Elrod, P. N. – rote Tod, Der (Jonathan Barrett 1)

P. N. Elrod gehört zu jener Spezies vielschreibender Autoren, mit deren Büchern man problemlos ganze Regale füllen könnte. Zwar veröffentlichte sie ihr erstes Buch erst 1990, doch mittlerweile kann man unglaubliche 20 Romane von ihr kaufen – ganz zu schweigen von den Kurzgeschichten, die in verschiedenen Anthologien veröffentlicht wurden. Dabei hat sie sich auf das Vampirgenre spezialisiert, in das sie mit erfrischender Leichtigkeit neuen Wind zu bringen vermag. Ihre umfangreichste Serie, „The Vampire Files“ (erscheint ebenfalls beim |Festa|-Verlag), begleitet den [Vampirdetektiv Jack Fleming 432 und verbindet damit den klassischen Vampir-Roman mit dem Detektiv-Genre. Die Romane um Jonathan Barrett – „Der rote Tod“ ist der erste Band von bisher zwei auf deutsch erschienenen aus der Reihe – stellen einen neuen Protagonisten vor, später in der Serie wird es aber Überschneidungen zwischen beiden Reihen geben.

Jonathan Barrett ist 17 und hat bisher ziemlich unbescholten mit seinem Vater und seiner Schwester (die drei verbindet eine geradezu übelkeitserregende familiäre Idylle) auf dem Anwesen der Familie in Long Island gelebt. Seine hysterische und absolut unausstehliche Mutter war in seiner frühen Jugend nach Philadelphia abgeschwirrt, kehrt nun jedoch heim, da die Stadt während des Unabhängigkeitskriegs (die Handlung setzt 1773 ein) ein zu heißes Pflaster ist. Jonathans friedliches Dasein wird also jäh gestört, als diese Furie ins Leben der kleinen Familie tritt und die bisherige Routine durcheinander würfelt. Als sie Jonathan nach Cambridge auf die Universität schicken will, kommt es zum Eklat. Jonathan will nicht ins ferne England, um zu studieren, doch muss er herausfinden, dass das Geld der Familie vom Erbe seiner Mutter herrüht, die damit auch seine Ausbildung finanziert. So hat er keine Chance sie umzustimmen und findet sich bald darauf auf einem Schiff nach London wieder.

Sein anfänglicher Unwillen gegenüber Cambridge löst sich in Luft auf, als er sich, in England angekommen, sofort mit seinem Cousin Oliver und dessen Kumpel Tony anfreundet. Bei seiner ersten Nacht in London beschließt er, seinen lang gehegten Plan – nämlich seine Unschuld zu verlieren – endlich in die Tat umzusetzen. Und tatsächlich gelingt ihm das auf Anhieb. Tony will Jonathan und Oliver seine neue Flamme vorstellen, doch diese weist dessen Antrag prompt ab und wählt stattdessen Jonathan. Dieser ist von der schönen und weltgewandten Nora Jones vollkommen hingerissen. Zwar überrascht es ihn, dass sie ihn einfach mit nach Hause nimmt, um mit ihm zu schlafen (Skandal!), doch verbannt er diese Gedanken schnell, als er erst mit ihr im Bett liegt.

Nora hat offensichtlich einen Narren an Jonathan gefressen und folgt ihm nach Cambridge nach. Dort führen sie ihre Affäre fort, allerdings muss Jonathan frustriert feststellen, dass sie noch zahlreiche andere Bettgeschichten unterhält. So kann sie jedem der jungen Männer beim Akt kleine Mengen Blut abnehmen, um selbst zu überleben. Der Leser ahnt es längst: Nora ist ein Vampir. Jonathan dagegen tappt völlig im Dunkeln und errät ihre Identität auch nicht, als er sie tagsüber ohne Puls vorfindet oder sie ihm während des Liebesspiels ihr eigenes Blut zu trinken gibt.

Doch wer vermutet, Jonathan stehe nun sofort als Vampir wieder auf und mache mit seiner Flamme Nora die britischen Inseln unsicher, der irrt. Die Blutspielchen der beiden bleiben zunächst, zur Verwunderung des Lesers, vollkommen ohne Konsequenzen und es müssen noch einige Seiten im Roman vergehen, bis Jonathan eine Ahnung davon erhält, welch außergewöhnliches Geschenk Nora ihm eigentlich gemacht hat.

„Der rote Tod“ braucht keine zehn Seiten, um den Leser völlig zu begeistern. Ich-Erzähler Jonathan Barrett schlägt einen kurzweiligen und von ironischen Seitenhieben geprägten Ton an. Auch wenn die Exposition ungefähr ein Drittel des Romans einnimmt und die Vampirin Nora dadurch relativ spät ins Spiel kommt, kommt keine Langweile auf. Jonathan ist ein genauer Beobachter und selbst die Beschreibungen seiner Lebenssituation in Long Island – obwohl eigentlich unspektakulär – werden dadurch farbenprächtig und interessant.

P. N. Elrods Vampirwelt lebt von den Charakteren. Jonathan Barrett ist zwar jung und – vor allem in Liebesdingen – auch bis zu einem gewissen Grade naiv, doch er ist uneingeschränkt sympathisch, ohne als Charakter kitschig oder flach zu erscheinen. Jonathan ist durch und durch gut und Elrod schafft es trotzdem, ihn nicht zu einer Schablone verkommen zu lassen. Ähnlich steht es mit allen anderen Charakteren des Romans. Nora Jones ist die perfekte Vampirin: Schön, unwiderstehlich, verführerisch, geheimnisvoll und selbstbewusst. Und doch wird sie weder zum Archetyp des depressiven Vampirs noch zum seelenlosen Mörder. Stattdessen ist sie eine wahre Liebende, die jedoch mit einigen besonderen Bedürnissen zu kämpfen hat. Und genau das macht den Reiz aus; Elrod verurteilt weder die Existenz des Vampirs (das böse Höllenwesen), noch romantisiert sie ihn endlos (der untote Träumer), sondern verwurzelt ihre bluttrinkenden Charaktere fest in einer realen Umwelt, an der sie teilhaben anstatt sie zu verneinen. Und so ist es auch möglich, dass Jonathan als Vampir eine Familie hat – ein absolutes Novum in der Vampirliteratur, in der Blutsauger in der Regel Einzelgänger sind. Hier jedoch suchen Vampire die Nähe zu Menschen, ohne sie in jedem Fall als Futter wahrzunehmen. Mehr noch, das Motto des Romans scheint zu lauten: „Vampire sind auch nur Menschen“, und so gibt Jonathan Barrett als junger Student und später als untoter Protagonist eine hervorragende Identifikationsfigur ab.

„Der rote Tod“ ist ein unterhaltsames, spannendes und stellenweise auch komisches Buch, das man nicht aus der Hand legen möchte. Jonathan Barrett wächst dem Leser so schnell ans Herz, dass man unbedingt an seinen Abenteuern teilhaben möchte. Und der Schluss des Buches lässt vermuten, dass die wahren Abenteuer erst jetzt beginnen, da Jonathan nun zu den Untoten gehört. Es empfiehlt sich also, fix im zweiten Band weiterzulesen!

Verlagsseite: http://www.festa-verlag.de
Webseite der Autorin: http://www.vampwriter.com

Simon Winchester – Krakatau. Der Tag, an dem die Welt zerbrach

Inhalt:

Der 27. August 1883 ist ein Tag, den nicht nur Augenzeugen nie vergessen werden. Krakatau ist ein unbedeutendes Eiland in der ostindischen oder besser indonesischen Inselwelt zwischen Sumatra und Java. Batavia, die koloniale Handelsmetropole, liegt zwar nur einige Schiffsstunden entfernt an der javanischen Nordküste, aber auch dort hat seit jeher kaum jemand einen Gedanken an die von sich hin rumpelnde Vulkaninsel verschwendet. Hier und da hat die Erde in den letzten Monaten zwar gezittert, aber was soll schon geschehen? Die geschäftigen und geschäftstüchtigen niederländischen Kolonialherren haben Ostindien fest im Griff und sonnen sich im Glanz ihrer politischen, wirtschaftlichen und (angeblich) kulturellen Überlegenheit.

Tief unter der Erdoberfläche staut sich seit geraumer Zeit ein Gemisch aus heißem Gas und Magma an, das keinen Raum zum Entweichen findet. Als die Erdkruste dem Druck nicht mehr standhalten kann, kommt es zur Katastrophe: Krakatau, eine Insel von 130 qm Größe, fliegt in die Luft, wird in Myriaden kleiner Stücke zerrissen. Der Knall ist noch 4700 Kilometer entfernt vernehmbar. Die Druckwelle rast siebenmal um den Erdball. Das Wasser des Ozeans türmt sich zu mörderischen Wasserwänden auf, die den indonesischen Archipel heimsuchen und ganze Inseln tier- und menschenleer spülen. 36000 unglückliche Insulaner verlieren ihr Leben. Das Klima der gesamten Erde wird auf Monate in Mitleidenschaft gezogen. Knapp 40 km hoch hat der sterbende Vulkan Asche, Staub und Steine geschleudert. Gigantische Wolken werden über den halben Globus getrieben, sorgen für einen quasi atomaren Winter und spektakuläre Sonnenuntergänge. Simon Winchester – Krakatau. Der Tag, an dem die Welt zerbrach weiterlesen

Stone, Richard – Mammut – Rückkehr der Giganten?

Pelzige Elefanten stapfen durch sibirisches Schnee und Eis, während sich in Nordägypten erschöpfte Bürger des Feierabends am Anblick der Pyramiden erfreuen – das ist keine Science-Fiction, sondern Realität: Das Mammut ist tatsächlich erst vor 3.700 Jahren ausgestorben.

Ist es das wirklich? Diese Frage wird uns in diesem spannenden Buch gleich mehrfach gestellt. Autor Richard Stone stellt die Rüsseltiere des Pleistozäns als Zeitzeugen, aber auch als Mysterium der Gegenwart vor: Eine bizarre Laune der Natur führt dazu, dass Mammuts in ewigem Eis und Permafrost ihrer seit jeher kalten Heimat fast komplett erhalten blieben. Wir müssen sie anders als die Dinosaurier nicht aus zusammengepuzzelten Knochen mühsam rekonstruieren (oder digital neu erschaffen), sondern können sie uns anschauen, sie berühren und erforschen. (Sogar ihr Fleisch haben wahrlich wagemutige Forscher probiert – sie überlebten es, konnten das Experiment aber niemals weiterempfehlen.)

So kennt die Wissenschaft das Mammut beinahe genauso gut wie den Afrikanischen oder Indischen Elefanten der Gegenwart. Stone lässt es in allgemein verständlicher Sachbuch-Sprache in seiner eiszeitlichen Umwelt wieder durch Europa, Asien und Nordamerika ziehen, von Urmenschen gejadt werden (oder war es eher umgekehrt?) und allerlei zeitgenössischen Unbilden trotzen.

Im Mittelpunkt des Beschriebenen steht dann die Frage, wieso ein so perfekt an seine Umwelt angepasstes und keineswegs „primitives“ Tier aussterben konnte. War es der schon damals böse Mensch (eine lieb gewonnene Theorie weltverbesserischer Naturapostel), ein Supervirus, eine Klimaveränderung (noch kälter oder zu warm stehen zur Auswahl) oder gar von allem ein bisschen? Jede Theorie hat ihre Anhänger.

Weiterhin rankt sich Stones Mammutbuch um die spannende Frage, ob es gelingen könnte, die Pelzrüssler zurück ins Leben zu rufen. Das erinnert sehr an die „Jurassic Park“-Filme Hollywoods, denn auch hier soll „Cloning“ das Zauberwort sein: Jede Zelle enthält die kompletten Informationen, die ein neues Lebewesen für seine Entstehung braucht. Also suchen wir einfach ein gut gefrostetes Mammut, entnehmen ihm eine intakte Zelle, pflanzen sie einer (bei Gelingen zweifellos erstaunten) Elefantenkuh ein – und zwei Jahre später (so lange dauert es bis zur Geburt) steht ein langmähniger Jumbo vor der versammelten Weltpresse!

So dachte sich das jedenfalls der Genetiker Kazufumi Goto, der mit mehr Geld als Verstand ausgestattet durch Sibirien reiste, um einen geeigneten Spender-Kandidaten zu finden. Aber wie heißt ein Mammutsucher-Sprichwort so schön: „Du kannst kein Mammut finden – es muss dich finden.“ Hohn und Spott und ein ausgetrockneter Fetzen Rhinozeroshaut waren daher der einzige Lohn für den Pionier.

Mehr Glück war dem Franzosen Bernard Buigues beschieden. Sicher wird sich so manche/r noch an die Bilder erinnern, die damals durch die Medien gingen: Unter einem Hubschrauber hängt ein gewaltiger Eisklotz, aus dem vorne theatralisch zwei geschwungene Stoßzähne ragen.

