Tess Gerritsens erster Roman aus der Jane-Rizzoli-Reihe, [„Die Chirurgin“, 1189 erhielt viel internationales Lob. Das Erfolgsrezept des blutliebenden Serientäters ging auf. Wieso sollte man also nicht das gleiche Thema noch einmal verarbeiten?
In ihrem Krimi „Der Meister“ setzt die Autorin die Geschichte aus „Die Chirurgin“ fort. Detective Jane Rizzoli, die einzige Frau in der Mordkommission des Boston Police Department, hat gerade den perversen Serientäter Warren Hoyt, der sie beinahe getötet hat, hinter Gittern gebracht. Eines Tages wird sie in ein hübsches Bostoner Villenviertel gerufen, wo die Leiche von Dr. Richard Yeager in dessen Haus gefunden wurde. Der Arzt lehnt an der Wand, gefesselt und mit durchgeschnittener Kehle. Das Vorgehen erinnert stark an jenes des „Chirurgen“, wie Hoyt genannt wurde. Als sie die verschwundene Frau des Arztes vergewaltigt und ebenfalls erstochen in einem abgelegenen Waldstück finden, wird Jane Rizzoli klar, dass jemand den Chirurgen imitiert. Panik macht sich in ihr breit, was besonders dem zu Rate gezogenen Agenten des FBI Anlass zur Sorge gibt, ob sie diesen Fall leiten sollte.
Doch Jane setzt sich durch und ermittelt weiter. Wie sehr sie sich damit in Gefahr bringt, wird ihr erst klar, als sie alarmierende Neuigkeiten aus dem Hochsicherheitsgefängnis, in dem Warren Hoyt einsitzt, erreichen. Dem Mann, der eine perverse Freude am Töten hat, ist es gelungen zu fliehen, und er hat nicht nur eine Rechnung mit Jane offen, sondern auch einen Gleichgesinnten, der die Yeagers getötet hat …
Die Geschichte, die Tess Gerritsen in „Der Meister“ erzählt, ist wahrlich nichts Neues. Wir haben einen perversen Serientäter, der es auf die Ermittlerin abgesehen hat und aus dem Gefängnis flieht. Wir haben die einzige Frau im Bostoner P.D., die sich entsprechend gegen die Vorurteile ihrer männlichen Kollegen durchboxen muss. Wir haben das FBI, das sich ganz selbstverständlich in den Fall einmischt. Und wir haben Blut, sehr viel davon.
Nun ist es natürlich so, dass mittlerweile jedes Buch zwangsläufig auf Elemente zurückgreift, die in dieser Form schon in anderen Büchern vorkamen. Allerdings kommt es darauf an, wie man diese Elemente verknüpft, und Gerritsen tut dies recht lustlos, ohne eine eigene Note zu kreieren. Dadurch wirkt der Krimi abgeklatscht und die Spannung geht verloren, weil man als Leser ständig enttäuscht wird, wenn man etwas Originelles erwartet.
Wenn wenigstens Detective Jane Rizzoli originell wäre, dann gäbe es einen Grund, das Buch dennoch zu lesen. Wie schon angeklungen, ist dies jedoch nicht der Fall. Abgesehen davon, dass der Charakter der Frau von sich aus nicht gerade mit Originalität gesegnet ist, hat die Umsetzung von „Der Meister“ vor allem ein Manko: den Schreibstil.
Gerritsen, deren Stil kaum durch Eigenheiten geprägt ist, erzählt aus Janes Sicht in der dritten Perspektive. Mit einem Minimalmaß an Emotionen und nur wenig Platz, um ihre Persönlichkeit entfalten, bleibt Jane dem Leser mehr oder weniger verschlossen. Obwohl sie die Ermittlerin ist, steht sie als Person nicht wirklich im Vordergrund, da nur wenig aus ihrem Privatleben, ihrer Vergangenheit oder ihrer ganz persönlichen Feierabendgedankenwelt nach außen dringt.
Das Buch wirkt dadurch kühl und distanziert, aber nicht auf eine anregende, sondern auf eine lustlose Art und Weise. Der Zugang zur Geschichte wird erschwert und der Schreibstil ist weit davon entfernt, packend zu sein. Die theoretischen Abhandlungen über Autopsie und Spurensicherung sind eine Spur zu lang, zu prall und zu fachwortverseucht, um den Leser konstruktiv zu informieren, und ihr gehäuftes Auftreten lässt das Buch als Spannungsroman auch nicht in einem besseren Licht erscheinen.
Insgesamt ist „Der Meister“ ein Thriller, auf dessen Lektüre man auch verzichten kann. Der Plot wurde in dieser Form in tausend anderen amerikanischen Krimis besser durchexerziert und ziert sich wie eine Jungfrau, wenn es darum geht, Freundschaft mit dem Leser zu schließen. Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen Pageturner, weshalb man den „Meister“ am besten stillschweigend in der Versenkung verschwinden lässt.
Jilliane Hofmann weiß, wovon sie spricht, wenn sie ihre Heldin C.J. Townsend in den Gerichtssaal schickt. Hofmann war selbst stellvertretende Staatsanwältin von Florida, doch man kann ihr nur wünschen, dass sie nicht mit solchen Fällen zu tun hatte wie C.J.
In „Cupido“, dem Vorgängerbuch, hatte C.J. damit zu tun, einen Serienmörder, der sie während ihres Studiums brutal vergewaltigt hatte, hinter Gitter zu bringen. Dass sie ihre Anklage darauf stützte, dass sie Beweise zurückbehielt, kostet nun die drei Polizisten, die als Einzige neben ihr vom entlastenden Tonband wussten, das Leben. Ein Mörder zieht durch die Straßen Miamis – und er hat es auf Polizisten abgesehen, die Dreck am Stecken haben.
Gunther Fahnstiel war einst ein guter Cop, der allerdings schwach wurde, als sich ihm vor vielen Jahren die Chance bot, „schwarzes“ Geld an sich zu bringen, was er so zu arrangieren wusste, dass niemand ihm auf die Schliche kam. Unauffällig gaben er und seine Gattin Dorothy das Geld aus und machten sich ein schönes Leben, bis Fahnstiel an Alzheimer erkrankte und in ein Heim umsiedeln musste.
Die Kosten fressen das unrechtmäßig erworbene Vermögen auf, was Dorothy ihrem Gunther in einer schwachen Stunde eröffnete. In dessen aufweichendem Hirn blieb nur das Wissen um die drohende Geldnot haften. Deshalb macht sich Fahnstiel aus dem Heim davon. Er will zum Versteck und Nachschub besorgen. Dass dieses Geld längst geborgen wurde, hat er vergessen.
Ebenfalls entfallen sind ihm einige Skandale und Morde, in die Fahnstiel, seine Gattin Dorothy, sein ehemaliger Polizei-Kollege und Freund Ed Dieterle sowie seine alte Flamme Sally verwickelt waren. Fahnstiels Flucht rührt an dieser unschönen Vergangenheit. Gern würde Dorothy im Verborgenen halten, wie sie und Gunther einst zu Geld kamen, während Sohn Sydney darauf brennt, das Geheimnis zu lüften. Ähnlich geht es Dieterle, der schon lange Verdacht geschöpft hat. Sally Ogden wäre es gar nicht recht, dass ihre Familie sie als Puffmutter und Prostituierte identifiziert, die für einen der größten Skandale der 1950er Jahre verantwortlich war. Außerdem ist da noch Ex-Gatte Wayne, der ein üblen Mistkerl war und mit einer Kugel im Schädel endete; ein Fall, der nie geklärt werden konnte, wofür Fahnstiel und Dieterle sorgten …
Während Gunther verwirrt aber hartnäckig immer tiefer in seine Vergangenheit vordringt, machen sich Frau und Sohn, Freund Ed, aber auch Sallys nichtsnutziger Schwiegersohn Eric auf die Suche nach ihm. Man findet sich dort, wo Fahnstiel einst sein Geld vergrub – und dessen Eigentümer. Das Finale gestaltet sich jedoch deutlich anders, als die Beteiligten sich dies dachten …
Wer hätte es gedacht – es gibt ihn doch: den Krimi mit originellem Plot, dem eine Handlung voller Überraschungen entspringt. Die Jagd nach einem Schatz, der längst nicht mehr existiert, setzt eine Kettenreaktion auf zwei Zeitebenen in Gang, sorgt für turbulente Verwicklungen in der Gegenwart und rührt Geschehen auf, die fünf Jahrzehnte in eine Vergangenheit zurückreichen und besser dort geblieben wären.
Was sich damals abgespielt hat, enthüllt Verfasser Phillips seinen Lesern nur Stück für Stück und auch nicht vollständig. Immer wieder springt die Handlung von der Gegenwart zurück ins Jahr 1952. Ein junger und gesunder Gunther Fahnstiel setzt sich auf die Spur eines Kriminellen namens Wayne Ogden, der offensichtlich ein großes Ding plant. Kompliziert wird die Sache, weil der Cop mit Waynes Gattin Sally verbandelt ist, die wiederum einen florierenden Hurenring leitet und sich auf Protektion durch Fahnstiel und seinen Kumpel Ed verlassen kann. Irgendwann fliegt die Sache erst auf und dann in die Luft, was gleich mehrere Pechvögel nicht überleben.
Irritiert wird der Leser durch die zunehmend deutlich werdende Erkenntnis, dass Fahnstiels Geld in diesem Geschehen keine Rolle spielt. Es kam erst 1979 in seinen Besitz. Verbindende Gemeinsamkeit ist allein der Ort des Geschehens – die alte Kiesgrube, an deren Ufer Sally ein Vierteljahrhundert zuvor ihre Orgien inszenierte.
An die wiederum dramatischen Ereignisse von 1979 erinnert ein Prolog-Kapitel, mit dem freilich primär diejenigen Leser etwas anzufangen wissen, die Scott Phillips‘ Roman „The Ice Harvest” (2000; dt. „Alles in einer Nacht“; 2005 mit John Cusack, Billy Bob Thornton & Connie Nielsen verfilmt) gelesen haben: „Der Irrgänger“ ist gleichzeitig Fortsetzung und Vorgeschichte der dort geschilderten, ebenfalls höchst kriminellen Abenteuer.
Der ungewöhnlichen Erzählstruktur entspricht ein Plot, der sowohl vorsätzlich als auch vergnüglich mit den Regeln des Genres spielt und sie mehr als einmal bricht. Der „schwarze“ Krimi schert sich seit jeher weder um Gesetz & Moral, ist politisch unkorrekt und dadurch vergleichsweise realistisch. Die Protagonisten wirken wie Marionetten eines Schicksals, dessen Ziel von Anfang an festzustehen scheint: Das Leben kennt keine Gewinner, nur Überlebende, und die sind meist nicht zu beneiden.
„Der Irrgänger“ mildert die Unbarmherzigkeit dieser Prämisse durch einen lakonischen, fast dokumentarischen Stil und einen trockenen Humor, der die eigentlich kaum witzig zu nennende Handlung angenehm konterkariert. Scheitern, Untreue, Verlust, Angst – diese und andere Elemente des „Crime Noir“ sind vorhanden; sie werden ergänzt durch das vergleichsweise moderne Schreckgespenst Alzheimer. Doch im Unglück lässt sich – vor allem dann, wenn man nicht selbst betroffen ist … – in der Regel viel Komisches erkennen, das Phillips ausgezeichnet herauszuarbeiten vermag: Gelächter als befreiende Reaktion auf ein Geschehen, das ansonsten Fassungslosigkeit erzeugt, wirkt selten so „logisch“ wie bei der Lektüre dieses Buches.
Dazu passt die Auflösung des Plots, in deren Verlauf Phillips sämtliche Erwartungen seiner im Genre geschulten Leser aushebelt und durch eine Handlung ersetzt, die gleichermaßen verwirrt wie begeistert: Zumindest der erfahrene und häufig enttäuschte Krimi-Freund freut sich darüber, wie Klischees vermieden werden.
Selbstverständlich könnte man meckern: Phillips ist manchmal ein wenig zu auffällig um „richtige“ Literatur bemüht. Puristen unter den Leser könnten sich fragen, ob sie es hier überhaupt mit einem Krimi zu tun haben oder ob sich ein Schriftsteller nur der Stilelemente des Krimis bedient, um einem ansonsten dem belletristischen Mainstream verpflichteten Roman ein breiteres Publikum zu verschaffen, das ihn sonst mit Missachtung gestraft hätte. Das Urteil mögen die Fachleute sprechen, die für Diskussionen dieser Art leben. Dem „normalen“ Leser sei gesagt, dass „Der Irrgänger“ auch ohne Legitimation seitens der Literaturwissenschaft ein Buch ist, das die Lektüre lohnt – selbst der Laie erkennt, dass er (oder sie) nicht mit dem üblichen Krimi-Seifenoper-Brei abgespeist wird.
Ein großartiger, tragischer, witziger „Held“ ist dieser Gunther Fahnstiel: ein harter Bursche, dessen Hirn sich in Weichkäse verwandelt. Die Alzheimersche Krankheit ist ein Grauen, über das man aus abergläubischer Angst nur ungern spricht, weil dies sie heraufbeschwören könnte. Doch Alzheimer gehört längst zum modernen Alltag, und die Zahl der Betroffenen sowie ihrer traumatisierten Familienmitglieder steigt kontinuierlich.
Ob Scott Phillips korrekt wiedergibt, was einem Mann wie Fahnstiel durch den Kopf gehen könnte, ist nebensächlich. Viel wichtiger ist, dass er deutlich macht, was Alzheimer bedeutet: die Auslöschung des Gedächtnisses, was zunächst die Gegenwart betrifft und sich dann in Richtung Vergangenheit fortsetzt, wobei die Fragmente der Erinnerung sich mischen und neu ordnen, während das absterbende Gehirn versucht, eine gewisse Ordnung aufrechtzuerhalten. Fahnstiel ist der Gefangene seines Hirns, das ihn in eine Art Zeitreisenden verwandelt, für den Jetzt und Einst eine traumähnliche Mischwelt bilden, obwohl er sich manchmal dessen bewusst ist, dass etwas nicht mit ihm stimmt.
Ähnliche Glanzleistungen gelingen Phillips mit den Figuren Wayne Ogden und Eric Gandy. Odgen ist ein Schurke, wie er selten geschildert wird: ein moralisch bis ins Mark verkommener Krimineller, den man wegen der Konsequenz seiner Verbrechen schon wieder schätzt. Für Wayne gibt es kein Gesetz. Er lebt ausschließlich nach eigenen Regeln, die nur seinen Vorteil berücksichtigen. Daraus macht er keinen Hehl und entwaffnet damit manchen potenziellen Gegner – bis er an jemanden gerät, dessen Kodex Wayne falsch einschätzt.
Eric Gandy ist Waynes modernes Gegenstück, dem allerdings das Talent zum Verbrecher völlig abgeht. Geldgierig und verlogen ist er, doch ihm mangelt es am nötigen Geschick. Sogar der senile Gunther schlägt ihm mehrfach peinliche Schnippchen. Eric ist ein Loser, fast tragisch, doch zu seinem Pech vor allem lächerlich, so dass man ihm gönnt, was auf seine geplagtes Haupt niederprasselt.
Ebenso geschickt setzt Phillips die übrigen Figuren seiner Tragikomödie in Szene. Sie haben alle Dreck am Stecken, was sie freilich trotz aller Fehler noch sympathischer wirken lässt. Die Abwesenheit des moralisierend erhobenen Zeigefingers hinterlässt eine Leere, die wunderbarer kaum sein kann und den Lesespaß an einem Roman komplettiert, der es keinesfalls verdient, in der Flut der Taschenbuch-Krimis unterzugehen, die sich Monat für Monat über leider allzu konservative Leser/innen ergießt.
Scott Phillips (geb. 1961 in Wichita, US-Staat Kansas) ist ein Schriftsteller, der sowohl als Literat als auch als Neuerer des Kriminalromans gilt. Sein Werk ist schmal aber qualitativ gewichtig; schon Phillips‘ Debütroman „The Ice Harvest“ (2000; dt. „Alles in einer Nacht“, verfilmt 2005) wurde als „New York Times Notable Book of the Year“ erwähnt und gewann einen „California Book Award“, eine „Silver Medal for Best First Fiction“ und wurde für diverse andere Preise nominiert. Ähnlich erfolgreich wurde die Quasi-Fortsetzung „The Walkaway“ (2002; dt. „Der Irrgänger“). „Cottonwood“ (2003) spielt in der Zeit des „Wilden Westens“.
Scott Phillips lebte viele Jahre in Paris und zog später nach Südkalifornien, wo er sich als Drehbuchschreiber für Hollywood versuchte; unter dem Titel „Crosscut“ wurde 1996 immerhin eines realisiert. Heute lebt Phillips mit seiner Familie in St. Louis. Über seine schriftstellerischen Aktivitäten informiert seine Website http://scottphillipsauthor.com.
