
Thomas Ligotti – Das Alptraum-Netzwerk (Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek Band 2)

Oder kündigt die Etikettierung dunkle Ironie an?
Alles trifft zu. Die Wirtschaftsabläufe, deren Abbild den äußeren Rahmen für das Schicksal der Protagonisten Ligottis und zugleich für die philosophischen Betrachtungen des Autors liefert, sind eine der Manifestationen des absolut … Bösen(??). Bei aller Düsternis dieser Darstellung vermisst man aber auch den sprichwörtlichen schwarzen Humor nicht; und, ja, Ligotti zeigt Menschen, die unter ihrem Büro-Alltag leiden, Angehörige der Mittelklasse, die aufgefressen werden von Status- und Karrieredenken, vom täglichen Konkurrenzkampf und der täglichen Sinnlosigkeit.
MacLachlan Gray, John – menschliche Dämon, Der
Recht mutig und reißerisch verkündet der Buchrücken von John MacLachlan Grays Debütroman ein Werk, das packend ist wie Caleb Carr und atmosphärisch wie Süskinds „Parfüm“ und hängt die Messlatte für den „menschlichen Dämon“ damit verdammt hoch. So zählt „Das Parfüm“ von Patrick Süskind für mich doch zu den spannendsten und erfreulichsten Schullektüren überhaupt, die den Leser in eine völlig fremde, geheimnisvolle und gefährliche Epoche versetzt. Zu Beginn kämpften bei mir daher die hohe Erwartung angesichts eines atmosphärisch überzeugenden Buches und eine gesunde Skepsis gegeneinander – wollen wir uns ansehen, welche Seite am Ende gewonnen hat …
John MacLachlan Gray versetzt seine Leser in das London des Jahres 1852, in welchem ein Frauenmörder umgeht, der seine Opfer zunächst mit einem teuren Schal erdrosselt und anschließend ihr Gesicht entstellt. Schon früh ist ein Verdächtiger gefunden, der sogleich ins berüchtigte Gefängnis Newgate gesteckt wird, um dort auf seine Hinrichtung zu warten. Der Korrespondent des „Falcon“ Edmund Whitty ist als Berichterstatter immer zugegen, wenn jemand hingerichtet wird und erzählt schließlich aus erster Hand von seinen Erlebnissen. Doch plagen ihn insgeheim große Sorgen, denn sein Alkohol- und Drogenkonsum haben erschreckende Ausmaße angenommen, sodass Whitty sich nur schwer seiner Gläubiger entziehen kann, die ihm an Geld und Wäsche wollen. Oftmals muss er darüber hinaus morgens feststellen, dass er sich nicht mehr an die Ereignisse des vergangenen Abends und der letzten Nacht erinnern kann.
In einem Zeitungsartikel greift Whitty offen und schonungslos den Schriftsteller Henry Owler an, der daraufhin beschließt, seinem Widersacher einen gehörigen Schrecken einzujagen, indem er ihn ins gefährliche Holy Land entführt, in welchem sich düstere Gestalten herumtreiben; außerdem will er Whitty beweisen, dass er mit seinen Vermutungen Recht behält. Gemeinsam suchen die beiden Männer das Newgate-Gefängnis auf, um dort William Ryan zu treffen, der als beschuldigter Frauenmörder im Gefängnis sitzt, jedoch seine Unschuld beteuert. Recht bald kommt Edmund Whitty zu dem Schluss, dass Ryan wohl doch richtig liegt und sich der wahre Mörder noch frei in London bewegt und weiterhin morden kann. Kurz nachdem Ryan schwer verletzt aus dem Gefängnis fliehen kann, wird eine weitere Frauenleiche gefunden, die aber zu einer Zeit ermordet wurde, als Ryan noch in Gefangenschaft war. Die Suche nach dem wahren Mörder geht also weiter.
Nebenbei begleitet der Leser einige weitere Figuren auf dem Weg durch ein düsteres London, wir erfahren etwas über die Liebesverstrickungen zweier Männer und lernen mehr über Whitty und Owler. Als Owlers schöne und lebenslustige Ziehtochter Dorcas ermordet wird, beschließt seine Tochter Phoebe, den Mörder zu suchen und ihm eine Falle zu stellen. Doch wird sie dem menschlichen Dämon entkommen können?
Schon von der ersten Seite an taucht der Leser in eine fremdartige und bedrohliche Welt ein; John MacLachlan Gray wählt hierbei den Zeitungsartikel über eine Hinrichtung als Einstieg in sein düsteres Buch. Auch der Hauptfigur Edmund Whitty, die im Zentrum des Buches steht, begegnet der Leser im ersten Kapitel. Die Eröffnung macht daher sofort klar, worum es geht, worauf der Leser sich einzustellen hat und dass man nicht allzu furchtsam sein sollte für die Lektüre dieses Buches. Lange dauert es allerdings, bis man erkennt, worauf die Erzählung abzielt. Gray eröffnet viele verschiedene Handlungsstränge und stellt immer mehr Figuren vor, von denen man anfangs nicht weiß, ob sie eine Rolle spielen werden und wenn ja, welche. Abwechselnd baut der Autor seine Handlungsebenen weiter aus und lässt einige Personen von einem Handlungsstrang in einen anderen wechseln, sodass manche Figuren als Bindeglied fungieren. Das Buch beginnt komplex, etwas schwerfällig und ohne einen rechten roten Faden. Erst ein Blick auf den Klappentext auf der Innenseite des Buchdeckels hilft hier etwas weiter und erklärt dem Leser, worauf dies alles hinauslaufen soll. Gerade zu Beginn lässt sich Gray viel Zeit, um seine Geschichte zu entwickeln und die handelnden Charaktere vorzustellen; hier hätte ich mir etwas mehr Tempo gewünscht und eine zielgerichtetere Erzählweise, die den Leser nicht so lange im Dunkeln hätte tappen lassen.
Bei der Betrachtung der Sprache und verwendeten Stilmittel ist zunächst der Einsatz von Zeitungsartikeln in dem ansonsten aus einer neutralen Beobachterperspektive geschriebenen Buch auffällig. Die Zeitungsberichte entstammen entweder der Feder Edmund Whittys oder der eines seiner Kollegen beziehungsweise Konkurrenten und sind durchweg in der Ich-Form geschrieben. Die Artikel sprechen dabei ihre Leser direkt an und berichten in offener Weise von den Erlebnissen des Korrespondenten und seinen Gefühlen und Meinungen. Recht deutlich wird hierbei Grays Versuch, seinen Roman in einer Sprache zu verfassen, die dem 19. Jahrhundert entstammen könnte. Die meisten Sätze sind lang, kompliziert und verschachtelt, Gray offenbart eine Liebe zum Komma und zum Nebensatz, wie man sie selten zu lesen bekommt. Sein Buch ist daher nicht wirklich leicht und flüssig zu lesen, sondern erfordert ein hohes Maß an Konzentration. Ursprünglich wollte ich den menschlichen Dämon auf einer Zugfahrt weiterlesen, habe mir dann allerdings doch bald überlegt, leichtere Kost einzupacken. Auch Metaphern und Adjektive werden in geradezu verschwenderischer Weise benutzt, sodass Grays Sätze regelrecht aufgebläht werden. An manchen Stellen spielt der Autor den Poeten und beschreibt den Nebel und seine Konsistenz in dermaßen übertriebenen Bildern, dass seine Worte leider schon schwafelig anmuten. Dem Leser wird es dabei unnötig erschwert, die wichtigen Informationen und die eigentliche Geschichte in diesem Wust an Sprache wiederzuentdecken.
Die Erzählung schleppt sich daher an vielen Stellen ziemlich dahin und als Leser wartet man auf entscheidende Ereignisse, die die Geschichte vorantreiben, doch wartet man oftmals vergebens. Gray beschreibt viele Begebenheiten und Situationen bis ins kleinste Detail und baut dabei wahrlich eine fantastische und glaubwürdige Atmosphäre auf, die es dem Leser kalt den Rücken herunterlaufen lässt, dennoch hält er sich mit derlei Beschreibungen oft zu lange auf. Unglücklicherweise hat John MacLachlan Gray nicht ganz die richtige Mischung aus veralteter Sprache, dichter Atmosphäre und einem packenden Spannungsaufbau gefunden, denn während die Sprache authentisch wirkt und ich keine historischen Patzer bemerken konnte und während Gray in der Tat eine Grundstimmung aufbaut, die an Schrecken dem „Parfüm“ nahe kommt, so leidet sein Spannungsaufbau nicht wenig. Nur selten wird es spannend und bis kurz vor Schluss gibt es keinen Punkt, an dem man das Buch nicht mehr aus der Hand legen könnte. Der eigentliche Kriminalfall wird fast schon lieblos weitergeführt, die Suche nach dem menschlichen Dämon geschieht irgendwie nur ganz am Rande. Außerdem wird es dem Leser arg schwer gemacht, Verdachtsmomente gegen den wahren Täter zu sammeln, weil derlei Informationen ebenfalls in den überladenen Sätzen untergehen. Selbst als der wahre Dämon präsentiert wird, konnte ich nicht feststellen, ob Gray in seinem Buch Hinweise auf den echten Täter versteckt hatte oder ob dieser vom Himmel fällt. Auch war ich noch etwas skeptisch, weil ich nicht recht wahrhaben wollte, dass dies nun schon das Ende gewesen sein sollte. In diesem Punkt enttäuscht der Autor schließlich doch nicht, denn am Ende denkt er sich eine Auflösung für sein Buch aus, die es in sich hat. Hier werden menschliche Abgründe deutlich, sodass der Vergleich mit Patrick Süskinds berühmtem Werk durchaus gerechtfertigt erscheint. Ohne mit Caleb Carr näher vertraut zu sein, möchte ich jedoch behaupten, dass „Der menschliche Dämon“ diesem zweiten Vergleich nicht standhalten kann, denn das Buch ist einfach nicht packend, es entführt seine Leser in eine unheimliche Welt und präsentiert diese wirklich überzeugend und bildgewaltig, doch fehlt oft die Spannung, die das Buch zu einem „Pageturner“ hätte machen können. Gray verspielt hier leider viel Potenzial, aus der Grundidee hätte man so viel mehr machen können, wenn man an einigen Stellen die Sätze und Rahmengeschichte vielleicht ein wenig abgespeckt und vereinfacht hätte; so wird man als Leser ein wenig von Grays ausufernden Beschreibungen überrollt.
Die Charakterzeichnungen haben mir dagegen sehr gut gefallen, besonders Edmund Whitty wurde dem Leser hier nahe gebracht. Schon in seiner allerersten Szene erwacht er nach einer durchzechten Nacht mit großen Gedächtnislücken und fragt sich verwirrt, ob er denn überhaupt seinen Artikel geschrieben und eingereicht hat oder ob er womöglich schon arbeitslos ist. Nur langsam kann er die zurückliegende Nacht rekonstruieren und kommt zu dem Schluss, dass er wohl doch noch in Lohn und Brot steht. Im weiteren Verlauf des Romans kommen immer weitere Steinchen hinzu, aus denen man sich ein gutes Mosaik des etwas konfusen Korrespondenten erschaffen kann. Bei all seinen Verfehlungen bleibt Edmund Whitty doch immer ein Sympathieträger, der gerade durch seine Vorliebe für ausschweifende Abendgestaltung sympathisch wirkt. Die Figur ist zwar etwas überzeichnet und nicht unbedingt glaubwürdig, doch fügt sie sich insgesamt perfekt in das entstehende Bild von London ein. Auch Owler und seine beiden Töchter und selbst der angeklagte Ryan bekommen den ihnen zustehenden Raum im Buch und werden entsprechend vorgestellt.
Insgesamt bleibt angesichts des gelungenen Endes ein positiver Gesamteindruck zurück, auch wenn das Buch nicht alle Erwartungen erfüllen konnte. John MacLachlan Gray zeichnet ein überaus eindrucksvolles und überzeugendes Bild von London und lässt eine Atmosphäre entstehen, die einem Schauer über den Rücken laufen lässt. Auch die Charaktere wirken sympathisch und gewinnen an Farbe, doch bleibt die Spannung oft auf der Strecke. Zu häufig verliert Gray sich in verschachtelten Sätzen, die der Leser nur schwer zu entwirren weiß. Die Sprache wirkt dadurch zwar authentisch und dem Zeitpunkt der Handlung angepasst, ist aber dermaßen überfrachtet, dass wichtige Informationen leicht untergehen und man einen recht langen Atem beim Lesen braucht. Das trübt den Gesamteindruck des Buches leider ein wenig, da man aus der Idee ein noch viel packenderes Buch hätte machen können. Wer sich aber von derlei komplizierten Satzkonstruktionen nicht abschrecken lässt, ist mit diesem Roman sicherlich gut bedient.
Diana Norman – An den Ufern der Dunkelheit

Foster, Robert / Pesch, Helmut W. – große Mittelerde-Lexikon, Das
Vielleicht eine mögliche Erklärung, warum das vorliegende Buch erst 22 Jahre nach der englischen Fassung auch bei uns erschien, ist wohl der Hype, den Peter Jackson dank seiner Verfilmung der „Herr der Ringe“-Trilogie losgetreten hat. Mittelerde ist aber viel mehr als nur der Ringkrieg, was sich in den vielen auf den Markt geschwemmten Publikationen zum Film nur zum Teil widerspiegelt. Fosters „Das große Mittelerde-Lexikon“ befasst sich jedoch nicht nur mit diesem kleinen Ausschnitt, sondern liefert interessante Backgrounds in Stichwortform über die gesamte Bandbreite von Tolkiens faszinierender Welt. Bemerkenswerterweise stammt das Werk diesmal nicht von |Klett-Cotta|, dem angestammten Tolkien’schen Haus- und Hof-Verlag in Deutschland, der sich sonst für die Publikationen hierzulande (fast) exklusiv verantwortlich zeichnet, sondern von |Bastei Lübbe|.
_Zum Inhalt_
Für diese aktuell gültige Fassung des Lexikons aus dem Jahre 1978 sind die Informationen aus vielen Quellen auch außerhalb des Herrn der Ringe zusammengetragen worden. Unter anderem: „Letters“ (dt.: „Briefe“), „Lost Tales of Middle-Earth“ (dt.: „Das Buch der verlorenen Geschichten Mittelerdes Band 1 und 2“), „The Silmaril“ (dt.: „Das Silmarillion“) und aus „The Hobbit“ sowie anderen Publikationen, wie „The History of Middle-Earth“ (dt.: „Nachrichten aus Mittelerde“) oder „The Adventures of Tom Bombadil“, um nur die Wichtigsten zu nennen. Zumindest letzteres Werk dürfte hierzulande kaum bekannt sein, da es auf Deutsch bislang noch nicht veröffentlicht wurde.
Bereits im Vorwort weist der Autor darauf hin, dass er lediglich „hofft“, ein vollständiges Werk abgeliefert zu haben, das frei von Fehlern ist – hierzu muss man wissen, dass die Geschichten von Tolkien (da über einen Zeitraum von Jahrzehnten verfasst und zusammengetragen) selbst immer wieder von ihm redigiert und angepasst wurden. Somit sind durchaus erkennbare Inkonsistenzen in der Logik oder Doppeldeutungen unausweichlich, für die Foster nichts kann und die in der Natur der Sache liegen. Wann immer Begriffe nicht eindeutig zuzuordnen sind, wird jedoch gesondert darauf hingewiesen.
Für die deutsche Version zeichnet sich Helmut W. Pesch verantwortlich, dem es oblag, sogar noch mehr Arbeit investieren zu müssen, da die deutschen Versionen, Nomenklaturen, Eigennamen etc. nicht nur teils stark von den Originalen Tolkiens abweichen, sondern zudem zwei verschiedene Übersetzungen in deutschsprachigen Raum veröffentlicht wurden. Die Neueste stammt von Wolfgang Krege (2000) und gilt gegenüber der von Margaret Carroux und E. M. von Freymann (letzte Überarbeitung 1991) als die exaktere – wenn auch viele die Ur-Übersetzung für die stimmungsvollere halten. Dementsprechend musste für die Eindeutschung des Lexikons wesentlich mehr Aufwand betrieben werden.
Neben dem etwa 750 Seiten starken Hauptteil des alphabetisch sortierten Lexikons finden sich am Anfang das Vorwort des Autors, das Vorwort des deutschen Überarbeiters und Übersetzers und eine kurze Einführung, wie dieses Buch zu verwenden ist. So erhält der interessierte Leser einen kurzen Einblick hinter die Kulissen der wichtigsten Sprachen und Zeitrechnungen Mittelerdes, ihre Grammatik und Unterschiede der Deutungen. Im Anhang stehen noch einige Ahnentafeln und Zeitleisten zur Verfügung, an denen man ablesen kann, wann welche Kultur innerhalb der vier Zeitalter mit welcher Sprache gesprochen hat oder noch „heute“ (will heißen: zur Zeit des Ringkriegs) spricht.
Die meisten Begriffe, die uns in Tolkiens Werken begegnen, sind auf „Quenya“ (der Sprache der Hochelben, „Eldar“ genannt) oder auf „Sindarin“ (der Sprache der Grauelben, der „Sirdar“ und „Noldor“) basierend. Hinzu kommt die Gemeinsprache, der sich alle verschiedenen Völker untereinander bedienen: das „Westron“ (die Sprache der Westernis „Númenor“, die einen Teil von allem enthält), sowie spezielle lokale Dialekte, beispielsweise etwa die Sprachen der Hobbits, Rohirrim oder auch Mordors. Wann immer ein ethymologischer Zusammenhang besteht oder Mehrfachbedeutungen vorhanden sind, so ist meist ein Querverweis dazu vorhanden oder die Begriffe stehen (mehrfach) direkt untereinander mit unterschiedlichen Erklärungen nebst Quellenangaben.
_Meinung_
Der Stoff dürfte den meisten viel zu trocken daherkommen und richtet sich ausschließich an Hardcore-Fans und wirklich Interessierte, die tiefer in die komplexe Materie von Tolkiens Welt einzutauchen gedenken. Zwar sind die Querverweise und Erklärungen zu den Begriffen ganz nett zu lesen, verraten aber demjenigen, der nicht oder nur wenig mit der Geschichte Mittelerdes vertraut ist, sicherlich nicht viel. Um das Buch wirklich schätzen zu können, bedarf es der Kenntnis nicht nur der Filme und des Romans zum Herrn der Ringe und dem Hobbit. Die meisten, die sich dieses Buch eventuell zulegen möchten, werden sicherlich zumindest diese Teile der Story kennen und deshalb mehr erfahren wollen.
Leider setzt das Lexikon in einigen Passagen die Print-Versionen der Romanvorlagen und auch des Silmarillions voraus („leider“ ist hier als Relativ zu verstehen – diese Bücher gehören eh in jede Bibliothek). Auf das ihnen beigelegte Kartenmaterial wird oftmals verwiesen, doch dem Lexikon selbst hat man weder Illustrationen noch eigene Karten spendiert, was ich bedauerlich finde, denn „Fremde“ bekommen hier Orte um die Ohren gehauen, die als böhmische Dörfer gelten, wenn man zum Beispiel nur die Filme kennt oder aber den Herrn der Ringe zwar irgendwann mal gelesen, jedoch die Bücher nicht (mehr) zur Hand hat.
Über die Vollständigkeit der behandelten Begriffe kann man nicht meckern, bislang habe ich zu jedem Komplex, zu dem ich weitere Informationen suchte, auch tatsächlich Auskunft erhalten, wenn auch manchmal über Umwege, weil das entsprechende Wort zwar gelistet, aber eben an anderer Stelle erläutert wird. So springt man zuweilen von Querverweis zu Querverweis, bis man schlussendlich die gewünschte Information gefunden hat. Das ist bei Lexika aber nun wirklich nichts bahnbrechend Neues – schließlich ist es kein Roman, der eine Geschichte chronologisch erzählt, sondern ein Nachschlagewerk.
Ein interessanter Aspekt ist, dass man im Vorbeilesen ganz andere Dinge findet, als man explizit gesucht hat, und sich dann immer weiter festliest. Auf seiner Suche nach anderen Informationen stolpert man über diese fast automatisch, weil sie einem per Zufall ins Auge springen, wenn man sich von Schlagwort zu Schlagwort hangelt. Das Nachschlagewerk ist bestimmt kein Buch, das man von vorne nach hinten (quasi buchstäblich von A bis Z) durchackert und hinterher die Weisheit Mittelerdes mit Löffeln gefressen hat, vielmehr greift man dazu, wenn man bestimmte Namen, Orte oder Begebenheiten wieder in Erinnerung rufen und die Zusammenhänge besser verstehen lernen will. Nebenher nimmt man eine Menge der von Tolkien eigens für Mittelerde erfundenen Sprache(n) auf.