Dass diese mit Eisenklammern nachträglich befestigt wurden, um dem Sponsor „Discovery Channel“ einprägsamere Bilder zu bescheren, wurde damals nicht so deutlich angesprochen wie Stone dies nun nachholt. Er selbst war mehr als einmal in Sibirien und hatte auch die Buigues-Expedition besucht. (In dem Klotz steckten außer viel Frostmatsch übrigens nur ein paar Knochen.)

Also gilt es weiter zu hoffen, zu forschen und zu klonen. Gern hätte Stone sein Buch mit dem Knalleffekt einer bevorstehenden Auferstehung ausklingen lassen; er muss sich mit spannenden Fakten und spinnenden Träumern zufrieden geben.

Falls die Vorstellung des Buches im Rahmen dieser Besprechung dem Leser etwas sprunghaft vorkommt, so liegt dies durchaus in der Absicht des Rezensenten. Auch Stone mäandert durch sein Thema, springt von (trotz der düsteren Umgebung farbenfrohen) Impressionen diverser Reisen durch den Wilden Osten der zerfallenen Sowjetunion zur Entdeckungsgeschichte berühmter Mammut-Kadaver, weiht uns in die Geheimnisse des Klonens ein, lässt dann die Welt der Eiszeit neu erstehen, erzählt von weiteren Reisen, weiß noch etwas übers Klonen … Es fehlt ein wenig der rote Faden, was indes wenig ausmacht. Das unsterbliche Mammut erledigt seinen Teil; von seiner Wiederkehr als Ei(s)spuk mag man gern weiterlesen.

Richard Stone hatte in der Tat gewisse Schwierigkeiten mit der Niederschrift dieses Werkes. Sein ausführliches Nachwort deutet dies nicht nur an. Mit einjähriger Verspätung legte er es schließlich vor. Strukturell hat es weiterhin deutliche Schwächen. Inhaltlich könnte man ihm höchstens eine gewisse Leichtgläubigkeit vorwerfen. Aber das würde den Kern der eigentlichen Kritik verfehlen: Stone ist in Sachen Mammut Mulder & Scully in Personalunion: Er will glauben, aber er kann es nicht. Die harten Fakten kollidieren immer wieder mit seinem Traum, das Mammut dereinst wieder durch die Eissteppe schlüren zu sehen. Der Traum obsiegt, aber es klingt hohl, wenn Stone seinen Glauben an den zukünftigen Sieg der Genetik über den Artentod bekräftigt.

Kein Wunder, denn Stone selbst hat die Karten offen auf den Tisch gelegt: Es ist faktisch unmöglich, ein Mammut zu klonen. Es funktioniert ja nicht einmal bei einem lebenden Säugetier mit blutfrischen Zellen. Wer erinnert sich nicht an Klonschaf „Dolly“, Überlebende einer langen Reihe gruselig fehlgeschlagener Experimente. (Hat jemand „Alien 4“ mit den eingedosten Ripley-Klonen gesehen?) Kaum sechs Jahre nach ihrer Geburt begann Dolly auseinander zu fallen und musste eingeschläfert werden.

Es ist also ein langer Weg bis zur Rückkehr des Mammuts. „Pleistocene Park“ wird noch geraume Zeit leer stehen. Aber „Mammut“ ist auch die Geschichte sympathischer und exzentrischer Visionäre, die unsere Welt so dringend braucht, damit sie nicht den Sparschweinen und Spielverderbern in die Hände fällt.

Richard Stone ist ein mehrfach preisgekrönter Wissenschafts-Journalist, der für Magazine und Zeitungen wie „Discover“, „Washington Post“, „Moscow Times“ und zahlreiche andere Publikationen geschrieben hat. Er hat an der Cornell University und dank eines Stipendiums in Russland studiert.

Meyrink, Gustav / Tieck, Ludwig / Poe, Edgar Allen / Hoffmann, E.T.A. / Boutet, Frederik u. a. – Gespenster, Gespenster

Dieses |Langen Müller| Audio-Book präsentiert nach eigenen Angaben die Klassiker der phantastischen Gruselliteratur. Auf vier CDs mit einer Gesamtspieldauer von 310 Minuten werden von Christiane Blumhoff und Mathias Kahler verschiedene schaurig-schöne, zumeist unbekannte Werke berühmter Autoren gelesen. Hierbei handelt es sich um „Das Gehirn“ (G. Meyrink), „Der blonde Eckbert“ (L. Tieck), „Der Teufel im Glockenstuhl“ (E. A. Poe), „Der Vampyr“ (E. T. A. Hoffmann), „Der Geist“ (F. Boutet), „Das Wachsfigurenkabinett“ (G. Meyrink), „Das Galgenmännlein“ (F. De la Motte Fouque), „Bal macabre“ (G. Meyrink), „Die Nacht in Brczwezmcisl“ (H. Zschokke) und „Die Vision des Herrn Lafitte“ (E. Filek).

Der Titel „Gespenster, Gespenster“ ist etwas irreführend, da es sich bei den vorliegenden Werken nicht um konventionelle Geistergeschichten handelt, sondern um subtile, schaurige Erzählungen, welche das Übernatürliche und den Tod als zentrale Themen behandeln. In „Der Vampyr“ treibt sich die geliebte Ehefrau des Grafen in der Nacht auf dem Friedhof herum und ihr Gatte macht eine grausige Entdeckung. Auch die Frau des „blonden Ritters Eckbert“ aus dem Harz trägt ein Geheimnis. Sie blickt auf eine seltsame Geschichte in ihrer Vergangenheit zurück und diese holt nun ihren Mann ein und treibt ihn an die Grenze des Wahnsinns. In „Bal macabre“ spielt der Wahnsinn auch eine große Rolle, denn die Toten laden zum Tanz und geben eine wahrlich makabre Vorstellung. Wie kann dort ein Lebender, der Beobachter diese Szenen ist, nicht wahnsinnig werden?

Das Hörbuch bietet einige schöne Stunden für dunkle, kalte Winterabende. Doch Vorsicht – der Hörer muss sich auf die Werke einstellen. Es sind keine einfachen Grusel- oder gar Horrorgeschichten, sondern Schauergeschichten aus einer Zeit, welche über hundert Jahre zurückliegt. Aus heutiger Sicht wirken daher einige Aspekte und Begebenheiten nicht wirklich gruselig. Aber die meisten dieser Klassiker erzeugen eine intensive und verstörende Atmosphäre, die man einfach genießen kann.

„Der Vampyr“ von E.T.A. Hoffmann variiert ein Thema, welches man leider zur Genüge kennt. Daher verliert diese Geschichte trotz einer wirklich ausgezeichneten Erzählweise an Reiz. „Der blonde Eckbert“ ist in meinen Augen in dieser Sammlung fehl am Platz. Es handelt sich hierbei um ein Märchen, welches lediglich einige Schauermomente aufweist. Doch die Handlung selbst ist sehr vorhersehbar und unglaubwürdig. Das von E. A. Poe weniger bekannte „Der Teufel im Glockenstuhl“ ist wie vom Meister gewohnt schwer zugänglich und im eigentlichen Sinn auch keine Gruselgeschichte. Es ist eine phantastische Parabel, die gewisse Eigenheiten von Poes Zeitgenossen kritisiert. Besonders gefallen haben mir die drei Geschichten von Gustav Meyrink. Der Erzählstil ist sehr ausgeklügelt und die Handlungen sind befremdend und faszinierend zugleich. Im „Bal macabre“ fühlt der Hörer sich förmlich hineingezogen in diese verrauchte, laute Kneipe, um zusammen mit den anderen Bohemiens mit dem Übernatürlichen konfrontiert zu werden. Auch „Das Gehirn“ und „Das Wachsfigurenkabinett“ sind exzellente Werke, die eine tiefe, absonderliche und bizarre Wirkung auf den Hörer ausüben.

Die Geschichten werden abwechselnd von Christiane Blumhoff und Mathias Kahler gelesen. Beide arbeiten seit vielen Jahren als Schauspieler und haben in letzter Zeit schon verschiedene Hörbücher umgesetz. Auch bei „Gespenster, Gespenster“ gelingt es ihnen vorzüglich, den Werken das nötige Ambiente zu verleihen. Die klare Sprechweise und die verschiedenen Stimmlagen bei den Dialogen sind wirklich erstklassig.

Abschließend lässt sich sagen, dass es sich bei diesem Hörbuch um ein technisch sehr gut umgesetztes Werk handelt, bei dem es sich lohnt, auf Entdeckungsreise nach schauerlichen Geschichten jenseits des Mainstreams zu gehen.

Jean Ray – Die Gasse der Finsternis. Phantastische Erzählungen

Ray Gasse Cover kleinEin Dutzend Dracheneier für Leser, die Phantastik mit Überraschungen lieben; für Jean Ray ist die Realität nur eine Schicht im Gewebe eines Universums, das in seiner Vielfalt meist außerhalb der menschlichen Wahrnehmung bleibt; unterhaltungsintensiv, mit enormem Einfallsreichtum, und drastischen Effekten schildert der Verfasser, was geschieht, wenn diese Schichten zufällig kollidieren.
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Ballard, Robert D. / Archbold, Rick – Versenkt im Pazifik – Schiffsfriedhof Guadalcanal

Ein Schauplatz erbitterter Kämpfe zu Lande, zu Wasser und in der Luft, sind die Pazifik-Insel Guadalcanal und der darauf befindliche Flughafen „Henderson Field“ von Japan und Amerika während des WK II heiß umkämpft, doch in der Konsequenz ziemlich unwichtig gewesen – Als eine tragische Ironie des Krieges lieferten diese taktisch eigentlich unsinnigen Kämpfe den größten bekannten Schiffsfriedhof, der dem Meeresgrund dort auch den treffenden Namen „Eisen-Sund“ einbrachte, weil unzählige Wracks sich dicht an dicht in der Tiefe quasi aneinander reihen. Die dort abgehaltenen Seeschlachten standen seit jeher im Schatten der Land- und Luftkämpfe, die dieses idyllische Eiland immer wieder heimsuchten.

Bekannt geworden ist Guadalcanal daher auch eher durch Serien wie „Pazifik-Geschwader 214 – Die schwarzen Schafe“ oder neuerlich mit dem Anti-Kriegs-Streifen „Der schmale Grat“. Dass sich dort ganze Kriegsschiff-Flotten unerbittlich beharkt haben, ist dagegen zumindest hierzulande fast in Vergessenheit geraten. Robert D. Ballard hat sich 1993 wieder einmal mit seinem beispiellosen Tiefsee-Equipment aufgemacht, um den dort liegenden stummen Zeugen des Wahnsinns einen Besuch abzustatten … Ganze 13 gespenstische Wracks wurden von seinem Team gefunden und erforscht, was der vorliegende Bildband „Versenkt im Pazifik – Schiffsfriedhof Guadalcanal“ eindrucksvoll illustriert.

_Historischer Hintergrund_
Die Schlachten um die Salomonen-Insel Guadalcanal im süd-östlichsten Ende des von Japan kontrollierten Pazifiks fanden über mehr als drei Monate hinweg statt (August – November 1941). Primär war dabei die Kontrolle des auf der Insel befindlichen „Henderson Airfield“, den man als Ausgangsbasis für den gesamten südlichen Raum gut nutzen konnte. Sowohl die Japaner als auch die Amerikaner sahen in der unscheinbaren Insel den Schlüssel zur Nierderringung des Gegners, da beide davon ausgingen, dass eine jeweilige Invasion nicht durch den Zentral-Pazifik, sondern über die bewohnten Inselgruppen erfolgen müsse. Wenn man so will, ein kriegerisches Island-Hopping, das sich in der Nachlese der Geschichte aber als falsch erwies, da die wirklich elementaren Gefechte beispielsweise genau dort erfolgten, wo keiner der beiden Kontrahenten (aufgrund der bescheidenen Versorgungslage) sich mit dem anderen duellieren wollte.

Waren die Gefechte bei Midway und Truk noch zeitlich auf wenige Stunden oder Tage ziemlich begrenzte Einzelgefechte zwischen Marineverbänden, die den Krieg letztendlich entscheiden sollten, handelte es sich beim Konflikt um die Salomonen-Insel laut einem Zeitzeugen eher um eine „blutige Kaschemmen-Prügelei“, bei der keine Seite trotz sämtlicher aufgebotener Truppengattungen (nicht nur Schiffe, sondern auch Flugzeuge, Panzer und Infanterie) wirklich einen Sieg erringen konnte. Dementsprechend häufig wechselte Guadalcanal dann auch immer wieder den „Besitzer“. Trafen Flottenverbände mal auf keine maritimen Gegner oder gegnerischen Frachter, feuerten die Schlachtschiffe auch gern auf Landziele und unterstützten somit ihre Bodentruppen mit der Schiffs-Artillerie oder deckten mit ihren FLAK-Kanonen den Luftraum ab, während man wieder mal versuchte, die Insel einzunehmen und/oder zu verteidigen.