Viele Spekulationen und Mythen umranken die Person Jesu Christi und geben immer wieder Anlass zu Romanen, die ein neues Licht auf einige dieser Mutmaßungen werfen wollen. So wissen wir spätestens seit Dan Brown, was sich hinter dem berühmten Heiligen Gral verbergen soll, doch auch Jörg Kastner greift sich für sein aktuelles Werk „Das wahre Kreuz“ eine berühmte Reliquie, nämlich das Kreuz, an dem Jesus einst gekreuzigt worden sein soll, und zieht daran seinen Plot auf. So befasst sich Kastners neuer Thriller mit dem wahren Kreuz oder zumindest doch einem kleinen Splitter davon.
Zunächst versetzt uns Jörg Kastner in das ausklingende 18. Jahrhundert, in eine Zeit, in der Napoleon Teile Ägyptens erobert und sich in Kairo breitgemacht hat. Wir lernen den Zeichner Bastien Topart kennen, aus dessen Perspektive die gesamte Geschichte geschrieben ist. Bastien nämlich reist zusammen mit seinem Onkel Jean nach Kairo, um dort eine mysteriöse Ausgrabungsstätte zu finden. Als die beiden zusammen mit ihrem Gefolge und ihrem Führer Abul den geheimen Tempel betreten, finden sie dort eine verängstigte und überaus hübsche Frau vor, die zum Menschenopfer für eine Schar Kreuzritter werden soll. Schnell werden die Franzosen von den Kreuzrittern angegriffen, die zwar noch mit altmodischen Waffen kämpfen, die Franzosen aber dennoch fast besiegen können. Doch Bastien und seine Begleiter können die Unbekannte und sich selbst aus dem Tempel befreien. Schnell entdeckt Bastien seine Zuneigung zu der schönen Frau, die den treffenden Namen Ourida trägt – zu Deutsch: Rose -, aber die gegenüber ihren Rettern stumm bleibt.
Nach der unliebsamen Begegnung kehren die Franzosen nach Kairo zurück, um dort den verschwundenen Abul nach dem Tempel zu befragen. Als sie jedoch Abul aufsuchen, finden sie diesen ermordet vor, und Bastien wird fast selbst noch Opfer des Attentäters, kann diesen allerdings gerade noch rechtzeitig überwältigen. Anschließend stellt er fest, dass der Dolch des Mörders das gleiche Kreuzzeichen trägt wie die Gewänder der Ritter aus dem Tempel. Kurz darauf versuchen Unbekannte, Ourida aus Jeans Haus zu entführen. Wer hat bloß ein Interesse daran, Ourida zu entführen und wer verbirgt sich hinter den mysteriösen Kreuzrittern?
Als Bonaparte Wind von den Vorkommnissen bekommt, möchte er Ourida höchstpersönlich kennen lernen und lädt sie gemeinsam mit Jean und Bastien zu sich in den Palast ein. Bonaparte ist sofort fasziniert von der schönen Unbekannten und beauftragt Bastien, Ourida zum Sprechen zu bringen und sie in der französischen Sprache zu unterrichten. Während des Unterrichts kommen sich Bastien und Ourida schnell näher und es bedarf nur einer Berührung, um Bastien in eine längst vergessene Zeit zu versetzen, in der er in den Kreuzzügen gekämpft und das wahre Kreuz bewahrt hat. Schon damals war er mit Ourida zusammen, doch was hat er gemeinsam mit dem Tempelritter Roland de Giraud?
Zu schnell erfährt Napoleons Plan eine Änderung; er holt Ourida zu sich in den Palast und schickt Bastien zurück in die Wüste, um das Geheimnis des Tempels zu ergründen. Dort angekommen, entdeckt Bastien schon bald eine im Tempel versteckte Bibliothek voller Bücher, die in unbekannten Schriftzeichen verfasst sind. Als Bastien nach Kairo zurückkehren will, um einen Experten zu holen, der die Schriftzeichen entschlüsseln kann, gerät er mit seiner Gefolgschaft in einen tödlichen Wüstensturm, in welchem die Franzosen von den Kreuzrittern angegriffen und besiegt werden. Nur Bastien wird wie durch ein Wunder von einem Beduinenstamm gerettet, welcher Bastien eine wahrlich sonderbare Geschichte erzählt, die ihn erneut zurück in die Zeit der Kreuzzüge versetzt, in der das Geheimnis um das wahre Kreuz verborgen liegt …
Jörg Kastner erzählt eine Geschichte, die in zwei verschiedenen Zeiten spielt. Zunächst werden wir in das ausklingende 18. Jahrhundert versetzt und begeben uns nach Ägypten, wo wir zwei der Schlüsselfiguren kennen lernen, nämlich Bastien und Ourida. Die beiden verbindet von Anfang an eine unwiderstehliche Anziehungskraft, die aber weit in die Vergangenheit zurückreicht. Als Ourida Bastien nämlich berührt, erinnert er sich wie in Trance daran, wie er als Tempelritter Roland in den Kreuzzügen auf der Seite des Königs Guido von Lusignon von Jerusalem gekämpft hat. Dieser wiederum war in Besitz des wahren Kreuzes, das seinen Kreuzrittern auch in den ausweglosesten Situationen immer wieder Mut gemacht und neue Hoffnung gegeben hat. Als das islamische Heer unter Führung von Saladin allerdings kurz vor dem Sieg steht, lässt Guido den Holzsplitter aus dem wahren Kreuz in Sicherheit bringen. Roland de Giraud ist einer der Tempelritter, denen das Kreuz anvertraut wird. Auf der gefährlichen Reise zurück nach Jerusalem treffen die Tempelritter schließlich auch auf die „damalige Ourida“ und ihr Volk. Diese Begegnung wird nicht nur das Schicksal Rolands für immer entscheidend verändern, sondern auch die Zukunft des wahren Kreuzes.
Natürlich vergisst Kastner auch nicht, in beide Geschichten, also in beide Zeiten, die erwartete Liebesgeschichte einzubauen. So verlieben sich Ourida und Roland im späten 12. Jahrhundert, deren Liebe wieder aufblüht, als sie sich fast 600 Jahre später in neuen Körpern wiedertreffen. Anders als mit Seelenwanderung ist diese Merkwürdigkeit wohl nicht zu erklären. Und hier beginnt auch schon die Abstrusität des Romans, denn man muss sich auf diese gedanklichen Zeitreisen in eine längst vergessene Vergangenheit schon einlassen, um sich mit dem Roman anfreunden zu können. Bastien stellt fest, dass er als Roland de Giraud bereits einmal gelebt hat und diese Zeit nun wieder rekonstruieren kann. Ich persönlich fand diese Zeitsprünge in der präsentierten Form ehrlich gesagt ziemlich merkwürdig und konnte mich nicht so recht mit dieser Entwicklung anfreunden, aber manch einem mag das gefallen.
Auch die Geschichte, die Kastner zu erzählen hat, fand ich nicht sonderlich innovativ. Langsam sollte es eigentlich genügend Romane geben, die sich Tempelritterthemen, heiligen Reliquien oder der Figur Jesu widmen. Wenn „das wahre Kreuz“ wenigstens spannend gewesen wäre, hätte man Kastner diesen aufgewärmten Plot noch verzeihen mögen, doch leider lässt das vorliegende Buch einen Spannungsbogen vermissen. Zu Beginn ist ziemlich unklar, worum es eigentlich gehen soll. Lange braucht Kastner, um zum Kern der Geschichte vorzudringen und das Geheimnis des wahren Kreuzes zu präsentieren. Unterdessen erleben wir die aufgefrischte Liebe zwischen Bastien und Ourida mit, erfahren, unter welchen Bedingungen die Ägypter unter Bonapartes Fuchtel zu leben hatten und lernen alle möglichen Figuren kennen, die im weiteren Verlauf der Geschichte leider kaum eine Rolle spielen. So schmückt Kastner seinen Roman mit allerlei Beiwerk aus, das kaum notwendig ist. Hinzu kommt der eher nüchterne Schreibstil, der an einen Reisebericht erinnern mag und wohl auch einer sein soll. Bastien schreibt uns seine unglaubliche Geschichte auf, vermag uns damit aber nicht so recht mitzureißen. Die Handlung lässt den Leser ziemlich kalt und entführt so rein gar nicht in die geheimnisvolle Vergangenheit, in der ein Beduinenvolk gegen die Kreuzritter kämpft.
Zugute halten muss man Jörg Kastner allerdings, dass er die verschiedenen Handlungsfäden am Ende sinnvoll zusammenführt; irgendwo ergibt alles seinen Sinn und ist auch gut durchkonstruiert; selbst die Zeitsprünge und die doppelte Identität Bastiens/Rolands ergeben schließlich Sinn, auch wenn sie wie gesagt gewöhnungsbedürftig anmuten. Insgesamt bleibt aber dennoch ein eher durchschnittlicher Eindruck zurück. „Das wahre Kreuz“ hat mich nicht sonderlich gut unterhalten können, der Plot war mir zu einfallslos, die Figurenzeichnung ist relativ farblos, der Schreibstil zu nüchtern. Meiner Meinung nach hat Jörg Kastner, insbesondere mit dem „Engelspapst“, schon deutlich bessere Lektüre abgeliefert.
Mit seinem Debütroman ist Chris Mooney in den Bestsellerlisten eingeschlagen wie eine Bombe, selbst einen Kinospot zum Buch gab es zu sehen, der „Victim“ als den spannendsten Thriller des Sommers angekündigt und verdächtige Ähnlichkeit mit dem packenden (und genial konstruierten) Thriller „Saw“ hat. Meine Erwartungen waren also entsprechend hoch angesetzt …
Die Geschichte nimmt im Jahre 1984 ihren Anfang, als Darby McCormick mit ihren beiden Schulfreundinnen Mel und Stacey beobachtet, wie ein unbekannter Mann im Wald eine junge Frau bedroht. Während Darby noch darüber nachdenkt, Hilfe zu holen, flüchten Stacey und Mel bereits in Panik. Als Darby sich ihnen anschließt, verliert sie bei der Flucht allerdings ihren Rucksack. Als die drei Mädchen zusammen mit der Polizei in den Wald zurückkehren, sind der Mann und die ängstliche Frau verschwunden und aus Darbys Portemonnaie wurden Geld und Ausweise entwendet.
Einige Zeit spät hört Darby abends ein merkwürdiges Geräusch im Haus und glaubt, dass ihre Mutter früher Feierabend gemacht hat. Doch es ist der Mann aus dem Wald, der Stacey erstochen hat und nun Mel mit einem Messer bedroht, um Darby aus ihrem Versteck zu locken. Mels bittende Worte werden Darby noch lange in Erinnerung bleiben, denn Darby kann fliehen, aber ihre Freundin Melanie bleibt von diesem Tag an verschwunden. Es dauert nicht lange, bis der Fall scheinbar gelöst werden kann, doch hat sich wirklich der richtige Täter das Leben genommen?
Im Jahr 2007 setzt sich die Geschichte fort. Darby arbeitet nun selbst bei der Polizei und muss einen Fall aufklären, der dem vor 23 Jahren verdächtig ähnelt. Wieder verschwinden eines Sommers viele junge Frauen und bleiben fortan verschwunden. Als die junge Carol entführt wird und man ihren Freund ermordet auffindet, greift Darby in der Nähe des Tatorts eine völlig verwahrloste und halb verhungerte Frau auf, die offensichtlich ihrem Peiniger entkommen konnte.
Einige Zeit braucht es, bis die Polizei die junge Frau als Rachel Swanson identifizieren kann, die vor fast fünf Jahren als vermisst gemeldet wurde. Rachel liegt schwer krank und traumatisiert im Krankenhaus und vertraut sich nur Darby an, in der sie eine Frau aus dem Verschlag wiederzuerkennen meint, die mit ihr gefangen gehalten wurde. Rachel zeichnet mysteriöse Zeichen auf ihren Arm, kann der Polizei aber keinen konkreten Hinweis auf ihren Entführer geben. Darby tappt also weiterhin im Dunkeln und muss fürchten, dass die verschwundene Carol in der Zwischenzeit ermordet wird. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Was die Polizei aber noch nicht ahnt: Der Mörder hat einen gefährlichen Komplizen …
Chris Mooneys packender Thriller schlägt von Beginn an ein hohes Tempo an und lässt sich rasend schnell lesen. Schon nach wenigen Seiten war ich vollkommen in der Geschichte versunken und habe zwischendurch nur kurz überprüft, ob ich auch wirklich die Haustür abgeschlossen hatte, denn beim Lesen lief mir ein Schauder nach dem anderen über den Rücken, weil Mooney eine wahrlich grausame Geschichte zu schreiben weiß.
Zunächst begibt er sich in das Jahr 1984, in welchem er seinen Mörder das erste Mal auf den Plan treten lässt. Der Leser ahnt natürlich von Anfang an, dass die Vermisstenserie von 2007 mit dem früheren Fall zusammenhängt und wahrscheinlich der gleiche Täter dahintersteckt. Als Mooney uns schließlich mit Daniel Boyle bekannt macht, der für die Entführung der Frauen verantwortlich ist, eröffnet er damit einen zweiten Handlungsstrang, der seinem Thriller noch mehr Tempo verleiht. Dieser Handlungsstrang um Daniel Boyle verdeutlicht nämlich sehr schnell, dass Boyle einen ernst zu nehmenden Komplizen hat. Wir lernen den Mörder immer besser kennen und verfolgen ihn bei all seinen Schritten. So wissen wir schon früh, dass er Darby von früher wiedererkannt hat und ihr nun auf der Spur ist, um das zu Ende zu bringen, was ihm 1984 nicht gelang.
Mooney erzählt eine erschreckende Geschichte, ohne aber allzu sehr in die Details zu gehen. Da Rachel nicht ansprechbar ist, können wir meist nur ahnen, was genau ihr in den fünf Jahren Gefangenschaft widerfahren sein kann. Auch Boyles Erinnerungen tragen dazu bei, den drohenden Schrecken noch greifbarer zu machen, doch sind wir nur selten dabei, wenn er wirklich in den Keller geht, um dort die gefangenen Frauen zu quälen. Das aber ist auch gar nicht nötig, um „Victim“ noch spannender zu machen; der wirkliche Horror versteckt sich meist zwischen den Zeilen und macht die Geschichte dadurch nur umso grausamer, zumal die Phantasie des Lesers dadurch angeregt wird, die bekanntlich grenzenlos sein kann …
Die Polizei und allen voran Darby McCormick tappen lange Zeit im Dunkeln, der Täter hat nur wenige Spuren hinterlassen, die nun zu deuten sind. Die Polizei weiß aber noch nicht, dass diese Spuren sie auf eine falsch gelegte Fährte führen werden. Darby wird nicht schlau aus Rachels Worten, sodass sie immer mehr fürchten muss, dass die Zeit für die entführte Carol knapp wird. Außerdem plagen sie immer wieder Gewissensbisse, weil sie sich in ihrer Jugend nicht dem Mann aus dem Wald gestellt hat, um vielleicht ihre Freundin Mel damit zu retten. Niemals hat sie sich verziehen, ihre Freundin im Stich gelassen zu haben, und immer wieder malt Darby sich aus, wie es hätte werden können, wenn sie ’84 anders gehandelt hätte. Hinzu kommen ihre Sorgen um die schwerkranke Mutter, die unheilbar an Krebs erkrankt ist und nun auf den Tod wartet. Viele Sorgen quälen Darby, sodass sie gar nicht merkt, wie nah der Mörder ihr in der Zwischenzeit gekommen ist.
Mooneys Geschichte ist über weite Strecken packend wie kaum eine andere, doch hakt sie leider an manch einer Stelle. Früh stellt uns Mooney den Mörder vor und macht klar, dass Boyle einen Komplizen hat, den wir als Richard kennen lernen. Einige Hinweise, die Mooney uns an die Hand gibt, lassen uns früh ahnen, um wen es sich bei Boyles Helfer handeln könnte. Als Daniel Boyles Mittäter sich am Ende outet, muss man leider feststellen, dass Mooney uns hier auf keine falsche Fährte gelockt hat, sondern dass wir von Anfang an den richtigen Riecher hatten. Leider geht dadurch am Ende das Überraschungsmoment verloren. Im Übrigen plätschert die Geschichte auf den letzten 40 Seiten ziemlich lahm aus, weil die Schuldigen gefunden sind und die Polizei nun lediglich die Details zu rekonstruieren versucht. Spannender wäre es gewesen, derlei Details in die eigentliche Geschichte einzufügen. Mooney hätte in den Passagen, in denen wir uns bei Daniel Boyle befinden, die Möglichkeit gehabt, die meisten Fragen schon vorher zu klären.
Auch einige logische Unstimmigkeiten haben sich eingeschlichen: Nachdem Darby und ihre Freundinnen den Mann im Wald aufgeschreckt haben, verschwinden Geld und Ausweise aus Darbys Rucksack. Es ist also klar, dass der Mörder weiß, wer ihn beobachtet hat und wo er diese Zeugin finden kann. Wieso hat die Polizei nicht besondere Schutzmaßnahmen ergriffen? Das hätte Stacey retten und den Mörder schon damals dingfest machen können. Wäre es nicht logisch gewesen, Darby unter Personenschutz zu stellen, wenn der Mörder ihre Identität und ihre Adresse kennt? Mich zumindest hat es doch sehr gewundert, dass dies nicht passiert ist.