_Fazit_
Wer alleine nur die bisher erschienenen Verfilmungen gesehen hat, mag sich das fette Nachschlagewerk für recht günstige zehn Euro gerne zulegen. Es ist ein guter Anfang, um weiter ins faszinierende Thema Mittelerde einzudringen, wird aber dem Betreffenden höchstwahrscheinlich nicht sehr hilfreich sein, denn die Filme reißen das Gesamtbild allenfalls leicht an. Leser der Romane Mittelerdes kommen da schon etwas besser weg und werden eine ganze Menge bekannter Gestalten, Mythen und Begebenheiten wiederfinden, doch auch hier gibt es zu bedenken, dass der Ringkrieg zwar das umfassendste Werk ist und auch den Löwenanteil in diesem Lexikon einnimmt, doch nicht wenige der Begriffe und Personen sind aus den früheren Zeitaltern entlehnt.
Die Kenntnis (mindestens) des Silmarillions ist somit schon fast absolute Bürgerpflicht, von der restlichen als Quellen angegebenen Literatur mal ganz zu schweigen. Man muss schon den Willen mitbringen, sich auch auf eine vollkommen ausgestaltete, fiktive Sprache einzulassen, will man das Lexikon effektiv nutzen und vor allem verstehen. Trotzdem muss auch ich, als recht beschlagener Fan, das Fehlen von Kartenmaterial oder Illustrationen bemängeln. Neueinsteigern verwehrt das den Zugang zum ansonsten exzellenten Nachschlagewerk enorm. Im Gegensatz zu manch unnötigen 08/15-Publikationen, die im Kielwasser der Filme rausgehauen wurden, gehört das große Mittelerde-Lexikon fraglos zu den wirklich empfehlenswerten Veröffentlichungen aus dem Bereich der Sekundärliteratur über Mittelerde.
_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Originaltitel: „The Complete Guide to Middle-Earth“
– Ein alphabetischer Führer zur Fantasy-Welt von JRR Tolkien –
Genre: Sekundärliteratur / Quellenliteratur
Ersterscheinung: 1971, überarbeitet 1978 – Ballantine / Random House
Deutsche Erstveröffentlichung: Dezember 2002 – Bastei Lübbe
Übersetzung und Überarbeitung: Helmut W. Pesch
Titelillustration: Arndt Drechsler
Seiten: 810 / Paperback
ISBN: 3-404-20453-0
Mary Logue – Totes Wasser
Pepin County ist abgelegener Landstrich im US-Staat Wisconsin. Farmer bilden die Mehrheit der Bevölkerung, die Umgebung wird von schier endlosen Getreidefeldern geprägt. Das Verbrechen blieb bisher durchschaubar. Auch der neue Fall der Polizistin Claire Watkins scheint Routine zu sein: Aus einer Scheune ist eine große Menge kostspieliger Pestizide verschwunden. Was nach einem simplen Diebstahl aussah, wird jedoch rasch bedrohlich Direkt vor dem Polizeirevier wird ein Blumenbeet vergiftet, dann eine Schar Hühner ausgerottet.
Dahinter steckt kein Kinderstreich. Vor Ort findet die Polizei jeweils einen menschlichen Fingerknochen. Die Drohung ist klar: Hier ‚übt‘ ein Wahnsinniger mit dem Gift und lernt es zu dosieren. Ebenso sicher sind sich Watkins und ihre Kollegen, dass sich der Dieb nicht mit Attentaten auf Grünzeug und Federvieh zufrieden geben wird. Tatsächlich hat der Rachefeldzug für eine ungesühnte Bluttat begonnen. Vor fünfzig Jahren wurde die gesamte Familie Schuler auf ihrer Farm niedergemetzelt. Sieben Personen fanden einen grausamen Tod. Jeder Leiche wurde ein Finger abgeschnitten. Das Verbrechen wurde niemals aufgeklärt. Vielleicht haben sich die braven Bürger und Nachbarn auch nicht besonders intensiv bemüht: Die Schulers stammten aus Deutschland und galten nach dem Ende des II. Weltkriegs als unerwünschte Zeitgenossen. Mary Logue – Totes Wasser weiterlesen
Gottesstaat Iran
Im Zuge der Globalisierung und der damit verbundenen weltweiten Informationsgesellschaft treffen Kulturen frontal aufeinander, weswegen der interkulturelle Dialog notwendiger ist als je zuvor. Dem gegenüber gibt es allerdings Kräfte, deren Interesse ein klares Feindbild „Gut“ gegen „Böse“ aufrechtzuerhalten versucht. Für die westliche Gesellschaft ist das „Böse“ das Schreckgespenst des Islams, jedenfalls in Form der Vorstellung der islamischen Utopien für einen „Gottesstaat“. Ungeachtet des pathologisch kranken Fundaments der islamischen Religionsvorstellung, welches aber genauso auch in den anderen monotheistischen Buchreligionen der Christen und Juden besteht, erscheint es viel zu einfach, den Islam auf eine bestimmte Ideologie festzulegen. Die Strömungen innerhalb dieser Religion sind genauso vielfältig, facettenreich und unterschiedlich zueinander wie in anderen Systemen auch.
Im Koran selbst findet sich keinerlei Hinweis auf die Gestaltung eines Gottesstaates, denn dieser gilt erst möglich, wenn der letzte Imam sich aus seiner Verborgenheit sichtbar manifestiert. Philosophisch steht dahinter der Gedanke, dass solches in einer weltlichen Realität überhaupt nicht möglich ist. Der heilige Krieg ist synonym mit der Rückkehr ins Paradies und der Erkenntnis, dass ein Paradies auf Erden nicht möglich sei. Im Grunde ist dies also dieselbe Idee wie der christliche augustinische Gottesstaat, der nur im Himmelreich verwirklicht werden kann. Dennoch gibt es die Bestrebungen, einen solchen Gottesstaat zu verwirklichen, und die Bemühungen dahingehend lassen sich am besten am Beispiel des Iran aufzeigen, da dieser das einzige islamische Land ist, wo dies versucht wurde zu verwirklichen. Dabei gehört die Staatsidee selbst schon zur Moderne, was vom Westen gerne ignoriert wurde.
Die Verfassung des Iran, die auf demokratischen Ideen beruht, ist nun bereits einhundert Jahre alt und war schon damals ein Zeichen dafür, dass Moderne und Tradition sich zu vermischen begannen. Angehalten wurde dieser Prozess durch den Staatsstreich 1921 von Reza Khan und die Einführung der Monarchie, was die Bevölkerung zwar unterdrückte, aber genauso auch mit westlichem Denken infiltrierte. Erst mit der Revolution 1979 wurde diese Diktatur beendet und die erste islamisch-klerokratische Staatsform unter Homeyni eingeführt. Der anfangs vom Westen zu Recht geächtete Fundamentalismus hat seitdem viele Entwicklungen durchlebt und sich längst wieder liberalisiert. Selbst unter dem „Revolutionsrat“ zu Homeynis Zeiten gab es aber – ähnlich vielleicht wie unter den vielfältigen unterschiedlichen Gruppierungen unserer NS-Zeit – völlig konträre Sichtweisen.
Diese zu kennen und differenzieren zu lernen, gehört eigentlich zur Pflicht, wenn man in der Gottesstaats-Debatte mitreden möchte. Denn es ist sehr profan zu glauben, dass die islamischen Geistlichen als Urheber solcher Visionen ins tiefste christliche Mittelalter zu rücken wären. Im Gegenteil handelt es sich um eine politische Philosophie auf höchstem Niveau, die sich sehr wohl auch fundierteste Kenntnisse der westlichen Philosophie angeeignet hat. Demokratie, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit, Bürger- und Menschenrechte spielen in den religiösen Diskussionen eine große Rolle. Wie erwähnt, ist im Offenbarungstext des Koran auch keine Stelle zu finden, mit der ein politisches Mandat der Religion eindeutig begründet werden könnte. Natürlich gibt es schon seit dem frühislamischen Kalifat ein „dualistisches“ System mit Aufteilung politischer und religiöser Aufgaben, aber historisch ist das sowohl bei den Sunniten mit dem Tod des 4. Kalifen als auch bei den Schiiten mit dem Entschwinden des 12. Imam aufgehoben.
Das islamische Gesellschaftsbild ist utopisch und lässt sich nicht politisch, sondern nur weltanschaulich definieren. Die Schiiten erkennen außer den zwölf Imamen keine rechtmäßigen Herrscher an und auf Mohammed selbst kann sich mangels Äußerungen von ihm sowieso kein Mohammedaner beziehen. Die Meinungen gehen bereits seit seinem Tod erheblich auseinander, weswegen es eine große Vielzahl religiöser Gruppierungen und Richtungen gibt. Die Herrschaft des „einfachen“ Menschen wird – da er göttlichen Ursprungs ist – solange akzeptiert, bis irgendwann der zwölfte Imam als rechtmäßiger endzeitlicher Herrscher wieder erscheint. Auch im Islam es am naheliegendsten, deswegen den islamischen Staat auf freier Wahl und Volksherrschaft zu begründen.
Die Errichtung eines islamischen Staates ist eigentlich nur der Versuch, die kulturelle Eigenart bewahren zu können. Es handelt sich dabei um eine Sache der Vernunft. Eine islamische Identität der Muslime ist im Grunde ein Zeichen der Verwestlichung, um überhaupt eine gewisse Geschlossenheit der islamischen Welt in politisch und religiös-geistlicher Hinsicht präsentieren zu können. Obwohl die Grundrichtung dadurch schon immer antiwestlich ist, wurde die Notwendigkeit der Aneignung der modernen Wissenschaft und des westlichen Denkens auch immer als notwendig betrachtet. Die islamischen Philosophien gingen sogar so weit festzustellen, dass die Europäer mit der Praxis der Freiheit, der Gleichheit und der bürgerlichen Gesetze eher dem Islam folgten als die Muslime selbst. Seit der Verfassungsschaffung von 1906 im Iran setzten sich die religiösen Führer für modernes Bildungssystem, moderne Wissenschaft und politische Erneuerung ein, wobei sie aber den Parlamentarismus immer wieder ablehnten. Modernisierung und Verwestlichung wurden immer klar unterschieden, aber dessen, dass Modernisierung nicht vollkommen ohne Verwestlichung machbar ist, war man sich ebenso bewusst. Es gab jedoch keine Alternative zur Modernisierung, denn für den Fortschritt ist es unabdingbar, dass Armut und Elend im Volk beseitigt werden.
Schlüssig bleibt auch dabei die Bemühung, eigene Werte von denen der westlichen Zivilisation abzugrenzen. Soziale westliche Gedanken und deren Wissenschaften haben nichts mit Religion zu tun und stehen nicht in Widerspruch zu ihr. Vertreter des Gottesstaates sehen in ihrem Modell ein demokratisches und nicht-aristokratisches System. Die Schiiten sehen im Islam selbst eine revolutionäre Bewegung gegen die Schia der sunnitisch islamischen Mehrheit. Aber nie legten die Anhänger der 12-Imam-Lehre es auf einen Kampf gegen die so genannten unrechtmäßigen sunnitischen Herrscher an, wobei die schiitische Auffassung vom idealen Zweck der Religion im Kern die revolutionäre Aktion begünstigt, was 1978 auch zur Revolution von Homeyni führen konnte. Im Iran steht seitdem allerdings die Erneuerung der islamischen Gesellschaft auf der Tagesordnung, die ursprünglichen Ziele, diese Revolution zu exportieren, wurden fallen gelassen und die derzeitigen Reformbestrebungen sind auch nicht mehr radikal.
_Geschichtlicher Verlauf der religiösen Staatsentwicklung im Iran_
|1. Seyh Hadi Nagm`abandi (1834 – 1902)|
… befasste sich mit Vernunft und Glauben und entwickelte die „Kritik der religiösen Vernunft“, die in der Geschichte der iranischen „Erwachsenenbewegung“ maßgeblich war. Er stand in enger Beziehung zu den Freimaurern und somit Reformern. Seine Werke gelten als „neue spekulative Theologie“ mit dem Menschen als „vernünftigem Wesen“ im Mittelpunkt. Vor allem stellte er die Legitimation der Überlieferung in Frage, die ohne rationale Überprüfbarkeit nicht akzeptiert werden könne. Aus menschlicher Vernunft heraus betrachtet er den ersten Propheten. Mit ihm hätte ein authentischer islamischer Humanismus begründet werden können, wenn dies nicht nach Scheitern der späteren Staatsverfassung und Wiedereinführung der Monarchie verdrängt worden wäre.
|2. Seyyed Asadollah Harquani (1839 – 1936)|
Er befürwortete die Modernisierung im Land, aber bekämpfte die Kolonialmächte. Unter Moderne verstand er die technologische Modernisierung; die politischen, rechtlichen, ethischen und gesellschaftlichen Aspekte ließ er dem Islam vorbehalten. Die Moderne sollte sich dem Islam anpassen. Im Islam sah er den Geist der Freiheit, Gleichheit, Wohltätigkeit und Brüderlichkeit und da dies im islamischen Gesetz auch verankert ist, sah er die islamische Demokratie gegenüber der unvollkommenen, begrenzten Gleichheit westlicher Länder als die vollkommenere an. Aber in der Verbreitung der Demokratieversuche in der westlichen Welt sah er ein Indiz, dass die Erscheinung des verborgenen zwölften Imam näher rücke. Während der Verfassungsrevolution 1906 saß er im Revolutionskomitee und machte sich dort besonders für Re-Islamisierung stark. Herrschaftsgewalt war auch bei ihm nicht vererbbar, sondern von der islamischen Gemeinschaft gewählt.
|3. Mirza Mohammed Hoeyn Na´ini (1860 – 1906)|
Von ihm stammt der Entwurf zur Errichtung eines islamischen Staates nach westlichem Muster (1906), der sich zwar mit eigenen zivilgesellschaftlichen Strukturen und eigenen kulturellen und religiösen Werten von westlich fremden Werten abgrenzen sollte, aber nicht die Herrschaft der religiösen Rechtsgelehrten anstrebte. Eine Verfassung neben der Scharia war für einen Teil der schiitischen Herrscher eine menschliche Rechtsordnung neben der göttlichen Ordnung. Er konstruierte eine moderne religiös-politische Lehre, die einen Bruch mit der Tradition bedeutete und vom Revolutionskonzept Homenys wieder aufgegriffen wurde. Der Geistliche Na`ini sah keine Unvereinbarkeit zwischen Religion und Politik bzw. Islam und modernem Staatssystem. Religion und Staat bilden in der islamischen Gesellschaft eine Einheit, die Errichtung eines islamischen Staates ist aber eigentlich aufgrund der Abwesenheit des heiligen Imam nicht möglich. Aus rationalem Denken heraus erschien eine Staatsbildung trotz dieser Tatsache dennoch notwendig.
Na`ini war überzeugt, dass das abendländische Christentum die moderne Wissenschaft und Zivilisation der islamischen Kultur verdanke. Die europäische Gesellschaft habe zuvor in Barbarei und Wildnis gelebt und ihren unzivilisierten Zustand durch die Begegnung mit der islamischen Welt überwunden und bezieht sich dabei auf Ansichten Rosseaus. Zu seiner Zeit sah er das aber umgekehrt, dass nämlich inzwischen Barbarei und Unterdrückung den Islam ergriffen haben. Deswegen setzte er auf den Staat, der bis zur Rückkehr des Endzeit-Imams provisorische Natur ist, und den Despotismus der konservativen islamischen Rechtsgelehrten beenden solle. Diese vergleicht er mit dem Despotismus der Päpste des Mittelalters, die ebenfalls die Menschen ihrer Freiheit beraubten. Durch einen Staat bekämen die Menschen ihre Freiheit zurück. Na´ini propagierte die Autonomie des Volkes, eine Gleichberechtigung zwischen Volk und politischen Akteuren und ließ dabei die herrschende und politische und religiöse Hierarchie außer Acht. Die islamische Religion, die immer als Religion der Vernunft betrachtet wurde, muss sich der „modernen Vernunft“ der Aufklärung anpassen.
|4. Seyyed Mohammad Hoseyn Tabataba`i (1902 – 1982)|
Er ist der wichtigste Theologe der Schia im 20. Jahrhundert, dessen Koraninterpretationen heute die stärkste Beachtung finden. Auch er ist von westlicher Philosophie inspiriert, stellt die Vernunft über Emotionen und sieht eine Staatsgründung als zum Menschsein gehörende Entwicklung an, die ein friedliches Miteinander ermöglicht. In seiner Soziallehre lässt sich nur ein Unterschied zu Hobbes‘ Philosophie feststellen, nämlich, dass die so genannte „Machtlehre“ Hobbes den metaphysischen Aspekt nicht berücksichtigt. Tabataba`i ist überzeugt, dass nur religiöse Gemeinschaften die einzig wahren Gesellschaften seien, weil sie eine Diesseits- wie Jenseitsperspektive bieten.
Die Frage der Herrschaft kann nicht im Rahmen der islamisch-schiitischen Rechtswissenschaft gestellt werden, sondern nur im Rahmen eines sozialphilosophischen Prinzips im Islam. Herrschaft ist eine „vormundschaftliche Betreuung“. Solch eine Gesellschaft für die Zeit der Verborgenheit des Imams zu definieren, gelingt ihm aber ebenso wenig wie den übrigen Geistlichen. Ein Mehrheitsprinzip, das Vorgänger von ihm vertraten, lehnt er ab, denn für ihn muss die Wahrheit der Maßstab sein. Das Prinzip der Humanität gehört für ihn zum Wahrheitsgemäßen. Die von demokratischen Gesellschaften ausgehende Kolonialisierung und Ausbeutung, unter denen die islamische Welt gelitten hat, sind für ihn ein Zeichen dafür, dass die westlichen Werte zu Entfernungen von den von Gott gegebenen Prinzipien der Natur führen. Aber er distanziert sich genauso auch davon, die religiösen Rechtsgelehrten in der „Zeit der Verborgenheit“ explizit als höchste Instanz der durchführenden und gesetzgebenden Gewalt zu bezeichnen.
|5. Seyh Mortaza Motahhari (1920 – 1979)|
Der führende Ideologe und Wegbereiter der islamischen Revolution 1978/79 beschäftigte sich stark mit der marxistischen Philosophie und wandte diese auch an. Beim Aufstand Homeynis 1962 kam er kurzzeitig in Haft, stand aber bis zur Revolution 1978/79 in ständigem Kontakt zu Homeyni, den er ideologisch und finanziell unterstützte. Während der Revolution gehörte er dem geheimen Führungsrat an, der nach dem Sieg weiterhin die Führung der islamischen Republik innehatte. Kurz nach dem Sieg der Revolution wurde er von der religiösen Gruppe „Forqan“ ermordet. Als Schüler Tabataba`is stand er ganz auf dessen Linie, transportierte diese Ideen aber in die intellektuelle Öffentlichkeit. Er vermittelte eine theologische Weltsicht der Scharia, die sich nicht direkt einer traditionellen theologischen Schule zuordnen lässt. Als Reformer verfolgte er das Ziel, die islamische Lehre von jeglichen eklektizistischen Ansätzen zu säubern. Nach dem Motto „Zurück zu den Wurzeln“ versuchte er, den Glauben zu seinem Ursprung zurückzuführen. Dies geht mit einer „Entwestlichung“ einher.
Für ihn ist der Islam die Religion der Praxis und nicht der illusionären Bestrebungen und demnach vertritt er einen revolutionären Islam. Dieser ist eine politische neuplatonische Einheit-Vielheits-Lehre, aus welcher heraus die soziale Einheit postuliert wird. Die absolut klassenlose Gesellschaft erscheint ihm utopisch, da er Unterschiede zwischen den Menschen und ihren Fähigkeiten erkennt. Seine Gesellschaftsutopie ist eine, in welcher es keine Diskriminierung gibt. Herrschaft darf nicht durch Gewalt erlangt werden, aber auch nicht durch Wahlen. Der Herrschaft wird der göttliche Maßstab vorangestellt, und sie ist kein republikanische, sondern eine vormundschaftliche. Keine Herrschaft des Volkes über das Volk wie in westlichen Demokratien, sondern eine Herrschaft des Volkes für das Volk. Er betrachtet dabei den islamischen Staat nicht als einen von Geistlichen regierten Staat.
|6. Seyyed Ruholla Homeyni (1902 – 1989)|
Er strebte schon früh den Rang eines Großayatollahs an. 1962 wurde er wegen seiner öffentlichen Kritik an Mohammed Reza Schah und dessen Reformmaßnahmen verhaftet und nur durch Vermittlung Kazem Sari`at Madaris vor der Hinrichtung gerettet. Darauf ging er in die heilige schiitische Stadt Nagaf im Südirak ins Exil und setzte von dort aus seine Aktivitäten gegen das Schahregime fort und formulierte erneut seine politische Lehre von einer islamischen Regierung in der Zeit der Verborgenheit des Imams. Unter seinen Schülern gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Herrschaft der religiösen Rechtsgelehrten, größtenteils auch viel differenzierter betrachtet als durch ihn. Aber zu seiner Zeit hat niemand anderes diese Ideen mit solchem Nachdruck vertreten. Islam ist für ihn politisch, und allen Geistlichen, die das anders sahen, erklärte er: „Ihr könnt rituelle Gebete verrichten, so viel ihr wollt. Sie wollen euer Erdöl. Was kümmern sie eure rituellen Gebete? Sie wollen unsere Bodenschätze. Sie wollen, dass unser Land zu einem Absatzmarkt ihrer Ware wird. Deswegen verhindern ihre Handlanger die Industrialisierung unseres Landes“.
