Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Ed McBain – Der anonyme Brief (auch: Nackt ist die beste Maske)

Das geschieht:

„Ich will die Lady heute Abend um 8 Uhr umbringen. Tun Sie was dagegen, wenn Sie können!“

Hochsommer in Isola, der 8-Millionen-Stadt, die irgendwie an New York erinnert. Es ist heiß, Abkühlung nicht in Sicht. Sogar die braven Bürger drehen allmählich durch, fallen tot um oder übereinander her. Im 87. Polizeirevier schmachten die chronisch überlasteten Beamten. Bei diesem Wetter gesellen sich zu den üblichen Strolchen die gefürchteten Spinner mit ihren seltsamen, oft genug mörderischen Einfällen. Einer ließ der Polizei die eingangs zitierte Nachricht zukommen. Oder handelt es sich gar nicht um einen Spinner? Cotton Hawes und Steve Carella sind skeptisch. Sie halten es für durchaus möglich, dass ein irrer Mörder die Polizei zu einem Wettbewerb herausfordert. Oder will er etwa erwischt werden? Lieber auf Nummer Sicher gehen, so die Beamten, bloß: Welche Konsequenzen hat das für diesen Fall?

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Hackworth, David H. – Preis der Ehre, Der

|Originaltitel: The Price Of Honor|

Captain Alexander Caine von den Special Forces ist Soldat in der achten Familiengeneration. Sein Vater fiel unter mysteriösen Umständen, die nicht zum Verständnis der Familie von soldatischer Ehre und Tapferkeit passen, auf dem vorgeschobenem Erkundungsposten ODA 351 bei den ersten Kampfhandlungen in Vietnam. Caines Bezugspersonen sind sein Großvater, General John Pershing Caine, sowie der Senator Jeff Taylor, der mit seinem Vater gedient hat und als einziger Überlebender von ODA 351 hoch dekoriert wurde und nun für die Präsidentschaftswahlen kandidieren will.

Bei einem Kampfeinsatz in Somalia lernt Caine die attraktive Journalistin Abigail Mancini kennen; nach dem gescheiterten Entführungsversuch eines Warlords verschanzen sie sich zusammen mit den Männern von Caines Team in einer Polizeistation und können mit Hilfe der Delta Force befreit werden. Ein Soldat der Spezialeinheit hat Caines Vater gekannt und zum ersten Mal hört er, dass die Informationen über dessen angeblich feige Taten falsch sind, und begibt sich auf die Suche nach der Wahrheit.

Bei einem weiteren Einsatz in Bosnien treffen Caine und Mancini sich wieder und verlieben sich; er weiht sie in seine Geschichte ein und sie will ihm helfen. Zurück in Washington wird Mancini auf Senator Taylor angesetzt, um Hintergrundmaterial über den aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten zu sammeln. Schnell wird klar, dass Caines Suche nach der Wahrheit über seinen Vater und Mancinis Nachforschungen ineinander verstrickt sind. Die beiden stolpern in ein unsauberes, milliardenschweres Rüstungsprojekt einer „Old Boys Connection“, die vor nichts zurückschreckt, um die beiden aufzuhalten.

Hackworth hat einen harten, spannenden und schlüssigen Militärthriller geschrieben und seine Fachkompetenz deutlich bewiesen. Die Darstellung des Einsatzes in Somalia ähnelt den bekannten Fakten über den tatsächlichen Kampf in 1993. Die geheime ‚Beobachterfunktion‘ von Caine in Bosnien, lange vor dem Eingreifen der USA in den Konflikt, ist zwar aus naheliegenden Gründen nicht verifizierbar, aber zumindest realistisch geschildert. Allerdings haben beide Einsätze, sehr actionreich geschildert und fast ein Drittel des Buchs umfassend, nichts mit der eigentlichen Geschichte zu tun und in die ‚große Verschwörung‘ sind so viele Personen involviert, dass der Überblick stellenweise schwer fällt. Auch das allzu glatte Ende vermag nicht ganz zu überzeugen, nichtsdestotrotz ist „Der Preis der Ehre“ in seinem Genre ein gelungenes Werk.

Anmerkung: Vollkommen unverständlich ist die enorm hohe Anzahl von Druckfehlern, die von diesem Verlag ansonsten nicht bekannt ist.

David Hackworth trat mit 15 in die U.S. Army ein, hat u. a. zwei Jahre Kampfeinsatz in Korea und weitere fünf in Vietnam abgeleistet und war sowohl der jüngste Captain als auch Colonel der amerikanischen Landstreitkräfte. Er berichtete als Korrespondent für |Newsweek| vom Golfkrieg und veröffentlicht noch heute, als Verfechter einer umfassenden Streitkräftereform, Berichte in den verschiedensten Publikationen. „Der Preis der Ehre“ ist sein bisher einziger in Deutschland verlegter Roman.

Mo Hayder – Die Behandlung (Jack Caffery 02)

Nichts für schwache Mägen oder Nerven

Spannung, Horror und Action verbindet Mo Hayder erneut in ihrem zweiten Thriller, der quasi die Geschichte von „Der Vogelmann“ fortsetzt. Angesichts der Detailkenntnisse, die sie über die Polizeiarbeit und die Verbrecherszene im Londoner Stadtteil Brixton an den Tag legt, kann man ihr unbedenklich vertrauen, wenn sie uns hier eine Geschichte erzählt, in der es um Kindesmissbrauch in allen Spielarten geht.

Handlung

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Robert B. Parker – Terror auf Stiles Island. Ein Fall für Jesse Stone

Großangriff mit Apache: Überfall auf die Insel der Reichen

Jesse Stone, der Cop aus Los Angeles, hat in der beschaulichen Kleinstadt Paradise in Massachusetts ein neues Zuhause gefunden. Aber noch immer trinkt er zu viel und denkt zu oft an seine Exfrau, die plötzlich in der Stadt auftaucht und als neue Wetterfee für den lokalen Fernsehsender arbeitet.

Während Stone eine kurze Affäre mit einer Immobilienmaklerin hat und sich auch schlecht von der attraktiven Staatsanwältin lösen kann, ahnt er nicht, dass eine Gangsterbande einen raffinierten wie hinterhältigen Plan schmiedet. Das Ziel sind die Reichen und Schönen auf Stiles Island. Doch da haben sie die Rechnung ohne Jesse Stone gemacht. (Verlagsinfo)

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Morrell, David – Porträt, Das

|Originaltitel: Burnt Sienna|

Bei dem Angriff der USA auf Panama City zur Verhaftung Noriegas wird der amerikanische Hubschrauberpilot Chase Malone mit seiner Mannschaft abgeschossen und erfährt in den dunklen Gassen der Stadt am eigenen Leib und aus erster Hand von der schrecklichen Verwüstung, die von den Marines bei dem Angriff angerichtet wird. Er quittiert den Dienst, lässt sich als Maler in dem pittoresken mexikanischen Städtchen Cozumel nieder und erreicht mit seinen farbenfrohen Landschaftsbildern im Stil von van Gogh großen Erfolg.

Eines Tages erhält er ein überraschendes Angebot. Der Waffenhändler Derek Bellasar will ihm für zwei Porträts seiner Frau Sienna 600.000 Dollar bezahlen. Malone, der weder Auftragsarbeiten noch Befehle entgegennehmen will, lehnt das Angebot ab und bleibt auch standhaft, als er unter erheblichen Druck gesetzt wird. Als Malone dann von der CIA über Bellasars Machenschaften informiert und gebeten wird, in deren Auftrag tätig zu werden, gibt er schließlich nach und wird von Bellassar auf dessen Anwesen in Südfrankreich verschleppt.

Dort lernt er die atemberaubend schöne Sienna kennen und verliebt sich während der Porträtarbeiten in sie. Die beiden fliehen, werden von Bellassar aber wieder aufgegriffen und Malone muss sich letztlich in einem großen Showdown gegen den übermächtigen Widersacher durchsetzen.

„Das Portrait“ passt sich nahtlos in die Reihe von Morrells Werken ein. Spannende Unterhaltung in einfachem Stil mit gut ausgearbeiteten Charakteren, ohne besonderen Anspruch. Sowohl der Anfang, in dem Bellasar nichts unversucht und keinen schmutzigen Trick auslässt, um Malone zur Annahme seines Angebots zu zwingen, als auch das überraschende Ende können überzeugen und haben keinerlei Längen. Der Mittelteil besticht durch die zarte Liebesgeschichte zwischen Malone und Sienna und die Darstellung des vielschichtigen Bösewichts. Eindeutig fehl am Platz, sogar fast störend und übertrieben erscheint das Weltuntergangsszenario um die russischen Biowaffen-Wissenschaftler; wieder einmal hat Morrell zu viel in einen Roman packen wollen. Gute Unterhaltung ist dennoch garantiert.

David Morrell studierte und lehrte amerikanische Literatur und wurde als Schriftsteller besonders durch seine Romanvorlage zu „Rambo“ bekannt. Ebenfalls verfilmt wurde sein Agentenroman „Der Geheimbund der Rose“. Seine Werke sind zumeist klassische Thriller, allerdings hat Morrell bisher auch je einen Western, Horrorthriller und Fantasy-Roman veröffentlicht.

Lee Child – Der Bluthund (Jack Reacher 22)

Drogenschnüffler wider Willen

Der ehemalige Militärpolizist Jack Reacher entdeckt zufällig bei einem Pfandleiher einen Abschlussring der Militärakademie West Point. Warum trennt sich jemand von einer so hart errungenen Trophäe? Einem Impuls folgend beschließt er, die ursprüngliche Besitzerin aufzuspüren und ihr diese Auszeichnung zurückzubringen.

Doch der Ring ging bereits durch viele Hände, und plötzlich befindet sich Reacher im Netz einer kriminellen Organisation mit Verbindungen in die höchsten Kreise der Gesellschaft. Ein Preis wird auf seinen Kopf ausgesetzt, Killer heften sich an seine Fersen. Es gibt eben Leute, mit denen man sich nicht anlegen sollte – zum Beispiel mit Jack Reacher! (Verlagsinfo)
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Derek Raymond – Er starb mit offenen Augen (Factory-Krimi 01)

Die Ballade vom traurigen Säufer

Im London der 1980er ermittelt der namenlose Detective Sergeant des A14 – Letzteres besser bekannt als die Factory – im Mordfall eines erfolglosen Schriftstellers und nimmt dabei weder Rücksicht auf Vorgesetzte noch auf sein Privatleben. Er kriecht förmlich in den Kopf seines Opfers, spürt dessen Exfrauen, Kollegen, Zechkumpane und ehemalige Feinde in tristen Pubs und Mietskasernen auf – so in Acacia Circus, einem Block, der von arbeitslosen Skinheads und Schwarzen bevölkert wird.

Voller Idealismus und die Forderung nach Gerechtigkeit verinnerlicht, begibt sich der namenlose Detective Sergeant selbst in allergrößte Gefahr … Mit seinen existentiellen, im England der Thatcher Ära angesiedelten Factory-Romanen schuf Derek Raymond faszinierende Noir-Hybride, die zunächst wie gewöhnliche Polizei-Romane daherkommen, um dann die Form zu wechseln und die Leiden der Opfer und das Leben selbst in den Mittelpunkt zu stellen. (Verlagsinfo)

Diese Besprechung beruht auf der englischen Originalausgabe (s.u.). Die deutsche Ausgabe soll am 30.9.2023 veröffentlicht werden.

Der Autor
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Marc Olden – Te. Fernost-Thriller

Kriminell & exotisch: Lustbader für Arme

Man schreibt das Jahr 1990: Manila, Taiwan, Hongkong und New York City sind die Operationsbasen der blutrünstigen chinesischen Triad-Banden. Kopf der weitverzweigten Drogen- und Schmugglerorganisation ist der „Schwarze General“ Lin Pao, der „Drachenkopf“ und Chef der Triaden. Wer ihm im Wege steht, muss sterben. Aber er hat auch erbitterte Feinde: Benji Lok Nein, ein rachedurstiger junger Kämpfer, und Frank DiPalma, ein abgebrühter Ex-Cop und Polizeireporter, der von New York aus den Kampf gegen Lin Pao aufnimmt.

