Eines Nachts wacht Marek davon auf, dass seine Freundin Val ihn wachschüttelt. Sie erkennt ihn nicht und schreit ihn an: „Was hast du hier verloren? Was tust du in meinem Bett, du Penner? Los, verschwinde!“
Diese nächtliche Episode, verschieden farbige Pillen in ihrer Kosmetiktasche, die Tatsache, dass er fast nichts über ihre Vergangenheit weiß, all das macht Marek schon länger misstrauisch.
Eines Abends findet er Val völlig aufgelöst in ihrer Wohnung. Im Bad liegt zusammengekrümmt die Leiche ihrer Sandkastenfreundin Jenni. Am Spiegel steht mit ihrem Blut der Satz: „Wo bist du gewesen?“
Val leidet seit Jahren unter einer Psychose, die sie durch Medikamente im Griff zu haben scheint. Sie führt ein ganz normales Leben, doch wenn die Tür zur Psychose geöffnet ist, sieht Val die Welt in Zeitlupe, träge und schleichend. Daneben sieht sie einige wenige Menschen, die sich in normalem Tempo fortbewegen: die Schnellen. Von ihnen geht die Bedrohung aus. Doch sind sie bloß ein Hirngespinst oder gibt es sie wirklich? Val ist überzeugt, dass sie etwas gesehen hat, was sie nicht hätte sehen dürfen und nun dafür bestraft wird.
Val, Marek und Jennis Freund Theo erzählen ihre Version der Geschichte abwechselnd, in atemlosen Rückblenden. Der Wechsel der Erzählperspektiven macht einen Großteil der Spannung aus: Was ist wahr? Was ist Wahn? Und was ist eigentlich wirklich geschehen?
Trotz des blutigen Auftakts: Reißerische Szenen stehen in diesem psychologischen Thriller nicht im Mittelpunkt. Es geht vielmehr um Gefühle, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut gehen, um seelische Grausamkeit sich selbst und anderen gegenüber. Die Grenzen zwischen „Verrücktsein“ und so genannter Normalität sind hier fließend. Das ist das wirklich Schockierende daran.
Ein Buch, das man kaum aus der Hand legen kann. Und wenn man es schließlich fassungslos zuklappt, geht es einem noch lange nicht aus dem Kopf.
Zoran Drvenkar ist als Sohn kroatischer Einwanderer in Deutschland aufgewachsen und hat sich hierzulande schon als Kinder- und Jugendbuchautor einen Namen gemacht. „Du bist zu schnell“ ist seine erste Veröffentlichung, die sich ausschließlich an Erwachsene richtet.
Ein zeitloses Stück London hat Christoph Marzi mit seinem Roman „Lycidas“ auf Papier gebannt. Eine Geschichte, die zwischen den Zeiten zu spielen scheint – mal in unserer ganz normalen Gegenwart, mal in längst vergangenen Tagen. Es lässt sich viel herauslesen aus diesem Roman, mit seinen unzähligen Querverweisen auf alte Legenden und bekannte Autoren. Marzi hat sich reichlich in der Literaturgeschichte bedient, um aus den verschiedensten Versatzstücken eine ganz eigene Geschichte zu zaubern, die einerseits viel Licht enthält, aber auch einige Schatten wirft.
Es ist gar nicht so einfach, über Michael Hardwick etwas mehr zu erfahren, als der knappe Verlagstext hergibt, zumal die Notiz 1:1 von einer englischen Site übernommen wurde, die einem dann laufend von der Suchmaschine präsentiert wird. Der Vermerk, Hardwick sei der Erste, „dem seit Christopher Morley das ‚Sign of the Four‘ der |Baker Street Irregulars of America| verliehen wurde“, klingt beeindruckend, obwohl es dem Normalleser wenig sagen mag. Über das „Sign of the Four“ wenigstens liest man, es sei „eine der denkbar höchsten Auszeichnungen für einen Verehrer von Sherlock Holmes, der sich um ihn verdient gemacht hat“; nun gut. – Hardwick, so die Notiz weiter, war Leiter des Bereichs Drama bei der BBC und deren führender Drehbuchautor. Sein Roman „Prisoner of the Devil“ „wird von vielen als das beste Sherlock-Holmes-Abenteuer angesehen, das nach dem Tod Conan Doyles geschrieben wurde“ (wer auch immer diese ominösen „Vielen“ sein mögen). Einiges schrieb Hardwick zusammen mit seiner Frau Molly. Und er ist mittlerweile verstorben. Lebensdaten werden nicht genannt. Genau so fehlen Originaltitel, Erscheinungsjahr und Copyright des vorliegenden Buches. Daher von mir ein paar Ergänzungen: John Michael Drinkrow Hardwick (1924 – 1991) verfasste insgesamt 14 Sherlock-Holmes-Pastiches, darunter Theaterstücke, Romane und 1985 die besagte Autobiographie. „Prisoner of the Devil“ kam 1979 heraus, und das hier zu besprechende Buch erschien 1987 unter dem Titel „The Revenge of the Hound“ (also „Die Rache des Hundes“ – nix mit „Fluch“ und „Baskerville“).
In diesem Abenteuer schreiben wir das Jahr 1902. Queen Victoria ist tot, Edward VII. hat den Thron bestiegen. Das „Viktorianische Zeitalter“ ist dahin, Europa und die Welt stehen vor großen Veränderungen. Der deutsche Kaiser W Zwo macht durch militärische Umtriebe besorgt. Und was halten eigentlich Russland und Frankreich von der Macht des British Empire?
Doch auch für den Meisterdetektiv wird sich einiges ändern. Zum einen steht Dr. Watson zum dritten Mal auf Freiersfüßen, eine junge Amerikanerin ist die Glückliche. Zum anderen meint Holmes, seine Zeit sei abgelaufen: Die moderne Gesellschaft mache die Menschen dermaßen gleich, dass seine Methode, aus individuellen Einzelheiten zu deduzieren, sich bald erledigt haben werde. Dabei ist er kein Fortschrittsfeind, er nutzt eifrig das Telefon und sagt diesem für die Polizeiarbeit eine große Zukunft voraus. Ansonsten aber hat sich in der Baker Street 221B nicht viel verändert. Die gute Mrs. Hudson sorgt immer noch fürs leibliche Wohl, und immer noch führt man bei Drinks und einer Pfeife Rededuelle am Kamin – wie die Fans des Meisterdetektivs es lieben. Hardwick kennt seinen Holmes ausgezeichnet, das Buch ist voll von Bezügen zu anderen Fällen und von genau nachempfundenen Figuren. Und es gelingt ihm, selbst einen guten Holmes-Fall zu konstruieren, mit genug Verwirrung, Spannung und Flair.
Zuerst kommen Gerüchte auf, der Hund von Baskerville treibe nun in Hampstead Heath sein Unwesen – jedenfalls wurde ein Landstreicher von einer mysteriösen Bestie angefallen. Dann stößt man bei Straßenbauarbeiten in Tyburn auf die Gebeine gehenkter Verbrecher – und mit Watsons Hilfe werden Oliver Cromwells Knochen samt seines Schwertes identifiziert (Cromwell wurde nach Wiedererrichtung der Monarchie aus seiner Gruft geholt und nachträglich „hingerichtet“). Bald darauf stiehlt jemand Knochen und Schwert, was Holmes nicht freut, denn er meint, in diesen unruhigen Zeiten könnten solche „Reliquien“ benutzt werden, um einen Umsturz herbeizuführen. Außerdem verschwindet in Lausanne Lady Frances Carfax. Diesen Fall kennen wir von Doyle selbst; Hardwick parodiert die Eingangsszene der Geschichte recht witzig. Ebenfalls entnimmt er der Vorlage, dass Watson an Holmes’ Stelle auf den Kontinent reisen muss und dort unverhofft auf den Meister trifft, der undercover operiert. Dann folgt wieder Hardwick pur: Als die beiden mit der Fähre nach England zurückkehren, wird an Bord ein chinesischer Steward ermordet. Außerdem sucht Mycroft Holmes seinen Bruder auf und lädt ihn zum König ein, der Holmes bittet, von der Frau eines Industriellen einen Brief zurückzuerlangen, den Edward dieser Dame geschrieben hat, als er noch Prince of Wales war (Irene Adler lässt grüßen, worauf Hardwick selbst hinweist). Was noch? Das Denkmal für Cromwells „Henker“ Charles II. vor Victoria Station wird enthauptet, und der vom Hund angefallene Landstreicher verschwindet spurlos: so viele Puzzleteile. Man hofft und wünscht nur, es möge Hardwick gelingen, sie zu einem stimmigen Ganzen zu fügen – alles muss schlüssig miteinander zu tun haben, oder der Autor hat versagt.
Hardwick schafft es. Am Ende ergibt alles einen Sinn, haben wir einen Fall mit brisantem politischen Hintergrund, in dem sogar Karl Marx eine kleine Rolle spielt, und das nicht nur, weil das Geschehen auf Highgate Cemetery kulminiert. Hat sich der Leser streckenweise gefragt, was das alles soll, wird er nun reichlich entschädigt – die Schluss-Szenen sind exzellent gelungen. Ansonsten bilden rätselhafte Morde, ein undurchsichtiger Lord, Bestien, Verkleidungen, Verfolgungen, Grüfte, Geheimbünde und ein wie immer ratloser Inspektor Lestrade genau die Mischung, auf die man hofft. Gewiss fragt man sich, ob Watsons Heiratspläne im Buch noch eine andere Funktion haben als die, den Meister anfangs abzulenken, oder ob nicht ein etwas zu großer Zufall die beiden gerade an Bord des Schiffes führt, auf dem der Steward ermordet wird, was wiederum mit allem anderen in Verbindung steht. Ich fand die Anhäufung immer neuer Fälle bis zur Hälfte des Buches mitunter ein wenig zu verwirrend und manche Anspielung auf „Der Hund von Baskerville“ allzu raffiniert … doch hilft die Sympathie für den großen fiktiven Briten, solche Dinge wegzustecken und einfach weiterzulesen. Was Hardwick jedenfalls sehr gut beherrscht, ist das Sherlock-Holmes-Milieu mit all seinen Facetten, mit den Eigenheiten der beiden Hauptfiguren und ihren immer interessanten Wortgefechten. Dies ist also eindeutig ein gutes Abenteuer des unsterblichen Detektivs.
Die 32-jährige Autorin Alexandra Kui(tkowski) legt nach ihrem erfolgreichen Jugendroman „Ausgedeutscht“ aus dem Jahre 1998 ihr erstes Erwachsenenbuch vor, nämlich den Kriminalroman „Nebelfelsen“, der im fiktiven Harzort Grauen spielt. Alexandra Kui lebt als Songwriterin und freie Autorin auf dem platten Land bei Hamburg.
_Grauenvolles aus dem Harz_
Schon in ihrem Urlaub in Pompeji denkt Antonia Czechy darüber nach, einfach alles aufzugeben und davonzulaufen, um ein neues Leben zu beginnen. Spontan will sie ihren überaus korrekten Freund Kai, der als Werbetexter arbeitet, vorwarnen, doch dieser reagiert nur genervt und will Antonia nicht ernst nehmen. Zurück in Hamburg, legt Antonia sich dermaßen mit ihrem Chef an, dass dieser ihr den Job kündigt. Nachdem sie ihre Arbeit als Fotografin in Hamburg los ist, reist Antonia ohne Verabschiedung und ohne Gepäck in das Harzer Städtchen Grauen, in welchem ihre beste Freundin Cleo sich das Leben genommen hat.
Genau zur Walpurgisnacht trifft Antonia in Grauen ein und läuft auf der Suche nach geeigneten Fotomotiven durch die Straßen. Dort sieht sie auch einen kleinen Mann im offensichtlich selbstgestrickten Ringelpulli, der mitten im Harz Flamencogitarre spielt. Als Antonia genug hat von dem Hexentreiben in Grauen, stellt der Gitarrenspieler sich ihr als Tom Sturm vor und bittet sie um die Fotos von der Walpurgisnacht. Bei dieser Gelegenheit lernt die junge Hamburgerin den Chefredakteur des Lokalblattes „Harzer Kurier“ kennen, der ihr eine Stelle als Fotografin bei der kleinen Zeitung anbietet.
Nach einer mit Tom Sturm durchzechten Walpurgisnacht erwacht Antonia in einer kleinen Pension bei der beleibten Kneipenwirtin Ulli, die sie am vergangenen Abend mit Bier versorgt hat. Antonia nimmt den Job beim Harzer Kurier an, da sie der Faszination der geheimnisvollen Nebelfelsen und ihrer eigenen verkorksten Vergangenheit nicht entkommen kann. Als sie oben auf den Felsen steht und in die nebelverhangene Tiefe blickt, ist sie nahe davor, sich selbst in die Tiefe zu stürzen. Der kleine Ort Grauen lebt vom Sensationstourismus rund um die Klippenspringer, die für ihren Selbstmord in den Harz reisen.
Auch Cleos Selbstmord lässt Antonia nicht los, hinzu kommt die aufkeimende Liebe zwischen ihr und Tom Sturm, der sie sich bald nicht mehr entziehen kann. Doch irgendetwas scheint Tom zu verbergen, auch die ansonsten so gutmütige Ulli möchte Antonia vor Tom warnen, doch die ist auf diesem Ohr taub und zieht bald zu ihrem neuen Freund und dessen zwei Töchtern in das „Muschelhaus“. Aber auch bei Antonia wachsen mit der Zeit Skepsis und Angst, denn mit den Nebelfelsen und Toms Familie scheint etwas nicht zu stimmen …
_Kuis Bild vom Harz_
Alexandra Kui, die selbst als Volontärin bei der Goslarschen Zeitung im Harz gearbeitet hat, zeichnet in ihrem Roman ihr persönliches Bild von der Harzer Landschaft und besonders dem erdachten Ort Grauen, der durch die Todesspringer an den Nebelfelsen zu trauriger Berühmtheit gelangt ist. Die Beschreibung der Szenerie des Harzes ist dabei sehr gelungen, der Ort Grauen wird dem Leser eindrucksvoll präsentiert und steht einem direkt vor Augen, auch die Nebelbänke an den Schläferklippen kann man sich bildlich vorstellen. Für mich hatte dieses Buch daher einen besonderen Reiz, da ich nicht nur die erwähnten Orte wie Goslar, Braunschweig und Wernigerode kenne, sondern auch die berühmten Walpurgisfeste im Harz; so konnte ich beim Lesen mein eigenes Bild vom Harz mit dem der Autorin vergleichen, was das Buch zu einem interessanten Leseereignis für den Harzer Ortskundigen macht. Ganz entgegen zu meinen sonstigen Lesevorlieben hätte ich mir in diesem Buch noch mehr Lokalkolorit gewünscht, da ich im Harz aufgewachsen bin und noch mehr über Alexandra Kuis Bild vom Harz hätte erfahren wollen.
_Personelle Schwächen_
Obwohl das Buch auf der Titelseite mit der Bezeichnung „Kriminalroman“ wirbt, stehen die Charaktere im Mittelpunkt des Buches, vor allem die 27-jährige Antonia Czechy aus Hamburg und der 52-jährige Chefredakteur Tom Sturm sind hier zu nennen. Alexandra Kui räumt den beiden in ihrem Roman viel Platz ein, lässt eine Liebesgeschichte entstehen, die allerdings von vielen Streitereien und Problemen gekennzeichnet ist. Beide Menschen erscheinen kompliziert und schwer durchschaubar, leider bleibt selbst die Vergangenheit der Ich-Erzählerin Antonia hierbei größtenteils unklar. Ihre Verhaltensweisen waren mir daher oftmals unverständlich, in vielen Situationen reagiert sie völlig unangemessen und geht an die Decke, ohne dass dem Leser klar wird, was die Gründe für diesen Ausbruch sind. Am Rande wird erwähnt, dass Antonia vor ihrer eigenen Vergangenheit davonlaufen will, vor den Erlebnissen in Kalifornien mit ihrem Exfreund Cire und vor dem Selbstmord ihrer besten Freundin, den Antonia immer noch nicht verarbeitet oder verstanden hat. Aus ihrer Vergangenheit erfahren wir einiges, dennoch werden uns zu viele Informationen vorenthalten, beispielsweise, was aus Cire geworden ist, der nebenbei häufiger erwähnt wird, aber ansonsten völlig im Dunkeln bleibt, oder auch, was hinter der Verbindung zwischen Cleo und Tom steckt, von der Antonia erfahren musste. Dennoch ist genau diese Vergangenheitsbewältigung verbunden mit einer ehrlichen Selbstkritik der Ich-Erzählerin das Thema des Buches. Schade, dass Alexandra Kui uns nicht mehr Facetten ihrer Romanfigur präsentiert hat, die ihre Eigenarten erklärbar gemacht hätten, denn so wirkt Antonia unecht und manchmal auch unreif, sie reagiert zu häufig zu übertrieben, um Sympathien für sie entwickeln zu können oder sich gar mit ihr identifizieren zu können. Dabei gefiel Antonia zunächst gut und wirkte interessant, erst später summierten sich ihre komischen Anwandlungen zu sehr und ihre Liebschaft zu ihrem Chef machte sie leider nicht sympathischer.
Auch die Figur des Tom Sturm wird einem nicht erklärbar, obwohl er neben Antonia den größten Raum im Buch erhält. Die Beziehung zwischen den beiden wird schnell zu einem Hauptthema des Romans und verdrängt die geheimnisvollen Nebelfelsen aus der Erzählung. Allerdings wirkt ihre Annäherung und plötzliche Verliebtheit zu gekünstelt, da Antonia zuvor offen ihre Abneigung Tom gegenüber zum Ausdruck gebracht hatte. Zu sehr fallen also ihre neu entwickelten Gefühle vom Himmel, ich habe sie nicht nachvollziehen können.
