Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Grangé, Jean-Christophe – schwarze Blut, Das

Der französische Krimiautor Jean-Christophe Grangé zählt auch international zu den Erfolgsautoren; insbesondere sein Roman [„Die purpurnen Flüsse“ 936 verkaufte sich nicht nur in den Buchläden hervorragend, auch die Verfilmung wurde zu einem Verkaufshit an den Kinokassen. Nun hat Jean-Christophe Grangé seinen neuen Thriller „Das schwarze Blut“ vorgelegt, der ebenfalls eine hervorragende Drehbuchvorlage liefert, sodass wir diese Geschichte sicherlich in absehbarer Zeit auch auf der Kinoleinwand wiederfinden werden.

Im Zentrum des vorliegenden Thrillers stehen zwei männliche Protagonisten: Auf der einen Seite lernen wir den Sensationsreporter Marc Dupeyrat kennen, der seit Jahren fasziniert ist von Morden, Mördern und ihren Motiven. Ihm gegenüber steht der Freitaucher und Massenmörder Jaques Reverdi, der seine Faszination für das Morden auch in die Tat umsetzt.

Schon in seiner Schulzeit wurde Marc mit einem blutigen Selbstmord auf der Schultoilette konfrontiert, doch spätestens, seit seine Verlobte Sophie einem brutalen Verbrechen zum Opfer fiel, möchte Marc die Beweggründe eines Mörders verstehen. Als er nun die Chance wittert, mit dem mutmaßlichen Massenmörder Jaques Reverdi Kontakt aufzunehmen, verwandelt sich Marc in „Elisabeth Bremen“ und schickt dem Mörder unter diesem Pseudonym Briefe in ein malaiisches Gefängnis.

Mit diesen Briefen trifft Marc Dupeyrat einen Nerv bei Reverdi. Zunächst stellt dieser seiner Brieffreundin Elisabeth einige unangenehme Aufgaben, um ihre Vertrauenswürdigkeit zu testen. Doch als er beginnt, ihren Ausführungen zu glauben, schickt er sie los zu einer blutigen Schnitzeljagd, auf der sie die furchtbaren Geheimnisse des französischen Massenmörders ergründen wird.

Während Reverdi also in einem malaiischen Gefängnis auf seinen Prozess wartet, wandelt Marc auf Reverdis Spuren und findet sukzessive heraus, auf welch grausame Weise Reverdi seine Opfer ermordet hat. Nach und nach verwandelt Marc sich gedanklich dabei immer mehr in den Massenmörder, er versetzt sich in die Lage des Mörders und schleicht sich in dessen Gedanken ein, doch in seinen Briefen ist Marc wieder die bewundernde Elisabeth, nur sein eigentliches Ich rückt immer weiter in den Hintergrund.

Am Ende erkennt Marc das Geheimnis des schwarzen Blutes und möchte aus diesem Wissen Profit ziehen, doch ahnt er noch nicht, welche Folgen sein Handeln haben wird; denn Reverdi gelingt die Flucht aus dem Gefängnis und hiermit beginnt sowohl für Marc wie auch Khadidscha, die Pate gestanden hat für „Elisabeth Bremens“ Foto, ein Alptraum …

In routinierter Weise erzählt Jean-Christophe Grangé seine gut durchdachte Geschichte. Zunächst steht die Entwicklung der Hauptcharaktere im Mittelpunkt der Erzählung. Hier lernen wir auf fast hundert Seiten die beiden männlichen Hauptfiguren kennen, die auf den ersten Blick gar nichts gemeinsam zu haben scheinen, die sich dann aber doch ähnlicher sind, als den beiden bewusst ist. Grangé entwickelt hierbei interessante Charaktere und gibt ihnen einen persönlichen Hintergrund, der den Figuren Leben einhaucht und sie größtenteils glaubwürdig erscheinen lässt. Insbesondere der undurchschaubare und mutmaßliche Massenmörder Jaques Reverdi, der seine Opfer brutal misshandelt und ermordet, birgt eine unglaubliche Faszination. Reverdi ist leidenschaftlicher Freitaucher und erreicht größere Tiefen als alle seine Konkurrenten, er findet seine persönliche Erlösung in der [Apnoe,]http://de.wikipedia.org/wiki/Apnoe die auch bei seinen Mordritualen eine große Rolle spielt.

Der Beginn des Buches mutet zunächst etwas ziellos und gemächlich an, es kommt nicht so recht Spannung auf, außerdem bleibt unklar, worauf Grangé hinaus will; ganz langsam entwickelt er seine Geschichte und setzt Stein auf Stein, bevor er sein Erzähltempo anzieht und uns mitnimmt auf den Weg der Erkenntnis. Die ersten hundert Seiten lesen sich daher recht schleppend, doch dann reißt uns die Story mit und entführt uns an exotische Tatorte, die dem Leser einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Eins ist klar: Grangé verheimlicht nichts, er präsentiert uns haarklein die grausamen Mordrituale und beschönigt nichts.

In dem Moment, wo Marc sich auf die Reise nach Südostasien begibt, nimmt die Erzählung ein unglaubliches Tempo auf, das einen nicht mehr loslässt. Wir werden ähnlich gepackt wie Marc Dupeyrat und möchten unbedingt das Rätsel des schwarzen Blutes ergründen und erfahren, wie aus dem vaterlosen kleinen Jungen Jaques Reverdi ein kaltblütiger Killer werden konnte.

Jean-Christophe Grangé beweist nicht nur eine blühende und grausige Fantasie, sondern auch ein großes Erzähltalent, denn er schafft es, uns Personen und Situationen bildlich vor Augen zu führen. Wenn sich Marc im Unwetter auf eine kleine düstere Insel begibt und Reverdis Mordhütte aufsucht, wenn dort der Bambus raschelt und Marc im Dunkeln eine konservierte Leiche ausgräbt, bekommen wir eine Gänsehaut und sind hautnah dabei, wir können uns dieser Geschichte nicht mehr entziehen. Empfindliche Leser sollten daher von diesem Buch lieber Abstand nehmen und auf einen neuen Roman von Rosamunde Pilcher warten, doch Fans von Thomas Harris und Jonathan Nasaw werden hier auf ihre Kosten kommen, zumal Grangé einige deutliche Anleihen bei Harris vornimmt, wenn beispielsweise Reverdi zunächst in Elisabeth Inneres vordringen will, bevor er ihr selbst etwas anvertraut. Das Hannibal Lector’sche „quid pro quo“ wird hier zitiert, aber auch an anderer Stelle erinnert Grangé an „Das Schweigen der Lämmer“.

Der Spannungsbogen setzt zwar vergleichsweise spät ein, doch ist er durchaus gelungen, da er mitzureißen weiß. Nur am Ende übertreibt es Grangé; hier möchte er noch mal alles umkrempeln und greift einmal zu oft in die Trickkiste, sodass dem erfahrenen Thrillerleser beim Zuklappen des Buches doch ein müdes oder sogar genervtes Lächeln auf die Lippen kommt. Am Ende wird man das Gefühl nicht los, dass Grangé mit der Brechstange versucht hat, seinem Buch ein innovatives Ende zu geben, doch so ganz kann es einfach nicht überzeugen.

Auch einige logische Unstimmigkeiten trüben den Lesegenuss, denn Reverdi ist auf der einen Seite der eiskalte und überlegte Killer, der mit ausgefeilten Methoden arbeitet und nie Interviews gibt, doch dann verliebt er sich Hals über Kopf in eine fremde Brieffreundin und vertraut ihr seine innersten Geheimnisse an, er macht sie praktisch zu seinem Lehrling und schickt sie blindlings auf den Weg der Erkenntnis. Das nehme ich dieser Romanfigur einfach nicht ab. Auch Marc Dupeyrat offenbart eine nervtötende Naivität, wenn er nach seiner Rückkehr einen Bestseller über Reverdi verfasst und tatsächlich zu glauben scheint, dass niemand die Parallelen erkennen würde oder dass er mit seinen Holzfällermethoden den Killer überlisten könnte. Dem Ganzen die Krone setzt allerdings die Szene auf, in der Reverdi und Khadidscha schließlich vor Reverdi fliehen müssen und dabei die sicheren Mauern eines großen Hotels verlassen, um lieber zu Fuß des Nachts in einen dunklen Wald zu flüchten, obwohl dies bislang immer Reverdis liebste Mordkulisse war und ihr Auto direkt vor dem Hotel steht.

Doch wird sich „Das schwarze Blut“ sicherlich trotz dieser Schönheitsfehler blendend verkaufen und auch verfilmen lassen; vielleicht steht Jean Reno hier zur Abwechslung einmal Pate für den Killer Reverdi, die Rolle des Dupeyrat wird sich wohl kaum mit Reno besetzen lassen. Jean-Christophe Grangé ist mit diesem Thriller sicherlich kein großer Wurf gelungen, dafür leistet er sich zu viele Schnitzer, nichtsdestotrotz gefällt das vorliegende Buch ganz gut, vertreibt es einem doch auf unterhaltsame Weise die Zeit bis zum nächsten Nasaw oder einem besser durchdachten Grangé.

Cook, Thomas H. – Verhör, Das

Mit „Das Verhör“ hat sich Thomas H. Cook in die absolute Meisterklasse des abgründig düsteren Psychothrillers eingeschrieben, und wer gern Krimis mit dem freundlichen Prädikat „entspannende Unterhaltung“ liest, sollte besser die Finger davon lassen. Eine Ewigkeit ist das her, dass ich einen Krimi tatsächlich(!) nicht mehr aus der Hand legen konnte, z. B. als ich vor Jahren diese Schwäche für Danny Upshaw entwickelte. Danny Upshaw, der direkt aus James Ellroys L.A. der 50er kam (vgl.: „Blutschatten“), ist eine dieser Figuren, die man nicht vergessen kann, ebenso wenig wie die unbehaglichen, ja peinlichen Momente, die mit einer derartigen Lektüre einhergehen: Wenn man nämlich spät nachts anstatt endlich zu schlafen ins Dunkle hineinhorcht und plötzlich unzählige verdächtig knarrende Geräusche im stillen Haus wahrzunehmen glaubt.

Thomas H. Cooks Psychothriller „Das Verhör“ spielt ebenfalls in den 50er Jahren und ist ebenso fesselnd, so cool und düster beängstigend wie ein Ellroy – mit der Garantie, dass Cooks Figuren einen nicht so schnell wieder loslassen werden.

Es sind nur noch 12 Stunden, die der Polizei bleiben, um den Hauptverdächtigen, Albert Jay Smalls, des Mordes an einem achtjährigen Mädchen zu überführen. Gelingt es ihnen in diesen wenigen Stunden nicht, Smalls in einem letzten Verhör zu einem Geständnis zu bewegen, ist der völlig verwahrloste Obdachlose wieder ein freier Mann. Ein Bürger, der sich wieder im Park herumtreiben wird und der mit seiner Vorliebe für kleine Mädchen vielleicht jetzt schon sein nächstes Opfer in Gedanken vor sich sieht. Dem Polizeichef persönlich liegt viel an der Aufklärung des Falles, und so setzt er in dieser letzten Nacht seine besten Leute auf Smalls an, dem, sollte er im regulären Verhör die Tat nicht gestehen, ein Verhör der anderen Art droht. Doch zunächst versucht das eingespielte Team Norman Cohen und Jack Pierce den verschüchterten, schweigenden Verdächtigen, dem seine Schuld auf die Stirn geschrieben zu sein scheint, unter Druck zu setzen. Als dieser in einem unbedachten Moment ein Detail aus seiner Jugend preisgibt, verfolgt Pierce die Spur, die ihn in Smalls Vergangenheit führt, während Cohen das Verhör allein fortsetzt. Ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem nicht nur der Verdächtige bedrohlich nah an die Grenzen der nervlichen und körperlichen Belastbarkeit stoßen wird.

„Das Verhör“ ist (wie z. B. auch der gleichnamige Film mit Romy Schneider und Lino Ventura – ein Klassiker, der Cook als Vorbild gedient haben mag) ein großartig subtil gezeichnetes Psycho-Kammerspiel. Durch Rückblenden, Nebenschauplätze und einhergehende Handlungsstränge wird es jedoch aufgelockert, so dass die Action durchaus nicht zu kurz kommt. Dennoch sind es die finsteren Strömungen der Seele, die Abgründe der Psyche, die Cook nie aus den Augen verliert. Unterschwellig brodeln sie in jeder der Figuren, und dem Autor gelingt es exzellent, immer wieder das eine Thema der „Fehler und Irrtümer“ in zahlreichen Variationen an seinen ebenso unterschiedlichen wie überaus realistischen Charakteren durchzuspielen. Nach dem zwölfstündigen Verhörmarathon hat sich die ganz persönliche Verzweiflung fast jeder Figur offenbart. Ein Seelenstriptease, der immer neue Fragen aufwirft und der gerade, weil er lediglich mögliche Antworten und Erklärungen aufzeigen kann, im Laufe der Handlung immer spannender wird. Wie grausam und clever aber Cook seine Handlungsstränge wirklich verwoben hat, wird erst auf der letzten Seite deutlich, das ist absolut famos! Der Stil ist eigentlich leicht zu durchschauen: Eine einzige Suggestion ist es, der man sich jedoch nicht entziehen kann und die eine ungeheuer dunkle Atmosphäre schafft. Das Verhör ist äußerst beunruhigend, beklemmend. Es ist aber auch sehr urban, verdammt sexy. Ein absolutes Muss.

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Blaudez, Lena – Spiegelreflex. Ada Simon in Cotonou

Die Projektionsfläche, die Afrika, ‚der dunkle Kontinent‘, bietet, ist groß und scheint allzu häufig durch eine eher naive Faszination für das Exotische bestimmt. Nomaden, Naturvölker und natürlich auch Vodou; der direkte Kontakt zur Natur, zu Übersinnlichem und den Verstorbenen erscheinen ebenso verlockend wie beängstigend. Dazu gesellt sich eine grausame Geschichte, die in den Köpfen vorwiegend durch den immer wieder in Mode kommenden Kolonialstil und Hollywood-Verfilmungen präsent ist. Hinzu kommt, dass das weltpolitische Tagesgeschehen oft derart brisant scheint, dass Hungersnöte, Epidemien, Völkermorde und Diktaturen in Afrika schnell zur Randnotiz werden. Ein Kontinent, der im Chaos zu versinken scheint. Vor allem im frankophonen Raum Schwarzafrikas gibt es allerdings immer mehr hervorragende SchriftstellerInnen, die uns Europäern spannende, andere und ungeahnte Einblicke in das afrikanische Denken und Handeln geben könnten. Könnten, da viele Texte oft gar nicht erst ins Deutsche übersetzt werden. Weitaus angenehmer scheint es nämlich, sich dem Fremden, dem Exotischen über das Bekannte zu nähern. Und so stapeln sich die Werke überraschend vieler deutsch-afrikanischer schriftstellernder Prinzessinnen, Massais etc. in den Buchläden und finden reißenden Absatz.

Und jetzt also auch noch ein Krimi! Einer, der mitten in Westafrika, im kleinen Staat Benin, spielt. Von einer deutschen Autorin – die sich allerdings auszukennen scheint, die der erotischen Exotik nicht wirklich erliegt und deren Debütroman fast in jeder Hinsicht hinreißend und überzeugend gelungen ist.

Ada Simon, die Protagonistin in Lena Blaudez‘ „Spiegelreflex“, liebt Afrika, und insbesondere das westafrikanische Benin ist für sie zu einer zweiten Heimat geworden. Als Fotoreporterin hat sie das Land schon oft bereist und kennt sich für eine Europäerin hervorragend aus. Und da sich Fotos von Afrikanerinnen, die auf traditionelle Weise ihre Produkte herstellen, gut in die westlichen Industrienationen verkaufen lassen, kann sie hier bestens ihrem viel geliebten Beruf nachgehen. Dass derartige Reisen für eine |yovo|, ein Weiße also, nicht ganz ungefährlich sind, merkt Ada direkt nach der Ankunft am Flughafen. Denn anstatt sie zu ihrem Hotel zu fahren, entführt sie der Taxifahrer in einen dunklen Hinterhof, wo offensichtlich Menschen für den Vodou-Kult ‚gesammelt‘ werden. Als Europäerin hat Ada aber noch mal Glück, denn in Afrika ist ‚eine weiße Leiche eine besondere Leiche‘, und somit handelt man sich mit entführten, getöteten |yovos| nur unnötigen Ärger ein.