Unter dem Strich ist „Victim“ aber in der Tat ein höchst spannender und lesenswerter Thriller, der seine Leser vollkommen gefangen nimmt und in eine schreckliche Welt entführt. Der vorliegende Thriller ist leider nicht bis ins letzte Detail durchdacht und wird dem Vergleich mit „Saw“ auch nicht gerecht, der in der Kinowerbung doch so offensichtlich war, aber über manche Unstimmigkeiten sieht man trotzdem gern hinweg.
Der isländische Schriftsteller Arnaldur Indriðason hat geschafft, wovon andere Krimiautoren nur träumen können: Zweimal wurden seine Bücher mit dem „Nordic Crime Novel’s Award“ ausgezeichnet – eine Ehre, die bislang keinem anderen Autor zuteil wurde. Und gerade in Zeiten, wo sich der allseits verehrte Henning Mankell aus dem Krimigenre zurückgezogen zu haben scheint, ist Platz für andere Talente wie eben Indriðason. In „Engelsstimme“ beweist er, dass sein Krimiheld Erlendur nicht nur weit zurückliegende Mordfälle lösen kann, sondern auch aktuelle, wenngleich sie ebenfalls fest in der Vergangenheit verwurzelt sind.
In einem Hotel in Reykjavík wird kurz vor Weihnachten die als Weihnachtsmann verkleidete Leiche des Portiers Guðlaugur in seiner kleinen Kellerkammer tot aufgefunden. Guðlaugurs Hosen sind noch heruntergelassen und ein Kondom ziert seinen Leichnam. Erlendur und seine Kollegen sind schockiert und machen sich auf die Spurensuche.
Doch zunächst tappen sie im Dunkeln, denn im Hotel scheint niemand Kontakt gehabt zu haben zu dem mysteriösen Portier, der im Hotel das Mädchen für alles war und seit vielen Jahren in einer kleinen Kammer im Keller hauste und dort vom Hotelmanager geduldet wurde. Der hat jetzt allerdings eher Sorge, dass in seiner Hauptsaison zu Weihnachten und Silvester das Hotel geschlossen werden muss oder dass Gäste fernbleiben, wenn sie von dem Mord hören. Als die Polizisten schließlich von allen Hotelangestellten und Gästen Speichelproben nehmen, weil das Kondom Speichelreste aufweist, ist die Panik im Hotel groß. Doch ein kleiner Notizzettel in Guðlaugurs Zimmer ist es, der für eine erste Spur sorgt, denn laut diesem war Guðlaugur an einem Abend mit einem gewissen Henry verabredet.
Henry stellt sich schließlich als Schallplattensammler aus England heraus, der sich auf Chorknaben spezialisiert hat. Und wie Erlendur dann herausfinden muss, war Guðlaugur in seiner Kindheit einer der besten Chorknaben, der allerdings mitten in einem wichtigen Konzert in den Stimmbruch kam, woraufhin seine Engelsstimme verloren war. Da der Stimmbruch sehr früh kam, sind Guðlaugurs Plattenaufnahmen inzwischen viel Geld wert. Henry wiederum möchte die restliche Auflage kaufen, damit seine eigenen Platten noch mehr an Wert gewinnen.
Um der Lösung des Falles auf die Spur zu kommen, quartiert Erlendur sich kurzerhand im Hotel ein, damit er gleich vor Ort ist und um der einsamen Stille zu Hause zu entfliehen. Doch kann er im Hotel nicht seiner Tochter Eva Lind entkommen, die ihn praktisch jeden Abend besucht und ihn dabei teilweise in verhängnisvollen Situationen antrifft. Aber das soll nicht Erlendurs einzige Sorge sein, denn vor allem Guðlaugurs Schwester und der querschnittsgelähmte Vater geben ihm Rätsel auf: Als sie vom Tod Guðlaugurs erfahren, zeigen sie keinerlei Trauer. Was ist in dieser geheimnisvollen Familie vorgefallen? Erlendur wird es herausfinden und dabei wieder weit in die Vergangenheit zurückgehen …
Arnaldur Indriðason beweist erneut auf seine unvergleichliche Weise, dass er sich seinen Platz in den internationalen Bestsellerlisten vollauf verdient hat, und er zeigt eindrucksvoll, dass sein Held Erlendur nicht nur längst vergangene Mordfälle lösen kann, sondern sich auch neuen Mordopfern mit Leidenschaft widmet. Doch dieser Roman wäre kein echter Indriðason, wenn die Vergangenheit nicht eine große Rolle spielen würde, und so liegt auch die Lösung für diesen Todesfall in der Vergangenheit begraben. Denn das Mordopfer war noch ein kleiner Junge, als sein Leben eine schreckliche Wende nahm: Bei seinem wichtigsten Auftritt vor zahlreichen Zuschauern versagt ihm die Stimme und der junge Guðlaugur wird öffentlich ausgelacht. Sein strenger Vater kann ihm den frühen Stimmbruch und das verfrühte Ende seiner Karriere nicht verzeihen, doch was ist noch vorgefallen in dieser Familie?
Auch der mysteriöse Plattensammler Henry hat einiges zu verbergen und verstrickt sich immer wieder in Lügengeschichten. Als sich der Kreis langsam um ihn schließt, versucht er zu fliehen, doch natürlich hat er die Rechnung ohne Erlendur gemacht, der ihn wieder aufspüren kann und auch einige dunkle Geheimnisse aus Henrys Leben ans Tageslicht bringt. Guðlaugurs Schwester steht Henry in nichts nach, nur häppchenweise macht sie Zugeständnisse. Zunächst will sie gar nichts mit der Polizei zu tun haben, da sie der Mord an ihrem Bruder nichts anzugehen scheint. Als sich die Ermittlungen jedoch immer mehr um sie drehen, kommt sie langsam mit der Wahrheit heraus, verrät aber immer noch nur so viel, wie unbedingt notwendig scheint. Und dann wären da noch einige Hotelangestellte, die sich quer stellen und Erlendur bei seiner Ermittlung behindern wollen. Nicht jeder stimmt dem Speicheltest zu und niemand will gesehen haben, dass Guðlaugur Besuch bekommen hat, der vielleicht der gesuchte Mörder hätte sein können. Viele Verdächtige tauchen also auf, und als Leser tappt man gemeinsam mit Erlendur im Dunkeln und ist dem Krimihelden niemals einen Schritt voraus.
Wieder einmal schickt Indriðason seinen Ermittler los, um einen mysteriösen Mordfall zu lösen. Wieder einmal werden ihm viele Steine in den Weg gelegt, und auch privat läuft es alles andere als gut. Weihnachten steht vor der Tür und Erlendur möchte diesem Familienfest am liebsten entfliehen, denn seine Tochter Eva Lind hat den Verlust ihres Babys immer noch nicht verwunden und Erlendur sucht noch immer die Frau seines Lebens. Ein Rendezvous bringt er immerhin zustande, doch auch dieses findet kein glückliches Ende. Krimihelden müssen einfach tragisch sein, auch Indriðason unterstreicht dies in jedem seiner Romane. Auch Erlendurs verschollener Bruder lässt ihn immer noch nicht los, obwohl das schreckliche Schneegestöber, aus dem Erlendurs Bruder nicht gerettet werden konnte, inzwischen viele Jahre zurück liegt. Mit jedem Roman lernen wir Erlendur näher kennen, Indriðason zeichnet seinen Krimihelden mit viel Liebe und fügt seinem Bild mit jeder Geschichte eine neue Facette hinzu, sodass uns Erlendur immer sympathischer wird, auch wenn er manchmal ein komischer Kauz sein kann.
Doch nicht nur in Sachen Charakterzeichnung punktet Indriðason, auch sein Kriminalfall hat es in sich und weiß vollauf zu überzeugen. Zwar packt Indriðason keine politischen Probleme an wie manche seiner Kollegen, und er kommt auch mit wenigen Leichen und wenig Blutgemetzel aus, doch seine Fälle sind nicht minder spannend. Indriðasons Geschichten sind etwas leiser und stiller als die Krimifälle, die in Schweden oder auch Norwegen zu lösen sind, dafür sind seine Kriminalromane meist sehr ausgefeilt und gut choreografiert. Indriðason hat einfach alles, was das Krimiherz beglückt, und so weiß er auch mit „Engelsstimme“ wieder einmal zu überzeugen. Selbst seine finale Wendung, die am Ende noch einmal alles über den Haufen wirft, ist glaubwürdig in die Geschichte eingebaut, sodass man das Buch zufrieden zuklappen und sich auf den nächsten Indriðason freuen kann!
Hoch in der Luft wird eine unbeliebte Dame ins Jenseits befördert. Mit an Bord des Fliegers: Detektiv Hercule Poirot, der auf bewährte Weise seine kleinen grauen Zellen strapaziert, um die scheinbar unmögliche Tat aufzuklären … – Agatha Christies Variation des klassischen „Whodunit“ versammelt erneut eine überschaubare Schar von Verdächtigen in einem verschlossenen Raum. Keiner kann’s, doch einer muss es gewesen sein, und gemeinsam mit Poirot ermittelt der Leser bis zum überraschenden Finale: Krimi Vergnügen der sowohl altmodischen als auch zeitlosen Art. Agatha Christie – Tod in den Wolken weiterlesen →
In Washington wurde vor einiger Zeit eine streng geheime Untersuchung beschlossen. Diverse ultra-reaktionäre und rechtsradikale Gruppen sollen darauf überprüft werden, ob sie dem Staat gefährlich werden könnten und aus dem stets verdächtigen Ausland Unterstützung erfahren. Dahinter steckt der „Aufsichtsausschuss“, eine der Öffentlichkeit nicht bekannte Abteilung des US-Außenministeriums, die einst gegründet wurde, um jenseits der lästigen Knechtschaft durch niedergeschriebene Gesetze die Bösen dieser Welt zu strafen und auszuschalten.
Agentin Janet Trent taucht hinab in den Sumpf selbst ernannter Tugendwächter und fanatischer Seelenretter, in dem es seit einiger Zeit gefährlich brodelt: Eine Welle äußerst brutaler, dabei militärisch präzise organisierter Terroranschläge erschüttert die USA. Der Aufsichtsausschuss rätselt, ob es der fundamentalistische TV-Demagoge Jonas Tieg ist, der Furcht und Schrecken säen lässt, um die USA innenpolitisch zu destabilisieren und so die Herrschaft an sich zu reißen. Jonathan Rabb – Die Eisenreich-Verschwörung weiterlesen →
Im Jahre 1969 veröffentlichte der Autor Mario Puzo den Roman „Der Pate“ (The Godfather) und schaffte damit den Sprung auf die internationalen Bestsellerlisten.
„Der Pate“ erzählte die Geschichte der aus Sizilien stammenden Familie Corleone, die in New York das gesamte organisierte Verbrechen rund um das Glücksspiel steuert. Vito Corleone ist „Der Pate“, wie er von seinen Freunden und Feinden ehrfürchtig und voller Respekt genannt wird. Doch auch New York mit seiner Kriminalität verändert sein Gesicht. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erobert der Drogenhandel nicht nur die amerikanischen Staaten, und Don Vito Corleone ist nicht bereit, sich an dem für ihn schmutzigen Geschäft zu beteiligen.
Killer einer anderen Mafia-Familie verüben einen Mordanschlag auf den „Paten“, den dieser schwerverletzt überlebt. Seine drei Söhne – Sonny, Fredo und Michael, der jüngste – führen die familiären Geschäfte und Interessen weiter, aber Sonny, der älteste Sohn und Nachfolger, verliert die Nerven und rächt mit aller Gewalt den Mordanschlag auf seinen Vater. Es entbrennt ein Mafia-Krieg, der auf vielen Seiten seine Opfer fordern wird.
Schließlich wird auch Sonny das Ziel eines Mordanschlags und brutal an einer Mautstation hingerichtet. Michael Corleone übernimmt nun als Oberhaupt der Familie die Geschäfte und führt einen Rachefeldzug gegen seine Feinde, dabei verschont er auch nicht die eigene Familie …
Das Epos rund um die Geschichte der Familie Corleone wurde erfolgreich in drei Teilen verfilmt. Francis Ford Coppola und der Autor Mario Puzo schrieben gemeinsam an dem Drehbuch. Ein fast einmaliger Erfolg in diesem Genre. Selbst die realen Mafiosi fühlten sich geehrt und sagten aus, dass das Buch und der Film das wahre Lebensgefühl ihres Standes aussagen, also ein kleiner Werbespot für die Mafia in Amerika.
Verfilmt wurde die Saga mit vielen inzwischen bekannten Weltstars wie Robert De Niro, Marlon Brando, Al Pacino, Robert Duvall und anderen, ein Sprungbrett in die Welt des internationalen Films. „Der Pate“ Teil 1 wurde 1972 mit dem Oscar als bester Film prämiert und Marlon Brando sollte als bester Hauptdarsteller auch ausgezeichnet werden, Mario Puzo und Francis Ford Coppola erhielten den dritten Oscar für ihr Drehbuch. Aufgrund dieses Erfolges will man natürlich wissen, wie es weitergeht mit der Familie Corleone. Eigentlich sind sie ja wirklich nette Menschen, auch wenn sie hin und wieder einen Mord begehen … aber das ist für sie nur eine Notwendigkeit im geschäftlichen Sinne.
Der Autor Mark Winegardner wurde von der Erbgemeinschaft Mario Puzos persönlich ausgewählt, die Saga fortzuführen bzw. zu ergänzen. Er hat schon im Jahre 2005 mit „Der Pate kehrt zurück“ einen sehr großen Erfolg erzielen können. Mit dem neuesten Werk „Die Rache des Paten“ sollten noch einige andere offene Fragen, die sich dem Leser oder auch Zuschauer stellten, zufriedenstellend aufgelöst werden können.
_Die Geschichte_
New Orleans 1963. Michael Corleone, nach dem Tod seines Vaters Don Vito Corleone nun „Der Pate“ und Oberhaupt der Familie, konnte seinen Machtbereich ausbauen und die feindlichen Familien durch Mordanschläge quasi auslöschen. Michael versucht immer mehr, sich von seinen illegalen Aktivitäten zu distanzieren. Er versucht durch seine Kontakte in der Politik, seine Geschäften einen legitimierten Anschein zu verleihen. Aber die anderen Dons der großen Familien stehen dem sehr kritisch gegenüber und er wird offen angefeindet und bedrängt, die Geschäfte auf die alte und bewährte Weise zu führen.
Doch Michael geht seinen eigenen Weg, und durch seinen Einfluss macht er den jungen Jimmy Shea zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Entgegen seinem Willen gibt es dennoch Probleme, denn der Präsident ist alles andere als gewillt, mit dem organisierten Verbrechen zusammenzuarbeiten, zumal dieser noch Probleme mit dem südamerikanischen Nachbarn Kuba hat. Politik und Verbrechen geben sich die Hand und arbeiten zusammen, doch jede Partei hat ihre eigenen Gesetze und Motivationen. Der jüngere Bruder des Präsidenten bekämpft das organisierte Verbrechen in einem Kreuzzug und greift auch auf nicht legale Mittel zurück. Ziel ist es für ihn, den Paten von New Orleans, Carlo Tramonti, nach Kolumbien zu deportieren, was ihm zeitweise auch gelingt. Die so genannte Kommission der Cosa Nostra wird damit unter Druck gesetzt, und innerhalb dieser Gruppierung ist man sich uneinig darüber, wie man sich gegenüber den ehemaligen Wohltätern und Förderern in der Politik verhalten soll.
Auch Michael Corleone muss und wird Stellung beziehen müssen. Doch noch andere Probleme lassen den „Paten“ nicht zur Ruhe kommen. Ein ehemaliger Capo, Nick Geraci, ein Unterboß der Corleones, entpuppte sich als Verräter und wird nun gejagt und natürlich weiß dieser zu viele Interna über die illegalen und legalen Geschäfte der ehrenwerten Familie, auch dass die Corleones Killer für die Ausschaltung von Castro ausgebildet haben! Doch Nick Geraci ist nicht gewillt, sich zu verstecken, und verfolgt seine eigenen Rachepläne gegenüber seinem ehemaligen Paten. Er ist mit Sicherheit nicht zu unterschätzen.
Michael Corleone hat noch andere Probleme,; seine Frau und seine Kinder haben sich von ihm getrennt und er leidet sehr unter dem Verlust. In seinen Alpträumen wird er von seinem verstorbenen, älteren Bruder Fredo besucht, den Michael töten ließ, da er illoyal gegenüber seiner Familie gewesen war. Damit kämpft Michael an vielen Fronten und nicht zuletzt gegen sich selbst. Seine Geschäfte hinterlassen körperliche und seelische Spuren. Michael Corleone erkrankt an Diabetes und fühlt sich verlassen, auch wenn er versucht, seine langjährige Geliebte in sein Leben einzugliedern.
