Leben. Konsalik greift jedoch lieber den kommunistischen Spitzel auf, der von den Roten mit falschen Versprechungen zum Werkzeug gemacht wurde, der die Schande seiner eigenen Ehrlosigkeit nicht mehr ertragen kann und sich schließlich selbst richtet.
Es gibt in diesem Roman zahllose Beispiele, er besteht nahezu ausschließlich aus tendenziösen und anschaulichen Vergleichen, die deutsche Tugenden verdeutlichen und das Untermenschentum der Russen herausstellen. Das auch heute noch in aller Munde befindliche Klischee des polnischen Autodiebs legt Konsalik in abgewandelter Form dem russischen Dr. Kresin auch noch in den Mund: „Geklaut! Gibt es einen Russen, der nicht klaut?!“ Hier wurde medizinische Ausrüstung aus schnödem Eigennutz geklaut, und Bedürftige müssen deshalb sterben.
Der „Arzt von Stalingrad“ erzeugt bei der Leserschaft ein warmes, braunes Gefühl – ein wohlschmeckender Kakao für den, der ihn serviert haben möchte. Wer nur ein wenig über den Tassenrand hinausblickt, dem drängt sich eine ganz andere „braune“ Assoziation auf…
Das Herz der 6. Armee (1964)
Die 6. Armee kämpft in Stalingrad verbissen gegen den letzten schmalen Streifen Wolgaufer verteidigende Russen. Das Blatt wendet sich, als die russische Heeresgruppe Don unerwartet mit überlegenen Panzerverbänden die Front durchbricht und Stalingrad einkesselt. Der Arzt Dr. Körner erlebt das Sterben der ohne Winterkleidung erfrierenden, hungernden und verzweifelten deutschen Soldaten mit. Auf der anderen Seite der Front erlebt Major Kubowski ähnliches Grauen, unzählige Russen werden beim Angriff auf deutsche MG-Stellungen verheizt, er ist frisch verliebt in eine Krankenschwester und möchte einfach nur am Leben bleiben. In den Kriegswirren wird Körner von den eigenen Leuten zum Tode verurteilt, schließlich verpflegt er gemeinsam mit Kubowski’s Geliebter verwundete Soldaten beider Parteien.
„Das Herz der 6. Armee“ ist ein sentimentales Rührstück, in dem Konsalik’s Geisteshaltung stärker in den Hintergrund tritt und er auch kritisch die Leiden des russischen Soldaten betrachtet. Kameradschaft der Soldaten aller Nationen in der Blutmühle von Stalingrad – tapfere, einfache Männer, Helden, die den Irrsinn ausbaden müssen, den gewissenlose Vorgesetzte (Stalin, Hitler, Offiziere) zu verantworten haben. Überzeugend, klar und eingängig geschrieben. Auch dieser Roman bedient die Wünsche der Zuhörerschaft, er zieht seinen Reiz aus der oben genannten Form der Glorifizierung des einfachen, leidenden Soldaten. Obwohl auch das „Herz“ im politischen Grundtenor Konsaliks geschrieben ist, treten hier durchaus positive, kritischere Gedanken als purer Rassismus in Vordergrund, was den Roman sympathischer macht, wenn er bezeichnenderweise auch nicht annähernd den gigantischen Erfolg des „Arztes“ hatte.
Ein Musterbeispiel für Romane, die Konsalik zum „Anwalt“ des deutschen Soldaten machten. So war es, so grausam, und an allem waren Hitler, Stalin, verbohrte Nazi-Offiziere und der verfluchte Kommunismus schuld. Zwar grob vereinfacht, aber durchaus wahr – hier wird die von Stalingrad gepeinigte deutsche Seele gestreichelt, der Hass auf die primitiven Russen ist hier nicht mehr in dem Maße wie im „Arzt“ zu spüren. Überhaupt hat sich Konsalik im Laufe der Jahre entweder radikale Äußerungen verkniffen oder etwas mehr kritischen Abstand gewonnen. Das acht Jahre später erschienene „Herz“ ist nicht mehr so platt glorifizierend und zeigt auch mal feige Deutsche, die simulieren, um ausgeflogen zu werden.
Gleich geblieben sind die diesmal weniger derb ausgeprägten Liebesgeschichten, aber Konsalik wäre nicht Konsalik, wenn der Roman ohne Pathos wie plötzlich auftretende, leicht nationalsozialistisch inspirierte Ideale wie „Kameradschaft der Soldaten im Kampf“ und Ähnliches auskommen würde.
Fazit:
Man darf von Trivialliteratur nur eines erwarten: Dass sie unterhält. Das tut Konsalik, sogar sehr gut. Dabei bringt er jedoch so viele braune Ideale in seine Romane ein, dass ich die ohnehin sehr simpel und schematisch gestrickten Geschichten nicht wirklich genießen konnte. Er hat das Geheimnis seines Erfolgs selbst genannt: Er schreibt, was die Leser hören wollen und er schreibt es so, dass sie es verstehen. Einfach und eingängig. Bemerkenswert dabei der Unterschied zwischen den beiden Romanen: Ärze, Frauen, Liebe und Leid – dieselben Grundzutaten, einmal angerührt mit tiefbrauner Brühe, das andere Mal mit triefendem Pathos. Da das „Herz“ einige kritische Elemente und Erkenntnisse enthält, fand ich es durchaus lesens-, wenn auch nicht wirklich empfehlenswert.
Der „Arzt von Stalingrad“ war für mich erschreckend und lehrreich zugleich. So einfach kann man den harmlosen Otto Normalbürger dazu bringen, einmal kurz das Hirn abzuschalten, sich ganz altem Hass, Vorurteilen und Wünschen zu ergeben und geistig in den Reihen der braunen Bataillone mitzumarschieren. Überzeugt und dabei ganz und gar kein Nazi. Auf derselben Ebene gewann Hitler die Herzen von Millionen Deutschen.