Der Monarchie, die im Iran von den religiösen Gelehrten über Jahrhunderte zum Teil geduldet, zum Teil als notwendig erklärt wurde, spricht er jede Legitimität ab. Dafür propagiert er den islamischen Staat, denn selbst wenn der Imam erst in hunderttausend Jahren erscheine, dürfe nicht das Chaos regieren. Er stellt die religiösen Gelehrten sowohl bezüglich ihrer politischen Verantwortung als auch bezüglich der Quelle ihrer Macht mit den heiligen Imamen gleich. Historisch hat aber keiner dieser Imame, außer dem dritten (dem unsterblichen Märtyrer, der bei Kerbala getötet wurde), ernsthaft ein solches „Führungsamt“ angestrebt. Alle Imame begnügten sich mit geistlicher Macht. In Homeynis Weltanschauung stehen dagegen gesellschaftliche, politische, ökonomische und kulturelle Fragen im Vordergrund, die gottesdienstlichen Handlungen sind nur als gering zu veranschlagen. Mit Homeyni hat die Anfangsphase der göttlichen Herrschaft und die Erscheinung eines Mahdi, des letzten Imams, begonnen.
Seiner Meinung nach bestand der schiitische Islam nur noch aus mythischen Ritualen und einem fanatischen Märtyrer-Kult. Dies versuchte er mit der Revolution 1978/79 und Gründung der islamischen Republik zu ändern, aber diese vollzog sich anders als die theokratische Herrschaft im „Goldenen Zeitalter“ des Frühislams. Das Volk ist an der Herrschaft beteiligt und die Struktur der islamistischen Republik trägt eklektische Züge: Traditionelle und dynamische religiöse Vernunft, schiitische, sunnitische und politische Einflüsse der Moderne sind enthalten. Zwar bekennt sich die Verfassung zur absoluten Souveränität Gottes, aber Begriffe wie Freiheit, Gleichheit, öffentliche Meinung, Volkswillen, Wahlprinzip, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, nationale Sicherheit, relative Religionsfreiheit, moderne Wissenschaft und Industrie sind ebenso enthalten. Es ist keine rein islamische Herrschaftsstruktur, sondern jeder ist vor dem Gesetz gleichgestellt und Gott und Volk sind gleichermaßen wichtig. Entschieden wird im Parlament, diese Entscheidungen aber vom Wächterrat der geistlichen Führer auf Übereinstimmung zur Scharia überprüft. Genauso kann die oberste religiöse Instanz durch den vom Volk gewählten „Expertenrat“ vorgeschlagen wie auch abgesetzt werden.
|7. Seyh Ali Tehrani (geb. 1925)|
Ein Anhänger Homeynis, der sich gleich nach der Revolution 1978/79 weigerte, sich der religiösen Elite zu unterwerfen. Schon vor der Revolution arbeitete er mit den gemäßigten und linksprogressiven religiösen Denkern und national-liberalen Politikern zusammen. Zwar war er einer der Lieblingsschüler Homeynis und Revolutionsrichter, aber 1981 flüchtete er in den Irak und kündigte seine Loyalität zur islamischen Republik. Zu der Zeit stand er den Volksmudschahedin nah und befürwortete deren bewaffneten Kampf gegen das System. Heute lebt er allerdings wieder in Teheran. Seine Kritik richtet sich allein ans Vetorecht der Geistlichen. Wie auch die Mehrheit der modernen religiösen Denker sieht er die Herrschaft in der Zeit der Verborgenheit des unteilbaren Imams als eine Volksherrschaft. Im Grunde sind seine Vorstellungen die der Demokratie, stark beeinflusst von Platon und Aristoteles, mit modernem sozialistischem Gedankengut. Der Unterschied zur westlichen Demokratie ist der, dass es keinen Despotismus der Mehrheits/Minderheitenverhältnisse gibt – da das islamische Gesetz dem übergeordnet steht – und Materialismus natürlich verurteilt bleibt. Er sieht im Islam einen „islamischen universalen Sozialismus“.
Mittlerweile ist der Iran wider sehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Manche haben Angst vor einem iranischen Atombombenprogramm, vor allem ist aber zu befürchten, dass die USA nun auch noch nach Afghanistan und Irak in den Iran einfallen werden. Auch wurden die letzten iranischen Wahlen kritisch beobachtet wegen des Ausschlusses oppositioneller Politiker. Was den antiwestlichen und antikolonialistischen Aspekt betrifft, besteht allerdings kein Unterschied zwischen iranischen linken und gemäßigten Politikern gegenüber der radikalen religiösen Elite. Dennoch lohnt es sich auch, abschließend noch die Vertreter des neues geistigen Potenzials vorzustellen, die einen neuen politischen und religiösen Diskurs begonnen haben. Wie bisher festgestellt wurde, vollzieht sich diese Entwicklung aber bereits über hundert Jahre hinweg.
|8. Aqa Mahdi Ha´eri Yazdi (1923 – 1999)|
Er studierte westliche Philosophie an den amerikanischen und kanadischen Universitäten Georgetown, Harvard, Michigan und Toronto und schloss mit dem Doktorgrad ab. Nach der Revolution 1979 kehrte er in den Iran zurück. Er legt eine systematische Staatslehre aus islam-philosophischer Sicht dar, was in der herkömmlichen Tradition der islamischen Philosophie selten ist. Die politischen Ideen richten sich nicht mehr nach dem antiken Staatsdenken, sondern stützen sich vor allem auf die moderne westliche politische Philosophie. Damit führt er neue Ansätze und Modelle in die islamische Philosophie ein, aber prinzipiell setzt er an die Blütezeit der islamischen Zivilisation um das 9. – 11. Jahrhundert an, die später im 17. Jahrhundert ebenfalls schon im Iran als „Lichtphilosophie“ („Schule des Illuminismus“) weit gepflegt worden war.
Ähnlich wie Kant stehen bei Ha`eri die Philosophie als höchste Wissenschaft, die Existenz des universalen Archetypus als wahre Natur der Dinge und die Einheit der Existenz im Mittelpunkt. Nicht ganz eindeutig ist bei ihm, ob man von einer islamischen Philosophie überhaupt noch sprechen kann, denn dem Islam als Religion kann dieses Philosophieverständnis nicht entnommen werden. Alle Philosophien sind im Grunde von indischem, chinesischem, altiranischem, platonischem, neuplatonischem und aristotelischem Gedankengut durchdrungen. Ha`eris Werk ist aber das einzige in der Philosophiegeschichte des Islams, das sich nicht explizit der Metaphysik zuwendet, sondern sich umfassend der politischen Philosophie widmet. Er zeigt die unversöhnliche Beziehung zwischen Philosophie und Theologie und macht deutlich, warum die Theologie mit all ihren religiösen Wissenschaftszweigen für die Herrschaftslehre nicht zuständig ist.
Da Politik respektive Herrschaft zu den erfahrbaren und erfassbaren Dingen gehören, dürfen sie nicht von der Theologie behandelt werden. Er spricht sich gegen jegliche Form der Diktatur, d. h. gegen Despotismus, Totalitarismus und Autoritarimus aus. Denn die ideale politische Lebensführung und das menschliche Zusammenleben sind nur möglich, wenn man sich der Vernunft verpflichtet. Dabei bezieht er sich auf Vers 38 der Sure 42 des Koran und den Begriff „Sura“ (Beratung), der auf das Recht der Bürger hinweist, über eigene Angelegenheiten selbstständig zu beraten und Lösungsvorschlägen zu unterbreiten: „D. h. die menschliche Angelegenheiten sollen durch gegenseitige Beratung und Abstimmung gelöst und geregelt werden, nicht jedoch durch Offenbarung und die göttliche Gesandtschaft“.
Nach Ha`eris Philosophie negieren sich im Iran das Prinzip der Herrschaftsgewalt der Rechtsgelehrten und das Wahlprinzip einander gegenseitig. Er meint, dass man sowohl das Volk im Iran als auch die internationale Öffentlichkeit in die Irre geführt habe. Die religiöse Herrschaftsgewalt werde im Sinne eines juristischen Aufsichtsorgans lediglich als „Wächteramt“ verstanden. Die tatsächliche Bedeutung dieses Konzepts sei nicht nur eine Okkupation des entmündigten Volkes, sie sei auch eine Okkupation der göttlichen Souveränität. Ha´eri trennt politische und religiöse Fragen. Aus dieser Trennung folgt, wie in modernen westlichen Demokratien üblich, dass keine politische und staatliche Entscheidung rechtskräftig werden darf, wenn das Volk nicht selbst beteiligt ist. Ha`eri glaubt jedoch, dass dieses säkulare Verhältnis in der islamischen Welt nicht notwendigerweise mit einer Angleichung an die säkulare westliche Welt gleichgesetzt werden kann. Er kritisiert diejenigen islamischen Denker, die beim Versuch, den Islam zu stützen, den Islam entweder mit der Demokratie in Einklang bringen wollen oder ihn in Gegensatz zu anderen politischen Systemen stellen. Denn dies führe entweder dazu, den Ideen anderer bedingungslos zuzustimmen oder sie von vornherein als subjektiv und irrational abzulehnen. Ha`eri zieht es deswegen vor, von zwei Formen des kulturellen und gesellschaftlichen Gefüges zu sprechen, anstatt islamische und demokratische Herrschaftsformen zu vergleichen.
Der Islam ist für ihn weder ein politischer Entwurf, noch hat er der Islam die Absicht, eine politische Herrschaft zu stiften, die dem Menschen die Mündigkeit entziehe. Ha`eri betont die „die Gottesebenbildlichkeit des Menschen“ im Koran, den Menschen als „Abbild und Gleichnis“ Gottes, eine Sicht, die auch in der christlichen Theologie besteht. Im Koran spricht Gott den Menschen als ein autonomes Individuum an. Deswegen kritisiert Ha`eri die moderne Gesellschaft, in der die Demokratie einerseits auf die Souveränität, Freiheit und Individualität seiner Bürger stolz ist, und andererseits seine Bürger als willenlose Mitglieder seiner Gesetze und seiner vereinbarten Anordnungen ansieht. Seine Staatstheorie ist ein Mittelweg zwischen Sozialismus und Kapitalismus auf der Basis, dass nur der freie Wille und die persönliche Freiheit zählen. In der islamischen Welt gibt es nicht nur den staatlichen Pluralismus, sondern auch eine individuelle Pflicht dazu. Der Mensch als Individuum ist im Islam gegenüber seinen Mitmenschen, seien es Ungläubige oder Glaubensbrüder, zu jeder Zeit und an jedem Ort in sozialen, ethischen, ökonomischen und menschlichen Beziehungen überhaupt in die Pflicht genommen.
|9. Mohammad Mogtahed Sabestari|
Er wurde in Täbris in der Hauptstadt der Provinz Aserbaidschan geboren. Nach einem theologischen Studium in der heiligen Stadt Qom, wo er sich auf Philosophie und spekulative Theologie spezialisierte, mit Doktorgrad abgeschlossen, leitete er vor der islamischen Revolution das schiitische islamische Zentrum in Hamburg. Dabei lernte er die deutsche Sprache und beschäftigte sich mit der christlichen Theologie. Heute unterrichtet er an der Universität in Teheran. Er sieht als wichtigsten gesellschaftlichen Faktor in der Weltpolitik nicht die Machtlosigkeit des Islams, sondern in den gegenwärtigen Kriegen und Feindseligkeiten sieht er als Ursache die „Ungleichheit“, die hauptsächlich auf materielle Verhältnisse zurückzuführen ist und nicht auf kulturelle Unterschiede. Das Problem der gegenwärtigen Menschheit sind Sklaverei, Feudalismus, religiöse Kriege, Nationalismus sowie der moderne Kapitalismus und Kolonialismus. Die Menschheit ist in eine schwache Mehrheit und eine starke Minderheit aufgeteilt.
Heute mobilisieren sich massiv die Kräfte der Menschen gegen diejenigen Minderheitsvertreter, die die Wächter von Diskriminierung und Kolonialisierung sind. Es wird der Ruf nach einer weltweiten Einheit der Menschen und nach Gleichheit unter den Menschen aus allen Ecken der Welt laut. Sabestari setzt dabei auf internationale Organisationen wie die UNO. Die westliche Welt hat bei der Verwirklichung von Einheit und Gleichheit versagt, da ihre Organisationen unfähig und krank sind. Was heute als Frieden bezeichnet wird, ist eine instabile und unsichere Gleichgewichtsstrategie, die auf der Basis des Schreckens beruht. Rüstungswettlauf, Ausbeutung der Entwicklungsländer, Vetorecht für die starken Länder, verschiedene Militär- und Verteidigungsbündnisse wie das nordatlantische, sowjetische und asiatische Bündnis, die zunehmende Armut, ungleiche Arbeits- und Einkommensverhältnisse, Rassendiskriminierung usw. sind Beweise für die Unfähigkeit der westlichen Mission.
Nächstenliebe ist für Sabestari die grundsätzliche Bedingung für das friedliche Zusammenleben zwischen den Nationen. Aber keine der Nationen ist mehr bereit, auf den geringsten ihrer Vorteile zu verzichten, auch in Angelegenheiten, die für andere als lebenswichtiges Thema zur Debatte stehen. Jegliche fundamentale Veränderung muss im Denken, in den Überzeugungen, den Ethiken und den Gesellschaftsnormen, eben allem, was die geistige Kultur einer Gesellschaft ausmacht, beginnen. Aus diesem Grund benötigt der Wandel der Welt hin zu einer Weltregierung fundamentale Veränderungen in den Kulturen aller Nationen der Welt.
Sabestari stellt einen Entwurf einer „Weltgesellschaft und Weltreligion“ aus islamischer Sicht vor. Dies nennt er das „islamische internationale Völkerrecht“. Die Art und Weise, wie er seine islamische Weltgemeinschaft konstruiert, hat einen besonderen Charakter, den man bei den meisten seiner Zeitgenossen nicht findet. Er verzichtet darauf, auf die Verträglichkeit bzw. Unverträglichkeit der islamischen Gebote mit einem zeitgemäßen Rechtsdenken bzw. einer zeitgemäßen Rechtspraxis einzugehen. Stattdessen konzentriert er sich auf die Fundamente des „islamischen Internationalismus“ nach dem Muster der französischen Menschenrechtserklärung und des sozialistischen Internationalismus. Aus seiner Charta: „1. Beseitigung jeder Form geistiger Unterdrückung, Kampf gegen die Ursachen der geistigen Versklavung der Menschen, Schaffung einer freien geistigen Atmosphäre für die Masse. 2. Befreiung der unterdrückten Gruppen und Individuen von erbärmlichen Ketten und Abhängigkeiten, welche sie immer unter der unterdrückenden und ausbeuterischen Herrschaft bestimmter Klassen oder Personen halten, Schaffung von Freiheit, damit diese Gruppen den richtigen Weg des Lebens aus freiem Willen heraus wählen können“.
Nach seiner Auffassung kann das ohne Gewalt und nur mit Hilfe der revolutionären Zielsetzung in der Welt durchgesetzt werden. Rassismus, der Missbrauch der religiösen Gefühle und der übertriebene Nationalismus sind die drei geistigen Missbildungen, die von der politischen und wirtschaftlichen Expansion des westlichen Imperialismus und Neokolonialismus geerbt wurden. Der Islam könne mit einem „revolutionären Humanismus“ dieses schwere westliche Erbe beseitigen. Das islamische Weltgemeinschaftskonzept orientiert sich nicht an der Machtfülle, sondern an der Veränderung. Das Konzept verfolgt vier Ziele: freie Glaubens- und Gewissensüberzeugung, freundliche und humane zwischenmenschliche Beziehungen, rationaler und logischer Umgang im Diskurs und Kampf gegen den Fanatismus.
Eine religiöse Gesellschaft kann nur dann einsichtig und rechtgeleitet sein, wenn sie vor den Gefahren der Erstarrung und des Aberglaubens bewahrt bleibt, so dass die religiöse Empirie in jener Gesellschaft überdies auf gnostischer und empirischer Grundlage in eine Denkform mündet, die analysierbar und kritisierbar ist. Sabestari kündigt die Geburt eines neuen Geistes der islamischen Theologie an. Politik soll „technisch“ und „eine Kunst“ sein, nämlich die Staatskunst. Ihr Ziel ist das Gemeinwohl. Dies bedeutet für ihn aber auch die Entmonopolisierung der religiösen Rechtswissenschaft in ihrer traditionellen Form. Er steht mit seinem Denken auch sehr dem „Ich-Du“-Verhältnis in der chassidischen Lehre Martin Bubers nahe. Ohne Freiheit kann es keinen Glauben geben. Das heißt, dass die Menschen durch die destruktiven Wahrheitsansprüche, die das Wissensmonopol erhoben hat, der tatsächlichen Wahrheit entfremdet wurden. Sabestari versucht, „Transzendenz“ und „Immanenz“ miteinander zu verbinden, um den Absolutheitsanspruch der religiösen Wahrheiten nicht verloren gehen zu lassen. Die Religion soll ihren Wahrheitskern bewahren, indem sie immer als Substanz der evolutionären Erkenntnis erhalten bleibt.
|10. Abdolkarim Sorus|
Er versucht eine neue Begegnung mit den religiösen Weltanschauungen hervorzurufen, widmet sich dabei den Ideen der vorrevolutionären religiösen Reformer wie Tabataba`i und Motahhari und versucht, einen „Entideologisierungsprozess“ voranzutreiben. Wenn die Religion zu einer Ideologie werden will, so hat sie sich zum Provisorium verurteilt und auf ihre Ewigkeit verzichtet. Er erinnert dabei an den Marxismus und seine Ideologiekrise. Dabei setzt er sich mit vielen modernen westlichen Gesellschaftstheoretikern wie Karl Marx, Emil Durkheim, Max Weber, Peter Winch, Karl Popper und Jürgen Habermas auseinander. Er kommt zu dem Schluss, dass die Ideologie ein Gedankengebilde ist, das entweder nicht begründet werden kann oder falsch ist, vor allem unter dem empirischen Aspekt des kritischen Rationalismus. Im Gegensatz zu Ideologien haben Religionen gar keinen Absolutheitsanspruch. Diese Behauptung stellt das genaue Gegenteil einer weit verbreiteten Auffassung von Religion dar. Sorus versucht damit, den Unterschied zwischen dem Absolutheitsanspruch der Religionen und dem der Ideologien zu kennzeichnen.
Sein Entideologisierungsprozess ist in Wirklichkeit eine Entideologisierung der religiösen Lehren, nicht jedoch der Religion selbst. Der Kern der Religion, der nach seinem Konzept in verschiedenen Bezeichnungen wie Religion, Scharia, Wahrheit und Offenbarung vorkommt, kann tatsächlich nicht interpretiert werden. Die Religion ist demzufolge schweigsam und stumm. Sie ist unabänderlich bzw. konstant. Die Unveränderbarkeit ihrer Fundamente setzt er mit Naturgesetzen gleich. Aufklärung kann positiv und negativ interpretiert werden. Nach der positiven Definition stellt sich die Aufklärung als eine an der „Diesseitsgestaltung orientierte Humanität“ dar, die unter anderem religiöse Toleranz fordert. Dies ist der Kern des intellektuell-religiösen Ziels von Sorus bei seinen Bemühungen, Religion und Demokratie zu verbinden. Er möchte in seiner neuen Staatsform beides vertreten sehen.
Toleriert wird in erster Linie nicht die Religion, sondern die Demokratie. Denn diese Staatsform bringt keine Enttheologisierung der Naturrechte mit sich. Diese Form der religiösen Demokratie steht für eine neue Theologisierung, welche die alte theologische Elite durch eine neue zu ersetzen versucht. Die wahre Demokratie braucht hohe ethische Maßstäbe. Die Ursachen für eine negative Entwicklung der Gesellschaft liegen in der „Unwissenheit“ der Menschen. Die Gesellschaft benötigt aber für ihre menschenwürdige Gestaltung Werte. Seine These ist letztendlich einfach: Die Gesellschaft Irans ist religiös. Jede Herrschaftsform ist Teil der jeweiligen Gesellschaft und stimmt daher mit ihr überein. Eine Herrschaft im Iran ist also zwangsläufig eine religiöse Herrschaft. Sollte im Iran die Herrschaft anderer Natur als religiös sein, so muss daraus der Schluss gezogen werden, dass die iranische Gesellschaft entweder eine areligiöse Gesellschaft oder die Herrschaft illegitim, d. h. undemokratisch ist.