Der Schwarze General ist stinksauer: Sein Priester hat ihm geweissagt, dass er nur noch 21 Tage zu leben habe. Natürlich hat er den Priester gleich ins Jenseits befördert, aber eine kleine nagende Angst bleibt. Und sie trägt keineswegs dazu bei, Lin Paos Nerven zu beruhigen …
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Indriðason, Arnaldur – Todeshauch

_Lebendig begraben?_

Im sogenannten Milleniumsviertel in Reykjavík finden Kinder beim Spielen auf einer Baustelle einen für sie interessanten Knochen. Zufällig beobachtet ein Medizinstudent eines der Kinder mit diesem Knochen und identifiziert ihn gleich als menschlichen Rippenknochen. Als der Student sich am Fundort umschaut, entdeckt er noch weitere Knochen, es scheint, als läge ein Gerippe unter der Erde begraben. Nun werden Kommissar Erlendur und seine Kollegen hinzugerufen. Erlendur beschließt, eine Gruppe von Archäologen mit der Ausgrabung des Skelettes zu beauftragen, doch wird er sich noch einige Zeit gedulden müssen, bis die Archäologen die Gebeine freilegen können und dabei eine dicke Überraschung erleben …

Gleichzeitig erreicht Erlendur ein verzweifelter Hilferuf seiner schwangeren Tochter Eva Lind, mit der er sich vor einigen Wochen zerstritten hatte. Zusätzlich zu dem Knochenfund muss sich Erlendur nun auch damit beschäftigen, seine Tochter ausfindig zu machen. Ihr Telefonat war nämlich leider unterbrochen worden, bevor Eva ihm sagen konnte, was vorgefallen ist und wo sie sich befindet. Diese Suche führt Erlendur in dunkle Gefilde Reykjavíks, bevor er seine Tochter schwer verletzt findet und sie gerade noch rechtzeitig ins Krankenhaus einliefern kann. Von nun an muss Erlendur allerdings um seine kranke Tochter bangen, die im Koma liegt und vielleicht nie wieder aufwachen wird.

Nebenbei lernen wir in Rückblenden eine Frau kennen, die mit einem gewalttätigen Mann verheiratet ist, der sie physisch und psychisch misshandelt und damit ihr Leben und das der drei Kinder zur Hölle macht. Erst nach und nach können wir erahnen, wie diese Familientragödie mit dem Leichenfund im Milleniumsviertel zusammenhängt …

_Früher war alles besser?_

Wieder einmal lässt Arnaldur Indriðason uns in die Vergangenheit reisen; wie schon in [„Nordermoor“, 402 so liegen die Hintergründe des aufzuklärenden Verbrechens auch hier etliche Jahre zurück. Die gefundenen Knochen werden etwa 70 Jahre alt geschätzt, sodass mit ziemlicher Sicherheit kein Mörder mehr verhaftet werden kann, auch wenn die Lage des Gerippes darauf schließen lässt, dass dort jemand vielleicht sogar lebendig begraben worden sein könnte. Erfreulicherweise stehen bei Indriðason nicht die Knochen im Mittelpunkt des Geschehens, wie bei seiner Autorenkollegin Kathy Reichs, sondern der bekannte isländische Krimiautor stellt die handelnden Personen und die menschlichen Opfer in das Zentrum.

Dabei versteht es Indriðason vorzüglich, uns die Figuren seines Romans vorzustellen. Besonders über Erlendur erfahren wir viel aus seiner eigenen – teilweise ebenfalls dunklen – Vergangenheit, und gerade seine menschliche Seite wird in seiner Sorge um Eva Lind erkennbar. Während er an ihrem Krankenbett sitzt, erzählt er ihr einige Episoden aus seiner Kindheit, die uns Erlendur in einem ganz anderen Licht sehen lassen als zuvor. Im Kontext dieses Buches wird Erlendurs eigene Familientragödie dabei besonders interessant. Viele Kleinigkeiten und Begebenheiten vervollständigen hierbei unser Bild vom Krimihelden, sodass er uns mit jedem Roman mehr ans Herz wächst und wir immer mehr mit ihm fühlen und ihm wünschen, dass er endlich zufriedener werden möge.

Sehr gelungen empfand ich die charakterliche Weiterentwicklung von Erlendurs Kollegen Sigurður Óli und Elínborg, über die wir wesentlich mehr erfahren als noch im Vorgängerroman. Speziell über Sigurður Ólis Privatleben berichtet Indridason recht ausführlich; so nehmen auch diese beiden Figuren langsam Gestalt an und gewinnen an Profil.

Ein großer Teil der Romanhandlung spielt in der Vergangenheit und erzählt die Geschichte von Grímur, der seine Frau brutal schlägt und auch seinen drei Kindern gegenüber kein gutes Wort fallen lässt. Besonders die kleine Mikkelina ist dabei Opfer seiner verbalen Attacken, da sie nach einer schweren Krankheit halbseitig gelähmt ist und sich daher nicht ohne Hilfe fortbewegen kann und auch das Sprechen aufgegeben hat. In diesen Sequenzen lernen wir auch diese Familie besser kennen und können das Ausmaß der Tragödie in etwa einschätzen.

Durch die häufigen Szenenwechsel vom aktuellen Skelettfund zur vergangenen Familiengeschichte spielt Indriðason uns wohldosiert Informationen über die Hintergründe des Kriminalfalles zu, die uns ein Miträtseln ermöglichen und dadurch immer weiter Spannung aufbauen. Zu Beginn tappt der Leser noch völlig im Dunkeln, wir wissen nicht, was im Milleniumsviertel vor 70 Jahren vorfiel und ob dort überhaupt ein Verbrechen geschah. Dennoch ahnen wir durch die eingeschobenen Sequenzen sehr schnell, wo Erlendur suchen müsste, um seinen Skelettfund aufzuklären. Der Leser bekommt hier ganz bewusst einen Wissensvorsprung zugestanden.

Indriðason inszeniert eine regelrechte Schnitzeljagd, in der viele kleine Hinweise erst mit der Zeit eine Vermutung über die Vorgänge zulassen. Dabei werden verschiedene Fährten ausgelegt, von denen allerdings nur eine auf die richtige Spur führt. Der Spannungsbogen steigt kontinuierlich an und sorgt dafür, dass man „Todeshauch“ ab der Hälfte nur noch schwer aus der Hand legen kann. Zu viele Informationen hat man an die Hand bekommen, die „nur“ noch sortiert und zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden müssen. Aber natürlich hat Indriðason auch in diesem Roman einige Überraschungen für seine Leser parat.

„Todeshauch“ entspricht nicht dem typischen Strickmuster eines Kriminalromans, da kein Mörder gesucht werden muss, sondern lediglich ein Rätsel gelöst werden soll. Erlendur versucht fast schon verbissen, hinter das Geheimnis der Knochen zu kommen und geht mit wesentlich mehr Enthusiasmus ans Werk als beispielsweise sein Kollege Sigurður Óli, der vielmehr damit beschäftigt ist, sein Privatleben in die richtigen Bahnen zu lenken. Die Ermittlungen werden sehr breit angelegt, viele verschiedene Personen werden als Zeugen herangezogen und die Polizisten sind darauf angewiesen, Angehörige und Nachbarn der damaligen Einwohner im Milleniumsviertel zu befragen. Ebenso wie schon in „Nordermoor“ führt Indriðason auch in „Todeshauch“ zahlreiche handelnden Figuren ein, die größtenteils nur einen flüchtigen Eindruck beim Leser hinterlassen. Schon nach dem Zuklappen des Buches entfallen einem viele Namen, weil sie keine große Rolle gespielt haben. Diese breit gefächerten Ermittlungen bringen daher auch den kleinen Nachteil mit, dass ein gutes Namensgedächtnis für die Lektüre dieses Buches hilfreich sein kann.

Auch in diesem Kriminalroman nimmt sich Indriðason eines wichtigen Themas an, er zeigt die Gewalttätigkeiten und Grausamkeiten auf, die Frauen und Kindern innerhalb der eigenen Familie zugefügt werden können, ohne dass Bekannte und Nachbarn etwas bemerken oder gar zu Hilfe eilen. Dabei bezieht der Autor wieder einmal Stellung und unterstützt die Opfer, versucht gleichzeitig aber auch, die Handlungsweise der Täter zumindest zu erklären, wenn auch nicht zu entschuldigen.

_Abwechslung vom Einheitsbrei_

Obwohl „Todeshauch“ mich nicht ganz so sehr mitreißen und begeistern konnte wie der Vorgängerroman, überzeugt auch dieser Krimi nahezu auf ganzer Linie. Indriðason zeigt wieder einmal sein Talent, die handelnden Figuren plastisch darzustellen, sodass sie uns wie Menschen aus Fleisch und Blut erscheinen, mit denen wir einfach mitfiebern müssen. Auch der Spannungsbogen ist rundum gelungen, kontinuierlich wird die Handlung packender und spannender. Die vereinzelten Hinweise, die Indriðason im Laufe des Romans einstreut, fesseln uns immer mehr an das Buch und animieren zum Mitraten. Dabei werden selbstverständlich auch wieder falsche Fährten ausgelegt, die den Leser gekonnt an der Nase herumführen werden, die aber dennoch stets realistisch erscheinen und nicht bloß an den Haaren herbeigezogen wirken. Nur die vielen auftauchenden Romanfiguren könnten den Leser etwas überfordern, außerdem werden sich einige Krimifreunde sicher nicht mit diesem Fall anfreunden können, da am Ende kein Mörder verurteilt wird. Hier geht es lediglich darum, vergangene Rätsel zu lösen. Doch wie Indriðason meiner Meinung nach überzeugend zeigt, ist dies mindestens genauso spannend wie ein aktueller blutrünstiger Kriminalfall. Darüber hinaus ist „Todeshauch“ eine erfreuliche Abwechslung vom sonstigen Kriminalroman-Einheitsbrei, bei dem viele aktuelle Romane nur einen lauwarmen Aufguss bereits veröffentlichter Ideen darstellen. Indriðason bedient sich viel subtilerer Mittel, um seinen Romanen das gewisse Etwas mitzugeben.

Blake Crouch – Upgrade

Einige Jahre in der Zukunft wird die Erde von einer umfassenden Hungersnot heimgesucht worden sein. Milliarden Menschen werden an ihren Folgen zugrunde gehen. Und Logan Ramsey ist der Sohn jener Frau, deren Genie für die Hungersnot verantwortlich ist. Nun arbeitet er für eine Firma, deren Aufgabe es ist, ungenehmigte genetische Forschung und Entwicklung hart zu bekämpfen, mit Mitteln, die an Geheimdienste aus Actionfilmen erinnern – und das aus dem erdrückenden Verantwortungsgefühl für die Schuld seiner Mutter heraus, deren gentherapeutische Eingriffe die Hungersnot heraufbeschwor.

Bis er eines Tages Opfer eines Hinterhalts wird, der perfekt auf ihn zugeschnitten ist und ihn mit einem Virus infiziert. Ein Virus, das eine umfassende Gentherapie bei ihm auslöst, ein Umschreiben seines Genoms. Er merkt nach einer mehrere Tage anhaltenden Grippe, dass er sich in allen Details an jedwedes Schriftstück erinnern kann, das er je gelesen hat. Damit beginnt es.

Er wird geistig aufgewertet, intelligenter, körperlich und geistig übermenschlich befähigt – zu dem Preis seiner Emotionalität und Sozialität.
Der Mensch, zu dem er sich entwickelt, ist nicht fähig, mit seiner geliebten Familie zu leben. Er ist zu unglaublichen Leistungen fähig, und damit schnell selbst Ziel seines bisherigen Arbeitgebers und des Militärs.

Welcher Zweck verbirgt sich dahinter? Er liest in sich die Handschrift seiner Mutter, die eigentlich verstorben sein sollte. So macht er sich auf die Suche, und was er findet, erschüttert die Grundfesten allen menschlichen Lebens und stellt ihn vor eine einsame Entscheidung.

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Indriðason, Arnaldur – Nordermoor

Endlich ist es so weit, Henning Mankell hat ernst zu nehmende Konkurrenz auf dem aktuellen Krimisektor bekommen und sie kommt nicht aus Schweden, wo ich lange nach adäquatem literarischem Ersatz gesucht habe, nein, diese Konkurrenz kommt aus Island!

_Leichen im Keller_

In Nordermoor, einem Stadtteil Reykjavíks, wird die Leiche eines alten Mannes gefunden. Es handelt sich hierbei um Holberg, der zunächst noch einen recht harmlosen Eindruck macht, doch schnell entdeckt Kriminalkommissar Erlendur dunkle Schatten in Holbergs Vergangenheit. Ein Foto, welches in der Wohnung des Ermordeten gefunden wird, entlarvt Holberg als Vergewaltiger, und auch die Dateiensammlung auf seinem Homecomputer spricht Bände; hier ist jemand ermordet worden, um den kein Mensch trauern wird und der noch ganz andere Leichen im Keller begraben hat …

Gleichzeitig verschwindet eine Braut von ihrer eigenen Hochzeit, in Nordermoor werden zwei Schwestern überfallen und Erlendurs drogenabhängige Tochter Eva Lind steht mit Geldsorgen und schwanger vor der Tür ihres Vaters. Doch damit nicht genug, im Laufe der Ermittlungen kommt einiger Schmutz Nordermoors ans Tageslicht, Erlendur muss weit in der Vergangenheit suchen, um Mordmotive zu finden und auch um einen von Holbergs Kumpanen ausfindig zu machen, der seit einem Vierteljahrhundert verschwunden ist.