Am nächsten Morgen scheint das Leben wieder in Ordnung zu sein. Ada genießt die Atmosphäre und trifft ihren alten Freund Patrick in Papa Pauls |Champagner-Bar|. Die Freude über das Wiedersehen ist groß, zu erzählen gibt es viel. Ada schmiedet Pläne für ihre Fotoreise und knipst sich – wie Fotografen das nun einmal tun – durch die Bar, um das Flair festzuhalten. Als kurz darauf Patrick erschossen wird, ist bald klar, dass Ada den Mörder abgelichtet haben muss. Und dass ein derartiger Beweis von skrupellosen Mördern nicht hingenommen werden kann, versteht sich ebenfalls von selbst. Die Bedrohung wird überdeutlich, doch Ada macht sich trotz aller warnenden Einschüchterungsversuche auf ihre Reise durch das Land, beschützt nur durch ein Gris-Gris und eine Vodou-Zeremonie.

Wohl nicht ohne Hintergedanken lässt die Autorin Blaudez ihre Protagonistin Ada Simon während ihrer Reise immer wieder in Bulgakows „Der Meister und Margarita“ lesen. Handelt es sich doch hierbei um ein Hauptwerk russischer Literatur über Moral, Unterdrückung und Geldgier, in dem übrigens die Schwarze Magie keine unbedeutende Rolle spielt. Und zweifelsohne ist auch Spiegelreflex. Ada Simon in Cotonou ein Sittenbild nicht nur der afrikanischen Kultur. Ein spannendes Sittenbild voller Abenteuer, das Gut und Böse in vielerlei Schattierungen aufzeichnet und das Zeitgeschehen mit dem Übersinnlichen verflechtet. Das gelingt so faszinierend, dass es kaum stört, dass die eigentliche Krimihandlung etwas dürftig – dafür aber immerhin sehr realistisch anmutet. Korruption, Kredite, Spenden, Bodenschätze: Es sind das Geld und die Macht, die regieren, die ganz privaten Vorteile eines jeden. Und über allem regiert der Vodou, der Staatsreligion ist. Ada Simons Fotoreportage wird eine Reise von Projekt zu Projekt und niemanden scheint es zu stören, dass, sind die Gelder einmal geflossen, weitere Unterstützung, Ersatzteile etc. benötigt werden, um tatsächlich Hilfe zu leisten. Die Jagd nach den richtigen Fotos, der richtigen Kameraeinstellung wird mit der Zeit zunehmend zur Flucht vor Patricks Mördern. Ada Simon erscheint dabei ebenso professionell wie naiv. Extrem cool auf alle Fälle, wenn sie durch die Wüste rast, ohne Passierschein dazu gezwungen ist, Beamte zu bestechen, afrikanische Frauen beim Hirsestampfen fotografiert oder über afrikanische Märkte bummelt, um die Ingredienzien für eine Vodou-Zeremonie zu besorgen. Ada ist von dem Land, durch das sie fährt, das sie in Bildern dokumentiert, fasziniert. Sie lässt sich auf die Kultur ein, ohne den Anspruch, sie zu vollends zu verstehen. Vor allem aber lässt sie sich durch nichts so schnell beeindrucken.

Bemerkenswert an „Spiegelreflex“ ist vor allem der Stil. (Wenig ‚fraulich‘ soll er sein, was wohl heißen soll: Auch Männer dürfen sich an die Lektüre wagen?) Wie der Titel es vorgibt, erzählt Lena Blaudez wie durch die Perspektive einer Kamera reflektiert und distanziert, beschreibt mal schonungslos drastisch, mal liebevoll, fast immer amüsant in unendlichen Facetten den afrikanischen Alltag. Mal bietet sie mit dem Breitwinkel ein buntes Panorama, mal zoomt sie wie beiläufig dicht an Persönliches, Menschliches, Tragisches. Wir sehen einen Teil Afrikas durch Adas Linse, wir hören, riechen, fühlen und schmecken mit ihr – und das macht eindeutig Lust auf mehr! Und da der zweite Band schon geschrieben sein soll und Ada Simon auf den letzten Seiten von Spiegelreflex plant, nach Kamerun aufzubrechen, bleibt am Ende nur die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen. Vielleicht ja in Douala! Oder am Strand von Limbé?

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

John Sandford – Kalter Schlaf

Das geschieht:

Lucas Davenport, Ermittler in der Abteilung Öffentliche Sicherheit im Stab des Gouverneurs von Minnesota, wird gerufen, wenn sich ein Verbrechen ereignet, das sich nicht ins übliche kriminalistische Raster fügt. Der Mord an dem Russen Oleschew in der Stadt Duluth fällt in diese Kategorie, hat man ihn doch mit einer Waffe erschossen, die mehr als ein halbes Jahrhundert alt sein muss.

Hektik bricht aus, als sich herausstellt, dass der Ermordete der Sohn eines einflussreichen Geschäftsmanns ist, der es im neuen Russland zu Macht und Geld sowie besten Verbindungen zur Regierung gebracht hat. Außerdem werden ihm Verbindungen zur russischen Mafia nachgesagt. Der zornige Vater fordert Aufklärung, aus Russland schickt man die „Ermittlerin“ Nadeschda Kalin. Das ruft den US-Geheimdienst auf den Plan, der nicht ohne Grund vermutet, dass Kalin zur ‚Konkurrenz‘ gehört und mehr weiß als sie verlauten lässt. John Sandford – Kalter Schlaf weiterlesen

Jonathan Latimer – Rote Gardenien

Das geschieht:

Ein neuer Fall für William Crane, der in der Detektivagentur des knurrigen Colonel Black arbeitet. Der Industriemagnat Simeon March will den mysteriösen Tod seines Sohnes aufgeklärt wissen. John March wurde tot in der Garage gefunden, erstickt an den Abgasen seines Wagens, den er angeblich reparieren wollte. Leichtsinn, meint die Polizei, die nicht irritiert, das auch Johns Cousin Richard einem ähnlichen ‚Unfall‘ zum Opfer fiel.

Simeon March scheut den Skandal, den ein Mord in der Familie bedeuten würde. Er verdächtigt Carmel, seine Schwiegertochter, die mit John keine gute Ehe geführt hat. Auch mit Richard war sie sehr vertraut, und jetzt zieht sie die Aufmerksamkeit von Peter, dem jüngeren March-Sohn, auf sich. Zu denken gibt March sr. auch, dass über den Leichen von Richard und John deutlich der Duft von Gardenien schwebte, die in Carmels Lieblingsparfüm reichlich Verwendung finden. Jonathan Latimer – Rote Gardenien weiterlesen

Remin, Nicolas – Venezianische Verlobung

Nicolas Remin schaffte mit seinem Debütroman [„Schnee in Venedig“ 1987 auf Anhieb den Weg auf die deutschen Bestsellerlisten. Seine Erfolgsfaktoren waren sicherlich einmal sein sympathischer und verarmter Krimiheld Commissario Tron, aber auch Remins netter Schreibstil und die wunderbar romantische Szenerie haben sicherlich sehr zum Erfolg des Buches beigetragen. So verwundert es nicht weiter, dass Nicolas Remin in der „Venezianischen Verlobung“ auch wieder auf diese verkaufsträchtigen Komponenten zurückgreift, um seine Leser erneut gut zu unterhalten und mit seinem Roman in das Venedig des 19. Jahrhunderts zu entführen.

In Remins zweitem Roman dreht sich alles um die venezianische Verlobung zwischen Commissario Tron und seiner Angebeteten, der Principessa di Montalcino. Die beiden sind zwar offiziell ein Paar, doch wird die Hochzeit immer weiter aufgeschoben, sodass Trons Mutter es langsam mit der Angst zu tun kriegt. Der Palazzo Tron befindet sich in seiner Auflösung, es kann nicht mehr richtig geheizt werden und es regnet durch das undichte Dach hinein, sodass Trons Mutter keine andere Möglichkeit sieht, als Nutzen aus der geplanten Hochzeit zu ziehen und sich dadurch einen Kredit bei der Bank zu besorgen. Doch die Principessa plagen auch Geldnöte, wie sie ihrem Verlobten bald anvertraut. Helfen kann ihr wiederum der gute Name der Trons mitsamt der jahrhundertealten Tradition der Familie Tron.

Doch dies ist nur das schmückende Beiwerk, das die eigentliche Kriminalhandlung abrundet und das Buch noch unterhaltsamer macht. Im Zentrum der Geschichte steht der Mord an Anna Slataper, der politischen Hintergrund zu haben scheint, da Anna die Geliebte des Erzherzogs Maximilian war, also des Bruders des Kaisers von Österreich, der nun selbst Kaiser von Mexiko werden soll. Der Fall wirkt sonnenklar, denn Maximilian scheint sich seiner Geliebten entledigt zu haben, als sein eigener politischer Aufstieg bevorstand. Doch so geradlinig ist Remins Romanhandlung nicht, denn er fügt seiner Geschichte weitere Komponenten hinzu:

Wir lernen das arme Waisenmädchen Angelina Zolli kennen, das Commissario Tron zunächst bestiehlt, ihm dann aber aus Mitleid seine Geldbörse zurückgibt, weil Angelina merkt, dass er selbst nicht viel Geld besitzt. Angelina wird Zeugin des Mordes an Anna Slataper, erkennt von dem Mörder zunächst aber nur sein Hinken. Erst später kann sie sich an weitere Details erinnern und versucht auf eigene Faust, den Täter zu stellen. Im Laufe der Romanhandlung treffen wir auf zwielichtige Gestalten, die alle scheinbar etwas zu verbergen haben, auch Erpressung ist im Spiel, denn Anna Slataper hat zusammen mit einem berüchtigten Fotografen zusammen kompromittierende Fotos erstellen lassen, die nun zu Geld gemacht werden sollen. Aber was wirklich hinter dem Mord an Anna Slataper steckt, das erfahren wir erst ganz am Ende, wenn Nicolas Remin seine einzelnen Handlungsfäden für uns entwirrt.

In ähnlicher Manier wie auch schon in „Schnee in Venedig“ beweist Nicolas Remin erneut, dass er nicht nur über eine wunderbare Beobachtungsgabe verfügt, sondern auch über ein beachtliches Erzähltalent. Seine Dialoge wirken herzerfrischend und stecken voller Wortwitz, sodass wir beim Lesen nicht selten ein Lächeln auf den Lippen haben, weil wir uns die beschriebenen Situationen bildlich vorstellen und dabei einfach amüsiert sein müssen. Bis ins kleinste Detail entwickelt Remin seine Figuren und Szenerien, er erzählt uns von Commissario Tron, der die Zeitschrift mehrfach abonniert hat, die er selbst herausgibt, nur um den Verkaufserfolg voranzutreiben. Doch dann fällt seinem Vorgesetzten Spaur ein, dass er mit „selbst geschriebenen“ (also vielmehr abgeschriebenen) Gedichten seine Geliebte beeindrucken kann. So kommt es schließlich, dass Tron in seiner geliebten Zeitschrift, dem Emporio della Poesia, neben Gedichten von Baudelaire auch die zusammengestückelten Verse seines Chefs abdrucken muss. Zeitgleich muss Tron sich mit seiner Mutter herumquälen, die seine bevorstehende Hochzeit schamlos für ihren finanziellen Vorteil ausnutzen will und Tron damit in eine peinliche Situation zu bringen droht. Die gesamte Rahmenhandlung wirkt insgesamt sehr durchdacht und ausgefeilt; Nicolas Remin zeigt uns, dass ein Kriminalroman mehr ist als nur ein brutaler Mord mit einer anschließenden Hetzjagd.

Besonders Remins Charaktere gefallen äußerst gut. Die meisten von ihnen haben wir bereits in „Schnee in Vendig“ kennen gelernt, doch nun erfahren wir neue Facetten dieser Personen, außerdem kommen neue Figuren hinzu, die ebenfalls ihren Raum in der Geschichte erhalten. Remin füllt seine Figuren aus, haucht ihnen Leben ein und macht sie uns dadurch unglaublich sympathisch. Obwohl das gesamte Geschehen im 19. Jahrhundert spielt, ist Commissario Tron jemand, mit dem man gerne einen Kaffee trinken gehen würde, weil er einfach nett und freundlich auftritt.

Leider kann die eigentliche Krimihandlung nicht ganz mit der Rahmengeschichte mithalten. Während die Geschichte zunächst geradlinig beginnt und klar zu sein scheint, welche Motive und welcher Täter hinter dem Mord an Anna Slataper stecken, so kommen nach und nach immer neue Verdächtige ins Spiel, sodass sich die Spekulationen irgendwann ziemlich im Kreise drehen. Die Verdächtigungen werden wie ein Ball hin- und hergeworfen; hier kommt man gedanklich kaum hinterher, zumal man Remins Gedankengänge nicht immer nachvollziehen kann. Zum Ende hin scheint Nicolas Remin sich in einem unübersichtlichen Wust von gegenseitigen Verdächtigungen zu verlieren, der kaum entwirrbar scheint. Das Romanende wirkt daher alles andere als überzeugend, die Motive werden uns nicht ganz klar, sodass das befriedigende Aha-Erlebnis am Ende leider ausbleibt.

Dennoch kann Nicolas Remin auch mit seinem Folgeroman überzeugen, da er erneut beweist, dass er herrliche Charaktere und Dialoge voller Wortwitz und Situationskomik entwerfen kann. Das Lesen eines Remin macht einfach Spaß, sodass man dem Autor wieder einmal kleine logische Ausrutscher in der eigentlichen Krimihandlung verzeiht.

Asensi, Matilde – verlorene Ursprung, Der

Mit ihrem Verschwörungsthriller „Wächter der Kreuzes“ schaffte die spanische Autorin Matilde Asensi den internationalen Durchbruch. Mit dem „verlorenen Ursprung“ legt sie nun einen neuen Spannungsroman vor, der sich der geheimnisvollen Geschichte der Inkas angenommen hat. Auch in ihrem aktuellen Roman hat sich Asensi ein faszinierendes Thema herausgegriffen, das ein packendes und interessantes Buch vermuten oder zumindest doch erhoffen ließ. Leider kann Asensi diese Erwartungen mit dem vorliegenden Buch jedoch nicht erfüllen. Dabei beginnt „Der verlorene Ursprung“ zunächst äußerst viel versprechend:

Den Programmierfreak und Internetspezialisten Arnau Queralt („Root“) erreicht die Nachricht, dass sein Bruder Daniel mit merkwürdigen Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Daniels Frau Mariona ist verzweifelt, denn Daniel reagiert nicht mehr und bittet um seine eigene Bestattung, da er sich für tot hält. Auch die Ärzte wissen nicht, was mit Daniel los ist, seine Symptome entsprechen zwei verschiedenen, wenig untersuchten Krankheitsbildern. Als kein Medikament eine Verbesserung hervorruft und Daniel immer wieder unbekannte Worte von sich gibt, beginnt Arnau, eigene Nachforschungen anzustellen.

