Marzi, Christoph – Lycidas

„Originell“ ist ein Wort, das man heutzutage nicht mehr so leicht in den Mund nehmen kann, wenn es um phantastische Literatur geht. Wenn wir ganz ehrlich sind, sind die meisten neuen Bücher, die wir lesen, in irgendeiner Weise irgendwo abgekupfert. Wie soll man allerdings bei den Zillionen Romanen auf dem Markt noch etwas Eigenes kreieren? Es ist schwierig geworden, aber es geht durchaus, auch wenn man sich dabei zugleich reichhaltig am Fundus großer Klassiker bedient. Das mag widersprüchlich klingen, doch Christoph Marzi hat es geschafft. In meinem Leseuniversum hat sein London-Dualsystem jedenfalls noch keine Entsprechung gefunden, die große Ideen der Weltliteratur und der vertrauten Mythenwelt in zugleich solch individueller Weise neu erschafft.

London-Dualsystem? Jawohl. Klingt komisch, ist aber so. Schauplatz der Geschichte ist also die englische Hauptstadt der Jetztzeit, in der das Waisenmädchen Emily Laing mit den roten Haaren und dem Glasauge lebt und viel Schmach und Schande sowohl von der Heimleitung als auch den anderen Heimkindern ertragen muss. Nur die ebenfalls zwölfjährige, dunkelhäutige Aurora Fitzrovia hält zu Emily, und mit der Zeit werden die beiden die besten Freundinnen, was das Leben in dem Heim etwas erträglicher macht. Eines Tages geschieht etwas sehr Eigenartiges, als Emily ihrer täglichen Arbeit in der Heimküche nachgeht. Plötzlich sitzt eine Ratte auf den Vorratssäcken – und sie kann reden!

Emily ist natürlich erschrocken und verwundert, als ihr die Ratte, die sich als Lord Brewster vorstellt, dann auch noch aufträgt, ein besonderes Auge auf einen der Neuzugänge im Heim zu werfen (der Kalauer sei an dieser Stelle gestattet). Dabei handelt es sich um die kleine Mara, doch bevor die beiden sich überhaupt haben kennen lernen können, wird Mara von einem Werwolf entführt. Emily nutzt den enstandenen Tumult, um zu türmen, und wird schließlich von dem Alchemisten Wittgenstein aufgegabelt. Der alte Herr, der Kinder nicht besonders gerne mag, nimmt sich des jungen Mädchens an, denn er merkt, dass sie nicht gewöhnlich ist. Sie ist ein Wechselbalg, in ihr fließt elfisches Blut, und sie ist eine Trickster, was bedeutet, dass sie die Fähigkeit besitzt, in anderer Leute Bewusstsein einzudringen.

Außerdem ist sie die Nachfahrin einer der beiden angesehenen Elfenfamilien in London, Manderley Manor, die mit Mushroom Manor in einem ewigen Wettstreit liegt. Diesen tragen sie aber nicht nur an der Oberfläche Londons aus, sondern auch darunter. Darunter? Allerdings, denn unter der „Stadt der Schornsteine“ erstreckt sich die so genannte Uralte Metropole, die Stadt unter der Stadt, die durch abgelegene und zumeist unbenutzte U-Bahn-Schächte erreichbar ist. Dort unten tickt die Uhr etwas anders, weshalb die subterrane Metropole von einem altertümlichen Zauber umgeben ist. Viele Kulturen aus verschiedenen Ländern fließen dort unten zusammen. Es gibt Grafschaften, Engelswesen, nicht ganz gewöhnliche Spinnentiere und einige gefährliche Spezies wie die Rattlinge, Ratten-Echsen-Hybriden, die sicherlich keine guten Absichten verfolgen.

Und es gibt dort unten etwas, das Kinder entführt. Jedenfalls wird London schon seit längerem von mysteriösen Kindsentführungen heimgesucht, und nun obliegt es Wittgenstein, Emily, Aurora und dem Elfen Maurice Micklewhite, diese Geschichte aufzuklären. Auffällig ist vor allem, dass diese Kindsentführungen in der Historie der Menschheit immer wieder auftauchten, und sie erkennen schnell, dass es dort eine Verbindung geben muss. Weitere Recherchen führen sie immer tiefer in ein Labyrinth von Legenden und Geschichten, die bis ins alte Ägypten zurückgehen und in denen gewisse Personen immer wieder auftauchen. Kann es sein, dass der gefallene Engel Lucifer etwas damit zu tun hat? Oder Madame Snowhitepink, die Emily und Aurora aus dem Waisenhaus kennen, wo sie immer wieder Kinder hat „entleihen“ dürfen? Oder sind die beiden vielleicht doch nur Handlanger in einer viel größeren, schrecklichen Machenschaft, die das Fortleben der Stadt zu bedrohen scheint? Und was haben Mara und Emily mit diesen Ereignissen zu tun?

Aus der Inhaltsbeschreibung wird hoffentlich schon ersichtlich, dass wir es hier mit einer sehr eigenständigen und originellen Welt zu tun haben, die gekonnt Realität und Fantasy verbindet, ohne dabei übertriebene Komik zu verwenden, die aus den Missverständnissen und Konflikten dieser beiden Pole erwächst. Allein das ist schon viel wert, denn es lässt die Geschichte sofort deutlich seriöser erscheinen. Auch der Rückgriff auf Stoff aus der Geschichte, wie zum Beispiel die Legende von Jack the Ripper, die Marzi anhand der Uralten Metropole zu erklären weiß, oder die Vielzahl der morgenländischen Einflüsse sowie weitere Rückgriffe auf das alte Rom oder die englische Geschichte zeugen nicht nur von einem großen Wissen, sondern auch von einer großen Kreativität des Autors. Es spricht für ihn, dass er es zudem noch schafft, diese verschiedenen Elemente konsequent zu einer in sich schlüssigen und gut durchdachten Welt zu verbinden.

Die Handlung, die sich über 860 Seiten erstreckt, kann von Marzis Hang zur Komplexität nur profitieren, auch wenn es dem einen oder anderen vielleicht an einigen Stellen etwas zu viel des Guten werden könnte. Bei „Lycidas“ haben wir es auf jeden Fall nicht mit Kinderliteratur zu tun, denn dazu ist der Aufbau des Buchs viel zu komplex. Die Arbeit mit Vor- und Rückgriffen lässt das Erzählte zwar sehr lebendig werden, schafft aber ab und an Verwirrung, besonders wenn man sich noch nicht intensiv eingelesen hat. Allerdings wird dadurch natürlich auch ein zusätzliches Maß an Spannung aufgebaut, was einer der Gründe dafür ist, diesem Buch das Attribut „Pageturner“ zu verleihen. Ich habe jedenfalls schon lange keinen Roman mehr gelesen, der mich so gefangen hat! In diesem Punkt können selbst die letzten beiden Harry-Potter-Bände nicht mithalten.

Allerdings will ich des Lobes auch nicht gar zu voll sein, denn bei solch einer Schwarte wäre es beinahe unnatürlich, wenn es nicht ab und zu ein paar Längen gäbe. Das hängt hauptsächlich damit zusammen, dass der Autor nicht nur auf die Schilderung von Erlebnissen setzt, sondern auch auf Recherchearbeit der Hauptpersonen in Büchern. Irgendwie müssen die jungen Mädchen ja an das Wissen über die alten Geschichten herankommen. Das ist zwar interessant, aber dadurch, dass in diesen Passagen fast nur geredet wird und in einem fort Hintergrundgeschichten und Theorien konstruiert werden, die später wieder verworfen werden, hängt der werte Leser immer wieder in der Warteschleife.

Ein weiterer deutlicher Pluspunkt für diesen Roman sind die gut ausgearbeiteten Hauptpersonen, bei denen der Ich-Erzähler dem Leser natürlich am nächsten steht. Und wer ist dieser Ich-Erzähler? Emily, die ja wohl eindeutig die Hauptperson ist? Nein, meine Freunde, ihr irrt. Es ist der Alchemist Mortimer Wittgenstein. Wie kann das gehen? Ganz einfach. Der Autor erteilt ihm göttliche Vollmachten, so dass er stellvertretend für Emily erzählt, was sie sieht, erlebt und fühlt. Auch anstelle anderer Personen erzählt er deren Erlebnisse, was ungewohnt, bei genauerem Hinschauen aber ein wirklich geschickter Schachzug ist. Dadurch bekommt das Buch einen gewissen Märchenonkelcharakter, der immer unterbrochen wird, wenn Wittgenstein selbst in die Ereignisse verwickelt ist, was nicht zu selten geschieht.

Hand in Hand damit geht der herausragende Schreibstil einher, der sehr persönlich gefärbt ist und sich dem Charakter des Alchemisten anpasst. Seine Art von trockenem Humor wird immer wieder aufgegriffen und bestimmte Sätze werden ständig wiederholt (wie zum Beispiel der Ausruf „Dieses Kind!“, wenn Emily mal wieder eine Frage stellt, was sie in Wittgensteins Augen viel zu oft tut), was nicht störend wirkt, sondern Persönlichkeit verleiht. Hinzu kommt eine an den Alltag angelehnte Sprache, es werden also viele Stilmittel wie Auslassungen, rhetorische Fragen, abgehackte, sehr kurze Sätze eingesetzt, die ihre Wirkung nicht verfehlen und das Buch ungemein beleben.

Das Buch des im Übrigen deutschen Autors wurde mit dem Deutschen Phantastikpreis ausgezeichnet und dazu kann ich nur sagen: Mit Recht! „Lycidas“ ist ein Pageturner erster Güte, bei dem fast alles stimmt. Dichte Handlung, eine wunderbar entworfene Fantasywelt, ein herrlicher Schreibstil und sympathische Hauptfiguren. Ich habe in den letzten Monaten nur selten Bücher in der Hand gehabt, die mich so fesselten, auch wenn es die eine oder andere Länge gibt, die für einen Punktabzug in der B-Note verantwortlich ist. Trotzdem kann ich das Buch mehr als empfehlen, und besonders denjenigen, die im Phantastiksektor vorerst genug haben von pubertierenden Helden, die für Kinder geschaffen wurden und in einem kunterbunten Land der Frohsinn-Magie verweilen, sei dieser Roman ans Herz und in die Pfötchen gelegt.

_Der Autor_ wurde 1970 geboren und verbrachte seine Kindheit in der Eifel. Er studierte in Mainz und wohnt jetzt zusammen mit seiner kleinen Familie im Saarland.

Die Geschichte um Emily und die uralte Metropole ist im Übrigen noch nicht zu Ende. Der Folgeband [„Lilith“ 2070 ist bereits erschienen und wird derzeit von mir verschlungen.

Weitere Informationen gibt es unter http://www.christophmarzi.de.

Dan Shocker – Das Grauen (Larry Brent, Band 1)

Das Grauen schleicht durch Bonnards Haus

Im französischen Ort Maurs werden die Menschen Opfer von Vampiren. Zunächst werden nur vereinzelt Menschen angezapft, ohne getötet zu werden, dann gibt es die erste Leiche. Die französische Regierung bittet den amerikanischen Geheimdienst um Amtshilfe. David Gallun, Chef der geheimnisvollen PSA, der Psychoanalytischen Spezialabteilung, schickt seinen Agenten Henry Parker, alias X-Ray-18, nach Frankreich. Tatsächlich gelingt es dem Amerikaner, eine Menge Informationen zu sammeln. Dreh- und Angelpunkt ist das Anwesen des Ägyptologen Professor Bonnard, der gemeinsam mit dem undurchsichtigen Dr. Canol obskure Forschungen betreibt. Henry Parker setzt sich auf die Fersen von Canol, um die entscheidenden Beweise zu erbringen, und läuft direkt in die Falle.

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Baker, Richard / Stout, Travis / Wyatt, James – Vergessene Reiche: Spieler-Handbuch Faerûn

|“Die Helden der Vergessenen Reiche sind so unterschiedlich und vielfältig wie die Regionen, aus denen sie stammen. Diese Sammlung faerûnischer Informationen und Geheimnisse erlaubt Ihnen, endlos viele verschiedene Charaktere zu generieren und auszurüsten, die alle gegen die Herausforderungen, die ihnen bevorstehen, wohlgefeit sind. Von Völkern über Talente, Zauber und Prestigeklassen bis hin zu magischen Gegenständen und vielem mehr bringt das SPIELER-HANDBUCH FAERÛN den Kampagnenhintergrund der Vergessenen Reiche auf den Stand der Edition 3.5, lässt einige alte Lieblingsinhalte der Versionen 1.0 und 2.0 wieder aufleben und enthält zudem ganz neues Material zur Charaktergenerierung.“| (Herstellerinformation)

Das SPIELER-HANDBUCH FAERÛN ist ein Hardcover im DIN-A4-Format mit 224 Seiten. Der Entwurf des Buches stammt von Richard Baker, Travis Stout und James Wyatt. Die Übersetzung ins Deutsche wurde von Stefan Kreksch und die Umschlagillustration von Adam Rex gefertigt. Das Buch ist ein Ergänzungsband für die Kampagnenwelt Vergessene Reiche der „Dungeons & Dragons“-Edition 3.5 und baut unter anderem auf folgende Quellen auf: KAMPAGNEN-SET: VERGESSENE REICHE, MONSTER FAERÛNS und MAGIE FAERÛNS.

Die ersten beiden Seiten nach dem ausführlichen Inhaltsverzeichnis widmen sich einer Einleitung, wie das Buch verwendet werden kann, es gibt eine Kapitelübersicht, Informationen darüber, welche Bücher man benötigt, um das Buch überhaupt nutzen zu können, und welche weiteren Bücher für die Kampagnenwelt der Vergessenen Reiche bereits erschienen sind.

Kapitel 1: „Regionen und Talente“ widmet sich dann den schon im Kampagnen-Set aufgeführten Regionen und damit verbundenen Starttalenten für die verschiedenen spielbaren Völker. Hierbei wurden einige Änderungen an den Vorgaben des Kampagnen-Sets vorgenommen. Es wurden unter anderem die bevorzugte Klasse für eine bestimmte Region weggelassen oder regionale Talente attraktiver gemacht, um einen Spieler für die Mühe, seinem Charakter eine Herkunft zu geben, zu belohnen. Insgesamt 45 Seiten widmen sich neuen Statistiken, den verschiedenen Völkern der Menschen, den Heimatregionen auch nichtmenschlicher Volksgruppen und den überarbeiteten Talenten für die Kampagnenwelt.

Kapitel 2: „Prestigeklassen“ stellt 20 Prestigeklassen für faerûnische Charaktere vor. Auf 33 Seiten werden dem Leser zum Großteil überarbeitete Prestigeklassen präsentiert. Die meisten Überarbeitungen fallen nicht schwer ins Gewicht, nur der ehemalige Harfner-Kundschafter und nun Harfneragent und die Hathran haben sich zum Teil drastisch verändert. Die Klassen Erzmagier, Hierophanten und Roter Magier sind nicht enthalten, da die überarbeiteten Versionen im SPIELLEITER-HANDBUCH zu finden sind.

Im Kapitel 3: „Domänen und Zauber“ werden auf 49 Seiten Klerikern spezielle Talente spendiert, die zusätzliche Klerikerzauber auf verschiedenen Graden ermöglichen und weitere Fähigkeiten verleihen; es gibt umfassende Zauberlisten, die alle (überarbeiteten) Zauber aus dem KAMPAGNEN-SET, MONSTER FAERÛNS, MAGIE FAERÛNS, VÖLKER FAERÛNS dem UNTERREICH, dem SPIELER-HANDBUCH und diesem Buch beinhalten. Abgeschlossen wird das Kapitel durch die Beschreibungen der Zauber aus diesem Buch.

Kapitel 4 widmet sich magischen Gegenständen. Es werden ergänzende besondere Eigenschaften für Waffen und Rüstungen beschrieben und auf insgesamt neun Seiten neue Artefakte aller Arten aufgeführt. Die Gegenstände sind auf die Kampagnenwelt abgestimmt und im Detail beschrieben.