Die Situation eskaliert, als der Präsident der Vereinigten Staaten einem Attentat zum Opfer fällt. Wer ist dafür verantwortlich? Für welche Seite wird sich der Nachfolger des Präsidenten entscheiden und was bedeutet dann die veränderte politische Lage für die ehrenwerte Gesellschaft? Doch Michael verliert auch in dieser kritischen Lage nicht den Überblick und setzt seine Interessen wie gewohnt kalt und erbarmungslos durch …
_Kritik_
Mark Winegardner hat es mit seinem Roman „Die Rache des Paten“ hervorragend verstanden, offene Fragen abschließend zu klären. Die Saga rund um den Paten war stets ein Familienepos, in dem es primär um die Sorgen und Nöte der Mitglieder und Freunde der Corleones geht. Der Autor setzt die Hauptcharaktere, die man schon aus den beiden anderen Büchern sowie den drei Filmen kennt, hervorragend ein. Auch reine Randfiguren aus „Der Pate“ wie Woltz, der Regisseur, der dem Wunsch des Paten nicht Folge leisten wollte, oder Johnny Fontane findet man hier gut untergebracht in der Geschichte wieder.
Die Politik und das organisierte Verbrechen sind nicht die Hauptzutaten in diesem Roman. In „Die Rache des Paten“ spielt der „Consigliere“ Tom Hagen eine große Rolle, und einige Fragen, die nach den ersten beiden Teilen des Paten blieben, klärten sich auf. Die Rache der verschiedenen Persönlichkeiten bildet die eigentliche Handlung im Roman, aber diese verbindet die Nebenerzählungen außerordentlich gelungen.
Leider gerät die Entwicklung von Michael Corleone in der Handlung für meine Begriffe etwas zu kurz. Als gebrochener Familienvater und „Pate“ bleiben seine Sorgen und Nöte immer etwas im Hintergrund. Wenn er aber auftritt, und das in oftmals kurzen Passagen, dann als der gewohnt kalt agierende Charakter, der uns auch schon in den Filmen begegnete.
Es ist zu empfehlen, „Der Pate kehrt zurück“ zuerst zu lesen, denn die Vorgeschichte des Nick Geraci, ehemals ein Unterboss der Familie, würde dem Leser sonst zu undurchsichtig erscheinen. In den Filmen taucht dieser zwar als Statist auf, stellt aber keine in der Geschichte wichtige Person dar. In „Die Rache des Paten“ bildet er neben Tom Hagen den zweiten und größten Teil der Handlung heraus.
Mark Winegardner versteht sein literarisches Handwerk. Die geheimnisvolle Aura der Mafia beschreibt der Autor genau wie Mario Puzo spannend und interessant, wenn auch nicht unbedingt der Realität entsprechend. Das Verhältnis der Politik zum Verbrechen haben beide Autorenrecht realitätsgetreu behandelt. In den Filmen wie auch Romanen findet man Parallelen zu tatsächlich stattgefundenen Ereignissen. Gerade in „Die Rache des Paten“ wird das Verhältnis der Geheimdienste zum organisierten Verbrechen mit brisanten Themen zur Diskussion gestellt. Wer also auch hier fleißig recherchiert, wird sich manches Mal verblüfft sehen. Ein anderes Thema wäre der Mord an dem jungen Präsidenten der USA; natürlich ist hier der Mord an J. F. Kennedy eine historische Parallele.
Was ich im Roman vermisst habe, war vielleicht ein Nachwort des Autoren. Seine Sicht der Geschichte hätte ich gerne nachgelesen. Andererseits werden am Anfang des Romans die Zeitlinie der Trilogie und die wichtigsten Hauptpersonen in einem guten Schaubild eingeführt.
_Fazit_
„Die Rache des Paten“ kann ich allen Fans der Mafia-Trilogie sehr empfehlen. Die Lücken und Fragen, welche die Filme und der Roman von Puzo offenlassen, werden geklärt. Der Roman spielt kurz nach „Der Pate Teil 2“ und somit in den Jahren 1963 bis 1965. Beide Romane – „Die Rückkehr des Paten“, sowie „Die Rache des Paten“ – sollen verfilmt werden, was mich nach der Lektüre aber nicht überraschte. Die beiden Romane laden geradewegs dazu ein, verfilmt zu werden, und der Erfolg könnte vielversprechend sein, wenn vielleicht Francis Ford Coppola wieder im Regiestuhl sitzt.
Fassen wir zusammen: „Die Rache des Paten“ liest sich flüssig und spannend, ist informativ, allerdings nur für Leser bestimmt, die die Vorgeschichte schon kennen. Diesmal ist die Bühne der Politik der Hauptbestandteil der Geschichte, doch hat sich der Autor auch viel Zeit für die Familiengeschichte der Corleones genommen, was vielleicht noch wichtiger ist.
An der Westküste Nordamerikas setzt ein Auftragskiller ein tödliches Bakterium frei. Der Mann, der sich Dennis Lyndon Tyler nennt, verschenkt im Drogenmilieu eine todbringende Droge, die zum Ausbruch eines Bakteriums führt, den die Drogensüchtigen in die ansässigen Krankenhäuser schleppen. Als der Familienvater Thomas Mallek wegen eines Sportunfalls in Vancouver in die Notaufnahme kommt, wird er Zeuge, wie der behandelnde Arzt einer jungen Frau ein Abzess aufsticht. Doch der Eiter spritzt dabei so weit, dass auch Mallek davon getroffen wird. Dieser Spritzer Eiter von der kranken Drogensüchtigen wird Malleks Todesurteil sein. Doch auch in anderen Krankenhäusern an der Westküste breitet sich ein Bakterium aus, das auf keine Antibiotikabehandlung anschlägt, da es gegen sämtliche bekannten Medikamente resistent ist.
Zeitgleich bangt Dr. Ellen Horton um die Zulassung ihres neuen Antibiotikums Oraloxin, denn obwohl es sich im Test gegen Bakterien hervorragend behauptet, macht sich die Wissenschaftlerin Sorgen, denn in den Oraloxin-Testreihen sind bereits drei Schimpansen gestorben. Ellen Horton versucht sich aber zu beruhigen, denn die Tiere wurden über lange Zeit mit einer hohen Dosis behandelt, während Menschen Antibiotika jedoch nur über einen kurzen Zeitraum verabreicht bekommen. Dennoch hält Horton den Gewissenskonflikt kaum aus, da sie den Tod der Schimpansen bisher verheimlicht hat. Nur ihre beiden Kollegen und der für Forschung und Entwicklung zuständige Vizepräsident von SeptoMed Luc Martineau wissen von diesen Problem.
In anderen Handlungssträngen lernen wir Dr. Catalina Lopez kennen, die als Epidemiologin beim EIS (Epidemiologischen Informationsdienst für den pazifischen Nordwesten) arbeitet und durch das neue Bakterium bald viel zu tun bekommt, denn sie ist dafür verantwortlich, die Verbreitung des neuen Bakteriums, das bald MRGAS getauft wird, zu vermeiden. Hilfe erhält sie von Dr. Graham Kilburn, der als praktischer Arzt in Vancouver arbeitet und in seiner Funktion als Spezialist für Infektionskrankheiten ins Krankenhaus gerufen wird, als Thomas Mallek im Sterben liegt und auf keine Antibiotikabehandlung anspricht. Aber auch zwei Polizisten sind dem mysteriösen Bakterium und seinem Verbreiter auf der Spur, nachdem nämlich zwei Drogendealer in Portland ermordet aufgefunden werden, die offensichtlich von einem Profi exekutiert worden sind. Langsam aber sicher kommen Seth Cohen und Roman Leetch dem unbekannten Mörder und damit auch dem Bakterium auf der Spur.
In hohem Tempo und mit schnellen Wechseln der Schauplätze erzählt Daniel Kalla seinen neuen Medizinthriller, der nicht minder packend ist als sein Debütroman [„Pandemie“, 2192 der ebenfalls für schlaflose Nächte gesorgt hat. Seine Zutaten für einen spannenden Thriller sind dabei wieder einmal erfolgversprechend: Er nimmt mutige Protagonisten und solche, die etwas zu verbergen haben und ihr dunkles Geheimnis hüten wollen, und mixt aus seinen verschiedenen Handlungssträngen einen packenden Roman, der gut zu unterhalten weiß.
Im Mittelpunkt stehen dieses Mal allerdings so viele Figuren, dass man zunächst einige Schwierigkeiten hat, sich einzulesen und an den unterschiedlichen Handlungsorten zurechtzufinden. Außerdem erschwert die hohe Anzahl handelnder Charaktere die Identifikation, obwohl sich im Laufe des Romans Catalina Lopez und Graham Kilburn als Helden der Geschichte erweisen werden. Die beiden sind es, die – unterstützt durch die beiden Polizisten – dem gefährlichen Bakterium auf die Spur kommen, denn es will nicht nur ein Weg gefunden werden, um die Verbreitung des Bakteriums zu stoppen, sondern auch eine Medikation, die bereits Betroffenen helfen kann. Darüber hinaus liegt lange Zeit im Dunkeln, wer MRGAS durch einen Auftragskiller verbreiten lässt.
Mit fortschreitender Handlung nimmt die Spannung immer mehr zu; wir nähern uns dem Geheimnis um das Bakterium und seine Entstehung und bangen um das Leben unserer Helden, die plötzlich ins Zielfeuer des Killers geraten, als sie nämlich immer mehr Erfolge bei ihren Nachforschungen vorweisen können. Doch hier tauchen schließlich auch die ersten Kritikpunkte auf, die man nicht verschweigen sollte: Recht schnell zeichnet sich nämlich ab, wer ein gesteigertes Interesse daran haben könnte, MRGAS zu verbreiten und damit das Leben unzähliger Menschen in Gefahr zu bringen. Die Spuren, die Daniel Kalla hier für uns und seine Protagonisten auslegt, sind einfach zu offensichtlich und bergen kaum Überraschungen.
Selbstverständlich baut Kalla am Ende noch ein Überraschungsmoment ein, das den Leser noch einmal erstaunen mag, doch mit dieser finalen Wendung handelt Kalla sich allerdings auch einige logische Patzer ein. Denn die Entwicklung seiner Charaktere ist am Ende einfach nicht mehr schlüssig, wenn man diese Wendung mit einbezieht. Wieso nämlich sollte sich jemand so verdammt auffällig und hinterrücks verhalten, wenn er am Ende doch gar nichts zu verbergen hat und vollkommen unschuldig ist? Das ist mir nicht klar geworden und mindert definitiv das Lesevergnügen. Mir wäre es lieber gewesen, wenn Kalla seine Linie beibehalten hätte, auch wenn es dann am Ende eben keine Überraschung mehr gegeben hätte. Doch dann wäre zumindest sein Plot stimmig gewesen. So gelingt ihm jedenfalls nicht die Gratwanderung, die zu einer gelungenen Überraschung hätte führen können. Ganz im Gegenteil, sein Überraschungsmoment sorgt am Ende höchstens für Verärgerung, denn ich persönlich habe mich schon ein wenig veräppelt gefühlt.
So bleibt festzuhalten, dass Daniel Kalla mit „Immun“ zwar wieder ein hochspannender Pageturner gelungen ist, der über weite Strecken gut zu unterhalten weiß, der aber am Ende doch nicht voll überzeugen kann. Kallas Buchende wirkt auf mich unnötig konstruiert und alles andere als stimmig, sodass der Gesamteindruck des Buches darunter zu leiden hat. Wer darüber hinaus auf der Suche nach ausgefeilter Figurenzeichnung und literarischem Hochgenuss ist, der sollte von „Immun“ lieber die Finger lassen, denn Kalla bedient sich in seinem vorliegenden Roman relativ einfacher Figuren, die wenig Profil gewinnen, aber natürlich nicht die unvermeidliche Liebesgeschichte vermissen lassen. Auch sein Schreibstil ist eher schlicht und schnörkellos gehalten – das wiederum sorgt allerdings für einen gelungenen Spannungsbogen. Insgesamt gefällt „Immun“ über weite Strecken ziemlich gut, handelt sich aber gen Ende so viele Minuspunkte ein, dass der vorliegende Medizinthriller leider nicht über das Mittelmaß hinauskommt.
Das junge Aussteiger-Ehepaar aus Deutschland Livia und Nathan Moor hat zuhause alles verkauft und in ein Segelboot investiert. Doch der Traum von der Weltumsegelung platzt bald. Vor der schottischen Küste kollidieren sie mit einem Frachter. Mit letzter Kraft können Livia und Nathan ihr Leben retten. Das Segelboot sinkt und ihnen bleibt nichts als die Kleider, die sie tragen. Während Nathan das Schicksal mit Fassung trägt, bricht Livia völlig zusammen.
Der Unfall spricht sich im Dorf rasch herum. Auch die junge Engländerin Virginia Quentin, die mit ihrem Mann Frederic und ihrer kleinen Tochter Kim im Ferienhaus wohnt, hört davon. Kurz vor dem Unglück hatte Livia für sie im Garten gearbeitet und sich etwas Geld verdient. Virginia, die die junge Frau sympathisch fand, fühlt sich zur Hilfe verpflichtet. Gegen den Willen ihres Mannes gestattet sie den Moors, bis auf Weiteres in ihrem Ferienhaus zu leben. Dankbar nimmt das Ehepaar an, während die Quentins am nächsten Tag nach Hause nach Norfolk fahren.
Frederic, der politische Ambitionen verfolgt, reist beruflich nach London und Virginia bleibt mit Kim in Norfolk zurück. Überraschend steht auf einmal Nathan in der Tür. Seine Frau muss im Krankenhaus betreut werden und ist nicht transportfähig für die Rückreise nach Deutschland, er selber hat kein Geld, um sich im Ferienhaus zu versorgen. Widerwillig erlaubt Virginia dem mysteriösen Nathan, bei ihr zuhause unterzukommen. Einerseits fühlt sie sich von ihm bedrängt, andererseits kann sie sich seines Charismas nicht erwehren. Zur gleichen Zeit verschwinden zwei Mädchen in der Gegend und werden bald darauf ermordet aufgefunden. Virginia sorgt sich um ihre Tochter Kim. Hat etwa Nathan etwas mit den Vorfällen zu tun?
Charlotte-Link-Fans dürfen sich freuen: „Das Echo der Schuld“ ist nicht nur der aktuelle Roman der Autorin, sondern gehört auch mit zu ihren besten.
|Spannung in allen Handlungssträngen|
Gleich auf mehreren Ebenen wird eine Spannung entwickelt, die sich bis zum Ende des Buches zieht. Wie es für die Autorin typisch ist, verteilt sich die Handlung auf mehrere Stränge, die alle miteinander in Verbindung stehen. Die Haupthandlung konzentriert sich auf die beiden Ehepaare, das deutsche Paar Livia und Nathan Moor und ihre englischen Gastgeber Virginia und Frederic Quentin. Das Schiffsunglück bedeutet eine Zerreißprobe für die Moors, Livia erleidet einen körperlichen und seelischen Zusammenbruch, während ihr Ehemann die Dinge offenbar deutlich gelassener nimmt. Schon früh fragt man sich, was diese beiden grundverschiedenen Menschen eigentlich zu einer Ehe geführt hat und ob ihre Beziehung diese Katastrophe überstehen wird.
Ähnliches gilt für die beiden Engländer. Nicht genug damit, dass die Aufnahme der Moors für sie eine Belastung darstellt, auch zuvor deuten sich Spannungen an. Der bekannte Bankier Frederic sucht sein Heil in der Politik und drängt Virginia zu öffentlichen Auftritten an seiner Seite. Diese jedoch zieht sich lieber zurück und kümmert sich um Tochter Kim statt seine politischen Ambitionen zu unterstützen. Noch prekärer wird die Lage, als Frederic nach London reist und Nathan Moor sich bei Virginia einnistet. Trotz seiner leicht unheimlichen Aura fühlt sie sich zu diesem Fremden mehr und mehr hingezogen. Einerseits verunsichert durch seine aufdringliche und selbstbewusste Art, vertraut sie ihm in einer stillen Stunde Dinge aus ihrer Vergangenheit an, die selbst ihr Mann bislang nicht erfahren hat. Auch hier darf man gespannt sein, worauf diese Annäherung hinausläuft und inwieweit auch die Ehe von Frederic und Virginia zu zerbrechen droht.