Diese zehn Beispiele aus hundert Jahren schiitischer Theologie im Iran, welche natürlich nur sehr rudimentär dargestellt werden konnten, zeigen, dass sich im dortigen Islam eine „Glaubenswissenschaft“ zu entwickeln begann, die die Aufgabe hat, Freiheit und Glaube miteinander zu versöhnen. Trotz der homogenen religiösen Strukturen in Theorie und Praxis sind in der Gegenwart Veränderungen bezüglich der Religion zu beobachten, die unter der geistigen und politischen Übermacht der Moderne in Erscheinung treten. Die Moderne zwingt die Religion, zu neuen Fragen Stellung zu nehmen und ihre Fähigkeit unter Beweis zu stellen, Verantwortung zu übernehmen, Probleme zu lösen. Die religiösen Bestrebungen im heutigen Iran werfen neue politischen Fragen auf. Zwar ist die „religiöse demokratische Regierung“ keine echte Innovation und hat auch noch kein politisches System. Mit ihrer Theorie bahnt sie sich aber den Weg zurück zur Tradition und macht gleichzeitig den Weg frei für eine Annäherung an die moderne Demokratie. Die Idee der religiösen Herrschaftsgewalt, die einen Bevormundungsstaat bevorzugt, wurde zunehmend als unzeitgemäß erkannt. Der Legitimationsanspruch der Theologenherrschaft wird nicht nur bezweifelt, sondern als unvereinbar mit dem Islam gewertet. Derzeit dominiert im Iran aber noch die Tradition. Die Zukunft kann aber nur einen Weg zeigen, den in die offene Gesellschaft. Es sei denn, die US-Amerikaner vereiteln mit einem Krieg gegen den Iran erneut alle unabhängigen Entwicklungen in ihrem eigenen Herrschaftsinteresse.
Berthold Röth
|Quelle:
Reza Hajatpour, Iranische Geistlichkeit zwischen Utopie und Realismus.
Zum Diskurs über Herrschafts- und Staatsdenken im 20. Jahrhundert,
387 S., geb., Reichert Verlag 2002, ISBN 3-89500-264-X |
|Weiterführende Informationen bei wikipedia:|
[Iran]http://de.wikipedia.org/wiki/Iran
[Islam]http://de.wikipedia.org/wiki/Islam
[Schari’a]http://de.wikipedia.org/wiki/Scharia
[Ruhollah Chomeini]http://de.wikipedia.org/wiki/Ruhollah__Chomeini
Tolstoi, Alexej K. / Gruppe, Marc – Familie des Vampirs, Die (Gruselkabinett 3)
1815 in Wien: Eine bunte Gesellschaft hat sich in der Weltstadt versammelt. Das politische Tauziehen des Wiener Kongresses ist beendet und nun trifft man sich in gemütlicher Runde, um Gruselgeschichten auszutauschen. Mit von der Partie ist Serge d’Urfé, der seinen Zuhörern eine Erzählung größter Unheimlichkeit verspricht, die dazu noch wahr ist – sie ist ihm selbst passiert.
In jungen Jahren unsterblich in die Fürstin Isabelle Grammont verliebt, beschließt er, in den Diplomatendienst zu gehen, da Isabelle seine Avancen offensichtlich nicht erwidert. Zum Abschied, erschüttert darüber, dass sich Serge ins gefährliche Osteuropa begeben wird, schenkt sie ihm ein Kreuz und warnt ihn eindringlich vor den Gefahren der bevorstehenden Reise.
Es verschlägt Serge in das kleine serbische Dorf Kisolova, wo er bei der Familie des Gortscha Unterkunft findet. Die Stimmung ist gedrückt, denn der alte Gortscha hatte sich aufgemacht, einem Räuber (und Schlimmerem) den Garaus zu machen. Kehre er innerhalb von zehn Tagen nicht zurück, solle man ihn für tot halten. Kehre er aber nach Ablauf der zehn Tage nach Hause zurück, so solle man ihn für einen Vampir halten und ihm eine Pflock durchs Herz treiben. Der Tag, an dem Serge bei der Familie eintrifft, markiert genau den Ablauf des gesetzten Frist. Und tatsächlich, mit dem Stundenschlag kehrt Gortscha heim. Doch niemand weiß, ob die zehn Tage nun abgelaufen sind oder nicht …
Der alte Gortscha ist plötzlich stark verändert, er fährt seine Familie an und ist ungewöhnlich aufbrausend. Zwar hat er den Räuber getötet, so wie er es sich vorgenommen hatte, doch scheinbar sind in den zehn Tagen noch andere Dinge von Bedeutung passiert: Gortscha hat sich in einen Wurdalak, einen Wiedergänger verwandelt, der Nachts um das Haus seiner Angehörigen schleicht und einen nach dem anderen zu sich holt.
Während sich Gortscha zunächst an seinen Enkel ranmacht, wirft Serge – selbst kein Kostverächter – ein Auge auf Zdenka, eine bezaubernde Landschönheit, in die er sich sofort Hals über Kopf verliebt. Er schwört ihr ewige Liebe, doch bevor er Zeuge der Eskalation der Vampirsituation in Kisolova werden kann, muss er die Weiterreise antreten.
Als er ein halbes Jahr später auf der Rückreise wieder durch Kisolova kommt, findet er das Dorf ausgestorben vor. Der Priester des nahe gelegenen Klosters warnt Serge, dass alle dem Wurdalak Gortscha zum Opfer gefallen wären … und Zdenka habe den Verstand verloren. Natürlich begibt sich Serge bei der Erwähnung dieses Namens in die Höhle des Löwen. Doch welche Schrecknisse werden ihn wohl erwarten, wenn er in Kisolova übernachtet?
Alexej K. Tolstois Erzählung „Die Familie des Vampirs“ (manchmal auch „Die Familie des Wurdalak“) von 1847 setzt dem osteuropäischen Volksglauben um den Wiedergänger ein literarisches Denkmal. Tatsächlich fand nämlich in dem durchaus realen Kisolova im 18. Jahrhundert eine Vampirplage statt, der ein Großteil der Dorfbevölkerung zum Opfer fiel. Die behördlichen Dokumente zu den Toden und den darauffolgenden Exhumierungen vermeintlicher Vampire unter der Aufsicht von Staatsbeamten sind noch heute klassische Texte der Vampirliteratur und erregten seinerzeit großes Interesse bei Wissenschaftlern und Theologen. Wie im Volksglauben ist auch Tolstois Wurdalak ein Vampir, der von den Toten wiederkehrt, um jedoch ausschließlich seine nahen Familienangehörigen mit in den Tod zu reißen. In manchen ländlichen Gebieten Südosteuropas hat sich der Glauben an Wiedergänger bis heute gehalten.
Tolstoi fügt solche Versatzstücke des serbokroatischen Volksglaubens immer wieder in die Erzählung ein und Marc Gruppe verstärkt diese Elemente noch in seiner Hörspielbearbeitung. Gruppe macht aus der Erzählung eine klassische Gruseltour, indem er den Originaltext an einigen Stellen durchaus auffällig verändert. So lässt er Serges Frauengeschichten, die sich bei Tolstoi ironisch durch den Text ziehen, zugunsten einer romantischen Liebe fallen und schreibt den Schluss von „Die Familie des Vampirs“ komplett um, um das Hörspiel mit einem Knalleffekt enden lassen zu können.
Mit seiner furiosen Schlussklimax kann das Hörspiel das etwas behäbige Ende von Tolstois Erzählung spannender gestalten. Gruppes Idee, den zentralen Konflikt zwischen Zdenka und Serge in die Rahmenhandlung hinüberzutragen und mit einem Cliffhanger enden zu lassen, trägt durchaus zum gesteigerten Unterhaltungswert bei. Um Serges Charakter als Frauenheld ist es allerdings irgendwie schade – diese Einschübe Tolstois geben der Erzählung Leichtigkeit und Verschnaufpausen zwischen den unheimlichen Elementen. Im Hörspiel wurden sie leider eliminiert, um nicht von der eigentlichen Handlung abzukommen.
|Titania Medien| konnte für seine Reihe „Gruselkabinett“ bekannte Namen verpflichten. So wird Serge d’Urfé von David Nathan gesprochen, den viele als die deutsche Stimme von Johnny Depp kennen werden. Er mimt die Hauptrolle in gewohnter Qualität, stimmliches Highlight des Hörspiels ist allerdings Jürg Löw als Gortscha, der so maskulin, furchteinfößend und ruppig durch die Laustsprecher kommt, dass es eine wahre Freude ist. Ebenfalls erwähnenswert ist die Musik von Manuel Rösler, dessen Untermalung wie eine Hommage an alte Horrorfilmklassiker klingt und damit an den Schlüsselstellen die gewohnten Gruselschauer beim Publikum hervorruft.
|Titania| arbeitet sich mit seinen Gruselhörspielen langsam aber sicher durch die klassischen Texte der Horrorliteratur. Man kann nur hoffen, dass die Macher auch weiterhin ein so glückliches Händchen bei Text- und Sprecherauswahl haben werden. Bisher zumindest ist es ein ungeteiltes Vergnügen, sich bei den Hörspielen von Marc Gruppe wohlige Schauer über den Rücken jagen zu lassen.
_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_
[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)
Kellerman, Faye – Schwingen des Todes, Die
Obwohl Faye Kellerman mit den „Schwingen des Todes“ bereits den 14. Roman aus der Reihe um Hauptfigur Peter Decker und seine Ehefrau Rina Lazarus veröffentlicht hat, ist sie mir als Schriftstellerin erst letztes Weihnachten begegnet, als eines ihrer Bücher den Weg auf meinen Gabentisch fand. Bekannter ist allerdings ihr Mann, der Bestsellerautor Jonathan Kellerman, mit dem sie in Los Angeles wohnt.
_Die Schwingen des Todes_
Lieutenant Peter Decker erhält von seinem Halbbruder Jonathan aus New York einen Hilferuf: Sein Schwager Ephraim ist ermordet aufgefunden worden, dessen Nichte Shayndie wird seitdem vermisst. Obwohl Decker zunächst skeptisch ist und seinen Urlaub nicht für Privatermittlungen verschwenden möchte, reist er zusammen mit seiner Frau Rina und der gemeinsamen Tochter Hannah nach New York, um seinem Halbbruder und dessen Familie in dieser schweren Zeit beizustehen und sich nebenbei umzuhören.
In New York angekommen, besuchen Jonathan und Peter zunächst zusammen den jüdischen Staranwalt Hershfield, der Jonathans Familie juristisch beistehen soll, da schnell der Verdacht auf die Familie fällt. Die Tatumstände sind wirklich mysteriös: Der ehemals drogenabhängige Ephraim wurde häufig mit seiner noch minderjährigen Nichte Shayndie zusammen gesehen, sodass bald der Verdacht auftaucht, dass er sie missbraucht haben könnte. Decker nimmt Kontakt zur New Yorker Polizei auf und bekommt den Namen eines möglichen Verdächtigen genannt, den er bei seiner Polizeiarbeit in Los Angeles bereits gut kennen gelernt hat, nämlich Chris Donatti. Donatti besitzt einen mehr als fragwürdigen Ruf, wurde eines Mordes verdächtigt und schart immer wieder blutjunge Mädchen um sich, die er erotisch fotografiert, dabei aber immer genau darauf achtet, dass diese gerade volljährig geworden sind.
Donatti ist allerdings nicht gut auf Decker zu sprechen, sodass er keine Informationen preisgeben möchte, doch Decker spürt, dass Donatti mehr über den Fall weiß, als er zugeben will. Bald gibt Chris Donatti jedoch zu, dass er Shayndies Aufenthaltsort kennt. Doch daraufhin geschieht ein weiterer Mord …
Aus der Feder von Faye Kellerman erschienen bereits zahlreiche andere Romane über Peter Decker und seine Frau Rina Lazarus, bei den „Schwingen des Todes“ handelt es sich um ihren neuesten Roman, der erst im Januar 2005 als Taschenbuch erschienen ist. Nun kenne ich leider bisher nur dieses eine Buch, sodass ich nicht weiß, wie die Geschichte um Peter Decker und seine komplizierten Familienverhältnisse bereits entwickelt wurde und wie viele Hintergrundinformationen man aus früheren Büchern mitbringen kann, doch ist dieses Buch auch ohne Kenntnis der anderen Teile durchaus gut lesbar. Der Kriminalfall ist in sich abgeschlossen und wird auch aufgeklärt, dennoch denke ich, dass man beispielweise mehr über die Vorgeschichte zwischen Decker und Donatti aus anderen Büchern kennen wird. Auch über Deckers Familie wird man sicherlich mehr gelesen haben, denn seine Familie ist groß und kompliziert, da Decker in früher Kindheit adoptiert wurde und somit den Adoptivbruder Randy hat, aber auch den Halbbruder Jonathan, der bei ihrer leiblichen Mutter aufgewachsen ist. Auch war Decker bereits einmal verheiratet und hat neben der Tochter Hannah zwei weitere Söhne. Derlei Informationen werden sämtlich in diesem einen Buch eingestreut, sodass man sich schon ein recht gutes Bild von der Hauptfigur machen kann. Andere Charaktere müssen allerdings unter dieser guten Vorstellung des „Helden Decker“ etwas leiden; so bleibt seine Frau Rina eher im Hintergrund, obwohl die Krimireihe von Faye Kellerman auf dem Ehepaar aufgebaut ist und nicht nur auf Peter. Speziell die Verhältnisse zwischen Rina und Chris Donatti bleiben arg im Dunkeln, sodass es mich schon reizen würde, weitere Decker-Romane zu lesen, um hierüber mehr zu erfahren.
Neben der gelungenen Personencharakterisierung ist auch der Einstieg in das Buch sehr interessant. Schon auf den ersten Seiten erfährt der Leser von der Familientragödie in New York und wird gleich mitgerissen, da er natürlich wissen möchte, was mit der fünfzehnjährigen Shayndie geschehen wird. In New York angekommen, wird Decker gleich mit der Trauer in seiner Familie konfrontiert, jedoch fürchtet er auch schnell, dass diese etwas zu verbergen hat und mehr über die Sache weiß, als sie ihm gegenüber zugeben möchte. So dauert es auch nicht lange, bis Peter das Misstrauen ihm gegenüber spürt und bis ihm Jonathans Verwandte zu verstehen geben, dass Decker schnellstmöglich abreisen solle. Doch Peter bleibt, er möchte hinter die Fassade blicken und Shayndie retten. Außerdem hat er Blut geleckt und einen Deal mit Chris Donatti gemacht; er muss einfach wissen, wer Ephraim getötet hat und was hinter dieser Tat steckt.
Leider verfranst sich Kellerman schnell in ihrer teils ausschweifenden Erzählung. Wo es der Charakterisierung zugute kommt, behindert es den Spannungsaufbau, denn die Autorin hält sich mit zu vielen Details auf. In jeder Situation beschreibt sie neue familiäre Verstrickungen, auch manche Dialoge dauern einfach zu lange. Kleinigkeiten, die die Geschichte eigentlich nur umrahmen sollten, nehmen den Hauptteil der Erzählung ein und bremsen deutlich den Lesefluss. Darüber hinaus setzt Kellerman viele jüdische Fachvokabeln voraus, die nirgends erklärt sind. In manchen Zusammenhängen ist die Bedeutung der Worte erschließbar, manchmal fragt man sich dann aber doch, warum es kein Glossar gibt, in welchem solche Ausdrücke erklärt werden. Das gesamte Umfeld Deckers ist jüdisch, sodass viele Traditionen und Bräuche beschrieben werden, die mich persönlich nicht sonderlich interessiert haben. Solche Informationen sind teilweise nettes Beiwerk, meist allerdings langweilten sie mich recht schnell.
Auch in der Mitte des Buches wusste ich immer noch nicht, worauf Kellerman hinaus will, kein Verdächtiger zeichnete sich ab, denn Donatti konnte schnell aus dem Kreis der Hauptverdächtigen ausgeschlossen werden; auch haben die Ermittlungen kein konkretes Ziel, sondern plätschern einfach vor sich hin. Der rote Faden fehlte dadurch in diesem Roman, der es mir einfacher gemacht hätte, Kellermans Gedankensträngen zu folgen.
Sprachlich hat mir das Buch dagegen sehr gut gefallen. Faye Kellerman schreibt abgesehen vom jüdischen Fachvokabular sehr verständlich, versteht es allerdings, sich gewählt auszudrücken und die Situationen zu beschreiben. Im Thrillergenre ist sie mit dieser Fähigkeit aber vielleicht ein wenig fehl am Platze?! Auffällig waren die ausführlichen Personenbeschreibungen bei ihrem ersten Erscheinen, so bekam der Leser beim Auftauchen einer neuen Person zunächst immer erst eine kurze Umschreibung über Statur und Besonderheiten der Person zu lesen. Diese Eigenart fand ich etwas merkwürdig, sie passt aber wohl auch zum ausschweifenden Schreibstil der Autorin.
S. 30: |“Aber der Mensch hinter dem Schreibtisch war definitiv keine Frau. Seine Wangen waren so eingefallen, dass die Backenknochen förmlich durch die dünne Haut stachen. Die dünnen dunklen Haare, die sich an der hohen Stirn lichteten, trug er glatt nach hinten gekämmt. Zwei dünne Linien bildeten die Lippen, und die Augen verschwanden unter dichten Augenbrauen, funkelten aber übermütig. Der Mann war perfekt gekleidet: schwarzes Wollsakko, weißes Hemd mit Doppelmanschetten und eine gemusterte Krawatte mit Pferden und Gladiatoren – wahrscheinlich ein zweihundert Dollar teures Stück von Leonard.“|
Auch wenn das Thema an sich sehr spannend war, als dubiose Kreise in New York aufgedeckt werden konnten, wurde ich mit dem Buch nicht recht warm. Die Geschichte riss mich nicht mit, begeisterte mich nicht und wurde auch nie so spannend, dass ich zwangsläufig weiterlesen musste. So fällt mir die Beurteilung des Romans schwer wie selten, da mir der Schreibstil der Autorin sehr zugesagt hat, aber trotzdem ein packender Spannungsaufbau fehlte, der das Buch zu einem besonderen Leseerlebnis machte. Positiv aufgefallen ist mir die Tatsache, dass der Roman prima lesbar war ohne Kenntnis der anderen Bände aus der Decker/Lazarus-Reihe, die bislang unbemerkt an mir vorbeigegangen war. Interesse an den anderen Büchern ist bei mir aber definitiv geweckt worden, da ich gerne mehr über Peter Decker und seine Familie erfahren möchte, dennoch bin ich nicht überzeugt davon, dass Kellerman dies in einem Thrillerrahmen überzeugend gelingen kann.
_Die Reihe um Peter Decker und Rina Lazarus:_
Denn rein soll deine Seele sein
Das Hohelied des Todes
Abschied von Eden
Tag der Buße
Du sollst nicht lügen
Die reinen Herzens sind
Weder Tag noch Stunde
Doch jeder tötet, was er liebt
Totengebet
Der Schlange List
Der wird euch mit Feuer taufen
Die Rache ist dein
Der Väter Fluch
Die Schwingen des Todes
Peinkofer, Michael – Bruderschaft der Runen, Die
Verschwörungen und Geheimnisse aus der Vergangenheit schon waren schon immer ein beliebter Stoff mit vermeintlicher Erfolgsgarantie. Doch nicht jedes Buch mit einem spannend klingenden Thema ist auch wirklich ein packender Roman. Wie es um Michael Peinkofers Werk „Die Bruderschaft der Runen“ bestellt ist, wollen wir hier einmal genauer untersuchen.
_Das Geheimnis der Schwertrune_
Als der geschichtsbesessene Gehilfe Sir Walter Scotts in der Kloster-Bibliothek von Kelso unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt, fühlt sich der bekannte Schriftsteller mitverantwortlich für dessen Tod und versucht, die Umstände zu erforschen. Schon bald sieht er seine Befürchtung, dass es sich nicht – wie offiziell angegeben – um einen Unfall handelt, bestätigt. Stattdessen glaubt er an einen Mord. Durch seine Untersuchungen, bei denen ihm sein junger Neffe Quentin Hay zur Seite steht, stößt er auf ein fehlendes Buch und eine verbotene Rune für das Wort „Schwert“, die ein Hinweis zu einer alten schottischen Druiden-Sekte, einer Art Geheimbund, sein könnte. Kurz darauf wird die Bibliothek durch Brandstiftung zerstört.
Der von Scott hinzugezogene englische Inspektor Dellard nimmt Scotts Hinweise und Untersuchungsergebnisse allerdings nicht ernst. Stattdessen scheint er in dem Fall eigene Interessen zu verfolgen. Der befreundete Abt des Prämonstratenser-Ordens, der die Bibliothek verwaltete, warnt Scott vor jeder weiteren Einmischung, hüllt sich aber, seine Gründe hierfür betreffend, in Schweigen. Und wirklich werden Sir Walter Scott und sein Neffe zur nächsten Zielscheibe der Täter, was den bekannten Dichter aber nur noch verbissener nach der Wahrheit um die geheime Bruderschaft suchen lässt.