Kapitel 5: „Epische Stufen in Faerûn“ befasst sich auf dreizehn Seiten mit den epischen Stufen von einigen der in Kapitel 2 vorgestellten Prestigeklassen und zwei weiteren: dem nesserischen Arkanisten und dem Zauberfeuer-Hierophanten. Dazu gibt es neue epische Talente und neue epische Zauber.

Kapitel 6: „Die Kosmologie Torils“ umfasst 30 Seiten, die sich dem Ebenenreisen, den Merkmalen der Ebenen und Ebenenbeschreibungen widmen. Die hier vorgestellten und beschriebenen Ebenen der Vergessenen Reiche unterscheiden sich im Aufbau von der Kosmologie, wie sie das SPIELLEITER-HANDBUCH vorgibt, und ergänzen das Material aus dem KAMPAGNEN-SET.

Kapitel 7: „Das Kampagnentagebuch“ besitzt sechs Seiten, auf denen dem Leser nahe gebracht wird, wie die offizielle Zeitlinie in die eigene Kampagne eingebaut werden kann und welche großen Ereignisse unlängst in dieser Linie geschehen sind. Daraus ergeben sich auch Ereignisse und Gerüchte, die knapp angerissen werden.

Im Anhang mit 20 Seiten geht es noch um Psioniker in Faerûn, ihr Verhältnis zum Gewebe, ihre Organisation und eine psionische Prestigeklasse, den Gedankendieb. Daran schließt sich Material aus dem Buch der widerwärtigen Finsternis (BOOK OF VILE DARKNESS) und dem Buch der löblichen Taten (BOOK OF EXALTED DEEDS), auf die Vergessenen Reiche abgestimmt, an. Zum Schluss gibt es noch eine Regelvariante für mächtige Völker mit Stufenentsprechung und wie man sie noch in das Spiel einbinden kann.

Wer diesen Ergänzungsband liest und bereits über andere Bände zu dieser Kampagnenwelt verfügt, wird auf gewohnte Kost stoßen. Möglichst knappe Abschnitte und Absätze mit möglichst viel Information. Sehr viele übersichtliche Tabellen, ein ausführliches Inhaltsverzeichnis in gewohnter und deshalb immer noch toller optischer Aufmachung.

Positiv sind die Kästen zu bewerten, in denen dem Leser immer wieder kurz erläutert wird, was und warum es sich geändert hat. Dem Leser wird so die Möglichkeit verschafft, die Arbeit der Autoren und Verlage besser nachzuvollziehen. Auch die Karten und die Illustrationen sind stimmungsvoll aufgemacht und unter dem Strich überdurchschnittlich gelungen.

Besonders nützlich sind Kapitel 1 und Kapitel 6. Die Angaben aus Kapitel 1 über die Völker der Menschen helfen dem Spieler, einem Charakter viel mehr Individualität und Atmosphäre zu verleihen und helfen auch Spielern, die sich den Kopf über das körperliche Aussehen ihres Charakters zerbrechen. Kapitel 6 ergänzt das Kapitel über die Götter und Ebenen im Kampagnen-Set und liefert viele Informationen, die ein Spielleiter für die Vergessenen Reiche bei Ebenenreisen einfach braucht. Kapitel 5 wird alle Spieler/leiter freuen, die sich in epischen Gefilden tummeln und nach der Erweiterung der Prestigeklassen und neuen Talenten wie Zauber hungern. Die Zusammenfassungen der Roman- bzw. der Abenteuerserien „Die Rückkehr der Erzmagier“ und „Der Krieg der Spinnenkönigin“ sind eine gelungene Hilfestellung für Spielleiter, die dieses Material verwenden wollen, besonders wenn man es nicht direkt kennt.

Was fehlt, sind ein Index und hier und dort ein zumindest stimmungsvoller Text aus den Reichen. Da es sich um ein maßgeschneidertes Produkt für eine Kampagnenwelt handelt und das Buch damit nicht dem Anspruch der universellen Verwendung gerecht werden muss, hätte es sich angeboten, zumindest mit kurzen Texten für atmosphärische Einschübe zu sorgen. So sind die Texte in dieser Form stellenweise zu trocken und das Buch lädt nicht zum Schmökern ein. So wäre es zum Beispiel vorteilhaft gewesen, wenn Kapitel 5 mehr als nur erweiterte Prestigeklassen, Talente und Zauber enthalten hätte; zum Beispiel Ideen zu einer epischen Kampagne, Stichpunkte zum täglichen Leben einer Legende in Faerûn – ungemein nützlich für Spielleiter, die sich damit herumschlagen. Auch ist die Vielzahl an Prestigeklassen nicht unbedingt nötig. Sicherlich ist es schön, so viele Möglichkeiten wie machbar abzudecken, auf der anderen Seite scheint man anzunehmen, die Grundklassen seien zu langweilig, um ohne eine Prestigeklasse einen interessanten Charakter ausmachen zu können. Und auch neue Zauber braucht es eigentlich kaum, wird ein Spieler dadurch nur noch mehr zum Suchen und Auswählen genötigt.

Als Fazit kann man das Buch einem Fan der Vergessenen Reiche unbedenklich empfehlen, schon allein, weil es die bisher auf deutsch erschienen Bücher der Edition 3.0 regeltechnisch auf den neusten Stand bringt. Handwerklich ist das Buch gute Qualität, aufgrund des speziellen Inhaltes nur eingeschränkt für andere Kampagnenwelten einsetzbar. Es fehlt vielleicht ein wenig an Atmosphäre in den Texten für den vollen Preis des Buches, aber wenn man in den Vergessenen Reichen spielt, ist es kein Fehlkauf.

© _Sebastian Hogrebe_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ veröffentlicht.|

Lindquist, Mark – Carnival Desires

Mark Lindquist ist hierzulande noch ein recht unbeschriebenes Blatt. In Amerika dagegen ist er weitaus bekannter. Bret Easton Ellis bekennt, dass Lindquist sein Lieblingsautor ist, und so wie Ellis auch, wurde Lindquist Ende der 80er und zu Beginn der 90er zum so genannten |“literarischen Brat Pack“| gezählt. Zum |“Brat Pack“| zusammengefasst wurden seinerzeit Autoren, die mit ihrem postmodernen Prosastil die Literaturkritik in wahre Verzückung versetzten. Neben Ellis und Lindquist zählte auch noch Jay McInerney dazu.

Lindquist tauchte als Romanautor zuerst 1987 mit „Sad Movies“ auf der Bildfläche auf. 1990 folgte der 2005 nun endlich auch auf Deutsch bei German Publishing veröffentlichte Titel „Carnival Desires“. Nach zehnjähriger kreativer Pause folgte 2000 dann „Never Mind Nirvana“. Der vierte Roman scheint in Arbeit zu sein.

Lindquists Biographie ist recht ungewöhnlich und dient ihm immer wieder als Inspirationsquelle für seine eindeutig autobiographisch gefärbten Romanfiguren. Bis Anfang der 90er schrieb Lindquist Drehbücher für große Hollywood-Studios. 1991 folgte dann ein radikaler Schnitt. Lindquist zog sich völlig zurück, studierte Jura und arbeitet heute als stellvertretender Staatsanwalt in Seattle.

Lindquist ist jemand, der hinter die Kulissen Hollywoods geschaut hat, und diese Erfahrungen und Eindrücke sind Teil seiner Romane. Seine Hauptfiguren arbeiten bei Filmgesellschaften, sind Schauspieler, Regisseure und Drehbuchautoren, wie Lindquist selbst. Nur bei „Never Mind Nirvana“ kommt die Hauptfigur aus einer anderen Ecke und ist – welch eine Überraschung – Staatsanwalt in Seattle.

Ausgangspunkt von „Carnival Desires“ ist Tim, der im Roman selbst aber keine allzu lebendige Rolle mehr einnimmt. Kein Wunder, denn Tim, der als Schauspieler tätig war, hat sich an Heiligabend erschossen – aus Langeweile. An Silvester kommen Tims Freunde zusammen, denken zurück an ihre gemeinsamen Jahre und grübeln über die Zukunft. Tims Freunde sind allesamt Endzwanziger und Teil von Hollywoods Film- und Partyszene. Tims Tod lässt sie einen Moment inne halten und über ihr Leben, ihre Träume und Ziele nachgrübeln.

Und so kommt es, wie es an Silvester zwangsläufig kommen muss: Es werden gute Vorsätze fürs neue Jahr gefasst. Der Drehbuchautor Bick will sich zur Ruhe setzen, in den Norden ziehen und ein religiöseres Leben führen, der Regisseur Oscar will eine Freundin finden, Mona will endlich einen Job ergattern, Schauspielerin Libby will eine Sprechrolle an Land ziehen und das Schauspielerpaar Merri und Willie will endlich erwachsen werden, was für Willie bedeutet, Merri zuliebe den Drogen entsagen zu müssen. Joys Vorsatz ist es, einen Vorsatz zu finden.

Ein paar Monate später wollen die Freunde sich wieder treffen und über Erfolg und Misserfolg ihrer Vorsätze urteilen. Die einen vergessen ihre Vorsätze so schnell, wie sie sie gefasst haben, andere arbeiten darauf zu, sie zu erfüllen und wiederum andere enden in einer absoluten Katastrophe …

„Carnival Desires“ ist ein Roman, der auf den ersten Blick einfach nur locker-flockige Lektüre zu sein scheint. Knappe Dialoge, gepfefferte Wortwechsel mit Witz und Ironie und eine Handlung, die mehr oder weniger daraus besteht, in Momentaufnahmen die unterschiedlichen Figuren der Geschichte zu beleuchten und zu Wort kommen zu lassen. Leichtgängige Unterhaltung über das schräge Leben in Hollywood.

Doch das würde dem Roman nicht ganz gerecht werden. Lindquists Roman hat zweifelsohne seine witzigen Momente, die vor allem im Partygeplänkel der Hauptfiguren und den flotten Wortwechseln durchschimmern, aber das ist eben noch längst nicht alles, was diesen Roman ausmacht.

Lindquist weiß, wovon er spricht. Die Hauptfigur Bick könnte er selbst sein. Die biographischen Parallelen sind offensichtlich. Lindquist hat durch diese Nähe zu seiner eigenen Biographie Charaktere erschaffen, die (gemessen an ihrer Umgebung) überraschend menschlich und real wirken. Man kann sich erstaunlich gut in sie hineinversetzen.

Lindquist versetzt seine Hauptfiguren in alltägliche Situationen und lässt seine Figuren ganz natürlich darin agieren. Bei einem Roman, der in einer realitäts-vakuumverpackten Welt wie Hollywood spielt, mag das ein wenig verwundern, aber es verleiht dem Roman eine besondere Note. Natürlich gibt es auch abgedrehte Figuren, wie den Schauspieler Willie, der alles, was er macht, gleich bis zum Exzess durchlebt, aber auch hinter seiner überdrehten, zugedröhnten Fassade schlummert ein überraschend menschlicher Kern. Bei Lindquist bietet fast jede Figur ihre eigenen Identifikationspunkte.

Jeder ist auf der Suche nach seinem persönlichen Glück. Jeder versucht auf seine individuelle Art, sich selbst zu verwirklichen, insofern ist Lindquists Blick hinter die Hollywood-Gesichter ein durch und durch menschlicher. Jeder hat irgendeinen wunden Punkt, jeder einen schwarzen Fleck auf der Seele und muss mit seinen eigenen Problemen fertig werden; und wie es scheint, ist es kaum irgendwo schwieriger glücklich zu werden als in Hollywood. Der Wert echter Freundschaft ist dabei unermesslich und genau das müssen auch die Figuren in Lindquists Roman erkennen.

Gewürzt wird „Carnival Desires“ durch Lindquists gewitzte und intelligente Art. Er schreibt in einem recht schlichten Stil, verschachtelt sich nicht im Satzbau, sondern bringt seine Aussagen zielsicher auf den Punkt. Ein großer Teil des Romans besteht aus Dialogen und so ist Lindquists Art, seine Ideen und Gedanken zu vermitteln, eine sehr direkte. Seitenhiebe auf Hollywood gibt es da natürlich in Hülle und Fülle, aber auch kritische Töne über die Funktionsweise und Machtstrukturen der Traumfabrik.

Alles in allem ist „Carnival Desires“ in all seiner Einfachheit überraschend vielschichtig. Lindquist treibt die Geschichte mit viel Schwung voran, erzählt direkt und gewitzt, mal nachdenklich, mal humorvoll und stets sehr menschlich. Wer mal einen halbwegs realistischen Blick hinter die Kulissen Hollywoods werfen will, der ist mit diesem Roman gut bedient und bekommt gleichzeitig noch ein unterhaltsames Werk zeitgenössischer Literatur in die Finger.

Lindquist hat eine ganz eigentümliche Mischung aus Witz und Melancholie, die durchaus Lust darauf macht, auch mal zu seinen beiden anderen Romanen „Sad Movies“ und „Never Mind Nirvana“ zu greifen. Freunden von Douglas Coupland und Konsorten sehr ans Herz zu legen.

Oidium, Jan / Winter, Norman / Kornmann, Gerd – Teiser

„Teiser“ ist der Name des neuen Comic-Projekts von Jan Oidium. Dieses Mal hat der Autor der „Fire & Steel“-Reihe, die nach dem vierten Band eingestellt wurde, jedoch nicht selber die Zeichnungen angelegt. Oidium ist ausschließlich für das Storyboard verantwortlich und hat in Norman Winter einen neuen Partner gefunden, der die etwas skurillen Ideen schließlich graphisch umgesetzt hat. Dabei ist zu sagen, dass Winter sich stilistisch sehr nahe an der Vorlage des Berliner Verlegers orientiert, weshalb man sich als Oidium-Fan auch sofort zurechtfinden wird.

Die Geschichte von „Teiser“ setzt ungefähr dort an, wo die „Fire & Steel“-Story geendet hat. Dementsprechend findet man innerhalb des Comics auch bekannte Charaktere wie die beiden finsteren Schergen Heimdall und Loki, die hier ebenfalls kurze Gastauftritte haben. Quasi als Verbindung zwischen den beiden Serien dient das beiligende Hörspiel, das erste Audio-Comic, bei dem Jan Hilfe von Gerd Kornmann, dem Sänger der Metalband THE OCEAN, bekommen hat. Kornmann hatte die schwierige Aufgabe, die verschiedenen Sounds und Effekte auszuwählen und sie in die Erzählung zu integrieren, was ihm übrigens fabelhaft gelungen ist. So findet sich hier eine Leierkasten(?)-Version von IRON MAIDENs ‚Blood Brothers‘ oder eine Ode an den Comic-Charakter „Hans der Vogel“. Außerdem gibt es am Ende noch einen Song der Band PLANET KING zu hören, die Vertraute bereits aus dem zweiten „Fire & Steel“-Comic kennen sollten. Und den zugehörigen Song hat niemand Minderer als „StarSearch“-Gewinner Martin Kesici eingesungen.

Bei diesen Voraussetzungen sind die Erwartungen an „Teiser“ natürlich enorm hoch, und auch wenn Jan Oidium und sein Team jetzt keinen Meilenstein in die Landschaft der Comic-Geschichte gesetzt haben, muss man den Mitwirkenden dennoch attestieren, gute Arbeit geleistet zu haben. Doch jetzt zur eigentlichen Handlung …

_Story:_

Teiser ist Künstler. Nachdem er diesen Beschluss gefasst hat, verfügt er weiterhin, dass der Funke der neuen Gesinnung auch auf seinen Freunde Beppo Thunderforce, den Igel, den Wurm und natürlich Hans den Vogel überzuspringen hat. Neben alten Bekannten gesellt sich auch Oggi der Hühner-Schamane zum bunten Treiben auf Schloss Teis und macht die Gruppe von Freunden komplett.

Abenteuer 1, KUBA:
Teiser beschließt als Erstes, mit seinen über Nacht entstandenen Kunstwerken um die Welt zu touren. Hans dem Vogel wird dabei eine „tragende“ Rolle zuteil. Während Beppo das Schloss Teis in der Wüste aus Sand originalgetreu nachbauen muss, versuchen sich Wurm, Igel und Hans der Vogel als Jiffel-Kombo. Oggi reitet derweil auf einer Mumie in die Stadt, um zahlende Ausstellungsbesucher zur Veranstaltung zu locken. Während der Teiser im organisatorischen Chaos versinkt, taucht noch eine Armee der Verteidiger des Weltkulturerbes auf und erklärt Teiser den Krieg.