Der Schiffsfriedhof von Guadalcanal ist die direkte Konsequenz dieses Hin und Hers und verdeutlicht wie kaum ein zweiter Ort die Sinnlosigkeit, einen völlig unwichtigen Flecken Erde mit allerhand Menschen und Technik zu umkämpfen, nur um anschließend festzustellen, dass die wirklich entscheidenden Schlachten ganz woanders geschlagen werden. So war das Gerangel um Guadalcanal, gemessen am taktischen Nutzen, reine Verschwendung von Mensch und Material auf beiden Seiten, dem nicht wenige Schiffe, Flugzeuge, Panzer und Fußtruppen zum Opfer fielen. „Gewonnen“ haben diesen Konflikt die Amerikaner; nach der Versenkung des japanischen Superschlachtschiffes |Kirishima| war der Widerstandswille der japanischen Invasionsflotte ziemlich gebrochen und es begann nunmehr die Zeit der Bodentruppen, versprengte und verschanzte Nester des Gegners auszuheben … Bei den erlittenen Verlusten der Amerikaner kann man aber wahrlich nicht von einem „Sieg“ reden.

_Die Mitwirkenden_
Dr. Robert D(uane) Ballard ist Meeresgeologe an der |Woods Hole Oceanographic Institiution|, Mitglied der |National Geographic Society| und seit seiner Entdeckung der |Titanic| schon eine Berühmtheit unter den Tiefseeforschern, wenn auch nicht überall wohl gelitten. Sein zweiter Geniestreich war das Auffinden des deutschen Schlachtschiffes |Bismarck| und dessen Erforschung. Ballard steht in dem Ruf, viel Wert auf Publicity zu legen – einige seiner Wissenschaftskollegen mögen ihn dafür nicht sonderlich. Auf der anderen Seite ist eine solche Expedition mit einem immensen Kostenaufwand verbunden, also was Wunder, wenn er seine Funde entsprechend vermarktet und die Werbetrommel für die US Navy rührt, auf Basis deren Technik er seine Forschungen durchführt. Man kann über ihn denken, was man will – er ist und bleibt der Shooting-Star unter den heutigen Unterwasser-Archäologen, der mit seinem System schon so manches verschollene Wrack aufspüren konnte.

Rick Archbold, ein angesehener Historiker, dessen berühmtestes eigenes Werk „Hindenburg“ ist, eine minutiös geschriebene Recherche über die Tragödie des deutschen, gleichnamigen Luftschiff-Stolzes LZ119, welches in den 30er Jahren bei Lake Hurst verunglückte. Auch in diesem Band sorgt Archbold wieder dafür, dass sich Ballard ganz auf die Schilderung der eigentlichen Suche in den Tiefen des Pazifiks beschränken kann, den historischen Part setzt er gewohnt neutral in Text- und Bildform um, was sich allerdings auf alle Waffengattungen und die politischen Hintergründe bezieht und nicht nur auf die Seeschlachten (diese nehmen aber den größten Teil ein). Dabei kommen auch wieder unzählige Geschichten zusammen, die das Ausmaß der Sinnlosigkeit der Zerstörung rund um Guadalcanal verdeutlichen und illustrieren.

Ken Marshall ist der Illustrator, der auch schon einen ganzen Bildband mit Titanic-Motiven herausbrachte – Ich kenne niemanden, der gerade diese Art bedrückender Wrackbilder so plastisch per Airbrush und Pinsel darstellen kann. Auch er ist seit dem Titanic-Band für Ballard in jedem seiner Bücher für die Illustration der Wracks zuständig und hat auch hier (wieder einmal) das Titelbild erschaffen, wobei er bei „Versenkt im Pazifik“ einen Teil des Wracks des australischen Kreuzers |Quincy| zusammen mit dem Tauchboot „Sea Cliff“ verwendet hat. Sehr düster und bedrohlich, ein Bild, das mir wieder mal eine Gänsehaut über den Rücken jagt.

_Das Buch_
Ballards dritte große Expedition zu gesunkenen Schiffen führte ihn also 1992 nach Guadalcanal; diesmal bedient er sich wieder seiner gerühmten „Rasenmäher“-Such-Technik, wobei er mittels GPRS seine Position ständig auf den Meter genau feststellen kann und dabei einen Sonarschlitten im Schlepp knapp über dem Meeresboden hinter sich herzieht. Dieser liefert Bilder und Sonarreliefs der Umgebung in die Leitzentrale des Forschungsschiffes. Ballard wird nie müde, den Lesern dieses Suchmuster unter die Nase zu reiben, allerdings sind die Wracks im Suchgebiet diesmal so dicht gedrängt und auch der „Eisen-Sund“ längst nicht so tief wie die Fundstellen der Titanic und der Bismarck, daher ist ein Auffinden irgendwelcher Wracks diesmal wahrlich nicht das Problem. Die Exkursion bleibt Wunder-Oh-Wunder weitgehend von den sonst Ballard-üblichen Pannen verschont.

Auch hier, wie bei der Titanic, greift Ballard nicht nur zu seinen ferngesteuerten Video-Augen, sondern begibt sich selbst in seinem tiefseefesten Minitauchboot „Sea Cliff“ (dem Nachfolger seines legendären „Alvin“) zu einigen der interessanteren Wracks hinunter – das hat den Vorteil, dass er dort sein ferngesteuertes Tauchboot „Scorpio“ zusätzlich in Winkel schicken kann, die sonst nicht bildtechnisch zu erfassen oder für das bemannte Boot zu gefährlich sind. Dementsprechend detailliert kann dann auch hernach Ken Marshall seine Arbeit aufnehmen und die einzelnen Schiffe sehr stimmungsvoll und genau darstellen. Glücklicherweise finden sich in diesem Bildband wieder die ausklappbaren Seiten, welche die perfekten Illustrationen auf ein dreifaches Panorama ausbreiten – meist sind noch markante Fakten darauf verzeichnet, die in der Bild-Legende erklärt werden, d.h. hier wird auf besonders interessante Fundstellen hingewiesen.

Rick Archbold ist für die Aufbereitung der geschichtlichen Hintergründe zuständig. So besteht das Buch zwar aus einem großen Teil Wrackbildern und den Tauchgängen, die Hintergründe werden aber dennoch ausführlich von ihm dargestellt. Zu beinahe jedem Wrack gibt Archbold Augenzeugenberichte oder andere Quellen betreffend des Schicksals zum Besten. Er beschränkt sich aber nicht nur auf die Seeschlachten selbst, sondern liefert gleichzeitig noch interessante Nebeninformationen; sei es der Kampf an Land oder in der Luft, wenn’s geht sogar mit genauem Datum und Uhrzeit, damit man sich vom zeitlichen Zusammenhang der Ereignisse ein gutes Bild machen kann. Archbold heroisiert keine Seite und verhält sich bei seinen Recherchen sehr neutral, Ballard setzt dagegen manchmal etwas mehr auf Showmanship und Pathos, weswegen er wohl auch wieder Überlebende der Schlachten an Bord seines Forschungsschiffs eingeladen hat.

_Fazit_
Reich an verschiedenen Schiffen und die Sinnlosigkeit dieses Krieges durch die gut präsentierten geschichtlichen Hintergründe verdeutlichend, kann man dieses Buch als eines der besten Ballards bezeichnen, vor allem durch das Fehlen größerer Pannen und deren sonst so melodramatische Beschreibung, konzentriert sich „Versenkt im Pazifik“ auf die Geschichte der einzelnen Wracks. Der Leser bleibt diesmal von ausladenen Erklärungen, wie, wo und warum man genau |so| nach versunkenen Schiffen sucht (und nicht anders) verschont, die sonst Ballards Werke schmücken. Das zeigt, dass Ballards Bücher am besten sind, wenn der notorische Selbstdarsteller mal ein wenig zurücksteht und sich sein Co-Team hauptsächlich um den Inhalt kümmert.

Archbold liefert erneut einen akkuraten historischen Hintergrund ohne Pathos und sehr neutral, während der einfach geniale Ken Marshall wieder einmal seine Klasse beweist, die Unterwasserszenen bildlich darzustellen. Einen besseren Illustrator für die Unterwasser-Stilleben wird man heutzutage kaum finden. Daher kann mein Urteil sowohl für den mittlerweile schwer erhältlichen |out of print|-Bildband als auch das immer wieder neu aufgelegte Taschenbuch (wobei der großformatige Bildband mir wesentlich lieber ist) auf „absolut lesenswert“ lauten.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Originaltitel: „The Lost Ships of Guadalcanal“
Erscheinungsjahr: 1993 Madison Press, New York
Deutsche Ausgabe: 1993 Ullstein
Übersetzung: Uwe D. Minge
ISBN: 3-550-06384-4 (HC)
ISBN: 3-548-24695-2 (TB)
Illustrationen: Ken Marshall
Ausführungen: HC (OOP) und TB; 228 bzw. 232 Seiten
zahlreiche S/W- und (ausklappbare) Farbbilder

Hohlbein, Wolfgang – Feuer

Wieland Lokkens, kurz „Will“ genannt, hat mal wieder eine respektable Packung Ärger am Hals: Der kleinkriminelle Enddreißiger mit einem Händchen für den gezielten Griff ins Klo und dem Knast-Dauerabo ist auf Bewährung auf freiem Fuße und hat natürlich nichts Besseres zu tun, als mit einem – sagen wir einmal – nicht ganz rechtmäßig ausgeliehenen Amischlitten der Extravaganzklasse durch ein Wohlstandsviertel zu cruisen und dabei – hoppla! – ein Kind anzufahren. Dieses flüchtet in Panik in eine frisch abgebrannte Villa, einen schuld- und pflichtbewussten Will auf den Fersen, der sich eigentlich nur um das Opfer seiner Tagträumerei am Steuer kümmern möchte. Bei der Hetzjagd durch die in abendlicher Dämmerung dräuende Brandruine und deren Kellerräume verliert dieser aber allmählich die Geduld mit dem widerborstigen Flüchtling, trägt selbst noch einige Blessuren davon und wird in dieser Stresslage letztlich ziemlich knatschig.

Erschöpft einigen sich Jäger wider Willen und seine Beute bald auf ein Unentschieden, verlassen die Hetzarena – und prompt bekommt Will eins übergezogen und macht unerwartete Bekanntschaft mit kampferprobten Fäusten. Offenbar gibt es noch andere Interessenten an seiner minderjährigen Jagdbeute. Diese verstehen nicht viel Spaß und bedeuten Will unmissverständlich, sich um seine eigenen Probleme zu kümmern, die sich gerade selbstverschuldet vermehrt haben. Will zieht arg gebeutelt Leine, sieht noch, wie das Kind samt Schlägertypen in einer Limousine verschwindet und versucht, wenigstens noch seinen Auftrag auszuführen und die geklaute Karre bei seinem Unterweltchef abzuliefern, der ohnehin nicht viel von dem geborenen Loser hält und mindestens ebenso wenig Spaß versteht wie Wills soeben knapp überlebte unheimliche Begegnung der schmerzhaften Art.

Auf der Weiterfahrt kreuzt unser Katastrophenmagnet eine großräumig gesperrte Unfallstelle. Überraschung: Die Kindesentführer hatten wohl ebenfalls keinen ihrer glücklichen Tage, denn ihre Limousine brennt fröhlich auf der Straße vor sich hin – vom Kind keine Spur. Dass Will das hartnäckige Gör immer noch nicht los ist, stellt er kurz darauf fest, und auch, dass Villen und Limousinen lange nicht das Einzige sind, was im weiteren Verlauf dieser für ihn unerfreulichen und strapaziösen Geschichte abfackeln wird. Was hat das Kind mit dieser Aneinanderreihung von Malheuren zu tun, wie gestaltet sich Wills eigene Rolle dabei, wer waren die Eisenfresser aus der Limousine, warum wird Will selbst zur Jagdbeute und inwiefern scheint seine eigene Vergangenheit davon betroffen zu sein?

_Apocalypse now?_
Gleich vorweg: Der Klappentext ist zum Teil mal wieder aus der PR-Kiste gewürfelt. Die ganze Menschheit werde von verborgenen Mächten aus der Erde bedroht, heißt es da. Es zündelt auffällig kräftig in Köln, das wohl, aber mehr auch nicht. Und die Titulierung als „zweiter Apokalypse-Thriller nach dem Bestseller FLUT“ haut damit ebenso daneben, zumal sie nebenher einen Fortsetzungseffekt suggeriert.