Viel authentischer und natürlicher wirkt dagegen die Kneipenwirtin Ulli, die sich mit mütterlicher Sorge um ihren neuen Pensionsgast Antonia kümmert, ihr neue Kleidung kauft und sie liebevoll bekocht. Auch wenn Ulli an manchen Stellen nichts über ihre frühere Beziehung zu Tom Sturm erzählen mag und sich mit geheimnisvollen Andeutungen begnügt, bleiben ihre Handlungen stets nachvollziehbar.
_Von Krimi keine Spur_
Durch die Ankündigung eines Kriminalromans mit finalem Showdown hatte ich mich auf eine falsche Fährte leiten lassen und vermutet, einen spannungsgeladenen Roman lesen zu können, doch hier wurde ich enttäuscht, denn obwohl die Nebelfelsen an vielen Stellen als mystisch und mit besonderer Anziehungskraft versehen beschrieben werden, bleiben sie schnell hinter Toms und Antonias Beziehung zurück. Der Leser muss sich mit einigen Hinweisen am Rande, bezogen auf die sogenannten Schläferklippen, begnügen, von Krimi ist allerdings keine Spur. Auch Spannung wird nur wenig aufgebaut, da die spärlichen Andeutungen in Bezug auf Tom und seine dubiose Vergangenheit nicht ausreichen, um den Leser an das Buch zu fesseln. Erst spät kommt die Handlung ins Rollen, als Antonia entscheidende Hinweise auf die Mutter von Toms jüngerer Tochter erhält, die sie aufhorchen lassen. Doch ist sofort offensichtlich, was hinter der Geschichte stecken muss und was damals passiert ist, sodass am Ende kaum Überraschungen bleiben.
Mit ihrem Showdown kann Alexandra Kui nicht überzeugen. Zu konstruiert wirkt die Auflösung der Geheimnisse um die Nebelfelsen und um Tom Sturm, hier greift Kui in die Trickkiste, um ihrem Buch etwas Spannung hinzuzufügen, doch vergallopiert sie sich dabei. Das Ende hinterlässt daher einen faden Beigeschmack beim enttäuschten Leser, ein etwas weniger sensationelles Buchende wäre realistischer und auch zufriedenstellender gewesen. Schade, dass die Autorin an dieser Stelle ein wenig über das Ziel hinausgeschossen ist.
_Viel gewollt und wenig geschafft_
Alexandra Kui wollte scheinbar zu viele verschiedene Dinge in ihr nur 300-seitiges Buch packen. So beginnt das Buch zunächst mit Antonias Beziehungs- und Jobproblemen, der Leser wird mit geheimnisvollen Andeutungen zu ihrer Vergangenheit und Cleos Selbstmord gelockt, anschließend reisen wir gemeinsam in das düstere Örtchen Grauen mit den nebelverhangenen Schläferklippen. Gerade in Grauen treffen wir auf skurrile und merkwürdige Personen, die oftmals in ihren Handlungsweisen zu übertrieben agieren, aber offensichtlich einiges zu verbergen haben. Besonders Tom Sturm muss einige Leichen im Keller begraben haben, das wird aus den zarten Andeutungen der Bewohner deutlich. An dieser Stelle entdeckt Antonia plötzlich ihre Gefühle für Tom, die zu einer turbulenten und problematischen Beziehung führen, in der auch noch zwei Töchter des Chefredakteurs auftauchen und eine Rolle spielen. Kui greift zu viele Aspekte in ihrer Erzählung auf und vergisst dabei, ihre Kriminalgeschichte weiterzuentwickeln, Spannung aufzubauen und am Ende allen aufgegriffenen Handlungsfäden ein passendes Ende zu verleihen. Es bleiben zu viele Fragen offen, sodass das Buch keine runde Sache geworden ist, auch in ein Genre ist der Roman schwierig einzuordnen, da von Kriminalgeschichte wenig zu spüren war.
Insgesamt kann das Buch als Kriminalroman nicht überzeugen, da kaum Spannung aufgebaut wird, sondern die handelnden Charaktere im Zentrum des Buches stehen. Insbesondere die beginnende Beziehung zwischen der jungen Hamburgerin Antonia Czechy und dem alternden Lokalchef Tom Sturm steht hier im Vordergrund, dennoch bleiben die Hintergründe etwas im Unklaren. Die aufkeimende Liebe fällt vom Himmel, da Ich-Erzählerin Antonia zuvor zu oft betont hatte, dass sie den kleinen Mann im Ringelpulli nicht ausstehen kann. Alexandra Kui hält sich in ihren Beschreibungen manchmal zu sehr auf, im Grunde genommen nebensächliche Dinge wie Antonias Einstieg in Toms Band werden zu sehr ausgebreitet und bremsen den Spannungsbogen deutlich aus. Auch die Nebelfelsen werden nur am Rande erwähnt und rücken schnell in den Hintergrund. Leider kann auch das Buchende nicht überzeugen, sodass der Roman für Harzer durch die bekannten Orte durchaus lesenswert ist, aber nicht dazu verlocken kann, das Buch weiterzuempfehlen oder gar ein zweites Mal zu lesen.
Francesco „Pipín“ Ferreras ist nach eigener Auskunft schon als Kind mehr Fisch als Mensch gewesen. Im bereits revolutionär angegammelten Kuba der 1960er Jahre bleibt ihm trotz castrogläubiger Eltern der Glanz des realen Sozialismus‘ verborgen. Pipín geht lieber tauchen und entwickelt dabei rasch bemerkenswerte Talente, die indes lange brachliegen müssen: Kuba ist kein Ort, an dem man wassertaugliche Bürger schätzt; Miami, die Höllenstadt des Erzteufels USA, liegt verführerisch nahe am Horizont.
Aber zum Ruhme Kubas lässt Fidel Castro den jungen Mann schließlich doch seine Tauchkunststücke auf der ganzen Welt vorführen. Pipín entwickelt sich rasch zu einem der besten Apnoetaucher der Welt: Mit nur einem Atemzug taucht er möglichst rasch und tief ins Meer, um erst Minuten später wieder aufzutauchen – „No Limits“ nennt sich dieses nutzlose, ja lebensgefährliche Gladiatorenspiel, das die Medien zunehmend fasziniert. Pipín will endlich an die Weltspitze, will viel Geld verdienen. 1993 flieht er aus Kuba und fängt ein neues Leben als professioneller Extremtaucher an.
Nach schwierigen Anfangsjahren kann er an seine früheren Erfolge anknüpfen. Er tritt im Fernsehen auf, wird interviewt, von Sponsoren umworben – und taucht tiefer und tiefer. Privat sieht es eher düster aus. Der junge Mann kann ist bereits zweimal geschieden und gilt als jähzorniger Kotzbrocken. 1996 lernt Pipín die deutlich jüngere Meeresbiologin Audrey Mestre kennen. Eine Liebe epischen Ausmaßes entspinnt sich, zwei Herzen schlagen fürderhin im Einklang & was der Hollywood-Klischees mehr sind. Vor allem aber findet Audrey Geschmack am Apnoetauchen. Sie übertrifft ihren Seelenverwandten, bald Ehemann und Lehrmeister bald deutlich.
Diese Gunst der Stunde will der in die Jahre kommende Pipín nutzen. Statt selbst zu tauchen, vermarktet er seine zunehmend erfolgreiche Frau. Audrey ist jung, hübsch und ertaucht zuverlässig Spitzentiefen. So kommt sie dem Weltrekord für Männer und Frauen immer näher. Eines Oktobertages im Jahre 2002 will sie ihn endgültig brechen und 170 Meter Wassertiefe erreichen. Sie schafft es, aber zurück an die Oberfläche findet sie nicht mehr …
Die Geschichte von Pipín & Audrey adelt ein Buch, für das sich ansonsten wohl nur die kleine Schar der Extremsportler interessieren würde. Aber „Tiefenrausch“ kann mit einer grandiosen Lovestory prunken – mit einer tragischen sogar, was ja den Kaufdrang der Tränendrüserdrücker-Fraktion seit jeher beflügelt. Gut, dieser Pipín Ferreras ist nicht gerade Brad Pitt – er bezeichnet sich selbst treffend als „glatzköpfigen, machohaften Kubaner“. Seine Ungeduld, seinen alle Grenzen der Vernunft sprengenden Ehrgeiz, seinen Neid auf – womöglich erfolgreiche – Konkurrenten spart er in der Aufzählung seiner Unarten lieber aus und lässt sie vorsichtig in seine biografische Rückschau einfließen.
Audrey dagegen muss wohl ein Engel auf Erden (bzw. unter Wasser) gewesen sein. Pipín sagt es uns in jedem Satz und wer’s immer noch nicht glauben mag, für den gibt es unzählige ganzseitige Fotos – farbig und schwarzweiß -, die immer wieder Audrey, Audrey, Audrey zeigen: beim Training, beim Gewinnen, bei Tanz mit einem erstaunten Rochen … Es will kein Ende nehmen, „Tiefenrausch“ ist ein gedruckter Audrey-Schrein.
Da gibt es freilich einige Schönheitsfehler. Vor allem müssen wir uns darauf verlassen, was Pipín Ferreras uns über seine Liebe und seine Tauch-Obsession erzählt. Audrey können wir ja leider nicht mehr fragen. Der Skeptiker weiß: Engel auf Erden gibt es eigentlich nicht. Kein Mensch ist ohne Fehler und Tadel, sonst wäre er ziemlich langweilig. Was Pipín selbst angeht, so spart er (s. o.) nicht mit Schlägen gegen die eigene Stirn. Er übernimmt sogar die Mitschuld für ihren Tod. Offensichtlich ist „Tiefenrausch“ einer von vielen Versuchen Ferreras, den tragischen Tod von Audrey zu verarbeiten.
Zumal dieser einerseits auf ein banales Versehen zurückzuführen ist: Der Luftsack, der Audrey an die Oberfläche tragen sollte, war nur teilweise gefüllt. Niemand hatte das nachgeprüft, stattdessen verließ sich ein Teammitglied auf das andere. Unter Wasser fehlte ein Begleittaucher; der Rekordversuch fand trotzdem statt – bisher war ja stets alles gut gegangen. So ging es weiter; eine Kette von minimalen Versäumnissen führte direkt in die Katastrophe. Man war eingelullt von der spielerischen Eleganz, mit der Audrey immer neue Rekordtiefen erreichte. Das machte leichtsinnig, was kein guter idealer Zustand ist, wenn einem 170 Meter unter Wasser die Luft wegbleibt.
Andererseits ist Pipín Ferreras die treibende Kraft hinter Audrey Mestre – und oft genug wohl ihr Dämon. Sie tauchte nach eigener Auskunft einfach gern, er machte daraus ein Rekordgeschäft. Wieso sie sich dagegen nicht wehrte, muss offen bleiben; Ferreras drückt sich in diesem Punkt recht vage aus und schwadroniert von der Macht der Liebe, die sich für ihn und Audrey vor allem unter Wasser entfaltete und das delfingleiche Paar als kosmische Einheit funktionieren ließ. (Allerdings merkt er sehr richtig an, dass er seiner lungenstarken Gattin keinen Sack mit Steinen um den Hals gebunden und sie dann ins Meer gestoßen hat; Audrey war erwachsen.) Außenstehende, d. h. Nicht-Apnoeisten, könnten das sowieso nicht verstehen. Damit liegt er zweifellos richtig; der boshafte Skeptiker mag zum Beispiel einwenden, man könne sich auch einen Backstein auf den Kopf schlagen, um Gott und viele Sterne zu sehen – und das ohne besondere Lebensgefahr. Genau die ist aber integraler Bestandteil des Extremsports, auch wenn das lieber nicht so deutlich formuliert wird.
Wie jeder Paulus blickt auch Pipín Ferreras mit wehmütigem Stolz auf seine Saulus-Jahre zurück. Natürlich findet er die weltweite Jagd nach immer neuen „No Limits“-Rekorden verwerflich, seit Audrey umkam und er nicht mehr mittun kann und mag. Bis er zu dieser Einsicht gelangte, war Ferreras jedoch die treibende Kraft unter den Apnoe-Extremtauchern dieses Planeten. Endgültig „geheilt“ von seinem Tauchwahn ist er wohl doch nicht; die Grenzen zwischen Sport und Spinnerei sind meist fließend.
Was man nicht Ferreras sondern eher seiner (nur auf dem inneren Titelblatt erwähnten) „Mitautorin“ Linda Robertson (Pipín hat übrigens schon mehrere Bücher „schreiben lassen“, da er sich eigentlich nicht zum Literaten berufen fühlt, aber kein Problem damit hat, seine erzählten Tauch- und Lebensgeschichten in gut honorierte Prosa verwandeln zu lassen) ankreiden muss, das ist sicherlich der schauerliche Auftritt Audreys als glücklicher Geist aus dem Jenseits, der dem gebrochenen Pipín bei dessen Gedächtnis- Rekordtauchgang von 2003 unter Wasser ein letztes Hallo zuwinkt. Solcher Schwachsinn wäre ansonsten nur verzeihlich, wenn der arme Pipín doch ein wenig zu lange die Luft angehalten hätte … Vielleicht ist diese Passage auch nur ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung von James Cameron. Der Regisseur von „Titanic“, der seit 1997 keinen Spielfilm mehr gedreht hat (bis auf zwei Dokumentationen), aber dem Meer treu geblieben ist, plant angeblich, Pipín und Audrey zu Helden eines neuen, nassen Blockbusters zu erheben (worauf man sich lieber nicht verlassen sollte).
Ben Bova (* 28.11.1932) ist ein Urgestein der amerikanischen Science-Fiction. Das Werk des ehemaligen Präsidenten der |SF Writers of America| und der |National Space Society| zeichnet sich durch die Nähe zum aktuellen Stand der Technik aus. Bovas Romane spielen in einer nicht allzu fernen Zukunft und basieren auf Technologien und Annahmen, die schon bald Wirklichkeit werden könnten. Bova weiß, wovon er spricht: Während des „Space Race“ zur Zeit des Kalten Krieges war er am Projekt Vanguard beteiligt, dem ersten amerikanischen Satelliten und Antwort auf Sputnik I.
Im Jahre 1992 begann Bova mit „Mars“ eine neue Schaffensphase, die von Fans als seine „Grand Tour“ durch das Sonnensystem bezeichnet wird. Was als abenteuerliche, sehr realitätsnahe Reise durch das Sonnensystem begann und mit dem inoffiziellen Starterband „Mars“ zumindest inhaltlich noch überzeugen konnte, flachte in den Folgebänden „Rückkehr zum Mars“, „Venus“, „Jupiter“ und [„Saturn“ 557 leider immer mehr ab.
Noch hat Bova zwar nicht alle Planeten des Sonnensystems beehrt, aber auch vor kleineren Planetoiden macht er nicht Halt: Dem Asteroidengürtel ist sogar ein auf drei Bände angelegter Minizyklus in der „Grand Tour“ gewidmet, dessen Auftakt „Der Asteroidenkrieg“ ist.
_Not macht erfinderisch_
Irgendwann im 21. Jahrhundert geht es der Menschheit an den Kragen: Zusätzlich zur Klimakatastrophe, die sich in Überschwemmungskatastrophen äußert, die bereits weite Teile der uns bekannten Welt unter Wasser gesetzt haben, kommt ein chronischer Mangel an Energie und Rohstoffen. Das Verhältnis zu den Mondkolonien ist gespannt, die Regierungen der Erde stehen modernen Technologien wie der Nanotechnologie ablehnend gegenüber und sind mehr damit beschäftigt, ihre eigenen Pfründe zu sichern, anstatt sich um die Zukunft der Menschheit zu sorgen.
Der Raumfahrtunternehmer Dan Randolph ist ein Visionär und Idealist, der die Lösung dieser Probleme im Erzreichtum des Asteroidengürtels sieht. Nur leider gibt es noch keine Antriebe, die eine effiziente Nutzung der dortigen Ressourcen ermöglichen würden. Randolph ist gezwungen, ein Zweckbündnis mit dem schmierigen Magnaten Martin Humphries zu schließen: Ein neuartiger Fusionsantrieb und geächtete Nanotechnologie würden erstmals die Möglichkeit eröffnen, seinen Plan in die Realität umzusetzen.
Im Gegensatz zu Randolph ist sein Partner jedoch kein Wohltäter, sondern ein Schwein. Randolph möchte persönlich an der Reise zu den Asteroiden teilnehmen – für Humphries die Gelegenheit, ihm eine tödliche Falle zu stellen und sich im Falle seines tragischen Ablebens Randolphs Firma |Astro Manufacturing| einzuverleiben … ohne Macht und Reichtum teilen zu müssen.
_Weltraummüll_
Eine vielversprechende Story – zudem mit einem verkaufskräftigen Titel und einem wirklich sehr schönen, thematisch passenden Titelbild von [Thomas Thiemeyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=25 versehen.
Begeisterung kann dennoch nicht aufkommen – dafür Entsetzen. Das kommerzielle Szenario ist für Bova-Kenner nichts Neues, neue Ideen gingen ihm offenkundig bereits schon auf halber Strecke zwischen Mars und Jupiter aus. Der Idealist und Menschenfreund sowie der korrupte Kapitalist, der auch vor Mord nicht zurückschreckt, sind nur einige der vielen Klischees, die Bova bis zur Neige ausschöpft. So sind die beiden Pilotinnen der Starpower I vermutlich aus einer Trash-SciFi-Parodie entlehnt: Die flachbrüstige Farbige Pancho Lane, eine der Hauptfiguren des Romans, mit dem Charme und der Sturheit eines Terriers, sowie die dumpfbackige Amanda, kurz Mandy, die mit Raumanzug sprengender Oberweite als ihr intellektueller Gegenpol und Lustobjekt nahezu aller männlichen Figuren fungiert.