_Krimi der Extraklasse_

Auf der Suche nach interessanter Krimiliteratur schaut man schon lange nicht mehr nur nach Schweden, für Anne Holt reist man auch gerne nach Norwegen und für Arnaldur Indridason umso lieber nach Island. Seit ich auf der verzweifelten Suche nach lesenswerter Spannungslektüre neben Henning Mankell bin, kommt Indridason seinem schwedischen Kollegen nah wie kein anderer. „Todesmoor“ läutet dabei in Deutschland die Kriminalreihe rund um Kommissar Erlendur ein, obwohl rein chronologisch „Menschensöhne“ den Auftakt zu dieser Reihe darstellt. Doch keine Angst, die Unkenntnis der beiden ersten Romane rund um Erlendur, von denen Band 2 noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde, stört den Lesegenuss kein bisschen.

Arnaldur Indridason lässt mit „Nordermoor“ das Herz des Krimiliebhabers höher schlagen, von der ersten Seite an packt uns das Geschehen rund um Erlendur und die in Nordermoor geschehenen Verbrechen. Immer wieder lässt uns der Autor an entscheidenden Stellen im Unklaren; so erfahren wir erst sehr spät, welche Botschaft der Mörder am Tatort zurückgelassen hat, über welche Erlendur und seine Kollegen so sehr rätseln. Auch zwischendurch enthält Indridason uns Informationen vor, die der Kommissar soeben erfahren bzw. vermutet hat; auf diese Weise fesselt uns der Autor auf jeder Seite mehr an sein Buch, da wir endlich alle Rätsel entschlüsselt haben wollen.

Der Kriminalfall könnte dabei kaum vielschichtiger sein, als er uns hier präsentiert wird. Zunächst sieht alles ganz einfach aus, doch schon das Foto aus Holbergs Wohnung, auf dem das Grab eines kleinen Mädchens abgebildet ist, lässt erahnen, in welchen Tiefen Erlendur forschen muss, um hinter das Geheimnis diesen Mordes blicken zu können. Ganz nebenbei geschieht ein Überfall auf zwei Schwestern in Nordermoor und eine Braut läuft von ihrer eigenen Hochzeitsfeier davon und hinterlässt ebenfalls eine kryptische Botschaft. Ganz allmählich nähert sich Erlendur mit seinen Nachforschungen dem Kern des Verbrechens, bald muss eine zweite Frau gesucht werden, die wahrscheinlich ebenso von Holberg vergewaltigt wurde wie Kolbrún, deren Tochter in dem Grab beerdigt wurde, welches auf Holbergs Foto zu sehen ist.

Arnaldur Indridason macht viele verschiedene Handlungsstränge auf, die im Laufe des Buches weitergesponnen werden, einzig über den Überfall erfahren wir später fast gar nichts mehr. Jede andere Idee führt der Autor weiter aus, verstrickt sie in das Geschehen, schmückt dadurch seinen Kriminalfall aus und erhöht dabei immer mehr das Tempo seiner Erzählung. Am Ende bleiben keine Fragen offen; Indridason schafft es überzeugend, sämtliche Handlungsfäden zusammenzuführen und ihnen einen würdigen Abschluss zu verpassen.

In der Figurenzeichnung orientiert er sich doch deutlich am bekannten Erfolgsmuster, denn der Leser scheint einen fehlerhaften und zweifelnden Krimihelden zu wünschen und genauso wird uns auch Erlendur präsentiert. Er wird als um die 50 Jahre alt beschrieben, zudem hat er vor etlichen Jahren eine schmutzige Scheidung hinter sich gebracht und seitdem keinen Kontakt mehr zu seiner Exfrau. Beide Kinder aus dieser Ehe sind Problemkinder; in diesem Roman tritt Eva Lind auf, die trotz ihrer Schwangerschaft ihren Entzug nicht schafft. Später wird Erlendur sogar mit zwei Schlägertypen konfrontiert, die von Eva Lind Geld eintreiben wollen. Hinzu kommen gesundheitliche Probleme; Erlendur hat oftmals Schmerzen in der Brust und auch mit dem Rauchen kann er nicht aufhören, darüber hinaus plagen ihn nachts schlimme Albträume. Genau wie Kurt Wallander wächst einem auch Erlendur ans Herz, da er authentisch erscheint und wir seine Gefühle und Gedanken nachvollziehen können. Nur am Ende verrennt sich Indridason ein wenig zu sehr in die Kitschecke, aber das sei ihm in Anbetracht des ausgefeilten Kriminalfalles verziehen.

Vielleicht kann man Indridason vorwerfen, dass zu viele Personen in diesem kurzen Kriminalroman ihren Auftritt haben, denn etliche Figuren werden uns vorgestellt und spielen im weiteren Verlauf des Buches keine Rolle mehr. Das führt dazu, dass man sich einige Namen kaum noch merken kann und dass die meisten Personen einen nur flüchtigen Eindruck hinterlassen und kaum Profil bekommen. Dennoch merkt man an Indridasons Beschreibungen sehr gut, auf welche Personen es ankommt, denn diesen gibt er so viel Raum, dass der Leser sich ein Bild machen kann.

Thematisch hat Arnaldur Indridason sich ein heißes Eisen herausgegriffen, welches er offen kritisiert. Er schafft es hier, gewisse Praktiken so darzustellen, dass dem Leser deutlich wird, wie Indridasons eigene Meinung dazu ist. Während der Ermittlungen schreckt Erlendur nicht einmal davor zurück, das kleine vierjährige Mädchen exhumieren zu lassen, das in den 60er Jahren verstorben ist, obwohl die Mutter des Mädchens bereits vor lauter Trauer Selbstmord begangen und ihre Schwester immer noch unter den schweren Schicksalsschlägen zu leiden hat. Doch am Ende schreitet Erlendur zur Wiedergutmachung und zeigt erneut seine menschliche Seite.

_Lesen – marsch, marsch!_

„Nordermoor“ ist trotz seines geringen Umfangs von nur etwas mehr als 300 Seiten ein ausgeklügelter Kriminalroman, der exzellent zu unterhalten weiß. Indridason inszeniert einen gelungenen Spannungsbogen, der auf jeder Seite mitreißt, und erschafft mit Erlendur einen sympathischen Kriminalhelden, von dem wir unbedingt mehr lesen möchten. Während der Erzählung werden einige Leichen aus dem Keller ausgegraben, nur zu deutlich wird der Schmutz Nordermoors erkennbar, und mit Holberg zeichnet Indridason ein Mordopfer, mit dem wohl kein Leser auch nur einen Hauch von Mitleid haben wird. Jeder Krimifan dürfte an diesem Buch seine helle Freude haben!

Reichs, Kathy – Lasst Knochen sprechen

Gerichtsmedizinerin Tempe Brennan und ihr Neffe Kit geraten zwischen die Fronten zweier rivalisierender Motorradbanden, die in der kanadischen Metropole Montréal einen blutigen Krieg führen.

_Die Autorin_

Kathy Reichs, 1950 geboren, arbeitet u. a. als forensische Anthropologin (wie ihre Helden) an gerichtsmedizinischen Instituten von Montréal und Charlotte, South Carolina, aber auch als Gutachterin für die UNO und das Pentagon. Sie unterrichtet hin und wieder an der FBI-Akademie in Quantico, Virginia. Ihr neuester Roman, „Durch Mark und Bein“, ist im |Blessing|-Verlag erschienen, der zum |Bertelsmann|-Imperium gehört.

_Handlung_

Wieder einmal wird die gerichtsmedizinische Anthropologin Tempe Brennan im kanadischen Montréal eingesetzt, um die lokalen Polizeibehörden mit ihrem Spezialwissen zu unterstützen.

Auf dem Weg zum Ballettunterricht wurde die neunjährige Emily Anne Toussaint mitten auf der Straße von Kugeln getroffen. Ein weiteres unschuldiges Opfer im Bandenkrieg rivalisierender Motorradgangs der Großstadt, die sich um das Drogengeschäft streiten. So scheint es zumindest. Die erschütterte Brennan nimmt sich vor, die Mörder zu finden und dingfest zu machen.

Doch dann stößt sie auf dem Gelände eines Montréaler Bikerclubs auf die Leiche eines weiteren Mädchens: Sarah Osprey stammt aus Brennans Heimat South Carolina. Als sie dort mit einer Polizistin spricht, erhält sie Fotos aus der Mordzeit: Sie zeigen bekannte Montréaler Biker.

Merkwürdig ist jedoch dabei, dass der eine der Biker, Cherokee Desjardins, kürzlich bereits ermordet wurde, und der andere, Lyle Crease, ist ein stadtbekannter Fernsehreporter, der sich auffällig stark für Brennans Untersuchungsergebnisse interessiert.

Als Crease mal bei Brennan in ihrer Wohnung vorbeischaut, lernt er Kit kennen, der ebenfalls ein Faible für schwere Motorräder hat. Kit ist Brennans 19-jähriger Neffe aus Texas und auf der Durchreise, wie er behauptet. Und so ziehen Crease und Kit los, um sich die Bikerattraktionen von Montréal anzusehen. Denkt Brennan.

Wie sehr sie sich hat täuschen lassen, erweist sich schließlich am Tag des Begräbnisses eines Bandenmitglieds. In einer wilden Schießerei rechnen die zwei Banden der Heathens und der Vipers miteinander ab – und Crease, der frühere Biker, hat Kit als Geisel mitten zwischen den Fronten aufgestellt. Es geht um Leben und Tod ihres Neffen, wie Brennan – wieder einmal zu spät – erkennt.

_Mein Eindruck_

Das Buch liest sich im Vergleich zum Bestseller [„Knochenarbeit“ 1229 zäh, unerfreulich und kompliziert. Zäh, weil sich die Ermittlungsarbeit fruchtlos hinzieht und durch personelle Querelen mit Brennans Kollegen verzögert wird. Unerfreulich, weil es keinerlei positive oder bestärkende Ereignisse in Brennans Lebens gibt: kein Lover weit und breit (der einzige, Ryan, arbeitet als verdeckter Ermittler), und nur ein Gernegroß-Neffe im Haus. Höchst frustrierend für den leser sind auch die zahlreichen Gelegenheiten, zu denen Brennan wichtige Hinweise übersieht oder -hört. Man sollte meinen, sie habe bei ihren kanadischen Ermittlungen mehr Misstrauen gelernt.

Und kompliziert, weil sich die Liste der Name von hier bis zum Mond erstreckt. Nicht nur muss man sich Brennans Kollegen merken, sondern auch etliche Namen von Bikerbanden und ihren Mitgliedern. Von Brennans familiären und freundschaftlichen Bindungen ganz abgesehen.

Ein Krimi also wie aus dem richtigen Leben gegriffen. Denkt man. Aber dann stellen sich merkwürdige Parallelen zu Reichs Roman „Knochenarbeit“ ein: Die Verbindung zurück nach Carolina, der nahe Verwandte, der in tödliche Gefahr gerät – all das hatten wir doch schon. Gehen Reichs die Ideen aus, oder versucht sie ein Erfolgsrezept bis zum Gehtnichtmehr auszulutschen?

_Unterm Strich_

Ich benötigte mehrere Wochen, um das Buch zu lesen, und der einzige lohnende Teil darin ist der Showdown zwischen den Bikergangs – mitten auf dem Friedhof von Montréal ist das eine echte Schau. Ansonsten ist der Roman bis auf wenige Stellen kaum einmal spannend. Und wer sich ein paar frustrierte Tage ersparen möchte, sollte das Buch links liegen lassen.

|Originaltitel: Deadly Decisions, 2000
Aus dem US-Englischen übersetzt von Klaus Berr|

Melo, Patrícia – Ich töte, du stirbst

_Brasilianischer Psychothriller_

Die vernachlässigte Ehefrau Rita verdächtigt ihren Mann, ein berüchtigter Frauenmörder zu sein. Ist sie das nächste Opfer? – Ein pedantischer Bankangestellter will seine Nachbarin killen, muss sie aber zuerst verführen: ein todbringender Don Juan. Ist er der gesuchte Frauenmörder? – Zwei Episoden um Psychosen bilden diesen kriminell guten Roman einer Brasilianerin.

„Ich töte, du stirbst“ ist Patricia Melos erster Roman und erschien 1994. Nach „O Matador“ und „Wer lügt gewinnt“ ist dies der dritte von |Klett-Cotta| verlegte Roman Melos.

Patricia Melo wurde in zwölf Sprachen übersetzt und 1998 für „O Matador“ mit dem Deutschen Krimi-Preis ausgezeichnet. 2001 erhielt sie den begehrten Premio Jabuti ihres Heimatlandes.

|Die Übersetzerin|

Barabara Mesquita, 1959 in Bremen geboren, ist Dolmetscherin und Übersetzerin für Portugiesisch und Spanisch. Sie hat u. a. Luis Verissimo und Juan Manuel de Prada ins Deutsche übertragen. Ihre Arbeit an „Ich töte, du stirbst“ ist einfach makellos.