„Feuer“ ist in weiten Teilen ein waschechter Thriller, ganz ohne Apokalypse oder verborgene Mächte, nur mit einem Hauch mysteriös-mystischer Andeutungen verfeinert. Ein unbedarfter Verlierertyp stolpert in eine Reihe gefahrvoller Ereignisse und wird mit Machenschaften konfrontiert, die über seinen Horizont und seine Erfahrungswelt hinausgehen. Will purzelt durch das Unterweltmilieu, prallt auf exzentrische Geldbonzen, die vielleicht gar Kinderhandel betreiben, und kreuzt unweigerlich die Wege ermittelnder Staatsbeamter, die ihm aufgrund seiner nichtsnutzigen Vergangenheit die Unschuldsrolle nicht ganz abnehmen wollen. Und stets begleitet die archaische Macht des Feuers das Geschehen.

Hohlbein bietet damit für den Start einige bewährte Thriller-Zutaten auf, die er geschickt und spannend in Szene zu setzen und mit der zynischen Weltsicht seines Antihelden zu ergänzen weiß. Unterstützt wird er dabei durch bereits im Prolog und in Wachträumen angedeutete mystische Verbindungen zu Wills eigener Vergangenheit, die neugierig machen. In der Tat gelingt es unserer fleischgewordenen deutschen Lieblings-Buchveröffentlichungsmaschine – immerhin über acht Werke im Jahresschnitt, die zudem ständig neu aufgelegt und (auch unter abweichenden Titeln) in diversen Verlagen publiziert werden –, die Spannung über weite Teile aufrecht zu erhalten, die Action nicht abreißen zu lassen, unerwartete Wendungen zu präsentieren und den Leser mit häppchenweisen Informationen bei der Stange zu halten.

Auch die Charaktere sind thrillertauglich und bis kurz vor dem Ende in ihren Motivationen und ihrer Parteinahme nicht recht einzuordnen, was sich ganz klar positiv im Spannungsbogen bemerkbar macht. Also unterm Strich alles bestens und gelungen? Leider nein. Mal wieder.

_Vielschreiberei: Risiken und Nebenwirkungen_
Mit mittlerweile perfektionierter Zielstrebigkeit gelingt es Hohlbein auch diesmal wieder, einen viel versprechenden Ansatz stilecht zu zerlegen und die aufgebaute Erwartungshaltung des Lesers in der Zielgeraden zerbröseln zu lassen. Dabei spielen die sprachlich-stilistischen Patzer kaum eine Rolle; von Hohlbein ist man da inzwischen einiges gewohnt und insgesamt kann der Arzt einen Genesungsprozess attestieren. Derlei ist beim Griff zum jeweils aktuellen Hohlbein so nebensächlich wie intensive Charakterformung, angemessene Recherchearbeit oder literarische Finesse. Wir wollen spannend unterhalten werden und am Ende das Buch zufrieden gesättigt beiseite legen können.

Das erste Erwartungsmoment wird größtenteils zufrieden gestellt; lediglich im letzten Buchdrittel fallen größere Längen unangenehm auf, die den Handlungsverlauf ausbremsen und sich zu sehr in Befindlichkeiten des Protagonisten ergehen. Mehr Handlungs- und Dialoglastigkeit wäre hier wünschenswert gewesen, ebenso wie die straffende und streichende Hand eines erfahrenen Lektors, der bei der Gelegenheit gleich einige allzu offensichtliche Ausdrucksschwächen hätte retuschieren können. Insgesamt geht das Ergebnis aber als immer noch spannende, unterhaltsame und die Fantasie anregende Lektüre durch; das Zuviel an Text zum Ende hin führte lediglich zu einer erhöhten Querleserate meinerseits, damit es endlich mal vorangeht.

Das Finale allerdings torpediert Herr Hohlbein dann vollends. Durch allerlei Geschwafel hier und Wiederholungen dort hat der Autor zu viel Raum und Arbeitszeit verloren, die er nun mit geballter Informationsflut ausgleichen möchte. Und hier begeht er nun den tödlichsten aller Fehler: Er lässt seine Bösewichte auf den ungelogen zweihundert Seiten der Schlusssequenz über Gott und die Welt schwadronieren. In der Tat gibt es so viele Erklärungsmonologe, die mit der obligatorischen Bösewichtwaffe im Anschlag auf den Leser einprasseln, dass Hohlbein sogar den Protagonisten mehrfach über so viel dummes und wirres Geschwafel die Augen verdrehen und gehörtechnisch abschalten lässt. Eine absurde Form von Realsatire oder etwa schriftstellerischer Galgenhumor kurz vor dem kreativen Exitus?

Als Bonus ist man dann trotz der Informationsflut im Umfang eines VHS-Kurses über Familienbande, die Edda, Urgewalten, Schmiedefeuer, Kölle und den Rest der Welt immer noch nur um weniges klüger als zuvor, denn dem Autor gelingt es nicht wirklich, eine zeitlich wie kausal logische Abfolge von Erklärungen zu präsentieren, die all die mittlerweile geöffneten Überraschungspäckchen in eine erhellende Lichterkette zu reihen verstünde. Alles bleibt irgendwie vage bis absurd, der Leser tappt weiterhin verwirrt im Dunkeln und stellt fest, dass die Spannung erzeugende Verunsicherung bis zum Schluss weniger Hohlbeins fachlicher Meisterschaft als viel mehr der tatsächlichen Verwirrung von Handlungsansätzen zu verdanken ist. Zudem bricht jetzt das phantastische Element des Romans vollends hervor, doch leider derart abrupt, schwer nachvollziehbar und geradezu halluziniert, dass wir als verdatterte Beobachter des Geschehens überfordert werden. Die bis zum Letzten erhoffte Auflösung all der Verwirrung bleibt dabei leider aus.

Es ist wahrlich ein Jammer. Die Ansätze sind gelungen, Spannung ist vorhanden und dann verpufft alles in einem Mangel an Lektoratsarbeit und konzentrierter Schriftstellerei, die sich vielleicht mit einem guten Werk pro Jahr begnügen sollte, anstatt in einem Dutzend Veröffentlichungen jährlich ebenso viele sich immer ähnlichere Ideenansätze in Variationen eines Themas halbgar zu vergeigen. Schade drum. Bis auf den verkorksten Abschluss wurde ich dennoch gut unterhalten; lediglich die Anschaffung einer nicht unbedingt kostengünstigen Hardcover-Ausgabe für den kleinen Hohlbein zwischendurch sollte man sich zweimal überlegen, auch wenn man mit siebenhundert Seiten einiges an Lesefutter dafür bekommt.

Marco Buticchi – Die Jagd nach den Mondsteinen

Das geschieht:

Die „Mondsteine“: drei Stelen, gegossen aus purem Gold in menschenähnliche Gestalt, doch mit ‚Köpfen‘, die wie der zunehmende, der volle und der abnehmende Mond geformt sind. Die Entstehungsgeschichte der wertvollen Stücke ist ungeklärt; schon als sie im 1. Jahrhundert nach Christus erstmals schriftlich erwähnt werden, gelten sie als uralt. Entstanden sein sollen sie einst in der kleinen römischen Stadt Luna anlässlich des Todes eines Hohen Priesters, den die Göttin Minerva höchstpersönlich ins Jenseits entrückt haben soll. Als Erinnerung an diese Himmelfahrt blieben die Mondstelen zurück. Sie wurden von der Familie besagten Priesters geborgen und seither vom Vater an den ältesten Sohn weitergegeben.

So lautet jedenfalls die Geschichte, die Iunius von Luna seinem General und Freund Marcius erzählt, nachdem es im Jahre 77 n. Chr. an ihm ist, die goldenen Statuen zu hüten. Iunius hat sich auf zahlreichen Feldzügen ausgezeichnet, die das mächtige Römische Imperium unter Imperator Vespasian gegen die Germanen führte. Bis zum Tribun hat es Iunius gebracht, der nun er seinen General in die Hauptstadt Rom begleitet, wo dieser ein hohes politisches Amt anstrebt. Marco Buticchi – Die Jagd nach den Mondsteinen weiterlesen

Schätzing, Frank – Tod und Teufel

Wir schreiben das Jahr 1260 in Köln, der Kölner Dom befindet sich noch im Bau unter der Leitung des genialen, visionären Baumeisters Gerhard Mortat. Doch eine dunkle Verschwörung, von der Gerhard Kenntnis haben muss, wird ihm zum Verhängnis. Schon zu Beginn der Geschichte werden wir Zeuge, wie ein gewisser Mathias und ein gewisser Heinrich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den gedungenen Killer Uruqhart anheuern, der den Baumeister erledigen und eine weitere – bislang unbekannte – Aufgabe übernehmen soll. Uruqhart tut, wie ihm geheißen, kauft sich zwei Zeugen, die den Mord später als einen Unfall bekunden, und als sich die Gelegenheit bietet, schubst er Gerhard dezent vom Baugerüst des Doms.

Allerdings hat er nicht mit einem richtigen Zeugen gerechnet, der sich gerade an bzw. in den erzbischöflichen Apfelbäumen gütlich tut: Jacop, genannt „Der Fuchs“, seines Zeichens ein kleiner, unbedeutender Dieb. Eigentlich wollte Jacop nur (illegal) seinen Hunger stillen, fällt aber vor lauter Schreck über die schattenhafte Gestalt und die Tat aus dem Baum – mehr noch: Da der Baumeister sich noch bewegt, überkommt ihn der irrige Gedanke, ihm vielleicht helfen zu können. Alle Vorsicht vergessend, setzt Jacop im Schweinsgalopp herüber zum Gestürzten und dieser lebt tatsächlich noch lang genug, um dem Tagedieb ein paar Worte ins Ohr zu flüstern, bevor er sich endgültig aufmacht, vor seinen Schöpfer zu treten.

Jetzt heißt es: nichts wie weg! Jacop hockt hier mitten auf dem Domplatz wie auf dem Präsentierteller, der Mörder hat ihn unter Garantie gesehen, sodass ein Rückzug mehr als angebracht erscheint – keine leichte Aufgabe für jemanden, der mit seinem leuchtenden Rotschopf auffällt wie eine Knackwurst in der Maibowle. Dennoch schafft er es dank der unerwarteten Hilfe der (soeben kennen gelernten) Färberstochter Richmodis und eigener Pfiffigkeit, den kaltblütigen Attentäter abzuschütteln. Denkt er. Doch als er seine unglaubliche Story zweien seiner engsten Freunde erzählt, werden diese etwas später von ungewöhnlichen Armbrustbolzen durchbohrt von ihm aufgefunden.

Der Killer hat seine Witterung also doch nicht verloren und beseitigt nun alle, die das Geheimnis kennen könnten. In seiner Not und auch leicht verletzt sucht Jacop Richmodis nochmals auf – ihr Onkel Jaspar Rodenkirchen ist Physikus (Arzt), hatte sie beiläufig erwähnt. Der ist von Jacops Geschichte derart fasziniert, dass er beschließt weiterzuforschen, was den Stein erst richtig ins Rollen bringt. Jacop ist nämlich unfreiwillig in eine Fehde zwischen dem Erzbischof und einigen reichen Patrizierfamilien geschlittert, und die dulden bei ihrem Komplott nun mal keine Mitwisser. Jetzt befinden sich außer Jacop zu allem Überfluss auch noch seine neu gewonnenen Freunde und Helfer Richmodis, ihr Vater Goddert von Weiden und ihr Onkel Jaspar in höchster Todesgefahr und somit auf der Abschussliste des Killers …

_Meinung_
Die Basis des Plots steht auf wahren Begebenheiten, tatsächlich ist Gerhard Mortat in besagtem Jahr unter ungeklärten und mysteriösen Umständen vom Baugerüst des Kölner Doms zu Tode gestürzt. Desweiteren sind auch die Patrizier, wie die Overstolzens, die Weisens und die Kohns historisch korrekt, Gleiches gilt natürlich auch für Erzbischof Konrad. Auch wenn Schätzing behauptet: „die Hälfte der Figuren spielt sich selbst“, so ist die Handlung als solche frei erfunden und bedient sich lediglich der Personen, um diesen mittelalterlichen Kriminalfall realistischer erscheinen zu lassen.

Mystery sucht man vergebens, denn schon auf den ersten Seiten wird klar, dass es sich um ein Komplott handelt und mindestens drei (Mit-)Täter sind dem Leser sogar schon mal namentlich bekannt, peu à peu zieht die Verschwörung dann immer weitere Kreise, wobei man sich schon bald denken kann, worauf das Ganze im Endeffekt hinausläuft. Hauptaugenmerk liegt demnach darauf, wie es Jacop und seine Freunde schaffen, die Verschwörung aufzudecken und von dem eiskalten Profi-Meuchler Uruqhart dabei nicht abgemurkst zu werden.