Derartig abgeschmackte Konstruktionen hätte man nicht einmal im Jahre 1960 als Groschenheft veröffentlichen können, zumal sie sich mit dem sonst eher ernsten und fundierten Hintergründen des Romans beißen; Bova ist als Vertreter realitätsnaher SF bekannt und schreibt auch dementsprechend. Doch um an einigen Stellen die Handlung voranzutreiben, fiel Bova nichts Besseres ein, als Pancho Lane einen Unsichtbarkeitsanzug zur Verfügung zu stellen, mit dem sie nach Belieben spionieren kann. Zu allem Überfluss wird er ihr von einem guten Kumpel geliehen – wie praktisch. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, verliebt sich Fiesling Humphries in Mandys Kurven und entwickelt Heiratsgelüste – doch fatalerweise will sie unbedingt das sabotierte Raumschiff zum Asteroidengürtel steuern. Von der armen Wissenschaftlerin, deren Nanobots von Humphries als Waffe missbraucht werden, obwohl sie doch aller Welt den Nutzen dieser segensbringenden Technologie zeigen will, möchte ich gar nicht erst reden. Nur so viel: Humphries erpresst sie mit dem Leben ihrer Enkel auf der Erde …
Leider stellen diese Plattheiten den Großteil der Handlung dar. Glänzen kann Bova gelegentlich mit seinem Sachverstand und Wissen, zum Beispiel wie das Leben in Mondstädten aussehen könnte. Anstelle hier jedoch zu punkten und zu faszinieren, reduziert Bova diesen Teil auf ein Minimum. Stattdessen nimmt ein notgeiler Zollbeamter, der Mandy gerne ausgiebig kontrolliert und grundsätzlich jede Frau zum Essen einlädt, den größten Teil der Handlung auf dem Mond ein. Das soll vermutlich der sonst ziemlich faden, sich dahinziehenden Handlung ohne jegliche Spannungselemente Würze verleihen. Anstatt ausgeklügelte Konzernintrigen zu bieten, blamiert sich Bova mit erschütternd naiven Konstruktionen. Durch die Ermordung des Mehrheitseigners möchte Humphries eine ganze Firma schlucken. Man sollte keine weiterführenden Erklärungen erwarten, wie das gehen soll, weder Bova noch Humphries scheinen sich darüber weitere Gedanken gemacht zu haben, zumal Bova selbst am Ende des Romans zeigt, wie blauäugig Humphries Plan ist.
_SciFi oder Trash?_
Was ist nur in Bova gefahren. Derartig altbackene Storys lieferten nicht einmal genrefremde Notbehelfs-Autoren in den zahllosen gefloppten SF-Serien der 60er Jahre. Selbst diese hätten es jedoch nicht geschafft oder gewagt, ein Minimum an Handlung ohne jeglichen Spannungsbogen auf 461 Seiten aufzublasen.
Scheinbar fiel auch Bova auf, wie blutleer und hölzern sich seine Asteroidenexpedition liest. Sie im Jahr 2003/4 mit derart veralteten Klischees „aufzupeppen“, ging jedoch gehörig daneben. Es bleibt die Frage, worüber Bova in den folgenden beiden Bänden des Minizyklus schreiben wird. Bereits in diesem Roman geizte er mit seinen sonstigen Stärken und demonstrierte bei allem Respekt vor den interessanten Thematiken Asteroidenbergbau und der Macht großer Konzerne in der Zukunft eine erschreckende Ideenlosigkeit; man könnte fast meinen, es fehle ihm an Motivation. Für peinlichste Banalitäten ist er sich dagegen nicht zu schade. Die Übersetzung ist gelegentlich sehr holprig, die unterirdische Qualität vieler Dialoge möchte ich jedoch eher dem Autor anlasten.
An diesen Roman wurden leider sowohl ein wunderbares Titelbild als auch eine vielversprechende Thematik vollkommen verschwendet.
1951 gerät in Korea ein US-amerikanischer Spähtrupp in einen chinesisch-sowjetischen Hinterhalt. Die Männer werden in die nordostchinesische Mandschurei verschleppt, wo sie der Neurologe Yen Lo einer neuen Form der Gehirnwäsche unterzieht. Aus jungen Patrioten werden kommunistisch programmierte „Schläfer“, die als Kriegshelden in die USA zurückkehren, während sie weiterhin geistig „ferngesteuert“ werden.
Sergeant Raymond Shaw ist ein idealer (mandschurischer) Kandidat für dieses Projekt. Als Sohn einer einflussreichen Familie hat er Kontakte bis ins Weiße Haus. Er sieht gut aus und kommt in den Medien an. Das verschafft ihm die notwendige Bewegungsfreiheit. Richard Condon – Der Manchurian Kandidat weiterlesen →
Anita Blake’s Hauptberuf wäre für manche Leute schon Abenteuer genug, denn sie arbeitet als Animator, was bedeutet, dass sie auf Aufträge hin Tote als Zombies zum Leben erweckt. Wozu das gut sein soll? Nun – zum Beispiel, um rechtliche Nachlassstreitigkeiten zu regeln oder Versöhnungsgespräche mit Toten führen zu können. Wahrlich kein langweiliger Schreibtischjob. Doch nebenbei dient Anita auch noch der örtlichen Polizei in St. Louis als sachkundige Expertin in anderweltlichen Fragen und arbeitet als Vampirjägerin, ein Feld in dem sie sich den Beinamen „The Executioner“ erarbeitet hat.
Denn die USA haben zwar diverse untote und paranormale Lebensformen als legal anerkannt, diese Kräfte jedoch unter rechtlicher Kontrolle zu halten und dafür zu sorgen, dass Vampire, Werwesen, Ghoule, Zombies und andere mehr oder weniger menschliche Gestalten nicht außer Kontrolle geraten, ist für die Polizei zu einem echten Problem geworden.
So wird Anita denn auch hinzugerufen, als in St. Louis ein Mörder umgeht, der Vampire und selbst die besonders alten und mächtigen Meistervampire gnadenlos abschlachtet. Ins Jenseits befördert, wäre hier vielleicht der falsche Ausdruck. Nicht nur die Polizei heuert Anita an, sondern auch eine Gruppe um die örtliche Meistervampirin Nikolaos sichert sich durch Drohungen und Erpressungen ihre Arbeitsdienste in diesem Fall.
Die Ermittlungen führen Anita quer durch das Vampir-Vergnügungsviertel von St. Louis von der örtlichen Vampir-Strip-Bar „Guilty Pleasures“ über ein Treffen mit der Vereinigung „Menschen gegen Vampire“, ein Treffen mit dem Obervampir der „Kirche des Ewigen Lebens“ und auf eine Vampirfanparty. Schon bald glaubt Anita. einen ersten Hinweis zu haben, ihre Ermittlungen werden jedoch erschwert, als sie zwischen die Fronten eines Machtkampfes der Vampiranführerin Nikolaos mit dem Meistervampir Jean-Claude gerät.
_Autorin mit blutrotem Lippenstift_
Laurell K. Hamilton wurde in Heber Springs, Arkansas geboren, wuchs jedoch in einem kleinen Ort im Staat Indiana auf. Nach dem Tod ihrer Mutter 1969 wurde sie von ihrer Großmutter erzogen. Bereits im Alter von 13 Jahren beschloss sie nach der Lektüre von Robert E. Howards Geschichtensammlung „Pigeons from Hell“, dass sie selbst eine Autorin übersinnlicher Horrorstorys mit Fantasyelementen werden wollte. Sie hat einen Uni-Abschluss in Englisch und Biologie. Nach zahllosen Ablehnungen gelang ihr erstmals 1989 die Veröffentlichung einer Kurzgeschichte in Marion Zimmer Bradley’s |Fantasy Magazine|. Ihr erster Roman „Nighseer“ erschien 1992. Danach verfasste sie einen „Ravenloft“-Roman und einen „Star Trek“-Roman, bevor sie 1993 mit „Guilty Pleasures“, dem ersten Teil der Anita-Blake-Serie, den endgültigen Durchbruch erreichte. Die Serie verkaufte sich zunehmend besser und im Jahr 2000 kam der erste Band der zweiten, unabhängigen Serie, der Merry-Gentry-Reihe über eine Feen-Prinzessin, die als Privatdetektivin in LA arbeitet, auf den Markt. Beide Serien sind noch nicht abgeschlossen.
„Guilty Pleasures“ ist der erste Band der Anita-Blake–Serie. Die genauere Auflistung samt Übersetzungstiteln (soweit vorhanden, es sind noch längst nicht alle Titel übersetzt):
1. Guilty Pleasures (dt. Bittersüße Tode)
2. The Laughing Corpse (dt. Blutroter Mond)
3. Circus of the Damned (dt. Zirkus der Verdammten)
4. The Lunatic Café
5. Bloody Bones
6. The Killing Dance
7. Burnt Offerings
8. Blue Moon
9. Obsidian Butterfly
10. Narcissus in Chains
11. Cerulean Sins
12. Incubus Dreams
13. Danse Macabre (erscheint 2006)
_Bis an die Zähne bewaffnet_
Laurell K. Hamilton gelingt das seltene Kunststück, den Leser von der ersten Seite an zu fesseln. Vampirgeschichten, besonders wenn sie ins Grenzgebiet eines Genres namens |Vampire Romance| gehören, sind oft niederste Werke der Trivialliteratur. Hamilton erhebt sich hier angenehm von den billigen Plätzen und gewährt dem Vampirroman einen erstklassigen Logenplatz in der Spannungsliteratur. Dies schafft sie unter anderem dadurch, dass sie sich nur sehr selten auf die Spuren breitgetretener Klischees begibt und zudem gekonnt ihre nicht zu unterschätzenden Schreibkünste einsetzt. Zudem geizt sie wahrlich nicht mit Splattereffekten. Und obwohl das Buch durch seine mehr als nur unterschwellige erotische Stimmung durchaus zu den |Vampire Romances| gezählt werden kann, lässt sie sich beispielsweise nicht auf platte Liebesszenen ein. Weiter als ein paar – zugegebenermaßen tiefe – Küsse und Bisse kriegt der Leser in dieser Hinsicht zumindest nichts geboten, doch das reicht der Autorin, um eine schwindelerregende erotische Spannung fast durch das gesamte Werk hindurch aufrecht zu erhalten. Zudem konzentriert sie sich trotz der Knisterspannung auf den kriminalistischen Aspekt der Geschichte und die Horrorelemente und lässt die Geschichte nicht zu einer bloßen Sex-Klitsche verkommen. Der Leser will vor allem wissen, wer der Vampirmörder ist und wie Anita sich aus ihrer verfahrenen Situation herauswinden wird. Und an diesen Fragen arbeiten Anita und ihre Autorin hart und zur vollsten Zufriedenheit des Lesers.
Die Charakterisierung Anitas selbst ist sicher gelungen. Die Geschichte wird in der ersten Person aus ihrem Blickwinkel erzählt, dadurch erhält der Leser Einblick in ihre Gedanken und Ansichten. Als eine Mischung aus Stephanie Plum (mit dem weitreichenden Unterschied, dass Anita wirklich ein Profi ist, ihre Pistole nicht in der Keksdose aufbewahrt und auch stets bis an die Zähne bewaffnet durch die Lande kreuzt), Rambo und den Ghostbusters lässt sie sich von ihren zumeist überlegen erscheinenden Gegnern nicht unterkriegen und zaubert auch in der verfahrensten Situation immer noch ein Ass aus dem Ärmel. Dabei wirkt sie aber trotz ihrer Künste menschlich, mit ihren kleineren Schwächen und Fehlern. Gestört hat mich an ihr die etwas zu amerikanisch anmutende Denk- und Redeweise. Da wirken einige Sätze überzeichnet, zu „tough“, zu gekünstelt. Auch einige der zynischen Bermerkungen und Gags wiederholen sich hier ein wenig.
Ein aufwertender Aspekt des Buches ist es in meinen Augen unbedingt, dass Hamilton das Thema Untote und Vampire vielschichtig beleuchtet. So ist in Anitas Welt die Attraktivität der Kirche des Ewigen Lebens (einer Vampirkirche) nicht unlogisch damit begründet, dass die Menschen sich vor dem Tod und dem unbekannten „Danach“ fürchten. Auch wenn Anita sich fragt, was mit der Seele der Untoten, denen sie den letzten Rest gegeben hat, passiert, zeigt sich diese ambivalente Ansichtsweise. Die Vampire selbst werden ebenfalls vielfältig dargestellt: Da gibt es sowohl emotionslose Blutsauger als auch verständnisvolle Vertreter der Gattung, die in den Menschen um sie herum mehr sehen können als Blutspender. Nur so ist auch die aufregende Kombination aus Horror, Sado-Maso-Vampirismus und einer bittersüß-sinnlichen Anziehungskraft einzelner Vampire zu verstehen. Anitas Einstellung diesen Vampiren gegenüber ist ebenso gespalten. Denn obwohl sie sich nach ihrer Arbeit als Vampirjägerin immer wieder sagt, dass alle Vampire tote Monster sind, kann sie sich doch einer gewissen Anziehungskraft – insbesondere der langzahnigen Sahneschnitte Jean-Claude – nicht erwehren. Da der Leser in der Regel bereits wissen wird, dass es sich bei diesem Buch um den ersten Band einer Serie handelt, wird eine gewisse Erwartungshaltung in diese Beziehung hineingebaut, was die Folgebände betrifft.
Natürlich gibt es auch jede Menge normaler und paranormaler Nebenpersonen in der Geschichte. Leider sind einige dieser Charaktere nicht kräftig genug gezeichnet und erscheinen farblos, was durch die große Anzahl an Nebenprotagonisten noch unnötig betont wird.
Etwas vermissen muss der Leser auch einige Erklärungen zu der Welt, in der diese Geschichte spielt. Denn weder ist es eine fremde, konstruierte Welt in Fantasymanier, noch spielen die Romane in ferner Zukunft. Stattdessen könnte man von unserer Zeit und unserer Erde ausgehen, mit der Ausnahme, dass diese Alternativwelt von zahlreichen Untoten, Werwesen und anderen paranormalen Gestalten mitbewohnt wird.
Es gibt zu diesem Zeitpunkt keine richtigen Erklärungen für den Leser, welcher Umstand das Auftauchen der Untoten herbeigeführt hat und wo und wie sie vor ihren öffentlichen und legalen „Leben“ ihre Zeit verbracht haben. Und diese Zeit muss es ja gegeben haben, denn wenn die Vampirmeisterin Nikolaos mit ihren über eintausend Jahren auch ein geradezu antiker Sonderfall zu sein scheint, so sind doch einige der Langzähne schon seit hundert Jahren und mehr dem Vampirdasein verschrieben. Hierzu erhält der Leser keine Einführung, keine Erklärung und wird ohne lange Vorreden in diese Alternativwelt hineingeworfen.
Trotz einiger kleineren Kritikpunkte halte ich „Guilty Pleasures“ jedoch für einen gelungenen und vielversprechenden Einstieg in eine fesselnde Serie zwischen Horror, Sex und Crime.
|Originaltitel: „Guilty Pleasures“, Jove, 1993|
Homepage der Autorin: http://www.laurellkhamilton.org
Robert Ludlum sollte in Expertenkreisen eigentlich ein sehr bekannter Name sein, hat der Schriftsteller doch zu Lebzeiten die Ideen zu 27 Romanen gegeben und so die beeindruckende Anzahl von 210 Millionen verkauften Büchern erreichen können. Solche Absatzzahlen erreicht man schließlich nicht mir irgendwelchen Groschenromanen (hoffe ich zumindest).
Unter Ludlums Werken befinden sich unter anderem die Geschichten um den Profikiller Jason Bourne, der ja unlängst in Streifen wie „Die Bourne-Verschwörung“ und „Die Bourne-Identität“ zu Kinoehren gekommen ist. Weiterhin zu dieser Serie gehören übrigens auch der dritte Teil, „Das Bourne-Ultimatum“ und ein neuer Band von 2004, „The Bourne Legacy“, verfasst von Eric Van Lustbader nach Vorgaben von Ludlum.
30 Jahre lange widmete sich Ludlum seiner Karriere als Buchautor, nachdem er 1971 mit „Das Scarletti-Erbe“ sein Erstlingswerk abgeliefert hatte. Im März 2001 verstarb Robert Ludlum schließlich im Alter von 73 Jahren und hinterließ weitere Ideen zu spannenden Thrillern, die im Folgenden noch nachbearbeitet wurden, unter anderem von Gayle Lynds, der auch für die Bearbeitung der aktuellen Veröffentlichung „Die Paris-Option“ verantwortlich ist.
Dementsprechend war ich auch gespannt auf den Inhalt dieses vorerst letzten Romans, einem 600-Seiten-Thriller mit durchaus aktuellem Hintergrund, der ein Jahr nach Ludlums Tod weiterbearbeitet wurde – doch genau diese (vor allem stilistische) Überarbeitung könnte dem Buch schließlich auch zum großen Nachteil gereicht haben. Wie sich nämlich schon sehr schnell, eigentlich schon nach der ersten Lesestunde, herausstellt, ist „Die Paris-Option“ (übrigens der dritte Teil der so genannten Covert-One-Serie) nur eine recht mäßige Lektüre, die zudem inhaltlich mächtig aufgeblasen und unnötig ausgeschmückt scheint. Zusätzlich hält sich Ludlum bzw. Lynds mit übertriebenen Beschreibungen nicht zurück; wenn die Supermacht USA wirklich so toll wäre und alle Frauen Lynds‘ Körperschema erfüllten, dann wäre die Welt nämlich perfekt. Aber kommen wir erst einmal zum Inhalt, um den genauen Sachverhalt darstellen zu können:
Eine Bombenexplosion im berühmten Pariser Pasteur-Institut wird zum Schicksalsschlag für den berühmten Wissenschaftler Emile Chambord, der diesem Anschlag zum Opfer fällt. Chambord arbeitete gerade an der Entwicklung eines DNA-Computers und schien mit dieser Tätigkeit schon sehr weit fortgeschritten; sein tragischer Tod jedoch machte diesen wichtigen Forschungsschritt zunichte und zerstörte auch noch sämtliche wichtigen Unterlagen.