Es mag ein zweifelhafter Trost sein, dass Konsalik auch Millionen von Nicht-Deutschen begeistert hat. Der „Arzt“ war sein großer Erfolg und prägte (leider) sicherlich das internationale Bild des Deutschen mit. Heute würde eine Neuerscheinung dieser Coleur wohl zu Stürmen der Entrüstung führen, damals entsprach sie jedoch genau der vorherrschenden Stimmung und wurde deshalb auch ein so großer Erfolg.
Hermann Göring, in der Nazi-Hierarchie direkt hinter Adolf Hitler stehend, ließ 1933 ein Jagdhaus errichten, das er zu einem Privatschloss ausbaute und mit geraubter Beutekunst vollstopfte. Carinhalls Mythos als Hort märchenhafter Schätze und geheimer Nazi-Bunker wurde durch die Zerstörung 1945 vollendet. Die Realität wurde für dieses Buch akribisch recherchiert und vorbildlich ausgebreitet. Carinshalls Geschichte wird sie mit der Biografie Hermann Görings verklammert. Hinter dem Nazi-Monument treten Größenwahns und brutaler Menschenverachtung zutage. Zahlreiche selten oder nie gezeigte Fotos, Pläne und Karten runden das informative und spannende Werk ab. Volker Knopf/Stefan Martens – Görings Reich. Selbstinszenierungen in Carinhall weiterlesen →
Kreativer Engpass oder einfach nur ein schlechter Tag? Die 29. Ausgabe des [Animalize-Magazins]http://www.animalize.de ist im Vergleich zu den älteren Heften sehr schwach ausgefallen. Das liegt nicht an den wie immer recht informativ geführten Interviews aus der Feder von Herausgeber Oliver Loffhagen und seinem Team. Nein, es liegt eindeutig an der Themenwahl. Wo sich das Heft in vergangenen Ausgaben als mehr als breite Zeitschrift für alle Metalsparten präsentierte, kommen in der Nummer 29 Fans von brachialen Klängen deutlich zu kurz. Dafür darf ein musikalischer Nichtsnutz wie Joachim WITT auf vier Seiten erzählen, dass die Redakteure beim Metal Hammer und im RockHard vielleicht einfach nur „ein kaputtes Verhältnis zur deutschen Spache haben“, weil sie ihn verreißen. Es ist schon ungewollt lustig, angesichts der WITTschen Abfallmusik so etwas zu behaupten. Auch das vierseitige Interview mit JADED HEART-Frontmann Michael Bormann glänzt mit grenzdebiler Komik: Macht sich dieser Typ doch a) über die Kommerzialität seiner Ex-Kollegen von BONFIRE lustig und ist er b) schon mal bei RTL zum besten BON JOVI-Double Deutschlands gewählt worden. Wer im Glashaus sitzt… Ach ja, und Michaela Schaffrath alias „rattenscharf“ Gina Wild erzählt auf zwei Seiten über ihr autobiographisches Hörbuch, auf das die Welt schon immer gewartet hat. Geht’s noch?!
Außer diesen zehn Seiten Totalverlust erzählen OOMPH! über ihre Liebe zu Regisseuren wie David Lynch und Stanley Kubrick, berichtet MANTAS über seine eigene Band und davon, dass von VENOM erstmal nichts mehr Neues kommt. Zum Glück! Richtig gut ist der Talk mit den FARMER BOYS, die unter anderem eine Brücke zwischen Frischmilch und Metal schlagen. Dagegen bleibt das Interview mit einer Berliner Popband namens POEMS FOR LAILA schleierhaft – was suchen solche Typen in einem Metalheft, auch wenn sie musikalisch noch so anspruchsvoll sind…?! Auf der „Gut-Seite“ stehen dagegen die Frage-Antwort-Spielereien mit den reunierten Thrashern von ASSASSIN und das Geflachse mit KNORKATOR, dagegen braucht eine Band wie EISBRECHER und ihre Antworten kein Mensch. Für Melodie-Junkies gibt es noch abgedruckte Gespräche mit TAD MOROSE („LEFAY gibt es noch!“), RUNNING WILD (Juhu, Rock’n’Rolf plant keine Biographie) und EIDOLON, indem Schlagzeuger Shawn jedes Stück des aktuellen Albums ‚Apostels Of Defiance‘ analysiert. Noch was vergessen? Ja, ein Interview mit den Melodicrockern von HOUSE OF LORDS… Hinten im Heft stehen noch elf Seiten Reviews, alle recht abwägend beschrieben. Ein Verriss fehlt leider… Dazu sind noch drei Seiten mit Musik-DVD-Rezensionen angefüllt.
Was bleibt? Der Eindruck, dass die Redakteure ruhig mal wieder interessantere und härtere Bands ins Heft nehmen dürfen, so wegen der inhaltlichen Vielfalt. Dann kann man auch über das zum Teil schludrige Interview-Layout hinwegsehen, bei dem manchmal nicht zu erkennen ist, wo überhaupt die erste Frage des Gesprächs steht… Außerdem würden Albencover die Bleiwüste mit den CD-Reviews spürbar auflockern. Das Fazit kommt als eine Schulnote: Vier Plus, aber auch nur, weil es das Heft kostenlos gibt…
Vor zweieinhalb Jahrtausenden endete ein mit Schätzen beladenes Perserheer in der ägyptischen Wüste. Jetzt wollen fundamentalistische Terroristen die Kostbarkeiten an sich bringen. Eine junge Engländerin ist jedoch schneller, was eine wilde Verfolgungsjagd anheben lässt … – Angestrengt ambitionierte, tatsächlich anspruchslose und unbeholfene Mischung aus historischer Mystery und Polit-Thriller: Lektüre vor knatterbunter Exotik-Kulisse für einen schon halb von Schlaf geprägten Feierabend. Paul Sussman – Der Fluch der Isis weiterlesen →
Dem neunjährigen Gareth wird die Ehre zuteil, eine Stellung am Hofe des Königs von Vinnengael anzutreten. Und zwar als Prügelknabe des Prinzen Dagnarus. Gareth schließt schnell Freundschaft mit dem Prinzen, gerät dabei jedoch in eine Abhängigkeit, die er später bitter bereuen wird. Zur gleichen Zeit tritt der Elf Silwyth, Spion des Schildes (Kriegsherr der Elfen), die Stellung als Hofkämmerer des Prinzen an. König Tamaros erhält von den Göttern den Stein der Könige, um Einigkeit zwischen den Völkern der Elfen, Orks, Zwerge und Menschen zu schaffen. Doch der Stein hat auch einen Haken. Während Prinz Helmos, der Thronerbe, zum Paladin wird, strebt Dagnarus selber nach dem Thron. Dabei verfällt er der Magie der Leere und bringt Unheil über das Land.