_Zwei Handlungen_

|Erster Teil|

Die Hauptfigur und Ich-Erzählerin des ersten Teils ist die junge Brasilianerin Rita. Sie sucht ein Polizeirevier auf, um dem Beamten zu berichten, sie vermute, ihr eigener Gatte sei der berüchtigte Frauenmörder des Stadtteils Lapa. Sie fürchte um ihr Leben. Das macht den Beamten erst einmal skeptisch.

Und uns auch, denn Rita, die vernachlässigte Gattin, die den ganzen Tag im Fernsehen amerikanische Krimiklassiker anschaut (diese Szenen verschwimmen mit der Realität), schnüffelt ihrem Männe, Rubem Marcondes, hinterher. Rubem ist Fernsehproduzent, und tatsächlich scheint ihn ein Geheimnis zu umgeben.

Auf ihren Beschattungsfahrten entdeckt Rita, wie ihr Angetrauter andere Frauen trifft, attraktive Blondinen gar, in Cafés und Bars. Ihre Paranoia wächst: Landet sie demnächst bald beim alten Eisen? Doch Rubem streitet natürlich alles als Einbildung und Unsinn ab. Rita zweifelt an ihrem Verstand.

Dann findet sie, ganz die Paranoikerin, in einem geheimen Versteck im Keller mehrere mysteriöse Ampullen: Darin befindet sich Aqua Toffana (vgl. O-Titel), jenes tückisch wirkende Gift aus der Renaissance, das so langsam tötet, dass es zwei Jahre (!) dauert, bis das Opfer verendet.

Der Polizeibeamte ist weiterhin skeptisch: Ist Rita nicht doch nur eine durchgeknallte Psychopathin? Wenig später wird die Leiche einer jungen Frau in Lapa gefunden, das sechste Opfer: Rita.

|Zweiter Teil|

Auch am Geisteszustand der zweiten Hauptfigur und des zweiten Ich-Erzählers des Romans gibt uns reichlich Anlass, ernsthaft an seiner geistigen Gesundheit zu zweifeln. Der unscheinbare, aber höchst penible Bankangestellte – er hat täglich nur Formulare abzustempeln, sonst nichts – und Vater zweier Kinder ist relativ besessen von Hemdkragen. Sie müssen a) von seiner Frau korrekt gebügelt sein und b) korrekt sitzen. Nur wenn sie richtig gebügelt sind, verleihen sie dem jeweiligen Träger jene lässige Eleganz (meint er).

In seine Albträume mischen sich Bilder von Stich- und Schneidewerkzeugen: Messer, Stichel, Dolche. Auch Revolver. Sein Hass richtet sich gegen seine etwas betagte Nachbarin Célia, eine gut erhaltene Vier- oder Fünfzigerin. Er schickt ihr Karten, Blumen. Irgendwie muss er ihr ja näher kommen. So nahe, dass er sie in ihrer Badewanne ertränken kann. Denn das ist der Trick: Den Mord so aussehen zu lassen wie einen Unfall: Das Badewasser läuft ihr in den Mund, ein Reflex hindert sie an der Gegenwehr, Affe tot.

Sein Wunschtraum geht in Erfüllung (oder ist alles nur Einbildung?): Er zerstückelt Célias Leiche und versenkt die Müllbeutel vor der Küste. Ha, wie soll man ihm nun auf die Spur kommen? Nie im Leben.

Doch als ihm niemand verdächtigende Fragen stellt, wird er unruhig. Eines Morgens liest er die Zeitung: Der Frauenmörder von Lapa hat ein sechstes Opfer gefordert. Unverzüglich meldet er sich auf dem Kommissariat und gesteht: Ich bin der, den ihr sucht. Der Kommissar schaut ihn erschrocken an.

_Mein Eindruck_

Patricia Melos Geschichten erinnern an die Mördergeständnisse in Edgar Allan Poes Geschichten „Die schwarze Katze“ und „Das geschwätzige Herz“: Der Mörder (?) empfindet mehr Einbildungen, leidet unter einer (imaginären?) Tat und stellt sich schließlich: entweder, wie bei Poe und Melo Nr. 2, dem Arm der Gerechtigkeit oder, wie bei Melo Nr. 1, dem unausweichlichen Schicksal.

Das Thema der beiden Novellen, die den Roman „Ich töte, du stirbst“ ausmachen, ist in jedem Fall Gewalt: sei sie nun real oder „nur“ eingebildet. Die Erzählweise ist brillant, vielseitig, schier atemlos dahinjagend in ihrer Paranoia. (Ich habe den Roman komplett an einem Tag gelesen.)

|“Paranoia me destroya“|

Woher kommt er, dieser Verfolgungswahn? Er hat viele Quellen. Die vernächlässigte Rita erfindet sich einen Mörder nach dem Vorbild der amerikanischen Krimis. Sie findet ihre höhere Bedeutung als Opfer, ein Opfer von derart durchtriebener Mordlust und Tücke, dass sie sozusagen die Krönung aller Opfer darstellt.

Auch der Bankangestellte stilisiert sich zu höherer Bedeutung: Direkte Einwirkung auf die Umwelt, nicht mehr nur denken, stempeln wie ein kleines Rädchen in der Maschine, nein, ein Mord muss her. Als ob eine solche Tat zum Heldentum tauge. So kommt man in die Zeitung. Berühmt oder berüchtigt – wo liegt da heutzutage der Unterschied?

In Washington, D.C., spielt jemand Gott, indem er wahllos Menschen abknallt. Terror oder ultimativer Horror (bei Rita) als Vergegenwärtigung des verschwindenden, anonymen Individuums. „Selbsternannte Götter“, wie Gert Heidenreich sie nennt, sind vielleicht die Agonie im Kampf des Einzelnen um Selbstbehauptung: Träume von Gift, Dolchen, Messern, Revolvern überschwemmen, freigelassen von den visuellen Medien, das Bewusstsein der Massen. Der Mörder und sein Opfer als Doppelheldenpaar. Für 15 Minuten bzw. Sekunden Ruhm.

_Unterm Strich_

Melo ist eine Entdeckung, nicht nur in Sachen Einfallsreichtum und Aussage des Inhalts, sondern auch in literarischer Hinsicht. So rasant und dennoch unter die Haut gehend erlebt man heute selten eine Erzählung. Das Thema sorgt ebenso wie seine brillante Umsetzung für wohlige Schauder beim Leser.

|Originaltitel: Aqua Toffana, 1994
Aus dem Brasilianischen übertragen von Barbara Mesquita|

Patterson, James / Roughan, Howard – Honeymoon

_Die Schwarze Witwe spielt Katz und Maus_

Nora Sinclair wird von jedem Mann begehrt und von jeder Frau, die nicht selbstbewusst genug ist, beneidet: Sie ist schön, reich, erfolgreich – und hatte bereits drei Ehemänner oder Verlobte. Leider haben zwei davon bereits vorzeitig den Löffel abgegeben. Aber das ahnt Opfer Nummer 3 noch nicht, als er Nora eröffnet, er habe nun endlich das Geheimnis um ihre heimliche Ehe gegenüber einer großen Zeitung eröffnet. Das bringt Nora unvermittelt in Zugzwang. Der Ehemann sollte unverzüglich seine Lebensversicherung kündigen …

An Todesfall Nummer zwei nimmt die Versicherung des Verblichenen ungewöhnlich viel Anteil. Niemand verdächtigt Nora wegen irgendetwas. Doch für den Mann, der sich Nora gegenüber als Versicherungsvertreter „Craig Reynolds“ ausgibt, sind einige Umstände an diesem Todesfall verdächtig. Nora hingegen hat ein feines Näschen für Ermittler, die sich zu sehr für ihre Angelegenheiten interessieren …

|Hinweis|

„honeymoon“ nennt man im Englischen die Flitterwochen – das dürfte weitgehend bekannt sein. Das Wort erhält im Verlauf der Handlung eine reichlich unheilvolle Zweitbedeutung.

_Der Autor_

James Patterson, ehemaliger Besitzer einer Werbeagentur, ist der Autor zahlreicher Nummer-1-Bestseller. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt. Für Einsteiger sei gesagt, dass Alex Cross ein sympathischer schwarzer Polizeipsychologe ist, der mit seiner Familie in Washington, D.C., lebt.

Patterson ist extrem fleißig. Sein letzter Solo-Roman in Deutschland hieß „Ave Maria“, ein Alex-Cross-Roman. Davor erschienen neue Alex-Cross-Romane mit den Titeln „The Big Bad Wolf“ und „London Bridges“. Im Original sind bereits „Cross“ und „Double Cross“ erschienen. Seit 2005 sind weitere Patterson-Kooperationen veröffentlicht worden, darunter „Lifeguard“ sowie „Judge and Jury“; am 3. Juli 2007 erschien die Zusammenarbeit „The Quickie“. Im Frühjahr 2003 (deutsch Mitte 2005) erschien auch eine Kollaboration mit dem Titel „Die Rache des Kreuzfahrers“ (The Jester), deren Story im Mittelalter spielt.

Nähere Infos finden sich unter www.twbookmark.com und www.jamespatterson.com. Patterson lebt mit seiner Familie in Florida.

Howard Roughan lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Connecticut. Er ist der Autor der Romane „The Up and Comer“ und „The Promise of a Lie“.

_Handlung_

Nora Sinclair ist eine aufstrebende und sehr schöne Innenarchitektin in New York City. Sie hat ein kleines Problem: Sie hatte eine sehr traurige Kindheit und Jugend, die sie, nachdem ihre Mutter in den Knast musste, in Waisenheimen verbrachte. Sie sah mit an, wie die Mutter ihren Vater tötete, das kann ganz schön verstörend wirken und trägt nicht gerade dazu bei, Vertrauen in die Menschen zu setzen.

Besonders, was Männer betrifft. Inzwischen hat Nora gelernt, reiche Männer als Quelle von Vergnügen und Geld zu benutzen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass sie eine hervorragende und somit kaltblütige Schauspielerin ist. Wer sagt denn, dass man nur einen Mann zur gleichen Zeit haben darf? Und irgendwie muss man die Kerle auch wieder loswerden, nachdem sie ihre Schuldigkeit getan haben.

Gleich in der ersten Szene schleppt sich einer der Kerle – es wird wohl Ehemann Nr. 1 sein – im Todeskampf ins Badezimmer, wo er verendet. Wie konnte es nur dazu kommen? Und vor allem: warum? Das sind die spannenden Fragen, die erst im Laufe der Handlung beantwortet werden, wenn wir Nora, die Schwarze Witwe, etwas näher kennen lernen.

Als Nora gerade ihren Verlobten Connor Brown abserviert hat – das Gift im Essen ist nicht nachzuweisen -, taucht dieser Versicherungsmensch auf, der sich Craig Reynolds von der Centennial One nennt. Er behauptet, Nora sei die Begünstigte von Connors Lebensversicherung, und ihr stünden 1,9 Mio. Dollar zu. Peanuts gegen das, was Nora bereits von Connors Schweizer Nummernkonto auf die Cayman-Inseln transferiert hat! Und unangenehm obendrein, denn Reynolds will auf Geheiß seines Bosses John O’Hara ein paar Nachforschungen anstellen.

Wir werden ziemlich stutzig, als dieser Reynolds von seinem Boss angerufen wird – und dieser Susan heißt. Auch mit dem Versicherungsbüro in der Stadt, wo Connor Brown lebte, stimmt etwas nicht, wie Nora ein wenig spät, fast zu spät herausfindet: Es gibt nur eine Mitarbeiterin, die keine Ahnung hat, und Reynolds ist nie anzutreffen. Dennoch läuft eine ordentliche Ermittlung, bei der Reynolds die angebliche Klientin beschattet und mit einer Digitalkamera fotografiert. Dabei lernt er auch die Schwester des Toten, Elizabeth Brown aus Kalifornien, kennen. Aber er muss stets an die weisen Worte seines seligen Vaters denken: Manchmal ist nichts so, wie es zu sein scheint.

Für Reynolds – und seine Susan – stellt sich die Frage, ob Nora Connor getötet hat (aber womit?) oder wirklich ein reines Gewissen hat. Um das herauszufinden, muss er der Lady auf den Zahn fühlen. Susan sieht es gar nicht gern, dass ihr Mitarbeiter der Klientin so auf die Pelle rückt. Sie würde jedoch komplett ausrasten, wenn sie erführe, dass Mr. Reynolds seine Hormone nicht im Zaum halten konnte und mit der schönen Nora in der Kiste gelandet ist – die ganze Nacht hindurch.

Am nächsten Tag kocht Nora wie allen ihren Männern auch Craig ein schönes Omelett – nach Art des Hauses. Als er einen Erstickungsanfall erleidet, kommen ihm ernste Zweifel an Noras Unschuld.