Ein Nebenstrang führt in Virginias Vergangenheit. Sie erzählt Nathan von ihrem ehemaligen Lebensgefährten Michael, ihr bester Freund und Cousin aus Kindertagen, für den sie nie mehr als platonische Liebe empfinden konnte und mit dem sie ein schreckliches Geheimnis verbindet, das Virginia noch heute belastet. Neben diesen Rückblicken gleitet die Handlung letztlich auch zu den beiden Mädchen über, die zunächst spurlos verschwinden und später ermordet aufgefunden werden. Man gewinnt schmerzhaft realistische Einblicke in das Leid der zurückgelassenen Eltern, sodass man beinah dankbar ist, dass diese Handlung nicht so breit angelegt ist wie das Geschehen um die beiden Ehepaare. Als ein drittes Mädchen Gefahr läuft, in die gleiche Falle zu laufen, bleibt dem Leser nur ein banges Hoffen, dass wenigstens sie – wie auch die später verschwundene Kim – von diesem grausamen Schicksal verschont bleiben. Der Leser grübelt nicht nur über die Identität des Kindermörders nach, sondern auch über die zwischenmenschlichen Entwicklungen innerhalb der Beziehungen.
|Zwiespältige Charaktere|
Im Mittelpunkt steht Virginia, die sich im Verlauf der Handlung als vielschichtiger entpuppt als erwartet. Ihre bewegte Vergangenheit und das schreckliche Geheimnis, das sie mit Michael teilt und das „Echo der Schuld“, das sie seither mit sich herumträgt, sind der Grund für ihre in sich gekehrte Art und den Mangel an Ausgelassenheit. Ihre Hilfsbereitschaft gegenüber den Moors ist gut nachvollziehbar, während man ebenso die Abneigung von Frederic verstehen kann, der zu Recht befürchtet, dass sie sich auf eine große Belastung einlassen.
Der wohl interessanteste Charakter ist Nathan Moor. Seine Frau Livia, ein verstörtes, scheues Wesen, ist ein reiner Sympathieträger, während man für Nathan zunächst Abscheu empfindet. Sein gutes Aussehen und gewinnendes Auftreten können nicht über seine Unverschämtheit hinwegtäuschen. Empört verfolgt man, wie er Stellung in Virginias Haus bezieht und immer weiter in ihr Leben eindringt. Allerdings offenbart er auch eine sensible Seite und bringt Virginia dazu, ihr tiefstes Geheimnis zu offenbaren. Nach und nach begreift man, was für einen wichtigen Ausgleich der unbekümmerte Nathan im Gegensatz zum karriereorientierten Frederic für Virginia darstellt, sodass die anfangs rein negative Empfindung revidiert wird.
|Keine nennenswerten Schwächen|
Insgesamt ist „Das Echo der Schuld“ so grundsolide, dass man kaum etwas bemängeln kann. Etwas fragwürdig ist die Begründung, weshalb Virginia Nathan Moor tatsächlich bei sich zuhause einziehen lässt. Zwar ist ihr Ehemann Frederic für einige Tage verreist, doch es steht außer Frage, dass er über Tochter Kim früher oder später von dem unliebsamen Gast erfahren wird. Trotz allen rhetorischen Geschicks ist nicht ganz nachvollziehbar, warum Virginia Nathan so viele Freiheiten zugesteht und sich nicht überwindet, ihn an die deutsche Botschaft zu verweisen, zumal sich die Sympathie und Vertrautheit für ihn erst später ergibt.
Obwohl in leichtem Stil geschrieben, kann die Vielzahl der Handlungsstränge den Leser leicht überfordern. Mal geht es um Virginia und Frederic, dann um Nathan und Livia, dann um die ermordete Sarah und ihre Leidensgenossin Rachel, dann um die kleine Rachel, die Bekanntschaft mit dem Mörder schließt, und letztlich um Virginias Vergangenheit. Ein kleiner Kritikpunkt ist außerdem das Ende, das einen der Handlungsstränge offen lässt. Obwohl es kein zentraler Aspekt ist, wirkt dies beinah wie eine Aufforderung zu einer Fortsetzung.
_Unterm Strich_ liegt hier ein sehr unterhaltsamer und hochspannender Thriller vor, der nicht nur Fans von Charlotte Link ans Herz zu legen ist. Auf mehreren Ebenen entfaltet sich eine fesselnde Handlung, die sich um Ehedramen, Kindsmord und eine geheime Vergangenheit dreht. Die kleinen Kritikpunkte fallen dabei kaum ins Gewicht, sodass am Ende nur eine klare Empfehlung bleibt.
_Charlotte Link_, Jahrgang 1963, gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autorinnen der Gegenwart. Fast alle ihre Bücher wurden zu Bestsellern. Ihre Spezialgebiete sind historische Romane sowie Psychothriller. Zu ihren bekanntesten Werken zählen: „Das Haus der Schwestern“, „Verbotene Wege“, „Die Sünde der Engel“ und die Sturmzeit-Trilogie („Sturmzeit“, „Wilde Lupinen“, „Die Stunde der Erben“). Mehrere ihrer Bücher wurden fürs Fernsehen verfilmt.
http://www.blanvalet.de
|Siehe ergänzend dazu:|
[„Am Ende des Schweigens“ 1606
[„Der fremde Gast“ 1080
In diversen US-Staaten stellt ein Serienmörder seine Opfer aus: Er entführt Menschen, um sie dann zu vergiften und mit dem Skalpell die Muskeln, einzelne Organe oder Knochen wie für ein anatomisches Modell zu präparieren. Da der Täter keine ethnischen Minderheiten, Außenseiter oder andere Bürger zweiter Klasse metzelt, sondern seine ‚Schaustücke‘ unter den Angehörigen prominenter, d. h. politisch und wirtschaftlich einflussreicher Familien auswählt, erregen diese Fälle Aufsehen. Die Presse bläst zur Hetzjagd auf die mächtig unter Druck geratende Polizei.
Nach dem fünften Mord heuert in Washington Dr. Whitney McCormick, Direktorin der FBI-Abteilung für Verhaltensforschung, den Psychiater Frank Clevenger an. Schon oft hat er ihr bzw. dem FBI beratend zur Seite gestanden. Clevengers Spezialität ist die Erstellung psychologischer Profile, die zu verstehen helfen, was in den Köpfen von Gewalttätern vorgeht, damit man sie mit diesem Wissen identifizieren und aufhalten kann. Keith Ablow – Der Diener Gottes weiterlesen →
Nach dem erfolreichen Krimi „Der Tote im Park“ folgt nun das Mittelstück einer Trilogie: „Marlies“. Der Leser darf sich auf alles gefasst machen, denn die rothaarige lüsterne Marlies macht sich wieder einmal über den wankelmütigen Schriftsteller Norman her, der selbstverständlich keine Chance gegen ihre Attacke hat.
Der Autor
Norbert Sternmut
Norbert Sternmut (= Norbert Schmid), geboren 1958, lebt in Ludwigsburg und arbeitet als Sozialpädagoge. Der Theaterautor, Rezensent, Maler, Lyriker und Romanschreiber erhielt Stipendien vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Gerlingen. Er veröffentlichte zwanzig Einzeltitel seit 1980 und ist in über 50 Anthologien vertreten. Als Maler trat er mit 75 Ausstellungen an die Öffentlichkeit. Der gelernte Werkzeugmacher wurde nach einem Studium zwischen 1982 und 87 Sozialpädagoge und ist seit 1993 in der Bildungsarbeit im Bildungszentrum Stuttgart tätig. Mehr Infos gibt’s auf seiner Website www.sternmut.de.
Seit 1980 hat Sternmut eine ganze Reihe von Lyrikbänden veröffentlicht, darunter die von mir vorgestellten Bücher „Photofinish“, „Triebwerk“ und „Absolut, du“. In dem Band „88 Rätsel zur Unendlichkeit“ arbeitete er mit dem Grafiker Volker Funke zusammen: Die Rebus-artigen Rätselgrafiken harmonierten mit den frei assoziierenden Gedichttexten Sternmuts. Eine Webseite ergänzte das multimediale Werk auf der Zeit angemessene Weise.
Auf der Prosaseite ist seine Romantrilogie hervorzuheben, zu der „Der Tote im Park“ (1999), „Marlies“ (2003) und sein Roman mit dem Titel „Norm@n“ gehören. Eine Reihe von z.T. phantastischen Erzählungen erschienen in dem Band „Das Zeitmesser“ (Rainar Nitzsche Verlag, Kaiserslautern, 1997).
Handlung
Norman, der Schriftsteller, hat sich mit seiner Frau Regina und den zwei Kindern Lisa und Gloria (die nicht von ihm sind) fest eingerichtet in einer sicheren, gedeihlichen Umgebung, so dass er an seinem nächsten Roman schreiben kann. Was die mütterlich treu sorgende Regina allerdings nicht ahnt: Norman hat eine Geliebte, eine gewisse Eva Adam. (Man sieht: Namen tun hier wenig zur Sache.) Das dürfte für ihn zu einem gewissen Problem werden.
Marlies hat nämlich angerufen – Marlies, die Zerstörerin, Aphrodite und Kalí in einem, Normans femme fatale. Leider konnte Norman die Klappe nicht halten und erzählte ihr von Eva. Wenig später meldet sich der Herr Inspektor (der überhaupt keinen Namen hat) bei Norman an: Eva Adam sei ermordet (mit „aufgetrennten Brüsten“ und zerschnittenen Genitalien) aufgefunden worden, und ob der Herr Schriftsteller, dessen Fingerabdrücke man überall in der Eva-Wohnung gefunden habe, etwas Erhellendes dazu beitragen könnte? Norman kann nicht.
Als Marlies vor der Tür steht, während Regina beim Einkaufen ist, kann Norman ihr nicht widerstehen, so sehr er sich das auch wünschen würde – von wegen Treue zu Regina und so. Die anschließende Sexszene dauert so lange, dass Regina die beiden in ihrer Wohnung vorfindet. Regina wurde von ihrer Freundin Helga gewarnt, dass der Schriftsteller sie eines Tages enttäuschen würde. Regina stellt Norman auf die sanfte Tour vor die Wahl zwischen zwei Frauen. Doch er hält an ihr fest. Sagt er.
Der Verdacht des Herrn Inspektors gegen Norman wird immer dringender. Warum, bleibt vorerst unklar – Polizeigeheimnis. Allerdings gibt Norman das Verhältnis zu Eva Adam erstmals zu. Das ist wohl nicht so geschickt. Marlies lädt ihn zu einem Stelldichein bei sich ein, doch er erzählt ihr nochmals, dass Eva seine Geliebte gewesen sei und er seiner Frau „treu“ bleiben wolle. Nix da: Marlies‘ Verhältnis zum Schriftsteller, über das nun endlich mehr zu erfahren ist, verhindert, dass er sich ihr verweigern kann. Seine fatale Muse ist für ihn ebenso lebensnotwendig wie die treue Versorgerin.
Da taucht der Herr Inspektor auf und nimmt den Schriftsteller wegen dringenden Mordverdachts fest. Ob ihn Marlies oder Regina aus seiner Zelle herausholen, dürfte der zweite Teil des Romans zeigen.
Mein Eindruck
„Marlies“ ist zwar ein Krimi mit entsprechender Handlungsstruktur, aber es ist beileibe kein realistischer Roman im handelsüblichen Sinne. Das lässt sich schon an der Tatsache ablesen, dass es der Autor wagt, einer der wichtigsten Figuren eines Krimis, nämlich dem Ermittler, hier den Eigennamen zu verweigern. Unerhört, nicht wahr! Er ist einfach nur „der Herr Inspektor“ – eine Chiffre. Jeder Leser kann sie mit einem Gesicht versehen. Das gilt im Grunde auch für die übrigen Figuren in diesem Stück: Marlies, die fatale Muse; Regina, die mütterliche Ehefrau; Norman, der schwankende Schriftsteller, der wie sein Namensvetter Norman Bates (aus Hitchcocks „Psycho“) womöglich einen gravierenden Mutterkomplex hat.
Nicht nur die Figuren sind typisiert, als habe man es mit einem morality play zu tun, sondern auch ihre Sprechweise widerspricht dem mimetischen Prinzip, demzufolge die Figuren so sprechen sollten, wie es wirkliche Menschen tun. Sie deklamieren, argumentieren, überreden, beschwören, flehen einander an, sprechen mit Ausrufezeichen, Fragezeichen und was nicht alles. Der Ton erinnert an Theaterstücke, an hymnische Gedichte (Klopstock, Hölderlin usw.).
Dann wieder beschäftigt sich der Autor mit prosaischen Themen wie dem Leben in Ibbenbüren bei Osnabrück, von wo nie ein Bundespräsident o. Ä. gekommen ist. Auch Elfriede (Jelinek) und Peter (Handke) sowie (Martin (Walser) tauchen als Chiffren auf, herbeizitiert, wie es dem Zweck des Moments dienlich erscheint.
Eines wird also klar: Die Darstellung von Fakten, wie sie einem Krimi wohlansteht, ist hier nicht weiter von Belang. „Wahrheit“ ist nur ein Wort und Fiktion alles. „Wirklichkeit“ ist der Willkür ausgeliefert. Insofern hat es der Leser eher mit einer subjektiven Weltkonstruktion wie bei Joyce oder T. S. Eliot zu tun als mit einer realistischen Erzählweise, die sich eben an Realien festmacht. Die Bewusstseinsebenen wechseln ebenso leicht wie die Sprachebenen.
Gleichzeitig reflektiert der Ich-Erzähler, der sich selbst als „Norman-Figur“ auf die Bühne des Geschehens stellt, über die dargestellte Geschichte: Fiktion und Reflexion sind eng miteinander verknüpft. Selbst wenn „Norman“ also stürbe, so wäre dies relativ unerheblich: Dies ist nur für die Fiktion relevant, nicht aber für den reflektierenden Erzähler.
Für ihn ist die Fiktion eine Versuchsanordnung. Falls er sich in „Norman“ spiegelt, so findet sich Norman in einem Experiment der Beziehugnen zwischen drei Frauen: Marlies, Regina und Eva Adam. Eva wird schon bald aus der Gleichung entfernt, und wer weiß, was Regina noch zustößt? Falls Norman versucht, eine Position zu finden, so ist dieser Versuch wohl zum Scheitern verurteilt. Als Nicht-Handelnder, sondern Gelegenheit-Ergreifender, als Beobachter, ist er ein Spielball mehr oder weniger sichtbarer Kräfte – Marlies ist eine davon. Norman kann nur versuchen, möglichst „gut“ zu scheitern – frei nach Samuel Beckett. Woran sich die Qualität dieses Scheiterns bemisst, ist jedem Leser selbst überlassen.
Unterm Strich
Für den durchschnittlichen Krimileser, der nur eine einigermaßen spannende Unterhaltung für zwei bis drei Tage erwartet, nach denen er den nächsten Krimi „verschlingen“ kann, eignet sich „Marlies“ nur in sehr eingeschränktem Maß. Schon bald bildet nämlich das Spiel mit der Fiktion Stolpersteine auf dem Weg zur Unterhaltung. „Marlies“ bietet kein Paralleluniversum, sondern eine Spielwiese, auf der sich der Autor nach Belieben auslässt, wonach ihm der Sinn steht. Dafür muss der Leser nicht einmal den ersten Band der Trilogie, „Der Tote im Park“, kennen.
Wenn dies also kein „richtiger Krimi“ ist, dann ist es vielleicht ein erotischer Liebesroman? Die Marlies-Figur als verführerische Muse, die den Schriftsteller aus Reginas fürsorglichem Herrschaftsbereich in das Reich von Eros und Sexus entführt, ist die klassische Hexe. Und die Norman-Figur verbrennt sich an ihr regelmäßig die Finger, bedient sich ihrer aber ebenso gerne. (Die Sexszenen sind durchaus erotisch.) Wahrscheinlich schreibt er sogar über Marlies (lies = Lügen). Was aber, wenn dieser Erlebnisdurst seine Existenz zerstört?
Die wichtigste Ebene des Romans dürfte die des reflektierenden Spiels mit Figuren, Gedanken, Empfindungen und Erinnerungen sein. Der Autors verfügt hier über ein breites Repertoire, das durchaus seinen Reiz hat. Immer wieder verweist er auf Samuel Beckett, den alten Iren: „Das letzte Band“ und „Warten auf Godot“ sind in diesem Zusammenhang die maßgeblichen Werke. Gut, wenn man sie schon kennt. Das optimale Scheitern – vielleicht lässt es sich auf dieser Grundlage besser beurteilen. Der Leser sollte auf jeden Fall die nötige Spielfreude mitbringen.
Vielleicht klärt sich ja der Fall „Marlies“ im nächsten Band der Trilogie mit dem Titel „Norm@n“ (s.o.). Man sollte aber keine endgültigen Antworten erwarten.
Nach einer katastrophal fehlgeschlagenen Razzia ist der ohnehin angeschlagene Ruf von Logan McRae, Detective Sergeant bei der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen, endgültig ruiniert. Nur sein Chef Detective Inspector Insch stellt sich vor ihn, kann aber nicht verhindern, dass McRae zum „Versagerclub“ versetzt wird: Für die verschrobene, manieren- und rücksichtsfreie, nikotinsüchtige Detective Inspector Roberta Steel arbeiten jene Beamte, die für den Dienst schlicht zu dämlich sind oder bestraft werden sollen.
McRaes aktueller Fall ist entsprechend. Die alternde Prostituierte Rosie Williams wurde auf offener Straße zu Tode geprügelt. Niemand will sich der Routinesache annehmen, denn ein publicitywirksamer Massenmord beschäftigt die Grampian Police viel stärker: Sechs Menschen – darunter ein neun Monate altes Kind – wurden in ein baufälliges Haus eingeschlossen und lebendig verbrannt.