Abenteuer 2, KAUF BEI TEISERS:
Teiser eröffnet einen Supermarkt, den er ins Zeichen der Kunst stellt, und lockt so mit ungewöhnlichen Methoden Kundschaft in den Laden. Dabei treibt es die Belegschaft in den Wahnsinn. Beppo fliegt derweil mit einer Horde hypnotisierter Hühner zum Markt, während Teiser eine Performance mit Schlager Wollfried vorbereitet, um kaufsüchtige Rentner besser mit Mokka und Griebenschmalz abzufüllen.

Abenteuer 3, POESIE:
Teiser wurde von der Muse verlassen und sucht nach neuer Inspiration für seine Werke. Er begibt sich mit Hans dem Vogel auf die Reise. Schloss Teis ist zu alledem auch noch von einer Zwangsversteigerung bedroht. Beppo ist nun allein im Schloss und bemüht sich, eine Vorstellung mit Oggi vorzubereiten, um das nötige Geld aufzutreiben. Doch Teisers organisatorische Fähigkeiten werden dringend benötigt. Dieser befindet sich fernab in einem See und versucht den Fischen das Singen beizubringen. Beppo setzt in seiner Verzweiflung den Wurm an das Klavier und lässt ihn das Vorprogramm spielen. Alle hoffen auf die rechtzeitige Rückkehr von Teiser, um dieses Debakel zu beenden.

Teiser-Hörspiel:
Abenteuer 4, PLANET KING LIVE AT CASTLE OITIONTISE:
Der mächtige, vor allem true Oitiontiser und sein Scherge Beppo Thunderforce bereiten ein Konzert der Gruppe PLANET KING vor und erwarten, dass ihr ärgster Widersacher, der dunkle Black-Metal-Fürst Dark Even McBaron die Veranstaltung mit seiner Horde Maulwurfsmenschen zu verhindern versucht. Zunächst zu deprimiert, um weiter böse zu sein, entwickelt Dark Even McBaron mit seinem Gehilfen Neroon doch noch eine finstere Strategie. Beide Seiten versuchen sich nun zu rüsten, um beim großen 28-Stunden-PLANET-KING-Konzert vor drei Millionen Zuschauern alle Register zu ziehen.

_Meine Meinung:_

Jan Oidium hat einen recht schrägen Humor, und genau diesen bekommt man in den drei Episoden des Comics respektive im Hörspiel dann auch permanent zu spüren. Abgeschlachtete, unschuldige Hühner, ein durchgeknallter Indianer und düstere Gestalten wie Heimdall und Loki bestimmen die Szenerie und sorgen recht schnell dafür, dass die Eigenwilligkeit des Comic-Autors wieder omnipräsent ist.

Die drei Geschichten in diesem 88-seitigen Sammelband hingegen schwanken in ihrer Qualität. Zeichnerisch astrein sind sie zwar alle, doch der Inhalt schwankt dann doch verdächtig zwischen ziemlich genial („Kuba“), recht einfallslos („Kauf bei Teisers“) und seltsam eigenartig („Poesie“). Doch der Reihe nach:

Mit dem ersten Stück „Kuba“ lernt man die beiden Hauptfiguren Teiser und Beppo kennen und freundet sich auch auf Anhieb mit den beiden an. Der stets verwirrte Beppo und der sich als Künstler maßlos überschätzende Teiser geben ein schlagfertiges Team ab, das mit seinen wahnwitzigen Ideen besonders hier die Lachmuskeln in Bewegung bringt. Die Idee, in den Pyramiden (!) des fernen Kuba eine total bekloppte Kunstaustellung loszutreten und eigens hierzu die beiden Düsterheimer Heimdall und Loki mitzunehmen, erweist sich als wirklich originell und die Umsetzung ist nahezu perfekt. Dass dabei am Ende auch noch die UNESCO eingreift und Beppo Thunderforce zum ersten Mal von seinen magischen Kräften Gebrauch machen muss, setzt dem Ganzen schließlich die Krone auf.

Die darauf folgende Erzählung ist jedoch leider ziemlich flach. In „Kauf bei Teisers“ will Teiser im Sinne der Kunst sein eigenes Kaufhaus etablieren. Seine Gefährten sollen in der Stadt mit einigen zweifelhaften Methoden die Besucher anlocken, was auch funktioniert, doch als dann der große Run auf das Kaufhaus einsetzt, ist die Geschichte auch wieder zu Ende; der Höhepunkt indes ist ausgeblieben. Es gibt zwar hier auch einige witzige Szenen (in erster Linie bedingt durch die Zeichnungen), doch im Vergleich zur vorherigen Story bleibt das Ganze hier recht flach.

Im letzten Strip betreten Oidium und Winter dann Neuland. „Poesie“ basiert einzig und allein auf der Dichtkunst, was die Dialoge zum einen ein wenig abgehobener wirken lässt, im Zuge dessen aber leider auch den Humor aus der Erzählung nimmt. Die Geschichte liest sich bei weitem nicht mehr so locker, wie man dies gewohnt ist, was den Einstieg deutlich erschwert. Andererseits verarbeiten die beiden Verantwortlichen hier einige sehr gute Ideen, und die Reise von Hans dem Vogel und Teiser ist schließlich auch ziemlich lustig geworden. Man braucht im Endeffekt also eine kleine Anlaufzeit, kann sich dann aber mit dem neuen Ansatz trotz einzelner Schwierigkeiten gut anfreunden.

Das Hörspiel ist schließlich das Bonus-Schmankerl dieses Comics, erzählt die Vorgeschichte zu „Teiser“ und ist den Machern außerordentlich gut gelungen. Sieht man mal von der etwas drögen Erzählerstimme ab, kommt die Sache ziemlich flott richtig gut in Fahrt, wobei vor allem die Effekte und der Soundtrack richtig stark geworden sind. Auch die Stimmen der verschiedenen Sprecher fügen sich hier prima in den sehr positiven Gesamteindruck ein und machen das Hörspiel trotz der relativ kurzen Spielzeit von gerade mal einer halben Stunde zu einem echten Vergnügen.

Das Vorhaben, in Form von „Teiser“ einen neuen Comichelden zu etablieren, sollte dem Team um Jan Oidium mit diesem (trotz dezenter Mängel im mittleren Strip) gelungenen Debüt eigentlich keine Schwierigkeiten bereiten. Die Figuren sind richtig gut gezeichnet und haben definitiv Witz, womit sie die wohl wichtigste Voraussetzung schon mitbringen. Außerdem ist der Humor des Texters eigenwilliger und irgendwie auch besser als bei den „Fire & Steel“-Heften. Und als Letztes weiß Oidium mit ausgefallenen Ideen und herrlich abgedrehten Rahmenhandlungen zu begeistern, die zwar nicht immer auf höchstem Niveau angesiedelt sind, alles in allem aber definitiv eine Menge Freude machen.
„Teiser“ gibt es für einen Unkostenbeitrag von 9,90 € auf der [Homepage des Verlags]http://www.oidium-verlag.de zu erwerben, wobei dies der Einführungspreis für die Serie sein wird. Doch mit 88 Seiten und einem zusätzlichen Hörspiel ist „Teiser“ zu diesem Preis auch eine sehr lohnenswerte Investition und auch mehr als fair berechnet. Viel Vergnügen!

Andreas Neumann – Sir John jagt den Hexer. Siegfried Schürenberg und die Edgar-Wallace-Filme

Siegfried Schürenberg (1900-1993) gehörte nie zu den Stars des deutschen Theaters, Films und Fernsehens. Schauspieler wie ihn nennt man „Charakterdarsteller“; sie stellen ihre Arbeit in den Dienst der erzählten Geschichte und tragen eher unauffällig ihren dennoch gewichtigen Teil dazu bei, diese möglichst unterhaltsam ablaufen zu lassen. Die Rollen sind meist klein aber prägnant. Manchmal gelingt es einem Charakterdarsteller, aus dem zweiten Glied hervorzutreten. Schürenberg kam in der Rolle des kauzigen „Sir John von Scotland Yard“ zu spätem Ruhm, als in den 1960er Jahren die deutschen Edgar-Wallace-Filme in Serie gedreht wurden. Der Künstler war auch als Theaterschauspieler tätig. Sicherlich ebenso wichtig ist sein Wirken als Synchronsprecher. Erst recht unsichtbar lieh er seine sonore Stimme zahlreichen US-Schauspielern und sprach u. a. für Clark Gable in der deutschen Fassung des Klassikers „Vom Winde verweht“.

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Dark, Jason / Döring, Oliver – John Sinclair – Mr. Mondos Monster (Folge 34, Teil 1)

Eines vorweg: So groß die Freude über ein weiteres neues Hörspiel der „John Sinclair“-Reihe auch ist, so groß ist schließlich auch wieder die Enttäuschung darüber, dass es sich hier um einen Zweiteiler handelt, der frühestens im April 2006 fortgesetzt werden wird. Mehr als drei Monate Wartezeit vom Veröffentlichungstag an, das ist wirklich deftig und im Falle dieser sehr spannenden und teilweise auch lustigen Geschichte schon recht fies. Andererseits gehört der erste Teil von „Mr. Mondos Monster“ zu den besten Episoden der gesamten Reihe, gerade weil den Machern hier etwas gelungen ist, was bei der seltsamen Comedy-Edition noch nicht funktioniert hat, nämlich Gruselstimmung mit Humor zu verbinden. Beide Daumen also nach oben für ein durch und durch gelungenes Hörspiel!

_Story:_

Sarah Goldwyn ist bei der örtlichen Polizei schon bekannt für ihre allabendlichen Anrufe, weshalb die Beamten die abenteuerlustige alte Dame auch nicht mehr ganz so ernst nehmen. So auch eines Abends, als die Lady bei der Behörde angibt, ihr Butler wäre von einem Werwolf angegriffen worden. Sicherheitshalber geht man der Sache nach und hört schließlich am Telefon auch einige seltsame Geräusche, die den Beamten zweifeln lassen. Also schickt er den berüchtigten John Sinclair in das Haus der alten Dame, und dieser findet tatsächlich die zerstückelte Leiche des Butlers dort vor.

John entdeckt recht schnell die Ursprünge dieser Tat und sucht den gräuslichen Ort, an dem der Werwolf erschaffen wurde, auf. Doch das Ganze war eine Falle, denn ein verrückter Wissenschaftler war nur darauf hinaus, den Geisterjäger in seine Gemächer zu führen und ihn dort außer Gefecht zu setzen. John kann trotzdem fliehen, doch beim Versuch, die finsteren Pläne von Mr. Mondo zu durchkreuzen, stellt er fest, dass er dem durchgedrehten Professor hilflos ausgeliefert ist. Jetzt kann er nur noch darauf hoffen, dass Suko und Bill Conolly ihm zur Hilfe eilen – oder aber die alte Dame, die sich selber einer erheblichen Gefahr aussetzt und in Mr. Mondos Labor herumschnüffelt …

_Meine Meinung_

Anfangs erinnert die Geschichte ein wenig an die berüchtigten Krimis mit Mrs. Marple. Die schrullige Sarah Goldwyn und die berühmte Detektivin haben definitiv Ähnlichkeit miteinander, nur dass man es hier mit komplett unterschiedlichen Gegnern zu tun hat. Aber dass die Lady später ebenfalls in die Ermittlungen eingreift, ist von diesem Hintergrund aus betrachtet sicherlich kein Zufall …

Davon mal ganz abgesehen, ist das neue Abenteuer von John Sinclair mal wieder bärenstark. Oliver Döring und sein Team haben sich im Rahmen dieses Zweiteilers sehr viele Freiheiten gelassen, was den Aufbau der Geschichte angeht, und dementsprechend ausufernd werden manche Szenen auch beschrieben. Doch damit meine ich damit nicht ‚übertrieben lang‘. Im Gegenteil, die Geschichte überrascht trotz allem mit einem sehr hohen Erzähltempo und gerät nur deswegen in die Länge, weil sich die Handlung an mehreren Hauptschauplätzen abspielt und außerdem auch viel mehr Personen als gewohnt ins Geschehen eingreifen. Und so ist es letztendlich auch genau diese Tatsache, die das Ganze so stimmig macht. Man nimmt sich die Zeit, die von der Handlung auch erfordert wird, und versucht nicht überhastet zum Schluss zu kommen. Vielleicht ist dies auch ein Ansatz, den man in künftigen Hörspielen verfolgen sollte, nur müsste eben das Ganze dann auch in einem Set, sprich als Doppel-CD, erhältlich sein. Die Idee, „Mr. Mondos Monster“ als Cliffhanger im Raume stehen zu lassen, ist nämlich äußerst unglücklich, gerade wenn man bedenkt, wie lange man auf die Fortsetzung warten muss. Da wäre es günstiger gewesen, man hätte beides erst im April veröffentlicht, denn bis es endlich so weit ist, hat man schon wieder die Hälfte vergessen und muss wieder von vorne beginnen (was wiederum nicht zwingend von Nachteil sein muss).

Nun gut, dies ist ein wesentlicher Kritikpunkt eines ansonsten tadellosen Hörspiels, bei dem sich die Macher einmal mehr selbst übertroffen haben. In „Mr. Mondos Monster“ findet man wirklich alle Elemente, die in der jüngeren Vergangenheit für diese Serie erprobt wurden: Humor, Spannung und eine entsprechend düstere Atmosphäre. Nicht zu vergessen die tollen Effekte, die hier erneut die Ausnahmestellung dieser Hörspiel-Reihe untermauern.

Auch wenn Kritiker die neuen Folgen von „John Sinclair“ nicht mehr ganz so famos finden, bin ich ganz klar der Meinung, dass sich Oliver Döring bei der tonalen Interpretation von Jason Darks Romanen nach wie vor am oberen Limit aufhält. „Mr. Mondos Monster“ ist nämlich ganz klar eine der besten Produktionen bislang, und wer – abgesehen vom Veröffentlichungsrhythmus – an diesem Hörspiel etwas auszusetzen hat, den kann ich beim besten Willen nicht verstehen.

http://www.sinclairhoerspiele.de/

_|Geisterjäger John Sinclair| auf |Buchwurm.info|:_

[„Der Anfang“ 1818 (Die Nacht des Hexers: SE01)
[„Der Pfähler“ 2019 (SE02)
[„John Sinclair – Die Comedy“ 3564
[„Im Nachtclub der Vampire“ 2078 (Folge 1)
[„Die Totenkopf-Insel“ 2048 (Folge 2)
[„Achterbahn ins Jenseits“ 2155 (Folge 3)
[„Damona, Dienerin des Satans“ 2460 (Folge 4)
[„Der Mörder mit dem Januskopf“ 2471 (Folge 5)
[„Schach mit dem Dämon“ 2534 (Folge 6)
[„Die Eisvampire“ 2108 (Folge 33)
[„Mr. Mondos Monster“ 2154 (Folge 34, Teil 1)
[„Königin der Wölfe“ 2953 (Folge 35, Teil 2)
[„Der Todesnebel“ 2858 (Folge 36)
[„Dr. Tods Horror-Insel“ 4000 (Folge 37)
[„Im Land des Vampirs“ 4021 (Folge 38)
[„Schreie in der Horror-Gruft“ 4435 (Folge 39)
[„Mein Todesurteil“ 4455 (Folge 40)
[„Die Schöne aus dem Totenreich“ 4516 (Folge 41)
[„Blutiger Halloween“ 4478 (Folge 42)
[„Ich flog in die Todeswolke“ 5008 (Folge 43)
[„Das Elixier des Teufels“ 5092 (Folge 44)
[„Die Teufelsuhr“ 5187 (Folge 45)
[„Myxins Entführung“ 5234 (Folge 46)
[„Die Rückkehr des schwarzen Tods“ 3473 (Buch)

Glenn Meade – Mission Sphinx

Das geschieht:

1939 reist Playboy und Abenteurer Jack Halder, Sohn einer Dame aus der New Yorker Gesellschaft und eines preußischen Großgrundbesitzers, nach Ägypten, um an archäologischen Ausgrabungen teilzunehmen. Begleitet wird er von seinem besten Freund Harry Weaver, dessen Vater als Verwalter für die Familie Halder gearbeitet hat. Im Schatten der Stufenpyramide des Pharaos Djoser lernen sie die Archäologin Rachel Stern kennen und verlieben sich beide in die junge Frau. Die unbeschwerte, gemeinsam verbrachte Zeit endet abrupt, als Hitler seine Truppen in Polen einmarschieren lässt: Der II. Weltkrieg hat begonnen. Die Wege der drei Freunde trennen sich.