Doch auch weiterhin spielen sich im direkten Umfeld seltsame Dinge ab. Urplötzlich verschwinden amerikanische Kampfjets vom Radarschirm, und kurze Zeit später scheint sich zwischen diesen beiden konträren Gegebenheiten ein Zusammenhang zu entwickeln.
Covert-One-Agent Jon Smith fliegt höchstpersönlich nach Paris, um die Verbindung zwischen dem Anschlag auf das Labor des Wissenschaftlers und den Drahtziehern, die den Weltfrieden bedrohen, zu analysieren und ihnen auf die Schliche zu kommen.
Eigentlich ist die Sache schon nach kurzer Zeit klar, denn bevor Lynds im Buch den nächsten Schritt beschreibt, ist der Leser ihm in Gedanken schon wieder ein ganzes Stück voraus. Vorhersehbarkeit ist daher auch das größte Manko dieser partiell einigermaßen spannenden Geschichte. Doch auch die eben angesprochene Schwäche, dass wirklich jede kleine Maus in aller Ausführlichkeit beschrieben wird und Lynds zeitweise den Blick fürs Wesentliche verliert, schmälert die Spannung erheblich.
Was mich an „Die Paris-Option“ aber am meisten nervt, ist dieser unterschwellige politische Hintergrund. Die Weltpolizei USA wird mal wieder als der Retter des Weltfriedens angepriesen, während die übrigen Staaten nicht in der Lage sind, ihre internen Probleme zu lösen; eine Tatsache, die sich grundlegend in vielen Ludlum-Romane abspielte, hier aber überhand nimmt. Zwar wird das Böse dieses Mal von einer anderen Macht verkörpert als man das gewohnt ist, aber dieses recht dämliche Gut-gegen-Böse-Gehabe, welches sich durch den gesamten Roman zieht, wirkt auf mich vollkommen überladen.
Dasselbe gilt im Prinzip auch für die klischeehafte Darstellung des Hauptdarstellers. Jon Smith ist ein Superheld, wie er im Buche steht – im Comic-Buch. Insbesondere hier neigt Lynds zur vollkommenen Übertreibung und verliert den Boden unter den Füßen.
Schade ist dies alles, weil die Grundzüge der Story eigentlich sehr gut sind, in ihrer hier vorliegenden Darstellung aber nie echte Spannung aufkommen lassen. Hätte Lynds/Ludlum die Sache von einer anderen Seite aus angepackt, sämtliche Klischees außen vor gelassen und zudem dafür gesorgt, dass der Leser nicht bereits recht früh erahnen kann, wie die Geschichte um den Covert-One-Agenten ausgehen wird, hätte man nämlich an dieser Stelle höchstwahrscheinlich nur wenig Anlass zum Meckern gehabt. So hat Lynds nämlich im Endeffekt nicht nur seinem eigenen Ruf als Autor geschadet, sondern auch dem Namen des verstorbenen Ideengebers – den ich hier nachfolgend aber noch einmal als Ausnahmeautor hochhalten möchte.
Mehr über Robert Ludlum erfährt man unter http://www.ludlumbooks.com.
Wieder erzählt Ursula Le Guin eine Geschichte aus ihrem „Hainish“-Universum, dem Universum der Liga, die hier Ökumene¹ heißt. Die junge Terranerin Sutty arbeitet als Beobachterin der Ökumene auf Aka, einem Planeten, der zweiundsiebzig Jahre vor der erzählten Zeit zum ersten Mal angeflogen wurde – von einem terranischen Schiff. Die Umstände des Besuches bleiben lange im Dunklen, aber die Folgen liegen sofort klar vor Augen: Die Körperschaft (die herrschende Beamtenschicht Akas) propagiert den rückhaltlosen Fortschritt, macht aus der Wissenschaft eine Quasireligion und aus der Mitgliedschaft in der Ökumene das Paradies; andererseits dürfen sich nur vier Fremdweltler auf Aka aufhalten, noch dazu in ihrer Bewegungs- und Informationsfreiheit sehr eingeschränkt.
Jane hält sich für eine typische amerikanische Mittzwanzigerin: Jüngstes von fünf Kindern, Single, tagsüber arbeitet sie als Sekretärin und abends verkauft sie auf selbstorganisierten „Tupperpartys“ essbare Unterwäsche und ähnliches Erotikspielzeug. Nach einer dieser Partys gerät ihr auf dem Heimweg auf einer verlassenen Landstraße ein Kaninchen unter die Autoräder und sie verursacht einen Unfall, bei dem ihr Fahrzeug in Flammen aufgeht. Die fünf grazil gebauten Herren in merkwürdiger Kleidung, die ihr helfen, ihre kostbare Erotik-Ladung aus dem Kofferraum zu retten, kommen ihr gerade recht. Als sie ihnen jedoch folgt und sich in einer anderen Welt wiederfindet, ahnt sie, dass das Schicksal ihr einen mehr als üblichen Streich spielt. Ihr Hauptbegleiter ist Charlie, seines Zeichens halb Elf und halb „Fairy“ – was sowohl seine Ähnlichkeit mit Legolas, seine spitz zulaufenden Spock-Ohren als auch seine Flügel erklären sollte. Doch nicht genug der Dinge, muss Jane doch erkennen, dass Charlie zu ihrem Anwalt erkoren wurde – denn der überfahrene Hase war ein gestaltwandelnder Elf und sie findet sich auf der Mordanklagebank wieder. So weit – so schlecht. Doch dann entwickelt Jane plötzlich magische Kräfte und eine entschiedene Fetischvorliebe für Sex mit geflügelten Männern und übernimmt die Organisation der örtlichen sexuellen Befreiungsfront.
Klingt das nach einer Story, die einem Fantasy-Autor während eines schlechten Trips eingefallen ist? Möglich. Im Grunde möchte das Buch sich jedoch in die Reihe der |Fantasy Romance| einreihen. Fantasy vermutlich, weil Elfen, Zwerge, Zauberer etc. vorkommen, sowie ein „Portal“ zwischen den Welten. Romance – vielleicht, weil es im Grunde keine vernünftige Story gibt und das Ganze wirkt wie ein paar zusammengewürfelte Fantasy-Elemente, die sich um ziemlich detaillierte und penetrante Liebesszenen zwischen Jane und dem Elfenmann Charlie gruppieren.
Geschichten, in denen die Heldin oder der Held plötzlich und unerwartet entdecken, dass sie Erbin des Königsthrons sind, sind im Grunde flach, haarsträubend und idiotisch genug. Wenn dies gleich beiden Hauptcharakteren passiert (mit zwei verschiedenen Thronen wohlgemerkt), dann fällt mir dazu vor lauter Plattheit der Autorin eigentlich kein Kommentar mehr ein.
Nehmen wir die Charakterisierungen der Protagonisten und auch der diversen Nebenfiguren, so finden sich stets nur noch weitere Klischees. Im Grunde wirkt das alles sehr nach amerikanischen Vorabendserien. Jane, unsere zunächst so simple menschliche Heldin ist Vertreterin einer Spezies, die in amerikanischen Liebesromanen stets die Hauptrolle zu spielen scheint. Hübsch, Mitte zwanzig, Single, chaotisch, selbstbewusst bis zum Grad der kompletten Selbstüberschätzung und rückhaltlos vorlaut. Sie reißt einen vermeintlichen Gag nach dem nächsten – schade nur, dass keiner davon wirklich lustig ist. Im Zuge der Geschichte mausert sie sich dann zu Superwoman in Elfenland, entwickelt magische Fähigkeiten, entdeckt ihr königliches Blut, wird schwanger, verliebt sich haltlos in anderes königliches Blut etc. etc. Gähn. Ihre für mich hervorstechendste Eigenschaft ist eigentlich ihre absolute Nervigkeit. Sie redet zu viel – vor allem zu viel Schwachsinn, handelt völlig jenseits menschlicher Vernunft und stets außerhalb der Linien des guten Geschmacks. Sie nervt bis über die Kopfschmerzgrenze hinaus. Und sie ist rundum unsympathisch.
Charlie ist ein Legolas-look-a-like. Das ist dann aber auch schon sein einziger Pluspunkt. Er ist ansonsten ein ziemlich langweiliger Charakter, ein typischer Jurist, nur mit Spitzohren und Flügeln, der im Laufe des Buches zu Janes Lebensretter mutiert. Obwohl er der zweite Hauptprotagonist des Buches ist, ist sein Charakter nur unvollständig skizziert. Wir erfahren zwar einiges über seine Vorgeschichte, aber er selbst bleibt eine unbekannte Größe. Es gibt daher beim besten Willen nicht mehr über ihn zu sagen.
Auch die anderen Charaktere sind völlig oberflächlich gezeichnet und haben zum größten Teil nur darauf gewartet, von Jane aus ihrem bislang stumpfsinnigen Elfendasein gerettet zu werden.
Die beiden Hauptcharaktere, Jane und Charlie, werden von der Autorin in ausführlich beschriebenen, völlig überzeichneten Liebesszenen zusammengeworfen – mal wird Jane von Charlie stehend gegen die Tür genommen, dass das ganze Elfenland in dem gemeinsamen Orgasmus erzittert, bis hin zu wollüstig-kitschigen „Ich-liebe-dich-liebst-du-mich-auch“-Szenen an magischen Teichen. Das Ende des Buchs ist die Mutter aller Klischees mit Heirat, Babys und allem drum und dran. Interessantere Geschichten, weniger stereotype Charaktere und weniger offensichtliche Handlungsverläufe findet man selbst in den Sammlungen der Gebrüder Grimm.
Die Sprache des Buches ist der Handlung entsprechend sehr einfach gehalten, sämtliche Wortneuschöpfungen sind erklärt oder ergeben sich aus dem Zusammenhang. Die Sätze sind kurz und einfach gehalten. Selbst für Anfänger im Originalelesen sollte dieses Werk keine besondere Herausforderung darstellen. Eine Übersetzung gibt es bislang nicht.
„What do you say to a naked elf?“ ist Cheryl Sterlings erster veröffentlichter Roman. Zuvor hat Cheryl Sterling, eine ausgebildete Informatikerin aus dem amerikanischen Staat Michigan, verheiratet und Mutter zweier Kinder im Teenager-Alter, Geschichten geschrieben, die in der Gegenwart spielen, die jedoch bislang unveröffentlicht geblieben sind.
Alles in allem ist dies das schlechteste Buch, das ich seit langer, langer Zeit gelesen habe. Weder beherrscht die Autorin die Kunst, den Leser zu fesseln, noch hat sie überhaupt eine richtige Geschichte zu erzählen. Aufgrund der graphischen Erotikszenen ohne verbindende Handlung werte ich das Buch als „Porno mit Elfen“. Der absolut einzige Lichtblick ist der marketingorientierte, originelle Titel, auf den ich hier dann auch komplett hereingefallen bin.
Homepage der Autorin: http://www.cherylsterlingbooks.com
Dan Browns Kirchen-Thriller „Illuminati“ und „Sakrileg“ platzieren sich beständig an der Spitze internationaler Bestsellerlisten. Die immense Popularität dieser Romane zeigt sich auch in der für 2006 mit internationalen Stars wie Tom Hanks, Jean Reno und Audrey Tautou geplanten Verfilmung von „Sakrileg“. Bis zum Erscheinen seines nächsten Buches, Thema sind diesmal die Freimaurer, dürfte noch einige Zeit vergehen. Brown selbst gibt an, er wäre noch nicht weit genug fortgeschritten, um einen Termin nennen zu können.
Grund genug für den |Lübbe|-Verlag, Browns damals nur mäßig erfolgreiches Erstlingswerk „Digital Fortress“ unter dem deutschen Titel „Diabolus“ auf den Markt zu bringen.
Golan Trevize wurde von Gaia, dem komplexen Planetenorganismus mit starken mentalistischen Fähigkeiten, dazu ausersehen, das Schicksal der Galaxis zu bestimmen. Gaia erkannte in Trevize die Fähigkeit, ohne ausreichende Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen, was ihn geradezu prädestiniert, intuitiv zwischen den verschiedenen Möglichkeiten zu entscheiden: Dem zweiten Imperium nach Vorstellung der Foundation oder der zweiten Foundation, die im Hintergrund die Fäden ziehen würde, oder einem galaxisweiten Superorganismus nach Gaias Vorbild, ein Galaxia, ein allumfassendes Wesen, in dem der Mensch als Individuum keine Rolle mehr spielen wird, sondern jedes Wesen Teil des Ganzen wäre.
Trevize entschied sich für Galaxia, doch vertraut er selbst nicht auf seine von Gaia erkannte Fähigkeit, sondern will wahrhaftig wissen, warum er sich so und nicht anders entschied, da ihm persönlich die Vorstellung, alle Individualität aufgeben zu müssen, nicht erstrebenswert erscheint. Doch mit der gleichen Intuition, die ihn zu dieser Entscheidung trieb, weiß er, dass er die Gewissheit nur auf der Erde, dem vergessenen Ursprungsplaneten der Menschheit, erhalten wird. Also setzt er seine Suche nach der Erde mit dem gravitischen Raumschiff der ersten Foundation fort, begleitet weiterhin von Dr. Pelorat, dem Mythologen und Historiker, und Wonne, einem menschlichen Teil Gaias, die mit ihren durch Gaia vermittelten Fähigkeiten für Trevizes Sicherheit sorgen soll. Da sie immer mit Gaia in Verbindung steht, erfährt Gaia gleichzeitig den Fortschritt der Suche.
Trevize ist der Überzeugung, irgendwo in den gigantischen Bibliotheken der galaktischen Menschheit müssten sich Hinweise auf die Erde finden, da fast jeder Planet mit Mythen und Legenden um diese Welt aufwarten kann. Durch Gendibal, den Sprecher der zweiten Foundation, erfuhr er, dass selbst auf der Hauptwelt des ersten Imperiums alle Informationen über die Erde entfernt wurden, und das unter den Augen der Mentalisten von der zweiten Foundation, was auf eine größere Macht hindeutet. Die Hinweise der Mythen über die Erde, die in allerlei Variationen von einer unerreichbaren, radioaktiven Erde erzählen, überzeugen den ehemaligen Ratsherr Trevize endgültig: Jemand oder etwas von der Erde versucht, ihre Existenz zu verheimlichen – mit mächtigen Mitteln.
Nur auf den verbotenen Welten der ersten Siedlungswelle, den fünfzig Planeten der so genannten Spacers, finden sich vergessene oder übersehene Informationen, die Trevize und seinen Begleitern einen mühseligen Weg in Richtung Erde zeigen. Unterstützt durch den fortschrittlichen Computer des Raumschiffs scheint das Ziel endlich erreichbar zu sein …
Mit dem vorliegenden Roman bringt Asimov seinen Zyklus um die Foundation zu einem fulminanten Abschluss. Schon im vorhergehenden Band „Die Suche nach der Erde“ versuchte er einen Ringschluss mit einigen seiner früheren Werke, indem er die bisher im Foundation-Universum gänzlich fehlenden Roboter behutsam erwähnte. Diese Maschinenintelligenzen und eine großartig angelegte Geschichte der galaktischen Menschheit bilden einen wichtigen Punkt im Hintergrund des Abschlussromans. Mit den zwei Siedlungswellen der Spacers und Settlers wirft er einen Blick zurück und bindet weitere Ideen in das Universum ein, wie auch die Ansatzpunkte der Stahlhöhlen (hier noch in Mythen und Legenden verankert) oder die Radioaktivität der Erde. Auch der Lenker im Hintergrund, der Überroboter Daneel Olivav, stellt eine Anekdote der Vergangenheit und ein Verbindungsglied zu früheren Werken dar, so dass Asimov tatsächlich ein geschlossenes Werk seiner Eroberung des Weltraums schafft.
Asimov ist bekannt für sein Bestreben, jede Geschichte in absoluter Logik zu entwickeln. In Golan Trevize fand er einen herrlich passenden Protagonisten für diese seine Leidenschaft, über ihn konnte er die verschiedenen losen Enden des großen Zyklus’ verknüpfen und die angelegten Rätsel befriedigend entwirren. Obwohl Trevize dadurch manchmal wie ein Übermensch oder antiker Held wirkt, ist er nicht ohne menschliche Schwächen und dadurch durchaus sympathisch. Vielleicht merkte Asimov erst nach dem Ende des Vorgängerromans, welche Probleme ein Galaxia für die Individualität bedeuten würde, vielleicht war aber die Lösung durch die Rückkehr bereits geplant. Jedenfalls greift er genau diesen Punkt mit den ersten Worten des Romans auf und widmet die Geschichte einer befriedigenden Lösung. Ob die Lösung, die er ansteuerte, wirklich befriedigend ist, mag jeder für sich entscheiden, logisch ist sie allemal.
Mit dem 0. Gesetz der Robotik schiebt Asimov einen Punkt nach, der einige Probleme in der Robotpsychologie hervorruft oder auch eindeutiger löst. Hier hätte seine Psychologin Susan Calvin sicherlich ihre Freude gehabt: Ein Roboter darf der Menschheit keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit zulassen, dass ihr Schaden widerfährt. Die drei anderen Gesetze müssen entsprechend abgestuft werden. Ist das wirklich wünschenswert? Mit diesem Gesetz, das die Roboter selbst entwickelten, können sie sich zur Unabhängigkeit von einzelnen Menschen entwickeln, je nach Auslegung. Daneel geht sogar so weit, sein Jahrtausende altes Gehirn mit dem eines Menschen zu verschmelzen, der unabhängig von den Robotergesetzen ist, um eben diese Gesetze umgehen zu können (natürlich zum Wohl der ganzen Menschheit!).