Auch ein kaltgestellter McRae ist ein guter Polizist, was DI Steel sehr wohl weiß und für sich auszunutzen gedenkt. Ihr neuer Untergebener findet Hinweise auf einen Serientäter, der mehr als eine Prostituierte umgebracht hat. Leider versteift sich Steel auf einen Verdächtigen, den McRae nicht für den Täter hält.
Als der Feuerkiller ein weiteres Mal zuschlägt, gerät McRae vorübergehend aus dem Sichtfeld seiner Vorgesetzten. Das gibt ihm die Gelegenheit, selbstständig zu ermitteln sowie sich in weitere berufliche Schwierigkeiten zu verwickeln. Die Fährte wird heiß – brandheiß, denn plötzlich stört McRae zwei Killer von „Malk the Knife“, dem heimlichen Herrscher von Aberdeens Unterwelt auf. Unklugerweise beschließt der Detective Sergeant mit einigen Kollegen einen „privaten“ Einsatz, der schrecklich schiefgeht und sie in die Gewalt zweier Gangster bringt, die im „Verhör“ für ihr Geschick im Umgang mit der Geflügelschere berüchtigt sind …
Ein Serien-Brandstifter, ein Serien-Totschläger, diverse vertierte Mafia-Killer, Kinderschänder und rachsüchtige Eheleute sind noch längst nicht alle Finsterlinge, mit denen es die Polizei von Grampion und vor allem Logan McRae zu tun bekommen. Wie schon in „Die dunklen Wasser von Aberdeen“, dem Startband der Serie um den unkonventionellen (gibt’s eigentlich auch andere?) Detective Sergeant McRae, ist der Plot auch dieses Mal ausgesprochen verwickelt bzw. zerfällt in verschiedene Subplots, die ein wenig zu zahlreich ausfallen und den Zufall stärker als manchmal glaubhaft bemühen, um zum Beispiel die heute im Krimi so beliebte „Überraschung in letzter Sekunde“ zu ermöglichen, nachdem der Fall (oder hier die Fälle) längst gelöst scheint.
Immerhin bleibt kein Rätsel ungelöst, während gleichzeitig die Weichen neu für die Fortsetzung der Reihe gestellt werden. McRae und die Grampian Police haben einige Strolche von den Straßen Aberdeens geholt, an den Verhältnissen, die sie dorthin brachten, hat sich jedoch nichts geändert. Vor allem „Malk the Knife“ bleibt ungeschoren und verliert viel Geld, was ihn nicht warnen, sondern reizen und zu neuen Schandtaten anstacheln wird.
Man darf gespannt sein, wie weit MacBride in dieser Hinsicht gehen wird. Der Bodycount ist in den McRae-Romanen schon jetzt für einen britischen Krimi der klassischen Schule ungewöhnlich hoch, doch sind die Schotten seit Jahrhunderten als kriegerisches Volk und nicht zimperlich bekannt. Auch die Freunde des explizit Ekelhaften werden erneut reichlich bedient, wenn Autor MacBride McRae über noch rauchende Feuerleichen oder in Auflösung begriffene Hundekadaver stolpern lässt. Gefoltert wird mit ungetrübter Sicht auf Täter und Opfer, und natürlich werden auch im Bereich der Pathologie neue Maßstäbe gesetzt. Selten wurden Sezierszenen so goretauglich in Szene gesetzt wie zur „Stunde des Mörders“. (Ein dummer weil nichtssagender Titel übrigens, der wohl der Verzweiflung über die Ratlosigkeit, eine deutsche Übersetzung für „Dying Light“ zu finden, geschuldet ist.)
Nicht mit Blut und Schmerz allein treibt MacBride seine Geschichte/n voran. Das menschliche Elend im Angesicht des Verbrechens, sondern auch im Zeitalter einer globalisierten Gesellschaft, die sich immer deutlicher in Gewinner (wenige) und Verlierer (die Mehrheit) scheidet, ist ein integraler Bestandteil der McRae-Romane. Schon vor langer Zeit hat der Krimi sein soziales Gewissen entdeckt. Die Beschwörung bzw. Anprangerung von Missständen funktioniert besser, wenn sie im Rahmen einer spannenden Handlung geschieht; bittere Medizin nimmt man lieber mit ein wenig Zucker. Wie sein Kollege Ian Rankin (jedoch nicht nur er) nimmt MacBride die unheilige Dreieinigkeit des 21. Jahrhunderts aufs Korn: Politik, Wirtschaft und (organisiertes) Verbrechen. Serienkiller sind daneben fast nur Belästigung, denn die von ihnen angerichtete Schäden halten sich in Grenzen. Mafiosi wie „Malk the Knife“ zerstören dagegen ganze Stadtteile, in denen sie praktisch die Macht an sich reißen und selbst die „unabhängige“ Presse für sich einspannen. Straßenkriminalität, Drogensucht, Prostitution, Frauenhandel: Endlos ist die Liste des Üblen, das dem folgt. MacBride integriert es immer wieder in die Handlung und entwirft ein Bild der Gegenwart, das die Resignation seines Helden erklärt.
Die brutale Wucht der Wahrheit wird geschickt durch einen Humor gemildert, der in seiner Intensität und Konsequenz ziemlich einmalig ist. Die Welt ist ein Irrenhaus, und man sollte sie deshalb nicht gar zu ernst nehmen, wenn man überleben möchte. Ein wenig Gelächter kann befreiend wirken. MacBride versteht die Kunst, es zu wecken (und der Übersetzer hat sich erfolgreich bemüht, den bekanntlich komplexen angelsächsischen Humor ins Deutsche zu retten). Er sieht die Situationskomik, die auch dem Traurigen und Tragischen innewohnt. Wie er sie in Szene setzt, irritiert manchmal, zumal MacBride ein wenig zu oft auf den Heiterkeitseffekt deftiger Flüche, drastischer Pornografie oder Körperausscheidungen setzt, aber er nimmt dem alltäglichen Grauen, das sonst in der Häufung, in welcher MacBride es auf seine Leser niedergehen lässt, schier unerträglich wäre, seine Schärfe.
Wenn es uns wirklich an Herz und Nieren gehen soll, schaltet der Verfasser den Humor plötzlich ab. Das lässt die Ernüchterung umso stärker wirken, denn jetzt zeigt MacBride, dass er auch Emotionen wie Grauen und Schmerz zu wecken versteht. Selbst gute Witze sind manchmal unangebracht. MacBride versteht dies und hält sich daran. Wenn der unglückselige Reporter Colin Miller Stück für Stück seine Finger unter der Geflügelschere seiner Peiniger verliert, ist das nur grauenhaft und nie komisch.
Wirklich „realistisch“ wirkende Personen treten in „Die Stunde des Mörders“ nicht auf. MacBride setzt auf die (gelungene) Überzeichnung seiner Figuren, die durch markante Marotten im Gedächtnis haften. Vor allem mit der Figur der DI Steel läuft der Verfasser dieses Mal zur Hochform auf. Sie erinnert nicht nur an Reginald Hills unvergleichlichen Andy Dalziel, sondern wirkt wie dessen verschollene Schwester im Geiste (und im Polizeidienst). Nichts und niemand ist vor ihrem drastischen Spott sicher, der dazu mahnt, Regeln und Normen in Frage zu stellen, statt sich ihnen anzupassen. Immer wenn man meint, den Charakter Steels in seiner ganzen Primitivität erfasst zu haben, schlägt uns MacBride ein Schnippchen, indem er plötzlich tiefere menschliche Regungen offenbart: Steel spielt die Rolle des Ungeheuers, die sie tarnt und ihr innerhalb des Systems eine Bewegungsfreiheit garantiert; eine Taktik, die sich besagter Dalziel ebenfalls zu Eigen gemacht hat.
Reginald Hill spielt freilich intellektuell in einer anderen Liga. Er schöpft seine Bosheiten aus einem immensen literaturgeschichtlichen Wissen, so dass manche Anmerkung des nur scheinbar grobschlächtigen Dalziel die Verwendung von Fußnoten erforderlich macht. Das ist bei MacBride überflüssig. DI Steel ist definitiv keine gebildete Person, wenn auch eine Persönlichkeit, und MacBride ficht in Sachen Humor wie bereits erwähnt eine wesentlich breitere Klinge.
Logan McRae drängt der Verfasser zeitweise zu stark in die Peter-Pascoe-Rolle des duldsamen Assistenten, der einerseits die Wand darstellt, an die Steel ihre einfallsreichen Bosheiten schmettert, während er andererseits die eigentliche Detektivarbeit leistet. In „Cold Granite“ wirkte McRae nicht so „vernünftig“. Er ist tatsächlich auch jetzt noch exzentrisch genug, doch er sitzt im Polizeirevier von Grampion, das so ausschließlich mit Witzbolden, Spinnern und Nulpen besetzt ist, dass es mit einem „richtigen“ Krimi schwer vereinbar scheint. Erst im Finale kommt der Querkopf und Querdenker McRae wieder zum Vorschein.
In der Darstellung seiner Mörder und Serienkiller lässt MacBride die notwendige Zurückhaltung walten. Es wäre kontraproduktiv, auch sie in Witzgestalten zu verwandeln. Als „normale“ Menschen kann man sie ebenfalls nicht betrachten. Ihre Seltsamkeiten erschrecken jedoch und stoßen ab. Das Böse ist nicht komisch, und seine Bekämpfung laugt aus. Kein Wunder, dass McRae und Co. sich in skurriles Verhalten flüchten. Sie sind uns in ihrer individuellen Verrücktheit ans Herz gewachsen, was uns – wie vom Verfasser geplant – gespannt auf den dritten Band der McRae-Serie warten lässt.
Stuart MacBride wurde (in einem Jahr, das sich nicht ermitteln ließ) im schottischen Dumbarton geboren. Die Familie zog wenig später nach Aberdeen um, wo Stuart aufwuchs und zur Schule ging. Studiert hat er an der University in Edinburgh, die er indes verließ, um sich in verschiedenen Jobs (Designer, Schauspieler, Sprecher usw.) zu versuchen. Nach seiner Heirat begann MacBride Websites zu erstellen, stieg bis zum Webmanager auf, stieg in die Programmierung ein und betätigte sich in weiteren Bereichen der Neuen Medien.
Stuart MacBride lebt heute wieder in Aberdeen. Über Leben und Werk informiert er auf seiner Website [www.stuartmacbride.com,]http://www.stuartmacbride.com die er um einen Autorenblog sowie eigene Kurzgeschichten erweitert hat.
Die Logan-McRae-Serie erscheint im |Wilhelm Goldmann|-Verlag:
1. [Die dunklen Wasser von Aberdeen 2917 („Cold Granite“, 2005)
2. Die Stunde des Mörders („Dying Light“, 2006)
Es gibt vier offizielle Evangelien. Die vier Evangelien des Matthäus, Markus, Lukas und Johannes wurden von den römischen Kaisern überarbeitet, angepasst und der gläubigen Christenheit präsentiert, die dabei war, die Götterwelt des römischen Reiches abzulösen.
Der eigentliche Grund in der Akzeptanz der Evangelien war natürlich die Motivation, die beiden Glaubensrichtungen friedlich nebeneinander praktizieren zu können. Ein kluger und wichtiger Schachzug, denn alles andere wäre leicht vorhersehbar zu einen frühen Religionskrieg eskaliert.
Es gab und gibt noch andere Zeugnisse aus dem Leben Jesus, z. B. die Apokryphen des Neuen Testaments (griechisch apókryphos: verborgen). Dieser Sammelbegriff bezieht sich auf mehr als einhundert Schriften christlicher Autoren zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert. Sie weisen durchaus eine interessante Ähnlichkeit auf und verfügen über grundlegende gemeinsame Merkmale. Trotzdem gehören diese weder zum Kanon des Neuen Testaments noch zu den akzeptierten und zum Lehren geeigneten Schriften der Kirchenväter.
Einige der Schriften haben beispielsweise das alltägliche Leben Jesu näher beschrieben. Vielleicht war dies mit ein Grund, diese nicht der Allgemeinheit zu eröffnen, denn was ist schon eine Gottheit, die menschlich wirkt, mit all ihren Fehlern und in ihrer Sterblichkeit?
Der amerikanische Autor Paul Christopher hat nun mit seinem zweiten bei uns erschienen Roman „Luzifers Testament“ eine nicht unbedingt neue, aber anders interpretierbare Geschichte zu dieser Thematik veröffentlicht.
_Die Geschichte_
Die bekannte Archäologin Finn Ryan besucht das noch immer geheimnisumgebene Ägypten, um nach ihrem erfolgreichen Studium ihren ersten Job bei einer vielversprechenden Ausgrabung anzutreten. Gerüchten und Mutmaßungen zufolge befindet sich hier das Grab eines Apostels. Als wissenschaftliche Zeichnerin sucht sie in der Nähe der lybischen Oase Al-Kufrah nach dem Grab.
Bei einem Routineflug über die Wüste stößt sie zusammen mit dem Piloten Virgil Hilts auf eine unbekannte, geheimnisvolle Höhle. In dieser liegen Leichen noch aus den Zeiten des Zweiten Weltkrieges, die keines natürlichen Todes gestorben sind. Bei einer der Leichen finden sie ein Goldmedaillon, dessen Inschrift auf Luzifer, den Lichtbringer verweist. Diese Inschrift deutet an, dass Jesus die Kreuzigung überlebt bzw. gar nicht erlitten hat, sondern als Eremit inmitten der Wüste weiterlebte und ein eigenes Evangelium verfasste.
Diese Theorie würde die bekannte Geschichte des Neuen Testaments, ja des christlichen Glaubens grundlegend verändern und in Frage stellen. Der Sohn Gottes, der nicht gekreuzigt worden und anschließend von den Toten wiederauferstanden ist, würde alles in Frage stellen, was die Kirche lehrt und lebt, was sie vermittelt und was ihr eine Daseinsberechtigung gibt.
Schnell werden Finn Ryan und Virgil Hilts zu Gejagten und sind auf der Suche nach der Wahrheit gezwungen, einen Weg über den gesamten Globus einzuschlagen. In der karibischen See liegt ein Schiffswrack, das den Schlüssel zu dem verschollenen Evangelium bergen soll. Ein mörderischer Wettlauf mit der Zeit und den anderen Interessenten entbrennt, denn es sind sich alle einig, dass die letzte Botschaft Christi die Geschichte völlig in Frage stellen könnte – eine Gefahr für die Kirche und ihre Machtstellung in der Welt …
_Kritik_
Romane rund um die katholische Kirche und mysteriösen Verschwörungstheorien haben nach den Veröffentlichungen des Trendsetters Dan Brown eine schier endlose Anzahl von Nachahmern auf die Bühne gerufen. Auch Christopher ist mit „Luzifers Testament“ einer dieser Trittbrettfahrer und unterhält den Leser mit seinen Theorien rund um das Leben und noch viel wichtiger dem Überleben Christi auf recht einfallslose Art und Weise.
Paul Christopher verfährt sich mit einer Geschichte um ein „verlorenes“ Evangelium in eine Schnitzeljagd, die die beiden Charaktere rund um die Welt reisen lässt. Leider kommt dabei die eigentliche Geschichte, die sich ja um die Evangelien herum abspielen sollte, völlig zu kurz. Völlig unzureichend recherchiert, findet der Autor keine plausible und vielleicht sogar interessante Theorie, stattdessen wird geschossen, gekämpft und gereist und selbst die Ausarbeitung der Protagonisten bleibt auf der Strecke.
Die beiden Hauptcharaktere Finn und Hilts haben beide kaum eine Vergangenheit, die ihren Figuren literarische und charakterliche Tiefe geben könnte. Viele Fragen stellen sich dem Leser schon auf den ersten Seiten und werden auch im Laufe der Geschichte und Entwicklung nicht zufriedenstellend erklärt. Hilts sollte eigentlich nur eine Nebenfigur sein, aber dessen Geschichte und seine heldenhafte Überlebenskünste bleiben in einem erzählerischen Nebel gefangen. Keine Erleuchtung, nicht mal ein Funken erzählerischen Tiefgangs hat sich mir präsentiert.
Was hätte aus der Idee geboren werden können, dass Jesus nicht gekreuzigt worden ist, sondern sich versteckt hat? Dass er ein eigenes Evangelium verfasst hat? Alles Ideen, die überhaupt nicht weiter verfolgt worden sind. Primär stand wohl das Abenteuer à la „Indiana Jones“ im Vordergrund. Es hätte ein toller Roman werden können, der seine Leser hätte fesseln und dazu motivieren können, selbst ein wenig in den Geschichten und Sagen der Evangelien zu recherchieren.