_Mein Eindruck_

Die ganze Handlung besteht aus einem ausgetüftelten Katz-und-Maus-Spiel, einem sehr amerikanischen Spiel. Doch wer ist die Katze und wer die Maus? Wenn Nora Sinclair alias Olivia Sinclair ihre Männer reihenweise abserviert, entsteht der Eindruck, sie wäre die Katze. Doch dann taucht dieser Craig Reynolds alias John O’Hara auf, der genauso viel auf dem Kasten hat wie Nora. Natürlich denkt er, er wäre die Katze und sie die Maus, die er mit Leichtigkeit zur Strecke bringt.

Typisch männliche Selbstüberschätzung! Susan (auch ihre Identität ist eine Überraschung) versetzt ihm sofort einen Dämpfer für sein aufgeblasenes Ego. Dennoch weiß er nicht, ob er Nora bewundern soll, weil sie ein mindestens ebenso guter Schauspieler ist wie er selbst. Er ist ein Undercover-Agent, okay, aber diesmal ist mit dem „cover“ auch das Betttuch gemeint. Und was Fahrkünste und Action-Initiative anbelangt, so zeigt ihm Nora, wo der Hammer hängt. So ein armer FBI-Agent, der hat’s schon schwer.

Man merkt dem Buch an, dass es nicht von James Patterson ist, sondern vom Meister lediglich gründlich überarbeitet wurde: Die Kapitel sind gewohnt kurz und stets auf den Punkt gebracht, an dem der Leser unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Auch ein ziemlich schräger Humor spielt durchweg eine amüsante Rolle.

|Sympathy for the devil|

Aber der Schwerpunkt der Handlung liegt – und das ist für Patterson untypisch – auf diesem Katz-und-Maus-Spiel, dem Krieg der Geschlechter, dem Wettstreit der Schauspieler. Wie so oft ist von Anfang an klar, wer der Täter, der Schurke im Stück ist. Das Perfide ist jedoch, dass der Leser allmählich dazu gebracht wird, Sympathie mit der Serienmörderin Nora zu empfinden. Ganz besonders dann, als sie erkennt, dass sie (wieder einmal) die Hintergangene und Gejagte ist. Sie ist diejenige, deren Herz (wieder einmal) gebrochen wurde. Als sie den Spieß umdreht, sind wir völlig auf ihrer Seite und wir blicken mit sehr gemischten Gefühlen auf das, was der Gesetzeshüter John O’Hara tut.

Die Story entfaltelt sich anfangs nur langsam und recht verzweigt. Dass dies planvoll und mit hinterlistiger Absicht so angelegt ist, erweist sich im letzten Viertel des Romans, als es eine Überraschung nach der anderen hagelt. Denn John O’Haras Ermittlung gegen Nora Sinclair hat einen viel weiter reichenden Hintergrund: O’Hara ist Anti-Terrorexperte …

|Kein typischer FBI-Thriller|

Zu Beginn machte ich den Fehler, eine Story zu erwarten, die ähnlich aufgebaut ist wie „Lifeguard“. „Honeymoon“ – wieder so ein super-ironischer Titel! – steigert sich ganz langsam zu einem packenden Finale hin. Und obwohl es sich im Grunde um einen FBI-Thriller handelt, hat die Story einen völlig anderen Schwerpunkt – siehe oben. Etwas Ähnliches hat der Leser vielleicht schon in „Body of Evidence“ gelesen, der mit Madonna (ziemlich schlecht) verfilmt wurde: ein erotischer Thriller, in dem der männliche Ermittler in die „tender trap“ fällt, die die weibliche Täterin für ihn aufgestellt hat.

Was ich immer wieder an Pattersons Kooperationsthrillern bewundere, ist die kenntnisreiche und (zu)treffende Beschreibung von Örtlichkeiten wie Ladengeschäften, Museen, Ortschaften und Verkehrswegen. Diese Realia verleihen der Handlung einen Anstrich von Glaubhaftigkeit und Authentizität, selbst wenn das Geschehen schon ans Unwahrscheinliche und Bizarre grenzt.

|Eins-a-Infos über Land und Leute|

Patterson selbst lebt in Südflorida und kann ausgezeichnet über diese Gegend schreiben, so etwa in „Lifeguard“. Sein Ko-Autor Andrew Gross lebt in New York City, aber nicht er schreibt über die Stadt in „Honeymoon“, sondern Hoaward Roughan, der in Connecticut lebt – quasi um die Ecke. Die Ko-Autorin Maxine Paetro wiederum schreibt über San Francisco, mit ebenso großer Kenntnis über Land und Leute. Wer also noch etwas Insiderwissen über diese Gegenden und Städte mitnehmen möchte, der kann sie in Pattersons Thrillern abholen.

|Offene Fragen|

Die Erzählweise bringt es mit sich, dass Spannung durch Rätsel erzeugt wird, und diese Rätsel wiederum auf einem Informationsdefizit beruhen: einem Mangel an Beweisen etc. In der Regel werden in Pattersons Romanen alle offenen Fragen beantwortet, wie sich das gehört, um den Leser zufrieden zu stellen. Doch nicht in „Honeymoon“. Ziemlich gegen Schluss führt O’Haras Weg ihn in die Klapsmühle. Dort lebt Nora Sinclairs Mutter seit mehreren Jahren. Nora besucht sie einmal im Monat und bringt ihr dabei Kriminalromane mit.

Nachdem Nora bei ihrem letzten Besuch fast einen Nervenzusammenbruch hatte, beschloss ihre Mutter, ihr das Geheimnis jener Mordnacht zu enthüllen, in der Nora ihrer Mutter beim Töten zusah. (Und wenn sie dies kann, dann kann sie ja wohl auch nicht verrückt sein, oder? Warum also versteckt sie sich in der Anstalt?) Der mütterliche Brief wird jedoch abgefangen – durch einen so unwahrscheinlichen Zufall, dass er unplausibel erscheint. Das ist aber unwichtig. Wichtig ist, dass wir das Geheimnis nie erfahren. Ist der Autor gemein zu seinen Lesern?

_Unterm Strich_

Nach einem langsamen, behutsam aufgebauten Anfang gewinnt die Handlung mit dem Auftritt von Ermittler Craig Reynolds recht schnell an Spannung. Sobald er sich mit der Serienmörderin eingelassen hat, geht es um Leben und Tod, für ihn wie auch für Nora. Wer wird gewinnen, wer lacht zuletzt? Diese Fragen werden erst ganz am Schluss beantwortet und erzeugen einen Spannungsbogen vom zweiten Drittel bis zum Ende.

„Honeymoon“ ist spannende, sinnliche und stellenweise sehr ironische Lektüre. Ich habe lediglich einen genauer gezeichneten biografischen Hintergrund der beiden Hauptfiguren vermisst. In dieser Hinsicht ist „Lifeguard“ („Die Palm-Beach-Verschwörung“, zusammen mit Andrew Gross) besser.

|Originaltitel: Honeymoon, 2005
Aus dem US-Englischen übersetzt von Andreas Jäger
350 Seiten|
http://www.goldmann-verlag.de

_James Patterson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47
[„Der 1. Mord“ 1361
[„Die 2. Chance“ 1362
[„Der 3. Grad“ 1370
[„4th of July“ 1565
[„Die 5. Plage“ 3915

Dashiell Hammett – Der Malteser Falke. Ein Sam-Spade-Krimi

Der Privatdetektiv des Teufels

San Francisco 1929. Privatdetektiv Sam Spade soll eine wertvolle Statuette namens Malteser Falke suchen. Er tappt in ein Wespennest, in dem nichts ist, wie es scheint. Erst wird sein Partner ermordet, dann der Mann, den sein Partner beschatten sollte. Die Polizei zählt zwei und zwei zusammen und kreuzt bei Spade auf, um ihn in die Mangel zu nehmen – wegen Doppelmords. Da geraten sie aber an den Falschen.

Der Autor
Dashiell Hammett – Der Malteser Falke. Ein Sam-Spade-Krimi weiterlesen

Indridason, Arnaldur – Tödliche Intrige

Seit zwei seiner Bücher mit dem Nordischen Preis für Kriminalliteratur ausgezeichnet wurden, hat Arnaldur Indridason sich (zu Recht!) international einen Namen im Krimigenre gemacht. Durch das exotische Lokalkolorit Islands strahlen seine Bücher eine besondere Faszination aus, sodass Indridason sich keineswegs hinter seinem berühmten schwedischen Kollegen verstecken muss. Mit „Tödliche Intrige“ hat er einen Thriller vorgelegt, der alles andere als alltäglich ist …

_Eine Stimme, die zu uns sprach_

Der gesamte Roman ist aus der Sicht eines Ich-Erzählers geschrieben, der im Gefängnis sitzt, seine Gedanken zu Papier bringt und die vergangenen Geschehnisse Revue passieren lässt. Der Erzähler nimmt uns an die Hand und bringt uns zu den verschiedenen Stationen des Verbrechens. Früh ist uns klar, dass etwas Schreckliches geschehen sein muss und dass der Angeklagte unschuldig im Gefängnis zu sitzen scheint; auf jeder Seite werden seine Verzweiflung und Ratlosigkeit deutlich. Nur ganz allmählich setzt sich das Bild des Verbrechens zusammen. Zunächst erfahren wir allerdings mehr über Bettý und den Beginn der Geschichte.

Der Ich-Erzähler arbeitet als Anwalt und begegnet Bettý nach einem Vortrag. Bettý lebt mit dem steinreichen Reeder Tómas Ottósson Zoega (kurz: Tozzi) zusammen und möchte den Ich-Erzähler für die Firma ihres Lebensgefährten engagieren. Nach kurzem Zögern nimmt dieser das Jobangebot tatsächlich an und ahnt dabei nicht, dass er dadurch der Spinne bereits ins Netz gegangen ist. Es dauert nicht lange, bis die schöne und berechnende Bettý Tozzis neuen Anwalt verführt und eine leidenschaftliche Affäre mit ihm beginnt. Wie aus der Geschichte des Ich-Erzählers deutlich wird, verfällt er Bettý immer mehr, vergöttert sie und merkt gar nicht, dass sie ihn für ihre eigenen Zwecke missbrauchen will.

Tozzi schlägt seine Freundin, immer wieder taucht Bettý mit kleinen Verletzungen bei ihrer neuen Liebe auf, sie spricht von Trennung, aber auch davon, dass Tozzi sie nie gehen lassen würde. Vermeintlich nur aus Spaß erwähnt sie dabei einen möglichen Mord, und der Ich-Erzähler ahnt nicht, dass aus Spaß ganz schnell Ernst werden kann …

_Liebe macht blind_

Arnaldur Indridason spinnt einen interessanten Plot und versetzt uns in die Gedankenwelt eines des Mordes Angeklagten. Aus der Retrospektive erfahren wir nach und nach die Vorgeschichte, die zu einem schrecklichen Verbrechen geführt hat. Wohldosiert bekommen wir dabei immer nur kleine Informationshäppchen vorgeworfen, aus denen wir uns die Ereignisse zusammenreimen können, doch führt uns der Autor geschickt an der Nase herum. In die Mitte des Buches platziert er eine inhaltliche Wendung, mit der der Leser sicherlich so nicht gerechnet haben kann. In diesem Moment ist man einfach nur baff und rekapituliert das bisher Gelesene in Gedanken erneut, um zu überprüfen, ob diese Überraschung wirklich Sinn ergibt – aber sie tut es!

„Tödliche Intrige“ ist ein Buch, wie man es nur selten zu lesen bekommt; der Autor schafft es auf jeder Seite, seine Leser an seine Erzählung zu fesseln, obwohl streckenweise auf inhaltlicher Ebene nicht viel passiert, doch entwickelt Indridason eine dermaßen dichte Atmosphäre, dass einem kalte Schauer über den Rücken laufen. Der Spannungsbogen hinkt an mancher Stelle, da der Autor sich in einigen Passagen wiederholt und somit trotz der Kürze des Buches nicht immer etwas Neues zu berichten hat. Dennoch ist dieser Thriller ähnlich klug inszeniert wie ein typischer Kriminalfall aus der Feder Agatha Christies. Am Ende wird schließlich die ganze Niederträchtigkeit der Femme fatale deutlich und offenbart tiefe menschliche Abgründe.