Langsam und mit Ruhe führen Weis und Hickman den Leser in die Geschichte ein. Auf den ersten 250 Seiten wird beschrieben, wie Gareth Prinz Dagnarus und den königlichen Hof kennen lernt. Dies wird so ausführlich gemacht, dass man jeden Gang, jedes Zimmer und jeden Brauch direkt vor Augen hat. Es wird allerdings nie langweilig, denn mit einer Prise Humor beschrieben, lernen wir auch die anderen, dem Fantasyleser wohlbekannten Völker kennen. Doch in diesem Roman sind die Rassen alle ein wenig anders als gewöhnlich. Da wären die Orks, die in dieser Welt ein abergläubisches Volk von Seefahrern sind, deren Oberhaupt der Kapitän ist. Die Zwerge sind erstaunlicherweise ein Reitervolk (wer hätte das gedacht). Anstatt in Höhlen zu leben, lieben sie die Weite der Steppe. Und die Elfen weisen einige Parallelen zum alten Japan auf. Geistiger Führer ist der Göttliche, in Japan der Tenno (Kaiser). Der Schild des Göttlichen ist dementsprechend der Shogun (der oberste Kriegsführer). Die Elfen leben nach einem Kodex, der sehr dem der Samurai ähnelt. Verliert ein Elf seine Ehre, wird von ihm erwartet, dass er um Beendigung seines Lebens bittet. Allerdings hat ein Elf auch keine Hemmungen, einen anderen hinterrücks zu erstechen. Die Magie dieser Welt ist den Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft gewidmet. Das fünfte Element ist die Leere, deren Lehre verboten ist.
Nach 250 Seiten kommt die Geschichte dann, mit einem Zeitsprung von zehn Jahren, langsam in Fahrt. Die Fronten werden immer klarer und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Obwohl die Positionen fast aller Figuren von Anfang an klar sind, gelingt es den Autoren, ein Netz von feinsinnigen Intrigen zu spinnen. Die interessanteste und tragischste Figur ist hierbei Gareth, der es einfach nicht schafft, dem Einfluss des Prinzen zu entkommen. Obwohl dieser ein durchaus sympathisches Weichei ist, ist er neben Gareth eigentlich der „Böse“. Dadurch trägt er einen entscheidenden Teil zum verhängnisvollen Schicksal Vinnengaels bei.
Überraschenderweise hat der Verlag diesmal das Buch, obwohl 637 Seiten lang, in einem Band herausgebracht. Als erster Teil einer Reihe, von der drei Teile erschienen sind, hat der Roman trotzdem eine abgeschlossene Handlung. Und ich muss sagen, dass mich das Ende doch überrascht hat. Der zweite Band, „Der junge Ritter“, spielt 200 Jahre in der Zukunft, es tauchen dort allerdings einige bekannte Figuren wieder auf. Abgeschlossen wird die Trilogie durch „Die Pforten der Dunkelheit“, das im Frühjahr 2004 erschien.
Wer schnelle Action und große Schlachten wie in denn Drachenlanze-Romanen erwartet, der wird enttäuscht werden. Doch wer Zeit und Geduld aufbringt, sich ruhig, ausführlich und nicht ohne Humor in das Buch einführen zu lassen, der wird mit einer detailreichen und faszinierenden Welt belohnt sowie einer spannenden Geschichte, deren Ereignisse sich am Ende überschlagen.
_Markus Mäurer_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|
Mike Hammer, Privatdetektiv in New York, hat es eilig. In seinem Büro wartet ein neuer Klient. Er kennt Tony DiCica nicht und wird ihn auch nicht mehr befragen können, denn als er eintrifft, findet er zunächst seine Assistentin und Geliebte Velda mit fast eingeschlagenem Schädel vor. Hinter Hammers Schreibtisch sitzt festgebunden auf seinem Stuhl besagter DiCica mit durchschnittener Kehle; die toten Augen starren auf die eigenen Fingerspitzen, die der Mörder abgeschnitten und fein säuberlich auf der Schreibunterlage aufgereiht hat. Dazu gibt‘s eine kryptische Botschaft: „Du stirbst, weil du mich getötet hast – Penta“.
Wer ist Penta? Hammer hat keine Ahnung. In seiner wild bewegten Laufbahn ist er nie mit jemandem dieses Namens zusammengestoßen. Dummerweise will ihm das niemand glauben. Die Polizei – hier vertreten durch Hammers alten Kumpel Pat Chambers – genauso wenig wie das FBI, die CIA oder die eiskalte, ehrgeizige Bezirksstaatsanwältin Candace Amory. Sie alle drängen Hammer, über Penta auszupacken, von dem sie allerdings sehr viel mehr zu wissen scheinen als ihr Verdächtiger.