Von seiner Schwägerin Mariona lässt er sich zeigen, woran der Archäologieexperte Daniel vor Auftreten seiner Krankheit gearbeitet hat. Daniels Forschungsunterlagen führen Arnau auf die Spuren der Inkas und einer perfekten Sprache, dem Aymara. In seiner Verzweiflung wendet Arnau sich an Daniels Chefin Marta Torrent, die behauptet, Daniel habe die Aymara-Dokumente ohne ihre Erlaubnis entwendet. Arnaus Misstrauen wächst, da er seinen Bruder für absolut vertrauenswürdig hält, doch muss er im Laufe seiner Nachforschungen feststellen, dass er seinen Bruder wohl doch nicht so gut gekannt zu haben scheint …

Zusammen mit seinen engsten Mitarbeitern Marc („Jabba“) und Lola („Proxi“) findet Arnau immer mehr faszinierende Details über die Inkas heraus, die sein Weltbild ins Schwanken geraten lassen. Die Drei entdecken schier unglaubliche Dinge und Dokumente, die sie auf die Spur einer in Vergessenheit geratenen Zivilisation bringen. Schließlich fliegen die drei Computerspezialisten zusammen nach Bolivien, um ihre Entdeckungsreise im geheimnisvollen Tiahuanaco fortzusetzen. Dort begeben sich Arnau, Marc und Lola zum „Grab des Reisenden“, wo sie gefährliche Rätsel zu lösen haben, doch dann stellen sie fest, dass sie nicht die Einzigen sind, die das Rätsel um das Volk der Yatiri lösen wollen …

Im Grunde genommen hat sich Matilde Asensi vielversprechende Zutaten für ihren neuen Roman herausgesucht, die zusammen sicherlich ein packendes Ganzes hätten ergeben können, doch ist Asensis Mischung in diesem Fall nicht ganz gelungen. Dabei beginnt alles positiv und lässt auf einen spannenden Fortgang der Geschichte hoffen. Zu Beginn werden wir der Hauptfigur Arnau Queralt vorgestellt, der als erfolgreicher Jungunternehmer und Internetspezialist bekannt ist, sich in seiner Freizeit allerdings gerne zusammen mit Jabba und Proxi in fremde Rechner einhackt. Arnau wohnt in einer faszinierenden High-Tech-Welt, nämlich in einer Wohnung, in der er sprachgesteuert für seinen eigenen Luxus sorgen kann.

Spannend wird es, wenn diese technisierte Zukunftswelt zusammenprallt mit der alten Inka-Kultur, die viele tausend Jahre in die Vergangenheit zurückreicht und dennoch nicht minder perfekt und modern anmutet. So müssen schließlich Root, Jabba und Proxi im finsteren Dschungel Boliviens Abschied nehmen von ihren technischen Errungenschaften; dort beginnt Arnau schließlich, sein Leben und seine Einstellung zu überdenken, sodass er aus seinem spannenden Abenteuer fast schon als geläuterter Mensch hervorgeht. Dies ist auch bereits einer der wesentlichen Kritikpunkte, denn Asensis Romanfiguren bieten wenig Angriffsfläche, ihre Charaktere wirken glatt und oberflächlich. Allen voran wären hier die beiden so unterschiedlichen Brüder zu nennen: Auf der einen Seite steht der reiche und erfolgreiche Besitzer einer hochdotierten Internetfirma, auf der anderen sein nicht minder intelligenter Bruder, der sich als Dozent für Archäologie einen Namen gemacht hat. Doch schwelt die Eifersucht zwischen den Brüdern, da Daniel neidisch ist auf Arnaus finanziellen Erfolg. Dies ist abgesehen von Daniels plötzlicher Krankheit allerdings die einzige Gewitterwolke, die am Queralt’schen Himmel aufzieht.

Auch Arnaus Angestellte Jabba und Proxi wirken wenig authentisch, zu perfekt und mutig agieren sie, obwohl sie ihren Tag ansonsten vor dem Computermonitor verbringen und dem Dschungel vorher höchstens mit dem Finger auf der Landkarte näher gekommen sind. Dennoch meistern sie die Schwierigkeiten und Gefahren des Dschungels fast schon meisterhaft, was uns beim Lesen ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann, wenn man sich den beleibten Jabba (der seinen Spitznamen aufgrund seiner Ähnlichkeit mit der bekannten Figur Jabba the Hutt aus „Star Wars“ erhalten hat …) vorstellt, wie er sich mit seiner Machete bewaffnet einen Weg durchs Dickicht freikämpft. Natürlich darf auch nicht die Liebesgeschichte fehlen, die sich im Dschungel zwischen zwei einstmals verfeindeten Menschen entspinnt, als sie erkennen müssen, dass doch alles ganz anders ist, als es zuvor den Anschein hatte.

Zentrum der Romanhandlung sind schließlich die gut recherchierten Informationen über die Inkazeit und die Dokumente der Yatiri und ihrer Sprache Aymara. Hier offenbart Matilde Asensi, dass sie sich wahrlich meisterhaft in das Thema eingelesen zu haben scheint. Doch ist hier das wohl größte Manko des vorliegenden Buches festzumachen, da Asensi eine wahre Informationsflut über ihre Leser ergießt und damit auch den ausdauerndsten Leser zwangsläufig überfordern muss. Wer nicht gerade die Inkazeit als persönliches Steckenpferd auserkoren hat und demnach besonderes Interesse an diesen Details mitbringt, wird bei der Lektüre des Buches mit ziemlicher Sicherheit oftmals gelangweilt sein. Fast die Hälfte des Buches handelt von den Yatiri und ihrer verlorenen Kultur, sodass die eigentliche Rahmengeschichte über weite Strecken so sehr in den Hintergrund tritt, dass man fast schon vergessen kann, dass man eigentlich kein Sachbuch liest, sondern einen Roman. Erst zum Ende hin fängt Asensi sich wieder, wenn sie von der Dschungelexpedition berichtet und ihre Romanfiguren wieder in den Mittelpunkt der Erzählung stellt.

Hinzu kommt, dass man lange Zeit nicht weiß, worauf Matilde Asensi eigentlich hinaus will; so liest man etwas ziellos weiter und vermisst leider auch einen Spannungsbogen. Die Geschichte fließt ziemlich zäh dahin und man muss immer wieder geduldig warten, bis man neue Informationshäppchen vorgeworfen bekommt, die nicht nur die historischen Ausführungen vorantreiben, sondern die eigentliche Romanhandlung. Zum Ende hin entwirft Asensi schließlich einige Ideen bzw. Theorien (Fantasien?) über die Entstehung des Lebens auf der Erde, die für meinen Geschmack doch etwas zu abenteuerlich ausgefallen sind.

Sprachlich dagegen gefällt Asensis aktuelles Buch wieder einmal sehr gut, denn die Autorin beweist, dass sie schreiben und wohlakzentuiert formulieren kann. Ihre Schreibweise wirkt auf den ersten Seiten zwar etwas schwerfällig, ist dann aber sehr angenehm zu lesen und positiv hervorzuheben, da Asensi nicht auf den Zug derjenigen Autoren aufspringt, die einem Hauptsatz allerhöchstens noch einen knappen Nebensatz widmen, um ihre Bücher bloß nicht zu kompliziert wirken zu lassen.

Insgesamt bleibt jedoch ein eher mittelmäßiger Eindruck zurück und vor allem Enttäuschung darüber, dass Asensi aus diesem spannenden und faszinierenden Thema nicht mehr herausgeholt hat. Und dabei hätte im Prinzip nicht viel gefehlt, um den „verlorenen Ursprung“ zu einem genialen Buch zu machen. Die Zutaten waren wirklich vielversprechend, doch hätte ich mir eine deutlich straffere Erzählweise in den historischen Exkursen gewünscht und dazu Romanfiguren mit Ecken und Kanten, denen man den Überlebenskampf im Dschungel auch abgenommen hätte. So aber hat Asensi leider viel Potenzial ungenutzt gelassen; vielleicht hätte sie ihre langen Inka-Ausführungen lieber für die besonders interessierten Leser in einen Anhang packen sollen, das hätte ihrem Roman sicher gut getan und vor allem auch dafür gesorgt, dass „Der verlorene Ursprung“ ein breiteres Publikum erreicht.

John Cassells – Der graue Geist

Ein englischer Landsitz wird zum Schauplatz von Erpressung und Morden, denen ein Ermittler von außerhalb ein Ende zu machen trachtet … – Band 10 der Superintendent-Flagg-Serie ist ein „Whodunit“ der reinen Form. Der Tatort bleibt abgeschottet, die Zahl der Verdächtigen überschaubar, das Spiel folgt den bekannten Regeln: John Cassells leistet er gute Arbeit und liefert keinen klassischen aber einen unterhaltsamen Krimi der alten, gemütlichen Schule.
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Thompson, Carlene – Frag nicht nach ihr

Eines Nachts verschwindet die neunzehnjährige Dara Prince aus ihrem Elternhaus. Alle paar Monate erhält ihr Vater Ames eine Postkarte mit spärlichen Informationen und klammert sich an die Hoffnung, dass seine Tochter noch lebt.

Drei Jahre später spült der Fluss nach Überschwemmungen eine in einen Plastiksack gehüllte Frauenleiche ans Land. Alles deutet darauf hin, dass es sich um Dara handelt und dass sie bereits in der Nacht ihres Verschwindens ermordet wurde. Der junge Deputy Michael Winter stößt bei seinen Ermittlungen in ein Wespennest:

Zur Familie gehören auch die Geschwister Christine und Jeremy, die nach dem Tod ihrer Eltern von Ames Prince als Mündel aufgenommen wurden. Der gut aussehende Jeremy ist zwar bereits einundzwanzig Jahre alt, steht geistig jedoch auf dem Stand eines zwölfjährigen Kindes. Während er Dara vergötterte, kam die vernünftige Christine nur schwer mit ihr aus. Auch Daras Stiefmutter Patricia, die Ames nach dem Tod seiner ersten Frau Eve heiratete, stand mit Dara auf Kriegsfuß. Ganz zu schweigen von all den Dorfbewohnern, die Dara hinter ihrem Rücken als Flittchen bezeichneten.

Im Gegensatz zu Ames war Christine schon lange von Daras Tod überzeugt. Als sie durch Zufall ihr Tagebuch findet, stellt sich heraus, dass sich Dara offenbar mehrere Liebhaber gleichzeitig hielt. War einer von ihnen der Täter? Gemeinsam mit Deputy Winter versucht Christine herauszufinden, welche Männer aus Daras Umfeld sich hinter den Codenamen ihrer Liebhaber verbergen könnten:

Da ist zum Beispiel der Außenseiter Streak, der seit seinem Vietnam-Trauma zurückgezogen lebt und Dara manchmal auf seinen nächtlichen Joggingtouren begegnete. Da ist Christines Ex-Verlobter Sloane, mit dem Dara kurz vor ihrem Tod heftig flirtete. Und da ist Daras Exfreund Rey, der immer noch an ihr zu hängen scheint. Aber es gibt auch eifersüchtige Frauen, die ein Motiv gehabt hätten, Dara aus dem Weg zu räumen. Als der Sheriff schließlich Jeremy verdächtigt, stellt Christine eigene Nachforschungen an, um ihren Bruder zu entlasten. Dabei bringt sie sich selber in höchste Gefahr …

Es sind bewährte Zutaten, auf die Carlene Thompson in ihrem Thriller zurückgreift: Eine verschwundene Frau, eine Leiche, eine Schar Verdächtiger im engsten Umfeld, Ermittlungen eines Außenstehenden, der sein Leben damit in Gefahr bringt. Der Plot ist weder neu noch sonderlich spektakulär, doch die Präsentation dieser Elemente ergibt einen spannenden Thriller, der ordentliche Unterhaltung von der ersten bis zur letzten Seite bietet.

|Auftakt nach Maß|

Bereits der Prolog zieht den Leser durch seine geschickte Aufbereitung in den Bann. Er erzählt von Daras Begegnung mit ihrem Mörder, ohne einen Hinweis darauf zu geben, um wen es sich dabei handeln könnte. Offensichtlich ist lediglich, dass es eine vertraute Person aus ihrem Umfeld ist – und damit fällt der Startschuss zum munteren Spekulieren, denn eine ganze Reihe von Leuten besitzt ein Motiv.

|Anschauliche Charaktere|

Im Zentrum des Geschehens steht eindeutig Christine, die von Beginn an als Sympathie- und Identifikationsfigur fungiert. Der frühe Tod ihrer Eltern und die Verantwortung für ihren leicht zurückgebliebenen Bruder Jeremy lassen sie zunächst als gefestigten und vertrauenswürdigen Charakter erscheinen. Im Laufe der Ereignisse offenbart sich nach und nach auch ihre sensible Seite. Christine ist ehrlich genug, sich selbst und anderen gegenüber einzugestehen, dass sie Dara nicht leiden mochte. Angesichts ihres schrecklichen Todes ist sie jedoch zu fast allem bereit, um den Mörder ihrer Stiefschwester zu entlarven und gleichzeitig ihren Bruder zu entlasten.

Wenn Christine schon eine Sympathiefigur ist, wird man Jeremy sofort ins Herz schließen. Der junge Mann mit dem kindlichen Gemüt und der typischen Begeisterungsfähigkeit eines Halbwüchsigen versteht es, nicht nur sein Umfeld, sondern auch den Leser mit seiner erfrischend offenen Art für sich einzunehmen. Immer wieder lockert er angespannte Situationen durch seine kindlichen Bemerkungen auf, bringt seine Schwester aber durch seine Offenherzigkeit auch ein ums andere Mal in Verlegenheit.

|Die üblichen Verdächtigen|

An Verdächtigen mangelt es in diesem Roman wahrlich nicht. Die leichtlebige Dara vergnügte sich gerne mit mehreren Männern gleichzeitig und für den Leser wie auch für für Christine und Michael Winter beginnt ein Rätselraten, wer sich hinter den mysteriösen Pseudonymen aus dem Tagebuch verbergen könnte. Alte Bekannte aus Christines Umfeld werden plötzlich zu Mordverdächtigen, fast jeder scheint ein Geheimnis zu verbergen. Außer Christine und dem ermittelnden Deputy steht so gut wie jede Figur zu einem Zeitpunkt der Handlung unter Verdacht. Sie alle besitzen ihre dunklen Seiten, doch einen Mord traut man wiederum keinem von ihm zu. Die Autorin versteht es, ein verzwicktes Geflecht aus Beziehungsdramen und Eifersüchteleien zu entwerfen, das sich unter einer glatten Oberfläche zu einem brodelnden Vulkan entwickelt.

|Vorhersehbare Lovestory|

Leichte Abzüge gibt es für die scheinbar unvermeidliche und von Beginn an sehr offensichtliche Lovestory, die sich zwischen Christine und dem Polizisten Michael entwickelt. Wie in so vielen Thrillern, ergibt sich auch hier wieder einmal die Kombination aus einer mutigen Frau, die auf eigene Faust Nachforschungen betreibt, und dem Ermittler mit dem Beschützerinstinkt. Dabei stört nicht die Tatsache an sich, dass es tatsächlich so kommt, sondern die sehr vorhersehbare Aufbereitung – denn bereits bei der ersten Begegnung der beiden ahnt der Leser, dass sich hier eine Liebesgeschichte anbahnen wird.

Ein bisschen mehr Innovation hätte auch dem Schluss nicht geschadet, der allzu konventionell daherkommt. An dieser Stelle wird das alte Klischee vom kaltblütigen Killer, der seinem letzten Opfer seine Motive und Vorgehensweisen in aller Ausführlichkeit erläutert, leider bis zum Letzten ausgereizt und überstrapaziert. Der Showdown ist angenehm realistisch gehalten und verzichtet auf den Versuch, sich unnötig spektakulär zu präsentieren. Dafür fällt das Ende insgesamt sehr knapp aus und kommt für meinen Geschmack etwas zu abrupt.

Davon abgesehen, versteht es der Roman, den Leser zu packen und ihm ein paar Tage fesselndes Vergnügen zu bereiten. Die flüssige Sprache stellt keine hohen Anforderungen, sondern macht das Buch zu einem idealen Schmöker für lange Ferientage am Strand oder auf dem Balkon. Es mangelt weder an falschen Fährten noch an weiteren Morden. Für Schockmomente ist ebenso gesorgt wie für einige rührende und gefühlvolle Augenblicke sowie auch – vor allem Dank Jeremy – amüsante Stellen, die die Spannung auflockern und dem Leser ein Grinsen bescheren.

_Unterm Strich_ ergibt sich ein konventioneller, aber durchgehend spannender Thriller mit einer sympathischen Protagonistin, die ins Visier eines kaltblütigen Mörders gerät. Wechselnde Hauptverdächtige, eiskalte Morde und falsche Fährten rufen ein Wechselbad der Gefühle hervor. Kein unbedingt atemberaubender, aber sehr solider Roman für alle Krimifreunde.