Währendessen reist die englische Adlige Lady Mary of Egton in die Highlands, um eine arrangierte Hochzeit mit dem Laird of Ruthven zu schließen. Doch sie wird von mysteriösen Träumen über ein schottisches Mädchen geplagt, das – wie sie herausfinden muss – 500 Jahre vor ihrer Zeit auf Burg Ruthven gelebt hat. Währenddessen eskalieren tagsüber ihre Beziehungen zu ihrem zukünftigen Bräutigam und seiner Mutter schnell bis zu einem Punkt, an dem Mary um ihr Leben fürchtet.
_Idee und Wirklichkeit_
Ein verschwörerischer Geheimbund, alte Runen und ein Rätsel aus der Vergangenheit. Für mich klang das nach absolut vielversprechenden Zutaten für eine Art von historischem Dan Brown. Und das Gerüst der Geschichte ist auch in der Tat sehr gelungen aufgebaut. Alleine schon die Idee, Sir Walter Scott als Detektiv fungieren zu lassen, gefällt mir sehr gut. An dem gesamten kriminellen Plot gibt es – sofern man sich nicht gegen mystische Elemente und Unerklärliches sträubt – nichts zu meckern. Die Spannung setzt bereits früh ein und für ein Buch dieses Umfangs muss man nur sehr wenige Längen in Kauf nehmen. Eigentlich also eine ideale Grundlage, die einen spannenden historischen Krimi abgeben sollte. Und spannend ist das Buch auch durchaus, dennoch hatte ich mir von diesem Buch mehr versprochen.
Denn der Teufel steckt hier im Detail. So ist zwar beispielsweise die Charakterisierung Scotts als meisterhafter Beobachter und Anhänger der Logik gut gelungen, einige der anderen Personen sind jedoch völlig überzeichnet und auch das Ende des Buchs entzieht sich jeder nachvollziehbaren Logik.
Allen voran stößt mir die Person der Mary of Egton unangenehm auf. Sie ist wunderschön, fremd im Land, versteht die Menschen aber besser als die bösen Lairds, speist mit Dienern und Bauern an einem Tisch und kämpft selbstlos gegen die kleinste Ungerechtigkeit. Kurz: Sie ist einfach nicht glaubhaft. Auch ihr Handeln in diesem Buch ist an einigen Stellen nicht nachzuvollziehen. Ein extremes Beispiel ist hier, dass sie in einer gefährlichen Situation gegen Ende des Buches plötzlich – und für mich als Leser völlig unerwartet – ihre Liebe zu Quentin in die Welt hinausruft. Dabei hat sie nicht nur mit dem angeblichen Mann ihrer Träume vorher kaum drei Sätze gewechselt, sondern auch während der nachfolgenden Zeit keinen für den Leser erkennbaren Gedanken an ihn verschwendet – von Anzeichen des Verliebtseins gar nicht zu reden.
Quentin hingegen ist natürlich auf den ersten Anblick Mary verfallen. Es wird uns gesagt, dass er von ihr so angetan sei, da er zuvor nur Bauernmädchen und Bürgerstöchter kannte, nie jedoch eine Lady von Geblüt, Geburt und mit dieser Erziehung und zumal noch von solch lieblichem Anblick. Nun, denn. Das klingt für mich nicht nach Liebe sondern nach pubertären Hormonwallungen, was auch dadurch unterstrichen wird, dass er sie erblickt und fortan zufrieden sein soll, und „für den Rest seines Lebens auf der Schwelle ihres Zimmers stehen und in ihrer Nähe sein zu dürfen“ (S. 167) soll für ihn die ultimative Glücksvorstellung sein. Nicht gerade nachvollziehbar für mich. Und darüberhinaus auch etwas kitschig, was hier auch noch durch den etwas schwülstigen Schreibstil unterstrichen wird.
Denn obwohl ich Herrn Peinkofer nicht generell jegliche Schreibkunst absprechen will, muss ich doch feststellen, dass mir sein Stil nicht liegt. Die Formulierungen sind überdramatisch und die Sätze brechen vor allem unter der Last der etwas klischeehaft eingesetzten Adjektive zusammen. Dies trifft insbesondere für alle Beschreibungen und Handlungen der Bösewichte zu. Hier scheint Peinkofers Phantasie derart mit ihm davonzugaloppieren, dass er ein Klischee nach dem anderen aufkommen lässt. Ein „… schneidender Befehl gellt über der Dorfplatz …“ S. 203, „… sagte er mit einer Kälte, die sie erschauern ließ“ (S. 221), „unheimliche Gestalten in flatternden Roben und auf schimmernden Pferden“ (S. 235). Je weiter das Buch fortschreitet, desto mehr fallen mir solche Formulierungen wieder und wieder auf und stören mein Leseempfinden beharrlich.
Auch was die mystischen Elemente betrifft, die Peinkofer in diesem Buch einsetzt, so stehe ich diesen gespalten gegenüber. Denn einerseits habe ich nichts gegen Übersinnliches und Fantasy-Elemente, die meiner Meinung nach einem spannenden, historischen Roman eine schön gruselige Horrornote verleihen können. Das muss ja kein Nachteil sein. Doch gemischt mit Peinkofers überdramatischem Schreibstil und seinen zum Teil klischeehaften und unglaubwürdigen Charakterisierungen, wirken solche Mittel sehr künstlich. Die alte Kala, über die wir nur Andeutungen erhalten, und die über Jahrhunderte hinweg in die Geschichte eingreift. Der Graf, ihr dunkler Gegenspieler. Die Visionen der Vergangenheit, die Marys Träume prägen. All das hätte vielleicht von der grundsätzlichen Idee her noch gepasst, ist aber in überzeichneter Weise in die Geschichte eingefügt, so dass es nicht wirklich dazu beiträgt, das Buch zu einem gelungenen historischen Roman zu formen, sondern es stattdessen stellenweise verkitschen lässt.
Auf historische Korrektheit sollte man bei „Die Bruderschaft der Runen“ ebenfalls keinen allzugroßen Wert legen, was einem spätestens beim Auftauchen der diversen Fantasy-Elmente klar sein sollte. Aber auch was grundlegende historische Fakten angeht, hat sich Herr Peinkofer ganz seiner überschäumenden Phantasie hingegeben: Weder ging William Wallaces Schwert nach seinem Tod in den Besitz von Robert the Bruce über, noch war Robert the Bruces Schwert, das er in der Schlacht von Bannockburn benutzte, über Jahrhunderte hinweg verloren. (Es befindet sich seit rund 700 Jahren im Besitz der Familie des Earl of Elgin, der ein direkter Nachfahre von Robert the Bruce ist). Und schon gar nicht wurde das Schwert etwa von Sir Walter Scott wiederentdeckt. Etwas missverständlich ist dies nämlich im Epilog dargestellt, der noch zur fiktiven Geschichte gehört, aber den Eindruck eines Nachwortes des Autors vermittelt und so einen leichtgläubigen Leser mit falschem historischem Eindruck zurücklassen kann.
Dennoch denke ich, dass man solche historische Hirngespinste insgesamt verzeihen kann, da es sich hier schließlich um ein Werk der Unterhaltungsliteratur handelt. Umso mehr zudem, als der Autor selbst auch im Nachwort zugibt, sich einige historische Freiheiten erlaubt zu haben. Zwar spricht Peinkofer da von der Person des Sir Walter Scott und die übrigen historischen Freiheiten werden nicht explizit erwähnt, doch dem halbwegs aufgeschlossenen Leser sollte schon klar werden, dass es sich hier nicht gerade um eine Quellenlektüre handelt.
„Die Bruderschaft der Runen“ hat mich insgesamt eher enttäuscht. Obwohl das Buch über gute Ansätze verfügt, wie zunächst einmal die Idee, Sir Walter Scott als Detektiv agieren zu lassen, als auch der durchaus gelungene Spannungsaufbau, so rutscht die Geschichte, je weiter sie voranschreitet, insbesondere durch den schwülstigen, überdramatisierenden Schreibstil und die klischeehaften, überzeichneten Charakterisierungen auf ein Niveau herab, auf dem ich das Buch allenfalls noch eingefleischten Fans schottischer Geschichte empfehlen kann.
_Historische Fakten_
Sir Walter Scott wurde am 15. August 1771 in Edinburgh geboren. Als einer der ersten Autoren, die auch Personen außerhalb des Adelsstandes und sogar Andersgläubige als günstig portraitierte Hauptrollen in ihren Werken auftreten ließen, gilt er als Verfechter des Prinzips, dass alle Menschen, egal in welchen Stand oder Glauben sie geboren wurden, zunächst gut sind. Seine zumeist historisch ausgerichteten Werke behandeln häufig das Aufeinandertreffen verschiedener Glaubensrichtungen oder Kulturen, wie beispielsweise die Reibungen zwischen Angelsachsen und Normannen in seiner vermutlich bekanntesten Schöpfung „Ivanhoe“.
_Zum Autor_
Michael Peinkofer wurde 1969 geboren, hat Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaft studiert und arbeitet unter anderem als Journalist, zum Beispiel als Fernsehjournalistfür das Magazin |Moviestar|. Er hat nach Verlagsangaben unter diversen Pseudonymen (die der Verlag aber nicht nennt) anscheinend schon etwa 180 Bücher verfasst. Unter dem Namen Michael Peinkofer ist vor seinem ersten historischen Roman „Die Bruderschaft der Runen“ aber bisher nur „Das große Star Trek Buch“ erschienen, das unter seiner Mitautorschaft entstanden ist. Er lebt in Kempten im Allgäu.
Dan Simmons – Das Schlangenhaupt
Darwin Minor ist ein Mann mit Vergangenheit; ein Vietnam-Veteran mit typischem Trauma, was ihn aber nicht hinderte, zum Doktor der Physik zu promovieren. Im Zivilleben verdient sich Minor seine Brötchen als Spezialist für die Rekonstruktion von Unfallursachen. Seit er nicht mehr für den Öffentlichen Dienst arbeitet, sondern bei einer kleinen für Schadenregulierungen angeheuert hat, die vom grantigen Lawrence Stewart und seiner Gattin Trudy geleitet wird, bereiten ihm seine Schwierigkeiten im Umgang mit Vorgesetzten und Respektspersonen keine gravierenden Probleme mehr. Minor gilt als As und wird gern bei allen möglichen und vor allem unmöglichen Zwischenfällen zu Rate gezogen, die Menschenleben kosten und versicherte Sachschäden verursachen.
Obwohl sich darunter delikate Fälle befanden, hatte Minor bisher mit dem organisierten Verbrechen wenig zu tun. Das ändert sich, als ihn eines Tages russische Mafiakiller auf offener Straße mit Maschinengewehren beschießen. Der Anschlag misslingt, und Minor bringt die Strolche zur Strecke. Um die Hintermänner zu fassen, arbeitet er unwillig mit der Polizei und dem Geheimdienst zusammen. Dan Simmons – Das Schlangenhaupt weiterlesen
Korb, Markus K. – Grausame Städte (Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek Band 1)
Wenn jemand sich mit seiner schlafenden Liebsten in ein Zimmer eingeschlossen hat und einen recht einseitigen Dialog mit ihr hält, weiß der versierte Leser von Horrorstorys: Besagte Liebste ist tot, der angebliche Geliebte hat sie umgebracht und erklärt nun sich selbst und dem Publikum, wie es dazu kommen konnte. Man findet diese Konstellation immer wieder in immer neuen Variationen. Interessant an diesen ist nicht mehr das Was, sondern das Wie – Schafft es der Autor, dem Leser die Zerrissenheit des Protagonisten nahe zu bringen, die Welt außerhalb des gestörten Geistes von diesem verfremdet darzustellen und so das eigentliche Grauen zu erzeugen, das nicht den äußeren Zutaten (der Liebsten entnommene Eingeweide, eine Badewanne mit Natron etc.) entfließt? Markus K. Korb gelingt es, in „Concetta“, der ersten Geschichte des Venedig-Zyklus seines Buches – mit dem zugleich eine neue Reihe von [BLITZ]http://www.blitz-verlag.de startete: Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek (Herausgeber: gleichfalls Markus K. Korb).
Das Buch, von Gustav Wölkl wirklich schön illustriert, besteht aus zwei Zyklen zu je 4 Geschichten, die in den grausamen Städten Venedig und Berlin spielen. Es ließe sich an dieser Stelle viel Kluges über Parallelitäten innerhalb der Zyklen und zwischen diesen sagen, doch da dies bereits Eddie M. Angerhuber in ihrem fundierten Nachwort tut, seien alle Interessenten an eben dieses verwiesen. Hier kommt im Folgenden vor allem der Leser zu Wort, der sich von der Atmosphäre hat anrühren lassen oder keinen Zugang zu einer Geschichte gewann.
Insgesamt erst einmal: Mir erscheint dieser Einstieg in eine neue Reihe gelungen. Der „innere Bezug zu Poes Ideenwelt“, den Herausgeber Korb in einem kurzen Vorspruch beschwört, ist zweifelsohne gegeben, ebenso das Aufgreifen Poe’scher Motive und der Anspruch, sich nicht „in bloßen Nachahmungen“ zu erschöpfen, sondern „Eigenständigkeit und Originalität“ zu besitzen. Freilich ist in diesem Kontext „Originalität“ ein sehr hohes Wort, genau wie die Bemerkung, die in der Reihe erscheinenden Werke sollten innovativ sein und die Phantastische Literatur fortentwickeln. Leiser Zweifel: Wird diese Latte nicht – wenigstens gelegentlich – gerissen werden? Welchem Autor kann man schon bescheinigen, im Phantastischen innovativ und ein Fortentwickler zu sein? Mir fallen Namen wie Hoffmann, Poe, Kafka, Ligotti ein, aber schon bei Lovecraft komme ich ins Grübeln, denn in Sprache und Komposition ist er nicht innovativ, man könnte allenfalls seine Kosmogonie in die Waagschale werfen. Auch fragt man sich natürlich, ob Autor Korb einlösen kann, was Herausgeber Korb verspricht. Es wäre schon viel, finde ich, wenn einem gute Geschichten erzählt würden oder wenn man, wie im Nachwort beschworen, hier ein Forum schafft für die vorhandenen deutschen Talente, die Chancen brauchen, veröffentlicht und gelesen zu werden. Bei derlei Ankündigungen wäre mir ehrlich gesagt wohler. Denn so gut mir z. B. „Concetta“ auch gefallen hat – innovativ ist die Story nicht.
Es gibt in diesem Buch auch andere Texte, die mir eher wie Versuche vorkommen. „Carnevale a Venezia“, ein weiterer innerer Monolog, schickt einen Professor der Kunstgeschichte mitten im Karneval einer seltsamen Maske hinterher – zuerst scheint es sein Schwager zu sein, dann ein Privatdetektiv, den seine Frau auf ihn angesetzt hat, dann die Frau selbst. Am Ende fragt der Ich-Erzähler, ob er einem Phantom gefolgt ist, um dann fortzusetzen: „… tat ich das nicht schon seit Jahren? Habe ich nicht stets eine Idee, eine menschliche Vorstellung von Unsterblichkeit verfolgt? Kann es sein, dass diese Idee für eine kurze Zeit in der magisch aufgeladenen Luft des venezianischen Karnevals Gestalt angenommen hat?“ So leitet der Autor zum eigentlichen Thema des Textes hin, das in einer Vision gipfelt, die dem Protagonisten den Verfall der „ewigen“ Kunst und des Menschenwerkes zeigt: Venedig wird versinken, die Touristen werden mit U-Booten durch seine unterseeischen Kanäle fahren, in nicht allzu ferner Zeit. Nun gewinnen auch die relativ langen Ausführungen des Professors zu den Kunstwerken der Stadt ihren Sinn, aber mir scheint, dass dieser Text nicht organisch gewachsen ist, dass der Umschwung „Schwager / Detektiv / Frau – Idee“ doch allzu krass und unmotiviert erfolgt.
„Das Ikarus-Prinzip“ hingegen ist eine gelungene Geschichte über einen Einbrecher, der den Dionysos-Rubin aus dem Palazzo Dario stehlen will und dabei ein mysteriöses Erlebnis hat. Korb hält bis zum Schluss alles offen, es gibt mehrere Erklärungen für das Geschehen, erst das Ende deutet an, welche Lesart den Vorzug gewinnt. Der Reiz resultiert hier aus gekonnt inszenierter Unbestimmtheit, die schließlich gebührend aufgelöst wird.
Es folgt mit „Insel der Gräber“ – die Friedhofsinsel San Michele fasziniert Korb – eine Geschichte, zu der ich ein zwiespältiges Verhältnis habe. Ich finde sie gut, denn sie greift das Sujet des ahnungslosen Protagonisten auf, der ungewollt und plötzlich aus dem normalen Alltag in das Grauen hinübertritt. Der Ministrant Paulo wollte ja nur einmal sehen, wo auf San Michele die Toten ruhen, ein Jungenstreich, nichts weiter … Was daraus wird, ist bis hin zum wahrhaft monströsen Ende gut erzählt. Der Autor findet für die venezianische Sage vom Lagunengott oder -unhold eine originelle (ja, hier passt das Wort!) und natürlich grauen-volle Erklärung. Ich habe nur das Gefühl, dass die Bezüge zu Lovecrafts Kosmos die Originalität des Werkes schmälern; wenn das Wort „Shub-Niggurath!“ fällt, ist eigentlich (fast) alles klar. Ein wenig schade!
Auch in „Tief unten“, der abschließenden Geschichte des Berlin-Zyklus, verarbeitet Korb Mythologisches. Diesmal ist es die germanische Saga vom Ende der Welt, von den Ragnarök, denen ein langer Winter vorausgeht, an dessen Ende die letzte Schlacht geschlagen wird, aus welchem Anlass der Fenris-Wolf von seiner Fessel loskommt. Korb verlegt die Handlung in das Berlin einer nicht allzu fernen dystopischen Zukunft: Russland/China und die USA bedrohen einander wieder einmal mit Atomraketen, und in Deutschland feiern Faschos blutige Urständ. Wer kann, zieht sich zurück, zum Beispiel in die Welt der Bunker unter der Stadt, wo schräge Endzeit-Partys steigen. Auf einer solchen erhält der Caver Woffo von einem zwielichtigen Ungarn eine Karte mit dem Weg zu einem noch unentdeckten Nazi-Bunker. Er sucht ihn auf und findet dort einerseits eine V3, deren Zählwerk gegen Null rast, andererseits geht ihm auf, dass der unterirdische See in der Nähe des Bunkers etwas viel Monströseres beherbergt, nämlich Fenris, der nur noch ein Opfer braucht, um loszukommen … Bei allem Respekt vor dem Engagement dieses Warntextes: Ich halte ihn für den schlechtesten des Buches. Die Mischung zweier Handlungsstränge – Nazis provozieren den Dritten Weltkrieg und leiten zugleich die Ragnarök ein – überspannt den Bogen völlig, zumal die Vorstellung, Fenris hause unter Berlin und steige als riesiges Monster aus dem See empor, den Mythos ins Banale hinüberzieht. Hier wäre weniger eindeutig mehr gewesen.
„Wir sehen alle besser aus in Schwarz und Weiß“, der dritte Text des Zyklus, variiert abermals das Concetta-Motiv: innerer Monolog, gestörter Geist, umgebrachte Eltern, stumme Zwiesprache mit der Mutter, die der verlorene Sohn auf den richtigen Weg bringen wollte, schließlich wiederum (wie im „Ikarus-Prinzip“) ein Sprung in die Tiefe. Doch was mir hier gefällt, was die Geschichte auch besser als „Concetta“ macht, ist die Wahnidee hinter dem Ganzen: Der Erzähler meint, dass die Farben lügen; nur eine Welt in Schwarz-Weiß wie die der alten Filme scheint ihm ehrlich zu sein, und es ist seine Mission, dies allen Leuten zu verkünden – was er konsequent bis zum Ende tut. Ein schöner, dichter Text, der das Prädikat „originell“ zumindest im Fach „Wahnvorstellung“ verdient.
Besessen ist auch der Künstler, der in „Insomnia“ Werke der Weltkunst nachschafft – in einer brodelnden Atmosphäre des Berlin der Zwanziger, in der alles möglich scheint. Zum wirklich gelungenen Sujet, zum rasanten Erzählton kommt hier noch das, na ja, morbid Reizvolle des Ratespiels hinzu: Welches Kunstwerk ist gemeint? Und: Korb spielt in diesem Text seine Stärke der atmosphärisch dicht und detailgetreu gezeichneten Milieus voll aus. Die übrigens belebt auch die schwächeren Texte. Die grausame Stadt, nicht der einzelne Mensch, ist jeweils das Üble, Böse – die menschlichen Täter lassen sich von ihr nur infizieren und setzen handelnd um, was sie vorzeichnet.