Der Schreibstil Schätzings ist locker und flockig, auch wenn er gerne auf archaische Begriffe zurückgreift, die man damals nun einmal benutzte; so mischt er immer wieder kleinere moderne Worte mit hinein, um ein wenig Witz in die Sache zu bringen. Witzig ist das Werk stellenweise wirklich, gerade die Wortgefechte zwischen Jaspar und Goddert sind herzerfrischend komisch – doch auch sonst spielt der Autor geschickt mit Sprache und Figuren. Leider gibt es, wo Licht ist, auch Schatten. So fallen die ausholenden und dozierenden Erklärungen Jaspars zur Geschichte Kölns und der politischen Situation manchmal etwas arg lang und unrealistisch aus. Wenn man Zeit genug hat zu philosophieren, kann die Gefahr, in der man grade schwebt, doch nicht allzu groß sein.

Trotzdem ist das Bild, das Schätzing vom mittelalterlichen Köln und seinen Akteuren zeichnet, lebendig und recht glaubhaft, allerdings ein wenig mit Klischee behaftet und überzeichnet. Die Atmosphäre an sich ist jedoch stimmig und weiß zu gefallen und mitzureißen, da kann ich über minimale Schwächen generös hinwegschauen.

Waren die Erklär-Passagen Jaspars noch sehr weit ausholend, so kommt die Action dennoch nicht zu kurz. Wenngleich manche Ereignisse durchaus vorhersehbar sind, gelingt Schätzing doch die eine oder andere interessante Überraschung. Sehr zu meinem Bedauern geht es am Schluss zu sehr hopplahop dem Ende der Geschichte zu. Hat sich Schätzing vorher noch beinahe akribisch seinen Figuren und der Handlung gewidmet, so geht’s nun einen Tick zu rasant zu, um die Handlung zu einem logischen und befriedigenden Abschluss zu bringen.

Meiner bescheidenen Meinung nach hätte er entweder im Mittelteil die ellenlangen Geschichtsstunden etwas einkürzen und dafür das Ende pfiffiger und ausführlicher gestalten können (wenn er schon eine bestimmte Seitenzahl erreichen musste/sollte) oder er hätte gleich weitere zwanzig bis dreißig Seiten für einen anständigen Showdown drangehängt. Das Ende jedenfalls ist ein ziemlich abrupter Stilbruch und zudem ein veritabler Cliffhanger – Wozu macht er sich die Mühe, die Beziehungen der Charaktere untereinander zunächst tief auszubauen, um dann mit aller Macht auf die Bremse zu treten?

Spekuliert(e) Schätzing gar auf eine eventuelle Fortsetzung und wollte den Erfolg seines ersten Buches erstmal abwarten? Ich bin versucht, genau das anzunehmen, ohne etwas unterstellen zu wollen, doch irgendwie ist mir der Stimmungswechsel am Ende |zu| augenfällig. Bislang jedoch hat sich in diese Richtung nichts entwickelt, keine Fortsetzung in Sicht – vielleicht kommt ja doch noch eine, wenn der Hype um [„Der Schwarm“ 731 ein wenig abgeebbt ist.

_Fazit_
Die Idee, ein Komplott bzw. eine Mordserie ins finstere Mittelalter zu verfrachten, ist auch nicht besonders neu, da hat Umberto Eco mit „Der Name der Rose“ einen Meilenstein geschaffen, der schwerlich zu toppen ist. Eine empfehlenswerte Lektüre für Zwischendurch ohne großen Anspruch; wer mit dem vielen Latein und einigen Begriffen des Mittelalters Probleme hat, bekommt sogar im Anhang ein kleines, nützliches Lexikon geboten. Bis auf die unfreiwilligen, aber trotzdem recht interessanten Geschichtsstunden ein sehr kurzweiliges Buch mit Witz und Charme. Freunde des mysteriösen Thrillers werden wohl ein wenig enttäuscht sein, denn es ist ein Krimi – nicht mehr, nicht weniger -, bei dem die Täter zu Beginn bekannt sind und auch das Motiv selbst dem weniger aufmerksamen Leser relativ schnell klar wird.

F. Paul Wilson – Das Kastell

Wilson Kastell Cover Festa 2006 kleinDas geschieht:

Im April des Jahres 1941 steht Nazi-Deutschland scheinbar vor dem „Endsieg“. In einer alten Bergfestung in den rumänischen Karpaten hat eine kleine Abteilung der Wehrmacht einen strategisch eher unwichtigen Kontrollposten eingerichtet. Major Klaus Wörmann, der Kommandant, wurde hierher strafversetzt, weil er, ein Soldat der alten Schule, sich nicht nur geweigert hatte, der SS beizutreten, sondern sogar Manns genug gewesen war, deren Gräueltaten in den besetzten Ostgebieten anzuprangern.

Zwei Soldaten auf heimlicher Schatzsuche wecken versehentlich ein unheimliches Wesen, das nun des Nachts die deutschen Besatzer abzuschlachten beginnt. In seiner Not ruft Wörmann Hilfe. Man schickt ihm SS-Mann Erich Kämpffer, den er nur zu gut kennt und verachtet; zu Recht, denn der ebenso ehrgeizige wie skrupellose Sturmbannführer beginnt sogleich die Einheimischen zu terrorisieren, die er für die Morde verantwortlich macht. Wörmann sucht und findet einen Mann, der mehr über die Festung weiß. Professor Theodor Cuza ist ein todkranker Mann – und er ist Jude, was ihn und seine Tochter Magda der Willkür Kämpffers aussetzt, der beide in die Karpaten verschleppen lässt. F. Paul Wilson – Das Kastell weiterlesen

Brier, Bob – Mordfall Tutanchamun, Der

Wurde er ruchlos im zarten Alter von 20 Jahren von opportunen, machtgierigen Mitgliedern seines Hofes dahingemeuchelt? Wer war der wohl bekannteste Pharao überhaupt, und warum wurde er so berühmt, obwohl sich jemand offensichtlich sehr viel Mühe gab, seine Person aus den Annalen der Geschichte zu tilgen? Die Gründlichkeit, mit der dies versucht wurde, erwies sich für uns – die Nachwelt – als Segen, denn das prachtvolle Grab des vergessenen Pharaos aus der auslaufenden 18. Dynastie ist 3000 Jahre lang von Grabschändern unberührt geblieben, weswegen Entdecker Howard Carter 1922 quasi eine Zeitkapsel öffnete, die sehr viel Aufschlussreiches über die damalige Zeit verriet – aber nur vergleichsweise wenig über den dort Bestatteten selbst. Zumindest auf den ersten Blick.

In den offiziellen Königslisten von Sethos I taucht sein Name nicht auf und erst nach und nach wird seine Identität enthüllt: Tutenchamun (auch |Tutankhamen|, |Tutankhamun| oder |Tutanchamun|, je nach verwendeter Schreibweise). Er erweist sich, ebenso wie seine Familie, für die Forscher als weißer Fleck in der ägyptischen Geschichte. Sohn (manche mutmaßen gleichzeitig Neffe) von Echnaton, dem Ketzer. Mysteriöser Kindkönig. Quell sämtlicher Gerüchte über den Fluch der Pharaonen. Doch wieso wurde er verfemt? Die Hinweise verdichten sich, dass ein beispielloser Staatsstreich stattfand. Das alte Reich war danach belegbar jedenfalls nie mehr wie zuvor. Paläo-Pathologe Professor Bob Brier spricht gar von einem Mord und er verrät uns in diesem Buch auch, warum er ein Komplott nicht ausschließt …

_Ein Blick ins Album der Familie König – Zum Inhalt_
Tutenchamun wurde unter dem Namen Tutench|aton| als Sohn des später als „Ketzerkönig“ gebrandmarkten Pharaos Echnaton in Acheaton (heute Amarna genannt) geboren. Die Umstände, warum Echnaton (den übrigens nicht wenige mit der biblischen Gestalt des Moses gleichsetzen) die Staatsreligion des Amun-Kultes und Vielgötterei in eine monotheistische Religion um den Gott Aton zu wandeln versuchte, sind mysteriös und nicht restlos geklärt. Fakt jedoch ist, dass es der Amun-Priesterschaft, dem Adel und dem Militär in Theben (der eigentlichen Hauptstadt des alten Ägypten) sicher nicht geschmeckt hat. Die Verlegung der Hauptstadt von Theben nach Tell el-Amarna wohl ebensowenig – die Stadt wurde komplett neu aus dem Boden gestampft, mit einer für Ägypten vollkommen neuen Kunstrichtung und einzig und allein auf die neue Staatsgottheit Aton ausgerichtet.

An dieser Stelle ändert Amenophis IV auch seinen Namen in Echnaton („Der Aton Gefällige“). Etwas Vergleichbares hat es in der gesamten Geschichte Ägyptens noch nie gegeben und wiederholte sich auch nie wieder. Seinen isolatorischen Lebensmittelpunkt verlegt er ebenfalls in die neu gegründete Stadt, zusammen mit seiner Erst-Frau Nofretete und seinen sechs Töchtern, die er mit ihr hat. Er gelobt, die Stadt fürderhin nicht mehr zu verlassen. Das ehemals mächtige Reich beginnt unter seiner Ägide böse zu wanken und büßt wirtschaftlich sowie militärisch viel von seinem Glanz ein.

Tutenchaton jedoch ist nicht der Sohn Nofretetes, sondern der Zweit-Frau Kija, die bereits Tutenchatons älteren Bruder Semenchkare zuvor gebar. Sie verstirbt – höchstwahrscheinlich – auf dem Kindsbett bei der Geburt Tutenchatons, jedenfalls verschwindet sie abrupt aus den Aufzeichnungen und einige Indizien und Grab-Malereien belegen, dass Kija tatsächlich die Niederkunft nicht überlebte. Echnaton hat zwei potenzielle Thronfolger aus dieser Verbindung, Nofretete kann offensichtlich nur Töchter gebären. Die beiden Prinzen wachsen recht behütet und wohl auch abgeschirmt von der Öffentlichkeit auf, jedenfalls zeigen die gefundenen Szenen aus dem Leben derer von Echnaton stets nur ihn und Nofretete mitsamt Töchtern als liebevolle Familie, auch das ist ein Bruch mit der traditionellen Darstellungsweise in der ägyptischen Kunst.

Echnaton ernennt in der Tat den zehn Jahre älteren Bruder Tutenchatons – Semenchkare – zu seinem Mitregenten (und dieser wird somit offiziell zum designierten Nachfolger erhoben), doch etwa zwei Jahre später verstirbt der älteste Sohn – woran oder warum konnte bis heute nie ganz geklärt werden. Tutenchaton rückt somit automatisch nach, doch ist er erst vier und wohl grade erst dabei, das Schreiben und die anderen Pflichten eines Prinzen zu erlernen.

Es dauert weitere fünf Jahre, bis ihn das Schicksal zum jüngsten König machen soll: In seinem 17. Regierungsjahr und zwei Jahre nach dem Tode Nofretetes und mittlerweile aller Töchter – bis auf Anchesepaaton – stirbt auch Echnaton. (Das heißt, manche glauben, er sei nicht gestorben, sondern als Moses mit den Semiten nach Judäa gezogen … Doch das ist eine andere Geschichte.) Tutenchaton und Anchesepaaton werden von General Haremhab und Wesir Eje zur Krönung nach Theben geleitet. Als engster Berater des jungen Prinzen und Mittler zwischen der Priesterschaft managt Eje die Inthronierung des unmündigen Tutenchaton, wobei es ein paar Hürden zu bewältigen gibt: Als Erstes muss der junge König mit Anchesepaaton vermählt werden, denn er ist als Kind der Zweit-Frau Echnatons ein „Halbblut“ und nicht berechtigt, ohne weiteres den Thron zu besteigen, erst die Heirat mit seiner Halbschwester verleiht ihm die Königswürde, denn sie ist die Tochter Nofretetes und somit „reinen Blutes“.

Um die Rückkehr zum alten Pantheon zu verdeutlichen, werden selbst die Namen der beiden geändert: in Tutenchamun und Anchesenamun – nichts soll mehr an ihren ketzerischen Vater erinnern. Doch das reicht offensichtlich nicht. In kurzer Folge werden Echnatons Stadt Amarna und sämtliche kulturelle Andenken ausgemerzt – glücklicherweise jedoch nicht zu hundert Prozent, denn einige Teile der Bauwerke und Reliefs wurden nur halbherzig umgebaut oder zum Bau anderer (Amun-)Kultstätten wiederverwertet, sodass sie 3000 Jahre später aufgrund ihres frappant anderen Stils von Archäologen entdeckt wurden und uns Zeugnis von einigen Vorgängen ablegen können. Vieles davon befindet sich im heutigen Luxor und kann sogar besichtigt werden.