_Carlene Thompson_ wurde 1952 in West Virginia geboren. Sie arbeitete zunächst als Dozentin für englische Literatur an der Universität in Ohio. 1990 erschien ihr erster Roman „Schwarz zur Erinnerung“. Weitere Werke von ihr sind unter anderem: „Kalt ist die Nacht“, „Sieh mich nicht an“, „Im Falle meines Todes“ und „Glaub nicht, es sei vorbei“.

Grangé, Jean-Christophe – schwarze Blut, Das

|“Beginne nie eine Brieffreundschaft mit einem Serienkiller. Sobald er frei ist, wird er dich kennen lernen wollen…“|

Ein schlauer Ratschlag, den uns der |Ehrenwirth|-Verlag zum Roman des französischen Bestsellerautors Jean-Christophe Grangé mit auf den Weg gibt. Der Journalist Mark Dupeyrat hätte sich wohl auch besser an den Ratschlag gehalten, als ihm während seiner Recherchen in dem Fall Jacques Reverdi jemand den Tipp gab, dass nur eine Frau Reverdi sein Geheimnis entlocken könnte.

Reverdi, früher ein viel umjubelter Champion im Freitauchen, arbeitet seit seinem Rückzug aus dem Sport als Tauchlehrer in Asien. Eigentlich ist er unauffällig, doch die Fischer des kleinen Dörfchens Papan in Malaysia überraschen ihn eines Tages, als er gerade dabei ist, eine junge Touristin auf bestialische Art zu töten: Er lässt sie in einem luftleeren Raum ausbluten.

Nun wartet Reverdi in einem malaysischen Gefängnis darauf, zum Tode verurteilt zu werden, und Mark, der wittert, dass Reverdi seine Frage nach dem „Gesicht des Bösen“ beantworten kann, beginnt eine Brieffreundschaft mit dem eiskalten Mörder, indem er sich die Identität einer jungen Psychologiestudentin schafft. Sie schreibt an Reverdi, weil sie ihn zum Thema ihrer Diplomarbeit machen möchte, und trotz anfänglicher Skepsis gelingt es Mark, einen regen Kontakt zustande zu bringen. Er merkt dabei nicht, dass Reverdi ein perfides Spiel mit ihm spielt. Beinahe naiv folgt er seinen Anweisungen, als Reverdi ihn nach Asien dirigiert, damit er dort die Spur seiner blutigen Verbrechen nachvollziehen kann. Er füttert Mark mit kleinen Häppchen und es kommt zu einer Art Detektivspiel, das ein schlimmes Ende nimmt, als Reverdi sich eines Tages befreien kann. Denn nun ist nicht nur Mark in Gefahr, sondern auch das junge Model Khadidscha, dessen Foto er Reverdi geschickt hat, denn selbiger ist schon längst auf dem Weg nach Paris …

Was sich wie ein spannender Thriller anhört, ist auf weiten Strecken leider ziemlich vorhersehbar. Es ist klar, dass Mark mit dem Feuer spielt, doch anstatt sein Hauptaugenmerk darauf zu legen, erzählt der Autor Dreiviertel des Buches davon, wie der Kontakt zustande kommt und von Marks Reise entlang der „schwarzen Linie“. Dadurch geht eine Menge Spannung verloren, denn der Leser ahnt von Anfang an, worauf das Buch hinauslaufen wird.
Es geht also viel um das Motiv Reverdis, doch selbst dieses ist nicht besonders spannend und klingt wirklich sehr psychopathisch. Am Ende gelingt es Grangé durch eine überraschende Wendung für einen kurzen Moment Spannung aufzubauen, doch diese verflüchtigt sich zu schnell, denn auch über dieser Wendung liegt ein Hauch Irrealität, mit dem ich mich überhaupt nicht anfreunden konnte.

Dabei hatte alles sehr gut angefangen – nämlich in medias res. Der Leser wird anhand Reverdis Perspektive Zeuge, wie die Fischer ihn zusammen mit der halbtoten Frau in der luftleeren Bambushütte entdecken. Dadurch, dass der Mörder selbst nicht ganz bei Sinnen ist, wirkt dieses erste Kapitel sehr konfus, aber schmerzhaft authentisch. Es wird auf lange Erklärungen verzichtet, der Autor wirft nur ein paar Köder aus, die das Interesse wecken. Man möchte erfahren, was da los ist. Ist Reverdi Opfer oder Täter und was hat er überhaupt für eine Rolle in diesem Buch?

Im Gegensatz zu diesem kargen Anfang steht der Rest des Buches, der in einem dichten, flüssigen Stil geschrieben ist, der sehr viele ausschweifende Geschichtchen einwebt. Die beiden Protagonisten Mark und Khadidscha werden zum Beispiel gleich bei ihrem ersten Auftauchen zusammen mit ihrer Biografie vorgestellt. Wider Erwarten bekommt das Buch dadurch keine Längen, da Grangé seinen Charakteren viel Tiefe verleiht und einige ihrer Wesenszüge durch die Vergangenheit erklärt werden müssen.

Doch gut ausgearbeitete Charaktere alleine machen einen Roman, der sich Thriller nennt, leider nicht aus. Dazu gehören auch noch einige andere Dinge, vor allem Spannung, doch gerade das ist der Knackpunkt. Das Buch weist in dieser Hinsicht eine entscheidende Länge auf, und das ist die Suche nach dem Motiv Reverdis, die zwar interessant, aber nicht besonders spannend ist. Dadurch sind überraschende Wendungen stark nach hinten verlagert und zum großen Teil vorhersehbar. Das Ende weiß zwar noch einmal zu überzeugen, kann das Ruder aber natürlich nicht mehr herumreißen.

Deshalb ist „Das schwarze Blut“ in meinen Augen ein eher durchschnittlicher Thriller, dessen Stärken die Protagonisten und der Erzählstil sind.

Peace, David – 1977

Mit [„1974“ 1483 hat der Engländer David Peace nicht nur ein außerordentlich vielversprechendes Debüt hingelegt, sondern wurde obendrein kürzlich noch mit dem |Deutschen Krimi Preis 2006| ausgezeichnet. Düster und beklemmend liest sich „1974“. Ein Thriller, der sich durch seine atmosphärische Dichte und das rasante Erzähltempo auszeichnet. Das Buch stellt den Auftakt zu einer Tetralogie dar, die nun in „1977“ ihre Fortsetzung findet. Ein Buch, an das der Leser von „1974“ mit allerhand großen Erwartungen herangehen dürfte.

Wir schreiben also das Jahr 1977, wie auch der Romantitel schon vermuten lässt. Robert Fraser, Polizeisergeant aus Leeds wird einer Sondereinheit zugeteilt, deren Aufgabe die Aufklärung des grausamen Mordes an einer Prostituierten ist. Schon bald zeichnen sich Parallelen zu früheren Morden ab. Die Polizei arbeitet auf Hochtouren und kann schon bald die ersten Verdächtigen festnehmen.

Doch das Morden findet kein Ende. Angst und Schrecken machen sich in der Bevölkerung Yorkshires breit und in der Presse schlagen die Morde hohe Wellen. Einer derjenigen, die über die Mordfälle berichten, ist Jack Whitehead, Journalist der „Yorkshire Post“. Er ist es, der dem Mörder einen Namen gibt: „Yorkshire Ripper“. Auf eigene Faust schaltet Whitehead sich in die Ermittlungen ein und ehe er sich versieht, steckt er genau wie Sergeant Fraser auch schon mittendrin in einem schmutzigen Geflecht aus Intrigen und Korruption …

„1977“ bezieht sich eindeutig auf die realen Hintergründe des Yorkshire Rippers, der Ende der 70er Jahre vierzehn Frauen in Yorkshire ermordete. Auch David Peace ist in Yorkshire aufgewachsen und die fünf Jahre, in denen die dortige Bevölkerung durch den Ripper in Angst und Schrecken versetzt wurde, überschneiden sich genau mit seiner Kindheit. Für Peace ist der Yorkshire Ripper eine Art Kindheitstrauma, das er sich mit seiner Tetralogie „Red Riding Quartet“ von der Seele schreibt.

Insofern dürfte „1977“ den ersten Höhepunkt seiner Selbsttherapie darstellen. Der Ripper tritt in Aktion und ist das alles dominierende Thema des Romans. Diesem Kernthema nähert Peace sich dank wechselnder Ich-Erzähler (mal Jack Whitehead, mal Robert Fraser) aus unterschiedlichen Perspektiven. Mal begleitet der Leser den Journalisten, mal den Polizisten – ein Wechsel, der durchaus seinen Reiz hat und der immer wieder für Spannung sorgt.

Das Markanteste an David Peaces Romanen dürfte sein Stil sein. Er schreibt sehr eigenwillig – temporeich, leidenschaftlich und mit einer Portion Wut im Bauch, wie es scheint. Schon in „1974“ hat er einen atemberaubenden Stakkato-Rhythmus vorgelegt und in „1977“ schlägt sein Metronom noch eine etwas schnellere Taktfrequenz an. Wie Peitschenhiebe knallt Peace dem Leser so manchen Satz um die Ohren. Knappster Satzbau, minimalistische Dialoge und Einwortsätze markieren seine sprachlichen Mittel. Das ist ganz sicher nicht jedermanns Sache. Man muss sich schon auf den Rhythmus einlassen können, um in diesem rasanten Tempo nicht vom Autor abgehängt zu werden.

„1977“ ist ein Roman, der dem Leser einiges abverlangt. Es ist keine leichte Kost und sowohl inhaltlich wie auch der äußeren Form nach ein schwer verdaulicher Brocken. Ohne vorherige Lektüre von „1974“ braucht man gar nicht einsteigen zu wollen. Ohne Vorkenntnisse in den Roman hineinfinden zu können, ist völlig ausgeschlossen. Es begegnen einem viele Bekannte wieder. Peace konfrontiert den Leser mit einem ganzen Sammelsurium an Figuren, die erst einmal gedanklich sortiert werden wollen. Wie schon in „1974“ setzt Peace auch in der Fortsetzung wieder auf ein außerordentlich komplexes Romangebilde.

Und wo sein Roman ohnehin schon recht komplex ausfällt, da wird er diesem Anspruch auch in seiner Figurenzeichnung voll und ganz gerecht. Peace lässt die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen und macht es dem Leser damit schwer, seine Sympathien zu verteilen. Er fordert den Leser, indem er es ihm nicht ermöglicht, einfach dem strahlenden Helden der Handlung zu folgen. Strahlende Helden gibt es bei Peace nicht.

Peace skizziert eine sehr düstere Atmosphäre. Man beneidet seine Protagonisten nicht, will sich nicht mit ihnen identifizieren müssen und ist so manches Mal froh über die Distanz zu ihnen. Peaces Welt sieht brutal aus und kann kaum mit schönen Momenten locken. So spannend die Geschichte auch sein mag, am Ende ist man doch irgendwie froh, diese Welt hinter sich lassen zu können, nachdem man das Buch zugeschlagen hat – zu illusionslos, kalt und hart ist die Welt von „1977“.

So sehr man besonders an „1974“ Peaces Stakkato-Rhythmus loben mag, so muss man ihn im zweiten Teil leider auch in Ansätzen kritisieren. Auf mich persönlich wirkte der Stil manches Mal ein wenig zu abgehackt. Hier und da hat man als Leser ein wenig Schwierigkeiten, bei diesem Rhythmus der Handlung zu folgen. Peace scheint sich sprachlich in seinen Rhythmus hineinzusteigern, was nicht immer zum Vorteil ist.

Man muss viel zwischen den Zeilen lesen und oft in blauen Dunst hinein spekulieren, ohne von Peace eine Bestätigung zu bekommen. Ein wenig mag dieser Eindruck auch darin begründet liegen, dass „1977“ ein ziemlich offenes Ende hat. Das mag sich mit Kenntnis des nächsten Bandes des „Red Riding Quartet“ ein wenig relativieren, für den Augenblick bleibt man als Leser aber leider etwas unbefriedigt zurück und kommt nicht umhin sich zu fragen, ob man in Anbetracht des hohen Tempos und der abgehackten Erzählweise irgendwo ein paar wichtige Details nicht mitbekommen hat. Das schmälert ein wenig das Lesevergnügen, das Peace noch mit „1974“ zu bereiten wusste. Bleibt zu hoffen, dass er sich stilistisch ein wenig fängt und der nächste Teil der Reihe wieder etwas lesefreundlicher ausfällt.

Bleibt als Fazit festzuhalten, dass „1977“ teils recht zwiespältige Gefühle hervorruft. Zum einen überzeugt David Peace mit seiner Figurenskizzierung und seiner atmosphärischen, düsteren und beklemmenden Inszenierung, zum anderen wirkt seine Erzählweise aber teils etwas zu abgehackt und undurchdringlich. Er verlangt dem Leser viel ab, erzeugt dafür zwar auch ordentlich Spannung, dürfte aber mit seinem Stakkato-Stil sicherlich nicht den Geschmack eines jeden Lesers treffen.

Link, Charlotte – fremde Gast, Der

Auch ein Jahr nach dem plötzlichen Unfalltod ihres Mannes hat Rebecca Brandt den Verlust noch nicht überwunden. Einsam und zurückgezogen lebt die attraktive Frau Anfang vierzig in ihrem Ferienhaus in Südfrankreich. Während sie früher aktiv am Leben teilnahm und mit großem Einsatz eine Kinderschutzorganisation leitete, ergeht sie sich nun in Depressionen. An einem Julimorgen beschließt sie, sich das Leben zu nehmen. Doch genau an dem Tag treffen unerwartete Besucher ein. Maximilian Kemper, der beste Freund ihres verstorbenen Mannes, hat beschlossen, aus Deutschland vorbeizukommen. Dabei hat er zwei Tramper mitgenommen, deren Weg in die gleiche Richtung führte. Inga und Marius sind ein junges Ehepaar auf Abenteuerurlaub. Da Inga sich von den Strapazen erholen muss, gestattet Rebecca den beiden, für ein paar Tage zu bleiben. Auf Maximilians Vorschlag hin überlässt sie ihnen ihr Segelboot für einen Ausflug übers Mittelmeer.