Was bleibt am Ende übrig? Nichts – der Leser wird nach den knapp 400 Seiten keinen Aha-Effekt erleben. Stattdessen wird er sich fragen, wo die Erklärungen für die haltlosen Theorien abgeblieben sind. Kein Nachwort des Autors, kein Hinweis auf historische Quellen oder Karten, die uns auf der Suche nach dem Sinn hätten zur Hilfe eilen können. Enttäuschend, geht man von dem Hintergrund aus, dass der Autor Paul Christopher Professor für Geschichte ist. Seine Erfahrungen zum Thema Fälscherei und Kunstraub während des Zweiten Weltkrieges hat er zwar im Roman ein wenig verarbeiten können, aber ansonsten hat er nicht gut und ausreichend genug recherchiert.
_Fazit_
Bringt man eine gewisse Erwartungshaltung in Bezug auf die Theorien des verschollenen Evangeliums in die Lektüre ein, kann der Autor seine Leser in keinerlei Hinsicht von seinen Thesen überzeugen. Weder besitzen seine Figuren so etwas wie eine Seele noch wirkt die Story fesselnd und glaubhaft. Zu viele kleine Ungereimtheiten offenbaren sich, zu wenige Theorien werden eingebracht, welche die Geschichte glaubhaft und vor allem abschließend voranbringen. Stattdessen wurde einfach nur Wert auf möglichst viele Actioneinlagen gelegt.
Dieses Feuerwerk hätte sich Paul Christopher ersparen und sein Augenmerk mehr auf die Geschichte selbst richten können, vielleicht wäre dann „Luzifers Testament“ zu empfehlen gewesen.
_Der Autor_
Paul Christopher ist Professor für die Geschichte des 20. Jahrhunderts an einer der großen Universitäten in Amerika. Zur Thematik Fälscherei und Kunstraub u. a. in Europa während des Zweiten Weltkrieges hat er einige wichtige Fachbücher veröffentlicht. Zu diesen Themen hält er weltweit Vorträge und ist Berater der UNO sowie Berater einer auf Kunstraub spezialisierten Sondereinheit der New Yorker Polizei. Zurzeit lebt er in den Vereinigten Staaten und in Europa.
Schon seit dem Jahr 1992 ist das Autorentrio Hiltrud Leenders, ihr Mann Artur Leenders und Michael Bay in der deutschen Krimilandschaft unterwegs. „Die Burg“ ist bereits das zwölfte Buch der drei und spielt erneut am Niederrhein.
In der kleinen Stadt Kleve ist die Aufregung groß. Eine englische Historiengruppe ist angereist, um eine Schlacht auf der Burg nachzustellen. Doch die Aufregung schlägt in Entsetzen um, als plötzlich eine echte Bombe explodiert und mehrere Menschen getötet und verletzt werden. Die Klever Komissare, das KK 11, steht vor einem Rätsel. Schon bald kann man einen Terroranschlag auschließen. Hatte der Täter nur eine bestimmte Person im Visier? Und wenn ja, wen? Wird er erneut zuschlagen? Für die Komissare, unter ihnen das Ehepaar Toppe, das Zeuge der Explosion war, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit …
„Die Burg“ beginnt denkbar schlecht. Das Autorentrio ergeht sich seitenlang in geradezu perfektionistischer Manier darüber, wie die Historientruppe sich auf ihr Schauspiel vorbereitet und wie sie lebt. Ich möchte noch nicht einmal behaupten, dass all diese Erläuterungen, die teilweise in Dialoge gepackt werden, unnötig wären, aber die feinmaschigen, trockenen Erklärungen stören den Lesefluss erheblich. Wären sie runder dargestellt und ließen dem Leser auch noch ein wenig Platz zum Fantasieren, wären sie kein Problem. So klingen sie aber stellenweise wie schlechte Werbung für historische Veranstaltungen.
Doch dann passiert das, womit man wohl nicht gerechnet hat. Während Leenders / Bay / Leenders sich noch in ihren Beschreibungen verstricken, schleicht sich die Explosion auf leisen Sohlen an. Im ersten Moment ist der Leser verwirrt. Ist das gerade wirklich passiert?
Ja, das ist es. Gott sei Dank, denn durch dieses Ereignis entsteht ein Bruch, der im Gegensatz zur vorherigen Propaganda steht und die Ermittlungen einläutet, die wesentlich angenehmer geschrieben sind. Im weiteren Verlauf verzichten die Autoren auf ausschweifende Erklärungen und schreiben nüchtern und sauber. Vielleicht ein wenig zu nüchtern, denn ein wirklicher Spannungsaufbau möchte nicht gelingen. Überraschungen darf man in der zähen Masse nicht erwarten. Eher im Gegenteil, denn der Einbau einer knapp gehaltenen, kodierten Täterperspektive ist nicht gerade neu und in diesem Fall nicht herausragend gelungen. Trotzdem kann man mit dem Krimi eine schöne Zeit verbringen, denn Hiltrud Leenders und Co. legen ein gutes Erzähltempo vor, das den schwachen Spannungsbogen gut kaschiert.
Die Personen sind sehr gewöhnlich und nur die wenigsten tun sich wirklich hervor. Das passt zu der ebenfalls wenig Aufsehen erregenden Handlung. „Wenig Aufsehen erregend“ sollte man allerdings nicht mit „langweilig“ in eine Reihe stellen. „Die Burg“ ist nicht langweilig, sondern einfach kein sprühendes Feuerwerk voller Ideen. Hausmannskost, wenn man es so sehen möchte.
In einem Klever Kommissariat kann man vermutlich auch nicht erwarten, dort die originellsten Charaktere zu finden. Stattdessen stattet das Autorentrio die Protagonisten mit einer guten Portion Authentizismus und Menschlichkeit aus. Die Klever sind alltägliche Menschen, die auch gar nicht danach streben, etwas anderes zu sein. Und dadurch wieder gefallen.
Einzig die Täterperspektive, die eben doch irgendwie versucht, etwas Besonderes zu sein, ist nicht so ganz gelungen. Neben der Planung des Attentats werden die Gründe für das brutale Vorgehen in kurzen Flashbacks, die oft sehr kryptisch und abgehackt geschrieben sind, aufgezeigt. Leider versteifen sich Leenders und Co. ein bisschen zu sehr auf die „psychopathische Schiene“, so dass man das Gefühl hat, Ähnliches schon in tausend anderen Büchern gelesen zu haben.
Insgesamt hinterlässt „Die Burg“ einen zufriedenstellenden Eindruck. Keinen glänzenden, aber immerhin einen positiven. In dem Krimi wird alles sehr alltäglich gehalten, was auf der einen Seite ein wenig langweilt, auf der anderen Seite aber auch sehr authentisch wirkt. Überhaupt ist Authentizismus vermutlich das stärkste Argument, welches das Autorentrio Leenders / Bay / Leenders für sich verbuchen kann. Ansonsten können sie unterhaltsame Literatur bieten, der die eine oder andere überraschende Wendung sicherlich nicht geschadet hätte.
Mit seinem Debüt „Die Therapie“ ist Sebastian Fitzek im letzten Jahr ein rundum guter und erfolgreicher Thriller geglückt, der mittlerweile auch schon fürs Kino verfilmt wird. Nun liegt mit „Amokspiel“ sein zweiter Roman vor und man darf gespannt sein, ob Fitzek damit an den Erfolg des Vorgängerwerks anknüpfen kann.
Eigentlich wollte Kriminalpsychologin Ira Samin schon längst ihren geplanten Selbstmord hinter sich gebracht haben, als ihr SEK-Kollege Oliver Götz sie Hals über Kopf zu einem wichtigen Einsatz mitschleppt. Ein unberechenbarer Psychopath hat einen Radiosender besetzt und hält dort mehrere Menschen als Geiseln fest. Er treibt dort ein makaberes Spiel. Wahllos ruft er Leute an. Wenn sie sich mit der Parole „Ich höre 101Punk5 und jetzt lass die Geisel frei“ melden, darf eine Geisel gehen. Sagt der Angerufene etwas Falsche, so soll eine Geisel sterben.
Wie ernst es dem Geiselnehmer ist, stellt sich gleich in der ersten Spielrunde heraus. Das muss auch die Polizei einsehen, und so stehen Ira Samin und ihren Kollegen harte Stunden bevor. Iras Verhandlungen mit dem Geiselnehmer werden live übertragen. Der Geiselnehmer schwört weiterzuspielen, bis seine Verlobte Leonie zu ihm ins Studio gebracht wird, die Monate zuvor unter merkwürdigen Umständen bei einem Unfall gestorben sein soll. Doch ist sie wirklich tot, wie Jan May, der Geiselnehmer, behauptet? Oder ist der Mann einfach ein Wahnsinniger, dem der Realitätsbezug entglitten ist? Ira muss es herausfinden, doch die Verhandlungen sind ein Wettlauf mit der Zeit. In jeder Stunde will der Geiselnehmer „Cash Call“ spielen und jemanden anrufen. Jede Stunde steht damit aufs Neue das Leben der Geiseln auf dem Spiel …
Der Plot verspricht zunächst einmal jede Menge Spannung. Ein Wettlauf mit der Zeit, eine Geiselnahme, die in der Abgeschlossenheit eines Sendestudios stattfindet und damit wenig Ansatzpunkte für die Polizei zur Stürmung bietet. Obendrein ist der Geiselnehmer selbst Psychologe und kann somit die Tricks der Verhandlerin Ira Samin leicht durchschauen. Für die Polizei und das SEK ist die Situation absolut verfahren, und dadurch, dass der Geiselnehmer bei erster Gelegenheit schon beweist, wie ernst er es meint und dass auch sein einziger Verhandlungsspielraum, sein einziges Pfand (nämlich seine Geiseln) ihm nicht sonderlich viel wert ist, will die Polizei das Dilemma möglichst schnell lösen.
Was für Ira und ihre Kollegen die Sache ebenfalls erschwert, ist die Tatsache, dass Jan May keine wirklich konkreten Forderungen stellen kann. Er fordert den Kontakt zu einem Menschen, der nachweislich bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Keiner weiß so recht mit dieser Situation umzugehen, und während Ira versucht, wenigstens einen Aufschub für die nächste Spielrunde zu erzielen, arbeiten die Kollegen fieberhaft an einem Plan zur Stürmung des Studios.
Für Spannung ist allein durch den Plot somit schon zur Genüge gesorgt. Fitzek verschwendet keine Seite mit Ausschmückungen. Er beginnt acht Monate vor der Geiselnahme mit dem Moment, als Jan May von Leonies Autounfall erfährt, und setzt die Geschichte dann unmittelbar am Tag der Geiselnahme fort. Eine kurze Einführung in das Leben der beiden Protagonisten an diesem Tag, und schon beginnt die nervenaufreibende Geiselnahme, die für Spannung bis zur letzten Seite sorgt.
So gesehen ist „Amokspiel“ auf jeden Fall ein Roman mit „Pageturner“-Potenzial. Man mag das Buch einfach nicht mehr zur Seite legen, denn Fitzek versteht es gut, den Leser bei der Stange zu halten. Immer wieder setzt er in Sachen Spannung neue Akzente, streut Andeutungen ein, welche die Neugier anstacheln, und zieht den Leser in den Bann seiner Geschichte.
Einblicke in die Figuren erhält der Leser dabei vor allem während der Verhandlungen. Ira ist eigentlich als Psychologin arbeitsunfähig. Sie fühlt sich verantwortlich für den Selbstmord ihrer ältesten Tochter, ist Alkoholikerin und wollte sich noch wenige Momente vor ihrem Einsatz das Leben nehmen. Im Grunde ist sie ein psychisches Wrack, und dass sie die Verhandlungen mit Jan May dabei noch so gut meistert (auch trotz des einsetzenden Alkoholentzugs), lässt sie leider ein wenig überzeichnet wirken. Sie mag die beste Verhandlerin des SEK sein, aber dass sie in ihrer gegenwärtigen psychischen Verfassung noch so gute Arbeit leistet, lässt dann doch hie und da Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit aufkommen.
Nichtsdestotrotz machen auch gerade die Verhandlungen einen Reiz des Buches aus. Fitzek lässt insbesondere über die Verhandlungen den Leser einen näheren Blick auf Ira Samin und Jan May werfen. Dass beide gut geschulte Psychologen sind, macht die Verhandlungen nur umso interessanter.
Besonders die Figur des Jan May ist ein interessantes Objekt der Betrachtung. Fitzek lässt den psychopathischen Geiselnehmer im Laufe der Verhandlungen immer menschlicher erscheinen. May wird zu einem Menschen, für den man einerseits Mitleid für seine Situation und andererseits auch eine Portion Sympathie empfindet. Er steht im Grunde ahnungslos einer Situation gegenüber, von deren Ausmaßen er nicht den Hauch einer Idee hat. Mit seiner Forderung versetzt er einige Menschen in rege Betriebsamkeit und setzt eine Reihe von Entwicklungen in Gang, deren ganzes Ausmaß niemand einzuschätzen weiß.
Auch der Leser weiß lange Zeit nicht, worauf das Ganze hinauslaufen wird. Ist Leonie nun tot oder lebt sie doch noch? Sicher ist nur, dass an der Sache irgendetwas faul ist. Das ganze Ausmaß der Geschichte kann der Leser nicht so leicht erahnen. Es gibt irgendwo im Polizeiapparat einen Maulwurf, doch den hat Fitzek leider nicht sehr gut versteckt, und so gibt gerade diese Rolle in der Auflösung dann doch Anlass zur Kritik. Den Maulwurf zu entlarven, stellt für den Leser keine große Herausforderung dar, und so ist dementsprechend ein Teil der Auflösung recht unspektakulär.
Bleibt unterm Strich ein durchwachsener Eindruck. „Die Therapie“ war im Vergleich zu „Amokspiel“ wesentlich raffinierter konstruiert und konnte auch am Ende noch sehr schön überraschen. „Amokspiel“ ist zwar kein schlechter Thriller, denn immerhin mag man das Buch bei der Lektüre kaum aus der Hand legen, dennoch kann Sebastian Fitzek die hochgesteckten Erwartungen, die „Die Therapie“ geweckt hat, nicht so ganz erfüllen. Dafür ist der Maulwurf bei der Polizei zu offensichtlich platziert und dafür wirken auch manche Aspekte der Figurenskizzierung ein wenig zu überzeichnet. Dennoch ist „Amokspiel“ ein ausgesprochen spannungsgeladener Lesegenuss, der aber eben aus der Masse an Thrillern auch nicht sonderlich deutlich hervorsticht.
Franck Thilliez gehört zu den bekannten Thrillerautoren in Frankreich und hat dort bereits drei Romane veröffentlicht. In Deutschland ist bis jetzt noch nichts von ihm erschienen, aber das soll sich mit „Die Kammer der toten Kinder“ ändern.
Vigo und Sylvain, zwei arbeitslose Ingenieure, lassen ihre Wut über die Entlassung eines Abends mit Graffitidosen an ihrer alten Arbeitsstätte aus. Auf dem Rückweg beschließen sie, aus Spaß über eine verlassene Industrieanlage zu rasen. Dabei töten sie einen Menschen, der eine Tasche voller Geld bei sich hatte. Aus Angst vor Konsequenzen verstecken sie die Leiche im Sumpf und nehmen das Geld an sich.
Was die beiden nicht wissen: Das Geld war Lösegeld und der Tote der Vater eines kleinen Mädchens, der auf dem Weg zur Übergabe war. Wenig später findet man die Entführte tot auf. Lucie Henebelle, junge Polizistin und alleinerziehende Mutter von zwei Säuglingen, spürt, dass der Mörder nicht einfach nur töten wollte. Er hat die Leiche wie eine Puppe ausgestellt und in ihrem Hals findet sich ein Wolfshaar. Lucie ist sich sicher, dass das erst der Anfang war und tatsächlich verschwindet wenig später ein zweites Kind …
Es verschwindet nicht nur ein zweites Kind – auch Lucie steht auf der Liste der Täter. Zum Leidwesen des Buches, denn das wird sicherlich nicht interessanter, wenn man der Handlung so viele durchgekaute Motive wie möglich hinzufügt. Genau das ist nämlich das Problem von „Die Kammer der toten Kinder“. Viele der Handlungselemente wirken wie aus anderen Thrillern und Krimis zusammengeklaubt, was den Aufbau von Spannung beträchtlich behindert. Wie soll man auch von einer Geschichte gefesselt werden, wenn man sie mehr oder weniger schon kennt?
Und wie soll man eine Handlung verstehen, die an wichtigen Stellen, die normalerweise einen Aha-Effekt für den Leser bringen sollten, versagt? Voreilige Schlüsse sind ein weiterer Fallstrick für „Die Kammer der toten Kinder“. Besondere Ereignisse, wie zum Beispiel die Erkenntnis, wer der Täter ist, wirken an den Haaren herbeigezogen und zaubern dadurch neben einem Ausdruck von leichter Langeweile zusätzlich ein Fragezeichen auf das Gesicht des Lesers.
Ausgerechnet die beiden, von denen man es am wenigsten erwartet hat, bringen das Buch am Ende wenigstens noch ein bisschen in Fahrt. Vigo und Sylvain, die beiden Autofahrer, die im Verlauf der Geschichte immer wieder auftauchen, um von ihrem Umgang mit dem Lösegeld zu erzählen, treffen schließlich auf den Mörder. Dieser will sein Geld zurückhaben, doch die beiden Ingenieure haben andere Pläne. Bis es so weit kommt, langweilen die beiden Männer eher, weil nichts wirklich Relevantes in ihrem Handlungsstrang passiert.