In seinen letzten neun Jahren, die er nominell das Reich regiert, erstarkt Ägypten wieder und läuft unter General Haremhab auch zur gewohnten militärischen Stärke auf. Hinter den Kulissen ziehen jedoch aus nachvollziehbaren Gründen ganz andere die Fäden als Tutenchamun, nämlich das Triumvirat seiner Berater: Haremhab, Eje und der „königliche Schreiber“ Maja (quasi der Finanzminister). Sie vergrößern ihren Einfluss stetig. Das persönliche Glück des jungen Pharaonenpaares steht ebenfalls unter einem schlechten Stern, denn obwohl die beiden ein scheinbar inniges Verhältnis zueinander haben, gestaltet sich die Geschichte mit der Thronfolge als sehr schwierig. Anchesenamun erleidet eine Totgeburt (es wäre ein Mädchen gewesen) und beim zweiten Versuch kommt die neuerliche Tochter vier Monate zu früh und stirbt. Der letzte Pharao der 18. Dynastie bleibt weiterhin ohne erbberechtigte Nachkommen.

Der Pharao ist nunmehr 19 Jahre alt und wird aller Wahrscheinlichkeit nach so langsam in seine Rolle gewachsen sein und seinen eigenen Kopf zu entwickeln beginnen. Offenbar ist es nun höchste Zeit, dass ihm selbiger eines Nachts eingeschlagen wird und zwar auf äußerst subtile Weise. Das vermutet Brier jedenfalls. Sein Wesir Eje ergreift erstaunlich schnell die Regierungsgeschäfte, lässt sich zum Pharao krönen und nimmt zu allem Überfluss die Witwe Anchesunamun zur Frau, kann sich aber nicht lange halten. Er stirbt vier Jahre nach der Machtübernahme, hat aber zuvor versucht, seinen Vorgänger ebenso aus den Annalen der Geschichte zu löschen wie dessen Vater Echnaton. Sein Nachfolger wird – man ahnt es bereits – General Haremhab und begründet so als Erster die Reihe der „Soldatenkönige“ in Ägypten. Erst 3000 Jahre später soll man die Puzzleteile dieses altertümlichen Krimis zusammenfügen können, als das Grab des „Unbekannten Pharaos“ 1922 entdeckt und Jahrzehnte später (1968) die Mumie zum ersten Mal geröntgt wird.

_Beweisaufnahme – Pharao Jürgens Meinung_
Briers Theorie wirft ein sehr menschelndes und lebendiges Licht auf buchstäblich tote Geschichte; es liegt in der Natur der Sache, dass hier viel hineininterpretiert werden kann. Er macht davon auch regen Gebrauch, wobei er stets versucht, seine angeführten Punkte soweit es geht mit Fakten zu untermauern, was freilich nicht immer gelingt. Das äußert sich schon darin, dass er einen sehr großen Teil des Buches darauf verwendet die dunkle Familiengeschichte Tuts aufzurollen (was ich weiter oben zusammengefasst habe, stellt nur einen Bruchteil dar) und sie als Schlüsselpunkt für seinen Kriminalfall heranzuziehen.

Betrachtet man diese sehr wirre und lückenhaft dokumentierte Zeit des politisch-religiösen Umbruchs in der ägyptischen Geschichtsschreibung, so ist dies keine leichte Aufgabe und dementsprechend häufig blanke Interpretation, der man folgen mag oder eben nicht. Seine Rekonstruktion der Vorgeschichte war bereits mehr als einmal Gegenstand hitziger Diskussionen und gerade in letzter Zeit immer wieder Stoff für ein aufflammendes Interesse am wohl berühmtesten Pharao in den Medien.

Briers Ausführungen haben einiges für sich, bieten sie doch so manche Antwort darauf, warum genau diese Epoche und die geheimnisvolle Vita Tutenchamuns und seiner Familie nur fragmentarisch erhalten blieben. Sehr belastbar ist die These nicht in allen wichtigen Punkten, hat aber auch eine Menge gut durchdachter Ansätze und nachvollziehbarer Begründungen für sich. Einige seiner Kollegen mögen seiner Argumentation trotzdem so gar nicht recht zustimmen, während sie bei anderen Ansichten mit ihm konform gehen. Dass der junge Pharao keines natürlichen Todes gestorben ist, gilt in der Fachwelt nämlich als gesichert, stellt sich nur die Frage, ob dort tatkräftig und mithin absichtlich nachgeholfen wurde. Brier ist jedenfalls dieser festen Überzeugung, was er nicht nur durch Herleiten einer langen Indizienkette, sondern anhand von Fotos auch schlüssig zu stützen versucht.

In den späteren forensischen Untersuchungen anhand von in den 60er Jahren angefertigten Röntgenbildern Tuts und der lange unbeachteten (und kaum bekannten) Mumien seiner beiden totgeborenen Töchtern wird’s dann aufgrund der wissenschaftlich überprüfbaren Sachlage weitaus weniger spekulativ. Dies ist auch sein angestammtes Fachgebiet als Mumienexperte respektive Paläo-Pathologe. N24, ZDF und GEO stürzen sich in letzter Zeit gerne auf den Lieblingspharao.

Brier ist dort immer wieder als Fachberater mit von der Partie, rückt aber mittlerweile von einigen seiner damaligen Erkenntnisse im Buch teilweise ab. Kein Wunder, war er doch wegen der wilden Spekulationen – die sich eben nicht auf seine Arbeit, sondern seine Interpretationen des Drumherums bezogen – aus der Fachwelt ganz schön unter Beschuss geraten. Man hielt ihn für nicht kompetent, sich als Historiker zu betätigen, während man seine pathologische Arbeit durchaus würdigte. Eine ziemlich überhebliche Sichtweise, wie ich finde. Seine Kernaussage hat jedoch auch noch nach sechs Jahren seit der Erstveröffentlichung Bestand:

Der ominöse Knochensplitter im Inneren des Kopfes, der die Gemüter von Wissenschaftlern seit seiner Entdeckung erhitzte und schon 1968 für die ersten Mordtheorien sorgte, ist seiner Untersuchung nach kein Beleg für die Todesursache. Seine Meinung ist, dass dieser von einer Ungeschicklichkeit bei der Einbalsamierung herrührt, soll also demnach erst nach dem Tode entstanden sein. Vielmehr sind er und einige Gerichtsmediziner einem vermutlichem Hämatom nahe des Übergangs zwischen Genick und Hinterkopf auf die Spur gekommen.

Das Hämatom an ausgerechnet diesem Teil des Kopfes ist durch einen Unfall kaum zu erklären (zumindest höchst unwahrscheinlich) und daher vermutet Brier (zusammen mit einigen anderen), dass diese Verletzung absichtlich durch einen gezielten Schlag auf diese empfindliche Stelle herbeigeführt wurde. Die teilweise Verknöcherung dieses ehemaligen Blutgerinsels legt den Schluss nahe, dass Tutenchamun schätzungsweise etwa einen Monat lang damit gelebt haben kann, einen Teil davon im Koma, bis dann letztlich der Tod eintrat.

_Abschlussplädoyer – Fazit_
Bob Briers Schlussfolgerungen entbehren durchaus nicht einer nachvollziehbaren Logik, sind aber in Ägyptologenkreisen nicht ganz unumstritten, denn für viele Behauptungen fehlt letztendlich der Beweis in Form von Inschriften o. ä. – sprich: Die Hardware. Somit müssen die hier dargebrachte Mordfall-Story und hergeleitete Indizienkette gegen die vermeintlichen Tatverdächtigen mit den wenigen wirklich nachprüfbaren Fakten aus Fundstücken und Autopsien dennoch hochspekulativ bleiben, doch das trifft auf die Lehrmeinung ebenso zu, welche sich allzu oft als ebenso falsch erwiesen hat.

Unfall, Mord oder gar Komplott? Das Mord-Szenario ist eine durchaus denkbare Variante, sofern Briers angestellte Mutmaßungen über den Hintergrund akkurat sind. Beweisen lässt es sich nicht, ein Unfall kann nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden. Die dargebrachten Verdachtsmomente würden heutzutage wohl vor Gericht kaum Bestand haben und nicht zu einer Verurteilung der beiden von Brier bezichtigten Hauptangeklagten führen: In dubio pro reo. Kurios und mysteriös genug bleibt das Leben und Sterben des jungen Regenten auch nach Lesen des interessant und flüssig geschriebenen Buches. Brier fügt dem Puzzle fantasiereich einige weitere Teile hinzu, doch bin ich sicher: Das letzte Wörtchen ist in diesem Fall noch nicht gesprochen.

|Originaltitel: „The Murder Of Tutankhamen. A True Story“
Ersterscheinung: 1998 – G. P. Putnam’s Sons / NY
Deutsche Übersetzung: Wolfgang Schuler
354 Seiten – diverse s/w-Fotos im Mittelteil|

Masterton, Graham – Rückkehr des Manitou, Die

_Das geschieht:_

Misquamacus, mächtiger indianischer Zauberer und seit Jahrhunderten erklärter Feind der Bleichgesichter, hat die peinliche Schlappe überwunden, die ihn vor einem halben Jahrzehnt zurück ins Geisterreich verbannte (s. „Der Manitou“/“The Manitou“, Bastei-Lübbe-Horrorbibliothek Nr. 70001), und setzt zur neuerlichen Attacke an. Es zieht ihn nach Bodega, ein Fischerdorf an der kalifornischen Küste. Dort brachte in den 1830er Jahren der berüchtigte „Bloody“ Allen Fenner Verderben über die friedfertigen Wappo-Indianer. Da Differenzierung nie seine starke Seite war, fährt Misquamacus‘ Geist (= Manitou) in Toby, den achtjährigen Sohn der gegenwärtigen Fenners.

Billy Ritchie ist als Dorforakel von Bodega über Misquamacus und dessen Versuche, den „Tag der dunklen Sterne“ anbrechen zu lassen, gut informiert: Dämonen aus der farbenprächtigen indianischen Hölle will der Manitou heraufbeschwören und so die Welt in Angst und Schrecken stürzen. Damit diese sich manifestieren können, muss in Tobys Kleiderschrank (!) ein Portal ins Jenseits errichtet werden. Außerdem ist die Unterstützung 22 geisterhafter Medizinmänner der wichtigsten nordamerikanischen Indianerstämme erforderlich.

Mit seinen Vorbereitungen ist Misquamacus gut beschäftigt und kann die Fenners nur nebenbei piesacken. Tobys Vater Neil bleibt Zeit zur Recherche. Als er erfährt, dass der böse Zauberer vor einigen Jahren in New York Tod und Verderben gesät hat, nimmt er Kontakt mit Harry Erskine auf, der damals dem Schrecken ein Ende bereiten konnte. Mit der Welt der Geister will Harry zwar nichts mehr zu tun haben, aber da Misquamacus angekündigt hat, sich auch an ihm rächen zu wollen, reist er mit seinem alter Kampfgefährte, der Medizinmann Singing Rain, nach Bodega. Gemeinsam mit den Fenners stellt man sich Misquamacus, doch der hat seine Hausaufgaben dieses Mal besser gemacht …

_Mancher Geist will nicht verschwinden_

„Der Manitou“ markierte 1975 Graham Mastertons Debüt als Autor. Mit dem stets finster gestimmten indianischen Zaubermeister fand er viele Leser. Dass er im Horror-Genre Fuß gefasst hatte, muss dem stolzen Verfasser noch deutlicher geworden sein, als kurze Zeit später Hollywood bei ihm vorstellig wurde. Allerdings wurde der „Manitou“-Film von 1976 ein arger Heuler, der in verzweifelten Karrierenöten gefangene Darsteller wie Tony Curtis, Stella Stevens, Ann Sothern oder Burgess Meredith als Geiseln des beschränkt begabten „Total Film-Maker“ (Regie, Buch, Produktion) William Girdler zeigte. Immerhin: Der Rubel rollte. Masterton schmiedete das Eisen, solange es heiß war, und ließ den bösen Misquamacus zurückkehren.

Es lässt sich freilich nicht leugnen, dass der Verfasser mit „Die Rückkehr des Manitou“ die Geschichte des Erstlings einfach noch einmal erzählt. Davon kann der neue Schauplatz nicht ablenken. (In Bodega ist man Kummer mit dem Übernatürlichen übrigens gewohnt, trieben hier doch Anfang der 1960er Jahre Hitchcocks „Vögel“ ihr Unwesen.) Immerhin macht „Die Rückkehr …“ deutlich, dass Masterton sich als Autor ein wenig weiterentwickelt hat. Fiel Misquamacus bei seinem ersten Auftreten eher durch seine bei aller Bösartigkeit erheiternde Beschränktheit auf – welcher halbwegs gescheite Rachegeist würde seinen Feldzug ausgerechnet in einem städtischen Krankenhaus starten? -, hat er nun ansatzweise dazugelernt.

|Konzentriere dich, Misquamacus!|

„Die Rückkehr …“ ist wie alle (frühen) Werke Mastertons Ex-und-hopp-Lektüre mit den drei grundsätzlichen Elementen flott, blutig und gradlinig. Trotzdem hatte der Verfasser begriffen, dass man einem Bösewicht Tiefe und damit Glaubwürdigkeit verleihen muss, will man ihn im Gedächtnis eines Publikums verankern. Misquamacus bekommt daher eine Vergangenheit, die zumindest ahnen lässt, wieso er so nachhaltig sauer auf den Weißen Mann ist.