Genaues Milieu schildert auch „Der Schlafgänger“ – für mich der Höhepunkt des Buches, eine Geschichte, die den hohen Anspruch wirklich einlöst. Mit brutaler Präzision stellt Korb den alltäglichen Horror des Lebens einer Arbeiterfamilie um 1892 dar. Bei dieser mietet sich täglich von sieben bis drei ein Schlafgast ein – das hilft der Familie, ihr mageres Budget aufzubessern. Details werden sparsam, aber gezielt und daher äußerst effektiv eingesetzt – allein die Überlegung, nach drei dann noch einen zweiten Gast aus einer anderen Schicht aufzunehmen, spricht Bände! Der Ich-Erzähler, der sich als Erwachsener an alles erinnert, beobachtet nun, wie der mysteriöse, Furcht erregende Fremde sich allnächtlich seinem kleinen Bruder nähert, der von Tag zu Tag schwächer wird. Der Junge findet bei den Erwachsenen kein Gehör für seine Befürchtungen und beschließt, selbst zu handeln … Das klassische Vampir-Sujet? Nicht wirklich. Beeindruckend: die Darstellung der schließlich enthüllten Gestalt des Fremden, noch beeindruckender aber: wie der Autor die scheinbar klare Geschichte am Ende umkippen lässt. Wieder arbeitet Korb mit der Unbestimmtheit – aber was in „Carnevale a Venezia“ leicht enttäuscht und in „Das Ikarus-Prinzip“ nicht übers Bekannte hinausgeht, lenkt hier den Blick unerwartet in die Abgründe der Seele, des Vorurteils und der Schuld. Der Leser wird gleich mit hineingelockt … So ist „Der Schlafgänger“ auch ein Spiel mit Versatzstücken und Erwartungen. Ich bin von dieser Geschichte schlichtweg begeistert.
Sie zeigt auch, was Eddie M. Angerhuber im Nachwort beschwört und was der Vorspruch programmatisch deklariert: Es gibt Talente in der deutschen Phantastik, die ihre Wurzeln in der internationalen, aber auch in der großen nationalen Tradition des Genres haben. Man muss ihnen nur die Gelegenheit geben, öffentlich wahrgenommen zu werden. Freilich wird nicht jeder Text – des Buches und, denke ich, auch der Reihe – als innovativer Geniestreich gelten können, aber Perlen finden sich hier und anderswo unstreitig. Man muss sie nur aus der Tiefe holen. Das ist freilich ein riskantes Unterfangen – aber Verleger, die kein Risiko eingehen, verdienen den Namen nicht.
Leser übrigens auch nicht …
_Peter Schünemann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|
Bauer, Ines; Luger, Sabina; Ott, Judith – Schatten über Byzantium (Demonwright)
Die Dämonen des |Demonwright| sind erwacht und greifen erneut nach Byzantium. Fast das ganze Land ist schon von ihren orkischen Dienern unter Kontrolle gebracht, nur die Stadt Palvecia und die zugehörigen Landstriche erfreuen sich noch einer zweifelhaften Freiheit und Unabhängigkeit. Die Kaufleute murren, denn die Straßen sind unsicher im Land, und der Herzog Mortak von Palvecia ist nicht in der Lage, sie zu schützen. Das Volk darbt und hungert, und erstmals seit ewigen Jahren vereist der Hafen in der Winterkälte.
Herzog Mortak befragt das Orakel des Eldir, des weisen Gottes mit seherischer Kraft. Durch den Mund des Oberpriesters Egil erfährt Mortak von der einzigen Hoffnung für Byzantium: Die drei Artefakte, die schon vor undenklichen Zeiten aus der Schale in der Hand der Eldirstatue im Tempel verschwanden, müssen gefunden und wiederbeschafft werden, dann würde die dunkle Macht zurückgedrängt. Aber nicht irgendjemand soll die Suche antreten, auch nicht Mortak selbst, sondern seine Kinder!
Der faule Sohn, Arifes, der schon immer alle Verantwortung auf seine Schwester Sefira abgewälzt hat, will sich auch jetzt hinter ihr verstecken und schiebt ihre Schutzlosigkeit als Frau vor, um dem Auftrag zu entgehen. Da ereilt den herzoglichen Sitz die Kunde, dass Sefiras Verlobter von Orks brutal getötet wurde, und Sefira sieht keinen Grund mehr, den Auftrag abzulehnen, ganz zu schweigen von ihrem Verantwortungsgefühl für Land und Volk. Also brechen sie auf, geschützt von drei Kristallen, die ihnen in höchster Not auf der Suche Rettung verheißen sollen.
Unglücklicherweise werden sie getrennt, und Afires flieht in die Stadt zurück, wo er im Suff von der Diebin Nantalin überrumpelt und von seinem Kristall befreit wird. Nantalin wurde von einem unbekannten Mann beauftragt, den Geschwistern zu folgen und sie um die Kristalle zu erleichtern, bevor sie die Artefakte würden bergen können. Nun verfolgt sie Sefira, die unterdessen auf Plünderer gestoßen ist und sich in ihrer Unterkunft erholt. Auch Arifes hat von ihrem Aufenthaltsort erfahren. Als er mit seiner Schwester die weiteren Pläne erörtert (unter anderem wollen sie den Zwerg Oolith suchen, der durch sein Alter etwas von den Artefakten gehört haben könnte), werden sie von Nantalin belauscht, die sich alsbald auf den Weg zu Oolith macht.
Die orkische Schamanin Chahfkrish und der Orkführer Kherr stehen mit den dämonischen Xul in Verbindung und trachten ebenfalls nach den Kristallen, die die Schlüssel zu den Artefakten darstellen. Unter Chahfkrishs Führung nähert sich das Heer Palvecia, Kherr verfolgt die Geschwister und kommt ihnen immer näher. Es scheint, als könnte die Rückkehr der Artefakte in die Schale bis zum Vollmond verhindert werden, was den Untergang Byzantiums bedeuten würde …
Obwohl das Buch nicht besonders dick ist, lässt sich die Geschichte nicht in wenigen Worten umreißen, so komplex und vielschichtig ist sie erzählt. Die Entwicklung des feigen und faulen Arifes, dem sogar das Schicksal seiner Schwester im Moment der Gefahr egal ist, zum Orkschlächter und führsorglichen Beschützer dauert über die gesamte Handlungszeit und geht fast unmerklich vonstatten. Zwar erahnt man Einzelheiten wie das Schicksal Nantalins und den Hintergrund des höfischen Verrats, das tut aber weder der Spannung noch dem Lesefluss Abbruch, weil die hinweisenden Sätze zur richtigen Zeit kommen.
Einzig die schnelle Zuneigung Sefiras zu diesem Schönling Sid kurz nach dem Tod ihres Verlobten erscheint etwas unnatürlich und führt zu Widerwillen. Glücklicherweise wird dazu ein passender Ausweg gefunden, denn die Eisschmelze setzt pünktlich ein.
Byzantium selbst erscheint nicht sonderlich groß, wenn die Helden etwa ein Drittel der Insel in knapp einem Monat bewandern können. Darum erstaunt auch nicht die gute Ortskenntnis des alten Zwergs Oolith, der noch andere Einblicke in die Geschehnisse zu haben scheint, da er aufopfernd sowohl Arifes als auch seiner Konkurrentin Nantalin hilft und sie vor dem schnellen Zugriff des Orks Kherr bewahrt. Schade, dass wir nicht mehr über ihn erfahren konnten.
Trotz des dichten Handlungverlaufs gelingt es den Autorinnen vorzüglich, auf den Hintergrund der Götterwelt und der Landesgeschichte einzugehen; dadurch gewinnt die Geschichte an Substanz und Glaubwürdigkeit. Man leidet mit Arifes, als er seinem Pferd die Qualen erspart, gleichzeitig muss man sich das Lachen verkneifen, denn die in hohem Bogen über die Deckung fliegenden Bröckchen des Unwohlseins wirken in Anbetracht der ernsten Situation erfrischend. Überhaupt bildet sich um Arifes und Nantalin ein ungreifbares Feld der Komik. Außer Frage steht, dass zwischen ihnen ein gewisses Knistern besteht, und umso erheiternder kommen Augenblicke wie das nackte Im-Schnee-wälzen oder die pragmatische Sicht der Dinge, als ihr verhinderter Führer, der weiße Rabe, seinen Weg erst in den und dann wieder aus dem Magen von Arifes findet – und damit seinen Zweck doch noch erfüllt.
Natürlich ist das Anagramm des Namens der Geschwister augenfällig. Dass dies ein wichtiges Element der Geschichte ist, glaube ich nicht, eher handelt es sich wohl um eine kleine Neckerei der Autorinnen. Insgesamt gefällt mir der Roman ausgesprochen gut, er ist spannend, tiefgründig und so unterhaltsam, dass ich ihn erst um zwei Uhr morgens zur Seite legen konnte – als er ausgelesen war. Dabei lässt sich nicht feststellen, ob wirklich drei Autorinnen mitwirkten oder doch nur eine Person (aber nach direkter Bekräftigung von Ines Bauer ist es tatsächlich Teamarbeit), das lässt auf ein hervorragendes Zusammenspiel schließen. Es ist ein Buch geworden, das Beachtung verdient. Apropos verdient: Beruhigend, dass auch Nargol sein Fett wegkriegt!
Verlagsseite: http://www.wurdackverlag.de
Lustbader, Eric Van – dunkle Orden, der
Mit „Der dunkle Orden“ schließt Eric Van Lustbader seinen dreiteiligen Fantasyzyklus um die magische Welt Kundala ab, die von den hochtechnisierten V’ornn überfallen und unterjocht wurde.
Lustbader hat eine komplexe Welt voller Gegensätze geschaffen; was im ersten Band [„Der Ring der Drachen“ 254 noch ein stark an Herberts |Dune|-Zyklus angelehntes Werk war, entwickelt sich im Folgeband „Das Tor der Tränen“ zu einem Kampf der Kontrahenten innerhalb der eigenen Reihen. Mit den Dämonen Kundalas, die in die Welt drängen, kommt noch eine weitere Partei ins Spiel.
So brodelt es in den Reihen der V’ornn, als die niedere Kriegerkaste der Khagggun von den neuen Machthabern, der Familie Stogggul, in den Rang einer Hohen Kaste erhoben wird. Die Flottengeneräle bekämpfen sich untereinander, während der Widerstand der Kundalan zersplittert und uneinig ist. Doch auch in religiöser Hinsicht ist Konfliktstoff gegeben, die Ramahan (Priester/Zauberer) der Göttin Miina sind bereits kurz nach der Invasion der V’ornn von ihrem Glauben abgefallen und geben sich der Schwarztraumzauberei Kyofu hin.
Doch wie passt die höchste Kaste der V’ornn – die geheimnisvollen Gyrgonen, mit Technologie ausgestattet, deren Möglichkeiten weit über der normaler V’ornn steht und an Magie grenzt – in dieses Bild? Sie sehen in der Magie Kundalas den letzten Weg, um der drohenden Vernichtung durch die ominösen „Centophennni“ zu entgehen. Magie ist ihnen unbegreiflich, aber vielleicht der einzige Weg, um die Geheimnisse der Goronenpartikel zu meistern, die als Waffe verwendet mächtiger sind als alles, was die V’ornn zur Verteidigung aufbieten können.
Gleichberechtigung und Emanzipation spielen ebenfalls eine große Rolle; so laufen viele V’ornn-Frauen aus der niederen Kaste der Tuskugggun (Heim, Kinder und Herd …) zum kundalanischen Widerstand über, unter ihnen auch Marethyn, die Schwester des neuen, besonders grausamen Herrschers der V’ornn auf Kundala, Kurgan Stogggul. Seine Sippe hat die gegenüber den Kundalan allzu freundliche Familie Ashera abgelöst und ausgelöscht. Bis auf seinen Jugendfreund Annon …
Dieser ist ein V’ornn/Kundalan-Mischling, Sohn des ermordeten Königs Eleusis Ashera und seiner kundalanischen Konkubine Giyan. Bei ihm drängt sich die Assoziation zu „Dune“ geradezu auf, denn ähnlich wie Paul Atreides ist er der ersehnte Messias, Retter Kundalas. Als der Dar Sala-at soll er Miinas heiligen Drachen Seelin befreien, die „Perle“ Miinas in seinen Besitz bringen und die V’ornn von Kundala vertreiben. Zum besseren Verständnis sei erwähnt: Annon wurde bereits im ersten Band umgebracht und gilt als tot – sein Geist teilt sich den Körper mit dem der Kundalan Riane, er wurde also körperlich in eine Frau umgewandelt. Das schafft eine ganze Menge Probleme, denn er liebt die Kundalan Eleana, die zudem sein grausamer „Freund“ Kurgan bereits im ersten Band vergewaltigt und geschwängert hat.
Auf eine Aufzählung der zahlreichen, schillernden Nebencharaktere, wie den später zum Nawatir, Kämpfer der Göttin Miina, umfunktionierten Truppkommandeur Rekkk Hacilar, der auch Annon zuerst einmal getötet hat (dies erinnert ein wenig an die Geschichte um Jesus und den Legionär, der ihm den Speer in die Seite rammte), möchte ich hier verzichten. Die von Lustbader geschaffene Welt ist unheimlich komplex, bevölkert von zahllosen interessanten Charakteren und spielt mit den gelungenen Kontrasten zwischen verschiedenen Arten der Magie bis hin zur Nekromantie, Genetik und modernster Technologie.
Daraus kann man eine eindeutige Empfehlung ableiten: Obwohl es ein Glossar gibt, ist dieses wenig hilfreich, zu komplex sind die Zusammenhänge, zudem ist es lieblos und unvollständig – ein Einstieg muss zwingender denn in vielen anderen Serien mit dem ersten Band „Der Ring der Drachen“ erfolgen.
Was bietet nun der letzte, abschließende Band dieses wilden Mixes aus Horror, Fantasy und SciFi?
Zuerst kommt die Erkenntnis, dass das anfänglich so sehr an Dune angelehnte Szenario sich vollständig eigenständig entwickelt hat und innovative neue Ideen bietet; die lebhafte Welt Kundala ist Lustbader ob und gerade wegen ihrer Gegensätze einfach perfekt gelungen. Die Chance, bei einem Mix dreier Genres literarischen Schiffbruch zu erleiden, ist nicht gerade gering, und an einigen Untiefen kommt auch Lustbader nicht vorbei: Er fordert einen für Neues offenen Leser, der konzentriert liest. Denn einfach zu konsumieren ist sein Zyklus nicht.
Die Vielfalt hat auch ihren Preis. So wimmelt es nur so von ständig neuen Handlungssträngen und Nebenhandlungen, die leider oft nicht abgeschlossen oder abgewürgt werden. Das hohe Erzähltempo und häufige Wechsel der Bezugsperson der Erzählung führen oft auch zu einer sehr subjektiven Sicht der Welt, in der Charaktere hervorgehoben werden, die Umgebung aber bestenfalls skizziert wird, was ich allerdings nicht als negativ empfunden habe.
Leider verliert sich so auch ein wenig der Faden, es gibt keine eigentliche Hauptfigur, wie man es ob der Rolle Annons/Rianes annehmen könnte. Der abschließende Band tröpfelt anfangs vor sich hin, man weiß nicht im Geringsten wie es weitergehen soll, plötzliche Sprünge eröffnen dann neue Perspektiven. Dies ist ähnlich ärgerlich wie die bereits im zweiten Band aufgetretenen „Deus ex Machina“-Effekte. Lustbaders Handlungsführung weist hier erhebliche Defizite auf, die erste Hälfte des Buches ist dadurch ein zäher, orientierungsloser Brocken, der nicht gefallen kann.
Das letzte Drittel ist dafür actionreich und spannend – leider ist das Ende bitter enttäuschend. Vieles bleibt ungelöst, es gibt keinen krönenden Abschluss, man glaubt kaum, dass das Buch hier endet. Ob man hier Lustbader zu einer Trilogie genötigt hat? Komplexe Serien haben oft Schwierigkeiten, zu einem guten Ende zu kommen … hier aber drängt sich der Eindruck einer erzwungenen Raffung auf. Das würde auch die zunehmenden Sprünge und Unglaubwürdigkeiten besser erklären. So scheint die Dreiecksaffäre zwischen dem Nawatir, der ihn verschmähenden Giyan und der ihn liebenden Inggres arg gekürzt worden zu sein, sie ist oberflächlich und endet plötzlich. Dasselbe gilt für die Dämonen, die den zweiten Band dominierten und sich seitdem wohl nicht mehr aus der Hölle getraut haben.
Annon/Rianes und Eleanas Beziehung sowie die in diesem Band erfolgende Metamorphose Kurgans haben allesamt einen Ende-offen-Charakter, noch wird Kundala befreit im klassischen Sinne.
_Fazit:_ Es ist schade, wie dieser faszinierende Zyklus endet. Ist er am Ende an seiner überbordenden Komplexität gescheitert oder auf Drängen des Verlages, der die Saga in drei statt fünf Bänden abgeschlossen sehen wollte? Zumindest wurden diese drei Bände in der sehr gut gelungenen deutschen Übersetzung nicht wie so oft üblich gesplittet.
Dieser Zyklus ist faszinierend – aber die wunderschöne Welt, die Lustbader geschaffen hat, leidet am Ende unter zu vielen offenen Handlungssträngen, zu vielen Charakteren und fehlendem roten Faden. Schade! Diese Fantasywelt hatte so viel Potenzial, leider enttäuscht und verärgert sie mit diesem Finale. Wer von Standard-Fantasy oder SciFi gelangweilt ist, wird sie dennoch lieben. Allen anderen kann ich aufgrund der genannten Defizite nur abraten.
Hoffnung besteht dennoch: Das kann nicht das Ende sein – vielleicht folgt ja eine zweite Trilogie, welche die Handlung fortführt, die vielen offenen Fragen klärt und einem nicht das Gefühl gibt, mittendrin aufzuhören!
Thomas Ziegler – Die letzten Tage Lemurias (Perry Rhodan. Lemuria 5)
Auf einer abgelegenen Welt des 87. Tamaniums – so etwas wie Staaten im lemurischen Imperium, dem Großen Tamanium – soll sich die geheime Temporalforschungsstation des lemurischen Suen-Clans befinden, protegiert durch den Tamrat Markam. Zwar wurden diese Forschungen verboten, doch jetzt, kurz vor der endgültigen Niederlage der Lemurer gegen die Bestien, greift man zum letzten Ausweg: Ein kleiner Kreuzerverband mit dem lemurischen Chefwissenschaftler an Bord soll diese Welt aufsuchen und die Gerüchte um eine Zeitmaschine überprüfen – um im Falle ihres Zutreffens eine Flotte in die Vergangenheit zu schicken, die den Heimatplaneten der Bestien vor deren Aufbruch ins All vernichten soll. Ein unglaubliches Zeitparadoxon.
Der kleine Verband wird unterwegs von Raumschiffen der Bestien aufgehalten und fast aufgerieben, ehe ein größerer Verband eingreift. Der Befehlshaber weiß nichts von dem Geheimauftrag und beordert die Überreste des Verbands zur Abwehr über einen bedrohten Planeten. Zufällig ist Levian Paronn oberster Technad des Planeten und erhält als solcher Einblick in die Berichte der Offiziere. Er erfährt von dem geplanten Zeitexperiment und erkennt, dass hier seine Bestimmung liegt, die ihm vor wenigen Jahren von einem Überwesen prophezeiht wurde. Er übernimmt den Auftrag und fliegt den bewussten Planeten an.
Icho Tolot, der halutische Freund Perry Rhodans und später Nachkomme der Bestien, erscheint in eben dieser Zeitstation auf dem Planeten aus dem Zeittransmitter und versetzt unwillentlich die Besatzung in Angst und Schrecken, die ja in ihm eine Bestie sehen muss. Um seine Loyalität zu beweisen, greift Tolot persönlich in einen Angriff der Bestien ein, die auf dem Planeten ein Blutbad anrichten. Er tötet einige seiner Vorfahren und hofft ständig, kein Zeitparadoxon zu verursachen.
Levian Paronn taucht auf und versucht, Tolot als letzten vermeintlichen Überlebenden der Bestien zu töten, dieser kann sich aber entziehen und gestikuliert wild, um Paronn auf den Atombrand aufmerksam zu machen, der, von den Bestien gelegt, die Welt vernichten wird. Paronn lässt den Zeittransmitter abbauen, doch bevor er ihn von der Welt transportieren kann, vernichtet ein weiteres Schiff der Bestien seinen Raumer. Auf der einen Seite der wütende Atombrand, auf der anderen Seite die gelandeten Bestien, scheint es für Paronn und seine Mission keine Zukunft zu geben. Es sei denn, die Fremde Bestie (damit denkt er an Tolot) griffe nochmals zu seinen Gunsten ein …
Thomas Ziegler wurde 1956 in der Nähe von Uelzen als Rainer Zubeil geboren, zog nach Wuppertal und Köln und verfasste phantastische Romane, in denen er immer wieder auf grundlegende Motive zurückkam: Seine Warnung vor rechtsradikalen Bewegungen, Kritik an von demokratischer Kontrolle entzogener Wirtschaft, seine Skepsis den Medien gegenüber und seine Betrachtungen von Natur, Umwelt, Ökologie. Ziegler sprudelte über vor Fantasie, was auch von seinem Autorenkollegen und späteren Rhodan-Autor Uwe Anton belegt wurde, mit dem er einige Romane in Kooperation schrieb. Zwischenzeitlich, nach seiner kurzen Einlage als Exposéautor bei Perry Rhodan, zog sich Ziegler aus der Phantastik zurück und widmete sich anderer Literatur, in der immer wieder Köln zum Schauplatz wurde. Erst in den letzten Jahren kehrte er zu seinen Wurzeln zurück und es war sogar ein Wiedereinstieg bei Perry Rhodan geplant. Kurz nach Fertigstellung des Manuskripts zum vorliegenden Roman verstarb Rainer Zubeil/Thomas Ziegler viel zu früh am 11. September 2004.