Brenzlig wird es für Hammer, als ihn Gangster entführen, mit Wahrheitsserum vollpumpen und ebenfalls über Penta befragen. Dies ist der Tropfen, der das ohnehin flache Fass der Hammerschen Toleranz erst zum Überlaufen und dann zum Kochen bringt. Zu allem Überfluss mehren sich die Anzeichen dafür, dass es ‚Spezialisten‘ des Außenministeriums waren, die den Detektiv so rüde in die Mangel nahmen.
Dann beginnt sich auch noch Mafia für das Penta-Geheimnis zu interessieren. Wie kann Hammer beweisen, dass er nichts weiß, seine Haut retten und gleichzeitig Rache nehmen für den Anschlag auf die geliebte Velda? Er findet seinen Weg, der ihn in die Albtraumwelt diverser Verschwörungen, des organisierten Verbrechens und des internationalen Terrorismus‘ führt …
Mörderisches Märchenland
Stets hat es ‚Privatdetektiv‘ Mike Hammer selten in der seinem Berufsstand zugewiesenen Nische gehalten. Irgendwie wurde er stets in Gangsterkriege, in Machtübernahmeversuche des organisierten Verbrechens oder gar in Übeltaten verwickelt, die ganze Nationen ins Chaos stürzen konnten. Dem einsamen, harten aber redlichen Mann aus den dunklen Straßen von New York blieb es dann überlassen, mit eiserner Faust dem Recht zum (blutigen) Sieg zu verhelfen.
Mit der Realität hatte Hammers Schöpfervater Mickey Spillane dabei nie viel am Hut. Auch den Plot von „Tote kennen keine Gnade“ unterzieht man besser keiner strengen Musterung. Selbst der politische Laie weiß, dass Terroristen US-amerikanische Vizepräsidenten in Serie abschießen könnten, ohne dadurch mehr als Verwunderung oder Hohngelächter hervorzurufen; so übernimmt man die Macht im Staate jedenfalls nicht!
Auch Spillanes Vorstellungen vom Organisationsgrad der Mafia, vom Funktionieren der Polizei- und Justizbehörden oder der Geheimdienste sind – vorsichtig ausgedrückt – sehr subjektiv. Darauf kommt er freilich gar nicht an: Mike Hammer-Thriller sind Krimi-Science-Fiction; sie spielen in einer Welt, die der unseren zwar gleicht aber nicht deckungsgleich mit ihr ist. Primär geht es in Spillanes Kosmos um Schlägereien, Schusswechsel und triebhaften Sex.
Heimkehr eines alten Kriegers
Die Befriedigung der sogenannten „niederen Triebe“ funktioniert auch vierzig Jahre nach Hammers Debüt, doch fehlt die Wucht von einst: 1989 gehörten Brutalität und Menschenverachtung längst zum normalen Unterhaltungsgeschäft. Deshalb wirken Hammers Gewaltausbrüche, vor allem aber seine Breitwand-Macho-Allüren eher unfreiwillig komisch als schockierend.
Altmodisch ist er geworden, sogar nostalgisch. Gemächlich geht es bei aller Gewalt voran mit dem Penta-Fall. Von Hightech-Verbrechen keine Spur. Wie in den 1940er Jahren sind schmuddlige Autowerkstätten oder einsame Hütten in der Nacht die Schauplätze. Auch New York wurde die Gegenwart nur notdürftig übergestülpt. Spillane nimmt sich Zeit, erstaunt mit stimmungsvollen (wenn auch leicht mechanischen) Schilderungen moderner Großstadt-Tristesse und bemüht sich sogar um eine richtige Geschichte, statt nur Knalleffekt an Knalleffekt zu reihen.
Wobei die größte Überraschung Mike Hammers Rückkehr ist. Niemand hatte im Jahre 1989 noch mit ihm gerechnet. Immerhin waren 18 Jahre vergangen, seit er sich mit dem (nicht gerade gelungenen) Krawall-Krimi „Survival … Zero!“ (dt. „Keine Chance“/„Flucht ist sinnlos“) von seinen Fans verabschiedet hatte.
Erst schießen, selten fragen
Nun macht „Tote kennen keine Gnade“ das Dutzend voll. Bange fragt sich der Leser, ob der alte Feuerfresser womöglich altersmilde geworden ist. Keine Sorge, sobald sich die Welt gegen die „Lex Hammer“ vergeht, tanzen dem sogleich wieder die bekannten feuerroten Blutrausch-Nebel vor seinen Augen. Hammer will nicht unbedingt den Fall klären, sondern primär jene austilgen, die seine Velda niederschlugen und ihm den Tag versauten.
Freudig heißt er dabei so viele Gegner wie möglich willkommen. Korrupte oder auch nur geheimniskrämerische Schreibtischhengste verdrischt er genauso gern wie Mafiapack und anderes Gesindel. Diplomatie ist ein Fremdwort für Hammer, Drohungen fruchten bei ihm überhaupt nicht. Man kann ihm höchstens den Weg ein wenig ebnen, damit er nicht gar zu viele Passanten niedermacht. Freund Pat hat das längst begriffen und praktiziert diese einfache Regel mit einigem Erfolg. Insgeheim denkt er ähnlich wie Hammer und profitiert gern von dessen Freiheiten von der Dienstvorschrift.
Frauen bekommen in Mike Hammers Welt auch um 1990 nur Statistenrollen. Velda wird angebetet und blutig gerächt (aber bedenkenlos betrogen, wenn sich die Gelegenheit ergibt). Ansonsten gibt es nur Zicken und Huren, die mit viriler Männlichkeit auf Hammers Kurs gebracht oder umgebracht werden. Da ist es klar, dass der Eisberg Candace Amory bald schmelzen oder zu Würfeln verarbeitet wird.