Schon von der ersten Seite an entführt uns dieser Roman in die düsteren Gedanken eines Inhaftierten, der selbst nicht recht verstehen kann, was eigentlich vorgefallen ist. Indridason beweist hier eindrucksvoll, dass er die Verzweiflung des Hereingelegten authentisch beschreiben und den Schmerz und die Enttäuschung über diese List zum Ausdruck bringen kann. Realistisch führt der Autor uns vor Augen, an welchen Gedanken man sich in dieser Situation festhalten muss, um nicht völlig zu verzweifeln. Diese realistischen Beschreibungen führen dazu, dass wir uns trotz der offenkundigen Naivität des Ich-Erzählers in ihn hineinversetzen und mit ihm fühlen können. Wir empfinden Mitleid angesichts der Ungerechtigkeit, dass unser Erzähler unschuldig im Gefängnis sitzt, und wir empfinden Wut gegenüber denjenigen, die ihm das angetan haben, und gegenüber all den Menschen, die ihm nun keinen Glauben schenken. Als Leser wird man in ein Wechselbad der Gefühle hineingeworfen, denn auf der einen Seite lernen wir Bettý aus den Erzählungen über die aufkeimende Liebe zwischen ihr und dem Ich-Erzähler kennen, auf der anderen Seite ahnen wir bald, dass sie hinter der tödlichen Intrige steckt.

_Nicht jedermanns Geschmack_

Trotz der schnörkellosen und leicht verständlichen Sprache erfordert dieses Buch einiges an Aufmerksamkeit. Die Erzählung ist durchsetzt von etlichen Zeitsprüngen, von einem Moment auf den anderen wechselt die Handlung in die Vergangenheit und der Ich-Erzähler berichtet von seiner Kindheit oder auch von seiner Affäre mit Bettý, kurz darauf wohnen wir vielleicht schon einem Verhör im Gefängnis bei, welches in der Gegenwart stattfindet. Die zeitlichen Wechsel erfolgen hierbei unangekündigt und plötzlich; aus dem Zusammenhang wird immer klar, wo wir uns gerade befinden, doch könnten diese Gedankensprünge manch einen Leser irritieren. Für mich hatten sie einen besonderen Reiz, da sie den Spannungsaufbau vorantrieben. Nie konnte ich das Buch beruhigt aus der Hand legen, da immer wieder entscheidende Informationen eingestreut wurden, die zum Miträtseln animierten.

Der allseits bekannte Erlendur taucht in diesem Buch nur in einer Art Nebensatz auf und weist dabei auf einen anderen Kriminalfall hin. Doch das Fehlen dieses Krimihelden störte mich nicht, überaus schade fand ich es vielmehr, dass „Tödliche Intrige“ den Bezug zu Island fast völlig vermissen ließ. Dieser Thriller hätte praktisch überall spielen können, jegliches faszinierendes Lokalkolorit wurde ausgelassen, nur Namen isländischer Städte führten dazu, dass man den Roman geographisch einordnen konnte.

Ein wenig vergaloppiert hat sich Indridason in der Zeichnung seiner Charaktere, die zum Teil zu viele Klischees in sich vereinigen und dadurch unrealistisch erscheinen. So übertreibt er es nicht nur in der Darstellung des Ich-Erzählers, sondern insbesondere in der Figur der Femme fatale Bettý und ihres Lovers Tozzi, die beide praktisch dem „Denver-Clan“ entsprungen sein könnten:

|“Ich konnte nicht sehen, dass sie irgendetwas gemeinsam hatten. Sie so schön, so feminin und irgendwie auch so einsam und verwundbar, aber manchmal auch wie ein Raubtier, wenn ihr der Sinn danach stand. Er dagegen war ein typisch männliches Testosteronpaket, aggressiv und ungezügelt.“|

_Ungewöhnlich_

Insgesamt ist „Tödliche Intrige“ mehr als unterhaltsam und lesenswert, das Buch fesselt seine Leser auf jeder einzelnen Seite und führt uns dabei an der Nase herum. Der Plot ist geschickt inszeniert und entführt uns in die verzweifelte Gedankenwelt eines unschuldig inhaftierten Ich-Erzählers. Arnaldur Indridason beweist mit diesem Thriller, dass er Gefühle glaubwürdig und realistisch umschreiben kann (auch wenn dies nicht für die Charaktere gilt) und dass er auch im Thrillergenre ein Autor ist, den man im Auge behalten sollte. An einigen Stellen hätte Indridason seine Erzählung noch etwas straffen können, auch hätte ich mir mehr Bezüge zu Island gewünscht, die in Indridasons anderen Büchern das gewisse Etwas ausgemacht haben, dennoch kann ich diesen ungewöhnlichen Thriller guten Gewissens weiterempfehlen.

|Arnaldur Indriðason bei Buchwurm.info:|
[Engelsstimme 721
[Menschensöhne 1217
[Nordermoor 402
[Todeshauch 856

Patterson, James / Paetro, Maxine – 5. Plage, Die

_Rettet das Krankenhaus – und den Autosalon!_

Jemand stirbt – die Apokalypse naht – der fünfte apokalyptische Reiter ist unterwegs …

Im Städtischen Krankenhaus von San Francisco sterben die Patienten wie die Fliegen. Aber nicht an Krankheiten, sondern weil jemand kräftig nachgeholfen hat. Seine Handschrift: zwei Knöpfe auf den Augen des Opfers. Die Knöpfe tragen das Bild des Äskulapstabs …

Unterdessen muss sich Polizeileutnant Lindsay Boxer mit einer Serie bizarrer Morde an jungen Frauen befassen. Die Frauen wurden nach ihrer Ermordung wie Models in teure Kleider gesteckt. Da man sie alle in einem teuren ausländischen Wagen findet, heißen sie alsbald nur die Car Girls. Als aber das neueste Opfer bei der Eröffnung eines Automobilsalons gefunden wird, platzt Lindsay endgültig der Kragen – und schon bald hat sie eine heiße Spur …

_Die Autoren_

James Patterson, ehemaliger Besitzer einer Werbeagentur, ist der Autor zahlreicher Nummer-1-Bestseller. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt. Für Einsteiger sei gesagt, dass Alex Cross ein sympathischer schwarzer Polizeipsychologe ist, der mit seiner Familie in Washington, D.C., lebt.

Patterson ist extrem fleißig. Sein letzter Solo-Roman in Deutschland hieß „Ave Maria“, ein Alex-Cross-Roman. Davor erschienen neue Alex-Cross-Romane mit den Titeln „The Big Bad Wolf“ und „London Bridges“. Im Original sind bereits „Cross“ und „Double Cross“ erschienen. Seit 2005 sind weitere Patterson-Kooperationen veröffentlicht worden, darunter „Lifeguard“ sowie „Judge and Jury“; am 3. Juli 2007 erschien die Zusammenarbeit „The Quickie“. Im Frühjahr 2003 (deutsch Mitte 2005) erschien auch eine Kollaboration mit dem Titel „Die Rache des Kreuzfahrers“ (The Jester), deren Story im Mittelalter spielt.

Nähere Infos finden sich unter www.twbookmark.com und www.jamespatterson.com. Patterson lebt mit seiner Familie in Florida.

Maxine Paetro ist eine Journalistin und Schriftstellerin, die mit ihrem Mann in New York City lebt.

_Handlung_

Wie so häufig bei Patterson, laufen mehrere Handlungsstränge parallel nebeneinander her, bis sie sich an einem kritischen Punkt kreuzen. So auch in diesem Roman.

|Um Mitternacht|

Eine junge Mutter freut sich darauf, dass sie bald wieder zu ihrem Töchterchen zurückdarf. Sobald man sie aus dem Städtischen Krankenhaus von San Francisco entlassen haben wird. Doch in der Nacht vor ihrer Entlassung schlägt der Night Walker zu und injiziert ihr eine tödliche Dosis. Jessie Falks Herz zuckt in Horror, als das Gift sich in ihrem Körper verbreitet.

Sie kann den Klingelknopf nicht erreichen, mit dem sie eine Krankenschwester rufen könnte. Verschwommen sieht sie eine Gestalt auf sich zukommen und bettelt um Hilfe. Doch diese Gestalt sagt nur: „Ja, du stirbst, Jessie. Es ist wunderschön mit anzusehen, wie du hinübergehst.“ Und als Jessie das getan hat, legt sie ihr zwei Knöpfe auf die beiden Augen. Auf den Knöpfen ist das Emblem der medizinischen Zunft zu sehen: der Äskulapstab, um den sich zwei Schlangen ringeln.

|Der Women’s Murder Club|

Polizeileutnant Lindsay Boxer leitet die Mordkommission beim San Francisco Police Department, und in dieser Position hat sie schon einiges durchgemacht. So wurde sie zum Beispiel von einem Teenagerpärchen, das auf Drogen war, zusammen mit ihrem Kollegen Warren Jacobi krankenhausreif geschossen (in „4th of July“). Neben dem Department kann sie sich auf die moralische und emotionale Unterstützung des Women’s Murder Club stützen, der sich regelmäßig trifft. Besonders Claire, die Gerichtsmedizinerin, ist ihr eine große Hilfe. Aber auch Cindy, die Reporterin bei der Zeitung „S.F. Chronicle“, gibt ihr manchmal Tipps, die Lindsay helfen, auf dem Laufenden zu bleiben. Jüngstes Mitglied des Klubs ist die junge Rechtsanwältin Yuki Castellano.

Yuki und Cindy sind total interessiert an dem beginnenden Prozess gegen das Städtische Krankenhaus. Es geht um höhe Entschädigungen an zwanzig Sammelkläger, die allesamt liebe Angehörige in diesem Hospital verloren haben. Ihre Rechtsvertreterin, Anwältin Maureen O’Mara, verklagt das Krankenhaus wegen ärztlicher Kunstfehler. Von Mord ist (noch) keine Rede. Aber der Verteidiger der Gegenseite, Lawrence Kramer, behauptet, es handle sich lediglich um menschliche Irrtümer. Zu seinen Zeugen gehört auch ein gewisser Dr. Dennis Garza.

|Der fünfte Reiter|

Als Yukis Mutter Keiko nach einem Schwächeanfall in diese Klinik eingeliefert wird, macht sich Yuki entsprechende Sorgen. Als Keiko eines Nachts dort sogar direkt vor ihrer Entlassung stirbt, fällt Yukis Verdacht auf Dr. Dennis Garza. Dessen kaltschnäuzige und arrogante Art schockiert sie zutiefst und veranlasst sie, ihn zu beschatten. Natürlich erzählt sie ihren Verdacht auch ihren Freundinnen und schon bald sieht sich auch Lindsay Boxer veranlasst, sich dieses Krankenhaus mal genauer von innen anzusehen. Denn Keikos mysteriöser Tod bleibt beileibe nicht der letzte, und als eine Informantin Lindsay von den Knöpfen berichtet, erwacht in Lindsay der Killerinstinkt, der vor nichts Halt macht …

|Die Automädchen|

Doch Lindsay muss von nun an kräftig Überstunden schieben. Sie hat zeitgleich eine mysteriöse Serie von Morden an jungen Frauen aufzuklären. Diese jungen Amateurprostituierten wurden zuerst mit Rohypnol wehrlos gemacht, dann vergewaltigt und schließlich erstickt. Als man sie findet, sind Caddy (= Cadillac) Girl und Jaguar Girl in teure Klamotten gekleidet und duften nach exklusivem Parfum. Außerdem starren sie blicklos geradeaus durchs Fenster. Als habe man sie für eine Art von Tableau drapiert.

Ein paar Tage später wird in der Stadt ein Automobilsalon eröffnet, der Jung und Alt anzieht. Vor allem die Kids wollen die teuren europäischen Sportwagen sehen. Der teuerste von allen ist natürlich der Ferrari. Als der Ausstellungsassistent dieses Schmuckstück enthüllt, sitzt jedoch bereits eine Fahrerin am Steuer. Merkwürdig ist jedoch der seltsam starre Blick, der den Jungs eine Gänsehaut verursacht …

|Jagdsaison hoch 2|

Lindsay Boxer platzt der Kragen: Wer auch immer die tote Frau in den Wagen gesetzt hat, verhöhnt sie und ihre Kollegen nicht nur – er zeigt ihnen den Stinkefinger! Sofort nimmt sie die Verfolgung auf, denn diesmal haben der oder die Täter verräterische Spuren zurückgelassen.

Außerdem heftet sie sich an die Fersen des sich ziemlich verdächtig verhaltenden Arztes Dr. Dennis Garza. Als sich Garza im Prozess, in dem er gar nicht angeklagt ist, sondern nur als Zeuge gehört wird, auf das Zeugnisverweigerungsrecht beruft, das in der Verfassung verankert ist, verursacht er einen Skandal. Genauso gut hätte er sich gleich schuldig sprechen können.

Aber das ist erst der Anfang des Sumpfes an Korruption, in den Lindsay ihre Mörderjagd führt.

_Mein Eindruck_

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass James Patterson nur noch seinen Namen für Bücher hergibt, bei denen er als Koautor angegeben wird. (Und sein Millionen-Dollar-Name wird mindestens doppelt so groß wie der des anderen Koautors gedruckt.) Will heißen, es ist fraglich, ob er überhaupt noch selbst Hand an solche Bücher legt. Denn sonst könnte er wohl kaum fünf solcher Romane pro Jahr raushauen.