Leider ist Masterton nicht konsequent; Misquamacus bleibt weiterhin ein (verblüffend schwatzhaft gewordener) Rächer, der zwangsläufig scheitern muss, weil er wie das Kutschenpferd von der vorgehaltenen Möhre jeder Kränkung eines Bleichgesichts magisch angezogen folgt. Da er jedem, der ihm zu nahe tritt, blutige Rache schwört, ist es kein Wunder, dass es mit der Eroberung der Welt wieder nichts wird, denn vor den Pforten der Hölle wartet geduldig eine lange und immer länger werdende Schlange von Leuten, mit denen Misquamacus, die dauerbeleidigte Leberwurst, vorher noch ein Hühnchen zu rupfen hat.

Wenig erfreulich ist erneut das Finale, auch wenn es nicht ganz so unglaubhaft und lächerlich ausfällt wie in „Der Manitou“. Trotzdem dürfte der neuerliche Auftritt des großen Cthulhu den armen H. P. Lovecraft in seinem Sarg in heftige Rotation versetzt haben.

|Ein Manitou gerät ins Schlingern|

Weiterhin hapert es in „Die Rückkehr …“ erheblich mit der Kontinuität der „Manitou“-Saga. Plötzlich hat Misquamacus beileibe nicht schon 1651 dauerhaft sein Domizil im Geisterreich aufgeschlagen, wie es noch im ersten Teil hieß. Das zu postulieren war wichtig, denn der Anachronismus des alten Bösewichts erklärte sehr gut sein Scheitern. Doch nun erfahren wir, dass Misquamacus die Welt der Lebenden in den vergangenen drei Jahrhunderten sehr viel öfter besucht hat. Da sollte man voraussetzen können, dass er mit der Gegenwart ein wenig besser vertraut ist!

Egal: „Die Rückkehr …“ ist eine trashige aber vergnügliche Lektüre. Und auch nach 1979 sollte Masterton, der nie den Nobelpreis für Literatur gewinnen wird, aber bei aller Hast und den dabei unvermeidlichen Schlampigkeiten durchaus ein guter Geschichtenerzähler ist, sein Talent besser in den Dienst der jeweiligen Story stellen.

|Deutschland bleibt Manitou-Diaspora|

Leider können wir Freunde des Unheimlichen uns in Deutschland davon nur sporadisch überzeugen; wenige Masterton-Romane fanden und finden den Weg in dieses unser Land. Dabei gilt z. B. Misquamacus dritter Streich („Burial: A Novel of the Manitou“, 1992) als bester Teil der Serie, zumal der Verfasser hier seine Leser mit einem Kniff zu fesseln weiß, den er zu einem persönlichen Markenzeichen entwickelt hat: der Verknüpfung einer fiktiven Handlung mit realen historischen Ereignissen, hier der Schlacht am Little Big Horn, an deren Verlauf Misquamacus nicht ganz unbeteiligt war.

Dass Masterton seinen ersten Anti-Helden nicht vergessen hat, bewies er 2005, als er Misquamacus nach 13-jähriger Pause überraschend zurückkehren ließ: Weiterhin ist der Manitou nicht zimperlich ist, wenn es gilt, seinen altbekannten Zielen böse Taten folgen zu lassen, und immer noch folgt auf jede Niederlage eine Wiederkehr. Auf diese Weise kann Misquamacus noch lange sein (lukratives) Unwesen treiben.

_Autor_

Graham Masterton, geboren am 16. Januar 1946 im schottischen Edinburgh, ist nicht nur ein sehr fleißiger, sondern auch ein recht populärer Autor moderner Horrorgeschichten. In Deutschland ist ihm der Durchbruch seltsamerweise nie wirklich gelungen. Nur ein Bruchteil seiner phantastischen Romane und Thriller, ganz zu schweigen von seinen historischen Werken, seinen Thrillern oder den berühmt berüchtigten Sex Leitfäden, haben den Weg über den Kanal gefunden.

Besagte Leitfäden erinnern übrigens an Mastertons frühe Jahre. Seine journalistische Ausbildung trug dem kaum 20 Jährigen die die Position des Redakteurs für das britische Männer Magazin „Maifair“ ein. Nachdem er sich hier bewährt hatte, wechselte er zu Penthouse und Penthouse Forum. Dank des reichlichen Quellenmaterials verfasste Masterton selbst einige hilfreiche Werke, von denen „How To Drive Your Man Wild In Bed“ immerhin eine Weltauflage von mehr als drei Millionen Exemplaren erreichte.

Ab 1976 schrieb Masterton Unterhaltungsromane. Riss er sein Debütwerk „The Manitou“ (dt. „Der Manitou“) noch binnen einer Woche herunter, gilt er heute als kompetenter Handwerker, dem manchmal Größeres gelingt, wenn sein Geist schneller arbeitet als die Schreibhand, was freilich nur selten vorkommt.

|Die Misquamacus-Serie:|

(1975) |The Manitou| (dt. „Der Manitou“) – Bastei Horror-Bibliothek Nr. 70001
(1979) |Revenge of the Manitou| (dt. „Die Rückkehr des Manitou“) – Bastei Horror-Bibliothek Nr. 70014
(1992) |Burial| (kein dt. Titel)
(2005) |Manitou Blood| (kein dt. Titel)
(2009) |Blind Panic| (kein dt. Titel)

|Taschenbuch: 189 Seiten
Originaltitel: Revenge of the Manitou (London : Sphere 1979)
Übersetzung: Rosemarie Hundertmarck
Deutsche Erstausgabe: 1979 (Bastei-Lübbe-Verlag/Horror-Bibliothek Nr.
ISBN-13: 978-3-404-01279-4|
[Autorenhomepage]http://www.grahammasterton.co.uk
[Verlagshomepage]http://www.luebbe.de

(Michael Drewniok)

S. S. Van Dine – Der Mordfall Drachen

Ein Mann springt in einen Teich und verschwindet. Als man das Wasser ablässt, findet man auf dem Grund keine Leiche, sondern die Fußspur eines gewaltigen Drachen. Amateurdetektiv Philo Vance lässt keine unwissenschaftlichen Gaukeleien zu und findet die nichtsdestotrotz bizarre Lösung des Rätsels … – Fall Nr. 7 für einen der größten literarischen Detektive aller Zeiten, streng und glasklar auf den Fall gerichtet, ohne die im Genre so beliebten romantischen Verstrickungen und deshalb zwar gealtert, aber auch zeitlos und mit sichtlichem Bemühen um Anspruch verfasst.  S. S. Van Dine – Der Mordfall Drachen weiterlesen

Richard Dalby (Hg.) – Geister zum Fest. Weihnachtliche Gruselgeschichten

dalby-geister-zum-fest-cover-kleinZumindest hierzulande ist dies wohl der Pullman-Express unter den Kollektionen, die klassische britische Gespenstergeschichten zur & über die Weihnachtszeit sammeln; sie erschien ursprünglich 1992 und wurde seither auch hierzulande mehrfach aufgelegt, was zu Recht für die Qualität der hier gebotenen Grusel-Garne spricht.
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Neal Asher – Der Erbe Dschainas

Das geschieht:

Die „Polis“ nennt man jenen Teil der Galaxis, der von den Menschen und ihren Abkömmlingen, Verbündeten und Feinden besiedelt wird. Das Sagen haben die KIs, künstliche Intelligenzen, deren Einheiten über die gesamte Polis verteilt sind und mit der Zentrale in Verbindung stehen. In dieser gewaltigen Sphäre begehren immer wieder feindliche Mächte auf. Vor gar nicht langer Zeit machte sich über dem Planeten Samarkand der „Drache“ bemerkbar – ein außerirdisches Biokonstrukt der legendären, längst ausgestorbenen „Erschaffer“, das unter hohen Verlusten nur scheinbar besiegt werden und fliehen konnte. Deshalb fragt sich Earth Central Security, die Sicherheitseinheit der Polis, ob der Drache hinter den mysteriösen Ereignissen steckt, die zur Zerstörung der Raumstation „Miranda“ geführt haben.

Das Schlachtschiff „Occam Razor“ wird in Gang gesetzt. An Bord befinden sich die Agenten Cormac und Gant sowie „Narbengesicht“, eine Kreatur Draches, deren Loyalität höchst ungewiss ist. Zunächst an anderer Stelle der Galaxis jagt Cormacs alter Kampfgefährte Thorn den kriminellen Naturwissenschaftler Skellar. Dieser ist durch einen Zufall in den Besitz von Hightech der der ausgestorbenen Dschaina gelangt. Sie lassen den skrupellosen Skellar zu einem Gegner werden, dem kaum beizukommen ist. Da sich der Forscher an Cormac rächen und außerdem ein Kampfschiff an sich bringen will, überfällt er die „Occam Razor“. Ein Segment Draches rettet die wieder vereinten Kampfgefährten. Neal Asher – Der Erbe Dschainas weiterlesen

Ursula K. Le Guin – Die linke Hand der Dunkelheit

„Die linke Hand der Dunkelheit“ ist ein Klassiker von 1969, neu aufgelegt in |Heynes| wunderbarer Jubiläums-Edition. Hauptfigur ist der Gesandte Genly Ai, einziger Vertreter der Ökumene auf dem fernen Planeten Gethen. Die Ökumene ist ein Verbund aus 83 Welten für den wirtschaftlichen und vor allem kulturellen Austausch. Politische Macht wird jedoch nicht ausgeübt, jede Welt regiert sich selbst.

Genly Ai soll die Bewohner für einen Beitritt zur Ökumene gewinnen, doch seine Mission ist nicht leicht, denn Gethen unterscheidet sich sehr von Terra, der Heimat Genlys.

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Robert Jordan – Der neue Frühling (Das Rad der Zeit 29)

„Das Rad der Zeit dreht sich,
Zeitalter kommen und gehen
und hinterlassen Erinnerungen,
die zu Legenden werden.

Legenden verblassen zu Mythen
und selbst die sind längst vergessen,
wenn das Zeitalter wiederkehrt,
das an ihrem Ursprung stand.“

Mit diesen Worten begann Robert Jordans „Das Rad der Zeit“-Zyklus – einer der umfangreichsten und erfolgreichsten Fantasy-Zyklen der letzten Jahre.

Mittlerweile sind 10 Bände der amerikanischen Originalausgabe erschienen, die satte 7569 (!) Seiten Umfang aufweisen. Bei den 29 (die Bände wurden gesplittet) bisher erschienenen Übersetzungen liegt die Seitenzahl gemäß der Regel, dass deutsche Übersetzungen umfangreicher werden, entsprechend mittlerweile bei über 10.000. Da seit dem Erscheinen des ersten US-Bandes „The Eye of the World“ im Jahre 1990 bereits einige Zeit verstrichen ist, verwundert es nicht, dass in der deutschen Übersetzung mit Andreas Decker bereits der dritte Übersetzer tätig und die Reihe von |Heyne| an den |Piper|-Verlag verkauft worden ist.

Piper veröffentlicht mit „Der neue Frühling“ den 29. Band der deutschen Rad-der-Zeit-Serie, der allerdings aus der Reihe fällt: In den USA wird „The New Spring“ getrennt vom Rad der Zeit als Prequel-Serie im selben Universum angeboten.

Zum besseren Verständnis der ausufernden Fantasy-Welt des Rads der Zeit möchte ich einen sehr groben Handlungsabriss des Rad-Zyklus voranstellen:

Das Grundkonzept des Rads der Zeit ist das des ewigen Konflikts zwischen Schöpfung und Chaos, verkörpert von dem jeweiligen „Drachen“ (im übertragenen Sinn: Der Drache ist ein Mensch) und seinem Widerstreiter vom Anbeginn der Schöpfung an, dem Dunklen König. Seit der Schöpfung der Welt treten sich Drache und Dunkler König am Ende eines jeden Zeitalters zum finalen Gefecht gegenüber, sollte der Dunkle König siegen, geht die Welt unter. Was bisher offensichtlich nicht geschehen ist …

Das Muster der Zeitalter ist dabei stets sehr ähnlich: Nicht nur der finale Konflikt, auch die Helfer des Drachen werden stets in einem neuen Zeitalter wiedergeboren. Aus dem Zeitalter der Legenden und dem Dritten und Vierten Zeitalter haben noch fragmentarische Schriften, unter anderem die „Prophezeiungen des Drachen“ im Karaethon-Zyklus, überdauert.