Der Segeltörn endet jedoch in einer Katastrophe. Das Ehepaar gerät in einen Sturm, Marius verliert die Nerven, stößt unklare Drohungen gegen Rebecca aus, bedroht seine Frau und geht über Bord. Nur mit größter Mühe gelingt es der verletzten Inga, das Segelboot zurück in den Hafen zu steuern. Von Marius fehlt jede Spur. Genauso unklar ist, was ihn zu seiner plötzlichen Agressivität veranlasste und was er gegen Rebecca hat. Weder sie noch Inga haben eine Ahnung, warum Marius ihr feinselig gegenübersteht und ob er überhaupt noch lebt. Langsam ahnt Inga, dass das Geheimnis ihres Mannes mit seiner dunklen Vergangenheit zusammenhängen muss …

In Deutschland ereignet sich währenddessen ein brutales Verbrechen. Nachdem die junge Karen sich tagelang darüber wundert, dass ihre Nachbarn überraschend verreist zu sein scheinen, findet sie die beiden in ihrem Haus ermordet auf. Das ältere Ehepaar wurde tagelang gefangen gehalten und zu Tode gefoltert, vom Täter fehlt jede Spur. Parallel dazu erhalten drei junge Frauen anonyme Drohbriefe, die sich auf ihre frühere Arbeit bei Kinderschutzorganisationen beziehen. Irgendjemand fühlt sich offenbar unrecht behandelt. Die Polizei tappt im Dunkeln, während der Täter die Hauptfigur seiner Aktionen ins Visier nimmt: Rebecca …

Bereits die Inhaltsangabe des Romans lässt gewisse Parallelen zu ihren anderen Spannungsromanen, allen voran „Die Täuschung“ erkennen: Ein Ehepaar mit dunklen Geheimnissen, eine verschleierte Vergangenheit, verunsicherte junge Frauen, parallele Handlungen in Deutschland und Frankreich, ein abgelegenes Ferienhaus als Schauplatz. Aus diesen Zutaten würfelt Erfolgsautorin Charlotte Link einen soliden Thriller zusammen, der bis zum Schluss gut zu unterhalten weiß, wenn man von ein paar kleinen Unschönheiten absieht.

|Drei Frauen, drei Handlungsstränge|

Wie so oft in ihren Werken lässt Link auch hier verschiedene Handlungen parallel zueinander ablaufen, deren Wege sich am Ende überschneiden. Der Hauptaugenmerk liegt auf den Erlebnissen von Rebecca Brandt und dem Ehepaar Marius und Inga im südlichen Frankreich. Zunächst deutet nichts auf kriminelle Vorfälle hin; Rebecca ist eine depressive Frau, deren Leben durch das plötzliche Auftauchen des jungen Ehepaares eine unerwartete Wendung erfährt. Erst nach und nach kristallisiert sich heraus, dass es hier um mehr geht als den Aufschub ihres Selbstmordes und dass das Zusammentreffen nicht so zufällig ist, wie es den Anschein hat …

Sehr viel unheilvoller erscheinen die beiden anderen Handlungsstränge in Deutschland. Die schüchterne Hausfrau Karen ahnt bereits früh, dass ihre Nachbarn nicht einfach heimlich verreist sind. Ihr ansonsten gut erzogener Hund bellt das scheinbar verlassene Haus an, die heruntergezogenen Rollläden bewegen sich ab und zu, der Briefkasten quillt über, die Blumen vertrocknen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Karen die Leichen des Ehepaares findet und die Polizei ihre Ermittlungen aufnimmt. Ähnlich sieht es mit dem dritten Handlungsstrang aus, in dem die ehemaligen Mitarbeiterinnen einer Kinderschutzorganisation wochenlang mit Drohbriefen terrorisiert werden.

Charlotte Link erschafft keine makellosen Heldinnen, dafür aber Fauen, mit denen sich die Leserin leicht zu identifizieren weiß. Da ist zum einen Rebecca, die sympathische Frau, deren Verlust ihres Mannes sie in eine Depression getrieben hat. In kleinen Gesten des Alltags bekommt der Leser vorgeführt, wie diese einstmals so starke und aktive Frau ihr Leben nur noch an der Oberfläche führt und innerlich schon lange gestorben ist. Es braucht nicht vieler Worte, um den Leser die stille Trauer, in die Rebecca versunken ist, spüren zu lassen.

Noch stärker als der vermeintlichen Hauptperson Rebecca fühlt man sich jedoch Karen verbunden. Karen ist eine durchschnittliche Hausfrau mit zwei Kindern und einem berufstätigem Mann, deren Leben hinter der Oberfläche aus einem Scherbenhaufen besteht. Ihre wachsende Unsicherheit verwandelt sie regelmäßig in ein schüchternes Häuflein Elend, das sich vor jedem Konflikt fürchtet und bei einfachsten Anlässen den Tränen nah ist. Der Hauptanlass dafür ist ihr ständig gereizter Ehemann Wolf, der seine Frau als hysterisch bezeichnet und jeder ihrer vorsichtig geäußerten Kritik mit Zynismus begegnet.

Die bodenständigste Figur ist die junge Inga, mit der sich wohl jede Leserin identifizieren kann. Sie ist der ruhende Pol in der Ehe mit dem sprunghaften Marius, dessen spontaner Abenteuerurlaub nach Südfrankreich nur eine von vielen ungeplanten Aktivitäten ist, in die Inga notgedrungen mit hineingerissen wird. Diesmal jedoch muss Inga erkennen, dass die immer wieder aufblitzende Unzuverlässigkeit und Ungeduld ihres Mannes eine weit tiefere Bedeutung besitzt als angenommen. Seine dunkle Vergangenheit holt nicht nur ihn, sondern auch seine Frau ein, die gemeinsam mit Rebcca um ihr Leben kämpfen muss …

|Nicht nur Thriller, sondern auch Drama|

Der Fokus des Romans liegt unzweifelhaft auf seinem Thrillerwesen und der Frage nach dem Mörder und seinen Motiven. Dennoch ist die Wirkung dann am größten, wenn sich Charlotte Link auf die psychodramatischen Elemente konzentriert, was vor allem die Beziehungen zwischen Inga und Marius sowies Karen und Wolf betrifft. In beiden Fällen müssen zwei Ehefrauen realisieren, dass ihre Ehen gescheitert sind. Während für Inga die Vergangenheit ihres Mannes tödliche Gefahr bedeutet, geht es für Karen „nur“ darum, endlich wieder zu einem selbstbewussten Leben zurückzukehren. Sie ist ein Musterbeispiel für die unzähligen Frauen, deren Ehemännern jeden Widerstand im Keim ersticken und jeden berechtigten Vorwurf wie eine haltlose Nörgelei aussehen lassen. Für jede seiner Launen müssen seine Arbeit und sein Stress herhalten, so dass Karen nicht wagt, weiter vorzustoßen. Als Leser fühlt man schmerzlich, wie alles, was sie versucht, im Endeffekt gegen sie verwendet wird, so dass man nur zu gut versteht, dass sie sich immer mehr in ihr Schneckenhaus zurückzieht. Ironischerweise wird gerade der Mord an ihren Nachbarn zu dem notwendigen Schockerlebnis, das sie endlich aus ihrer Lethargie reißt und ihr den Mut gibt, sich ihrem Mann zu widersetzen.

Gleichzeitig wirft der Roman die Frage auf, wie viel Zivilcourage man in der heutigen Zeit aufbringen sollte. Mehrere Personen müssen sich im Verlauf der Handlung den bitteren Vorwurf machen, dass sie durch ihre Passivität einen Menschen ins Unglück getrieben haben. Handeln statt wegsehen, engagieren statt zurücklehnen, lautet die sanfte Mahnung zwischen den Zeilen, der sich wegen ihres Wahrheitscharakters weder die Romanfiguren noch der Leser ganz zu entziehen vermögen.

|Übertrieben konstruierter Schluss|

Die überraschenden Wendungen halten den Leser bis zum Schluss in Atem, doch leider sorgen übertriebene Zufälle dafür, dass dieser Spannungsgenuss geschmälert wird. Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen, ist es vor allem ärgerlich, wie leicht es einem designierten Opfer gelingt, sich aus der Gefangenschaft zu befreien. Ein anderes Mal sorgt ein gefundenes Handy dafür, dass in letzter Minute Rettung verständigt werden kann. Zu guter Letzt begeht der Mörder einen der klischeehaftesten Fehler überhaupt, indem er sein Opfer nicht direkt tötet, sondern sich erst noch reichlich Zeit für Erklärungen und Ausführungen nimmt. Da all diese Zufälle zusammengenommen sehr entscheidend für den Ausgang des Romans sind, bleibt am Ende ein fader Beigeschmack, dass es der Autorin nicht gelungen ist, einen realistischeren Ausgang zu kreieren, der nicht von Konstrukten, sondern von den Handlungen der Figuren lebt.

|Flüssiger Stil|

Umso erfreulicher präsentiert sich die einfache und ungekünstelte Sprache, die keine weiteren Anforderungen an den Leser stellt. Charlotte Link verwendet einen sehr flüssigen Stil, der es möglich macht, das Buch innerhalb weniger Tage herunterzulesen. Da keine großartige Konzentration gefordert ist und auch die Handlung keine weiteres Nachdenken braucht, eignet sich dieser Thriller wunderbar zum Nebenherschmökern im Urlaub, auf Zugfahrten oder in Wartezimmern. Es gelingt der Autorin mühelos, die drei Handlungsebenen so übersichtlich zu gestalten, dass der Leser trotz der verschiedenen Schauplätze nie durcheinander gerät. Bei einer etwaigen Lesepause findet man sofort wieder den Anschluss, obwohl das Buch eher dazu reizt, in einem Rutsch gelesen zu werden. Trotz der fast 500 Seiten Umfang lässt sich der Roman aufgrund seiner zügigen Schreibweise und der durchgehenden Spannung locker in zwei bis drei Tagen verschlingen.

_Insgesamt_ erwartet den Leser ein solider Psychothriller, der sich trotz seines Umfangs sehr rasch durchlesen lässt und keine besondere Konzentration erfordert. Während die Thrillerhandlung durch ein paar konstruierte Unglaubwürdigkeiten, vor allem gegen Ende, geschmälert wird, überzeugt vor allem der psychodramatische Teil, der sich mit der Frage nach der Unterlassungsschuld befasst. Kein herausragender, aber dennoch empfehlenswerter Unterhaltungsroman für alle Freunde der Spannungsliteratur.

_Charlotte Link_, Jahrgang 1963, gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autorinnen der Gegenwart. Fast alle ihre Bücher wurden zu Bestsellern. Ihre Spezialgebiete sind historische Romane sowie Psychothriller. Zu ihren bekanntesten Werken zählen: „Das Haus der Schwestern“, „Verbotene Wege“, „Die Sünde der Engel“ und die Sturmzeit-Trilogie („Sturmzeit“, „Wilde Lupinen“, „Die Stunde der Erben“). Mehrere ihrer Bücher wurden fürs Fernsehen verfilmt.

Hammesfahr, Petra – Lüge, Die

Susanne Lasko ist eine einsame Frau Mitte dreißig. Seit drei Jahren ist sie geschieden, ihre blinde Mutter lebt in einem Pflegeheim. Nach zwei miterlebten Überfällen ist Susanne für ihren Beruf als Bankangestellte nicht mehr geeignet, findet jedoch auch keine neue Arbeit und lebt in einer winzigen Ein-Zimmer-Wohnung. Um vor allem gegenüber ihrer Mutter den Schein zu wahren, verzichtet sie auf Sozialhilfe und bedient sich stattdessen heimlich an der anvertrauten Reserve ihrer Mutter, in der Hoffnung, das Geld eines Tages zurückzahlen zu können.

In dieser aussichtslosen Lage trifft sie eines Tages im Aufzug ihre Doppelgängerin. Nadia Trenkler ist von kleinen Abweichungen abgesehen ihr genaues Ebenbild. Ihr Leben könnte allerdings nicht verschiedener sein: Nadia ist finanziell unabhängig und seit sieben Jahren mit Michael verheiratet. Susannes Entbehrungen und Unsicherheiten kennt die selbstbewusste Frau nicht. Auf ihr Drängen hin lernen sich die beiden Frauen besser kennen. Nadia erkennt Susannes missliche Lage und bietet ihr Unterstützung an.

Bald stellt sich heraus, dass ihre Handlung nicht uneigennützig war, denn für Nadia ist dieser Zufall ein Glücksgriff. Sie macht Susanne ein atemberaubendes Angebot: Jedes zweite Wochenende soll Nadja in ihre Rolle schlüpfen und sie zuhause vertreten, damit sich Nadia ungestört mit ihrem Liebhaber treffen kann. Zunächst hält Susanne diesen Vorschlag für undurchführbar, doch kleine Tests mit Bekannten beweisen, dass die Täuschung perfekt ist. Die Versuchung ist groß und Susanne willigt ein. Das Geld kann sie gut gebrauchen und es reizt sie, wenigstens für kurze Zeit Nadias luxuriöses Leben zu führen.

Wider Erwarten geht der Plan auf. Von kleinen Pannen abgesehen, wird Susanne immer sicherer in ihrer neuen Rolle. Für Nadias Ehemann Michael empfindet sie sogar ehrliche Gefühle und wünscht sich manchmal, sie könnte für immer in dieser Rolle bleiben. Doch nach kurzer Zeit kommt Misstrauen auf. Es häufen sich die Anzeichen dafür, dass Nadia ein böses Spiel mit ihr treibt und Susannes Identität für dunkle Geschäfte missbraucht …

Petra Hammesfahr ist eine Autorin, die für zerrissene Frauencharaktere, das Spiel zwischen Schein und Sein sowie überraschende Wendungen bis hin zur Undurchsichtigkeit steht. Alle drei Komponenten finden sich auch in diesem Roman wieder, der sowohl Stärken als auch Schwächen ihrer vorangegangenen Werke in sich vereint.

|Altbewährtes Motiv|

Das Bild des Doppelgänger ist eines der ältesten Motive in der Literaturgeschichte überhaupt und taucht im Laufe der Jahrhunderte in den unterschiedlichsten Varianten auf. Sei es im gleichnamigen Werk von Dostojewski, bei „Prinz und Bettelknabe“ von Mark Twain, in E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ oder in seinen „Elixiere(n) des Teufels“, in Stevensons „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ oder in Poes „William Wilson“. Nicht umsonst ist es ein so beliebtes Motiv, denn bei seiner Verwendung sind Verwirrspiele und Spannung vorprogrammiert. Wie so häufig haben denn auch in diesem Fall die beiden Charaktere außer ihrem identischen Aussehen nichts miteinander gemeinsam und ihre Leben sind so verschieden wie Tag und Nacht. Das erhöht für beide Frauen den Reiz, die Rollen für kurze Zeit zu tauschen – und dem Leser ist klar, dass diese Aktion folgenschwere Konsequenzen nach sich ziehen wird. Deutlich wird das schon im Prolog, in dem ein Junge die Leiche einer Frau in einem Müllcontainer findet. Schon auf den ersten Seiten ist also offensichtlich, dass dieses perfide Spiel für mindestens eine der beiden Frauen tödlich endet …

|Identifikation mit Protagonistin|

Der Leser fühlt sich schnell zu Susanne Lasko hingezogen, obwohl oder gerade weil es sich bei ihr eher um eine Anti-Heldin handelt. Susanne Lasko ist eine gescheiterte Existenz, die sich mühevoll über Wasser hält. Ihrer Mutter fühlt sie sich moralisch verpflichtet und bringt es daher nicht über das Herz, ihr von ihrer Armut zu erzählen. Soziale Kontakte beschränken sich auf Gespräche mit der Nachbarin, ein neuer Job ist nicht in Sicht, der Ex-Ehemann neu verheiratet. Nadia Trenkler ist auf den ersten Blick ein Gewinnertyp. Finanziell unabhängig mit sicherem Job, Luxushaus und großem Freundeskreis. Ihr Leben besteht aus Börsengeschäften, Partys und Vergnügungen. Dennoch gehören nicht ihr, sondern der gebeutelten Susanne die Sympathien. Ihr Leben ist eine Verkettung von ungünstigen Umständen. Sogar für das heimliche Geldabheben bei ihrer Mutter hat der Leser Verständnis, denn Susanne leistet sich davon nur das Nötigste, verzichtet unter anderem auf eine Krankenversicherung und ernährt sich wochenlang nur von Nudeln, um die Kosten so gering wie möglich zu halten. Niemand kann es ihr verdenken, dass sie sich auf den gewagten Rollentausch, der ihr immerhin mehrere tausend Euro einbringt, einlässt. Und obwohl man nicht alle ihre Handlungsweisen gutheißen kann, fiebert man mit ihr und hofft, dass ihr Leben eine positive Wendung erhält.

|Abstriche durch Verwirrung und Unglaubwürdigkeit|

Leider gibt es gleich zwei Punkte, die den Lesegenuss schmälern. Der eine ist die offensichtliche Unglaubwürdigkeit, ausgelöst ausgerechnet durch den eigentlichen Aufhänger, durch das Doppelgängermotiv. So faszinierend der Gedanke auch ist, dass man seinen genauen Ebenbild gegenübersteht, so unrealistisch erscheint es auch. Sicher gibt es Menschen, die einander verblüffend ähneln, aber Susanne und Nadia sehen sich, ohne dass sie miteinander verwandt wären, offenbar so ähnlich wie ein eineiiges Zwillingspaar. Auf die Täuschung fallen nicht nur flüchtige Bekannte wie Nadias Hausarzt herein, sondern sogar die engsten Freunde und schließlich auch ihr Ehemann. Susanne verbringt ganze Tage mit Michael Trenkel, an denen die beiden letztlich auch miteinander schlafen. Es ist schwer vorzustellen, dass selbst in dieser Intimität Susanne ihre wahre Identität verbergen kann. Dazu kommt, dass Susanne nicht viel Zeit hat, sich auf ihre neue Rolle vorzubereiten und mit vielen Gesichtern, Namen und Anekdoten, die ihr als Nadia Trenkler präsentiert werden, nichts anfangen kann. Immer wieder tritt sie ins Fettnäpfchen, immer wieder kommt sie mit Mühe davon – so oft, dass man ins Zweifeln gerät, ob das noch wahrscheinlich oder ihr Umfeld einfach nur verblendet und begriffstutzig ist. Auf der anderen Seite muss man zugute halten, dass man wohl kaum zuverlässig einschätzen kann, wie man selbst auf einen Doppelgänger reagieren würde und ob man tatsächlich in der Lage wäre, ihn zu enttarnen.