Wenigstens tragen alle seine Romane sein Markenzeichen: die superkurzen Kapitel, die maximal vier bis fünf Seiten lang sind, manchmal sogar nur eine. Der Buchumfang ist deshalb reine Augenwischerei.

Was aber bedenklicher ist: Selbst wenn er eine Qualitätskontrolle ausüben sollte, so wird diese immer lascher. Sicher: Die fachliche Kompetenz ist durchaus gegeben, wenn man sich die Liste der fachlichen Berater am Schluss des Buches ansieht – das findet sich im Text bestätigt, der, so weit ich es beurteilen kann, keine Sachfehler enthält. Nein, es sind vielmehr die Handlungsführung, die Erzeugung von Spannung und die Figurenzeichnung, die zu beanstanden sind.

|Die Figuren|

Bei den Profis auf Seiten von Lindsay Boxer besteht kein Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Kompetenz im Job, doch sobald es darüber hinausgeht, kommen einige Zweifel auf. Dieser Effekt ist natürlich beabsichtigt. Dr. Dennis Garza haben Yuki & Co. sofort im Visier, und auch die Krankenhaus-Chefetage gerät ins Zwielicht. Die „Schwarzwaldklinik“ lässt grüßen, denn selbstverständlich menschelt es auch hier, dass sich die Bettfedern biegen.

Aber gerade das Gerichtsdrama, das einen durchgehenden Handlungsstrang bildet, trägt zu dem Eindruck bei, dass man es oftmals nur mit klischeehaft gezeichneten Pappnasen zu tun hat. Genau so dürfte es in einem Dokufiction-Film über Gerichtsverhandlungen zugehen. Aber vielleicht beeinflusst das eine das andere, so dass die Fiktion die Realität inzwischen so verbogen hat, dass ein Prozess automatisch zu einem Schaukampf verkommen ist. Ganz besonders, wenn Geschworene das Urteil finden sollen.

|Die Parallelhandlung|

Die Mordserie an den Autogirls dient lediglich zur Ablenkung von Gerichtsdrama und Hospitalmorden. Wie sich zu meiner Enttäuschung herausstellte, haben die Protituiertenmorde nichts mit dem Städtischen Krankenhaus zu tun, sondern stellen vielmehr die Kompetenz von Boxer & Co. in Frage: Die Täter drehen ihnen eine Nase, zeigen ihnen sogar den Mittelfinger. Der Leser fragt sich unwillkürlich: Wenn Boxers Leute nicht mal diesen Fall klären können, wie sollen sie dann in Sachen Hospitalmorde auf einen grünen Zweig kommen?

In den bisherigen Fällen des Women’s Murder Club erwies sich diese Parallelhandlung als ein echt fieser Trick nach Patterson-Machart, der die Ermittler – hier: Boxer – in schwerste persönliche Bedrängnis brachte. Das fällt diesmal völlig weg. Und daher fehlt der Story auch ein gewisses Maß an Biss und Zynismus.

Alles in allem entsteht bei mir der Eindruck, es mit einem ziemlich durchschnittlichen Krimi für die sonst nicht lesende Masse zu tun zu haben. Daher auch die leicht verdaulichen Häppchen an Handlung und Ereignissen. Ich wage nicht zu spekulieren, von welchen Bevölkerungsgruppen diese „sonst nicht lesende Masse“ gestellt wird, denn das könnte als politisch überhaupt nicht korrekt angesehen werden. Aber wenn ich auf „BILD“-Leser und deren amerikanisches Gegenstück tippe, liege ich wahrscheinlich nicht ganz verkehrt.

|Die Moral von der Geschicht’|

Wer sich nun fragt, was die Story uns eigentlich sagen soll und was das alles mit einem mysteriösen „fünften apokalyptischen Reiter“ zu tun hat, dem würde ich sagen, dass die Autorin Maxine Paetro offenbar vor dem zunehmend Ausmaß an „ärztlichen Kunstfehlern“ warnt. Deren Zahl scheint gerade in den privatisierten Krankenhäusern – wie dem Municipal Hospital von San Francisco – überproportional zuzunehmen. Statistiken werden dafür angeführt und eine Erklärung genannt. Als Erstes muss der Privatbetreiber das teure, wenn auch gut geschulte Medizinerpersonal rauswerfen und durch halbwegs taugliche Ärzte und schlecht bezahlte Pfleger ersetzen, die nur einen Bruchteil des vorherigen Lohns kosten.

Dass manche Ärzte wie Dr. Dennis Garza schon einiges auf dem Kerbholz haben, stört dabei nicht besonders, selbst wenn sie Fehler machen sollten – dafür gibt es ja tolle neue Computer, die die Ausgabe von falschen Medikamenten bestimmt verhindern, oder? Jedenfalls ist die Hauptsache, dass der Profit stimmt. Dabei kann dem Patienten allerdings das kalte Grausen kommen.

Man kann diese verhängnisvolle Entwicklung ebenso als fünften Reiter der Apokalypse ansehen wie auch ihre einzelnen Vertreter, die sich quasi als „Engelmacher“ einen Namen machen.

_Unterm Strich_

Diesmal spielt der San-Francisco-Thriller an zwei der populärsten Schauplätze: erstens im Krankenhaus, das durch Serien wie „E.R.“, „Grey’s Anatomy“ und „CSI Medical“ eine Art heroisches Zwielicht angenommen hat, wo sich die Aufrechten und die Schurken unablässig Kämpfe um das Leben der ach so lieben und bedauernswerten Patienten liefern. Und zweitens vor Gericht, wo zahllose Fernsehserien ihre Courtroom-Dramen abspulen, um allabendlich die ach so bösen Schurken zur Strecke zu bringen und für die Opfer sogenannte Gerechtigkeit zu erstreiten. Der Roman geht wenig über das Qualitäts-Level dieser Soap-Operas hinaus, erreicht noch nicht einmal Grisham-Niveau.

Vor dem Hintergrund dieser sattsam bekannten Szenarien bietet die bizarre Mordserie an den Car Girls eine erfrischend „unartige“ Note. Hier trumpfen respektlose Killer gegen die Polizeikräfte auf, und was sie als Markenzeichen zurücklassen, bringt die ansonsten stark vermissten Aspekte von Sex und Glamour ein. Dieser Handlungsstrang dürfte die jüngere weibliche Leserschaft stark ansprechen, von der männlichen ganz zu schweigen.

|Originaltitel: 5th Horseman (05 Women’s Murder Club), 2004
Aus dem US-Englischen von Andreas Jäger
384 Seiten|
http://www.limes-verlag.de

_James Patterson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47
[„Der 1. Mord“ 1361
[„Die 2. Chance“ 1362
[„Der 3. Grad“ 1370
[„4th of July“ 1565
[„Die 5. Plage“ 3915

Jo Nesbø – Messer. Ein Harry-Hole-Krimi

Worum gehts?

Kommissar Harry Hole geht es schlechter denn je. Nicht nur, dass er seinen Job bei der Kriminalpolizei los ist, nein, auch seine Ehe mit Rakel ist endgültig gescheitert. Kein Wunder, dass er der Versuchung des Alkohols dieses Mal nicht länger widerstehen konnte.

Als er eines Morgens ohne jede Erinnerung der letzten Nacht aufwacht und seine Kleidung voller Blut ist, beginnt jedoch erst der wahre Albtraum.

Über den Autor

Jo Nesbø, 1960 geboren, ist Ökonom, Schriftsteller und Musiker. Er gehört zu den renommiertesten und erfolgreichsten Krimiautoren weltweit. Jo Nesbø lebt in Oslo.

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French, Nicci – In seiner Hand

_Horror der Gefangenschaft, Triumph des Überlebens_

Abigail Deveraux, eine junge Engländerin, wird eines Tages entführt und ohne ein erkennbares Motiv tagelang gefangen gehalten. Danach kann sie sich nicht mehr an ihr früheres Leben erinnern. Erst nach langen Wochen der Furcht und der Frustration gelingt es ihr, eine Spur zurück zum Ort ihres Martyriums zu entdecken.

Ein ziemlich spannender, gelungener Thriller von einer Autorin, die es durchaus mit Mo Hayder und Minette Walters aufnehmen kann.

_Die Autorin_

„Nicci French“ ist das Pseudonym einer Londoner Autorin mit weitreichenden psychologischen Kenntnissen und eines Journalisten. Die beiden haben mit „Höhenangst“ und vor allem mit dem genialen „Sommermörder“ viele Fans unter Thrillerfreunden gewonnen.

_Handlung_

Eines Morgens erwacht die 25-jährige Engländerin Abigail Devereaux in einem Albtraum. Sie weiß nicht, wo sie sich befindet, noch wie sie an diesen Ort kam. Gefesselt und geknebelt, mit einem Kapuze über dem Kopf und einem partiellen Gedächtnisverlust findet sie sich in der Gewalt eines Mannes wieder, dessen Gesicht sie niemals zu sehen bekommt. Nur sein keuchendes Lachen und Kichern jagt ihr Entsetzen ein.

Ihr Entführer gibt ihr zu Trinken, etwas zu Essen und hilft ihr, ihre Notdurft zu verrichten. Er sagt nie, was er von ihr will. Ohne dass er sie vergewaltigt, erniedrigt er sie, würdigt sie auf die Stufe eines gefangen gehaltenen Tieres herab. Er ezählt ihr von den Anderen: der ständig weinenden Kelly, der betenden Lauren, der feilschenden Fran und den zwei anderen. Abbie ist die Gefangene Nummer 6. Auch sie werde sterben, wie die anderen, nachdem sie einen Abschiedsbrief geschrieben habe.

Mit einem letzten Funken Überlebenswillen gelingt Abbie die Flucht zurück ins Leben, in die Freiheit. Doch der Albtraum hört damit keineswegs auf. Denn Polizei, Ärzte und Psychologen halten ihren Bericht für das Hirngespinst eines pathologischen Opfers. Verbittert erkennt Abbie, dass man ihr erst glauben wird, wenn der Mann, der sie entführte, sie getötet hat.

Als Kämpfernatur verspürt sie den Zwang, Gerechtigkeit zu erlangen. Und sei es um den Preis ihres eigenen Leben, das sie dem Entführer als Köder anbietet. Sie will sich aus befreien von der albtraumhaften Macht, die er in ihren Träumen über sie ausübt. Sie muss ihm in die Augen sehen, die sie nicht kennt. Allerdings muss sie zuerst herausfinden, warum auch sie von ihm als Opfer ausgewählt wurde. Wer ist Abigail Devereaux wirklich?

_Mein Eindruck_

Nach diesem beklemmenden Auftakt bemüht sich die Hauptfigur über den größten Teil der Handlung hinweg, ihr Leben zu rekonstruieren, an das sie sämtliche Erinnerungen verloren hat – entweder wegen der schlechten Behandlung oder wegen des posttraumatischen Schocks, den sie erlitten hat. Sie findet heraus, dass sie nicht mehr dieselbe ist wie vor ihrem Martyrium. Daraus ergeben sich neue Hoffnungen, aber auch neue Ängste: Da sie SEIN Gesicht nicht kennt, kann praktisch jeder Mann, mit dem sie |davor| zu tun gehabt hatte, der Täter sein. Die Welt ist ein Schattenreich geworden.

Was es für Abigail besonders schmerzhaft macht, das Martyrium zu verarbeiten, ist die Missachtung, die ihr die Behörden, die dafür zuständig wären, zuteil werden lassen. Insbesondere Inspektor Cross von der Polizei ist ein Mann, der nur nach Fakten handelt, weil er sich ständig für seine Aktionen verantworten muss. Wie aber kann er, so sein Argument, nur auf den Verdacht und die Befürchtungen einer traumatisierten Frau ohne Erinnerung hin einen Einsatz veranlassen? Wenn es nach ihm ginge, denkt Abbie, so müsste sie erst tot sein, bevor Cross etwas unternimmt.

Allerdings: Es gab doch bereits eine ganze Reihe vermisster Frauen. Leider reiche der Vorname nicht aus, um eine Verschwundene suchen, geschweige denn finden zu können, so Cross. Am Ende bleibt Abbie nichts anderes übrig, als sich selbst auf die Suche zu begeben, ja: sich selbst als Köder anzubieten. Wenigstens führt dieser Akt der Verzweiflung zum gewünschten Erfolg. Doch über den Showdown soll hier nichts verraten werden.

|French-Style-Krimi|

Anders als bei Minette Walters oder Patricia Cornwell stehen nicht die Polizei- oder Forensikerarbeit, die Aktionen eines sozialen Umfelds im Vordergrund der Darstellung, sondern vor allem die rein private Ermittlung eines schutzlosen Opfers eines Verbrechens. Ähnlich wie bereits in „Der Sommermörder“ liegt über dem Mittelteil eine ungemütliche Vorahnung kommenden Unheils, denn jeden Moment könnte ja der Täter wieder zuschlagen. Als eine weitere Frau ermordet aufgefunden wird, der Abbie vor ihrer neuen Verkleidung ähnlich gesehen hatte, weiß Abbie, dass der Verfolger sie noch sucht. Alle ihre Ängste sind wieder da.