Gaia ist eine durch Roboter entwickelte Entität, das Ausbreiten dieses Wesens auf die Galaxis würde auch durch Roboter gefördert werden. Demnach wäre Galaxia eine künstliche Entwicklung nach Vorstellung der Roboter, die für die Sicherheit der Menschheit handeln und dabei die Individualität des Einzelnen hintanstellen. Trotzdem hat sich Trevize für diese Variante entschieden, und in diesem Buch gibt Asimov Antwort, warum.
Ganz in Asimovs typischem Stil gehalten, dominieren lange Dialoge den Roman. Mag er manchem Leser anstrengend oder gestelzt erscheinen, fasziniert mich diese Art der Erzählung und bietet mir Asimovs Gedanken und Ideen in Form wunderbarer Unterhaltung dar, die spannender nicht sein könnte. Die Geschichte um die Foundation kommt endgültig zu einem Abschluss, und mit den Anspielungen auf frühere Werke (die hinten im Buch als erweiterter Foundation-Zyklus aufgelistet sind) macht Asimov Lust auf mehr. Wer eintauchen möchte in die Welt der Psychohistorik und asimovschen Erzählweise, dem möchte ich die Foundation wirklich ans Herz legen. Allerdings muss erwähnt werden, dass „Die Rückkehr zur Erde“ nicht für sich allein steht, sondern den direkten Anschluss an „Die Suche nach der Erde“ bildet. Empfehlenswert ist der Einstieg mit der Foundation-Trilogie oder nach Asimovs Zusammenstellung mit dem Sammelband „Meine Freunde, die Roboter“.
Isaac Asimov ist einer der bekanntesten, erfolgreichsten und besten Science-Fiction-Schriftsteller, die je gelebt haben. Neben ihm werden oft Robert A. Heinlein und Arthur C. Clarke genannt. Asimov wurde 1920 in der Sowjetunion geboren und wanderte 1923 mit seinen Eltern nach New York aus. Seine erste Story erschien 1939. Zwischenzeitlich arbeitete er als Chemie-Professor in den USA, er schrieb neben seinen weltbekannten Romanen auch zahlreiche Sachbücher. 1992 verstarb er.
Zum Foundation-Zyklus
Meine Freunde, die Roboter
Die Stahlhöhlen
Der Aufbruch zu den Sternen
Das galaktische Imperium
Die frühe Foundation-Trilogie
Die Rettung des Imperiums
Das Foundation-Projekt
Die Foundation-Trilogie
Die Suche nach der Erde Die Rückkehr zur Erde
Kairo, die alte Metropole am Nil, ist im Jahre 1908 die Hauptstadt der autonomen osmanischen Provinz Ägypten. Doch das Osmanische Reich – der „kranke Mann am Bosporus“ – ist politisch zerrüttet und wirtschaftlich am Ende. In Ägypten mussten die Osmanen schon vor dreißig Jahren die Hilfe der Briten erbitten, um sich an der Macht zu halten. Die Briten kamen gern – und blieben. Seither ist der Zhedife – der einheimische Herrscher über Ägypten – nur eine Galionsfigur; die wahre Macht übt der Generalkonsul aus, der seine Anweisungen aus London erhält.
Die Ägypter hat niemand um ihre Meinung gefragt. Sie sind die Fremdherrschaft allerdings gewöhnt und haben sich in ihrer Mehrheit damit abgefunden. Nichtsdestotrotz gibt es eine nationalistische Untergrundbewegung, die von den Briten scharf im Auge behalten wird. Das ist die Aufgabe der Geheimpolizei, der in Kairo Captain Gareth Owen, der „Mamur Zapt“, vorsteht. Offiziell sorgt er für die öffentliche Ordnung in der Stadt und verfolgt Verbrechen, die an Reisenden aus dem Ausland begangen werden.
In diesem Zusammenhang lernt Owen die junge amerikanische Kunstexpertin Enid Skinner kennen. Sie unternimmt eine Studienreise und hat einen Onkel, der womöglich der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird. Unter diesen Voraussetzungen bemühen sich ihre britischen Gastgeber, Miss Skinner sehr zuvorkommend zu behandeln, obwohl diplomatische Zurückhaltung für sie ein Fremdwort ist. So macht sie sich für eine strenge Ausfuhrkontrolle für altägyptische Bodenaltertümer stark. Überall im Land graben Archäologen im Auftrag europäischer und amerikanischer Museen, Kunsthändler oder privater Sammler nach den Schätzen der Pharaonenzeit. Mit großer Selbstverständlichkeit werden sie anschließend außer Landes geschafft.
Bisher verhallten die Protestrufe der wenigen Mahner, die diese Kleinodien im eigenen Land halten wollen, ungehört. Sollte sich allerdings jemand finden, dessen Stimme Gewicht hat und sich im Ausland gegen die organisierten Plünderungen erhebt, könnte das lukrative Geschäft in Gefahr geraten. Hat aus diesem Grund jemand versucht, Miss Skinner vor einen Straßenbahnwagen zu stoßen? Als sie wenig später die Ausgrabungsstätte Deir al Bahari im Süden des Landes besucht, wird ein weiterer Anschlag auf ihr Leben verübt. Captain Owen reist Miss Skinner nach. Er möchte die Gelegenheit nutzen, sich selbst ein Bild von den Grabungs- und Kunsthandelspraktiken zu machen – und stößt in ein Wespennest …
Archäologie zwischen Fundsicherung und Grabraub
„Die Schätze des Pharaos“ ist der sechste (und nicht der zweite, wie uns der Klappentext weismachen möchte) Fall des „Mamur Zapt“ Gareth Owen im Ägypten der britischen Kolonialzeit. Die buchstäblich farbenfrohe Kulisse des Orients ist es, die diesen Krimis ihre Originalität verleiht. Ägypten um die Jahrhundertwende ist ein hochinteressanter Schauplatz, der sich für einen Thriller geradezu anbietet, liefern sich hier doch gleich vier Staaten (Osmanisches Reich, Ägypten, England und Frankreich) einen stillen, hinter den Kulissen erbittert geführten Machtkampf um das strategisch wichtige Land als Einfallstor zum afrikanischen Kontinent.
Im vorliegenden Band rücken die politischen Querelen ein wenig in den Hintergrund. Pearce greift ein Thema auf, das den meisten Lesern in der geschilderten Deutlichkeit wahrscheinlich unbekannt ist. Streift man heute durch die großen Museen für Altertumskunde in Europa, um die riesigen Sammlungen exquisiter Kunstschätze aus Ägypten, dem antiken Griechenland oder Rom zu bestaunen, denkt man meist nicht darüber nach, wie diese Kostbarkeiten an Orte gelangten, für die sie definitiv niemals bestimmt waren.
Diese Sammlungen sind die eindrucksvollen Zeugen einer Ausgrabungspraxis, die einst allerorts üblich war: Finanziere eine archäologische Grabung in einem fremden Land, zahle den Einheimischen ein wenig Kleingeld – du kannst es beschönigend „Zoll“ nennen – und lasse alles dorthin schaffen, wo du es zu sehen wünscht. Klar, dass hier dem Missbrauch buchstäblich Tür und Tor geöffnet wurden. Es gab freilich kaum ein Unrechtsbewusstsein, denn schließlich kamen die Kostbarkeiten in die kundigen Hände derer, die sie zu würdigen wussten.
Auch die Ägypter hatten nichts gegen diesen Kunst-‚Handel‘ einzuwenden, denn er brachte Geld ins Land. Den Rahm schöpften zwar neben dem Zhedifen die örtlichen Paschas und anderen aristokratischen Würdenträger ab, aber die Bevölkerung fand immerhin sichere Arbeitsplätze auf den Grabungen und verdiente mit Grabraub, Schmuggel und dem Verkauf von Fälschungen gut nebenbei.
Lästige Beeinträchtigungen eines lukrativen Geschäfts
„Die Schätze des Pharao“ spielt in einer Epoche, in der sich erster Protest gegen solche systematischen Plünderungen zu formieren beginnt. Es muss bitter für Idealisten vom Schlage einer Miss Skinner gewesen sein: Sie mögen damit gerechnet haben, dass sie sich in ihrem Bestreben, die Kunstschätze Ägyptens zu retten, den Zorn der ausländischen ‚Kunstfreunde‘ zuzogen. Doch auch die Ägypter selbst, für die sie besagte Schätze retten wollten, leisteten Widerstand oder blieben uninteressiert. Nach Jahrhunderten der Fremd- und Misswirtschaft existierte in der breiten Bevölkerung kein Bewusstsein für oder Stolz auf die eigene große und großartige Geschichte. Erst das Ende der Kolonialzeit brachte hier einen Wandel.
Aus der geschickten Umsetzung dieses Themas und den sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht „Die Schätze des Pharaos“ seinen Unterhaltungswert. Auch der Rückblick in die Geschichte der britischen Schatten-Kolonie Ägypten besticht durch das offensichtliche Wissen des Autors um Land und Leute; Michael Pearce kennt die späte Phase der afrikanisch-britischen Kolonialgeschichte noch aus seiner Jugend im ägyptischen Sudan, in den er nach einigen Jahren in England als Lehrer zurückkehrte.
Wohl aus diesem Grund ist Pearce die Figurenzeichnung ausgezeichnet gelungen. Was aus der „Mamur-Zapt“-Serie hätte werden können, zeigen die in ähnlichen Kulissen spielenden, überlangen, vor angelesenem Buchwissen raschelnden, peinlich ‚komischen‘ Abenteuer um die viktorianische Archäologin Amelia Peabody, ihren Göttergatten und den unsäglichen Wundersohn Ramses, mit denen Elizabeth Peters viel zu viele Jahren die Freunde des Historienkrimis traktierte.
Land mit echten Leuten
Gareth Owen ist nicht der Tee trinkende, knarzige britische Offizier, der die ‚Wilden‘ väterlich Mores lehrt, sondern ein Mann, der selbst zu einer Minderheit zählt; er ist Walliser, was seinen Aufstieg in die höheren gesellschaftlichen Schichten und damit eine echte berufliche Karriere verbaut, ihn aber hellhörig macht für die Stimmen des ‚gewöhnlichen‘ Volkes.
Auch die einheimischen Ägypter müssen sich nicht mit der Rolle der pittoresken, wahlweise treuherzigen oder schurkischen ‚Eingeborenen‘ bescheiden. Pearce erspart ihnen auch das Schicksal des politisch korrekten Historienthrillers, der die Rolle des Bösewichts stets dem Ausländer überträgt, während die ‚edlen Wilden‘ sich als tragische Helden und Opfer darstellen lassen müssen. Pearces Ägypter sind – egal ob armer Wasserhändler, frustrierter Regierungsbeamter oder feudaler Pascha – Menschen mit den üblichen Ecken und Kanten. Die Schwierigkeiten einer quasi mittelalterlichen Gesellschaft im beginnenden 20. Jahrhundert gehen nicht nur auf die koloniale Fremdherrschaft zurück, sondern sind durchaus hausgemacht. Pearce verdichtet dies geschickt in der schwierigen Beziehung Owens zur unkonventionellen Aristokratentochter Zeinab, die weder von den Vorgesetzten und Kollegen des einen noch von der Familie der anderen gern gesehen wird.
Dass Michael Pearce neben feinem Humor Sarkasmus keineswegs fremd ist, stellt das zwiespältige aber sehr konsequente Finale seiner Geschichte unter Beweis. Glanzvoll kann Captain Owen die diversen Verbrechen des bis dato rätselhaften Falls aufklären und alle daran Beteiligten festsetzen – nur um sie sogleich wieder ziehen lassen zu müssen, da ihnen die riesigen Gesetzeslücken in Sachen Kunst-‚Handel‘ besser bekannt sind als dem Mamur Zapt. Der Verzicht auf den im Krimi auch heute noch üblichen Sieg des ‚Guten‘ rundet das Bild eines nicht tiefgründigen aber in den Grenzen seines Genres stimmigen, immer unterhaltsamen Romans ab. Dennoch merkwürdig mutet die Entscheidung der britischen „Crime Writers‘ Association“ an, dieses Buch 1993 mit einem „Last Laugh Dagger“ als humorvollsten Kriminalroman des Jahres auszuzeichnen.
Autor
Michael Pearce (*1933) wuchs im britisch beherrschten Sudan auf. Er verließ das Land nach einer Ausbildung zum Übersetzer, kehrte aber später als Lehrer dorthin zurück. Seine Kenntnis der russischen Sprache setzte Pearce während des Kalten Krieges für den militärischen Geheimdienst ein.
Herkunft und Berufserfahrung schlagen sich in der schriftstellerischen Karriere nieder. Pearce war bereits Mitte 50, als er seinen ersten Roman veröffentlichte. „The Mamur Zapt and the Return of the Carpet“ war gleichzeitig Start einer bis heute fortgesetzten Serie um den britischen Geheimpolizisten Gareth Owen im kolonialen Ägypten um 1900.
2004 begann Pearce eine zweite Reihe. Stets mit „A Dead Man in…“ beginnend, spielen die Abenteuer von Sandor Seymour, einem Officer in Scotland Yards 1883 gegründeter Special Branch, den das Außenministerium ruft, wenn es gilt, in der politisch turbulenten Ära vor dem I. Weltkrieg Verbrechen in Diplomatenkreisen aufzuklären.
Taschenbuch: 272 Seiten Originaltitel: The Mamur Zapt and the Spoils of Egypt (New York : HarperCollins Publishers Ltd. 1992) Übersetzt von Peter Pfaffinger http://www.randomhouse.de/diana
Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: (4 Stimmen, Durchschnitt: 1,50 von 5)
Boy, der Waisenjunge ohne Namen, assistiert seit vielen Jahren dem übellaunigen Illusionisten Valerian, in dessen Anwesen er eine winzige Kammer bewohnt und für den er auch außerhalb der Theaterarbeit rund um die Uhr im Dienst ist. Dessen missmutiges Temperament wird in letzter Zeit nur noch von seiner gedanklichen Abwesenheit und Unlust an der Bühnenarbeit übertroffen. Etwas bereitet dem alten Trickkünstler deutliche Sorgen, und da sein Herr eher jemand ist, der zum Frühstück rostige Eisennägel verspeisen könnte, muss der Quell dieses Übels etwas wahrhaft Schreckliches sein, mutmaßt Boy.
Als Valerian seinen vierzehnjährigen Leibsklaven – anders lässt es sich kaum betrachten – zwecks Informationsbeschaffung zu einem Agenten entsendet, dieser jedoch vor Boys Augen auf recht unheimliche Weise ermordet wird, beginnt einige wilde Aufregung in das triste und regengraue Dasein des Jungen Einzug zu halten oder besser gesagt über ihn hinwegzurollen. Auch der Theaterdirektor wird in der gleichen Nacht ums Leben gebracht und von Willow gefunden, einem Mädchen in Boys Alter, das des Jungen Schicksal in ähnlicher Weise als Bedienstete der exzentrischen Sängerin Madame Beauchance teilt. Willow und Boy geraten unter Mordverdacht und stante pede ins Gefängnis. Valerian befreit die beiden, verwendet dabei allerdings einen „Trick“, der in Boy den Verdacht aufkeimen lässt, dass die Magie des Alten wohl doch nicht nur aus Taschenspielereien besteht, sondern mehr dahinter steckt. Zudem: Warum sollte sein unangenehmer Herr und Meister ihn aus dieser misslichen Lage befreien, wo er sich doch sonst kein Deut um den Jungen scherrt? Etwas ist wohl faul im Staate Dänemark. Was sich da zusammenbraut, beunruhigt Valerian und damit Boy zutiefst, hat etwas mit dem Näherrücken der Silvesternacht zu tun, mit einem lang zurückliegenden dämonischen Pakt und mit dem mysteriösen „Buch der toten Tage“, hinter dem der Bühnenmagier ohne Rücksicht auf Verluste her ist.
So sind die vier Tage vor dem Jahreswechsel angefüllt mit einer wilden, atem- und schlaflosen Jagd nach diesem Buch. Friedhöfe, Verliese, Stadtwächter, ein verrückter Präparator, ein genialer Wissenschaftler und obskure Erfindungen, eine alte Kirche, vergessene Kanäle unter der Stadt und vielerlei Absonderliches mehr erwarten unsere Helden wider Willen in dem nun folgenden Abenteuer.
_Die Zeit der toten Tage_
Wintersonnenwende, Mittwinter, das Julfest, die Weihnachtszeit, Jahreswechsel – dieser Jahresabschnitt war in unserem Kulturraum bereits seit „heidnischen“ Zeiten von Tagen des Friedens, der Ruhe und der Familie geprägt. Alles fließt langsamer und befindet sich in einer Art von Zwischenstadium, von einem erwartungsvollen Zwielicht durchwirkt. Marcus Sedgwick beschreibt „die sonderbar stille Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr“ als „tote Tage – Tage, an denen die Türen zwischen unserer Welt und jener unsichtbaren, die gleich darunter liegt, geöffnet sind.“
Diese Stimmung und durchaus düstere Bilder waren für den früheren Buchhändler und Lektor, der nun seit 1994 Jugendromane verfasst und in England zu den Großen seiner Zunft zählt, der Ausgangspunkt für die gar abenteuerliche und gotisch-düstere Erzählung, die uns nun der |Hanser|-Verlag in deutscher Übersetzung angedeihen lässt. Inspiriert von Orten wie den Pariser und Krakauer Friedhöfen, Katakomben und Bolognas geheimnisvoller Kanalisation, entwirft Segwick das stimmungsvolle Bild einer fiktiven, organisch wirkenden Metropole, die zeitlich in einem Übergang zwischen Aberglaube und Magie auf der einen Seite und ersten Wissenschaften und Experimenten auf der anderen angesiedelt ist. Damit greift die gewählte Epoche die Ausgangsidee der toten Tage auch bildhaft auf. Alles bewegt sich in einem Zwischenraum, einem Übergang, ist zeitlos und schwer greifbar.