Der andere Schwachpunkt des Romans ist die starke Zeitraffung im letzten Drittel und das rasch abgehandelte Ende. Immer mehr Personen treten auf, die Schauplätze scheinen auf jeder Seite zu wechseln und die Ereignisse überstürzen sich. Nicht nur Susanne Lasko, auch der Leser fühlt sich anhand der Entwicklung auf den letzten hundert Seiten hin und wieder überfordert. Fast automatisch baut sich angesichts der vielen undurchsichtigen Charaktere eine Distanz zum Roman auf, weil man nie sicher sein kann, wer auf welcher Seite steht und welche Enthüllungen als nächstes folgen mögen. Erschwerend kommt hinzu, dass die erste Hälfte des Romans deutlich ausführlicher erzählt wird, während man im zweiten Teil sich dahingehend umgewöhnen muss, dass alles mit erhöhter Geschwindigkeit und mit damit einhergehender Oberflächlichkeit geschildert wird. Zeitweise wirkt es so, als habe die Autorin einfach versucht, möglichst viele Ereignisse auf möglichst engem Raum abzuhandeln – was leider auf Lasten der Aufmerksamkeit des Lesers geht.

Unterm Strich fällt auf, dass die Autorin wieder einmal nicht darauf verzichten kann, es mit Doppelbödigkeiten und überraschenden Wendungen zu übertreiben. „Die Lüge“ liest sich dabei jedoch gefälliger als manch anderer ihrer Romane. Der Leser verfolgt nicht nur das Schicksal der Protagonistin, sondern stellt sich automatisch selbst die Frage, wie er angesichts eines Doppelgängers und eines Rollentausches reagieren würde. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, lässt sich das Werk flüssig lesen, ohne größere Ansprüche zu stellen. Hin und wieder fallen ein paar abgehackte Sätze, die auf Vollständigkeit verzichten oder unorthodoxen Satzbau mit sich bringen. Dabei gerät man aber nie aus dem Lesefluss, so dass der Stil insgesamt gut zu konsumieren ist.

„Die Lüge“ ist ein Psychothriller über Versuchungen und Intrigen mit einer interessanten Grundidee und einer angenehm unperfekten Protagonistin, die zur Identifizierung einlädt. Nach einer starken, spannenden ersten Hälfte sorgen die sich häufenden Unglaubwürdigkeiten und die sich überschlagenden Ereignisse für eine zunehmende Verflachung bis hin zum allzu abrupt endenden Schluss. Trotz dieser Mankos bleibt ein unterhaltsamer und über weite Strecken fesselnder Roman. Für Petra Hammesfahr-Fans ein Muss und eine Empfehlung für alle Krimifreunde mit Spaß an überraschenden Wendungen.

_Petra Hammesfahr_ wurde 1951 geboren. Bereits mit 17 Jahren begann sie zu schreiben, doch anstatt zu veröffentlichen, arbeitete sie zunächst als Einzelhandelskauffrau. 1991 erschien ihr erster Roman, weitere Kriminalromane folgten. Ab Mitte der Neunziger schrieb sie u.a. auch Drehbücher fürs Fernsehen. Weitere Werke sind u.a.: „Das Geheimnis der Puppe“ (1991), „Merkels Tochter“ (1993), „Die Sünderin“ (1999), „Der Puppengräber“ (1999), „Die Mutter“ (2000), „Lukkas Erbe“ (2000), „Meineid“ (2001) und „Das letzte Opfer“ (2002).

Adair, Gilbert – Blindband

Der einstmals gefeierte Schriftsteller Sir Paul verlor vor vier Jahren bei einem schweren Unfall seine Augen. Zusätzlich trug er am ganzen Körper Verbrennungen davon. Seitdem lebt der entstellte Mann zurückgezogen in der tiefsten Provinz Englands. Nach dem Tod seines treuen Freundes Charles bildet seine Haushälterin Mrs. Kilbride den nahezu einzigen Kontakt zur Außenwelt.

Sein finales Werk sollen seine Memoiren werden, philosophische Betrachtungen seiner eigenen Lage. Dafür braucht er einen Gehilfen. Er setzt eine Anzeige in die Zeitung und findet in dem jungen John Ryder einen geeigneten Kandidaten. Gegen eine großzügige Bezahlung soll John für ein Jahr – die Wochenenden ausgenommen – bei Paul einziehen, ihm optische Beschreibungen liefern und die diktierten Worte auf dem Computer tippen. Darüberhinaus ersetzt er Paul seinen verstorbenen Freund, macht Bersorgungen und begleitet ihn bei Spaziergängen.

Die Zusammenarbeit der beiden grundverschiedenen Männer gestaltet sich nicht einfach. Paul ist ein gnadenloser Zyniker, der einen verbalen Hieb nach dem anderen austeilt. John erscheint dafür umso unsicherer im Umgang mit einem Blinden und tappt von einem Fettnäpfchen ins nächste. Erst allmählich gewöhnen sich beide aneinander.

Doch je weiter sie mit dem Buch vorankommen, desto misstrauischer wird Paul. Die Indizien, dass etwas nicht stimmt, häufen sich. Treibt jemand ein böses Spiel mit ihm? Oder ist er nur bereits so sehr an Einsamkeit gewöhnt, dass er in Paranoia verfällt?

Bereits ein flüchtiger Blick in den Roman zeigt, was ihn von anderen unterscheidet: Das Buch besteht komplett aus Dialogen, hauptsächlich zwischen John und Paul. Es existiert kein Erzähler, der dem Leser Hintergrundinformationen liefert. Stattdessen entsteht durch diese komprimierte Erzähltechnik eine starke Identifizierung mit den Personen, noch unterstützt durch eine aufgrund der spärlichen Ortswechsel kammerspielartige Armosphäre. Der Großteil der Handlung spielt sich in Pauls Haus ab. Wie ein heimlicher Mithörer belauscht der Leser die Gespräche zweier grundverschiedener Männer, deren Verhältnis wechselhafter und uneindeutiger nicht sein könnte. Was als Arbeitsverhältnis eines Schriftstellers und seines Gehilfen begann, wächst sich zu einem perfiden Spiel um Machtverhältnisse und Abhängigkeiten aus. Der ahnungslose Leser wird mitgerissen in diesen Strudel aus Ränkeschmieden, Doppelbödigkeit und Verfolgungswahn …

|Bildhafte Charaktere und Verwirrspiel|

Trotz des auf die wörtliche Rede beschränkten Textes nehmen beide Hauptfiguren im Geist des Lesers rasch konkrete Gestalt an. Jeder der beiden besitzt einen ihm eigenen, unverwechselbaren Tonfall, der es einem selbst bei einer willkürlich ausgesuchten Textstelle möglich macht, den Sprecher jeweils sofort zuzuordnen. Paul ist dabei der Exzentriker mit der spitzen Zunge. Trotz oder gerade wegen seiner grausamen Entstellung und Erblindung präsentiert er sich als aggressive Persönlichkeit, die zielsicher in jede sich bietenden Wunde sticht, schonungslos offen mit seinem Gegenüber redet und keine Gelegenheit zur Beleidigung auslässt. John Ryder dagegen entschuldigt sich fast unentwegt, betont seine Unsicherheit und fällt immer wieder auf Pauls Frotzeleien herein. Wie in einem Theaterstück sieht man sie vor sich sitzen: Den alternden Schriftsteller mit seinen unwirschen Bewegungen und den knapp gebellten Befehlen und den ratlos dreinblickenden Gehilfen, der mit seinem neuen Partner überfordert ist.

Eine große Stärke des Buches liegt in den wechselnden Sympathien zu den beiden Figuren. Mal bemitleidet man Paul aufgrund seines schweren Schicksals, doch sein Zynismus stößt wiederum ab. John erscheint anfangs als zurückhaltender und hilfsbereiter Mann, aber gemeinsam mit Pauls Unsicherheit wächst auch das eigene Misstrauen. Immer wieder verschieben sich die Zu- und Abneigungen hinsichtlich der Charaktere, immer wieder muss der Leser aufs Neue seine Stellung zu ihnen überprüfen. Was ist Schein und was ist Sein? Verfolgt einer der beiden einen eigenen Plan?

Der Titel „Blindband“ ist hier Programm: Ist es vordergründig betrachtet eine Geschichte über einen Blinden, dreht es sich gleichzeitig um ein doppelbödiges Spiel, sowohl zwischen den Figuren als auch zwischen Autor und Leser. Blind ist nicht nur Sir Paul, blind ist auch der Leser, der erst nach und nach erfährt, was sich unter den Oberflächen verbirgt und welche Ereignisse aus der Vergangenheit plötzlich wieder hervorbrechen.

|Galgemhumor|

Auch wenn man es zunächst nicht vermutet, besticht der Roman darüberhinaus durch eine ordentliche Portion Galgenhumor. Vor allem Pauls sarkastische Äußerungen, mit denen er sich über sich selber ebenso wie über andere lustig macht, sorgen für amüsante Momente. Seine trockenen Bemerkungen sitzen so zielsicher, dass man hier wirklich keine zusätzlichen Erzählinformationen braucht, sondern sich Tonfall und Gesichtsausdruck beider Beteiligter perfekt vorstellen kann. Nur zu gut kann man sich mit John identifizieren, der ein ums andere Mal konsterniert mit Pauls Bissigkeit konfrontiert wird. So erwähnt Paul beispielsweise, dass er nicht gerade höflich zu John war. Dieser beeilt sich zu versichern, dass Paul sich nicht entschuldigen müsse, woraufhin der nur erwidert, dass das auch gar nicht seine Absicht war.

|Kleine Kritikpunkte|

Zu kritisieren gibt es in diesem außergewöhnlichen Roman wenig. Dennoch: Der in zweifacher Hinsicht überraschende Schluss sollte wohl die Krönung dieses spannungsgeladenen Psychodramas darstellen. Es wirkt, als habe der Autor eine möglichst wirkungsvolle und beeindruckende Pointe gesucht – dabei fällt das Ende leider einen Hauch zu unglaubwürdig aus. Insgesamt verhalten sich die Charaktere auf beiden Seiten zu unvorsichtig und zu wenig vorausschauend.

Die Dialoge lesen sich leicht und locker, da weder ellenlange Sätze noch komplizierte Formulierungen verwendet werden. Etwas langatmig sind jedoch die Passagen, die Paul seinem Adlatus in den Computer diktiert. Paul greift dabei vorwiegend auf metaphorisch-poetische Beschreibungen zurück, die auf Dauer ermüden, zum Glück aber nur einen kleinen Teil des Romans einnehmen. Etwas nervig ist zudem der Dialekt der Haushälterin Mrs. Kilbride, der in der deutschen Übersetzung bayrisch anmutet und lautmalerisch geschrieben ist.

_Insgesamt_ ist „Blindband“ ein spannendes und flott geschriebenes Psychodrama über Abhängigkeit und Paranoia. Bis zur letzten Seite bieten sich dem gefesselten Leser überraschende Wendungen. Nach kurzer Eingewöhnung liest sich die Dialogform flüssig herunter und man verfolgt gebannt das Wechselspiel zwischen den Protagonisten. „Blindband“ ist ein böser Roman in außergewöhnlicher Form, der den Leser auf eine emotionale Achterbahn führt. Eine unsichtbare Schlinge zieht sich um den Hals der Protagonisten immer enger, bis zum unerwarteten Schluss, der für alle Beteiligten anders ausfällt als erwartet …
Nur der allzu dramatische Schluss wirkt ein wenig aufgesetzt und schmälert den Gesamteindruck ein wenig.

_Gilbert Adair_, Jahrgang 1944, lebt in London. Neben seinen Romanen schreibt er als Kolumnist für die „Independent on Sunday“. Weitere Werke von ihm sind u. a.: „Der Schlüssel zum Turm“, „Träumer“, „Liebestod auf Long Island“ und „Wenn die Postmoderne zweimal klingelt“.

Indriðason, Arnaldur – Kältezone

In Island gibt es pro Jahr nur drei Mordfälle, dennoch hat dieses Land einen Erfolgsautor hervorgebracht, der bereits zweimal den begehrten „Nordic Crime Novel’s Award“ bekommen hat. Arnaldur Indriðason schreibt spannende und tiefgründige Kriminalromane, die sich weit über sein Heimatland hinaus erfolgreich verkaufen. Ähnlich wie Kathy Reichs widmet er sich meist mysteriösen Knochenfunden, die auf weit zurückliegende Mordfälle hinweisen. Doch im Gegensatz zu seiner amerikanischen Kollegin widmet Indriðason sich hierbei weniger dem Skelett und seiner forensischen Untersuchung als vielmehr der Tragödie, die sich hinter diesem Kriminalfall verbirgt.

In Indriðasons aktuellem Roman „Kältezone“ steht der See Kleifarvatn im Zentrum des Geschehens. Innerhalb kürzester Zeit hat sich der Wasserspiegel des Kleifarvatn so weit gesenkt, dass die Hydrologin Sunna bei einer ihrer Kontrollmessungen ein Skelett entdeckt, das bereits seit vielen Jahren auf dem Grund des Sees gelegen haben muss. Für einen solchen Fall kommt natürlich nur Kommissar Erlendur Sveinsson in Frage, der sich mit Vorliebe ungelösten Kriminalfällen widmet, da vor vielen Jahren sein eigener Bruder bei einem Schneesturm verschwunden ist und Erlendur dieses Erlebnis immer noch nicht verarbeitet oder gar abgeschlossen hat.

Bei seinen Ermittlungen wühlt sich Erlendur zunächst ziellos durch unaufgeklärte Vermisstenfälle aus den 70er Jahren. Schließlich trifft er dabei auf eine Frau, deren Verlobter im fraglichen Zeitraum spurlos verschwunden ist. Die beiden wollten damals heiraten, doch findet Erlendur schnell heraus, dass die Frau ihren Verlobten „Leopold“ kaum gekannt haben kann. Sie besitzt kein Foto von ihrem Verlobten und weiß wenig über sein Leben, nicht einmal, dass es sich bei „Leopold“ gar nicht um seinen richtigen Namen handelt. Hat Erlendur mit dem verschwundenen Leopold die richtige Spur entdeckt?

In einem zweiten Handlungsstrang erzählt Indriðason uns die Geschichte von Tómas, der in seiner Jugend leidenschaftlicher Anhänger der sozialistischen Partei war und sich daher für ein Studium der Ingenieurswissenschaften in Leipzig entschieden hat. Schnell wird klar, dass es zwischen dem gefundenen Skelett und Tómas eine Verbindung geben muss, die vor dem Hintergrund des Sozialismus spielt und bis in Tómas’ Studentenzeit zurückreicht. In Leipzig lernt Tómas am eigenen Leibe die Auswirkungen des Überwachungsstaats kennen. Seine Freunde und er selbst werden bespitzelt und riskieren ihre eigene Zukunft, wenn sie sich gegen den Sozialismus stellen. Als Tómas sich in die Ungarin Ilona verliebt, gerät er in einen Strudel von Ereignissen, der sein ganzes Leben verändern wird.