Diese Ängste, die sich gegen fast jeden in Frage kommenden Mann richten, stehen im Mittelpunkt der Schilderung, mit der sich die Autorin bemüht, ihr Anliegen zu vermitteln: Allzuoft sind die Opfer eines Verbrechens, bei dem der Täter nicht gefasst wurde, schutzlos weiteren Attacken preisgegeben. Einer Rechts- oder Selbstschutzorganisation solcher Opfer begegnen wir im Roman vergeblich. Ihr würde in Deutschland der Weiße Ring entsprechen. Auch psychologische Betreuung erhält Abbie nicht. Kein Wunder, dass sie unter Albträumen leidet. Dass Abbie so allein gelassen wird, verwundert durchaus.

Abbie ist eine ganz durchschnittliche junge Frau ohne intellektuellen Hintergrund. Ja, sie selbst schimpft sich des öfteren „du dumme, dumme Frau!“, wenn sie wieder etwas vergessen oder übersehen hat. Viele Frauen werden sich mit ihr identifizieren können. Denn Abbie verfügt über die Kraft des intuitiven Einfühlungsvermögens in eine menschliche Situation: Sie kann mit praktisch jedem Menschen schon nach wenigen Augenblicken zurechtkommen – außer wenn man sich ihr gegenüber unzugänglich zeigt. Dann tritt sie den Rückzug an. Ihre emotionale Stärke und Empathie machen sie sympathisch und bringen uns dazu, gespannt ihren zaghaften Ermittlungen zu folgen, selbst wenn sie noch so abwegig erscheinen: „Wo ist eigentlich die Katze?“ …

_Unterm Strich_

Nach dem hammerharten Auftakt und der darauf folgenden Ablehnung von Abbies Fall durch die Behörden erschien mir der Mittelteil zunächst wie ein spannungsloses Zwischenspiel. Aber hier sind wir bereits richtig: Abbie muss erst herausfinden, wer sie war, dann aber auch, wer sie jetzt ist. Nachdem sie ein erstes Koordinatensystem gefunden hat, kann sie schließlich unter dem Eindruck mehrerer schockartiger Entdeckungen in ihrer nächsten Umgebung daran gehen, den Täter aktiv zu suchen. Und von da an bricht die Spannung nicht mehr ab.

French hat einen sauber konstruierten Psychothriller abgeliefert, in dem sie mehr Wert darauf legt, mit Hilfe der Psychologie, des „inner space“, den Thrill zu erzeugen, als auf irgendwelche spaktakulären Aktionen. Im Grunde ist es ein Buch, das Hoffnung macht: Ein Opfer, das sich nicht aufgibt, hat die Chance, sich zu retten und obendrein auch noch Gerechtigkeit zu erlangen. Traurig ist jedoch, dass die moderne Gesellschaft diesem Opfer keinen Beistand leistet. Vielleicht hilft die Empörung über diesen Skandal, etwas zu verändern.

|Originaltitel: Land of the living, 2002
Aus dem Englischen übersetzt von Birgit Moosmüller|

Nesbø (Nesboe), Jo – Leopard

Mit dem „Schneemann“-Fall hat Jo Nesbø im Grunde genommen alles aus seinem Lieblingsermittler Harry Hole herausgeholt, was der verbitterte Mitvierziger in seiner Midlifecrisis bieten konnte: Ein genialer Fall, eine komplexe Ermittlungsreihe, ein skrupelloses Storyboard, faszinierende, manchmal sogar krankhaft-wahnsinnige Figuren und Wendungen, wie man sie selbst im hoch gelobten skandinavischen Thriller/Krimi-Sektor nur selten aufs Tablett gelegt bekommt. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Fortsetzung gewesen, die Nesbø ein wenig nach hinten verlegt hat, nun aber mit einem lauten Knall zur Diskussion bringt. „Leopard“ soll nun den Schneemann ersetzen, ihm zumindest ebenbürtig sein. Eine schwere Aufgabe, wie auch der Autor weiß. Doch der würde sich nicht an eine solche Herausforderung wagen, wüsste er nicht, dass seine Geschichten jedes Mal wieder das Potenzial haben, an solche Geniestreiche anzuknüpfen.

_Story:_

Harry Hole knabbert immer noch an den Depressionen, die ihm der letzte Fall und die Trennung von seiner Geliebten Rakel beschert hat. Seit sechs Monaten lebt er im Untergrund von Hongkong, hat sich hier dem Opium verschrieben und steht auch bei den Triaden mit größeren Schulden tief in der Kreide. Als die norwegische Ex-Kollegin Kaja Solness plötzlich in seiner neuen Umgebung auftaucht und ihn bittet, zurückzukehren und an der Aufklärung eines weiteren Serienmords teilzuhaben, ist dies für Hole eine Art Chance, die er sich nicht nehmen lassen sollte. Doch Harry lässt sich nur schwer überreden, weil er nicht mehr zulassen will, dass ihn ein Fall emotional derartig berührt. Die Aussicht, seinen im Sterben liegenden Vater ein letztes Mal am Krankenbett zu sehen, überzeugt ihn letzten Endes doch, den Flieger nach Oslo zu nehmen und Solness zu begleiten.

Zurück im Polizeidienst hat die Koryphäe des Morddezernats jedoch direkt Startschwierigkeiten. Ein Kollege vom Kriminalamt will ihn fertigmachen und duldet keine Nebenbuhler bei der Suche nach dem Mörder der Personen, die vor kurzem unabhängig voneinander eine Berghütte besucht und dort genächtigt haben. Erst nach einigen Tagen entsteht dieser Zusammenhang, den Hole mit sehr freizügigen und nicht immer konventionellen Mitteln verfolgt, und der ihm nicht nur den Widerstand seiner Vorgesetzten, sondern auch immer mehr den Unmut seiner Kollegen einbringt. Als er schließlich suspendiert zu werden droht und ihm gleichzeitig die Parallelen zum Schneemann-Fall zu Kopf steigen, ist Harry nahe dran, endlich die Brocken hinzuschmeißen. Doch die hinterhältige Art und Weise, sowie die brutalen Folgen der Mordserie lassen ihm keine Ruhe und fordern seinen Einsatz – und auch wenn seine Methoden inzwischen deutlich in Frage gestellt werden, das Gerangel mit einigen zwielichtigen, korrupten Gestalten beim Kriminalamt seinen Tribut fordert und er bei einem Einsatz in den Bergen nur knapp dem Tod entrinnt, weiß er im Inneren, dass nur er es ist, der Ergebnisse bringen kann. So düster diese auch sein mögen …

_Persönlicher Eindruck:_

Zweifelsohne stand Jo Nesbø nach dem beeindruckenden „Schneemann“ unter gehörigem Druck; das Buch wurde seinerzeit in allen erdenklichen Bestseller-Listen an der Spitze geführt, konnte sich dort zu Recht längerfristig halten und zeigte nicht nur einen Kriminalfall in seiner pikantesten Inszenierung, sondern auch Protagonisten, wie sie eindringlicher und intensiver kaum wirken könnten. An deren Front stand selbstredend des Autors langjähriger Wegbegleiter Harry Hole, seines Zeichens eigenbrödlerischer Hauptkommissar der Osloer Polizei, Draufgänger, Miesepeter, suizidgefährdeter, stets vom Alkohol verfolgter Trinker und in der Quintessenz schließlich ein Mensch, der stets am Limit lebt, dort aber gar nicht leben mag. Die extremere Variante von Indridasons Erlendur kehrt also nun zurück und liefert sich unfreiwillig ein weiteres Gefecht mit einem Serientäter. Doch genau das ist es letzten Endes nicht, was „Leopard“, den schon im Vorfeld reservierten Bestseller-Leader von Nesbø, eigentlich ausmacht!

Stattdessen wird der Eindruck erweckt, als wolle der Autor in erster Linie eine Geschichte um seinen Liebling herumstricken, nicht jedoch einen Mordfall bzw. eine Serie, die einer intensiven Aufklärung von Seiten der entsprechenden Ermittlungsbehörden bedarf. Natürlich ist der Fall spannend. Natürlich ist auch die Art und Weise, wie die Geschichten innerhalb der Story verstrickt sind und wie die Morde schlussendlich umgesetzt wurden, grandios erzählt und unglaublich verzwickt zu einem Puzzle kombiniert worden. Doch es ist dieses Mal wirklich der Charakter Hole, der das Charisma des Romans beschreibt. Seine düstere, undurchdringliche Seele, seine stete Unberechenbarkeit, der Wahnsinn, der seine Taten lenkt, dann aber auch wieder die Genialität, mit der er der Leidenschaft für seinen immer geliebten und nur unfreiwillig aufgegeben Job nachgeht – all das vereint sich in „Leopard“ noch fokussierter und spezifischer, so dass es den Mordfällen so manches Mal schwer fällt, einfach nur für sich zu sprechen und nicht immer wieder vom Rummel um den Störenfried Hole eingeholt zu werden.

Vielleicht mag diese Darstellung auch ein wenig überspitzt sein, doch zusammengefasst befasst sich Nesbø weitaus umfassender mit seinem Antihelden als dies in all seinen vorherigen Episoden der Fall gewesen ist. Dies mag mehrere Gründe haben, von denen in der Gesamtbetrachtung jedoch nur einer wirklich in Frage kommt: Es ist der Schwanengesang auf eine der besten, wenn auch nur sehr schwer greifbaren Romanfiguren, die mit „Leopard“ womöglich seinen Abgang zelebriert. Verständlich wäre es vor dem Hintergrund dessen, wie sich die Story entwickelt sicherlich, denn Hole ist noch destruktiver seinem eigenen Körper und Geist gegenüber als noch im schwer verdaulichen „Schneemann“ und bringt viele Beispiele dafür, warum es wohl besser wäre, den Hut zu nehmen. Beispiele, die auch dem Leser eine unbeschreibliche Hoffnung suggerieren, dass jetzt Schluss sei – ohne dass hierbei negative Assoziationen zur Story und deren Verlauf eröffnet werden sollen.

Letztere ist nämlich gewohntermaßen stark, packend, gemein, fies und Hole-typisch ungerecht. Nicht nur der Fall an sich wirft zahlreiche Fragen auf, auch die intriganten Machenschaften in den einzelnen Dezernaten bringt Unruhe in die Sache und heizt die Spannung nachhaltig an. An gewissen Punkten der Handlung weiß man absolut nicht mehr, wem man überhaupt noch trauen kann und welcher Charakter nun zu welcher Seite gehört. Alles ist so perfide inszeniert, dann wieder schnell auf den Punkt gebracht, um direkt im nächsten Moment wieder wie Dynamit zu explodieren und einen Scherbenhaufen aus tausenden Puzzlestücken zu hinterlassen – Nesbø-like, fantastisch, auf jeden Fall aber auch sehr kontrolliert und niemals hektisch.

Hektik wäre bei einer Distanz von beinahe 700 Seiten aber auch eine Komponente, die kaum erträglich wäre – und dabei sollte man berücksichtigen, dass es dem Autor nach dem furiosen Auftakt tatsächlich gelingt, das hohe Tempo bis kurz vor Schluss durchzustehen. Leider leidet in den Schlusssequenzen die Glaubwürdigkeit ein wenig an den sich überschlagenden Ereignissen. Was beim „Schneemann“ alles noch passte und homogen wirkte, scheint hier einen Schritt zu weit hergeholt – wenn auch nicht völlig weltfremd. Aber vielleicht hätte man die Story dann doch auf den europäischen Kontinent verlagern und sich den Exkurs nach Kongo sparen sollen. Doch das ist sicherlich alles nur eine Frage der Betrachtungsweise. Für meinen Geschmack ist die Lösung jedenfalls nur semi-elegant.

Dass „Leopard“ allerdings ein durchweg starker Thriller ist, steht außer Frage, ebenso wie die Tatsache, dass man mit Nesbøs Neuem nur dann wirklich was wird anfangen können wird, wenn man den Vorgänger genossen hat. Mit dieser Startvoraussetzung darf man sich jedoch wiederholt auf richtig starkes Krimi-Entertainment freuen, vielleicht sogar auf Holes letzten Auftritt. Wie auch immer: Im Vergleich mit der saisonalen Konkurrenz dürfte „Leopard“ definitiv in der Spitzengruppe liegen!

|Gebunden: 698 Seiten
Originaltitel: The King Maker
Übersetzt von Günther Frauenlob und Maike Dörries
ISBN-13: 978-3-550-08774-5|

_Jo Nesbø bei |Buchwurm.info|:_
[„Das fünfte Zeichen“ (Hörbuch) 2768
[„Die Fährte“ (Hörbuch) 2939
[„Der Erlöser“ (Hörbuch) 4847
[„Schneemann“ 5347