Die Welt hat sich gedreht
Ansonsten hetzt Hammer manchmal wie sein eigenes Gespenst durch New York. Er müsste inzwischen um die 80 Jahre alt sein, was natürlich schlecht zur Rolle passt. Deshalb alterte Hammer nach „Survival … Zero“ nicht mehr. Spillane macht daraus auch keinen Hehl und treibt manchen Scherz über den Anachronismus, zu dem Mike Hammer geworden ist. Er hängt an seiner hoffnungslos veralteten .45er, kennt Computer nur vom Hörensagen und Handys (jawohl, die gab es 1989 schon) gar nicht. Schnüfflerarbeit ist Fußarbeit.
„Penta“ ist als Serienkiller für den Leser keine Offenbarung. 1988 war Hannibal Lecter auf der Bildfläche erschienen und hatte sogleich das Genre auf seine Weise revolutioniert. Der fixe Spillane hatte niemals Probleme damit, sich einen Trend zunutze zu machen. Wie es typisch ist für ihn, streicht er die morbide-faszinierenden Elemente der modernen Kultfigur „Serienmörder“ bzw. vergröbert sie und hebt ihre blutig-brutalen Züge hervor.
Für Spillane haben Psychopathen nichts Anziehendes. Sie sind für ihn Abschaum, der ausgerottet werden muss. Dass er dafür eine andere Art von Psychopath von der Kette lässt, könnte dem boshaften Humor des Verfassers geschuldet sein. Wo gehobelt wird, fallen Späne, und so muss schon einer wie Hammer das Werkzeug gegen die Pentas dieser Welt sein.
Autor
Frank Morrison „Mickey“ Spillane, geboren am 9. März 1918 in Brooklyn, New York: ein Selfmademan nach US-Geschmack, aus kleinen Verhältnissen stammend, in 1001 miesen, unterbezahlten Jobs malochend, doch mit dem amerikanischen Traum im Herzen und nach allen Mühen den gerechten Lohn – Geld, Ruhm, Geld, Anerkennung und Geld – einstreichend.
Vorab stand ein Intermezzo im II. Weltkrieg, in dem Spillane angeblich als Fluglehrer und aktiver Kampfflieger tätig war; die Beweislage ist freilich dünn. Eine Beschäftigung als Comic-Zeichner ist dagegen belegt. 1946 ins Zivilleben zurückgekehrt, machte sich Spillane voller Elan an den Durchbruch. Er berücksichtige alles, was gegen den zeitgenössischen Sittenkodex verstieß, und schrieb in neun Tagen „I The Jury“ (1947, dt. „Ich, der Richter“), das erste Abenteuer des raubeinigen Privatdetektivs Mike Hammer, dessen Name Programm war. Der erhoffte Aufruhr war genauso heftig wie der Verkaufserfolg. Spillane ließ seinem Erstling weitere Hammer-Brachialwerke folgen und wurde ein reicher Mann.
Für einige Jahre hielt er sich schriftstellerisch zurück, fuhr Autorennen, arbeitete als Zirkusartist und gründete eine Filmgesellschaft. Hier gönnte er sich den Spaß, Mike Hammer in dem B-Movie „The Girls Hunters“ (1963, dt. „Der Killer wird gekillt“/„Die Mädchenjäger“) höchstpersönlich zu mimen. In den 1960er und 70er Jahren wurde Spillane wieder aktiver. Mit dem Geheimdienst-Söldner „Tiger Man“ schuf er sogar einen noch grobschlächtigeren Charakter als Mike Hammer. Aber die Kritik verschweigt gern, dass Spillane auch als Jugendbuch-Autor hervortrat. Für „The Day the Sea Rolled Back“ wurde er 1979 mit einem „Junior Literary Guild Award“ ausgezeichnet.
1971 hatte Spillane die Hammer-Serie beendet, sie aber 1989 unter dem erhofften Mediendonner wieder aufleben lassen. Natürlich war Hammers große Zeit längst vorüber; Brutalität und Menschenverachtung gehörten inzwischen zum normalen Unterhaltungsgeschäft. Aber der böse Bube erwies sich als zäh, kehrte 1996 in „Black Alley“ (dt. „Tod mit Zinsen“) noch einmal zurück und überlebte sogar Spillanes Tod am 17. Juli 2006: Ab „The Goliath Bone“ (2008) mräumt er nun betreut Max Allan Collins – weiterhin kräftig in der Verbrecherwelt auf.
Taschenbuch: 250 Seiten Originaltitel: The Killing Man (New York : E. P. Dutton 1989) Übersetzung: Lisa Kuppler
Der Autor vergibt: (3.0/5) Ihr vergebt: (9 Stimmen, Durchschnitt: 1,44 von 5)
Der |Piper|-Verlag gibt derzeit deutschsprachiger Fantasy eine größere Chance in seinem Programm und setzt nicht mehr nur auf ausländische Autoren. So ist im Sommer 2003 mit „Der Wahrträumer“ auch der erste Band eines 12-teiligen Zyklus, entworfen vom vierköpfigen Autorenteam |Magus Magellan|, erschienen. Anders als viele Fantasy-Romane behandelt die Saga der „Gezeitenwelt“ nicht das unerschöpfliche Thema des „Kampfes einer Schar Auserwählter gegen das (Ur-)Böse“, sondern erschafft eine eher phantastisch-realistische Welt, für die man sachkundigen Rat von Geophysikern, Archäologen, Anthropologen und Biologen eingeholt hat. Die Autoren beschäftigen sich mit der Frage, welche Auswirkungen der Einschlag eines Asteroiden auf die Länder und Völker der Gezeitenwelt hat – und wie die Folgen der Katastrophe Gesellschaft und Kultur verändern können.