_Tage ohne Atempause_
In dieser Umgebung lässt der Autor ein wahres Gewitter an Ereignissen auf den jungen (oder jung gebliebenen) Leser einprasseln, dass dieser aus dem Staunen nicht mehr herauskommen mag. Die Kapiteleinteilung ist kurz und knackig, die Szenenwechsel erfolgen rasch. Verschnaufpausen gibt es kaum; die Geschichte nimmt uns in sich auf und entlässt uns erst wieder in die Wirklichkeit, wenn das letzte Rätsel gelüftet und die finalen Gefahren überstanden sind. Segwick ist dabei keineswegs zimperlich – für einen jugendlichen Leser mag so manche Situation und Begebenheit für wahrhaft schlaflose Nächte sorgen. So ist auch die Erzählweise ernsthaft und unheimlich genug, den erwachsenen Leser ausreichend zu fesseln. Humorige Elemente sucht man dagegen vergebens.
_Was dabei auf der Strecke bleibt_
Angesichts des Erzähltempos und der handlungsorientierten Geschichte bleibt allerdings einiges auf der Strecke. Zunächst hält der Autor sich sehr zurück, was atmosphärische Beschreibungen und Eindrücke der Umgebung angeht. Das rechte Bild will sich nur aufbauen, wenn man mit Lokalitäten, wie sie oben erwähnt wurden, durch eigene oder filmische Erfahrungen etwas vertraut ist. Ob man so viel stimmungsvolle Kopfarbeit von einem jugendlichen Leserkreis bereits freiweg erwarten kann, ist vielleicht bezweifelbar. Auch die Charakterausarbeitungen beschränken sich auf ein Minimum. Genauere Vorstellungen bekommt man nur von Valerian und Boy, aber auch sie bleiben schablonenhaft; ziemlich im luftleeren Raum existiert dagegen bereits Willow, deren Wesenszüge und Motivationen weitgehend unklar bleiben. Irgendwann kommt es beispielsweise zu wohl kaum vermeidbaren romantischen Aufwallungen gegenüber Boy, aber warum das so ist, wird nicht nachvollziehbar. Willow liebt Boy mit einem Schlage über alles und würde ihr Leben für ihn geben, und das müssen wir so hinnehmen, scheint’s. In dieser Art gäbe es noch einiges bei Randfiguren zu erwähnen, doch will ich es hierbei belassen.
Bei der Gelegenheit sei auch noch ein Wort zur Übersetzung verloren. Diese wirkt stellenweise recht unbeholfen und lässt sprachliches Feingefühl vermissen. Ein vergleichender Blick ins Original gibt seitenweise Anlass, sich zu wundern. Regional gefärbte Wendungen irritieren zusätzlich. Zwei Beispiele dazu, herausgegriffen von Seite 108: „Es kam sie alle hart an.“, „Willow war es fast schlecht geworden …“. Unsicherheiten bei den neuen Rechtschreibregelungen kommen hinzu. (Bleiben wir auf Seite 108: „zurück führen“ wird auch nach der Reform „zurückführen“ geschrieben.) In der Summe wird der Lesegenuss durch diese Schwachpunkte durchaus spürbar getrübt.
_… und was vom Tage übrig blieb_
Detail- und Feinarbeiten darf man letztlich im „Buch der toten Tage“ nicht erwarten, dafür aber eine spannende und dramaturgisch geschickt aufgebaute Abenteuergeschichte mit unheimlicher und düsterer Grundstimmung. Das, was man in schöner Aufmachung zwischen den Buchdeckeln präsentiert bekommt, weiß bis auf die deutsche Bearbeitung zu gefallen, aber zu einem wirklich erinnerungswürdigen Leseerlebnis fehlen noch einige handwerkliche Ingredienzien, wie eine glaubhafte Charakterzeichnung oder stimmungsvoll ausgearbeitete Bilder, die nicht zu viel der Fantasiearbeit des Lesers überlassen. Dennoch: Das Reinschmökern in verregneter und frostiger Witterungslage lohnt allemal und verspricht ein kurzweiliges Lesevergnügen, wenn man die literarische Erwartungshaltung nicht zu hoch ansetzt.
„Lysander“ ist der zweite Roman der Autorin Bettina Gundermann, Jahrgang 1969. Geboren wurde sie in Dortmund, den ersten Roman „Lines“ legte sie 2001 vor. Lysander heißt auch der Protagonist der Erzählung, in der Bettina Gundermann zuweilen die Atmosphäre eines Gruselmärchens verbreitet, die Rolle des bösen Wolfs übernimmt hier aber das Leben selbst.
Unterteilt wurde die 152-seitige Erzählung in zwei Kapitel. Das erste umfasst nur drei Seiten und schildert als Prolog die widrigen Umstände, unter denen der Protagonist in Form eines Antihelden das Licht der Welt erblickt. Mit „Lysander wurde im Dreck geboren“ wird der Roman begonnen, es folgen Sätze wie „Seine Mutter schwitzte, stank, japste und schrie“ oder „Sie sprach kein Wort zu ihrem Kind, sie trug es wie eine schwere Last, nicht einmal schaute sie ihr Baby an, überprüfte, ob noch Leben in ihm sei. Fast hätte sie es einfach fallen lassen auf ihrem Weg.“ Dem Säugling kommt von der ersten Minute seines Leben keine Liebe entgegen, versteckt im Wald gebärt die Mutter, will es am liebsten dort zurücklassen und zündet es schließlich an. Aber Lysander hat Glück, sollte man denken, denn er wird gerettet und zu einem kirchlichen Kinderheim gebracht.
Dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen, wird das Leben für das entstellte Kind zur Qual. Die Erzieherinnen wissen nicht mit ihm umzugehen, die anderen Kinder im Heim lachen es aus, vergraben es einmal sogar im Schnee. Lysander zieht sich in sich selbst zurück und lauscht der Melodie in seinem Kopf, die immer da ist, wenn es regnet. Als er geboren wurde, regnete es auch. Er versteckt sich tagsüber im Keller, spricht kaum, denn niemand spricht mit ihm.
Eines Tages reicht es dem gehänselten Kind und es rammt sich frustriert eine Gabel in die Stirn. Er überlebt unbeschadet, wird als Gefahr für sich und andere aber in ein Heim für psychisch gestörte Kinder überwiesen. Auch da lacht man ihn aus, außer Riccardo. Der ist „Hässlichkeit gewöhnt“ und wird zum besten und einzigen Freund Lysanders.
Die Freunde teilen ein gemeinsames Schicksal, sie haben beide im Spiel des Lebens verloren und keine Aussicht auf Besserung. Riccardo musste im Kindesalter mit ansehen, wie seiner Mutter Augen und Zunge aus dem Gesicht geschnitten wurden. Sie starb daran, der Vater wurde verrückt. Riccardo kommt zu einer neuen Familie, er entwickelt sich nach außen gut, seine neue Mutter ist stolz auf ihn, bis er auf einem Jahrmarkt das Feuer eröffnet und mehrere Menschen durch seine Hand sterben. Jetzt hat auch er niemanden mehr und muss ins Heim.
Als sie erwachsen sind, können sie das Heim verlassen. Lysander kommt ein Jahr vor seinem Freund raus. Der freute sich schon auf die Freiheit, Lysander hatte Angst vor ihr. Was will er auch damit? Andere Menschen haben Angst vor ihm. Bis Riccardo aus dem Heim entlassen wird, geht Lysander keinen Schritt vor die Tür, zeigt sich niemandem und überlebt nur durch die Vorfreude auf seinen einzigen Freund. Als der wieder da ist, geht es Lysander aber nur für kurze Zeit besser. Riccardo geht nach draußen, so oft wie es geht. Besorgt sich einen Job und viele Frauen, die seine innere Leere ausfüllen sollen. Dem Leser wird schnell klar, dass sie beide hässlich sind: Lysander von außen, Riccardo von innen.
Lysander fühlt sich schnell im Stich gelassen, ist trotz der Wohngemeinschaft mit Riccardo einsam. Der schenkt ihm schließlich ein Klavier, damit Lysander die Melodien in seinem Kopf spielen und Riccardo das Leben weiter in sich aufsaugen kann.
Bald kommt eine dritte Person ins Spiel. Kira liegt stark blutend auf der Straße, als sie Riccardo bei seinen nächtlichen Streifzügen findet und sich verliebt. In ihr sieht er etwas, das ihm helfen kann, die unsterbliche Leere seiner Seele zu füllen, die schwere Melancholie seiner selbst mit ihrer „Leichtigkeit“ zu füllen. Lysander zeigt sich ihr nicht, sorgt mit seinem berührenden Klavierspiel aber dafür, dass Kira sich in Riccardo, der das Spiel als das Seine ausgibt, unsterblich verliebt.
Sie heiraten, Lysander bleibt allen zurück. Er spielt nicht mehr auf dem Klavier, die Melodien kommen nicht mehr zu ihm, er vereinsamt abgeschnitten von der Außenwelt. Auch Riccardo geht es immer schlechter, Kiras Liebe kann ihn nicht vor Angst und düsteren Gedanken retten. Ein finsterer Schatten legt sich über beide und begleitet sie bis zum unvermeidbaren Ende.
„Lysander“ ist eine Geschichte von Menschen, die das Glück einfach nicht finden können und stattdessen in den eigenen Untergang marschieren. Es ist auch eine Geschichte, die den Leser mit ihrer schonungslosen Gestaltung überrollt. Sie überzieht den Leser mit ihrer kalten aber kurz vor dem Überschwappen stehenden Gefühlswelt. Die Sätze sind kurz und klar, beschönigen nichts und legen den Schmerz einer gefühllosen Welt offen, so dass ihn jeder sehen kann. Der allwissende Erzähler taucht nach Belieben in die Gedanken und Erinnerungen der Personen ein und gibt alles so wieder, als würde es ihn nicht berühren. Und so hat der Leser auch nach der Lektüre an diesem originellen wie auch hervorragenden Roman zu knabbern.
Mit der „Rückkehr des Tanzlehrers“ präsentiert uns Henning Mankell erstmals einen anderen Kriminalhelden, hier ermittelt kein Kurt Wallander mehr in Ystad, sondern ein gewisser Stefan Lindman aus Boras. Welcher Teufel mag Mankell geritten haben, als er sich Lindman ausdachte und damit viele Wallanderfans enttäuschte, denn der liebe Kurt hätte doch wirklich noch den einen oder anderen Fall lösen können, auch wenn er immer wieder von tiefen Zweifeln und Depressionen befallen wird. Aber genau das ist es doch, was wir an ihm lieben. Ob Lindman ihm da das Wasser reichen kann? Wir werden sehen …
Herbert Molin lebt nach seiner Pensionierung abgeschieden und versteckt in einem kleinen Häuschen am Waldesrand, nachts plagt ihn die Angst vor Schatten, sodass er sich die dunklen Stunden mit Puzzles und dem Tanz mit einer lebensgroßen Puppe vertreiben muss. Schlafen kann er nur tagsüber. Doch eines Nachts ist alles anders, sein Hund schlägt an und hört plötzlich auf zu bellen. Molin greift zur Schrotflinte und will den nächtlichen Besuch auskundschaften, aber dann werden schon sämtliche Fensterscheiben in seinem Haus zerschossen und er spürt Tränengas in seinen Augen. Sein Mörder ist gekommen und peitscht Molin eiskalt zu Tode …
Stefan Lindman ist jung, erst 37 Jahre alt und doch ist er schwer krank. Die Diagnose lautet „Zungenkrebs“ und trifft den Kriminalbeamten aus heiterem Himmel, dabei hatte er sich gar nichts dabei gedacht, als er den Knubbel in der Zunge erfühlt hat. Noch wenige Wochen bleiben ihm, bis er sich zur Strahlenbehandlung ins Krankenhaus einweisen lassen muss. Zunächst überlegt er, ob er spontan Urlaub auf Mallorca machen soll, hört dann aber, dass sein ehemaliger Kollege Herbert Molin brutal ermordet worden ist und so beschließt Lindman, stattdessen nach Härjedalen zu reisen, um sich dort ein wenig umzusehen und die Ermittlungen zu beobachten.
In Sveg angekommen, mischt Lindman sich schnell in die Ermittlungen ein, was vom leitenden Beamten Rundström gar nicht gern gesehen wird, doch macht Stefan wichtige Entdeckungen und kann dadurch den Fall vorantreiben. In Molins Nähe finden sich nämlich Zeltspuren von einer Person, die ihr Opfer zuvor genau ausspioniert hat, auch die Verbindung zu einer älteren Dame wird hergestellt. Elsa Berggren scheint der einzige Mensch zu sein, zu dem Molin neben seinem Nachbarn Abraham Andersson noch Kontakt hatte. Als Lindman in Berggrens Wohnung einbricht, findet er eine SS-Uniform und auch Molins Tagebuch legt eine Spur bis in die Zeit des zweiten Weltkrieges. Das Motiv für den Mord muss weit zurückliegen, doch dann geschieht ein weiterer Mord und alles gerät durcheinander …
Henning Mankell bleibt sich selbst treu, indem er seiner Geschichte einen Prolog vorschaltet. Als Einstieg in sein Buch wählt er einen historischen Ausflug in die Zeit des zweiten Weltkrieges, der Leser lernt hier einen Henker kennen, der speziell für zwölf Hinrichtungen nach Deutschland eingeflogen wird. Auch ein besonders grausamer Mann – Josef Lehmann – ist dabei, doch dessen Bruder konnte fliehen und somit seiner gerechten Strafe entkommen. Die Hinrichtungen gehen problemlos über die Bühne und der Henker kann nach Hause fliegen. Zunächst ergibt der Prolog im Kontext des Buches keinen Sinn, der Zusammenhang zu Herbert Molin fehlt völlig und man fragt sich einige Weile, was Mankell mit dieser Einleitung bezwecken wollte. Es ist klar, dass er hier schon Hinweise auf das Mordmotiv eingestreut hat, doch sind diese lange Zeit nicht zu deuten.
Nach dem kurzen Prolog springt Mankell ins Jahr 1999 und präsentiert seinen neuen Krimihelden, nämlich Stefan Lindman, und auch hier bedient er sich seines altbekannten Erfolgsrezeptes, denn was die Figur des Wallander ausmachte, waren unter anderem seine Zweifel und Fehler. Wallander wirkte authentisch durch seine Macken und Eigenarten und in ähnlicher Manier wird einem Stefan Lindman dargeboten, der sogleich mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat. Fast möchte er sich aufgeben und davonlaufen, auch seine Beziehung zu Elena steht auf der Kippe, da er spontan davonreist, ohne sie zu informieren. Lindman muss ständig an die bevorstehende Behandlung denken und verfällt immer wieder in Depressionen. Genau wie Wallander arbeitet er oftmals auf eigene Faust und zwar eher am Rande der Legalität. Lindman bricht heimlich in Häuser ein und mischt sich in einen Kriminalfall ein, der nicht in seiner Zuständigkeit liegt. Anfänglich musste ich mich beim Lesen dazu zwingen, in Lindman eine neue eigenständige Person zu sehen. Zu groß waren die Parallelen zu Wallander, zu sehr war ich an den guten alten Kurt gewöhnt. Doch im Laufe des Buches gewinnt Lindman immer mehr an Größe, er bekommt seine Zweifel in den Griff und nähert sich auch Elena wieder an, er will gegen seine Krankheit kämpfen und den Mord an Herbert Molin auflösen. Er gibt nicht auf, so schwer es ihm oftmals auch fällt. Als Leser wird er einem dadurch schließlich trotz der Vorbehalte sympathisch, man muss einfach mit ihm mitfiebern und das Beste für ihn hoffen.
Henning Mankell legt stets viel Wert auf seine Charakterzeichnungen, muss in diesem Buch allerdings wieder von vorne beginnen, keine bekannte Figur tritt auf, die lediglich weiterzuentwickeln ist, alle handelnden Charaktere müssen neu eingeführt werden. Neben Stefan Lindman liegt hier der Schwerpunkt auf seinem Kollegen Guiseppe Larsson, Herbert Molin und auch auf dem Mörder selbst. Besonders das Bild von Herbert Molin setzt sich erst nach und nach zusammen, im Laufe der Ermittlungen werden immer neue Informationen aufgedeckt, die schlussendlich ein ziemlich gutes Bild des Opfers ergeben, das in seiner Vergangenheit einige Leichen im Keller begraben hat.
Zwischendurch wechselt Henning Mankell häufiger die Perspektive. Während ein Handlungsstrang die Ermittlungen in Sveg verfolgt, widmet ein anderer sich dem Mörder Molins, der dem Leser hierdurch schon recht früh vorgestellt wird. Dennoch dauert es länger, bis man die Motive erahnen oder hinter die Fassade blicken kann, denn als der zweite Mord geschieht, gibt Mankell seinem Roman eine sehr interessante Wende, die zu überraschen weiß.
Im Grunde genommen fehlt uns nur ein typisches Mankell-Element, nämlich die eingebauten Cliffhanger, die die Spannung immer wieder ins Unermessliche steigern und den Leser an das Buch fesseln. Meist schafft Mankell dies durch den vergesslichen Wallander, der ahnt, dass er etwas Entscheidendes übersehen hat, den Gedanken aber nicht zu fassen bekommt. Ähnliche Anwandlungen hat auch Stefan Lindman, jedoch fällt ihm schließlich doch in jeder Situation ein, was er vergessen zu haben glaubte. So muss der Leser hier nicht mit zittrigen Fingern weiterblättern – immer in der Hoffnung, doch endlich erlöst zu werden und den entscheidenden Hinweis zu bekommen.