Mit seinem letzten Roman hat Ziegler seinen Beitrag zu neuen Einblicken in die lemurische Geschichte geleistet und gleichzeitig zur Lösung der letzten Fragen in diesem Minizyklus beigetragen. Levian Paronn, dessen Herkunft bisher im Dunkeln lag, kommt aus der Epoche des Niedergangs der lemurischen Zivilisation, vom Ende des Kriegs gegen die Bestien. Er ist Wissenschaftler und Technad; die mysteriöse Übergabe des Zellaktivators wird von Tolot so interpretiert, dass ES seine Finger im Spiel hat. Anscheinend hat ES noch etwas vor mit den Lemurern, oder es hätte ihnen nicht durch Paronn und die Zeitschleife um Tolot eine zweite Chance, die Überbrückung der Jahrtausende mit Generationsschiffen in die Gegenwart, gewährt. Also taucht ein neues Rätsel auf: Was bezweckt die Superintelligenz ES mit diesem Vorgehen? Allzu schwerwiegende Auswirkungen dürfte es nicht haben, oder im nächsten und letzten Band des Zyklus schlägt die Mission doch noch endgültig fehl, denn meines Wissens tauchen diese neuen Lemurer in der Heftserie bisher nicht auf.
Ziegler verarbeitet die bei Zeitreisegeschichten immer auftauchenden Fragen nach Paradoxa und der logischen Probleme sehr zufriedenstellend (auch dieses Themas nahm er sich oft und gern an in seinen Werken): Während man in den letzten Zyklen der Heftserie zu einer wenig erbaulichen Logik kam, nach der die Protagonisten bei Zeitreisen machen können, was sie wollen, ohne Paradoxa hervorzurufen, da „alles geschieht, weil es bereits geschah“, lässt Ziegler seinen Protagonisten Tolot viel über diese Problematik nachdenken und kommt eben nicht überzeugt zu diesem Ergebnis. Tolot ist der Meinung, man müsse sich durchaus vorsehen als Zeitreisender, um keine schwerwiegenden Fehler zu machen. Er zum Beispiel könnte in der Epoche durchaus doppelt existieren und es wäre fatal, seinem anderen Ich zu begegnen. Oder wenn er die Zerstörung des Zeittransmitters nicht verhindert hätte, wäre Paronn nicht in die Frühzeit der Lemurer gelangt, um dort die Sternenarchen auf die Reise zu schicken. Durch sein Wissen um die Zukunft (aus seiner Sicht eigentlich der Gegenwart) versucht Tolot, Veränderungen der Vergangenheit zu verhindern oder die Vorraussetzungen für eben die bekannte Zukunft zu schaffen. Paronn dagegen arbeitet bekanntlich darauf hin, über den langen Weg einer Jahrtausende währenden Zeitschleife doch noch das große Paradoxon hervorzurufen, um die Bestien seiner Zeit zu vernichten. Dass er damit die Nachfahren der Lemurer, die Terraner und so weiter auslöschen würde, interessiert ihn nicht, denn aus seiner Sicht sind sie nur eine mögliche Zukunft, die nicht eintreten muss (Ziegler beschreibt Paronn als Entwickler einer Multiversumstheorie, und nach diesen Gesichtspunkten ist Paronns Einstellung sogar nachvollziehbar – bis zu dem Punkt, dass er über die Zeitschleife die Zukunft ja erleben wird und sie dann nicht mehr eine Möglichkeit ist, sondern eben Realität).
Man sieht, Ziegler schafft mit diesem Roman eine befriedigerende Ansicht der Zeitproblematik als seine Kollegen in der Hauptserie, obwohl er sich schwerpunktmäßig auf die Erzählung seiner Geschichte konzentriert und so ein spannendes, sehr unterhaltsames Abenteuer um Icho Tolot entstehen lässt. Dabei hatte er eine denkbar schwierige Aufgabe, denn durch die vorhergehenden Romane ist in groben Zügen klar, wie Tolot in der Vergangenheit eingreifen muss.
Insgesamt kann Ziegler an das hohe Niveau von Andreas Brandhorst anknüpfen und dem Zyklus eine weitere Facette verleihen, die ihn über die Vorgänger „Odyssee“ und „Andromeda“ erhebt. Bleibt zu hoffen, dass Zieglers Ansichten über die Zeit von seinen Kollegen aufgegriffen werden und er damit dem unbefriedigenden „es geschieht, weil es geschah“ ein Ende setzt, denn eindeutig lässt sich so eine spannendere Geschichte erzählen. Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen, und damit bewahre ich Rainer Zubeil in bestem Andenken.
Der Autor vergibt: 



Taylor, G. P. – Schattenbeschwörer, Der
Eigentlich ist es sehr schade, dass nur die wenigsten Fantasy-Epen es auch schaffen, als auditives Erlebnis vermarktet zu werden, soll heißen: Hörbücher gibt es zwar schon einige, aber für meinen Geschmack viel zu wenige in diesem Genre. Dabei gibt es in dieser Sparte eine Menge empfehlenswerten Materials, auch wenn man selbst im Bereich der Audiobooks wirklich jeden neuen Release mit dem „Herr der Ringe“ messen lassen muss.
Eine etwas modernere Variante ist nun mit dem vierteiligen CD-Hörbuch „Der Schattenbeschwörer“ gelungen, welches basierend auf der Vorlage von G. P. Taylor die Geschichte des jungen Thomas erzählt, der sich gegen die Mächte der Finsternis behaupten muss und dabei auf allerhand Widerstand trifft.
Seit der dreizehnjährige Waise Thomas denken kann, leben er und die anderen Bewohner des kleinen Dorfes Thorpe unter dem Einfluss des düsteren Pfarrers Demural. Demural, Vikar von Thorpe, kontrolliert den Ort mit eiserner Hand und versucht in seinem Größenwahnsinn durch die Beschwörung dunkler Mächte seine Macht auszudehnen.
Zunächst scheint sich ihm niemand in den Weg stellen zu wollen, bis Thomas den geheimnisvollen Fremden Raphah trifft. Gemeinsam mit ihrer Freundin Kate lassen sie sich auf Gefahren ein, welche weit über ihre Vorstellungskraft hinausgehen.
Ein Kampf gegen finstere Mächte und Dämonen beginnt, der den drei Freunden beinahe zum Verhängnis wird. In dem Moment, in dem die Situation dann zu eskalieren droht und keine Hoffnung mehr zu erwarten ist, bekommen Thomas und seine Gefährten unerwartete Hilfe.
Die Handlung der Geschichte ist eigentlich sehr gut und auch sehr interessant gestaltet, was ich vor allem daran festmache, dass hier einige Rollen vertauscht werden, die in der Realität sicher nicht so aussehen, aber dazu beitragen, dass die Erzählung nicht vorhersehbar wird und die Spannung über die gesamte Zeit erhalten bleibt. So übernimmt zum Beispiel ein Pirat die Rolle des Verteidigers der Guten, während der heilige Priester von Thorpe wider seine Aufgabe die Macht an sich reißt und sein Volk unterwirft. Außerdem treten viele religiöse Themen in den Vordergrund, wobei ich jedoch nicht auf einen Bezug zu aktuellen soziokulturellen Kritikpunkten schließen möchte, auch wenn der Machtmissbrauch des fanatischen Priesters ein zentrales Thema der Geschichte ist.
Für Anhänger von Magie innerhalb des Fantasy-Bereiches wird auch hier eine Menge geboten, denn an manchen Stellen hagelt es nur so Zaubersprüche, aber das war bei einem solchen Titel auch zu erwarten. Insgesamt ist so eine sehr ausgewogene Mischung aus abenteuerlichen Grundstrukturen, religiösem Fanatismus und phantastischem Traumdenken kombiniert worden, welche im Rahmen der Fantasy-Literatur alle wichtigen Gesichtspunkte erfüllt, um als Story empfohlen werden zu können.
Leider hat man sich auf der Hörbuchversion von „Der Schattenbeschwörer“ nicht genügend Zeit gelassen, um die Sache noch ausführlicher auszuschmücken, denn an manchen Stellen wirkt das Ganze doch sehr hektisch, bzw. zu viele Inhalte werden in einen viel zu kurzen Zeitrahmen gepackt, was im Endeffekt sicher schade ist, denn die Story an sich hat einiges an interessantem Inhalt zu bieten. Da ich den Vergleich zur Romanvorlage (|Arena|, Februar 2004) mangels Unterlagen nicht bemühen kann, möchte ich mir auch kein Urteil über diese und die auditive Umsetzung erlauben, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass Taylor Stoff für mehr als diese 305 Minuten aus der Geschichte herausgeholt hat (immerhin 400 Seiten umfasst die gebundene Ausgabe).
Dafür fällt aber der Erzähler Wolfgang Rüter wiederum sehr positiv auf, der von Anfang an die Geschichte mitlebt und die Intrigen, Konflikte und Abenteuererzählungen mit vollem Herzblut interpretiert. Das wertet „Der Schattenbeschwörer“ wieder ungemein auf, auch wenn die relaxte Stimmung so mancher anderer Hörbuchumsetzungen dem hier Gebotenen abgeht. Trotzdem: Fans düsterer Fantasy-Literatur, und dabei vor allem die jüngere Generation – „Der Schattenbeschwörer“ ist nicht nur wegen des jungen Hauptdarstellers, sondern auch wegen der einfachen und leicht verständlichen Erzählweise ganz klar auf den jungen Leser eingestellt – dürfte aber schnell Gefallen an der Geschichte um Thomas, Kate und Demural finden. Ich für meinen Teil muss jedenfalls ganz klar sagen, dass ich mich in den fünf Stunden des Hörspiels prima unterhalten gefühlt habe.
George Baxt – Mordfall für Tallulah Bankhead
New York, 1952: Die Hexenjagd des paranoiden US-Senators Joseph McCarthy ist auf ihrem Höhepunkt. Sie richtet sich gegen „Kommunisten“, echte oder eingebildete, die sich vor dem „House Committee on Unamerican Activities“ (HUAC) zu ihren „unamerikanischen Aktivitäten“ äußern müssen. Befindet sie dieses Tribunal für schuldig, werden sie bestraft, finden sich auf einer Schwarzen Liste wieder und erhalten praktisch Berufsverbot.
Die Künstlerwelt ist dem HUAC schon lange ein Dorn im Auge. Sie gilt als Stall allzu freidenkender Salon-Kommunisten, den es endlich auszumisten gilt. Um ihre Pfründen bangend schlagen sich die großen Filmstudios in Hollywood, aber auch Radiostationen, Theater und sogar Nachtclubs im ganzen Land auf die Seite der Hexenjäger. Diese zwingen ihre Opfer unter Androhung hoher Strafen dazu, Namen von „Kommunisten“ zu nennen. Die Folge: ein blühendes Denunziantentum. George Baxt – Mordfall für Tallulah Bankhead weiterlesen
Morgan, Fidelis – Rival Queens, The
Meine neueste Entdeckung heißt Fidelis Morgan. Über ihren ersten historischen Kriminalroman [„Unnatural Fire“ 1006 habe ich bereits berichtet. Dieses Mal soll es um die Fortsetzung „The Rival Queens“ gehen.
_Theater, Theater …_
London, 1699: Die Hauptfiguren Countess Anastasia Ashby de la Zouche, ihre Helferin Alpiew sowie den grummeligen Diener Godfrey kennen wir bereits aus dem ersten Band. Wer diesen nicht gelesen hat: Die drei stehen ständig kurz vorm Schuldturm, wohnen zu dritt in der Küche eines ehemals vornehmen, jetzt aber fast nur noch von Tauben bewohnten Stadthauses. Und ähnlich heruntergekommen wie ihre Residenz sind auch die drei ungewöhnlichen Protagonisten. Die Countess ist eine alte Schachtel, ein gutes Stück jenseits der Sechzig, der ständig die Perücke vom Kopf rutscht und das Make-up vom Gesicht bröselt. Alpiew ist im mittleren Alter und mit einem prächtigen Vorbau ausgestattet. Godfrey ist der Älteste, mit gebücktem Greisengang, zahnlos und zudem noch ein puritanischer Kostverächter, der trotz seiner untergebenen Stellung immer etwas zum Meckern findet – besonders an den beiden Frauen.
Dieses Mal also stolpern Alpiew und die Countess über den Mord an einer Schauspielerin. Verdächtige bieten sich zuhauf an, der schmierige Kollege, die rivalisierende Schauspielerin Rebecca Montagu, mit der sich die Ermordete häufig öffentlich gestritten hat, der geldgierige Theatermanager Mr. Rich, ein Lebkuchenverkäufer und der Anführer einer adligen Bande von Taugenichtsen sind da nur die wichtigsten, die zu nennen wären. Unsere beiden Hobby-Detektivinnen werden von der Bühnen-Rivalin Rebecca Montagu angeheuert, den Mord zu lösen. Und wenn sie nicht (schon wieder) im Schuldturm landen wollen, müssen sie den Auftrag auch annehmen – allerdings scheint ihnen Rebecca selbst die wahrscheinlichste Täterin zu sein. Und wie kommt eigentlich eine Schauspielerin an derartige finanzielle Rücklagen, dass sie sich eine ganze Kiste Gunpowder-Tee leisten kann? Doch dann kommt es zu einem zweiten Mord. Und langsam erahnen die Countess und Alpiew, dass in der Welt des Theaters das offensichtlich Erscheinende nicht immer der Wahrheit entsprechen muss und ein Blick hinter die Kulissen und Masken eine ganz andere Wahrheit zu Tage fördern kann.
_Barock unplugged_
Dieses Buch ist alles andere als gewöhnlich. Vergeblich sucht der Leser hier die hübsche, jugendliche Hobbydetektivin. Stattdessen finden wir eine alte Dame und ihre auch nicht mehr ganz taufrische Gefährtin sowie einen Diener, der auf bemalte Holzzähne zurückgreifen muss. Vergeblich sucht man auch die fast unvermeidlich gewordene Liebesgeschichte und findet stattdessen einen fesselnden historischen Krimi mit Schmunzeleffekten, was ich für eine sehr angenehme Abwechslung halte. Auch die Nebenfiguren – von der temperamentvollen, fußstampfenden Schauspielerin bis zum stotternden und etwas trotteligen Gefängniswärter – sind allesamt voller Detailfreude gezeichnet, dabei aber doch in Zeit und Plot eingepasst und insgesamt sehr glaubhaft.
Die Autorin Fidelis Morgan ist selbst eine in Großbritannien gefeierte Schauspielerin und hat darüberhinaus einige Sachbücher zur Geschichte des Theaters besonders in der Zeit der Reformation veröffentlicht. Sie hat einen Abschluss in „Drama and Theatre Arts“ von der Birmingham University. Dort hat auch ihr Interesse an der Restaurationsperiode und insbesondere ihrer Theaterkultur seinen Ursprung genommen. Heute ist Fidelis Morgan eine erfolgreiche Schauspielerin. Obwohl sie auch in britischen Fernsehproduktionen wie u. a. „Jeeves & Wooster“, „Big Women“, „Mr. Majeika“, „As Time Goes by“ und „Dead Gorgeous“ aufgetreten ist, liegt ihr Erfolg doch hauptsächlich am Theater. Besonders gerühmt wurde ihre Arbeit am Glasgow Citizens Theater. Neben der Schauspielerei hat sie auch an der Adaption von Romanen für die Bühne mitgearbeitet. Bevor sie begann, historische Romane zu schreiben, hatte sie bereits fachliche Abhandlungen über Theater und Schauspieler der Geschichte, insbesondere der Restaurations-Periode veröffentlicht.
[„Unnatural Fire“ 1006 war Fidelis Morgan erster Roman und zugleich ist er der erste Band einer Serie von vier historischen Kriminalromanen um die beiden eher ungewöhnlichen Detektivinnen. Nach dem hier behandelten zweiten Band „The Rival Queens“ sind also noch zwei weitere Bände der Serie erschienen.
Ihr Fachwissen bringt Fidelis Morgan in dieses Buch ausgezeichnet ein und schafft es so, einen lebendig und dreidimensional erscheinenden historischen Hintergrund zu zeichnen, ohne jemals langweilig oder gar schulmeisterhaft zu klingen. Ganz im Gegenteil, auch in diesem Buch behält sie ihre Eigenart bei, historische Persönlichkeiten von ihrem hohen Ross zu heben. Letztes Mal hatten wir Isaac Newton als etwas wirren Nachbarn der Countess, dieses Mal ist der heute insbesondere noch durch seine mehrfach veröffentlichten Tagebücher bekannte Samuel Pepys an der Reihe, der kurzerhand zum Wohle der Auflösung der Geschichte mit der Countess bekannt ist. Doch der ehrwürdige Pepys erscheint in einem ganz neuen Licht, nämlich als ältlicher Spinner, dessen einzige Konversationsthemen Sex und Schiffe sind und der unserer Heldin Alpiew penetrant an die Wäsche will.
Auch London, Schauplatz unserer Geschichte, erscheint mir historisch glaubhaft und dabei sehr eindringlich geschildert, wobei die Autorin sehr gut den Unterschied zwischen den ärmeren Vierteln und den Wohngegenden der besser situierten Reichen und Adligen herausgearbeitet hat. So folgen wir den Protagonisten an die unterschiedlichsten Schauplätze, vom Londoner Tower über einen barocken Sexshop bis hinter die Kulissen der Theater.
Der kriminalistische Teil der Geschichte ist eher noch spannender als im ersten Band. Die Spannung setzt eigentlich sofort ein und hält über das gesamte Buch hinweg an. Und wenn es mir auch gelungen ist, einzelne Teile des gesamten Puzzles vor den beiden älteren Damen zu lösen, so erlebt der Plot dann doch einige überraschende Wendungen, doch nicht so übertrieben, dass ich mich von der Autorin hinters Licht geführt fühle.
Die Sprache ist üppig, von ein paar Kraftausdrücken durchsetzt und dem barocken Zeitalter hervorragend angepasst; dadurch fügt sie sich nahtlos in das Gesamterscheinungsbild ein. Dennoch ist sie durch ihre stärkere historische Prägung nichts für Anfänger im Lesen englischer Originale, und die eine oder andere Redewendung, die selbst dem durchschnittlichen englischen Muttersprachler nicht vertraut sein wird, muss in Kauf genommen werden. Die Bedeutung lässt sich stets auch ohne spezielle Wörterbücher aus dem Kontext entnehmen.
Ganz ohne Frage: Die Countess und Alpiew haben sich mit ihrem zweiten Fall endgültig einen Stammplatz in meinen Bücherregalen erarbeitet. Ihre Bücher sind Fans ungewöhnlicher historischer Kriminalromane uneingeschränkt zu empfehlen und mein abschließendes Urteil lautet: „Encore!“
Monaldi, Rita / Sorti, Francesco – Imprimatur
11. bis 25. September 1683: zwei Wochen im heißen römischen Spätsommer, welche die Weltgeschichte verändern könnten. In der Locanda del Donzello, einer der zahllosen kleinen Herbergen der Ewigen Stadt, stirbt ein Gast, der alte französische Edelmann de Mourai. Die Umstände weisen auf einen Pestfall hin, was die Stadtverwaltung umgehend und rigoros handeln lässt: Die Herberge wird mit Brettern vernagelt und bewacht, ihre Bewohner unter Quarantäne gestellt.
Diese sind empört und voller Furcht. Dabei schließt Cristofano, ein berühmter Arzt aus Siena, die Seuche als Todesursache aus. Er tippt vielmehr auf Gift. Dass sich ein Mörder unter ihnen befinden könnte, kann die Gruppe ganz und gar nicht beruhigen. Aber die Theorie scheint sich zu bewahrheiten, als Pellogrino des Grandis, der Wirt der Herberge, einen mysteriösen Unfall erleidet und schwer verletzt aufgefunden wird.
Der Abbé Atto Melani aus Pistoia beschließt, sich als Detektiv zu versuchen. Ihm zur Seite steht der Hausbursche der Locanda del Donzello. Der junge Mann, ein Waisenkind, das eine gute Ausbildung erfuhr, begrüßt begeistert die Möglichkeit, die Grenzen seiner engen Welt zu erweitern. Die Schar der Verdächtigen ist bunt. Roberto Devizé, Musiker aus Paris, gehört zu ihnen, dazu gesellen sich Pater Juan des Robleda, Jesuit aus dem spanischen Granada; Domenico Stilone Priàso, Dichter aus Neapel; Angélo Brenozzi, Glasbläser aus Venedig; Pompeo Dulcibeni aus Fermo, des Verstorbenen de Mourais Reisebegleiter; Eduardus Bedfordi, ein Engländer – und Clorida, die wunderschöne Kurtisane.