Der Autor von „Der Wahrträumer“, Bernhard Hennen, ist allerdings kein Neuling mehr. Mit etwa fünfzehn phantastischen und historischen Romanen, wie „Die Könige der ersten Nacht“, sowie seinen Arbeiten an Rollenspielsystemen ist er schon einer der bekannteren deutschen Autoren.
Alessandra Paresi hat es nicht leicht, in ihrem Dorf zu überleben. Die meisten verachten die Waise und halten sie für einen Unglücksbringer. Nur der Stumme Tormo und der kauzige Einsiedler Orlando halten zu ihr. Dann aber scheint das Mädchen sein Glück zu machen. Durch einen überraschenden Walfang – denn es ist auch noch ein Wagnis, die am Strand angespülten Riesen des Meeres zu töten -, wird sie zur reichsten Frau des Dorfes.
Daran kann sie sich aber nicht lange erfreuen. Eine Abordnung der Priesterschaft des |Abwesenden Gottes| erscheint. Um einen immer heller leuchtenden Stern zu bannen, sollen Auserwählte sich als Märtyrer zu Tode fasten, und Alessandra soll eine davon werden. Doch das Mädchen beginnt, auf der Reise an dem Sinn ihres Opfertodes zu zweifeln und wehrt sich dagegen. Schließlich flieht sie und kehrt zurück, aber sie findet ihre Heimat vernichtet vor. Nur wenige haben das Desaster überlebt und können berichten, was geschehen ist, unter ihnen auch ihre Freunde. Der in das Meer gestürzte Stern hat eine riesige Springflut ausgelöst. Diese verheerte die Küsten.
Ihre Verfolger brechen die Suche ab, denn durch die Katastrophe bricht Chaos aus und man benötigt jeden Glaubenskämpfer und Priester, um die Ordnung im Land aufrecht zu erhalten. Denn nicht weltliche Fürsten, sondern die Kirche des |Abwesenden Gottes| regiert hier mit strenger Hand. Einer ihrer Vertreter ist Francesco, der trotz seines Versagens, die Märtyrerin zum Heiligen Berg zu bringen, zum obersten Richter einer Provinz ernannt wird. In den nun folgenden Monaten hat er alle Hände voll zu tun, um Gerechtigkeit walten zu lassen, denn Missernten, Kälte und Hunger lassen die Menschen aufbegehren. Deshalb ist es umso wichtiger, die zu bestrafen, die sich an der Not bereichern wollen, wie etwa einen reicher Kaufherrn. Und dann ist da noch ein unheimlicher |Atemdieb|, der Menschen die Kraft raubt und sie dahinsiechen lässt. Ist er nur ein Hirngespinst der Kranken und Hungernden oder tatsächlich ein übernatürliches Wesen, das zum Erbe einer längst vergessenen Vergangenheit gehört? Bei seiner Suche nach Antworten entdeckt Francesco Geheimnisse, die einem Menschen den Tod bringen können.
Neben seinen Aufgaben versucht der Priester immer noch, seinen Fehler wieder gut zu machen, und lässt Alessandra, die sich mittlerweile mit Tormo und Orlando in die Berge zurückgezogen hat, jagen, bis man ihm auch dies verbietet, da andere Aufgaben wichtiger scheinen.
Die junge Frau findet indessen Unterstützung bei einer Gruppe, die gegen die strenge Herrschaft der Kirche aufbegehrt, aber um dort wirklich anerkannt zu werden, soll sie ein Zeichen setzen, und den |Atemdieb| erledigen, der in einer Stadt sein Unwesen treibt. Das bedeutet für sie aber auch, sich unter den Augen ihrer Häscher zu bewegen. Der alte Orlando ist bei diesem Unterfangen an ihrer Seite, doch auch er ist in Gefahr, da er auf der Todesliste der Kirche steht, wie sich nun herausstellt.
Fern dieser Ereignisse versucht der Seruun, die Anfeindungen verschiedener Angehöriger seines Volkes zu überleben und eine neue Heimat bei einem anderen Stamm zu finden. Der junge |Geistertänzer| ist ein mächtiger Schamane, der nicht nur die Rituale beherrscht, sondern auch über mächtige Kräfte gebietet. In seinen Träumen vermag er, die Zukunft zu sehen, doch wer hört schon gerne auf jemanden, der nur Not, Verzweiflung und Katastrophen, wie einen langen Winter, voraussieht. Erst als seine Ahnungen eintreffen, vertraut man seinem Wort, dass es besser ist, in den Süden zu ziehen, aber auch dort sind die Nomaden Widerständen ausgesetzt – durch Einheimische, die ihr Land verteidigen…
Die Idee, eine Welt zu schildern, in der nach einer Katastrophe der Mensch des Menschen größter Feind ist und Magie eine weitestgehend untergeordnete Rolle spielt, ist in der Fantasy bisher nur selten verwendet worden, da das Thema leicht in die Science-Fiction abgleiten kann. Deshalb verzichtet Bernhard Hennen bewusst auf die Verwendung technischer oder wissenschaftlicher Begriffe, sondern konzentriert sich darauf, in zwei Handlungssträngen eine spätmittelalterliche Gesellschaft zu schildern, die von Glauben und Aberglauben in festem Griff gehalten wird. Nicht zuletzt orientieren sich Kirche und Ritterschaft ganz eng an christlichen Vorbildern; Kultur, Gesellschaft, Landschaftsbeschreibungen und Namen sind an die des westlichen Mittelmeeres angelehnt. Geschickt vermischt er kirchliche Intrigenspiele und mystizistische Geheimniskrämerei, wie sie aus vielen historischen Romanen bekannt sind, mit einem eher abenteuerlichen Handlungsstrang um die eigensinnige Harpunierin Alessandra. Schamanismus und Indianerromantik bringt dagegen der dritte Handlungsstrang um den |Geistertänzer| Seruun ein, der zunächst allein und später mit seiner Gefährtin Grasfeder ums Überleben kämpft.