Die Cliffhanger hat Henning Mankell allerdings auch in der „Rückkehr des Tanzlehrers“ nicht nötig, da er seinen Spannungsbogen perfekt zu inszenieren weiß. Als Leser muss man nur den kurzen Prolog „überstehen“, schon ist man wie gewohnt mitten in der Handlung und wohnt einem grausigen Mord bei. Anschließend häufen sich schnell die Hinweise, die das Tatmotiv trotzdem arg im Dunkeln lassen. Geschickt platziert Mankell an den richtigen Stellen neue Informationen, die den Leser doch wieder in das Geschehen einbinden, weil man selbst aktiv am Miträseln ist ob des Motivs. Rein vom Kenntnisstand ist der Leser der Polizei an jeder Stelle voraus, da der Leser den Prolog aus dem zweiten Weltkrieg kennt und schnell dem Mörder und seinen Gedanken begegnet. Allerdings erfährt man erst spät genug über die Hintergründe, um die richtigen Schlüsse ziehen und das Geschehen durchschauen zu können. Meiner Meinung nach ist Mankell ein Meister des Spannungsbogens, denn keines seiner Bücher konnte ich zwischendurch leicht aus der Hand legen, spätestens ab der Mitte jedes Buches fühlt man sich fast schon gezwungen weiterzulesen, so musste ich auch bei diesem Kriminalroman die letzten 200 Seiten unbedingt am Stück lesen.
Sprachlich dagegen beschränkt Mankell sich auf das Minimum. Um seinen Roman rasant voranzutreiben, hält er sich nicht mit komplizierten Satzkonstruktionen auf, die das Lesen erschweren würden, auch seine Wortwahl ist stets einfach und klar. Nie ist man gezwungen, einen Satz zweimal zu lesen, weil er beim ersten Lesen nicht verständlich wäre. All dies führt dazu, dass Mankells Kriminalromane immer wieder zu einem großartigen Lesevergnügen werden, auch wenn man dem Autor sicherlich nicht bescheinigen kann, dass er ein großer Literat ist, die Sprache hat er nicht neu erfunden, er weiß aber hervorragend, sich ihrer mit relativ einfachen Mitteln zu bedienen. Genau so lieben wir das!
Doch die „Rückkehr des Tanzlehrers“ hat noch mehr zu bieten, denn Henning Mankell greift ein heißes Thema auf. Schon im Prolog reist man nach Deutschland und erlebt Hinrichtungen während des Zweiten Weltkrieges mit. Nicht lange lässt Mankell seine Leser im Unklaren darüber, dass sein Buch vom Nationalsozialismus handelt, früh entdeckt Lindman die SS-Uniform und liest in Molins Tagebuch von dessen Vergangenheit bei der Waffen-SS. Wieder einmal bedient Mankell sich eines brisanten Themas, das er kritisch betrachtet und zu dem er Stellung nimmt. Vermutlich findet Mankells Standpunkt sich in Stefan Lindman wieder, der es gar nicht glauben kann, dass es auch im Jahre 1999 Nazis in Schweden gibt und dass er ihnen nun so nahe kommt wie vielleicht nie zuvor. Lindman fragt sich, wie dies unentdeckt bleiben konnte und ob diese Untergrundorganisation Größeres plant. Er hat Angst vor möglichen Konsequenzen und kann das nationalsozialistische Gedankentum nicht annähernd nachvollziehen. Dass dieses Thema hochaktuell ist und nicht einfach vom Himmel fällt, hat sich erst im Herbst 2004 in Deutschland bei zwei Landtagswahlen gezeigt. Henning Mankell ist es immer wieder ein Anliegen, selbst seinen Unterhaltungsromanen eine Boschaft mitzugeben; dem treuen Leser ist es nicht neu, dass Mankell gesellschaftliche Missstände anklagt und offene Kritik übt. Gerade dies ist ein weiteres seiner Markenzeichen, das mir persönlich sehr gut gefällt, da der Leser hoffentlich zum eigenen Mitdenken angeregt wird.
Insgesamt ist Henning Mankell erneut ein hervorragender Kriminalroman geglückt, dessen Spannungsbogen sofort mitreißt und den Leser stets zum Mitraten animiert. Die Charakterzeichnungen fügen sich prima in das Gesamtbild des Buches ein, und Mankell schafft es, dass einem sogar Stefan Lindman sympathisch wird, der den allseits beliebten Kurt Wallander zwischenzeitlich verdrängt hat. Wieder einmal nimmt Mankell sich eines wichtigen Themas an, das er kritisiert und zu dem er offen Stellung bezieht; so trägt dieses Buch neben dem eigentlichen Kriminalfall eine Botschaft weiter, die den Leser zum Nachdenken bringen soll. Auch wenn das Buch außerhalb der Wallanderreihe entstanden ist, sind die typischen „Mankell-Merkmale“ enthalten, sodass jeder bisherige Fan auch mit diesem Buch höchst zufrieden sein dürfte. Darüber hinaus hat Mankell einen Namen in die Handlung eingestreut, der treuen Fans bekannt vorkommen dürfte. Trotz meiner kleinen Vorbehalte angesichts des neuen Krimihelden hat Mankell mich vollkommen überzeugt und erneut einen erstklassigen Krimi vorgelegt.
„Poolitzer“ is back in the ADL und zu Besuch bei seinen Freunden, dem Ex-Nega-Magier Xavier, dessen Geliebter, der hermetischen Magierin Cauldron, und dem Troll Ultra. Zufälligerweise treibt im Stuttgarter Raum gerade ein Serienmörder sein Unwesen, welcher den Modus Operandi berühmter Vorbilder wie Jack The Ripper (und anderer) akkurat imitiert. Gleichzeitig wird die Modeszene der Metropole durch Fememorde in Unruhe versetzt. Gospini wäre nicht Poolitzer, wenn er nicht eine große Story hinter dem Geschehen vermutete. Bedauerlicherweise fühlt sich sein Chummer Ultra dazu berufen, auf den Spuren seines großen Idols zu wandeln und selbst Journalist zu werden. Und so stürzt sich Serverin Timur Gospini in die Ermittlungsarbeit, im Schlepptau einen riesigen Troll in schrillem Outfit.
Doch wie immer sind ihm Glück und Zufall hold; diesmal in Person des Hypnotiseurs Guru Mahatma Citta aka Ranjit Felix Ficker II. Während einer Vorstellung ging ein Trick schief und dem Künstler kam ein hypnotisierter Zuschauer abhanden, welcher nun zu einem in Serie killenden Zeitgenossen mutiert sein könnte. Gut nur, dass Severin Timur Gospini so gute Kontakte zu den örtlichen Polizei-Behörden, vertreten durch den mittlerweile zum BKA beförderten Vigo Spengler, hat. Das sollte die Angelegenheit zu einem Spaziergang machen, … meint man.
Während die Reporter ihrer Arbeit nachgehen, haben Xavier und Cauldron andere Sorgen. Xavier geht es richtig mies, weil er seine Nega-Magie-Fähigkeiten eingebüßt hat und auch ansonsten körperlich unter den Nachwirkungen des letzten Abenteuers (in „Aeternitas“) leidet. Cauldron fühlt sich berufen, den Geist einer jungen Magierin vor der Vernichtung zu bewahren. Dazu bedarf es allerdings der Hilfe einer Todfeindin, der Gestaltwandlerin Abongi, welche selbst von einem äußerst mächtigen und bösartigen Elementar besessen ist (vgl. „Aeternitas“).
„05:58“ ist der fünfte Shadowrun-Roman von Markus Heitz, dessen belletristischer Output sich quantitativ mittlerweile mit dem anderer Vielschreiberlinge der deutschen Phantastik-Szene messen kann. Da sich Millionen von Fliegen nicht irren können, ist es auch der fünfte Band, in dem Severin Timur Gospini „Poolitzer“ sein enthüllungsjournalistisches Unwesen treiben darf. Ließen sich im vierten Teil, „Sturmvogel“, noch mit viel gutem Willen und nach mehreren Klaren gesellschaftskritische und politische Anspielungen ausmachen, so zeichnet sich „05:58“ durch eine triviale 08/15-Story aus. In wenigen Worten lässt sich diese Buch wie folgt kennzeichnen: Locker-flockig leichte Lesekost, routiniert zusammengeschrieben und so sättigend wie ein Papadam; „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“ in Buchform; magere Protagonisten in einer hanebüchenen Story; Atmosphäre, so fesselnd ist wie ein Werbeclip für Hühneraugenpflaster. Viele Leser – dieselben, die Wolfgang Hohlbein für einen begnadeten Literaten halten – werden dieses fade, deutsche Curry-Gericht lieben. Ich nicht!
Zu allererst vermisse ich das Spezifische und die Düsterheit des Backgrounds. Oberflächliche Bezüge – und mehr als das wird man kaum finden – machen noch keinen Shadowrun-Roman, ein bisschen Riggen, Decken (nein, nicht die Dame von nebenan) und Zaubern noch keine fesselnde Story, wobei es alleine Cauldrons „Auftritte“ sind, die dem Buch den zarten Hauch eines Dark-Science-Fantasy-Elementes verleihen.
Der Rest der Geschichte ist so austauschbar und beliebig wie die Protagonisten. Diese sind nicht mehr als Abziehbilder, leidlich animierte Strichmännchen, die sich verbal Sahnetorten ins Gesicht schmeißen. Zugegeben: Poolitzer und seine Chummer kennen wir schon aus den vorangegangenen Bänden und insofern brauchten sie keine sehr detaillierte Zeichnung, aber das entschuldigt nicht, sie bar jeglicher nachvollziehbarer Motivation durchs Bild taumeln zu lassen. Ich konnte weder die Beweggründe für Ultras vorübergehende Journalimus-Fixierung, noch Cauldrons helfende Zauberhand, Fickers Persönlichkeitsstörung oder das Handeln des Slashers nachvollziehen, denn auch hier begnügt sich Heitz mit oberflächlich konstruiert wirkenden Erklärungen, mit Trivialitäten wie beispielsweise einer juckenden Journalistennase oder obskuren Mutterinstinkten.
Das „Originelle“ in diesem Buch beschränkt sich auf zwei Story-Twists gegen Ende und einige vermeintlich lustige Namen, von denen „Fritz Ficker“ sehr schön den dumpfen, trashigen Humor des Autors (oder des Publikums?) illustriert.
Weniger wäre mehr gewesen! Weniger Protagonisten, weniger Handlungsstränge, weniger Oberflächlichkeit, weniger Zufälle. Stattdessen Konzentration auf das Wesentliche oder wenigstens auf irgendetwas, denn für sich genommen bietet jeder der Stränge ausreichend Potenzial für eine atmosphärisch dichte, glaubwürdige Geschichte. So aber ist „05:58“ einer der schwächsten Shadowrun-Romane der letzten Jahre.
Ein belangloser, uninspirierter Shadowrun-Roman, der zwar routiniert heruntergeschrieben wurde, den ich aber auf Grund der fehlenden Atmosphäre und der „soapigen“ Handlung guten Gewissens nicht einmal Shadowrun-Fans empfehlen kann. Wahrscheinlich werden sich aber genug Leser finden, die dieses Werk als gelungen ansehen. Schade!
_Frank Drehmel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|
„Voodoo Science“: Dieser wunderbare Begriff – im Deutschen nur unzulänglich mit „Fauler Zauber“ übersetzt – kennzeichnet ein Phänomen, das zwar so alt ist wie die menschliche Zivilisation selbst, aber erst in den letzten Jahrzehnten eine wahrhaft weltweite Dimension erreicht hat: Im Gewand der seriösen Wissenschaft erscheinen Scharlatane auf der Bildfläche und verheißen ihren Mitmenschen allerlei Wunder, die sie reich machen und ewig leben lassen werden. Doch hinter ihren aufregenden Versprechungen verbergen sich nur Dummheit, Selbsttäuschung oder gar Betrug. Sie täuschen nicht nur ihre Opfer mit oft traurigen Folgen, sondern fügen der Wissenschaft ernsten Schaden zu, indem sie ihren Ruf untergraben, ihr finanzielle Mittel und intellektuelle Kapazitäten entziehen und somit den echten Fortschritt verhindern. (Achtung: Ich warne gleich – Ihr Rezensent ist zwar dem Neuen gegenüber durchaus aufgeschlossen, reagiert aber trotzdem allergisch auf Maté-Tee & Sandelholz und zieht bei Grippe einen ordentlich Antibiotika-Stoß jedem Stussmorchel-Sud vor.)
Der Autor
Robert Park war bis 1981 ein Rädchen im Gefüge der Naturwissenschaften, die herauszufinden versuchen, wie die Welt tickt, in der wir leben. Obwohl er sich gut aufgehoben fühlte im Schoße der Forschung, war er kein weltfremder Reagenzglas-Schwenker, sondern durchaus vertraut mit der Realität außerhalb des Labors, die geprägt wurde von einem Werteverfall, der nicht nur das Ansehen der Wissenschaft, sondern sogar ihre Existenz bedrohte. Mittel wurden gekürzt, Forschung war „out“ und wurde besonders im Umfeld einer erstarkenden Umweltbewegung (gut) und eines anschwellenden „New Age“-Gewabers (ganz, ganz übel) geradezu verteufelt.
Statt sich in den Schmollwinkel zurückzuziehen, trat die Wissenschaft die Flucht nach vorn an – und das bedeutete schon 1981, die Medien und damit die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen. So sah sich Professor Park schließlich in Washington, der Schaltzentrale der Macht in den USA, wo er dem neu gegründeten Büro für Öffentlichkeitsarbeit der „American Physical Society“ vorstand. Nur ein Jahr wollte er eigentlich bleiben – es wurden zwei Jahrzehnte daraus. Park gibt selbst offen zu, dass er, der sich bis dato mit der „Molekularstruktur kristalliner Oberflächen“ beschäftigt hatte, den aufregenden Alltag an der Publicityfront nicht mehr missen mochte. Zu wichtig ist ihm außerdem der Kampf gegen Voodoo Science, dem er sich inzwischen verschrieben hat.
Inhalt
In zehn Kapiteln öffnet Park sein Gruselkabinett des Pseudo-Wissens, das manchmal erheitert, noch öfter allerdings erschreckt, weil so mancher Mosaikstein, den der Leser fest ins Gefüge seines Weltbildes zementiert hat, ins Bröckeln gerät. In welchem Maße wir alle uns manipulieren lassen und Opfer von Voodoo Science werden, ohne uns dessen bewusst zu sein – das ist schon eine deprimierende Erfahrung!
„Wie Voodoo Science verpackt wird“ belegt die alte Weisheit, dass sich seit den Tagen der Marktschreier & Rosstäuscher eines nicht geändert hat: Die meisten Menschen glauben dem am liebsten, der ihnen etwas erzählt, das sie hören möchten und sich dabei möglichst kurz fasst. Komplexe Erklärungen und Erläuterungen sind aber nicht nur dem Pöbel, sondern auch viel beschäftigten Politikern, (scheinbar) kühlköpfigen Geschäftsleuten und vor allem den Medien ein Gräuel. Davon profitieren seit jeher Betrüger, denen es bis auf den heutigen Tag immer wieder gelingt, zahlende Anhänger der eierlegenden Wollmilchsau, des Perpetuum Mobiles oder der „kalten“ Kernfusion zu gewinnen.
In „Das Gen des Glaubens – Die Strategien der Wissenschaft zur Wahrheitsfindung“ macht Park die Schwierigkeiten deutlich, vor denen umgekehrt die Wissenschaft steht, wenn sie – konfrontiert mit angeblichen Wundern, die clevere Köpfe ohne Schlaumeier-Diplom kreiert haben – quasi mit einem auf den Rücken gebundenen Arm erläutern muss, wieso trotzdem nicht ist, was naturgesetzlich nicht sein kann. Nach wie vor funktioniert der Fortschritt primär so: „Wissenschaft ist der systematische Versuch, möglichst viel Wissen über die Welt zu sammeln und dieses Wissen durch überprüfbare Gesetze und Theorien umzusetzen.“ (S. 53) Das ist in der Regel ein mühsamer, langwieriger und vor allem langweiliger Weg, denn „1. Neue Gesetze und Ergebnisse müssen zur unabhängigen Überprüfung durch andere Wissenschaftler freigegeben werden“, und „2. Anerkannte Fakten und Theorien müssen aufgrund neuer, verlässlicher Einsichten korrigiert werden.“ (S. 54) So und nicht anders ist die Prozedur, doch sie ist unbeliebt in einer Gesellschaft, die über den Geldbeutel denkt bzw. lieber dem Herzen (oder dem Bauch) folgt als dem Hirn: „Der Glaube an etwas, das jeglicher Vernunft zuwiderläuft, wird als Standfestigkeit und Courage interpretiert, während Skepsis zumeist als Zynismus einer schwachen Persönlichkeit angesehen wird.“ (S. 51) Hinzu tritt das übliche Misstrauen gegen „die da oben“, die sich hinter schwer verständlichen Worten und weißen Kitteln verbergen und den einfachen und daher redlichen Mann um sein schwer verdientes Geld bringen wollen.
Wie besagter Mann (und natürlich auch die Frau) sich auf diese Weise erst recht übers Ohr hauen lässt, verdeutlicht Park im Kapitel „Placebos haben Nebenwirkungen, die Menschen zur ‚Naturmedizin‘ bringen“. Hier dürfte ihm die Aufmerksamkeit seiner Leser – Freunde wie Feinde – sicher sein, ist die Homöopathie doch eine regelrechte Industrie mit Milliardenumsätzen. Welche Mechanismen ausgefeilten Schwachsinns es möglich machen, den gesunden Menschenverstand davon zu überzeugen, dass ein Tropfen Schlangenöl in drei Millionen Litern „erinnerungsfähigen“ Wassers ein unfehlbares „Heilmittel“ erzeugen, stellt der Verfasser ebenso knapp wie drastisch vor.