Vier Jahre später hat der Krieg seinen Höhepunkt erreicht. Jack Halder ist nach Deutschland zurückgekehrt. Zwar lehnt er das Hitler-Regime ab, aber seit seine Familie einem Luftangriff zum Opfer fiel, hat er den Alliierten Rache geschworen. Er ist zu einem der besten Spione der Abwehr geworden und hat sich auf Unternehmungen im nordafrikanischen Raum spezialisiert.

Rachel Stern musste als Jüdin die volle Grausamkeit des „Dritten Reiches“ erleiden. Daher bleibt ihr kaum eine Wahl, als ihr die Abwehr das ‚Angebot‘ unterbreitet, mit Jack Halder nach Ägypten zu gehen, um dort mit ihm ein hochbrisantes Unternehmen vorzubereiten: In Kairo werden sich im November 1943 US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill treffen – für die Nazis eine Gelegenheit, beide Staatsoberhäupter auszuschalten.

Die deutschen Aktivitäten in Ägypten sind nicht unbemerkt geblieben. Im Generalhauptquartier für den Nahen Osten arbeiten Briten und Amerikaner fieberhaft daran, den Anschlag zu verhindern. Lieutenant Colonel Harry Weaver vom Nachrichtendienst der US-Army wird die Leitung über ein Team übertragen, das die Attentäter entlarven soll. In der Wüste, den Labyrinthen alter Städte wie Kairo oder Alexandria und in den Ruinen Sakkaras beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel. Für Jack, Harry Rachel wird die Auseinandersetzung zu einer besonderen Zerreißprobe. Obwohl sie nun Gegner sind, finden sie erneut zueinander – bis sich herausstellt, dass eine/r von ihnen ein Verräter ist …

Vergangenheit und heikle Vergangenheit

Mit einem historischen Thriller, der zur Zeit des „Dritten Reiches“ spielt, lässt sich das Wohlwollen der Literatur-Kritik besonders in Deutschland schwerlich gewinnen. Angesichts der jüngeren Geschichte ist durchaus verständlich, dass es problematisch kann, die Welt zur Zeit des II. Weltkriegs als Abenteuer-Spielplatz für tapfere Helden und finstere Bösewichte zu benutzen. Das gilt erst recht, wenn auch die Prominenz des „Dritten Reiches“ persönlich auftritt. Die Versuchung ist groß, dieser die Züge typischer Hollywood-Schurken aufzuprägen, was der Handlung eines Romans zum Vorteil gereichen, angesichts des realen Grauens, das diese Männer vor gar nicht so langer Zeit entfacht haben, jedoch leicht einen schalen Nachgeschmack hinterlassen kann.

An dieser Stelle soll nicht erörtert werden, ob die unbekümmerte US-amerikanische oder britische Sicht auf dieses heikle Thema generell zu verurteilen oder unkommentiert zu akzeptieren ist; dies muss jede/r selbst für sich entscheiden. In den genannten Ländern (doch nicht nur dort) ist es jedenfalls legitim, das „Dritte Reich“ als Schablone für reine Unterhaltungsgeschichten zu verwenden. Am besten fährt der kritische Leser wohl, wenn er sich vor Augen führt, dass Meades Nordafrika trotz aller aufwendigen Recherchen (die der Autor in einem Nachwort beschreibt) rein fiktiv ist und mit der zeitgenössischen Realität etwa so viel gemeinsam hat wie das Rom Ben Hurs, der Wilde Westen John Waynes oder die Gotham City Batmans. Der spielerische Einsatz operettenhafter Nazi-Schergen negiert in keiner Weise die banale Bösartigkeit ihrer realen Vorbilder. Nur sehr schlichte oder vom Ungeist übertriebener „political correctness“ angekränkelte Gemüter setzen das eine mit dem anderen gleich.

Thriller mit vorab bekanntem Ausgang

Glenn Meade vermeidet die schlimmsten Fangstricke, indem er „Mission Sphinx“ auf einem Nebenschauplatz des II. Weltkriegs ansiedelt. Schriftstellerische Freiheiten kann man ihm vor der farbigen Kulisse des Nahen Ostens leichter verzeihen. Zwar vermag er der Versuchung nicht ganz zu widerstehen und bringt mit General Walter Schellenberg und Admiral Wilhelm Canaris vom deutschen Sicherheitsdienst zwei reale Figuren der Zeitgeschichte ins Spiel, aber er erspart seinen Lesern den in diesem Genre üblichen, von wagnerianischem Theaterdonner und Schwefeldunst begleiteten Auftritt von NS-Größen wie Göring, Himmler oder gar Hitler selbst.

Ansonsten müht sich Meade entschlossen, das große Manko seiner Geschichte zu überspielen: Da er einen gewissen Anspruch auf historische Genauigkeit erhebt, kann er es sich nicht erlauben, die Realität umzuschreiben. Im Klartext: Der Leser weiß, das alliierte Kommando-Unternehmen wird scheitern, denn weder Roosevelt noch Churchill sind 1943 einem Anschlag zum Opfer gefallen. So gilt es, dieses Scheitern an das Ende einer möglichst packenden Handlung zu stellen, um die Spannung zu erhalten, obwohl zumindest das historische Finale vorgegeben ist. Dies gelingt Meade im Großen und Ganzen gut. Dennoch seien einige kritische Anmerkungen gestattet.

Die dramatisch-tragische Geschichte dreier ‚normaler‘ Menschen in der Hölle des Krieges ist schon tausendfach erzählt worden. In dieser Hinsicht kann Meade mit keinen Überraschungen aufwarten. Sind seine drei Helden wider Willen erst einmal in Nordafrika eingetroffen, löst sich der Plot in eine einzige, vielhundertseitige Verfolgungsjagd auf. „Mission Sphinx“ könnte in diesem Teil um einige hundert Seiten gekürzt und die künstlich aufgeblähte Geschichte zu ihren Gunsten gestrafft werden. Die endlose Jagd durch die Wüste ist reiner Selbstzweck; sie wird wenigstens mit Schwung und Einfallsreichtum abgespult.

Kulissen statt Schauplätze

„Mission Sphinx“ spielt in Nordafrika, einem zumal in der Mitte des 20. Jahrhunderts fernen, fremden Land mit einer uralten, reichen Kulturgeschichte. Davon ist in dem Roman leider nur beiläufig die Rede. Kairo, Sakkara, Alexandria sind für Meade nur klangvolle Namen für exotische Orte aus 1001 Nacht und fantastische Kulissen für die aus Europa und Amerika importierten Helden und Bösewichter. Einige Szenen inmitten malerisch untergegangener Pharaonen-Herrlichkeit sind ein Muss für einen Roman, der in Ägypten spielt – dies unabhängig davon, wie logisch das im Gefüge des Handlungsgerüstes tatsächlich ist.

Der einheimischen Bevölkerung bleibt nur eine Statistenrolle. Als Individuen treten höchstens hinterlistige Handlanger der Nazis oder treuherzige Gehilfen der Helden auf, denen der Autor großzügig ihren Augenblick literarischen Ruhms gewährt, wenn sie eine verirrte Kugel trifft, was gleichzeitig den Guten Anlass für rührselige Gefühlsausbrüche bietet, die ihre edle Gesinnung unterstreichen sollen.

Auffällig sind die Verrenkungen, die Autor Meade unternehmen muss, um die Figur des Jack Halder als tragischen Helden aufzubauen. Deutscher Spion und hochrangiger Angehöriger des Sicherheitsdienstes darf er sein, Nazi aber auf keinen Fall. Also wird aus Halder ein „guter Deutscher“, der Hitler hasst und ihm nur dient, weil er als Soldat dazu verpflichtet ist – so sind sie halt, die Deutschen, wie Meade ‚weiß‘. Der Autor erledigt solche Schwarzweiß-Malereien lieber sofort, ehe er es später für das Drehbuch einer (erhofften) Verfilmung sowieso tun muss.

Diese (und andere, hier unerwähnt bleibende) Klischees mindern das Vergnügen an der Lektüre nicht entscheidend, solange man sich über eines im Klaren ist: „Mission Sphinx“ ist gewiss nicht der Fixstern am Literaturhimmel, als den die Kritik dieses Buch (besonders in den USA) der potentiellen Leserschar verkauft, sondern reine Kolportage – ein Unterhaltungs-Produkt, dessen Umfang eine Bedeutsamkeit suggeriert, die ihm indes nicht zukommt, das seinen eigentlichen Zweck aber hervorragend erfüllt.

Autor

Glenn Meade wurde am 21. Juni 1957 in Finglas, einer Vorstadt von Dublin, geboren, in der hauptsächlich Arbeiter lebten. Eigentlich wollte er Pilot werden, was an einer Augenkrankheit scheiterte. So studierte Meade Ingenieurswesen und bildete in New Hampshire Piloten am Flugsimulator aus. Später wurde er Journalist und schrieb u. a. für die „Irish Times“ und den „Irisch Independent“.

Parallel dazu begann Meade zu schreiben. Zunächst verfasste (und produzierte) er zwölf Stücke für das Strand Theatre in Dublin, mit denen die Darsteller auch auf Europa-Tournee gingen. Anfang der 1990er Jahre inspirierte der Fall der Berliner Mauer Meade zu einem ersten Roman. „Brandenburg“ (dt. „Unternehmen Brandenburg“) erschien 1994 und wurde auch außerhalb Großbritanniens ein Bestseller.

Meade verlegt seine Geschichten gern in die Vergangenheit. In diese Kulissen bettet er konventionelle Thriller-Elemente ein, die er mit ausladenden Liebesgeschichten anreichert. Meade-Romane sind lang und reich – an Handlung wie an Klischees. Wohl genau diese Mischung erfreut ein breites Publikum, weshalb Meades Werke in mehr als 20 Sprachen erscheinen.

Mit seiner Familie lebt und arbeitet Glenn Meade in Dublin und in Knoxville, US-Staat-Tennessee.

Taschenbuch: 748 Seiten
Originaltitel: The Sands of Sakkara (London : Hodder & Stoughton 1999)
Übersetzung: Susanne Zilla
http://www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (3.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (4 Stimmen, Durchschnitt: 1,50 von 5)

Bionda, Alisha – Regenbogen-Welt

Der größte Traum der Gottesanbeterin Saha ist es, die fünf Ebenen der Regenbogen-Welt, die sich über die verwaiste Erde wölbt, zu erkunden. Doch ihre Freunde, ebenfalls Angehörige des Insektenvolkes und anderer Tiergemeinschaften, stehen dieser Idee eher skeptisch gegenüber, sehr zum Verdruss der abenteuerlustigen Saha. Schließlich gelingt es der jungen Gottesanbeterin mit Hilfe der weisen Eule Uhura, ihre Gefährten zu überzeugen. Von der alten Heuschrecke Iman erhält Saha einige Artefakte, die ihr auf dem langen beschwerlichen Weg helfen sollen, und so machen sich Saha, ihr Gefährte, die Libelle Ishtar, die Eule Uhura, die Schlange Kasur, der Käfer Tuc, das Eichhörnchen Hazee, die Fledermaus Jabani, die Riesenameise Shirkan und Sahas beste Freundin, der Schmetterling Barb, auf den Weg in unbekannte Welten.

Auf ihren gefahrvollen Reisen schließen sich der Gemeinschaft eine Menge neuer Freunde an und in mörderischen Gefahren muss sich die Freundschaft und der Zusammenhalt der unterschiedlichen Charaktere mehr als einmal beweisen. Dabei stoßen Saha und ihre Kameraden auf Relikte der ersten Menschen, die sich selbst und die Erde zerstört haben. Und bald wird Saha die gesamte Wahrheit offenbar, denn langsam beginnt sich die Gottesanbeterin zu verwandeln. Sie bekommt Hände mit fünf Fingern und wird zu einem Menschen, der zur zweiten Rasse gehört. Doch bevor sie mit ihren Gefährten die Erde neu bevölkern kann, muss sie die fünfte Ebene der Regenbogen-Welt erreichen. Und bis dahin ist es ein beschwerlicher Weg, auf dem weitere tödliche Gefahren lauern …

Mit „Regenbogen-Welt“ erwartet den Leser ein Fantasy-Roman der etwas anderen Art und der faszinierendste Beitrag zur |Magic Edition|. Ein sehr philosophisch ausgelegter Roman, denn so wie man sich selbst im Laufe des Lebens entwickelt und geistig wächst, so entwickelt sich auch die Protagonistin Saha und wird vom naiven Mädchen zu einer erfahrenen Frau. Die äußerliche Wandlung ist dabei sekundär.

Ein besonderer Appell geht dabei an die Freundschaft, und genau wie im richtigen Leben treffen Saha und ihre Freunde auf neue Weggefährten, während andere zurückbleiben oder sogar den Tod finden. Die Charaktere, so unterschiedlich sie von Gestalt und Gesinnung auch sein mögen, wurden allesamt liebevoll dargestellt und es ist kaum jemand dabei, den man nicht in sein Herz schließt. Die Interaktion zwischen den unterschiedlichen Freunden ist oft sehr witzig, manchmal auch traurig oder dramatisch aber nie langweilig, und besonders auffällig ist die gut recherchierte Hintergrundgeschichte, welche sich auf einen Mythos der Navajo-Indianer bezieht, in deren Sagen und Geschichten die Regenbogen-Welt eine nicht unbeträchtliche Rolle spielt.

Insekten-Liebhaber sollten bei der Beschreibung von Saha und ihren Gefährten das eine oder andere Mal die Augen zudrücken, so z. B. wenn Saha ihre bewimperten Augenlider niederschlägt oder eine Libelle ins Schwitzen gerät. Die meisten anatomischen Besonderheiten und Verhaltensweisen werden aber vollkommen naturgetreu wiedergegeben und man sollte nicht außer Acht lassen, dass mit diesem Buch ein Fantasy-Roman vorliegt und keine wissenschaftliche Abhandlung.

Der Roman ist keineswegs ein Kinderbuch, sondern betrachtet das Leben an sich aus einer sehr realistischen Sichtweise, wo auch schon mal der eine oder andere Freund stirbt. In einer Vision erleben die Kameraden zudem, wie die Spanier Amerika entdecken und dabei das Volk der Indianer niedermetzeln, um an Gold und Reichtümer zu gelangen. In jeder Welt erwarten den Leser, genau wie die Reisenden, neue gefährliche Abenteuer. Selbst mit feuerspeienden Drachen bekommen es die Gefährten zu tun, so dass auch die Freunde der „altmodischen“ Fantasy auf ihre Kosten kommen.

Abgerundet wird der Band durch die stimmungsvollen Illustrationen von Barbara Emek, welche teils kindlich verspielt anmuten oder melancholisch verträumt den Beginn eines Kapitels zieren. Selten haben Schrift und Zeichnung eine so vollkommene Einheit gebildet. Das Titelbild fügt sich mit seiner schlangenhaften Spirale gut in das Gesamtbild ein und bietet für das Auge einen ersten Blickfang, ohne überfrachtet zu wirken. Die indianischen Symbole und die Farbgebung, welche an den hoffnungsvollen Schimmer des Sonnenaufgangs erinnert, vermitteln einen ersten Eindruck von der Atmosphäre des Buches.