In gewohnt überzeugender Art klamüsert Arnaldur Indriðason einen Kriminalfall auseinander, der viele Jahre zurückliegt, für Erlendur Sveinsson allerdings alles andere als abgeschlossen ist. Der sympathische Kriminalkommissar, der seit fünf Jahren keinen Urlaub mehr genommen hat und zu Beginn des Buches daher im „Zwangsurlaub“ ist, macht sich hocherfreut an die Ermittlungen und lenkt sich dabei auch von seinen persönlichen Problemen ab. Seine Tochter Eva Lind ist seit einem tätlichen Angriff auf Erlendurs Kollegen in Therapie, versucht allerdings nur halbherzig, ihr Leben wieder in rechte Bahnen zu lenken. Zu diesem Zeitpunkt taucht auch noch Erlendurs Sohn Sindri Snaer auf und möchte bei seinem Vater wohnen. Hinzu kommt Erlendurs Beziehung zu einer verheirateten Frau, die nicht minder schwierig ist als das Verhältnis zu seinen beiden Kindern. Privat sieht es bei Erlendur daher trotz neuer Frau an seiner Seite alles andere als rosig aus, sodass er froh ist, wieder einen zurückliegenden Mordfall lösen zu können, der ihn von seinen eigenen Problemen ablenkt.

Erlendur sieht sich mit einem Fall konfrontiert, der ihn erneut in die Vergangenheit führt. Dort ist ein Verbrechen aufzuklären, das seine Ursprünge in Leipzig genommen hat, wo junge Studenten aus ihrer jugendlichen Unbefangenheit gerissen werden und erkennen müssen, dass der Sozialismus nicht die erwartete glorreiche Zukunft verspricht. Die Lehrjahre der ausländischen Studenten in Leipzig sind hart, einer wird ohne Studienabschluss des Landes verwiesen, doch es kommt noch schlimmer.

Arnaldur Indriðason widmet sich in „Kältezone“ den Problemen und Auswirkungen des Kalten Krieges sowie Islands Situation in dieser politisch schwierigen Zeit, er führt uns die Beklemmung vor Augen, die unter den Leipziger Studenten geherrscht haben muss, als sie erkannt haben, dass sie sogar von ihren eigenen Freunden bespitzelt werden. Mit viel Feingefühl und psychologischem Geschick erzählt Indriðason diese Geschichte aus der Vergangenheit, die zu einer Tragödie geführt hat, die uns betroffen und das zurückliegende Verbrechen verständlich macht.

Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, denn auch ein Mörder kann bei Indriðason ein Opfer sein, das über erlittene Schicksalsschläge nicht hinwegkommen kann. Erlendur erfährt wieder einmal, dass auch längst vergangene Mordfälle nie ganz vergessen sind und es immer noch Menschen gibt, die trauern – um geliebte Menschen und um eine verloren gegangene Zukunft.

„Kältezone“ ist ein packender Kriminalroman mit hochinteressantem politischem Hintergrund, den Indriðason für uns aufdröselt. Der isländische Erfolgsautor nimmt uns an die Hand und schickt uns fast 40 Jahre in die Vergangenheit. Zusammen reisen wir nach Leipzig und fühlen uns plötzlich selbst verfolgt.

Bei Indriðason ist nicht so sehr die Tat an sich von Interesse, sondern die Motive sind es, die zu dieser Tat geführt haben und auch die Menschen und Schicksale, die sich hinter einem solchen Mord verbergen. So ist es auch im vorliegenden Roman, der uns wieder von Anfang an gefangen nimmt und auch noch lange beschäftigt, selbst wenn das Buch längst ausgelesen ist. Indriðason fasst thematisch ein heißes Eisen an und scheut sich nicht davor, politische Meinungsbildung zu betreiben, die hier in einen brisanten Mordfall verpackt wurde.

Doch „Kältezone“ hat noch mehr zu bieten als diesen Handlungsstrang rund um den aufzuklärenden Kriminalfall. Gekonnt formt Indriðason seine Charaktere aus, sodass bereits bekannte Figuren wie Erlendur, Sigurđur Óli und Elínborg immer mehr Gestalt annehmen und bei der Lektüre fast schon zu vertrauten Bekannten werden. Ganz nebenbei erzählt Indriðason Geschichten, die im Grunde genommen nichts mit dem Kriminalfall zu tun haben, die sich aber doch überzeugend in das Gesamtkonzept einfügen. Wenn Indriðason von Erlendurs familiären Problemen erzählt oder von Sigurður Ólis nächtlichem Anrufer, rückt die Ermittlung in den Hintergrund, ohne dass jedoch der Erzählfluss ins Stocken geriete. Indriðason beweist erneut, dass er über großes Erzähltalent verfügt und dass seine Romane erst durch derlei Nebenschauplätze abgerundet werden.

So bleibt am Ende festzuhalten, dass Arnaldur Indriðason mit „Kältezone“ sein hohes Niveau halten kann und erneut alle Erwartungen erfüllt. Indriðason bietet uns mehr als die bloße Aufklärung eines Mordfalles, er verwebt viele verschiedene Komponenten: Indriðason erzählt von persönlichen Schicksalen, er gibt seinem Roman ein politisches Grundgerüst und lebensnahe Charaktere, die uns von Buch zu Buch immer näher gebracht werden. So entführt uns der Autor in ein Island, in dem zwar nur drei Mordfälle pro Jahr geschehen, in dem es aber offensichtlich viele ungeklärte Mordfälle aus vergangenen Tagen aufzuklären gibt – und dies ist ein Glück für den Leser.

Jeffery Deaver – Das Teufelsspiel (Lincoln Rhyme/Amelia Sachs 6)

Hartnäckig und höchst einfallsreich verfolgt ein Mietkiller eine junge Schülerin, die einem historischen Rätsel von hoher politischer Brisanz auf die Spur gekommen zu sein scheint, und liefert sich ein mörderisches Wettrennen mit einem genialen aber körperbehinderten Detektiv … – Der sechste Lincoln Rhyme/Amelia Sachs-Thriller liefert die deavertypische Mischung aus rasanter Action und penibel geschilderter Ermittlungsarbeit im CSI-Stil. Gleich vier Finallösungen sollen Originalität erzwingen, doch der Leser bemerkt Unstimmigkeiten. Trotzdem gehört dieses kriminalistische Abenteuer zu den gelungeneren Bänden der Erfolgsserie.
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Finder, Joseph – Auf höchsten Befehl

Claire, eine erfolgreiche Anwältin, unterrichtet in Harvard, ist seit drei Jahren glücklich mit Tom Chapmann in zweiter Ehe verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter. Eines Tages bricht ihr idyllisches Leben jäh auseinander: Bei einem gemeinsamen Einkaufsbummel verhaften FBI-Agenten ihren Ehemann Tom. Nach kurzer, dramatischer Flucht wird er erneut gefasst und inhaftiert. Claire erfährt, dass sein richtiger Name Ronald Kubik lautet. Vor mehr als dreizehn Jahren soll er als Mitglied einer militärischen Spezialeinheit ohne Einsatzbefehl ein Massaker in einem mittelamerikanischen Dorf angerichtet haben. Dank einer neuen Identität und mehreren Gesichtsoperationen gelang ihm die Flucht, bis er jetzt durch einen Zufall überführt werden konnte.

Tom bestätigt Claire seine Vergangenheit als militärischer Undercover-Agent. Er beteuert jedoch, an dem Massaker unschuldig zu sein. Laut seiner Version nutzt ihn die Army als Sündenbock, um einen Schuldigen für das grausame Verbrechen zu haben und seinen damaligen Vorgesetzten zu schützen.

Claire weiß nicht, was sie glauben soll. Ist ihr Mann, der ihr sein früheres Leben bis eben verschwiegen hat, tatsächlich ein kaltblütiger Killer? Oder hat er Recht und Tom ist Opfer einer perfiden Intrige, in die höchste Militärkreise verwickelt sind? Trotz ihrer Zweifel übernimmt Claire Toms Verteidigung. Gemeinsam mit dem schwarzen Ex-Militäranwalt Grimes und dem unerfahrenen, aber engagierten Pflichtverteidiger der Army Terry Embry versucht sie alles, um die Unschuld ihres Mannes zu beweisen. Dabei scheint ein Sieg fast aussichtslos: Alle möglichen Zeugen für Toms Version sind untergetaucht oder verstorben, Claires Haus wird von Wanzen überwacht und sogar vor einem Mordanschlag schrecken ihre Gegner nicht zurück …

Unschuld oder Verschwörung, was steckt wirklich hinter Toms Vergangenheit? Nicht nur seine Ehefrau Claire wird auf eine rasante Jagd nach der Wahrheit geschickt, auch der Leser muss sich immer wieder fragen, wessen Seite er Glauben schenkt …

|Gefühlsmäßige Achterbahnfahrt|

Da ist zum einen der sympathische Tom, mit dem Claire bis vor kurzem eine unbeschwerte und glückliche Ehe führte und der sich rührend um seine Stieftochter Annie kümmerte. Und zum anderen gibt es die ungeheuerlichen Vorwürfe, die aus Tom einen abgebrühten Mörder machen. Claire scheint es unglaublich, dass der liebevolle Mann an ihrer Seite zu so einer Tat fähig sein sollte. Andererseits hat er jahrelang seine wahre Identität verschwiegen – warum sollte sie ihm jetzt glauben können? Es scheint keine Möglichkeit zu geben, sich entgültig Klarheit zu verschaffen. So wird beispielsweise ein Lügendetektortest zu Hilfe gezogen. Doch kaum ist das Ergebnis da, hat die Gegenseite einen Sachverständigen parat, der bestätigt, dass Tom alias Ronald im Verlauf seiner Ausbildung auf das Manipulieren eines solchen Testes trainiert wurde.

So hin- und hergerissen wie sich die Hauptfigur präsentiert, empfindet auch der Leser. Dadurch wird unweigerlich eine hohe Spannung aufgebaut, denn jedes Ende scheint denkbar. Der Autor geizt auch nicht mit überraschenden Wendungen, die den Prozess immer wieder in verschiedenen Richtungen kippen lassen.

Allerdings übertreibt Finder es vor allem gegen Ende ein wenig mit dieser Wechselhaftigkeit. Es hat den Anschein, als habe er sich immer wieder selber übertrumpfen wollen mit einer noch spektakuläreren Enthüllung. Mal sind es neue Details aus Toms Vergangenheit und mal schmutzige Lügen von der Gegnerseite. Unverhoffte Zeugen tauchen auf, andere ebenso unverhofft unter und auch das Gericht spart nicht an unberechenbaren Bestimmungen. Und natürlich fehlt auch nicht der unvermeidliche anonyme Informant, der Claire mit nächtlichen Anrufen aus dem Schlaf reißt. Auf den letzten Seiten überschlagen sich die Ereignisse dann wie erwartet mit einer derartigen Heftigkeit, dass hier die Geduld des Lesers arg auf die Probe gestellt wird. Versöhnlich ist dafür, dass der Schluss ins Gesamtkonzept passt und nicht mit einem ärgerlichen Deus ex machina, sprich einer völlig aus der Luft gegriffenen Lösung, aufwartet. Im Gegenteil: Trotz aller Wendungen tritt am Ende doch die Pointe ein, die dem Leser insgesamt am wahrscheinlichsten erscheint und immer schon erschien.

|Stärken und Schwächen in den Figuren|

Die Stärken in den Charakterisierungen der Hauptfiguren liegen eindeutig in der Sympathie, die der Leser für sie empfindet. Claire erscheint als starke Persönlichkeit, deren Leben von einer Sekunde auf die andere aus den Fugen gerissen wird. Verzweifelt muss sie mitansehen, wie ihrem Mann entweder eine lebenslange Haft oder sogar die Todesstrafe droht, wenn es ihr nicht gelingt, seine Unschuld zu beweisen. Allein ihr zuliebe wünscht man dem Roman einen guten Ausgang und einen Beweis für Toms Unschuld. Allerdings geht ihre Stärke auch mit mangelndem Realismus einher. Trotz dieser Katastrophe gestattet sich Claire keinen Zusammenbruch, wie es wohl bei so ziemlich jeder anderen Frau der Fall wäre. Das gilt vor allem für den Anfang der Geschichte, als Tom noch vor dem FBI auf der Flucht ist und Claire trotz ihrer Unsicherheit, ob er überhaupt noch lebt, ihr normales Leben so gut es geht aufrechterhält.

|Humor ist, wenn man trotzdem lacht|

Humorvolle Dialoge sind normalerweise ein Gewinn für jeden Roman. Angesichts der dramatischen Lage der Figuren ist es hier jedoch eher unangebracht, dass sie sich trotz allem immer wieder ironische Bemerkungen erlauben. Spitzenreiter in dieser Beziehung ist Claires Co-Anwalt Charles Grimes, der den Zynismus für sich gepachtet hat. Sein Gerechtigkeitssinn und sein Sarkasmus machen ihn zwar einerseits zu einem sympathischen Charakter. Andererseits erscheint es doch unrealistisch, wenn er sich sogar unmittelbar nach dem Lügendetektortest seines Mandanten zu einem witzig gemeinten „Nun? Ist er ein verlogener Schweinehund?“ gegenüber dem Gutachter hinreißen lässt. Egal wie ernst die Lage gerade ist, Grimes lässt keine Gelegenheit zu einem schlechten Scherz aus und stellt damit manchmal nicht nur die Geduld seiner Kollegen, sondern auch die des Lesers auf die Probe.

|Nicht nur für Experten|

Sehr angenehm bei diesem Roman ist, dass man keine besonderen Vorkenntnisse in Sachen Justiz oder Army benötigt, um der Handlung folgen zu können. Die nicht übermäßig zahlreichen Fachausdrücke werden erklärt. Claire ist zwar eine brillante Anwältin, aber kein Spezialist auf militärischem Gebiet, so dass ihr Co-Anwalt ihr mit Hinweisen und Erklärungen zur Seite stehen muss. Geschickterweise werden dadurch sowohl Claire als auch dem Leser die nötigen Informationen über das System vermittelt.

Auch die Sprache ist einfach zu lesen und stellt keine besonderen Anforderungen an den Leser. Trotz gewisser Mängel ergibt sich unterm Strich eine unterhaltsame Lektüre für Fans von Justiz- und Militärthrillern. Wer sich bei Filmen wie „Im Namen der Ehre“ und Autoren wie John Grisham und David Baldacci gut aufgehoben fühlt, der wird auch mit „Auf höchsten Befehl“ gut bedient sein.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer und vor allem im Mittelteil fesselnder Thriller über Wahrheit und Verschwörungen in der Army. Der Gesamteindruck wird durch ein paar übertriebene Wendungen, vor allem gegen Schluss, ein wenig getrübt. Dennoch empfiehlt sich dieser leicht zu lesende Roman vor allem für Freunde von Spannungsliteratur à la Grisham oder Baldacci.

_Joseph Finder_ wurde 1958 in Chicago geboren und lebte mehrere Jahre in Afghanistan und auf den Philippinen. Nach seinem Studium in Harvard und Yale dozierte er am Russian Research Center von Harvard. Als Journalist schrieb er für die großen amerikanischen Zeitungen. Seine Spezialgebiete sind russische und internationale Politik und Geheimdienste. Weitere Werke sind u. a.: „Goldjunge“, „Die Moskau-Connection“, „Jobkiller“ und „Die Stunde des Zorns“.