Bernhard Hennen weiß in „Der Wahrträumer“ das Konzept geschickt und stimmungsvoll umzusetzen, so dass kaum Langeweile aufkommt. Leider hat der Roman auch Schwächen: Zwar besitzt jeder Handlungsstrang eine eigene Dynamik, die ihn vorantreibt, aber Bernhard Hennen gelingt es nicht, die drei Themen am Ende richtig zusammenzuführen oder aufzulösen. Gerade die letzten 50 Seiten des Buches wirken gedrängt und überhastet, als sich die Ereignisse um den |Atemdieb| und Alessandra plötzlich überschlagen, und werden nur zu einem geringen Teil aufgeklärt – fast so, als würden die Geschehnisse in einem weiteren Roman fortgesetzt werden. Beschreibungen von Umgebung und kulturellen Eigenheiten oder innerkirchlichen Intrigenspielen nehmen wie in einer Rollenspielkampagne einen großen Raum ein, während die Charakterisierung der Figuren eher in den Hintergrund tritt. Selbst die Hauptfiguren Seruun, Francesco und Alessandra bleiben blass und lassen sich auf wenige Züge zusammenstreichen, der interessante Hintergrund einiger Nebenfiguren wird nicht weiter ausgeführt. Action und Spannung wird durch äußere Elemente wie Folter erzeugt.
Daher werden vor allem Leser, die dem Rollenspiel offen gegenüberstehen, auf ihre Kosten kommen. Trotzdem bleibt zu wünschen, dass die zukünftigen Autoren des Zyklus, Hadmar von Wieser, Thomas Finn und Karl-Heinz Witzko, auch der Geschichte und den Charakteren ein wenig mehr Raum geben. Auf jeden Fall lohnt es sich, das Projekt erst einmal weiter zu verfolgen, da es sich abseits der üblichen Genrethemen bewegt.
Dorothea S. Baltenstein wurde um 1890 in Schleswig geboren und lebte in der Nähe von Kattowitz. Das Manuskript dieses Romans gelangte 1944/45 durch Erbschaft und die Wirren der Vertreibung aus Schlesien nach Jena, wo es der Berliner Michael Schmid veröffentlichen ließ.
Und genau diese Geschichte um die Autorin von „Vier Tage währt die Nacht“ ist ein reines Phantasieprodukt des |Eichborn|-Verlags, wo der Roman erstmals 2002 erschien. Die Dame hat nie gelebt und dementsprechend auch nie ein Buch geschrieben. Die wahren Autoren sind vier Berliner Schülerinnen und ihr Lehrer, besagter Michael Schmid, wie die Presse herausfand.
So ungewöhnlich diese Tatsache schon ist, genauso ungewöhnlich und herrlich spannend geht es eine vier-Tage-währende-Nacht auch weiter. Doch ich greife vor, denn ich sollte wohl zuerst erwähnen, dass Sir Mortimer Pope, ein angesehener Poet und Schriftsteller, neun weitere namhafte Autoren in sein schottisches Schloss eingeladen hat, damit alle gemeinsam ein unübertreffliches Werk erschaffen, das die Literaturwelt noch nicht gesehen hat.
Und ich vergaß: Wir befinden uns im Jahre 1817, wo großartige Autoren wie z.B. Sir Walter Scott mitten in ihrem Schaffen stehen und die Welt zwar mit nahrhafter Poesie versorgt ist, allerdings die napoleonische Nachkriegszeit den Menschen noch zu sehr im Nacken sitzt, um ihr den gebührenden Respekt zu erweisen. Genau das möchte aber Sir Mortimer ändern und so treffen die neun Poeten, Dichter und Schriftsteller nach und nach ein, um sich selbst beim ersten Abendmahl kennenzulernen:
Der Vikar Father Thomas Olivier, ein scheinbar gütiger und ruhiger schottischer Geistlicher.
Der Engländer Robert Milton, der trotz seiner jungen Jahre dunkle Erfahrungen mit sich herumzutragen scheint.
Die junge, schöne Nightingale Dubois, die sich der Schauerliteratur verschrieben hat und für Sir Mortimer fast eine Nichte ist.
Das Schriftsteller-Ehepaar Alice und Geoffrey Stalliot, sie eine dunkle, traurige Schönheit und er ein korpulenter, dem Alkohol sehr zusprechender Mann.
Der schottische Professor Wilbur Prescott, in der Tat ein zerstreuter Professor, ein Gelehrter in Philosophie und Geschichte.
Der Vicomte de Marais, ein französischer, äußerlich reservierter Aristokrat und Dichter.
Der Amerikaner Samuel E. Goldsmith, dessen Repertoire Reiseberichte, politische Essays und politische Schlüsselromane umfasst.
Und nicht zuletzt der Erzähler der Ereignisse: Jonathan Lloyd, der sich sofort in Nightingale verliebt und selbst der Sohn eines engen Freundes von Sir Mortimer ist und diesen bereits jahrelang kennt und liebt.
Die sich dem Abendmahl anschließende Burgführung sorgt dann auch für die erste Aufregung, denn Sir Mortimer erzählt die düstere Geschichte der Lady Lorraine, die aus zurückgestoßener Liebe dem Wahnsinn anheim fällt und schließlich auf dem Scheiterhaufen endet. Der Legende nach geht ihr Haus |Dull Manor|, unmittelbar neben dem Schloss gelegen, alle hundert Jahre in Flammen auf – und das wäre genau diese Nacht, in der die Gäste angekommen waren.