Es hat sehr viel Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen, und wer Lust hat, sich auf eine wundervolle und fantastische Reise zu begeben, der sollte sich diese Geschichte nicht entgehen lassen. Es ist eine wunderschöne Hommage an Freundschaft und Toleranz sowie ein Wegweiser in eine bessere Welt und ein harmonisches Miteinander.

http://www.blitz-verlag.de/

_Florian Hilleberg_

Bionda, Alisha / Borlik, Michael (Hrsg.) – ewig dunkle Traum, Der (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 1)

„Der ewig dunkle Traum“ – das ist eine ergreifende, abwechslunsgreiche Reise in die Abgründe der Schattenwelt, in das Reich der Geister, Vampire und Dämonen – aber auch in die geistigen, morbiden Auswüchse der Vorstellungskraft: Der Leser begegnet diesen Geschöpfen persönlich oder taucht in die düsteren Fantasien der agierenden Personen ein. Diese Sammlung der unterschiedlichsten Erzählungen des Grauens sollte bei keinem Liebhaber der schwarzen Literatur im Bücherregal fehlen.

Die Kurzgeschichten stammen aus der Feder mehrerer Autoren wie dem namensgebenden Wolfgang Hohlbein, begleitet von Barbara Büchner, Markus Heitz, Marc-Alastor E.-E. Und vielen anderen. Ebenfalls dabei sind Alisha Bionda und Michael Borlik; die beiden Herausgeber geben ihren eigenen Beitrag zu diesem Almanach der Schattenwelt zum Besten, aber auch ein paar neue Namen in diesem Genre gewähren einen ersten Einblick in ihre beklemmenden Fantasien des Schreckens:

„Ein besonderer Geschmack“ entführt uns in die moderne Welt der vampiresken Wesen Elaine und Gedeon und ihres gnadenlosen Kampfes gegen die eigenen Artgenossen. Die actiongeladene, teilweise zynische Story erinnert zweifelsohne an das Schicksal des Daywalkers |Blade|. Die Geschichte liest sich auch vielmehr wie ein kurzer Einblick in einen umfassenden Zyklus dieses außergewöhnlichen Paares, weniger wie eine abgeschlossene Kurzgeschichte. Vielleicht werden wir von Markus Heitz und seinen Kreaturen irgendwann noch mehr lesen können.

Eddie M. Angerhuber dreht die Lautstärke der ersten Geschichte auf ein Minimum zurück und bedient sich vielmehr psychologischer Elemente. In „Das Nachtbuch“ wird mit einer geschickten Metapher gespielt – die Schattenwelt als Symbol einer Beziehungskrise: Eine Frau wird zur Gefangenen ihres Geliebten, nachdem dieser sie mit einem Fremden erwischte, der sie anscheinend infiziert hat, denn die Frau verändert sich zunehmend. Sie wandelt sich zu einer Art Dämonin, sucht ihren Trost in einem Buch, das die Geheimnisse der Hölle zu kennen scheint.

Mark Freier (auch er lässt es sich nicht nehmen, einen kleinen Schocker zu präsentieren) jagt den Leser in „Das Höllenwunder“ durch einen treibenden, aufregenden Albtraum.

In „Seelenpfand“ arbeitet die Herausgeberin Alisha Bionda ebenfalls mit einer Metapher – das Schicksal der Vampire als Spiegel zur alltäglichen, misslungen Beziehung unter Normalsterblichen. Hier bedient sie sich auch eines wunderschönen Spiels mit Worten, um die auszehrende Ambivalenz dieser Krise deutlich zu machen.

Nach diesen Ausflügen in die Abgründe der emotionalen Hölle serviert uns Armin Rößler eine klassische Gruselstory. In einem „Vergnügungspark“ bricht das Grauen abrupt in das Leben des jungen Adrian ein, jagt ihn durch eine Geisterbahn seiner beklemmendsten Ängste und wartet mit einem schockierenden Ende auf.

Frank H.Haubold entführt uns in „Die Stadt am Fluss“, zusammen mit Robert wandern wir durch eine leise Gespenstergeschichte, die Geister der Vergangenheit holen uns schleichend ein, wir baden uns in tiefen Sehnsüchten, begleitet von einigen Zitaten der |Doors| und Jim Morrisons.

Beklemmend, aber auch von einer ganz eigenen Atmosphäre umschlungen geht es in „Trauerflug aus dem Süden“ zu. Dominik Irtenkauf und Javier Hurtado berichten über eine Gruppe von Männern, die das Verschwinden einiger Personen aufklären wollen. Sie machen sich auf den Weg durch eine düstere, einsame Moorlandschaft – ein Weg in den Schrecken.

Die titelgebende „Schattenchronik – Der ewig dunkle Traum“ vom Altmeister Wolfgang Hohlbein führt den Leser in die Anfänge der Geschichte um die Vampirin Dilara ein. Wie alles begann, wie sie unmerklich zu dem wurde, was sie fürchtete. In die Vorfreuden auf ihre Verlobung bricht der Vampir Antediluvian in ihr behütetes sorgloses Leben ein und zeigt ihr das wahre Gesicht der Schattenwelt. Das junge Mädchen versinkt in eine Schizophrenie zwischen Wahn und Wahrheit bis zur finalen schrecklichen Erkenntnis, was tatsächlich mit ihr passiert ist. Der Einstieg in einen vielversprechenden Zyklus …

„Die Nahrung der Toten“ von Barbara Büchner greift das Thema des Nachzehrers bzw. eines Ghouls auf, verpackt in eine kurze, emotionsgeladene Geschichte.

Marc-Alastor E.-E. präsentiert die erste von drei Mumiengeschichten in diesem Band. Hierbei wird auf mitreißende Weise das Thema der Mumifizierung am eigenen Leibe behandelt. „Lang lebe die Königin!“ heißt es am Ende nach einem Trip durch die einzelnen erschreckenden Stationen.

Der Vampir als melancholischer Romantiker findet seinen „Engel der Nacht“ in Michael Borliks Erzählung. Er macht seine sterbliche Angebetene zu einem Geschöpf seinesgleichen, damit sie doch noch ein Paar werden können.

Anfänglich so gewöhnungsbedürftig wie der Titel „Mumienglanz in der Nekrophilharmonie“ liest sich die experimentelle Sprache von Dominik Irtenkauf. Ebenso ungewöhnlich wohl wie die Aussagen der hier sprechenden Geister, die durch das Einbrechen der Sterblichen in ihrer ewigen Ruhe gestört werden.

Für ein belustigtes Schmunzeln sorgt Boris Koch in seinem „Heiligabend bei Manfred“. Weihnachten bei den Blutsaugern bei dampfendem Glühblut – herrlich!

Für beste viktorianische Unterhaltung im alten London sorgt Linda Budinger mit ihrem „Schattentrinker“. Das Thema Mumie wird diesmal in guter alter Tradition aufbereitet, aber auch der berüchtigte „Jack the Ripper“ sieht sich mit einer ganz neuen Theorie konfrontiert. Beste Unterhaltung durch eine bodenständige Gruselgeschichte.

Klassisch präsentiert sich auch „Der Verfluchte von Tainsborough Manor“. Christel Scheja geleitet uns in eine altbewährte Spukgeschichte, verpackt in eine dramatische Liebesnovelle.

Am Ende wartet Markus K.Korb noch mal mit einem packenden Schocker auf. „Die Brut“ erinnert in seinem Flair an Horror-Geschichten aus den Federn von H.P. Lovecraft oder Stephen King, vor allem das überraschende Finale lässt den Leser ein letztes Mal zusammenfahren.

Die Essays von Christel Scheja im Anhang geben abschließend einen interessanten Einblick in die historischen und wissenschaftlichen Hintergründe der Geschöpfe, von denen wir in den vorangegangenen Erzählungen lesen durften. Über Dämonen, Werwölfe, Vampire bis hin zu den Mumien werden all diese klassischen Schattenwesen genauer unter die Lupe genommen. Dominik Irtenkauf jongliert in seiner Niederschrift auf seine ganz eigene Weise mit den Worten, verpackt Nietzsche und Bram Stoker zu einer gemeinsamen Theorie, um der Welt der Schatten seinen speziellen Anstrich zu verpassen.

Auf den letzten Seiten stellen sich dann alle Autoren mit Fotos und kurzen Abrissen ihres Schaffens vor, damit auch die Personen hinter dieser großartigen Chronik ein Gesicht bekommen.

Die Aufmachung dieses Buches ist beeindruckend! Für gerade mal 9,95 € bekommt man eine ganze Menge geboten: nicht nur die erwähnten Erzählungen und Zusatzinformationen, sondern auch die Covergestaltung von Mark Freier sowie die morbiden Illustrationen von Pat Hachfeld als passende Einleitung zu jeder Geschichte geben dem jeweiligen Einstieg eine ganz eigene Atmosphäre und sorgen für den richtigen Flair. Schriftgröße und der illustrierte Seitenaufbau machen deutlich, dass man hier ein sorgfältig gestaltetes Werk in Händen hält, welches in seiner Ausführung zusätzliches Lesevergnügen bereitet.

An dieser Stelle gibt es daher ein großes Lob an den [BLITZ-Verlag]http://www.blitz-verlag.de/ für dieses schöne und gelungene Buch; ich habe es sehr genossen, diesen ewig dunklen Traum zu träumen.

Steven Erikson – Das Spiel der Götter (Gesamtzyklus)

Ein Vorwort

In den letzten Jahren – vorangetrieben durch „Harry Potter“ und die Verfilmung des Buches „Der Herr der Ring“ – gab es einen regelrechten Aufschwung im Bereich der Fantasyliteratur. Dabei werden nicht nur alte Romane neu aufgelegt, denn glücklicherweise sind im literarischen Raum die Praktiken noch nicht so weit gediehen wie im Bereich der Filmwirtschaft; so gibt also noch Innovationen und gelegentliche Neuerungen im Genre.

Wobei sich der wahre Freund der Fantasy gewiss nicht dagegen wehren sollte, einer Reprise altbekannter Themen gegenüber zu treten, denn Elfen und Zwerge, Magier und Trolle kennen wir alle bereits aus dem „Herrn der Ringe“ und natürlich den altertümlichen Sagen, aus welchen diese Gestalten entliehen wurde. Wir werden auch in Zukunft immer wieder auf Romane treffen, die derartige Figuren zum Leben erwecken, so sollte man zumindest hoffen. Denn auch wenn die behandelten und verwendeten Elemente nicht neu sind, so bieten sie schließlich eine wundervolle Kurzweil.

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Wiesler, André u. a. – LodlanD – In den Tiefen des Meeres (Grundregelwerk)

_Allgemein_

„LodlanD“ spielt auf unserem Planeten, allerdings in der Zukunft. Das Weltklima ist so dramatisch abgekühlt (ähnlich wie bei dem Film „The Day After Tomorrow“), dass sich die Menschen ins Meer zurückziehen mussten, da die Erdoberfläche nicht mehr bewohnbar ist. Da die Technik auf einem überschaubar höheren Stand ist als unsere heutige, leben die Menschen in riesigen Kuppelstädten, tief auf dem Grund des Meeresbodens.

Selbstverständlich hat sich auch die Art der Fortbewegung radikal verändert. So werden jetzt U-Boote als reguläres Verkehrsmittel betrachtet. Diese werden dann auch genutzt, um zwischen den sieben bekannten Ländern Arbiträa, Stawa, LoD, Bund Freier Städte (BFS), Scientia, Kobe-Uppland und Union Nordischer Länder (UNL) zu verkehren. Organisiert sind diese Länder in einer Art Staatenbund, dem so genannten Rat der Länder (RDL).

Neben der technischen Seite haben sich auch die Menschen weiterentwickelt, denn etwa ein Prozent der Bewohner des RDL haben psionische Begabungen, sprich Kräfte wie Telepathie, Telekinese oder Ähnliches. Auch geklonte Menschen sind nichts wirklich Außergewöhnliches in „LodlanD“.

_System_

In „LodlanD“ wird ein System genutzt, das auf Prozentwürfe zurückgreift. Gewürfelt wird mit zwei zehnseitigen Würfeln (W10), einer gibt die Zehner- und der andere die Einerstelle an (zwei Nullen entsprechen einer Hundert). Wenn man bei einer Probe kleiner/gleich seinem Wert würfelt, hat man diese bestanden. Die Attribute haben zu Beginn einen Wert zwischen 20 und 80, sind allerdings im Laufe des Spiels bis zur 99 steigerbar. Auch die Talente und PSI-Kräfte haben einen Wert zwischen null und hundert, doch hat man bei den Talenten häufig eine gewisse Grundbegabung. So weist das Talent Menschenkenntnis bei jedem von Anfang an eine fünfundzwanzigprozentige Grundchance auf, auch wenn man kein Psychologe oder Ähnliches ist. Bei berufsspezifischen Talenten, wie Geologie zum Beispiel, hat man bei einer Grundchance von 0 % keine Möglichkeit, die Proben ungelernt zu bestehen. Da es bei „LodlanD“ keine vorgegeben Klasseneinteilungen oder Professionen gibt wie in vielen anderen Rollenspielen, bleibt es dem Spieler selbst überlassen, was sein Charakter kann oder nicht, solange er sich an die vorgegebene Punktezahl der Fertigkeiten hält.

Hat man eine Fertigkeit bis zu einem Wert von 60 % gesteigert, wird angenommen, dass man alles normal Wissenswerte über diese Fertigkeit kennt. Will man den Wert weiter erhöhen, muss man sich spezialisieren. So kann man etwa Schiffe steuern auf 60 % erhöhen, möchte man aber besser werden, muss man sich auf einen der verschiedenen Schiffstypen spezialisieren.

Die Attribute und die Fertigkeiten sind voneinander unabhängig. Doch bestimmen die Attribute unter anderem die Werte der Geistigen Ausdauer und der Lebensenergie.

Wenn PSI-Kräfte gewirkt werden oder man geschlagen wird, verliert der Charakter Geistige Ausdauer, bei richtigen Schäden verliert er Lebensenergie. Diese beiden Werte werden in je vier Teile gespalten. Sobald man durch Schaden vom ersten Viertel in das zweite rutscht, gibt’s einen Malus auf die weiteren Aktionen. Dieser Malus erhöht sich dann je nach erreichtem Viertel weiter.

_Mein Eindruck_

„LodlanD“ ist ein sehr gelungenes Regelwerk. Man merkt durchgehend, dass sich die Autoren und Mitarbeiter einige Gedanken über ihr System gemacht haben. Dieses bietet in einem sehr gut ausgewogenen Rahmen sowohl genügend Freiheiten für erfahrene Spieler als auch sinnvolle und einfache Grundregeln für einen Anfänger. So gibt es etwa für den Schiffskampf eine einfache Grundregel und eine optionale, differenzierte und realistischere Zweitregel für Fortgeschrittene.

Auch die Trennung der Attribute von den Fertigkeiten ist sinnvoll, denn dadurch hat der Spieler zum einen die maximale Gestaltungsfreiheit bezüglich des Könnens seines Charakters. Zum anderen ist eine solche Zuordnung (fast) immer ein fauler Kompromiss, da meistens einfach mehrere Attribute zutreffen. Wer will denn etwa entscheiden, ob die Fertigkeit Waffenloser Kampf auf die Stärke, die Geschicklichkeit oder die Konstitution geht?

Obwohl „LodlanD“ in der Zukunft spielt, hat es mit den bekannten Dark-Future-Rollenspielen wenig gemein. So sind zum Beispiel Schusswaffen in der RDL wirklich eine Besonderheit und sehr selten. Wenn man mal kurz darüber nachdenkt, wird einem sicherlich schnell klar, was ein Fehlschuss für kathastrophale Folgen haben könnte. Daraus ergibt sich, dass die Spieler ihre Köpfe anstrengen müssen, und nicht einfach nach Schema F: „Erst schießen, dann fragen!“ vorgehen dürfen. Hier sind Ideen und gutes Rollenspiel gefragt.

Die Psi-Kräfte hingegen machen den fantastischen Aspekt bei „LodlanD“ aus. Es ist aber nicht so, dass diese Kräfte das Spielgleichgewicht durcheinander bringen würden. Diese sind zwar ziemlich nützlich, allerdings nicht wirklich mächtig. Desweiteren ist es durchaus möglich, komplett auf diese Kräfte zu verzichten, wenn man auf diesen Aspekt keine Lust hat, denn es wird extra betont, dass kein offizielles „LodlanD“-Abenteuer so aufgebaut sein wird, dass es ohne Psi-Kräfte nicht gelöst werden könnte.