Mit „Der virtuelle Astronaut lässt die Menschen von künstlichen Welten träumen“ wird sich Park ebenfalls keine Freunde schaffen. In den USA ist er in Raumfahrtkreisen schon lange gefürchtet und verhasst für seine (gut begründete, aber halt unromantische) These, dass der Mensch im Weltraum nichts verloren habe, da er dort rein gar nichts ausrichte, das hoch entwickelte Roboter und Sonden nicht sehr viel besser erledigen können.
„Wir brauchen endlich ein Gesetz gegen die Thermodynamik“ umschreibt ironisch den Zorn der Pseudo-Wissenschaftler und ihrer Anhänger angesichts der Tatsache, dass es manchmal eben doch Kontrollinstanzen und sogar Gesetze gibt, die Deppenfang und Sektierertum und die damit verbundenen Verdienstmöglichkeiten ärgerlich einschränken.
„Perpetuum Mobile – Der Menschheitstraum von frei verfügbarer Energie“ wird auch im 21. Jahrhundert mit derselben Inbrunst geträumt wie im Mittelalter. Die Konzepte für eine sich selbst in Gang haltende Maschine mögen zwar moderner anmuten, doch die Negierung der Naturgesetze und der inbrünstige Glaube von Menschen, die es eigentlich besser wissen müssten, an das Unmögliche sind klassische Größen, auf die sich Voodoo Science stets verlassen kann.
„Der Strom der Angst – Verursachen Hochspannungsleitungen Krebs?“ – Eine Mode-Furcht der jüngsten Vergangenheit, geboren aus Irrtümern, entwickelt von Toren und am Leben gehalten von skrupellosen Möchtegern-Forschern zum Erhalt von Fördergeldern und Arbeitsplätzen – und von jenen unverbesserlichen Predigern, die davon überzeugt sind, dass aller technischer Fortschritt letztlich von Übel ist und den Tag förmlich herbeisehnen, an dem sich Mutter Erde gegen ihre unverfrorenen Mieter wendet.
In „Am Tag des Jüngsten Gerichts wird die Pseudowissenschaft angeklagt“ beschreibt Park die infame Verbindung zwischen Voodoo Science, ihren verblendeten Opfern und opportunistischen Anwälten, die besonders in den USA die Eigenheiten eines Rechtssystems, das zwölf geistig möglichst schlichten Bürgern ein verbindliches Urteil selbst in hochkomplexen Tatbeständen zubilligt, eiskalt ausnutzen, um profitable Klage gegen die Naturgesetze zu führen.
„Nur Pilze wachsen im Dunkeln – und geheimgehaltene Voodoo Science“ – und natürlich ihre vielleicht hartnäckigsten Jünger: die UFO-Gläubigen, deren Adel jene Zeitgenossen bilden, an denen wissbegierige Außerirdische geni(t)alische Experimente vornahmen. Am Beispiel des „Untertassen-Absturzes“ von Roswell 1947 zeigt Park die absurden Automatismen auf, die ein Geheimnis oder eine Verschwörung genau dort am besten gedeihen lassen, wo keinerlei handfeste Beweise existieren.
„Wie seltsam ist das Universum? Wie alter Aberglaube als Pseudowissenschaft wiedergeboren wird“ markiert Parks fast hilflosen Versuch, noch einmal sachlich zu erklären, wieso die Sterne nicht den geringsten Einfluss auf die Menschen nehmen und Astrologie reiner Humbug ist. Aber gegen Dummheit kämpfen selbst die Götter vergebens, lautet ein altes Sprichwort, und Park ist klug genug, diesen Faktor in seine Darstellung einzubeziehen.
Bücher wie dieses sind rar: kundig recherchiert, klug gegliedert, ebenso informativ wie unterhaltsam in Worte gegossen. Menschen wie Robert Park verdanken wir es, dass ein frischer Wind durch unsere Hirne weht, der so manche Spinnweben davonbläst. Natürlich werden dies nur jene zu schätzen wissen, die sich im Vollbesitz jenes zarten Pflänzchens wissen, das wir den gesunden Menschenverstand nennen. Park selbst weist resignierend darauf hin, dass er diejenigen Zeitgenossen, denen ein wenig Nachhilfe in Sachen Vernunft und Objektivität bitter Not täte, wohl nicht erreichen wird. Er erinnert an den Verschwörungs-Fetischisten Fox Mulder, in dessen Büro ein Poster mit der Aufschrift „I want to believe“ hängt. Es ist nicht ohne Grund im realen Leben ein unerhörter Verkaufsschlager geworden, denn es spricht ein Grundbedürfnis des Menschen an: In einer zunehmend konformen, globalisierten, kommerzialisierten Welt bietet Voodoo Science ein willkommenes Hintertürchen, der schnöden Realität zu entfliehen. Da gleichzeitig nicht nur die Schere zwischen Reich und Arm, sondern auch die zwischen Wissen und Ignoranz immer weiter klafft, gewinnen die Pseudo-Wissenschaften weitere Anhänger. Sie bieten einfache Lösungen für komplexe Fragen an, die immer weniger Menschen verstehen können – oder wollen. So beginnt der schlichte Glaube das Wissen, das man sich nun einmal erarbeiten muss, zu verdrängen – mit verhängnisvollen Folgen.
Dankbar muss man Park auch für seine offenen Worte zur Verteidigung der Wissenschaft sein. Heutzutage neigt man als Mitglied dieser scheinbar so elitären Kaste, der indes Menschen wie du und ich angehören, sehr oft dazu, sich selbst klein zu machen, sein Wissen zu verbergen und sich quasi dafür zu entschuldigen, von gewissen Dingen mehr zu verstehen als seine Zeitgenossen. Park stellt klar, dass dies der falsche Weg ist, der nur der Voodoo Science in die Hände spielt. Er findet damit die Zustimmung Ihres Rezensenten, der schon lange fest davon überzeugt ist, dass echte, unverfälschte und unheilbare Dummheit eigentlich selten ist, während Unwissenheit häufiger vorkommt, aber keine Schande ist – es sei denn, sie ginge einher mit der aus Faulheit geborenen Weigerung etwas zu lernen. (Das Talent, Geld zu scheffeln, gilt nach dieser Definition übrigens nicht zwangsläufig als Indiz für Intelligenz.) Park bietet diese Chance zum Lernen und zum Überdenken; in der Einleitung gibt er bekannt, dass er sich nicht in Expertendunst hüllen, sondern in klaren Worten die Dinge beim Namen nennen möchte. Er hält sich daran und zerstört damit womöglich manchen Traum – ein Preis, den man (trotz der nach Ansicht fachlich kundigerer Kritiker mäßigen, weil diverse Fachtermini falsch oder missverständlich wiedergebenden Übersetzung) gern zahlt, weil man den wahren Lumpen dieser Welt nach der Lektüre nicht mehr gar zu leicht auf den Leim kriecht!
Taschenbuch: 255 Seiten
ISBN-13: 978-3203810058
Europa
Die deutsche Autorin Elke Loewe aus Hüll an der Niederelbe machte sich in den letzten Jahren einen Namen im Kriminal- und Historiengenre und veröffentlicht nun mit „Engelstrompete“ den dritten Roman, der sich um das Geschehen in dem fiktiven Dörflein Augustenfleth und die Erlebnisse Valerie Blooms rankt. Fans der Serie sei versichert, dass dies sicherlich nicht der letzte Roman aus Augustenfleth war, denn noch immer ist das Geheimnis um Tante Robbies Tod nicht aufgeklärt, da der dubiose Dorfarzt weiterhin untergetaucht ist …
Zur Zeit des Schützenfestes platzt in das friedliche Idyll der kleinen Deichstadt Augustenfleth der Tod des Pfarrers Jonny Sonnenberg. Die kleine Lilly ist es, die den Pastor tot in der Kirche findet und schreiend mit dieser neuen Information durch Augustenfleth läuft. Zuerst trifft sie auf Valerie Bloom, die den Abend mit ihrem Nachbarn „Taxi-Enno“ verbringt, der auch sogleich in die Kirche eilt, um nachzusehen, ob er noch erste Hilfe leisten und den Pfarrer retten kann. Schnell spricht sich dieses Unglück in der Kleinstadt herum, sodass die Einwohner höchstpersönlich in der Kirche nach dem Rechten sehen wollen.
Der neue Arzt im Dorf diagnostiziert schnell einen natürlichen Tod duch Herzversagen, doch das kann keiner so recht glauben, auch wenn Sonnenberg ein ungesundes Leben geführt hat, denn er war noch jung und sah vor seinem Tod ganz gesund aus. Die Gerüchte gehen also um in Augustenfleth und schnell werden erste Verdachte geäußert. Auch Jonny Sonnenberg wird posthum Opfer von Mutmaßungen und Verdächtigungen. Vor seinem Tod lebte er sehr zurückgezogen und hatte kaum Kontakt zu seinen Gemeindemitgliedern, nur den Kindergottesdienst führte er stets mit besonderer Sorgfalt durch. Kann es vielleicht einen Grund für einen Selbstmord gegeben haben? Oder ist er gar ermordet worden?
Die Augustenflether scheinen es zu glauben und haben in Enno auch schnell einen potenziellen Mörder gefunden, da dieser sich einige Zeit zuvor skeptisch über Sonnenberg geäußert hatte. Enno, der sich viele Freiheiten herausnimmt und beruflich als Taxifahrer arbeitet, muss schnell feststellen, dass seine Nachbarn zu harten Bandagen greifen, denn die Reifen seines Taxis werden durchstochen und eines Tages liegt sogar eine tote Ratte auf seinem Autodach. Wer will ihm hier etwas anhängen? Besonders seine Nachbarin Valerie aus München möchte wissen, was hinter Jonny Sonnenbergs Tod steckt. Was ist wirklich passiert in Augustenfleth? Ihr detektivisches Gespür ist geweckt.
Zunächst zeichnet Elke Loewe ein friedliches dörfliches Idyll der kleinen fiktiven Stadt Augustenfleth an der Elbe, die Schwalben bauen ihre Nester und beobachten die Dorfbewohner bei ihrem alltäglichen Leben. Alles ist still und friedvoll, Valerie lässt sich von Enno über Blumen und besonders die Engelstrompete belehren. In diese ruhige Szenerie platzt die kleine Lilly und verkündet lautstark, dass sie den Pfarrer tot in der Kirche hat liegen sehen. Schnell ist es vorbei mit der friedlichen Stille, denn es dauert nicht lange, bis die Augustenflether über die wahren Hintergründe des Todes oder auch Mordes anfangen zu spekulieren. Sonnenberg war ihnen nie ganz geheuer, da er viel zu zurückgezogen für einen Gemeindepfarrer lebte; kaum jemand wusste Genaueres über ihn. So sind die Einwohner des kleinen Dorfes mit Klatsch und Tratsch schnell bei der Hand, besonders Enno rückt bald in den Mittelpunkt der Verdächtigungen.
Im Mittelpunkt des Buches steht wie in den beiden Vorgängerkrimis („Die Rosenbowle“ und „Herbstprinz“) erneut Valerie Bloom, die nach dem Tod ihrer Tante Robbie deren Bauernkate bewohnt und vom geerbten Geld lebt. Erst seit drei Jahren wohnt Valerie in Augustenfleth und ist daher noch nicht vollkommen in den Dorfklatsch involviert, die meisten Einwohner deuten ihr gegenüber daher stets nur ihre Zweifel an, halten sich mit Informationen aber zurück. Valerie wird immer misstrauischer, da sich zudem Enno immer merkwürdiger verhält, doch kommt sie in ihren Nachforschungen kaum voran. Besonders am Anfang kam mir der Gedanke an Miss Marple, da Valerie ähnlich wie die Grande Dame der Krimihelden unentwegt versucht, hinter die Geheimnisse des Mordes zu blicken und dabei in jeder Situation überaus neugierig agiert.
Elke Loewe schafft es dabei, zunächst ein eindrucksvolles Bild der Landschaft und Idylle von Augustenfleth zu entwerfen, um es sogleich zu zerstören durch das hereinbrechende Unglück und Misstrauen der Dorfbewohner. Ganz unterschwellig werden Verdächtigungen ausgesprochen und Nachbarn bedroht, die Atmosphäre wird immer geladener, was nicht nur an den Unwettern liegt, die zeitweise über die Elbe herüberkommen. Im Verlauf des Romans wird nur ganz allmählich Spannung aufgebaut; so geht es erst ruhiger zu, nachdem Sonnenbergs Leiche entdeckt ist. Hier nimmt sich Loewe viel Zeit, um ihre Hauptfigur Valerie Bloom weiterzuentwickeln. Im Laufe des kurzen Buches lernen wir Valerie von vielen Seiten kennen, wir durchleben ihre Angst angesichts ihrer ungewissen Zukunft mit, ihre Zweifel in Bezug auf ihren selbst geschriebenen heiteren Frauenroman und auch die Zweifel in Bezug auf Jonny Sonnenberg und seinen angeblich natürlichen Tod. In jeder Situation ist Valerie dabei, der Leser verlässt sie nie, sodass Valerie zu einer richtigen Freundin wird.
Sämtliche Figuren wirken wir aus dem wirklichen Leben gegriffen und erscheinen völlig glaubwürdig So plagen Valerie wie viele andere junge Frauen ganz normale Selbstzweifel in Anbetracht einer eher ungewissen Zukunft. Valerie Bloom weiß nicht, was sie vom Leben erwarten soll und wo sie einmal hinmöchte; der Leser erlebt all diese Gefühlsregungen hautnah mit und kann sie verstehen und sogar nachvollziehen. Aber auch die restlichen Dorfbewohner werden mit alltäglichen Macken und Sorgen vorgestellt, selbst der typische Dorfklatsch darf hier nicht fehlen. So gefielen nicht nur die Charakterzeichnungen ausgezeichnet, sondern auch die Schilderung der gesamten Szenerie und all der handelnden Personen, auch wenn aufgrund des geringen Buchumfangs natürlich nicht jeder einzelne Mensch ausführlich hervorgehoben werden konnte.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt auch auf der detaillierten Beschreibung sämtlicher Pflanzen und Blumen. Allerlei Blüten finden Erwähnung, und wenn Enno von seinen Pflanzenzüchtungen schwärmt, wird auch der Leser mit diversem Hintergrundwissen über Botanik gefüttert. Für Laien wie mich gehen diese pflanzenkundlichen Erörterungen allerdings an mancher Stelle zu weit, da mir die Historie der Engelstrompete (Brugmansia arborea) und der Unterschied zwischen Brugmansia und Datura eher nebensächtlich erschienen und die Handlung an sich nicht vorantrieben. Nebenbei entsteht durch den Detailreichtum ein immer besseres Bild von Augustenfleth, sodass der Leser sich direkt in die Deichlandschaft versetzt fühlt und hautnah dabei ist.
Über weite Strecken des Buches plätschert die Handlung allerdings nur vor sich hin, da Elke Loewe sich mit näheren Charakterbeschreibungen und Schilderungen der Szenerie im kleinen Dorf zu sehr aufhält. Die Spannung bleibt dabei ein wenig auf der Strecke, denn lange Zeit passiert nichts, das die Handlung vorantreiben könnte. Immer wieder werden unter der Hand die gleichen Verdachtsmomente geäußert, sodass die Geschichte auf fast 200 Seiten nicht recht ins Rollen kommen will. Dem Leser werden dabei genug Informationen an die Hand gegeben, um selbst Mutmaßungen über ein mögliches Mordmotiv anstellen zu können. Schnell scheint klar, was der Pfarrer Sonnenberg zu verbergen hatte. Leider verrät der Klappentext aber im Grunde genommen schon alles, was überhaupt aufgedeckt wird. Für Krimi-ungeübte Leser mag das Ende überraschend kommen, doch wenn man ehrlich zu sich selbst ist, war dies das einzig sinnvolle Ende überhaupt, das einem nicht viel mehr entlocken konnte als ein leichtes Lächeln auf den Lippen und dem Gefühl, es selbst doch schon lange geahnt zu haben. Darüber hinaus streut Elke Loewe nebenbei viele Hinweise ein, die den wahren Täter eindeutig entlarven können, wenn man die richtigen Schlüsse zieht. Ein Mitraten wird hierdurch also ermöglicht, was das Buch doch wieder lesenswert und interessant macht, da man sich als Leser eingebunden fühlt und am Ende keine hanebüchene Auflösung erfahren muss, die vom Himmel fällt.
Es hätte nicht viel gefehlt, um das Buch zu etwas ganz Besonderem zu machen, da die Schilderungen sehr sympathisch und gelungen sind, doch fehlen typische Elemente, die in einem Kriminalroman die Spannung aufrecht erhalten und aufbauen. Um überhaupt Nervenkitzel und Spannung zu empfinden, sollte man vor Lektüre des Buches tunlichst den Klappentext übersehen, da er fast alles verrät, was im Buch passieren wird. Sprachlich gefällt „Engelstrompete“ sehr gut, oftmals merkt man durch die spezielle Wortwahl, dass eine deutsche Autorin am Werke war und kein Übersetzer, der einen fremdsprachigen Text in die eigene Sprache übertragen musste. Elke Loewe hat ein nettes Buch mit glaubwürdigen Charakteren in einer hübschen kleinen Dorfidylle geschaffen, das durchaus zu unterhalten weiß. Doch kann es sich nicht mit Kriminalromanen à la Henning Mankell messen, da Spannung und Grusel etwas zu kurz kommen, fast könnte man das Buch trotz des Todesfalles als „niedlich“ bezeichnen. Mir persönlich sind die Augustenflether dennoch so ans Herz gewachsen, dass ich nun trotz schleppenden Spannungsbogens auch die anderen beiden Bücher über Valerie Bloom lesen werde. Zu einer uneingeschränkten Lobeshymne reicht es jedoch leider nicht aus.
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