Bei den Personen ist es Lucie, die am meisten hervorsticht, weil sie angenehm frisch wirkt. Die junge Frau ist gerade aus dem Schwangerschaftsurlaub zurückgekehrt und ständig übermüdet, weil die beiden Zwillinge, die sie alleine großzieht, sie auf Trab halten. Sie ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Rolle als Mutter und der Arbeit als Polizistin, was sich vor allem in den wunderbaren selbstironischen Einwürfen zeigt, die sie immer wieder macht. Tatsächlich ist sie eigentlich auch die Person, die der Autor am stärksten ausbaut, obwohl sie nicht wirklich im Mittelpunkt steht.
Thilliez begeht nämlich den Fehler, sich nicht auf eine Perspektive zu konzentrieren, die er besonders hervorhebt, sondern er setzt den Fokus auf mehrere. Dadurch wird Lucie, immerhin die Ermittlerin, etwas erstickt und auch den anderen fehlt der Platz, sich voll zu entfalten. Das ist sehr schade, denn sie hätte das Zeug dazu gehabt, um in dem Buch führend zu sein.
Einfach nur ärgerlich ist die Darstellung der Täter. Wie Titel und Inhaltsangabe des Buches schon andeuten, geht es nicht um einen einfachen Kriminalroman mit einem einfachen Mord. Vielmehr haben wir es (mal wieder) mit einem psychopathischen Mörder zu tun, der im Verlauf des Buches auch als Bestie bezeichnet wird. Auch das ist nicht neu, und ganz ehrlich: Der Markt ist mittlerweile deutlich von Bestien überlaufen, vor allem, wenn sie derart flach und reißerisch dargestellt werden.
Thilliez‘ Schreibstil ist auf der einen Seite durch sehr farbige und lebendige Beschreibungen geprägt, andererseits aber auch wenig überladen. Der Franzose neigt dazu, so viele Infos wie möglich in so viele Nebensätze wie möglich packen zu wollen, was den Lesefluss erheblich stört. Er unterbricht den Detailüberfluss zwar ab und an mit Lucies selbstironischen Gedanken oder gelungenen Bildern wie auf Seite 61 („Staubdiamanten vibrierten in der Luft wie ein wilder Regenschauer“), doch insgesamt tut sich der Schreibstil nicht wirklich hervor.
In der Summe bietet „Die Kammer der toten Kinder“ wenig Überraschungen. Der Plot ist von der Spannung her überschaubar, Charaktere und Schreibe ragen nicht wirklich heraus. Der Psychothriller ist höchstens guter Durchschnitt, obwohl gerade Lucie Henebelle einen schöner Ansatz bietet.
Eva ist eine berufliche erfolgreiche Frau und glückliche Mutter des fünfjährigen Axel. Die Ehe mit Henrik ist zwar nach 15 Jahren eingerostet, doch in Evas Augen ist sie dennoch stabil. Nach Monaten der Routine versucht sie, ihren Mann wieder einmal zu verführen. Entsetzt erfährt sie an diesem Abend, dass Henrik schon seit einem Jahr mit dem Gedanken an Trennung spielt. Nur seinem Sohn zuliebe hält er die Fassade aufrecht. Eva unterstellt ihrem Mann eine Geliebte, trotz dessen gegenteiligen Beteuerungen. Durch Zufall erfährt sie von heimlichen Telefonaten mit einer angeblichen guten Freundin namens Maria, die allerdings nicht existiert. Der Fund versteckter Ohrringe beweist Eva endgültig, dass eine andere Frau im Spiel ist.
Noch ehe sie ihren Mann zur Rede stellt, erfährt Eva, wer ihre Rivalin ist. Sie überwindet ihren Schock und beschließt, heimlich zurückzuschlagen. Sie spinnt Intrigen, verschickt Liebes-E-Mails unter falschem Absender und forscht in der Vergangenheit der anderen Frau nach dunklen Punkten, um sie anonym zu verleumden. Um sich ihre eigene Attraktivität zu bestätigen, geht sie einen One-Night-Stand mit dem deutlich jüngeren Jonas ein, den sie in einer Bar kennen lernt.
Nach der gemeinsamen Nacht streicht Eva ihren Liebhaber aus ihrem Leben und konzentriert sich auf die Zerstörung ihrer Rivalin. Doch sie ahnt nicht, dass sie bei Jonas an einen Psychopathen geraten ist, der in ihr seine große Liebe sieht. Während sich Eva mit ihren Verleumdungen in eine prekäre Lage bringt, macht sich der eifersüchtige Jonas auf die Suche nach ihr, um sie zurückzugewinnen …
„Eine verhängnisvolle Affäre“ lässt grüßen; insofern hat Karin Alvtegen ein bekanntes Motiv aus Thrillerfilm und -literatur aufgegriffen. Der besondere Kniff des Romans liegt jedoch darin, dass sie diesen Plot mit einem Psychodrama kombiniert.
|Spannung auf mehreren Ebenen|
Geschickt wird das Bildnis einer zerrütteten Ehe mit den dramatischen Folgen eines One-Night-Stands verbunden. So dreht sich das erste Drittel um die mittlerweile einjährige Affäre von Familienvater Henrik und Evas geschocktes Begreifen, dass ihr Mann sie, wenn ihr gemeinsamer Sohn nicht wäre, auf der Stelle verlassen würde. Zunächst versucht Eva mühsam, die Fassade aufrechtzuerhalten. Sie versucht, ihren Mann zu verführen und an schöne alte Zeiten zu erinnern, doch sie erntet nichts als Kälte. Durch Spionage findet Eva heraus, dass es eine konkrete andere Frau geben muss, und der Zufall verrät ihr schließlich, dass es sogar jemand aus ihrem Bekanntenkreis ist, den sie nie verdächtigt hätte. In diesen Bemühungen, ihre Rivalin psychisch und beruflich zu zerstören, spielt der One-Night-Stand mit dem jungen Jonas zunächst scheinbar kaum eine Rolle. Für Eva ist dieses Abenteuer bloß eine kurze Ablenkung und eine Bestätigung, dass wenigstens andere Männer sie noch als attraktive Frau wahrnehmen.
Schon am nächsten Morgen ist sie mit ihren Gedanken wieder vollends bei ihrer Noch-Ehe und plant die nächsten Schritte ihres Rachefeldzugs. Dieser allein böte schon Stoff genug für einen Roman, doch mit dem mysteriösen Jonas kommt eine zweite inhaltliche Ebene hinein. Das Psychodrama wird um Elemente eines Psychothrillers erweitert. Der Leser erfährt die gefährliche Vergangenheit von Jonas und verfolgt seinen Weg, um seine Geliebte wiederzufinden. Der Ausgang ist in jeder Hinsicht offen, daher ist der Leser bis zur letzten Seite gefesselt. Viele Fragen stellen sich während des Lesens: Wie weit wird Eva ihre Rache an ihrer Rivalin treiben? Gibt es noch eine Chance für ihre Ehe? Wird Jonas auf Evas Spur stoßen und ihr etwas antun?
|Interessante Charaktere|
Die Autorin kreiert trotz der nicht gerade ausufernden Länge des Romans vielschichtige Charaktere. Das gilt vor allem für Hauptperson Eva, die dem Leser mal als Identifikationsfigur dient und mal dunkle Schattenseiten zeigt. Zunächst fühlt man automatisch mit der armen Frau, deren Mann sie betrügt und jeden Versöhnungsversuch harsch zurückweist. Schmerzlich verfolgt man ihre Verzweiflung. Ihr Sohn darf nichts von ihrem Kummer ahnen, auch vor ihren Eltern soll die Fassade gewahrt bleiben, doch Eva erlebt immer wieder neue Demütigungen. Es ist der verzweifelte Kampf einer betrogenen Frau, deren Weltbild von einer Sekunde auf die anderen zerbrochen ist. Auch für die ersten Racheaktionen hat man Verständnis, vor allem angesichts der Tatsache, welche Person sich hinter der Affäre verbirgt. Doch Eva treibt ihre Rache zu weit. Gnadenlos geht sie vor und wird in ihrem Verhalten nach und nach noch kühler als ihr Noch-Mann Henrik.
Dieser gewinnt wiederum im Verlauf der Handlung an Sympathie. Anfangs ist man angewidert vom hinterhältigen Familienvater, der seiner Frau seine Verachtung demonstriert. Doch bei fortschreitender Entwicklung erkennt man, dass auch Henrik seine Zweifel besitzt. Ein geplanter Liebesurlaub mit seiner Affäre endet abrupt, und der Verdacht, dass auch seine Frau ihn betrogen haben könnte, ändert plötzlich seine Gefühle. Henrik liebt Eva zwar nicht mehr so wie früher, doch egal ist sie ihm trotzdem nicht. In ihm wird eine Eifersucht geweckt, von der niemals gedacht hätte, dass sie noch existiert.
In der Figur von Jonas liegen dagegen ein paar Schwächen. Der Hauptkritikpunkt begründet sich damit, dass er einem Klischee-Psychopathen entspricht. Seine verlorene Liebe liegt seit Jahren im Koma, die Chancen auf eine Genesung sind minimal. Der One-Night-Stand mit Eva löst in ihm die irrige Vorstellung aus, das Schicksal habe ihm hier seine neue Liebe gezeigt. Kleine Rückblicke in seine Kindheit und Jugend zeigen eine typische Mutter-Dominanz, die sein Frauenbild gravierend gestört hat.
|Kleine Schwächen|
Ein wenig schade ist, wie leicht es Jonas gemacht wird, Evas Fährte aufzunehmen. Immerhin hatte sie ihm sogar einen falschen Namen genannt, aber der Zufall hilft ihm bei der Suche entscheidend weiter. Ähnliches gilt für Evas Racheaktionen. Obwohl sie ursprünglich nur den Namen und Beruf ihrer Rivalin kennt, stößt sie ohne viel Aufwand auf ein brisantes Details aus deren Vergangenheit, das sie gegen sie verwenden kann und inszeniert eine Fälschungskampagne, bei der Eva viel Glück zur Seite steht. Dagegen geht sie bei einer Aktion ein völlig unnötiges Risiko ein, das auch prompt bestraft wird, sodass man sich über ihr Verhalten als Leser regelrecht ärgert.
Ein wenig gewöhnungsbedürftig sind darüberhinaus die ständigen Perspektivenwechsel. Der personale Erzähler berichtet mal über Evas, mal über Henriks und mal über Jonas‘ Sichtweise, sodass man parallel mehrere Handlungsstränge verfolgt. Verwirrung kommt nicht auf, da ja alle Stränge eng miteinander verknüpft sind, doch man bekommt keinen eindeutigen Hauptcharakter präsentiert. In manchen Fällen wird sogar eine Szene nacheinander aus zwei verschiedenen Sichtweisen erzählt. Dieser Stil sorgt dafür, dass dem Leser nicht viele Gedanken der Figuren vorenthalten werden und wenig Raum für eigene Spekulationen bleibt.
_Als Fazit_ bleibt ein bis zum Schluss spannender Roman, der Psychodrama mit Thriller vereint. In klarer, einfacher Sprache wird von einer zerrütteten Ehe, einem Seitensprung und den fatalen Folgen einer eifersüchtigen Rache erzählt, ohne dabei zu moralisieren. Kleine Schwächen trüben ein wenig den positiven Gesamteindruck, doch unterm Strich bleibt ein sehr lesenswertes Buch, insbesondere für weibliche Thrillerfreunde.
_Die Autorin_ Karin Alvtegen wurde 1965 geboren und lebt in Stockholm. Die Großnichte der bekannten Kinderbuchautorin Astrid Lindgren verfasste mit „Schuld“ ihren ersten Kriminalroman. Mit ihrem nachfolgenden Werk „Die Flüchtige“ gelang ihr der Durchbruch. Zuletzt ist „Scham“ auf Deutsch erschienen.
Kay Scarpetta und Co. müssen sich warm anziehen, denn die deutsche Konkurrenz schläft nicht. Um ehrlich zu sein, ist sie hellwach.
Die engagierte Rechtsmedizinerin Leonie Simon wird gerufen, als man auf dem Dachboden eines Hamburger Hauses die Leiche einer jungen Frau findet, die dort schon sehr lange liegt. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um die vermisste Tochter der mächtigen Staatsanwältin Monika Gebhart-Böttcher handelt. Da ein unnatürlicher Tod nicht auszuschließen ist, tut Leonie ihr Bestes, um Anhaltspunkte dafür zu finden.
Monika Gebhart-Böttcher schiebt ihr und Kommissar Kaminski allerdings einen Riegel vor. Sie lässt das Verfahren einstellen, obwohl Leonie schlüssige Beweise vorlegen kann. Die sture Rechtsmedizinerin findet sich damit allerdings nicht ab und beginnt, in der Vergangenheit der Toten zu recherchieren.
Zur gleichen Zeit werden in verschiedenen deutschen Städten Menschen von einem Sniper erschossen, unter anderem auch in Hamburg. Wirklich interessant wird das für Leonie erst, als ihr Halbbruder Michael auftaucht. Sie hat ihn erst vor Kurzem kennen gelernt und war nicht wirklich erbaut darüber, dass er als Auftragskiller im Untergrund lebt. Er hat den Auftrag, den Sniper zu finden, und bietet Leonie einen Deal an. Die Informationen der Polizei gegen seine eigenen. Die gewissenhafte Leonie ist hin- und hergerissen, doch bevor sie sich versieht, steckt sie viel tiefer im Schlamassel, als ihr lieb ist …
Renate Kampmann schafft mit dem dritten Leonie-Simon-Roman einen sehr gelungenen Krimi, der sich durch eine spannende und vielschichtige Handlung auszeichnet. „Vielschichtig“ ist in diesem Falle ernst zu nehmen, denn es werden gleich zwei voneinander unabhängige Kriminalfälle behandelt. Kampmann schafft es, die beiden Fälle parallel verlaufen zu lassen, ohne dass sie sich verknoten oder dadurch die Spannung flöten geht. Souverän strickt die Autorin ihr Buch zu einem Ende ohne Aussetzer, dafür aber mit viel Spannung, viel Wissen und viel Volumen.
Besonders positiv ist, dass Kampmann nebenbei noch versucht, so authentisch wie möglich den Alltag am Institut für Rechtsmedizin zu beschreiben. Leonie lässt beispielsweise nicht alles stehen und liegen, um auf eigene Faust zu ermitteln, sondern muss weiterhin Leichen und lebende Opfer von Kriminalität untersuchen. Zu den Untersuchungsobjekten werden immer wieder kleine Geschichten erzählt, was das Buch noch fülliger werden lässt.
Das Einzige, was im Verlauf des Krimis immer wieder stört, sind die vielen Erklärungen zu wichtigen und unwichtigen Dingen. Während es bei den medizinischen Fachsimpeleien durchaus etwas mehr hätte sein können, klingen Leonies oft weit hergeholte, sozialkritische Bemerkungen eher wie aus dem Herzen der Autorin als aus dem Mund der Protagonistin.
Leonie selbst ist eine gut ausgearbeitete, sympathische Hauptfigur mit einigen unkonventionellen Zügen. Sie ist eine sehr engagierte Person, die ihre Nase gerne in fremde Angelegenheit steckt und deshalb ständig Ärger bekommt. Außerdem ist sie eine erfolgreiche Frau in ihrer Position mit Aufstiegschancen. Sie ist eine Karrierefrau, aber ihr Leben ist bei weitem nicht so perfekt, wie es scheint. Neben ihrem Halbbruder Michael, mit dessen Gesinnung sie ein Problem hat, hat sie auch noch eine Beziehung zu einem Kollegen, obwohl der verheiratet ist. Leonies Privatleben ist also nicht gerade rosig, und bei der Arbeit legt man ihr auch immer wieder Steine in den Weg. Dadurch entsteht eine sehr starke Frauenfigur, die durch ihre Tiefgründigkeit und Impulsivität gefällt.
Der Schreibstil weist wenige Besonderheiten auf. Er transportiert Handlung und Persönlichkeit Leonies schön in der dritten Person und verzichtet dabei auf überflüssige Satzschnipsel. Die handwerkliche Technik ist ähnlich klar wie der Handlungsverlauf und gefällt durch seine durchkomponierte Art und Weise und die Plastizität.
Die |Bild am Sonntag| wird auf dem Buchrücken mit dem Satz „Besser als Patricia Cornwells aktueller Roman“ zitiert, und auch wenn man Cornwells Buch nicht kennt, muss man anerkennend zugeben, dass es schwierig ist, „Fremdkörper“ Konkurrenz zu machen. Kampmann, die unter anderem auch als Drehbuchautorin arbeitet, weiß, wie man ein gut durchstrukturiertes, spannendes Buch mit einer sympathischen Protagonistin schreibt.
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