Ein großes Plus dieses Rollenspiels ist die wissenschaftliche Fundiertheit. Man merkt einfach an fast jeder Stelle, dass es wirklich so oder so ähnlich sein könnte, wenn bei uns einmal die Erde abkühlen sollte. Angefangen von der Beschreibung der Ernährung und Lebensweise eines Lodländers über die originalgetreuen Seekarten bis hin zur Zeichnung der (U)-Boote. Auch die lange Liste der Danksagungen an etwaige Wissenschaftler für deren Rat ist beeindruckend. Um es in der Seemannssprache auszudrücken: Hier wird kein Seemansgarn gesponnen! Dieser enorme Aufwand ist es auf jeden Fall wert, belohnt zu werden.

Kommen wir nun zu meinem einzigen, kleinen Kritikpunkt: Die Namensgebung. Ich meine, ein Staat namens Scientia, in dem hauptsächlich Wissenschaftler leben bzw. an der Macht sind, und der eine Hauptstadt namens Logika hat, ist beileibe nicht der Höhepunkt kreativer Ergüsse! Allerdings ist das eher lustig als störend, denn ansonsten sind die Länder sehr interessant gestaltet.

So ist LoD eine Freihandelzone, in der fast alles verkehrt, vom reichen Händler bis zum letzten Abschaum, am BFS hätte George Orwell („1984“) seine wahre Freude gehabt, und die Piratenjägernation Arbiträa ist allemal für etliche Abenteuer zu gebrauchen. In fast jedem Land gibt es entweder soziale oder ethische Probleme, die ein anspruchsvolles Rollenspiel ermöglichen. Sehr positiv sind auch die „weißen Flecken“. Diese sind zum Teil Lokalitäten oder Personen in „LodlanD“, die in keiner folgenden Publikation beschrieben werden und so dem Spielleiter völlig zu freien Entfaltung zur Verfügung stehen.

Die Aufmachung ist gut, wenn auch nicht gerade überragend. Äußerst vorbildlich ist auch der Online-Support der „LodlanD“-Crew. Jedes Grundregelwerk enthält einen Code, mit dem man sich unter http://www.lodland.de als Spielleiter registrieren und somit das umfassende, kostenlose Downloadangebot (Abenteuer, Regelergänzungen, Charakterbögen etc.) nutzen kann. Die Homepage ist auf jeden Fall einen Besuch wert.

_Fazit:_ Starkes neuartiges Rollenspiel, das mit wissenschaftlicher Fundiertheit und originellen Ideen glänzt. Für Anfänger und Fortgeschrittenen gleichermaßen geeignet. Wer mal etwas jenseits der typischen Fantasy-Rollenspiele ausprobieren möchte, dem ist „LodlanD“ wärmstens zu empfehlen.

Kazumi, Yuana – Skydream Song

|Mana blickt aus dem Fenster. Vor ihr zieht sich eine Schlucht aus Hochhäusern dahin. Autos drängen sich auf den Straßen, eine Polizeisirene ertönt – Alltag in einer Großstadt. Nur der Himmel ist ungewöhnlich. Graue Rechtecke breiten sich bis zum Horizont aus. Eine gigantische Deckenplatte hängt über allem. Kein Wunder, denn die namenlose Stadt in Yuana Kazumis „Skydream Song“ liegt unter der Erde.|

Das neue Leben hier unten unterscheidet sich gar nicht so sehr von dem alten oben. Die Menschheit hat es einmal wieder geschafft, sich selbst an den Abgrund der Zerstörung zu treiben. Ein Krieg hat den Planeten verseucht. Den Überlebenden blieb nur eine Wahl, der Rückzug unter die Erde. Mana ist hier aufgewachsen. Obwohl es ihr gut geht und sie eigentlich alles hat, sehnt sie sich nach etwas Höherem. Sie hat noch nie in ihrem Leben Sonnenlicht oder den Himmel gesehen.

Nicht jeder hängt solchen Träumen nach. Wer sich realistisch gibt, hat die Hoffnung auf eine Rückkehr an die Erdoberfläche längst aufgegeben. So auch ihr Vater Kunio. Er hält solche Gedanken für sinnlos und töricht. Allerdings gibt es auch andere in Manas Umfeld, die die Sehnsucht nach dem Himmel teilen. Da ist zum Beispiel ihr Großvater, ein Wissenschaftler, der nach einem Weg hinauf ans Tageslicht forscht. Und nicht zuletzt der engelsgleiche Android Ciel. In ihm soll die Erinnerung an alte Zeiten schlummern. Sein wunderschöner Gesang lässt darauf schließen.

Als Ciel beschuldigt wird, Manas Großvater und ihre Eltern getötet zu haben, kommt die Geschichte ins Rollen. Das Mädchen selbst glaubt an die Unschuld ihres Androiden, sogar noch, als sich herausstellt, dass er ein gefährlicher Killerroboter aus dem Krieg ist. Ciel flüchtet. Er versteckt sich in dunklen Seitenstraßen, wo ihn das Mädchen Iku aufgreift. Sie und ihre Freunde sehnen sich ebenfalls nach dem Himmel. Gemeinsam versuchen sie, ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

Der neue One-Shot von |Carlsen| enthält zwei Geschichten der jungen Mangaka Yuana Kazumi: „Skydream Song“ und „Planet der blühenden Sterne“. Im ersten und längeren Teil dreht sich alles um den Androiden Ciel und seine Freunde, die den Himmel suchen. Im zweiten Teil ist die Hauptfigur sein Widersacher R, ein Android gleichen Typs. Beide Storys hängen eng zusammen. Sie ergänzen sich und bilden quasi Vorder- und Rückseite derselben Medaille. Kazumis Erzählstruktur zeichnet sich durch Tempo und Sprunghaftigkeit aus.

Das Aussehen der Figuren ist ausgesprochen konform. Große Augen, schmale Gesichter, wirres Haar. Schön anzusehen, aber eben nicht besonders innovativ oder einprägsam. Hinzu kommt eine innerliche Leere der Figuren, denn aufgrund der schnellen Erzählweise bleibt kaum Zeit für eine eingehende Charakterisierung. Mitfiebern lässt es sich da schwer.

Die Suche nach dem Himmel ist in Wahrheit eine Metapher für die Suche nach dem Glück. Die Jungen wollen etwas, was die Alten nicht mehr verstehen. Der Wunsch nach Freiheit spielt die tragende Rolle. Allerdings gestaltet Yuana Kazumi dieses Begehren ausgesprochen zaghaft. Von Revolution ist wenig zu spüren. Eine gute Abenteuergeschichte ist „Skydream Song“ nicht, dafür ist sie nicht spannend und lebhaft genug. Ein facettenreiches Sinnbild ist sie auch nicht, dafür fehlen Variationen des Themas. Die Suche nach dem Himmel wird so lange hin und her gewendet, bis sie niemanden mehr richtig interessiert. Zurück bleibt Verwirrung. Und der Rat, lieber etwas anderes zu lesen.

Richard Morgan – Heiliger Zorn

„Heiliger Zorn“ ist ein sehr treffender Titel für Richard Morgans dritten Roman rund um den Ex-Envoy Takeshi Kovacs. Nach den Ereignissen in „Gefallene Engel“ kehrt Kovacs an den Ort seiner Geburt zurück, Harlans Welt. Dort wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert: einem jüngeren Doppelgänger seiner Person sowie der in den Vorgängern oft zitierten Quellcrist Falconer und seiner Envoy-Ausbilderin Virginia Vidaura.

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Andreas Eschbach – Der Nobelpreis

Bestsellerautor Andreas Eschbach – so nennen ihn Verlage und Fans gleichermaßen begeistert. Mit „Der Nobelpreis“ liegt der neueste Roman vor, der diesmal keinerlei Elemente aus Herrn Eschbachs Ursprungsgenre, der Science-Fiction enthält, sondern ein hochklassiger Thriller ist.

Über Andreas Eschbach gibt es viel zu sagen, aber vor allem zählt, dass er hervorragende Romane schreibt. Er ist gebürtiger Deutscher, wohnt aber seit einiger Zeit mit seiner Familie in der französischen Bretagne. Für seine Romane erhielt er regelmäßig Auszeichnungen, zuletzt schaffte er es mit seinem Romanerstling „Die Haarteppichknüpfer“ über den Großen Teich – die Amerikaner, sehr zurückhaltend, was die Übersetzung fremdsprachiger Romane angeht, veröffentlichten ihn als edlen Hardcover unter dem Titel „The Carpetmakers“.
Weitere Infos unter http://www.andreaseschbach.de.

Der Nobelpreis

Für Hans-Olof Andersson ist der Nobelpreis eine Institution, für deren Glaubwürdigkeit er alles tun würde. Er schlägt ein enormes Bestechungsgeld aus, als er als Mitglied des Nobelkomitees für Medizin für eine bestimmte Kandidatin stimmen soll (was er allerdings ohnehin beabsichtigt hatte). Der Nobelpreis käuflich? Unvorstellbar! Da greifen die Hintermänner der Bestechung zu einer anderen Maßnahme und entführen des Professors Tochter. Hans-Olof versteht diesen Angriff auf den Nobelpreis als unduldbaren Übergriff und geht zur Polizei. Wie er jedoch feststellen muss, ist ein Polizeibeamter direkt involviert – unmöglich kann er sich den Beamten anvertrauen. Bleibt als letzter Ausweg sein ungeliebter Schwager Gunnar Forsberg, der als Industriespion im Gefängnis sitzt.

Auf Bewährung bringt Olof ihn heraus und überträgt ihm die Suche nach seiner Tochter Christina. Hochprofessionell gelingen Gunnar nächtliche Besuche bei wichtigen Personen der verdächtigten Firma (Wer würde wohl am meisten vom manipulierten Nobelpreis profitieren? Doch wohl die Firma, bei der der Träger arbeitet!) und dort selbst, doch auf unglückliche Weise scheint die Polizei einen Riecher für ihn zu besitzen, so dass ihm oft nur knapp die Flucht gelingt. Über Christina lässt sich allerdings wenig herausfinden. Stattdessen kommt Gunnar einer ganz anderen Geschichte auf die Spur.

Für den Leser

Wie Herr Eschbach immer betont, ist auch dieser Roman wieder ganz anders als seine Vorgänger. Für die Geschichte ist ein wunderschöner erzählerischer Trick unabdinglich: Der Perspektivenwechsel zwischen Hans-Olof und Gunnar. Das kommt völlig überraschend und bewirkt außerdem eine Änderung in der Erzählung selbst und ihrem Stil. Man kann in ihrem Ton Teile der Lebenseinstellung der beiden Erzähler erkennen: Olofs gleichmäßige, etwas phlegmatische Stimme gegen Gunnars sprunghafte, aufmerksame und lebensfreudige. Dabei sind beide Personen sehr selbstüberzeugt und sehen Fehler nur bei Anderen, vor allem Gunnar fällt hier auf. Er macht natürlich alles richtig – bis er fast auf die Nase fällt, glaubt er auch daran.

Andreas Eschbachs Kreativität zeigt sich deutlich in einer Szene, in der Gunnar außergewöhnlich knapp der Polizei entkommt: In einer nächtlichen Arztpraxis ausweglos festsitzend, täuscht er den Beamten den Beischlaf mit einer populären Persönlichkeit vor und gibt sich selbst als Arzt aus. Entscheidendes Element ist für die Abwiegelung des Misstrauens der Männer der hastig versteckte, aber lang genug sichtbare triefende Penis des „Arztes“.

So überraschend eine derartige Beschreibung auch kommt, Herr Eschbach versteht sein Fach: Als Bühnenbildner, Regisseur und Schauspieler im Theater der Fantasie benutzt er alle Mittel, um seine Geschichte in die Vorstellung des Lesers zu transferieren.

Was außerdem macht diesen Roman so gut? Wahrscheinlich spielt auch die Technik eine große Rolle, die Flüssigkeit, der Spannungsaufbau, der sich durch die häufigen Rückschläge Gunnars manifestiert. Und Herr Eschbachs professionelle Recherche, denn wenn man den sachlichen Informationen zum Beispiel über den Nobelpreis glauben kann, offenbart sich zu einem großen Medienereignis dieser Monate ein toller „BILD“-Fehler: Der in Kalifornien hingerichtete Gangster. Ob diese Hinrichtung nun moralisch vertretbar oder abzulehnen ist, wurde an anderen Stellen diskutiert. Hier geht es um den Nobelpreis, für den der Gangster gleich mehrfach nominiert gewesen sein soll. Herr Eschbachs Recherche ergab, dass diese Informationen unter Verschluss bleiben. Darauf ist auch ein wichtiger Handlungspunkt zurückzuführen, ohne den die Geschichte so nicht funktionieren würde. Künstlerische Freiheit von Herrn Eschbach oder mediale Fehlinformation? Leicht lässt sich auf Letzteres Tippen.

Die Geschichte lädt zum Miträtseln ein. So erscheint es doch plausibel, dass der vorbildliche Hans-Olof, der ja für die entsprechende Kandidatin stimmen wollte, durch den gescheiterten Erpressungsversuch dazu gebracht werden sollte, ihr seine Stimme zu verweigern. Aber wäre das sinnvoll? Herr Eschbach spinnt ein feines Netz aus falschen Fährten, die zum Teil extra für den Leser angelegt erscheinen, da sie von den Protagonisten missachtet werden, uns jedoch so deutlich vor Augen liegen. Schließlich kommt aber doch alles ganz anders.

Fazit: Andreas Eschbach sagte sinngemäß, wenn man noch ein Buch in diesem Jahr oder Jahrzehnt lesen wolle, solle man Wolfgang Jeschkes „Cusanus-Spiel“ lesen. Diese Aussage trifft weitaus eher auf den „Nobelpreis“, seinen eigenen neuen Roman zu. Das ist garantiertes Lesevergnügen für jedermann.

Khoury, Raymond – Scriptum

Auf den Spuren eines Dan Brown möchten heutzutage verständlicherweise sehr viele Autoren wandeln, insbesondere wenn es um die sagenhaften Verkaufszahlen von Browns Verschwörungsthrillern geht. So wundert es kaum, dass der Buchmarkt in den letzten Jahren von immer mehr Kirchenthrillern geflutet wird, die allerdings oftmals nicht einmal annähernd auf der Brown’schen Erfolgswelle mitschwimmen können. Denn ein kirchengeschichtlicher Hintergrund – am besten natürlich unter Mitwirkung eines Geheimbundes – sowie ein relativ spartanischer und rasanter Schreibstil alleine reichen noch nicht aus, um beim Leser dasjenige Kribbeln hervorzurufen, das man beim Lesen von „Illuminati“ verspürt.

Auch Raymond Khoury hat sich mit den Tempelrittern und einem dunklen Vatikangeheimnis zwei sehr erfolgreiche Komponenten herausgepickt, die gepaart mit dem verkaufswirksamen Titel samt optisch hervorstechenden Buchcover praktisch einen Bestseller garantieren. Und richtig, „Scriptum“ verkauft sich hervorragend und wird an Weihnachten sicher so manch einen Bibliophilen erfreut haben. Doch eins muss man gleich vorweg feststellen: Dies widerfährt Khoury nicht ganz zu Unrecht, denn sein Buch sticht aus den zahlreichen mittelmäßigen Thrillern erfreulich positiv heraus. Doch beginnen wir zunächst beim Inhalt:

Im New Yorker Metropolitan Museum werden in einer Sonderausstellung Schätze des Vatikans präsentiert, die sich auch die hübsche Archäologin Tess Chaykin, ihre Mutter und ihre Tochter ansehen wollen. Doch dann tauchen plötzlich vier in Tempelrittertracht verkleidete Reiter auf, die einen Wachmann köpfen, die Besuchermenge in Schach halten und sich einige Schätze ergreifen. Tess kann dabei nur knapp einem der bedrohlichen Reiter entgehen, der sich zielsicher einen unscheinbaren Kasten greift und dazu geheimnisvolle lateinische Worte spricht. Nach dem Überfall schnappen die Reiter sich eine prominente Geisel und verschwinden über alle Berge.