Der Erste, den das Unglück noch in der gleichen stürmischen Nacht trifft, ist der Comte de Marais, der mit der einstürzenden Zugbrücke, dem einzigen Zugang zum Schloss, in die Tiefe gerissen wird. Den geschockten Poeten ist klar, dass der Comte das brennende |Dull Manor| sehen wollte – in der Tat steigen von dem Haus Rauchsäulen in den Himmel -, aber die Brücke hätte niemals von dem Sturm zerstört werden können, dazu war sie zu stabil. Was war passiert? Hatte der Comte das Feuer selbst gelegt und war gar noch am Leben? War er ein Irrer, der durch Tod seine poetische Phantasie anregt?
Goldsmith und Lloyd machen sich auf die Suche nach Hinweisen, als der nächste Todesfall in der zweiten Nacht hereinbricht: Geoffrey Stalliot wird im Weinkeller von herabstürzenden Weinfässern erschlagen. Kurz zuvor hatte er sich mit seiner Frau heftig gestritten und Lloyd hörte, dass er sie misshandelt und sie ihn betrogen hatte. Hatte sie ihren Mann zusammen mit ihrem neuen Liebhaber Milton umgebracht? Hatte sie auch den Comte ermordet, den sie bereits vor Ankunft im Schloss kannte?
Während gegenseitige Anschuldigungen und Verdächtigungen das literarische Unternehmen aussichtslos werden lassen, verfällt Sir Mortimer immer mehr in Depressionen und Schuldvorwürfen und der Bote, der den Eingesperrten Rettung bringen könnte, kommt erst in wenigen Tagen…
Während ich diese Zusammenfassung schreibe, wünschte ich, ich hätte dieses Buch noch nicht gelesen, damit ich noch einmal völlig unwissend in dessen spannenden Abgründe eintauchen und fieberhaft die Seiten umblättern könnte, um dem Mörder schrittweise näherzukommen und ihm dann überraschend gegenüberzustehen.
Jeder einzelne der Charaktere hinterlässt einen bleibenden Eindruck, jeder, außer unserem Erzähler, ist verdächtig und wird unter die Lupe genommen. Der Leser interpretiert in jede Bewegung, jedes Wort, jede Mimik alles und nichts hinein, weil alle Poeten ihre sympathischen, bemitleidenswerten und negativen Seiten haben. Was für ein Detektivspiel, das die Autoren da erschaffen haben!
Bestechend und eindringlich ist die perfekte Einheit zwischen Wort und Handlung, die dieses Buch von der ersten Seite an beherrscht. Die Literatur durchzieht das Geschehen wie eine Welle, mal ganz sanft, fast unterschwellig, mal aufbäumend und Beachtung erzwingend. Folgender Dialogausschnitt zeigt, welche Poesie und auch Philosophie den Leser erwartet:
|“Ich debattierte unlängst mit einem Freunde“, erzählte der Graf, „und es ging um die Frage, ob man heutigen Tages eine neue Geschichte überhaupt noch schreiben könne. Er glaubte – und es trieb ihn in die Verzweiflung -, dass alle Geschichten schon geschrieben seien. Und ich sagte zu ihm: Lieber Freund, solange der Mensch existiert, den in seiner seelischen Tiefe auszuloten wir niemals ganz erreichen werden – nur sehr wenigen ist dies gelungen, ich nenne Shakespeare -, einerlei, so lange wird es die Möglichkeit zu Geschichten geben, einmal vorausgesetzt, dass alle Geschichten mit Menschen zu tun haben. Das ist es, beiseite gesprochen, was mir Dichtung, Bücher einzig interessant macht: Es geht um Menschen. Und aus jedem guten Buch lerne ich Neues über sie.“
Ich blieb still, verwundert darüber, dass er just den Punkt angesprochen, der mir selbst zuvor durch den Kopf gegangen, die Vielschichtigkeit und Undurchschaubarkeit der Menschen.
„Nehmen Sie Mythen, Sagen, Märchen“, fuhr der Comte fort. „Sie sind wahr, weil sie uns etwas über Menschen erzählen. Wie Sie wissen, beschäftige ich mich selbst intensiv damit. Ich habe Tieck und Jakob und Wilhelm Grimm selbst kennen gelernt herüben in den deutschen Ländern. Was für Männer, welch bedeutende Wissenschaftler, Miss Nightingale, Mr. Lloyd! Ja, in den Gesprächen mit ihnen damals ward ich mir erstmals der Bedeutung von Märchen in ihrer ganzen, großartigen Universalität bewusst. Denn es ist ein grobes Missverständnis unserer Zeit, diese Gattung abzutun als lediglich den Stoff, aus dem man Kindern Gutenachtgeschichten offeriert, damit sie besser schlafen. Nein, insofern, als auch hier Menschen zu Gebote stehen, über die verhandelt wird, muss man auch hierbei vom Stoff reden, aus dem die Träume sind. Die Grimms ziehen durch die deutschen Lande mit Papier, einem Stift und offenem Geist und notieren, was sie hören, und sie haben mit dieser Ausrüstung schon jetzt einen ungeheuren Schatz geboren.“|
Der Leser wird langsam in die Geschichte eingeführt, das erste Abendmahl mit Personenvorstellung und die Burgführung sind fast 130 Seiten lang. Ich habe den Fehler begangen und war zu ungeduldig, um sie gebührend zu genießen, also macht es besser. Denn jede Seite zaubert herrlich düstere und geheimnisvolle Bilder hervor, bevor sich eine prickelnde, zum Zerreißen gespannte Atmosphäre einschleicht, die mich nicht mehr losließ, bis ich die letzte Seite mit einem bedauernden Seufzer schloss und wusste, mit diesem Buch einen echten Schatz gefunden zu haben, den ich noch oft zur Hand nehmen werde!
Fazit: Ein dichterisch glänzendes, spannendes und verzauberndes Werk mit großartigen Charakteren, in dem Spannung, Liebe, Melancholie, Philosophie und Psychologie, kleine und große Geheimnisse und vor allem Poesie zu einer unter die Haut gehenden Atmosphäre verbunden werden.
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