Craig Russell – Blutadler [Jan Fabel 1]

Kommissar Jan Fabel jagt in Hamburg einen Serienmörder, Kein irrer, sondern ein gut organisierter Mann Killer begeht diese Taten, die möglicherweise einen erbitterten Bandenkrieg begleiten, der um die Herrschaft im Rotlichtmilieu der Hansestadt tobt … – Der Auftaktband einer neuen Krimiserie entpuppt sich als Designer-Krimi, der mit allen einschlägigen Bestseller-Elementen bestückt wurde. Splatter-Morde, Terroristen, Mafiosi, Neonazis und Neo-Wikinger addieren sich zu einem schneckenlahmen, pseudoliterarisch gestelzten Machwerk, das immerhin durch eine Fülle missglückter Aphorismen amüsieren kann.
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Mainka, Martina – Satanszeichen

Es sind nur noch drei Tage bis Weihnachten, als kurz vor Mitternacht eine Frauenleiche auf dem verlassenen Gelände des Güterbahnhofs gefunden wird. Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass der oder die Täter den Körper der jungen Frau mit einem Pentagramm, dem Satanssymbol, versehen haben. Die Ermittlungen ergeben, dass es sich bei der Toten um Delia Landau handelt, die als freie Journalistin arbeitete. Da weder im beruflichen noch im privaten Umfeld jemand sagen kann, mit welchem Thema bzw. welchen Recherchen sich Delia Landau vor ihrem Tod befasste, liegt die Vermutung nah, sie sei okkulten Kreisen, Satanisten, auf die Spur gekommen, die eine Enthüllungsreportage verhindern wollten. Allerdings ergeben die Untersuchungen im Mordfall Landau ein seltsam zerrissenes, ambivalentes Persönlichkeitsbild der Toten, die in gleich mehrfacher Hinsicht ein Doppelleben geführt zu haben scheint. Kaum deuten die Spuren darauf hin, dass es sich bei der Tat eventuell doch um ein Beziehungsdrama handeln könne und das Symbol des Pentagramms die Polizei nur in die Irre führen sollte, werden zwei weitere junge Frauen ermordet – und auch ihre Leichen sind mit dem Satanszeichen versehen …

Mit Elza Linden hat Martina Mainka eine herrlich nikotin- und koffeinsüchtige Kommissarin ins beschauliche Freiburg geschrieben, die sich mit ihrer leicht unkonventionellen, spröden Art eigentlich problemlos eine größere Fan-Gemeinde ermitteln sollte! (Ein wenig verwirrend ist der Untertitel: ‚Der erste Fall für Elza Linden‘, da ich bislang annahm, besagte Kommissarin Linden habe bereits in Mainkas Erstling „Angelika ist tot“ ihr Debüt gegeben). In dem angenehm zurückhaltend erzählten Privatleben der Protagonistin und einem in der Vergangenheit liegenden tragisch-traumatischen Ereignis liegen so viel Substanz, dass man sich – ich nehme es vorweg – wohl auf weitere spannende Fälle um Elza Lindens Team freuen darf. Elzas Kollegen sind ebenfalls authentisch und skurril genug, um im Laufe der Ermittlungen für Abwechslung zu sorgen.

Eine besondere Stärke der Autorin liegt vor allem darin, Situationen wie auch Dialoge lebendig werden zu lassen, Atmosphäre zu kreieren. Nur selten wirkt der Stil etwas gesucht pathetisch, und manchmal treffen die Formulierungen knapp daneben – es sei denn, man mag z. B. Männer, deren Augen ‚an Honig auf warmem Toast‘ erinnern – Appetit macht es ja … Ansonsten liest sich der Text aber durchweg flüssig und, obwohl oder gerade weil die Autorin ihre Protagonistin aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, nehmen die anderen Figuren mit ihrem jeweils eigenen Stil und Charakter Form an. So werden die Szenerie Freiburgs wie auch die Figuren überzeugend lebendig. Und auch der Fall ist glaubwürdig. Einerseits wirkt er im Nachhinein betrachtet extrem konstruiert, andererseits aber auch raffiniert gesponnen. Ganz massiv werden Spuren gelegt, die auf sehr unterschiedliche mögliche Verdächtige und mögliche Motive deuten. Der Haken an dem Ganzen ist jedoch, dass Martina Mainka offensichtlich ihrem Fall eine Botschaft unterlegt. Die darf hier natürlich nicht verraten werden – sie wirkt allerdings leider der Spannung von „Satanszeichen“ entgegen. Eine m. E. ganz bewusste Entscheidung der Autorin, die jedoch damit aus der spannenden Story mit ihren okkulten Ansätzen letztlich das Geheimnisvolle, Mysteriöse wieder herausschreibt. Denn gerade der Zweifel und das Ungewisse hätten die Spannung verstörend zuspitzen können.

So ist „Satanszeichen“ ein klassischer Polizeikrimi, der allein seiner Protagonistin und den Ermittlungen sowie den damit einhergehenden Irrungen folgt. Ein Krimi, der allerdings auch immer nur an der Oberfläche der (psychologischen) Abgründe kratzt, die sich der Text vor allem durch die unzähligen Spuren, die er legt, selbst eröffnet. Das abschließende Fazit kann jedoch nur zur Lektüre raten, denn auch wenn die Autorin wesentlich skrupelloser im Sinne der Spannung hätte vorgehen können und trotz meiner leichten Vorbehalte bezüglich einiger Formulierungen – die übrigens ein etwas gewissenhafteres Lektorat herausgearbeitet(, dafür einige Kommata eingefügt) hätte – gereicht die Grundidee zum Bestseller. Daraus wird in der Ausführung ein sehr passabler Krimi, der wiederum vor allem durch seine Protagonistin besticht.

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Andrews, Russel – Anonymus

Carl Granville, von seinen Freunden „Granny“ genannt, ist ein junger, ambitionierter, aber erfolgloser Schriftsteller. Überraschenderweise lädt ihn ausgerechnet Maggie Peterson, die bekannteste Verlegerin New Yorks, zu einer Besprechung ein. Dabei macht sie ihm ein unglaubliches Angebot: Statt seines verfassten Romans über einen Basketball-Trainer soll Carl für Maggie einen komplett neuen Roman nach ihren Anweisungen schreiben. Bei „Gideon“, so der Titel des geplanten Werkes, handelt es sich um ein hochbrisantes Projekt. Basierend auf Tagebuchaufzeichnungen und Briefen, hat Carl die Aufgabe, als Ghostwriter binnen drei Wochen einen Enthüllungsroman zu schreiben, der kurz darauf erscheinen soll. Die Geschichte handelt von einem damals elfjährigen Jungen, der unter schwierigen Bedingungen in den Fünfzigerjahren aufwuchs und eines Tages seinen zweijährigen, behinderten Bruder mit einem Kissen erstickte. Offenbar ist dieser Junge heute eine wichtige Persönlichkeit, die zu Fall gebracht werden soll. Maggie Peterson verspricht, dass der Roman die Bestsellerlisten stürmen und Carl für seine Aufgabe fürstlich entlohnt wird.

Carl willigt ein, ohne die Brisanz der Geschichte zunächst zu erahnen. Doch schon bald zeigt sich, dass hinter der Sache ein großes Geheimnis steckt – spätestens, als er sein Vorlagen-Material persönlich überreicht bekommt, von einem bewaffneten Mann, der nach Belieben in seine Wohnung eindringt und sein tägliches Schreibpensum akribisch überwacht. Harry, so sein Name, begegnet Carl friedlich, weigert sich jedoch, ihm weitere Informationen zu geben. Carl vertieft sich in die Geschichte und erhält den versprochenen Vorschuss von 50.000 Dollar. Kurz darauf wird Maggie Peterson ermordet. Carl wendet sich an ihren Verlag, doch dort muss er entsetzt feststellen, dass niemand von seinem Projekt weiß. Je mehr er seinen Geheimauftrag beteuert, desto mehr Misstrauen schlägt ihm entgegen, bis er plötzlich als Hauptverdächtiger für Maggies Mörder gilt.

Carl flieht zu der einzigen Person, der er noch vertraut: Seine Ex-Freundin Amanda, Journalistin in Washington. Gemeinsam versuchen sie, Licht in die Angelegenheit zu bringen. Wer ist die offenbar hochprominente Persönlichkeit aus dem Buch, die einst ihren Bruder ermordete? Wer steckt hinter den Enthüllungen und wer hat Maggie Peterson getötet? Schon bald geschehen weitere Morde. Carl und Amanda werden von allen Seiten gejagt – für das FBI sind sie Mörder, für die unbekannten Drahtzieher gefährliche Mitwisser, die ausgeschaltet werden müssen. Die Suche nach der Wahrheit führt die beiden quer durch die USA …

Wer temporeiche Hollywoodthriller mit politischen Verschwörungen mag, der wird an diesem Roman seine helle Freude haben. Das ist das Kurzfazit, das sich dem Leser nach Beendigung des Romans stellt. Damit reiht sich das Werk ein in die Riege jener unterhaltsamen Bücher, die allerdings bei näherer Betrachtung nicht ohne den einen oder anderen Makel daherkommen.

|Sympathie mit Hauptcharakter|

Einer der wichtigsten Punkte für einen guten Roman sind zweifelsfrei die Charaktere. Dem Autor gelingt es gleich zu Beginn, den Leser für seine Hauptfigur Carl Granville einzunehmen, was sich als großes Plus für das Werk erweist. Carl ist eine Sympathiefigur; kein strahlender Held, sondern ein sensibler Mann mit einem Hang zum Chaos, ein jungendlich gebliebener Dreißiger mit dem Charme eines Teenagers. „Granny“, wie sein humorvoller Spitzname schon beweist, erinnert Mitmenschen und Leser in seiner Harmlosigkeit an einen tapsigen Welpen, gepaart mit Intelligenz und Schlitzohrigkeit. Er ist der nette Junge von nebenan, dem man nicht lange böse sein kann und auf dessen Seite man sich fast automatisch stellt. Insofern eignet sich Carl erst recht perfekt für eine Verschwörungsgeschichte, in der man atemlos das Schicksal des Protagonisten verfolgt und eine Identifizierung mit ihm notwendig ist.

Obwohl sie charakterlich fast das Gegenteil von Carl zu sein scheint, schließt man auch seine Ex-Freundin Amanda recht bald ins Herz. Die toughe Reporterin mit dem weichen Kern, der schnellen Auffassungsgabe und dem forschen Auftreten mag sich oft wie eine Kratzbürste verhalten, zögert aber nicht, sich für ihren ehemaligen Lebensgefährten in Gefahr zu begeben. Spätestesn auf der gemeinsamen Flucht der beiden ahnt der Leser natürlich, dass es nicht beim Zweckbündnis der Verfolgten bleibt, sondern dass alte Gefühle wieder auflodern. Dieser Handlungsverlauf ist mehr als offensichtlich, bleibt aber angenehmerweise im Hintergrund. Gerade in Verfolgungsromanen ist es oft ärgerlich zu beobachten, wie das Heldenpaar trotz aller Widrigkeiten noch Zeit für prickelnde Erotik findet. Hier dagegen ist das Szenario in dieser Hinsicht realistisch gestaltet. Es braucht fast zwei Drittel des Buches, bis sich Carl und Amanda romantische Anwandlungen erlauben und auch dann arrangiert sie der Autor in sorgfältiger Zurückhaltung, die ihrer Umgebung angemessen ist.

|Action ohne Längen|

Die Handlung verläuft in einem rasanten Tempo, das den Leser förmlich mitreißt und ihn dazu bringt, das Buch trotz seines nicht geringen Umfangs in kurzer Zeit durchzulesen. Dazu trägt auch der flüssige Stil bei, der keine weiteren Anforderungen an den Leser stellt. Die Wortwahl ist unkompliziert, die Sätze sind übersichtlich und eher kurz gehalten, so dass man keine nennenswerte Konzentration benötigt, um dem Geschriebenen zu folgen.

Spätestens wenn sich herausstellt, dass niemand außer der ermordeten Maggie Peterson von Carls Roman gewusst zu haben schien, niemand im Verlag seine Version glaubt und sogar die Polizei auf ihn als Tatverdächtigen aufmerksam wird, findet man sich in einer hitchcockesken Situation wieder, der man sich nicht entziehen kann. Für viele Menschen ist Carls Lage ein Horror-Szenario – allein auf sich gestellt mitten in einer Verschwörung, von der man weder Hintergründe noch Sinn oder Drahtzieher kennt, ohne einen Menschen, dem man vertrauen kann. Dieser Plot ist alles andere als neu, doch er hat nichts von seiner Wirksamkeit verloren. Der Protagonist steht vor dem Nichts und allein die Vorstellung, es könne einem ebenso ergehen, weckt Gänsehaut und unwohle Gefühle. Es ist ein dankbarer Ausgangspunkt, für den man nicht einmal eine besonders ausgefeilte Handlung braucht, damit der Leser gefesselt ist. Dieser will einfach wissen, wie es weitergeht und wie sich letztlich alles klärt. Genau nach diesem kathartischen Effekt, nach der erlösenden Klärung aller Ereignisse, sehnt sich der Leser, so dass es keiner großer schriftstellerischer Kunst bedarf, um ihn bei der Stange zu halten.

|Humor ist, wenn man trotzdem lacht|

Kleine Abzüge gibt es dagegen für den hin und wieder aufgesetzten Humor, der zwar den Unterhaltungseffekt verstärkt, aber in seiner Dosierung sparsamer und gezielter hätte verwendet werden sollen. So strotzen die Dialoge, vor allem zwischen Carl und Amanda, nur so vor Schlagfertigkeit und Esprit, was dem Ernst der Lage nicht immer angemessen ist. Als sich Carl beispielsweise in höchster Not in Amandas Wohnung vor einem FBI-Beamten verstecken muss, hat er unmittelbar darauf nichts Besseres zu tun, als Amanda bissig darauf hinzuweisen, dass sie „gottverdammte Mäuse“ in ihrer Wohnung hat, die ihm über die Beine gekrabbelt sind. Gleiches gilt für Amanda, die einen Vorwurf Carls sarkastisch kommentiert, dass es ihr an Übung fehle, Leute zu verstecken und sie „Bonnie und Clyde“ schon zu lange nicht mehr gesehen habe. Beinah nervig wird es beim virtuellen Austausch zwischen Amanda und einer befreundeten Kollegin, die den beiden als Hackerin wichtige Informationen verschafft. Zum einen erscheint es konstruiert, dass Amanda ausgerechnet ein journaliastisches Ziehkind kennt, dem sie hundertprozentig vertrauen kann und das in Minutenschnelle alle angeforderten Daten per Computerhack besorgt, so dass Amanda und Carl stets eine gute Chance haben, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Zum anderen sprühen auch die Computer-Dialoge zwischen Amanda und ihrer Freundin Shaneesa nur so vor Flapsigkeit und pseudo-witzigen Sprüchen, für die realistisch betrachtet definitiv kein Spielraum sein dürfte. Diese Dialoge im Stil einer Screwball-Komödie ziehen sich durch die gesamte Handlung und erinnern fatal an diverse Hollywood-Reißer, in denen der Held in jeder noch so brandgefährlichen Lage einen flotten Spruch auf den Lippen trägt.

Dadurch verliert der Roman allerdings zwangsläufig auch ein wenig von seiner Brisanz, denn ebensowenig, wie der coole, sprücheklopfende Held eines Hollywood-Reißers am Ende mit seiner Mission scheitert, fürchtet man ernsthaft um das Leben von Carl und Amanda. Dazu ist das Pärchen einfach zu sehr auf Sympathie ausgelegt, dazu verläuft die Geschichte nach zu konventionellem Muster. Der Leser soll sich mit den Protagonisten identifizieren, ihnen ihr Glück gönnen und sich auf das Happy-End freuen, ohne daran zu zweifeln, dass die Gerechtigkeit siegen wird. Dadurch erhält der Roman ein gewisses Fastfood-Flair. Man konsumiert ihn und fühlt sich dabei für den Moment befriedigt, ohne dass er eine nachhaltige Wirkung hinterließe.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer Thriller über Verschwörungen, Geheimnisse, Verfolgungsjagden und den Kampf gegen einen gesichtslosen Gegner, kombiniert mit einer zarten Liebesgeschichte. Mit viel Tempo und Humor jagen die sympathischen Protagonisten quer durch Amerika, wobei es die Autoren (s. u.) hin und wieder mit den witzig gemeinten Dialogen übertreiben. Die Handlung ist zwar nicht originell, aber solide inszeniert und bietet ein kurzweiliges Lesevergnügen ohne Längen.

_Russell Andrews_ ist das Pseudonym zweier US-Autoren, Peter Gethers und David Handler. Beide arbeiten auch als Drehbuchschreiber, Gethers ist seit 1980 Lektor bei |Random House|. Von „Russell Andrews“ erschienen desweiteren die Thriller „Midas“, „Icarus“ und „Das Aphrodite-Experiment“.