Nachdem Tess ihren Schrecken überwunden hat und auch ihre Tochter wohlbehalten in die Arme schließen kann, fragt sie sich bald, warum der eine Reiter zielbewusst den so unbedeutend wirkenden Kasten erbeutet hat, der im Katalog als Rotorchiffrierer mit mehreren Walzen geführt wird. Doch Tess‘ Gefühl sagt ihr gleich, dass dahinter mehr stecken muss. Bald stellt sie eine Verbindung des Überfalls zu den Tempelrittern her und beginnt mit ihren eigenen Nachforschungen.

Dies aber ist FBI Special Agent Sean Reilly ein Dorn im Auge, da er weiß, dass Tess sich durch ihre eigene Ermittlung unbewusst in große Gefahr begibt. Denn nach dem Überfall auf das Metropolitan Museum werden nach und nach die Leichen der Reiter aufgefunden. Irgendjemand verfolgt seine eigenen Ziele und ermordet zielsicher die Museumsräuber. Sogar der Vatikan hat einen Verbündeten in New York, der dafür sorgen will, dass ein gut gehütetes Geheimnis im Verborgenen bleibt. Während Tess ihren Nachforschungen nachgeht und sich allmählich in Reilly verliebt, werden die beiden von den Verfolgern zu den Verfolgten …

Raymond Khoury bedient sich einiger erfolgsversprechender Komponenten für seinen Tempelritterroman, die Garanten für seinen großen Verkaufserfolg sind: In Manier eines Dan Brown lässt er zwei Protagonisten auf den Plan treten, die gut aussehend sind und mutig agieren und sich natürlich im Laufe der Geschichte ineinander verlieben und folglich alle Gefahren gemeinsam durchstehen können. Aber in den Biografien beider Hauptfiguren finden sich dunkle Episoden, die ihr heutiges Leben noch überschatten und dafür sorgen, dass die Liebe zwischen Tess und Sean nur langsam gedeihen kann. Khoury bedient hier sämtliche Klischees und langweilt dadurch an mancher Stelle, doch verlangt inzwischen wohl kaum noch jemand nach realistischen Figuren in aktuellen Spannungsromanen.

Glücklicherweise aber geschieht diese Liebelei zwischen Tess und Sean nur nebenbei und steht nicht im Zentrum der Geschichte. Khoury konzentriert sich vielmehr darauf, seine Tempelrittergeschichte zu entwickeln. In einem rasanten Erzähltempo präsentiert er uns historische Informationen über die Tempelritter und ihre Verbindung zum Vatikan. Hierfür lässt er zwischendurch einige Kapitel in weiter Vergangenheit spielen, wo wir neue Protagonisten kennen lernen, die damals das große Geheimnis des Vatikan gehütet haben.

„Scriptum“ spielt an verschiedenen, teils recht exotischen Schauplätzen, zwischen denen Khoury hin und her blendet, um dadurch immer mehr Spannung aufzubauen. Besonders die erste Buchhälfte fällt dadurch sehr spannend aus. Ab der Hälfte jedoch übertreibt der Autor es ein klein wenig mit seinen Ausführungen. Hier überschlagen sich die Ereignisse dermaßen, dass Spannung und Glaubwürdigkeit darunter zu leiden haben. Die Ereignisse erscheinen nicht mehr so ausgefeilt, sondern eher wie eine bloße Aneinanderreihung von gefährlichen Situationen. Da der Leser sich zudem recht sicher sein kann, dass Tess Chaykin und Sean Reilly diese Gefahren überstehen werden, fehlt dem Leser etwas die Gänsehaut.

Stilistisch hat sich Raymond Khoury stark an Dan Brown orientiert; so zaubert er nicht nur ein Vatikangeheimnis aus dem Ärmel, das an dasjenige aus Sakrileg erinnert, sondern er bedient sich ebenfalls der kurzen Kapitel, die schon bei Brown für ein rasantes Erzähltempo gesorgt haben. Dennoch merkt man, dass die Geschichte bei Khoury bei weitem nicht so raffiniert ausgeklügelt ist wie bei seinem berühmten Kollegen. Dies ist auch ein großes Manko, mit dem „Scriptum“ zu kämpfen hat, denn das wohlgehütete Geheimnis, das Khoury uns so sensationsversprechend präsentiert, wirkt nicht sonderlich innovativ, sodass an dieser Stelle viel aufgebaute Spannung verpufft. Hier hätte ich mir eine größere Sensation gewünscht, die vielleicht noch kein anderer Autor verwendet hat.

So bleibt am Ende festzuhalten, dass Raymond Khoury mit seiner Geschichte sehr wohl zu unterhalten weiß und mit „Scriptum“ einen rasanten und spannenden Roman vorgelegt hat, den man gerne und gebannt liest. Doch leider kann Khoury nicht vollkommen überzeugen; Dan Brown hat die Messlatte mit „Illuminati“ und „Sakrileg“ einfach zu hoch gelegt, sodass Khoury diese Marke nicht erreichen kann. Den Vergleich verliert Khoury durch seine wenig innovative Geschichte, die leider nicht an jedem Punkt überzeugen kann und auch nicht mehr neu wirkt, außerdem übertreibt der Autor es am Ende seines Buches etwas zu sehr. Etwas weniger Action hätte der Glaubwürdigkeit seines Romans gut getan. Insgesamt ist „Scriptum“ somit zwar überaus lesenswert und versüßt die Zeit bis zum nächsten Brown-Thriller gut, ganz oben in einer Liga mit Brown oder Eco kann das vorliegende Buch allerdings nicht mitspielen.

Walker, Hugh – Magira – Die Welt des Spielers

Magira. Als ich den Namen zum ersten Mal las und die Inhaltsangabe des ersten Bandes überflog, wusste ich noch nicht, was für einen Koloss ich da vor mir hatte! Nach dem, was ich inzwischen darüber gefunden habe, muss ich sagen, das Buch ist nur ein Schnipsel!

Allen, denen es jetzt geht wie mir gestern, sei hiermit erklärt, dass Magira ein Brettspiel ist. Zumindest war es das ursprünglich mal. Ursprünglich heißt: vor fast vierzig Jahren! Damals taten sich zwei Männer zusammen und versuchten, unter dem Namen „Armageddon“ ein Strategiespiel zu entwickeln. Der Name war sozusagen Programm. Dazu kam die Idee, den Spielverlauf zu protokollieren. Heute ist aus dem Spiel „Armageddon“ das „ewige Spiel“ geworden, aus den gesammelten Protokollen die Chronik einer Welt, die immer noch wächst. Der Stamm hat Seitentriebe entwickelt: Rollenspiel, Simulation, Lyrik und Prosa, Gesang, Tanz und Kostüme …
Inzwischen wird Magira als Kult bezeichnet.

_Zum Buch:_

Manchmal hat selbst der vernünftigste Mann einen Aussetzer! Wie sonst ließe sich erklären, dass ausgerechnet Thuon, der bisher aller Magie samt den dazugehörigen Göttern erfolgreich aus dem Weg gegangen ist, für einen Beutel voller Edelsteine Ilara, die Opferpriesterin der Äope, entführt hat? Jetzt hat er nicht nur die Tempelsoldaten und die Garde des ishitischen Königs auf den Fersen, sondern auch noch einen Kerl namens Frankari an der Backe, der von sich behauptet, Thuons Welt erdacht und damit ins Leben gerufen zu haben. Eine Aussage, für die die Priester Frankari nur zu gerne auf dem Opferaltar sähen! Trotz dieser und anderer Widrigkeiten gelingt es den Dreien, auf einigen Umwegen den Dschungel von Ish zu verlassen und nach Chara in Tanilorn zu segeln. Thuon ist schon erleichtert, die Sache erfolgreich erledigt zu haben. Doch ehe er sich von den beiden anderen abseilen kann, holt ihn der Auftrag in Gestalt ishitischer Verfolger wieder ein. Die Sache scheint doch langwieriger zu werden als erwartet. Viel, viel langwieriger …

Thuon ist ein recht einfach gestrickter Bursche. Mit Wein, Weib und ein paar gelegentlichen, handfesten Abenteuern ist er vollauf zufrieden. Was nicht heißen soll, dass er dumm wäre, keineswegs. Er hält es nur für Zeitverschwendung, stundenlang über philosophischen Fragen zu grübeln. Die Welt ist, wie sie ist, ganz gleich, wer sie erschaffen hat und wann, und Thuon ist entschlossen, das Beste daraus zu machen. Auch die Erkenntnisse, die seine Bekanntschaft mit Frankari ihm offenbart, ändern nichts an dieser Einstellung.

Ilara dagegen hat noch nie ihren Tempel verlassen, geschweige denn den Urwald. Im Grunde lässt sie sich recht gern entführen, denn erstens will sie frei sein, und zweitens widerstrebt es ihr zu töten. Wenn sie nur nicht solche Angst vor ihrer Göttin hätte! Die lässt erst nach, als der Dschungel hinter ihnen liegt, aber frei ist Ilara damit noch nicht. Sie ist Frankari verfallen. Thuons Verdacht, dass da mit Magie nachgeholfen wurde, ist nicht ganz unbegründet, und doch scheint mehr dahinter zu stecken als ein einfacher Bann …

Viel mehr ist bei diesen beiden – zumindest bisher – nicht zu holen. Der Blickwinkel, von dem aus die Geschehnisse betrachtet werden, liegt großteils bei Thuon, dessen praktische Veranlagung dazu neigt, Fragen mit einem Achselzucken abzutun. Von Ilaras Wünschen oder Gedanken erfährt man so gut wie gar nichts, außerdem vermisste ich die geheimnisvolle Aura und den Blick für das Verborgene, der ihr im Prolog nachgesagt wird. Vielleicht wird das ja noch … So wäre die Personenzeichnung vorerst reichlich fad geraten. Wäre da nicht Frankari!

Frankari ist kein Magiraner, sondern stammt aus der Realität. Etwas Manisches haftet ihm an, nicht nur seinen Gedanken, auch seinem Verhalten. Sein Versuch, den Ereignissen und Abläufen seinen Willen aufzuzwingen, wirkt fast verbissen, als müsste ihn sein Leben in Magira für das in der Realität entschädigen! Doch obwohl er für magiranische Verhältnisse ein Gott ist, sind seine Fähigkeiten noch höchst unvollkommen. Zudem hat er in der Realität einen Gegenspieler, einen Rivalen, der ihm das Recht auf Mitbestimmung der Handlung verweigert: den Autor!

Und damit sind wir bei dem, was das Buch eigentlich interessant macht: die verschiedenen Ebenen. Die grundlegendste Ebene, auf der sich auch das meiste abspielt, ist die Ebene der Welt Magira: der Dschungel von Ish, Tanilorn am Meer, die Steppen von Wolsan. Andere Teile Magiras kommen nur namentlich vor. Auf dieser Ebene sind Thuon und Ilara zu Hause, hier haben die Menschen Namen, hier sind Magiras Leben und Wirklichkeit.

Die mittlere Ebene ist die, die der Feldherr des Lebens als Waage der Welt bezeichnet: Ein einziges riesiges Schlachtfeld! Hier wird der Kampf ausgefochten zwischen der Finsternis und dem Leben, das aus ihr entstand. Das Leben selbst existiert dort nur als Erinnerung. Diese Erinnerung und die Hoffnung auf Wiedergeburt halten die Krieger des Lebens bei der Stange. Krieger, deren Seelen die Reiter der Finsternis von den Schlachtfeldern holten, um auf der Waage der Welt weiterzukämpfen … Das zumindest erzählt die Mythologie der Magiraner.

Die oberste Ebene wird gestellt von unserer Realität. Hier ist Magira ein nicht ausgereiftes Strategie-Spiel, ein riesiges Brett aus lauter sechseckigen Feldern, auf dem die verschiedensten Arten von Plastikfiguren noch unbenutzt herumliegen und -stehen: wilde Krieger, Bogenschützen, gepanzerte Ritter … für eine riesige Schlacht! Hier versucht ein gewisser Laudmann alias Frankari, den Autor von Thuons und Ilaras Geschichte dazu zu bringen, die Handlung seinen Wünschen anzupassen, für ein paar zündende Ideen. Dem Autor scheint das nicht zu gefallen, denn kaum ist dieser Laudmann nach Magira verschwunden, spielt der Autor ihm ein paar üble Streiche.

Die Verbindungstüren zwischen den Ebenen bilden Sechsecke aus Finsternis, was in diesem Fall gleichzusetzen ist mit Magie. Sie finden sich in den Göttertempeln Ishs, aber auch an anderen magischen Orten wie dem Turm des Magiers Daran d’Sorc. Ein Magier muss diese Tore beschwören, in den Tempeln sind sie offenbar einfach da. Sie zu benutzen, ist nicht ungefährlich, denn obwohl das Leben aus der Finsternis entsprungen ist, ist Letztere dem Leben nicht wohlgesonnen. Und jede offene Tür bietet nicht nur einen Weg aus Magira hinaus, sondern auch einen Weg für die Finsternis nach Magira hinein!

Beim ersten Mal hat Frankari noch einen blinden Passagier dabei, als er das Tor durchschreitet. Thuon kann allerdings mit dem Erlebten nichts anfangen, zu befremdlich ist das, was ihm in diesem „Jenseits“ begegnet. Die übrigen Gänge unternimmt Frankari allein. Was genau er dann tut, darüber schweigt er sich aus, die Art und Weise, wie er dem Autor immer wieder seinen Willen aufzwingt, bleibt ein Geheimnis.

Auch sonst werden viele Fragen nicht beantwortet. Nirgendwo steht, was genau ein Mythane ist, und was mit Gisha gemeint ist, muss der Leser sich selbst zusammenreimen. Kennern Magiras fällt das wahrscheinlich gar nicht auf, Neueinsteiger brauchen ein wenig, bis sie sich eingelesen haben.
Ganz allgemein ist Hugh Walker offenbar nicht der Mann des Details. Seine Charaktere sind knapp und treffend skizziert, bleiben aber mit Ausnahme Frankaris, der zumindest mit einem gewissen Geheimnis umgeben ist, ohne echte Tiefe und bisher auch ohne Persönlichkeitsentwicklung. Landschaftsbeschreibungen fehlen fast völlig und die einzelnen Abenteuer sind alle recht kurz gehalten und schnell aufgelöst. Als die Ishiti die Verfolgung Ilaras schließlich aufgeben, fällt damit der einzige rote Faden weg, der die verschiedenen Ereignisse zusammengehalten hat.

Spätestens hier wird deutlich, dass es im Grunde nicht um Thuon und Ilara geht. Es geht um Magira als Ganzes, mitsamt seinem „Jenseits“, es geht um Magira und seine Verbindung zur Realität, es geht um die Rivalität zwischen Laudmann und dem Autor der Geschichte. Dieser Bezug gibt dem Buch seine Vielschichtigkeit, er ist der eigentliche rote Faden. Magira ist mehr als ein Fantasy-Abenteuer, man könnte es als eine Studie über das Verhältnis zwischen Phantasie und Wirklichkeit bezeichnen.

Bisher hat Walker nur einen Bruchteil von Magira angekratzt. Das ist einerseits schade, ich schätze, ein Kenner Magiras dürfte mehr Spaß an dem Buch haben. Andererseits wäre es ziemlich sinnlos, die Neulinge unter den Lesern gleich im ersten Band mit der Fülle dessen zu erschlagen, wozu diese Fantasy-Welt inzwischen angewachsen ist. Immerhin, jetzt steht das Gerüst. Um daraus ein Gebäude zu errichten, fehlen noch eine Menge Zusammenhänge und Antworten. Nun, es fehlen ja auch noch einige Bände. Mag sein, dass in diesem ersten Band durchaus noch Platz für einiges gewesen wäre, was noch verborgen geblieben ist. Ich fand es aber zur Abwechslung mal ganz angenehm, anstelle eines kiloschweren Wälzers ein schlankeres und leichtes Exemplar in der Hand zu halten.