Sie alle, so erfahren die Detektive rasch, sind nicht jene, für die sie sich ausgeben. Alle hüten sie ein düsteres Geheimnis, scheinen verwickelt in ein mörderisches Intrigenspiel, das ganz Europa umspannt. Es geht um nichts weniger als die Verteidigung Europas gegen die Türken, deren offenbar unüberwindlichen Heere Wien, das letzte Bollwerk des Abendlandes, belagern. Der habsburgische Kaiser ist geflohen. Papst Innozenz XI. will sich statt seiner zum Haupt des Widerstands aufschwingen. Die Könige Europas hören auf ihn – mit einer Ausnahme: Louis XIV., Frankreichs „Sonnenkönig“, missgönnt Innozenz den politischen Machtzuwachs. Wie es scheint, ist der machtgierige Souverän sogar bereit, sich mit den Türken zu verbünden.
Alle Parteien setzen Geheimagenten ein. Ausgerechnet in der Locanda del Donzello scheinen sich einige der berühmtesten Vertreter ihrer geheimnisvollen Zunft versammelt zu haben. Ihre Aktivititäten setzen sie trotz der Quarantäne fort. Dabei gehen sie durch düstere Geheimgänge – und über Leichen. Der Größte unter diesen Spionen ist – der Hausbursche erkennt es mit Schrecken – Atto Melani, der „Ratgeber“ des Sonnenkönigs. Den übrigen „Gästen“ traut er noch weniger. Wohl oder übel hält er sich deshalb an Melani. Der hat aber noch eine private Rechnung offen, die zu tilgen ihn und alle, die sich in seinem Umfeld bewegen, in Lebensgefahr bringen wird …
Die Welt des Jahres 1683, eine für den Menschen der Moderne fremdartige, exotische Ära, projiziert in die kleine, überschaubare Locanda del Donzello, die gleichzeitig Schauplatz eines „locked room“-Mysteriums des klassischen Kriminalromans wird. Grundsätzlich lassen beide Aspekte kaum Wünsche offen. Zehn Jahre haben die beiden Autoren (laut Klappentext) an ihrem Opus gearbeitet; man glaubt es gern, denn die Fülle der Fakten, die vor dem Leser ausgebreitet werden, ist beeindruckend. Politik, Religion, Medizin, Handwerk, Architektur, Kochkunst, Alchemie, Musik – Das Große, Wichtige mischt sich mit dem Alltäglichen. Dies entfaltet durchaus seine Wirkung, wirkt über weite Passagen freilich wie angelesenes Wissen, das um jeden Preis Eingang in die Handlung finden musste.
Solche gelehrten Vorträge und Diskussionen blähen die Geschichte auf, bis man sie nur mehr in ein backsteindickes Buch pressen kann, das sich fabelhaft als „Bestseller“ auch für „anspruchsvolle Leserschichten“ vermarkten lässt. Dabei ist das Schielen nach dem großem Vorbild mehr als offensichtlich: Umberto Eco verzwirbelte 1980 in „Der Name der Rose“ kongenial Historie und Thriller. Dieses Werk brachte eine quasi industrielle Fertigung von Romanen in Gang, die in und mit der Vergangenheit spielen. Um die meisten schlage man besser einen weiten Bogen. „Imprimatur“ spielt in einer höheren Liga. Die unnachahmliche Leichtigkeit, mit der Eco zwischen Wissenschaft und Unterhaltung wandelte, geht Monaldi & Sorti allerdings ab.
Sie streben wie gesagt allzu deutlich – wenn nicht nach dem „Meisterwerk“, so sicherlich nach dem „Bestseller“. Letzteres mag gelingen, zu Ersterem fehlt eine Menge. So ist es keine gute Idee, die Protagonisten über viele hundert Seiten in der abgeriegelten Locanda festzuhalten. Die Mär von der Europa überspannenden Verschwörung lässt sich partout nicht mit dem klassischen „Mord im verschlossenen Raum“ kombinieren. Folgerichtig kommt erst dann Schwung in die Handlung, als sie durch unzählige Geheimgänge die Herberge verlässt. In den Straßen und Gassen Roms gewinnt die Geschichte sogleich Dynamik, es wird weniger geredet als gehandelt.
Es wurde auch Zeit, denn die Story verdient die Aufmerksamkeit, die ihr endlich zuteil wird. Das Autorenduo hat sich viel Mühe gegeben, ein zentrales Kapitel der europäischen Geschichte auf ungewöhnliche Weise zu „rekonstruieren“. Nie sollte sich der Leser sicher sein, hinter das „Imprimatur“-Mysterium zu blicken – es verwandelt sich ständig, enthüllt neue Seltsamkeiten, mündet in deduktiven Sackgassen, ändert die logische Richtung, schließt Irrtümer und Fehlinterpretationen der Handelnden niemals aus. Die Autoren haben zu jedem Zeitpunkt die Nasen vorn. Noch besser: Die unzähligen Rätsel, die bis dato aufgeworfen wurden, finden im wahrlich großen Finale nicht nur ihre Auflösung. Diese kann ihrer gewaltigen Vorgeschichte standhalten, ohne durch allzu läppische, womöglich aus dem Hut gezogene „Lösungen“ zu verärgern. Die Autoren haben unzählige historische Puzzleteile famos zusammengesetzt. So muss es auch sein am Ende eines Romans, in den man immerhin die Zeit für die Lektüre von mehr als 700 Seiten investiert hat!
Zehn Jahre Arbeit haben Monaldi & Sorti in ihr Werk investiert. Sie möchten offenbaren, welche Mühe sie sich gegeben haben. Viel Staub haben sie in zahlreichen Archiven geschluckt, sich durch meterdicke Stapel staubiger Uralt-Quellen gewühlt, obskure Hinweise kreuz und quer durch Europa verfolgt. Was sie teilweise herausgefunden, teilweise neu entdeckt haben, fließt beeindruckend in „Imprimatur“ ein. Dem eigentlichen Roman folgt indes eine fünfzigseitige wissenschaftliche Abhandlung, die das gerade Geschriebene noch einmal aufgreift und vertieft: Dem Autorenduo gönnt man seinen Triumph, aber es ist zu fürchten, dass die meisten historischen Laien diesen Abschnitt großzügig überspringen. Der skeptische Fachmann wiederum wird sich – die Autoren erwarten nichts anderes – wohl kaum dem Schluss anschließen, das letzte Wort zum Reizthema „Innozenz XI. – Held der Geschichte oder infamer Intrigant“ sei nunmehr gesprochen.
Was die Handlung lange an Wünschen offen lässt, kann die Figurenzeichnung jederzeit ausgleichen. Natürlich gehen die Autoren auch hier an sich schematisch vor: Cristofano ist nicht e i n Arzt, sondern d e r Arzt, d. h. der Modellmediziner für seine Epoche, der immer eine Gelegenheit findet, seine Zuhörer und damit uns, die Leser, über den Stand seiner Wissenschaft (die arg an mittelalterliche Magie erinnert) in Kenntnis zu setzen. Ähnliches gilt für die anderen Protagonisten; sie stellen Repräsentanten weiterer Schichten des ausgehenden 17. Jahrhunderts: Kleriker, Adliger, Künstler, Handwerker, Kurtisane etc. Was sie zu sagen haben, ist wie bereits erwähnt oftmals interessant, nicht selten jedoch abschweifend und langweilig. Vor allem trägt es kaum zur Handlung bei.
Das Schema durchbricht der (stets anonym) bleibende Hausbursche. Die Autoren formen ihn zum Wanderer zwischen den Welten bzw. Ständen, deren Grenzen er als Diener vieler Gäste und nun in der Quarantäne überschreiten kann. Dumm ist er keineswegs, sondern naiv und unerfahren. Das muss er auch sein, denn er mimt nach dem Willen des Autorenduos den „reinen Toren“, der staunend und ohne eigenes Verschulden in ein Abenteuer oder eine Krise gerät. Der Hausbursche vertritt den Leser/die Leserin, die in der Regel wenig Ahnung haben von der Welt des Jahres 1683. Gemeinsam mit ihm werden wir vom Autorenduo durch die übrigen Figuren informiert. Das funktioniert gut, nur manchmal wird dieses Muster ein wenig zu offensichtlich.
Gleichzeitig ist der Hausbursche der „Watson“ in einer Kriminalgeschichte. Von der Kriminalistik bzw. der Unterwelt der zeitgenössischen Geheimdienste versteht er ebenfalls nichts. Deshalb stellt er die dummen Fragen, die auch uns Lesern ständig auf der Zunge liegen. Geduldig werden sie beantwortet vom „Holmes“, hier verkörpert durch den Abbé Melani, der wie alle genialen Schnüffler gern und ausgiebig über seine Arbeit spricht. Auch hier ist Monaldi/Sorti ein farbenfroher Charakter geglückt – Melani ist nicht nur ein mit allen Wassern gewaschener Agent, dem man besser nicht zu viel Vertrauen schenkt, sondern auch ein genialer Sänger, den man zur „Konservierung“ seiner Singstimme in jungen Jahren entmannt hat; auch so eine seltsame Sitte der Vergangenheit, die uns die Autoren nahe bringen …
Der ständigen Unsicherheit darüber, welchem Bewohner/Insasse der Locanda eigentlich zu trauen ist (keinem nämlich), verdankt „Imprimatur“ einen Gutteil seines Unterhaltungswerks. Hier haben die Verfasser wirklich gute Arbeit geleistet. Die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß verschwimmen ständig. Die Bösen sind oft tragisch, ehrlich, witzig, die Guten berechnend, durchtrieben, undurchschaubar. Wie der arme Hausbursche bekommen wir einfach keinen festen Boden unter die Füße und reihen uns in die lange Reihe der „Besiegten“ ein, denen der Hausbursche seine Erinnerungen widmet.
Stets präsent, obwohl nur in wenigen Sätzen anwesend, ist Papst Innozenz, der letztlich alle seine Widersacher niederwirft oder schlicht überlebt. Er ist der wahre Bösewicht in diesem Spiel – ein hochintelligenter, aber skrupelloser Mann, der sein Amt um des eigenen Vorteils willen als Instrument seiner Macht- und Geldgier missbraucht und die Spuren seiner Schandtaten so perfekt zu verwischen weiß, dass spätere Generationen seine Heiligsprechung verlangen.
In diesem Zusammenhang stoßen Monaldi & Sorti selbstverständlich in das Horn der „Alles Böse kommt vom Vatikan“-Fraktion, das in den letzten Jahren von vielen anderen Unterhaltungsschriftstellern mehr oder weniger perfekt gespielt wird. Böse Päpste und uralte katholische Geheimbünde zur Unterdrückung biblischer „Wahrheiten“, die der Amtskirche missfallen, tummeln sich jederzeit in den Bestsellerlisten dieser Welt. Nie wird dieses Motiv freilich so perfekt mit historischen „Wahrheiten“ unterfüttert wie in „Imprimatur“. Diese Intrige ist wahrlich fast zu schön, um nicht wahr zu sein – eine bemerkenswerte Leistung, die den Verdruss über Längen in den ersten beiden Dritteln rasch und nachdrücklich vergessen macht!
Rita Monaldi und Francesco Sorti haben sich – thematisch angemessen ein wenig dramatisierend – in der Rahmenhandlung zu „Imprimatur“ selbst porträtiert: Ehemalige Studenten diverser Geisteswissenschaften sind sie, die sich irgendwann einen Brotjob gesucht haben und als Journalisten arbeiteten. Da die echte Liebe zur Geschichte freilich eine hartnäckige ist, haben sie ihre Forschungen in die Freizeit verlegt und schließlich mit dem Beruf verknüpft. Das Ergebnis angeblich zehnjähriger Aktivitäten in vielen Archiven und Bibliotheken (so der Klappentext) ist eben dieses „Imprimatur“ (sowie – eine so lange Zeit investiert man ungern für nur ein Buch – ein weiterer historischer Kriminalroman – „Secretum“, der sicherlich auch hierzulande bald erscheinen wird).
Clemens, James – Buch der Rache, Das (Alasea / Banned and the Banished 3)
Elena soll sich ans Meer gewöhnen. Das muss sie, denn A’loatal und das Buch sind nur über das Meer zu erreichen. Doch kaum ist sie zu einer dieser Übungen an Bord des kleinen Schiffes gegangen, werden sie von Meerkobolden angegriffen. Elena wird von einem Giftstachel getroffen, doch ihre Magie verhindert, dass sie stirbt. Stattdessen beschert ihr die Nähe des Todes eine neue Form von Magie, mit deren Hilfe sie den Stab ihres Bruders in eine magische Waffe umwandelt. Sie haben die Meerkobolde kaum zurückgeschlagen, da geraten sie in eine erneute, größere Gefahr, an die sie Er’ril verlieren …
Währenddessen ist Mikela unterwegs zur Hafenstadt Port Raul, wo sie, wenn alles planmäßig geklappt hat, ihre in Schattenbach zurückgelassenen Gefährten finden soll. Sie findet sie tatsächlich, spürt jedoch nicht, dass einer von ihnen inzwischen ein Bösewächter geworden ist. Von der Sumpfhexe Cassa Dar gewarnt und von Tol’chuks Herzstern geführt, wollen sie Elena zu Hilfe eilen. Eine weitere Prophezeiung spaltet die Gruppe jedoch erneut. Während Tol’chuk, Merik und Mama Freda mit einer kleinen Gruppe von Zo’ol aufs Meer hinaussegeln, folgen Mikela, Kral und die beiden Gestaltwandler aufgrund einer weiteren Prophezeiung dem obersten Piraten der Stadt zurück in seine Heimat, zum Nordwall, wo die Zwerge drohen, nach Süden zu marschieren.
Saag-wan und Kast sind inzwischen unterwegs, um das Seefahrervolk der De’rendi zu suchen und sie als Verbündete für die Schlacht um A’loatal zu gewinnen. Die De’rendi dagegen sind den Mer’ai aufgrund ihrer Vergangenheit nicht unbedingt wohlgesonnen, und es wird ein schweres Stück Arbeit, sie inmitten eines tobenden Sturmes zu überzeugen, dass sie sich zum geplanten Angriffstermin am vereinbarten Treffpunkt einfinden.
Abgesehen davon wird die Zeit knapp. Denn der oberste Dunkelmagier hat beschlossen, das Buch des Blutes zu zerstören, damit es der Hexe nicht in die Hände fallen kann …
Der dritte Band des Zyklus arbeitet mit den bisher meisten Handlungssträngen. Clemens ist jedoch klug genug, nicht alle gleichzeitig nebeneinander herzuführen, sondern sich – wie bisher auch – immer auf zwei zu beschränken, die einander abwechseln: das Geschehen um Elena wechselt mit dem um Mikela und pausiert nach den ersten dreihundert Seiten, um den Handlungsfaden um die Mer’ai und die De’rendi weiterzuführen. An dem Punkt, wo die vereinigten Seetruppen zu Elena und ihren Gefährten stoßen, wird der Handlungsfaden um den verschwundenen Er’ril in den Wechsel eingeflochten. Das dient nicht nur der Übersichtlichkeit, sondern auch der Spannung, denn es ist klar, dass Clemens den Handlungsfaden um Elena nicht still legt, ohne vorher eine bedrohliche Aussicht auf das weitere Geschehen anzudeuten.
Die Gruppe um Mikela taucht erst am Ende des Buches wieder auf. Da für das Bestehen eines Abenteuers jedoch immer eine bestimmte Kombination von Fähigkeiten erforderlich ist, müssen die entstandenen Lücken irgendwie ersetzt werden, Rollenspiel lässt grüßen. Wie im [„Buch des Sturms“ 996 angedeutet, wird Joachs Rolle weiter ausgebaut. Abgesehen von der Waffe, die Elenas Magie im formt, spielt sein Traum eine wichtige Rolle in den Ereignissen, die mit dem Buch in Zusammenhang stehen, und gibt dem Leser Stoff zum Rätseln. Außerdem freundet er sich mit einem der Zo’ol an. Wer diese Männer genau sind und woher sie kommen, wird in diesem Band nicht verraten, vielleicht tauchen sie später noch einmal auf. Mama Freda, die in Port Raul zur Gruppe stößt, stammt aus dem Dschungel im Süden, einem Landstrich, der bisher zwar auf der Landkarte angedeutet war, aber jetzt zum ersten Mal auftaucht. Die alte Frau ist eine Heilerin. Zwar ist sie blind, kann aber durch die Augen ihres Haustieres sehen. Das kleine äffchenartige Tier eignet sich dadurch gut als Spion und Kundschafter.
Während der Ausbau der Gruppe durch die Zo’ol und Mama Freda ein weiteres Steinchen im geographischen Mosaik darstellt, liefert der Handlungsstrang um die Mer’ai und De’rendi eines für die Historie der Welt Alasea. Einer der Ältesten des Rates erzählt Saag-wan und Kast die Geschichte ihrer Völker. Auch das Auftauchen der Elv’en bedeutet ein solches Mosaiksteinchen, wobei deren Charakter bisher keine Spekulationen darüber zulässt, welche Rolle sie im weiteren Verlauf spielen werden.
Was mich an diesem Band erstaunt hat, war der frühe Zeitpunkt, zu dem Clemens dem Leser verrät, hinter welchem der Gefährten sich der Bösewächter verbirgt. Ich hatte damit gerechnet, dass Clemens dies als Spannungselement einer unbekannten Bedrohung benutzen würde. Letztlich hat es sich allerdings gezeigt, dass dieser Aspekt für den Kampf um A’loatal überhaupt keine Rolle gespielt hat. Die Gewichtung lag eindeutig auf den Kriegsvorbereitungen und dem Ausbruch des Krieges, für mehr war wohl auch kein Platz.
Der Krieg selbst nahm nur die letzten zweihundert Seiten in Anspruch, und davon drehte sich das meiste um Elenas Suche nach dem Buch. Die Schlacht war lediglich eine Randerscheinung, die befürchteten Szenen blutigen Gemetzels blieben aus. Worauf der Autor aber nicht verzichten wollte, war das Ungeziefer des Bösen, wenngleich man sagen muss, dass auch das etwas in den Hintergrund getreten ist. Es tauchen weniger neue auf, die Beschreibungen sind weniger detailliert, die damit befasste Handlung ist kürzer.
Der Wyvern, das dunkle Wesen aus Joachs Traum, fällt dabei völlig aus dem Rahmen. Er wird als eines von vier Toren bezeichnet, wobei komplett offen gelassen wird, wohin diese führen und worum genau es sich dabei handelt. Sie scheinen jedoch ziemlich unmittelbar mit dem Bösen verbunden zu sein, werden also sicherlich noch an Bedeutung gewinnen.
Bereits in den ersten beiden Bänden [„Das Buch des Feuers“ 969 und „Das Buch des Sturms“ hat der Autor, nachdem der jeweilige Endkampf ausgefochten und der Höhepunkt damit überschritten war, bereits durch Andeutungen den Folgeband vorbereitet. Das verhindert ein völliges Abflauen der Spannung, weckt die Neugier und hält den Leser bei der Stange. In diesem Fall halten beide Szenen auch noch eine überraschende Wendung bereit. Überhaupt steht „Das Buch der Rache“ seinen Vorgängern in nichts nach, im Gegenteil. Die Handlung und die Welt werden komplexer und vielfältiger. Trotz der stets gleichen Methode, nach der Clemens seine Erzählungen aufbaut, gelingen ihm immer wieder überraschende Wendungen, und er versteht es jedes Mal aufs Neue, den Leser gefangen zu nehmen und die Spannung immer weiter anzufachen. Man kann einfach nicht anders als weiterlesen.
Warum der Verlag, der sich bei den Titeln der Vorgängerbände einigermaßen an die Bedeutung gehalten hat, jetzt auf einmal „Wit’ch war“ als „Das Buch der Rache“ überträgt, ist mir leider unverständlich. Die kurzen Rachedrohungen der beiden Dunkelmagier gegen Er’ril, Joach und gegeneinander gehen bei der Gewichtung der eigentlichen Handlung im Krieg völlig unter und dürften also kaum ein ausreichender Grund für eine solche Abweichung darstellen. Ob es am Wechsel des Übersetzers liegt …? Vielleicht werden das die folgenden Bände zeigen.
James Clemens ist gebürtiger Amerikaner, wuchs aber in Kanada auf. Er studierte Veterinärmedizin und eröffnete schließlich eine Praxis in Californien. 1998 erschien der erste Band des Zyklus |Banned and the Banished| unter dem Titel „Wit’ch fire“. In der deutschen Übersetzung wurde daraus „Das Buch des Feuers“. Die übrigen Bände folgten, jedes Jahr einer. Nach einer längeren Pause soll im Juli dieses Jahres der erste Band des neuen Zyklus |Godslayer Chronicles| unter dem Titel „Shadowfall“ herauskommen.
Homepage des Autors: http://www.jamesclemens.com


