Bleibt nur zu hoffen, dass es diesmal alle Bände bis zur Veröffentlichung schaffen. Lübbes Ausgabe ist nicht der erste Versuch, den Zyklus herauszubringen, nur blieb die Sache immer irgendwo stecken. Die Welt bietet aber noch so viele Möglichkeiten, dass es wirklich schade wäre, wenn der Zyklus erneut unterwegs verhungern würde. Als Outsider hätte ich mir zwar gelegentlich ein paar Informationen mehr gewünscht, oder auch ein paar genauere Beschreibungen, die dem Ganzen ein wenig mehr Stimmung verliehen hätten, trotzdem fand ich das Buch interessant und gut gemacht. Und dem trägen Hirn schadet es wohl nicht, wenn die eigene Vorstellungskraft mal wieder etwas stärker gefordert wurde als üblich.

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Vaughn, Osanna – Schrei des Falken, Der (Das Erbe der Runen)

_Die Autorin_

Osanna Vaughn wurde auf der Insel Jersey geboren, spricht Englisch, Spanisch, Französisch, Deutsch und lebt seit 19 Jahren mit ihrer Familie in Deutschland.

Die Lyrikerin, Übersetzerin und Texterin arbeitete davor bereits in Spanien, Frankreich, Australien und in den U.S.A. Mit ihrem außergewöhnlichen Sprachtalent und ihrer schriftstellerischen Begabung sammelte sie über viele Jahre Erfahrungen in verschiedensten literarischen Disziplinen: Übersetzungen, eigene Artikel, Poesie, Kurzgeschichten, Drehbücher und Songtexte.

_Neue Abenteuer in bekannten Welten_

Osanna Vaughns neuer Roman spielt in der bereits etablierten Welt Nymath, die Monika Felten schon in den beiden Büchern „Die Nebelsängerin“ und „Die Feuerpriesterin“ im Rahmen der Saga „Das Erbe der Runen“ erschaffen hat. Zu einem wesentlichen Teil dazu kreiert, um der jungen Sängerin Anna Kristina einen Unterbau für ihre Musik zu verschaffen, hat sich die Geschichte fortan weiterentwickelt und liefert nun auch die Basis für eine weitere Erzählung aus der Welt Nymath. Allerdings bezieht sich Osanna Vaughn nur auf das Gerüst, das Monika Felten geschaffen hat; die Handlung an sich indes muss völlig losgelöst betrachtet werden und steht komplett für sich alleine – was allerdings nicht heißt, dass ‚erfahrene Leser‘ keinen Vorteil hätten, schließlich tauchen später Figuren wie die Nebelsängerin auf, die man ja bereits aus den vorherigen Romanen kennt.

_Das neue Abenteuer_

Alduin ist der Sohn einer Amazone und eines Raiden und gilt daher als Halbblut. Der Junge lebt gemeinsam mit seiner Mutter in einer einsamen Hütte mitten im Wald und ist dort auch glücklich – bis er eines Tages das Küken eines Falken entdeckt, das sein Leben schlagartig verändern soll. Schnell entwickelt er eine innere Bindung zu dem Vogel, was darauf schließen lässt, dass sich das Erbe seines Vaters immer stärker durchsetzt. Nachdem dieser Bund immer stärker geworden ist, erfährt Alduin von seiner Mutter dann auch, dass sein Vater über die Fähigkeiten eines Raidens verfügte und nicht nur mit den Falken kommunizieren, sondern auch durch deren Augen sehen konnte. Trotzdem ist die Beziehung zwischen Alduin und dem Falken Rihscha äußerst merkwürdig. Alduin ist eigentlich noch viel zu jung, um seine neu entdeckten Eigenschaften zu besitzen, und das bereitet seiner Mutter zunehmend Sorgen. Trotzdem unterstützt sie ihren Jungen und begleitet ihn ein wenig missmutig in die Stadt Sanforan, in der er eine richtige Ausbildung zum Falkner machen soll. Unterwegs dorthin treffen sie auf einen alten Freund von Alduins Vater: Bardelph.

Zu dritt setzt die Gemeinschaft ihre Reise nach Sanforan fort und kommt nach dem kurzen Verschwinden des Falken endlich in der Stadt an.
Vor Ort fühlt Alduin sich allerdings nicht sonderlich wohl: Skepsis wird dem jungen Falknerschüler entgegengebracht, und auch wenn er große Fortschritte im Umgang mit seinem Tier macht, brandet ihm von überall her Neid wegen seines tollen Falken entgegen. Doch das Halbblut setzt sich durch und gewinnt schließlich doch noch neue Freunde. Als dann alles perfekt zu sein scheint, beginnen nächtliche Visionen den Jungen zu quälen. Immer schlimmer werden seine Albträume und alsbald realisiert er, dass ihm auch die Fähigkeiten seiner Mutter vererbt wurden. Alduin hat das zweite Gesicht, mit dem er sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft sehen kann. Und mit dieser Gabe liegt es nun in seiner Hand, Nymath vor der nächsten großen Bedrohung zu retten …

_Meine Meinung_

Nun, erst einmal muss ich sagen, dass ich ausgesprochen erleichtert bin, denn nach den beiden durchschnittlichen Vorstellungen, die im Rahmen dieser Reihe bislang erschienen sind, ist „Der Schrei des Falken“ ein vorzüglicher Fantasy-Roman, der neben durchgängiger Spannung vor allem mit einer sehr abenteuerlichen Atmosphäre auftrumpft, die man in den Büchern von Monika Felten meist vergeblich suchte. Dazu ist es aber auch wichtig zu wissen, dass Osanna Vaughn hier primär auf ein ganz anderes Lesepublikum abzielt. „Der Schrei des Falken“ ist nämlich schon eher ein Jugendroman, dessen junger Hauptcharakter sehr schnell zu einer Identifikationsfigur für die angesprochene Leserschaft werden soll und es schlussendlich auch wird – was aber natürlich nicht heißen soll, dass das Buch daher für Erwachsene weniger empfehlenswert wäre. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Osanna Vaughn bewahrt sich durch ihren jugendlich-frischen Schreibstil eine ganz wichtige Eigenschaft, nämlich die Motivation, seine eigene Vorstellungskraft immer wieder aufs Neue zu bemühen und so auch Aspekte eines modernen Märchens in die Geschichte mit einfließen zu lassen.

Besonders gelungen sind der Autorin dabei die Beschreibungen der Beziehung Alduins zum Falken sowie die Charakterisierung der beiden vererbten Fähigkeiten. Der weise Falkner und der mysteriöse Seher – Alduin verinnerlicht zwei Eigenschaften, die in diesem Roman eine sehr schöne Entwicklung durchleben, bei der man erst gar nicht auf die Idee kommt, sie irgendwie in Frage zu stellen. Und ist dies nicht gerade die besondere Kunst in einem Buch für das etwas jüngere Publikum?

Apropos Jugendroman: Das bekannte Szenario eines ’normalen‘ Fantasyromans, also groß angelegte Schlachten, wirlklich finstere Mächte und üble Beschwörungen, findet man in „Der Schrei des Falken“ nicht. Stattdessen wendet sich das Buch eher an die Träumer unter den Lesern; diejenigen, die einfach ein spannendes Abenteuer erleben wollen und in ihrer Fantasywelt auch nur Elemente dulden, die einem solchen Abenteuersinn zuträglich sind.

Osanna Vaughn hat hier eine nahezu perfekte Balance gefunden; sie nutzt die bereits vorhandenen Eckpunkte der Welt Nymath, indem sie die zauberhaften Eigenschaften hervorhebt, kreiert in den jüngeren Figuren echte Identifikationsfiguren und erzählt so eine Geschichte, die frei von Gewalt, Krieg und Bösartigkeit zu fesseln vermag. Und genau damit gelingt ihr das, was Monika Felten in „Die Feuerpriesterin“ und „Die Nebelsängerin“ nicht erreicht hat, nämlich den Leser zu keiner Sekunde zu langweilen und das Buch nicht zu vorhersehbar zu gestalten.

Wer also von den ersten beiden Teilen von „Das Erbe der Runen“ enttäuscht war, sollte hier trotzdem mal reinschauen, denn in „Der Schrei des Falken“ wird der Ruf der Serie wieder erheblich aufgebessert.

Dem Buch liegt auch wieder eine CD mit drei mystischen Kompositionen bei, die als Soundtrack zur Erzählung fungieren. Wiederum hat Anna Kristine hier den Part der Sängerin übernommen, deren Texte übrigens aus der Feder der Autorin stammen. Ebenso wie beim Buch, dem bald eine zwingend erforderliche Fortsetzung folgen soll, wünscht man sich hier sehr schnell mehr.

Fazit: Ein rundum gelungenes, jugendlich frisches Fantasy-Buch mit tollen Charakteren, einer herrlichen Atmosphäre und einer durch und durch spannenden Handlung.

|Ergänzende Rezensionen:|
[Die Nebelsängerin 635
[Die Feuerpriesterin 2017

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Speemann, Rike – Feuer der Rache

Da denkt man doch als nichts ahnender Leser, dass nur amerikanische Frauen es mit umtriebigen Vampiren zu tun haben. Prominente Beispiele wären da zum einen Anita Blake, die toughe Vampirjägerin, die sich mit Kreuz und Knarre gegen die Avancen des smarten Vampirs Jean-Claude wehrt. Zum anderen könnte man die süße Kellnerin Sookie nennen, die stattdessen den (vermeintlich) einfacheren Weg wählt und seufzend in die starken Arme ihres untoten Lovers sinkt. Doch es gibt Hoffnung für all die deutschen Frauen da draußen, die ans Auswandern gedacht haben, nur weil es im eigenen Land keine feschen Vampire gibt. Rike Speemann macht’s möglich und präsentiert Peter von Borgo (was jetzt noch nicht arg sexy klingt), den Hamburger Vampir, der mit schwarzer Lederjacke und japanischem Motorrad durch Blankenese saust.

Doch von vorn: Eigentlich geht es um Sabine Berner, ihres Zeichens Oberkommissarin beim Hamburger LKA. Im Vorgängerroman „Der Duft des Blutes“ kam ihr zum ersten Mal Vampir Peter zu Hilfe, was ihrer Karriere nicht gerade förderlich war. Wegen Aussetzern und Gedächtnisschwund wurde sie vom Dienst suspendiert, bis sie sich von einem Psychiater begutachten lässt. Dem will sich Sabine natürlich nicht stellen, was soll sie ihm auch erzählen: Dass sie von einem Untoten umworben wird? Und so sitzt Sabine zu Hause und ist deprimiert. Ihr Job ist passé und ihr Ex-Mann geneigt, ihr das Besuchsrecht für die gemeinsame Tochter zu entziehen. Und an allem ist nur dieser Peter von Borgo schuld, der mit Vorliebe überraschend in ihrer Wohnung auftaucht und ihr Liebesschwüre ins Ohr säuselt.

Sabines Leben gewinnt schlagartig an Fahrt, als sie von der verschwundenen Iris erfährt. Ihre Großmutter erbittet sich Sabines Hilfe und diese macht sich auch sofort auf, das seltsame Verschwinden der bisher nicht auffällig gewordenen jungen Frau zu ergründen. Gleichzeitig mühen sich ihre Kollegen bei der Mordkommission mit einer Mordreihe ab, bei der gut betuchte und einflussreiche Hamburger elegant um die Ecke gebracht werden.

Und immer wandelt der geheimnisvolle Vampir am Rande des Geschehens. Was weiß er wirklich und kann Sabine den Beteuerungen seiner Unschuld tatsächlich glauben? Schließlich erweist er sich in vielen Fällen als hilfreich, enthält ihr aber offensichtlich Informationen vor. Peter von Borgo ist nicht loszuwerden. Doch mal ehrlich, wer will schon, dass er aus der Handlung verschwindet?

Hinter dem Pseudonym Rike Speemann versteckt sich die deutsche Erfolgsautorin Ulrike Schweikert, die unter ihrem richtigen Namen mehr das Metier des historisches Romans bearbeitet. Das Historische ist in „Feuer der Rache“ jedoch relativ nebensächlich: Über Peter von Borgos Vergangenheit erfährt der Leser nur wenig. Stattdessen ist der Roman eine Mischung aus Krimi und Vampirroman, mit Schwerpunkt auf der Krimihandlung. In guter Krimitradition hat Rike Speemann bis ins Kleinste recherchiert und macht so besonders den Schauplatz der Handlung, nämlich Hamburg, erfahr- und erlebbar. Auch die kleinen Ausflüge in den Wicca-Glauben schlagen in diese Kerbe, wirken jedoch ein wenig aufgesetzt.

Speemann fährt ein ganzes Arsenal an Figuren auf, schafft es jedoch, deren Innenleben immer überzeugend zu beleuchten. Der inzige, der immer ein Mysterium bleibt, ist Peter von Borgo selbst. Seine Motive entschlüsseln sich erst gegen Ende des Romans, auch wenn ein findiger Leser recht schnell die Richtung der eigentlichen Mordgeschichte erahnen kann. Der Herr von Borgo dagegen bleibt ein Geheimnis, vor allem in seinem unglücklichen Schmachten nach Sabine, die sich sträubt und windet. Alles in allem scheint Peter von Borgo noch viel Potenzial zu besitzen, das in den bereits veröffentlichten zwei Romanen um ihn noch nicht einmal angerissen wurde.

„Feuer der Rache“ ist ein durchdachter und raffinierter Krimi, der durch seine Liebelei mit Vampiren und Hexen aus dem unüberschaubaren Wust an Krimiveröffentlichungen heraussticht. Rike Speemann paart ihren Krimiplot mit sparsam dosierten Horrorelementen und einem guten Schuss erotischem Prickeln. Einigen Lesern mag diese Strategie bekannt vorkommen und tatsächlich ist Speemann längst nicht die Erste, die das Potenzial dieses Genremixes erkannt hat. Doch anstatt von anderen Autoren abzuschreiben, schafft sie es durchaus, ihr eigenes Universum aufzubauen. Man kann nur hoffen, dass es weitere Romane um Sabine und Peter geben wird, in denen das Mystery-Element mehr betont wird und man so mehr über den Vampirismus in Speemanns Romanuniversum erfährt.

„Feuer der Rache“ ist mit seinen fast 400 Seiten ein wunderbarer Schmöker für einen verregneten Winternachmittag oder eine lange Zugfahrt. Speemann erzählt flott und spannend und man mag das Buch kaum aus der Hand legen. Und das ist eigentlich alles Lob, das ein Krimi braucht, oder?

Jay Bonansinga – DIe Eismumie (Frozen)

Das geschieht:

FBI-Profiler Ulysses Grove ist am Ende. Seit Monaten hält ihn der „Sun-City-Killer“ in Atem, der durch die USA geistert und anscheinend wahllos Menschen mit einem Pfeilschuss in den Nacken tötet. Anschließend bahrt er die Leichname sorgfältig auf und arrangiert ihre Arme in einer typischen Geste, die zu enträtseln dem Fachmann einfach nicht gelingt. Schließlich bricht Grove zusammen und wird in einen Arbeits- und Erholungsurlaub geschickt: Im fernen Alaska fanden zwei Touristen im Eis eines Gletschers die Mumie eines vor 6000 Jahren umgekommenen Mannes. Die Archäologen der University of Alaska sind in heller Aufregung, zumal der Tote einem Verbrechen zum Opfer fiel.

Mord in der Steinzeit! Die Presse horcht auf. Maura County vom „Discovery Magazine“ rät den Wissenschaftlern, sich der Hilfe eines Kriminologen zu sichern. Eher widerwillig fügt sich Groves in diese Rolle. Er fühlt sich abgeschoben und will zu ‚seinem‘ Fall zurück. Eine bizarre Laune des Schicksals eröffnet ihm diese Möglichkeit: Der Steinzeitmensch, „Keanu“ genannt, zeigt die gleichen Verletzungen wie die Opfer des „Sun-City-Killers“! Da Groves nicht an Geister glaubt, denkt er an einen Nachahmungstäter. Ermittlungen ergeben, dass es am Fundort der Mumie zu einem Zwischenfall kam: Richard Ackerman, einer der beiden Finder, zeigte Anzeichen einer geistigen Verwirrung und verschwand wenig später spurlos. Jay Bonansinga – DIe Eismumie (Frozen) weiterlesen