Diese versprechen nicht nur die Wiederkehr des Drachen, sie beunruhigen auch die wenigen Eingeweihten: Der Drache soll bei seiner Wiederkehr die Welt zerstören. Wie das zu interpretieren ist, darüber streitet man sich. Wird der Drache die Welt vor dem Dunklen König retten, sie aber dabei zerstören? Vieles spricht für einen Sieg des Schattens. Die magiebegabten Menschen der Welt des Rades, „Aes Sedai“ (Diener Aller) genannt, sind schwächer denn je: Beim Kampf gegen Lews Therin Telamon, den letzten Drachen, gelang es dem Dunklen König, die männliche Hälfte der „Wahren Quelle“ oder auch der „Einen Macht“, Saidin, zu verunreinigen: Jeder Mann, der sich ihrer bedient, wird unweigerlich früher oder später wahnsinnig. Das hat zur Folge, dass alle Aes Sedai des aktuellen Zeitalters weiblich sind und alle der Magie fähigen Männer gezielt suchen und ihrer Fähigkeit berauben, bevor sie sich selbst und anderen im Wahn Schaden zufügen können. Erschwerend sind im Zeitalter der Legenden bereits einige der mächtigsten Aes Sedai aller Zeiten zum Dunklen König übergelaufen; die so genannten „Verlorenen“ zählen neben anderen, heimlich dem Schatten dienenden Aes Sedai, der sogenannten „Schwarzen Ajah“, zu seinen mächtigsten Schergen.

Einer der potenziell wahnsinnigen männlichen Machtanwender ist der wiedergeborene Drache selbst, Rand al’Thor. Dank der Hilfe der Aes Sedai Moiraine Damodred und vieler anderer gelang es ihm, dem Wahnsinn, den Dienern des Dunklen Königs und zahllosen anderen Gefahren zu trotzen. Doch noch nie zuvor waren die Siegeschancen des Dunklen Königs besser, die magischen Siegel seines Gefängnisses im Berg Shayol Ghul bröckeln, die Verlorenen wandeln wieder auf der Welt und seine Trolloc-Heerscharen überziehen das Land mit Krieg, während eine Invasion der Seanchaner, die von einem Kontinent am anderen Ende des Aryth-Meers stammen, die Reiche der Menschen zum Fall zu bringen droht.

Das Ende scheint nahe, doch Robert Jordan lässt sich nicht hetzen: Bereits seit einigen Bänden tritt die Handlung auf der Stelle, bis zur entscheidenden Schlacht wird es wohl noch eine Weile dauern, es ist noch nicht einmal klar, wann der nächste Band erscheint. Aberhunderte von Charakteren, unzählige Völker, Monster, fremdartige Konzepte und Dinge bevölkern seine gigantische Fantasywelt.

„Der neue Frühling“ dient der Überbrückung der Zeitspanne bis zum nächsten Rad-der-Zeit-Band und erzählt die |Vorgeschichte| des Zyklus:

Moiraine Damodred und die spätere Amyrlin (Anführerin) der Aes Sedai, Siuan Sanche, sind zu dieser Zeit gerade erst Aufgenommene, noch nicht einmal richtige Aes Sedai. Doch während die wilden Aiel-Wüstenkrieger die Ländereien um den Drachenberg verwüsten, ereilt die Aes Sedai Gitara Moroso eine schicksalhafte Vision: Der Drache ist wiedergeboren worden! Sofort entsendet die regierende Amyrlin vertrauenswürdige Sucherinnen, die nur eine Aufgabe haben: Den Drachen zu finden. Moiraine und Siuan befinden sich ebenfalls darunter, denn sie waren während der Vision Gitaras zufällig zugegen.

Bald darauf stirbt die Amyrlin – und viele andere Aes Sedai mit ihr. Moiraine und Siuan kommt das nicht geheuer vor, und bald sehen sie sich in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Die „Schwarze Ajah“ – Schwestern, die nicht an die drei Eide der Aes Sedai (nicht lügen, keine Waffe mithilfe der Macht herstellen, die Macht nicht als Waffe gegen andere Menschen einsetzen außer zur Selbstverteidigung) gebunden sind und dem Dunklen König dienen – hat die Macht an sich gerissen! Doch sie können nichts beweisen, woraufhin Moiraine sich ganz der Suche nach dem und dem Schutz des Drachen verschreibt …

Auf diesem einsamen Weg trifft Moiraine auf ihren späteren „Behüter“ Lan Mandragoran, den letzten Königsohn des von den Heeren des Dunklen Königs überrannten Landes Malkier. Dieser hat anfangs noch keine wortlose Übereinstimmung mit ihr, hat ganz im Gegenteil seinen eigenen Kopf und empfindet die Aes-Sedai-Hexe als überaus lästig. Hat er doch ganz andere Sorgen, wie eine ehemalige Geliebte, die treue Malkieri zu einem vermutlich blutigen Desaster, einer unrealistischen Rückeroberung Malkiers, angeblich zu dessen Wohl, anstiften will.

Damit wäre die Handlung dieses Romans auch schon zusammengefasst – denn Neues erfährt der Rad-der-Zeit-Kenner wirklich nicht. Außer den Namen von Lans ehemaliger Geliebter, und der Tatsache, dass, wie man bereits vermuten konnte, schon damals die Schwarze Ajah ihr Unwesen trieb. Rand selbst kommt in diesem Buch gar nicht vor, dies bleibt wohl folgenden Prequels, von denen Jordan noch 2-3 weitere für möglich hält, vorbehalten.

Erschwerend kommt hinzu, dass Teile des „neuen Frühlings“ bereits in der Anthologie „Legends“ von Robert Silberberg erschienen und zuvor einige Zeit im Internet zum kostenlosen Download bereitstanden. Hier drängt sich der Verdacht der Geldmacherei auf, denn der nächste „Rad der Zeit“-Band lässt schon lange auf sich warten, die letzten drei US-Bände wurden kontinuierlich schlechter und die Handlung tappt schon seit langem auf der Stelle. Dies mit einer genauso langamtigen und ereignislosen Prequel-Reihe zu toppen, kann man nur noch als dreist bezeichnen.

Einen Großteil seiner Faszination schöpft dieser Band aus der Verbindung zum Rad-Zyklus sowie dem Wiederauftauchen der in diesem Zyklus bereits toten oder verschollenen Sympathieträgerin Moiraine. Leider wird die durchaus interessante Vorgeschichte im selben Schneckentempo abgehandelt, das leider die letzten Bände des Rad-Zyklus geprägt hat. So fallen vermehrt Unstimmigkeiten auf: Moiraine und Siuan hatten bereits als junge Mädchen dieselben Charakterzüge wie zur Zeit der Haupthandlung, auch Lans Charakter hat anscheinend keinerlei Entwicklung erfahren. Negativ fällt auch ins Gewicht, dass Siuan Sanche es wirklich in Rekordzeit zur Amyrlin gebracht haben muss, währt das Leben von Aes Sedai doch in Jahrhunderten. Rand wurde während ihrer Jugend geboren, insofern muss Siuan innerhalb von maximal zwanzig Jahren das höchste Amt in der extrem traditionellen Gesellschaft der Weißen Burg errungen haben.

Begeistern können Jordans Figuren nach wie vor. Die süßen Magierinnen im Abendkleid, auch Aes Sedai genannt, starke Frauencharaktere in einer faszinierenden matriarchalischen Gesellschaft, sind nur eine der vielen beeindrucken Facetten der überbordend komplexen Welt Jordans. Sein Erzählstil ist ebenfalls erstklassig, aber die Tendenz zur Langatmigkeit bei zahllosen unüberschaubar werdenden Handlungsfäden kann selbst den größten Fan enttäuschen.

Für Einsteiger ist dieses Buch nicht geeignet, diese sollten besser bei Band 1, „Drohende Schatten“, beginnen, der auch als Originalausgabe unter dem Namen [„Die Suche nach dem Auge der Welt“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=700 als einbändige Neuauflage der in der Taschenbuch-Reihe gesplitteten US-Ausgabe verfügbar ist.

Treuen Fans wird die Tatsache, dass die |Piper|-Ausgabe im Vergleich zur |Heyne|-Fassung optisch leicht verändert wurde, sowie die bekannte Leier Jordans, auf der Stelle zu treten, den Spaß an „Der neue Frühling“ ein wenig verderben. Mag der Zyklus auch überdurchschnittlich gut sein und mit epischer Breite glänzen, auf solch belanglose Leerlauf-Geschichten kann man gerne verzichten.

Taschenbuch: 432 Seiten

Sehr gute deutsche Fanseite:
http://www.radderzeit.de/

Offizielle Homepage von Robert Jordan:
www.tor.com/jordan

Robert A. Heinlein – Reiseziel: Mond

heinlein-reiseziel-mond-cover-2000-kleinDrei US-Teenager basteln sich eine Rakete und fliegen damit zum Mond, wo sie auf Rest-Nazis treffen, die dort das IV. Reich vorbereiten … – Was einst spannend und lehrreich sein sollte, wirkt heute lächerlich und plump didaktisch; die jugendlichen ‚Helden‘ sind eifrige Mitläufer eines reaktionären Establishments, das nicht nur gegen (Geisterbahn-) Nazis, sondern auch gegen Abweichler in den eigenen Reihen zu Felde zieht: heute nur noch als unfreiwillig selbstentlarvendes Zeitdokument lesbar.
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Mark T. Sullivan – 66095

Das geschieht:

Während einer der letzten Mondlandungen wurde 1972 gefunden der Steinbrocken mit der Probennummer „66095“ geborgen. Er sendet mysteriöse Strahlen aus, wenn man ihn mit Energie ‚füttert‘. Für Menschenhirne sind sie nicht bekömmlich, da sie Depression und Mordlust fördern. Dies bleibt lange unbemerkt, denn 66095 versauert viele Jahrzehnte in einem Laborarchiv. Dann experimentiert der Forschungsassistent Robert Gregor damit herum, bis er gollumartig dem fatalen Zauber des Steins erliegt und zum mondsüchtig verrückten Mörder mutiert.

Szenenwechsel: Die USA planen ihre Rückkehr auf den Mond. Dort werden supraleitende Erze vermutet, aus denen sich Energie gewinnen lässt. Als ideales Training für angehende Luna-Bergleute empfiehlt die NASA aus logisch recht unerfindlichen, für die Dramaturgie dieses Buch jedoch unverzichtbaren Gründen einen unterirdischen Marsch durch die Labyrinth-Höhlen im US-Staat Kentucky. Mark T. Sullivan – 66095 weiterlesen

Lumley, Brian – Necroscope 1 – Das Erwachen

Brian Lumleys „Necroscope“ ist eine Mammut-Romanreihe, deren Umfang kaum noch zu überblicken ist. In Deutschland hat sich der |Festa|-Verlag der Bücher angenommen und ist immerhin schon beim 15. Band angelangt. Allen, denen ob solcher Massen bedruckten Papiers schwach in den Knien wird, kann geholfen werden. |LPL records| nämlich veröffentlicht nach und nach die einzelnden Romane als Hörbücher. Und bei den Spezialisten für gepflegten Hörror ist Lumleys Necroscope-Saga wirklich gut aufgehoben.

LPL hat das erste Hörbuch der Reihe, „Das Erwachen“, mit dem Eyecatcher „Die ultimative Vampirsaga“ versehen. Doch zunächst muss man sich eine Weile gedulden, bis ein Blutsauger in der Geschichte auftaucht. Lumley beginnt nämlich erst einmal mit der Prämisse der PSI-Geheimdienste. Sowohl die USA als auch die Sowjetunion haben in ihren Geheimdiensten Unterabteilungen, die versuchen sollen, mit Hilfe von außergewöhnlich begabten Menschen (Hellsehern beispielsweise) Spionage zu betreiben und sich somit einen Vorteil gegenüber der anderen Großmacht zu verschaffen. Diese Vorstellung ist nicht so abwegig, wie sie vielleicht klingen mag, da die Großmächte tatsächlich PSI-Forschung auf militärischem Sektor betrieben haben. Allerdings waren die Ergebnisse dort weniger spektakulär als bei Lumleys Protagonisten.

Da wäre auf der einen Seite Harry Keogh, den wir anfangs durch seine Jugend begleiten und später als Teenager wiedertreffen. Harry ist an seiner Schule in einer englischen Kleinstadt ziemlich unbeliebt. Er ist schlecht in sämtlichen Fächern und seine Klassenkameraden machen sich über ihn lustig. Doch dann verändert sich Harry schlagartig. Er entwickelt ein unglaubliches mathematisches Talent, löst Aufgaben intuitiv und stellt gar eigene Formeln auf. Und auch nach der Schule verhält sich Harry anders. Wo er sich früher von Mitschülern herumschubsen lassen musste, wehrt er sich nun mit gut platzierten Kinnhaken. Was das mit dem verstorbenen Sportlehrer und dem ebenfalls toten Vater des Mathelehrers zu tun hat, wird erst einmal nur angedeutet. Doch als wir Harry wiedertreffen und er zwar erst 18, aber trotzdem ein erfolgreicher Autor von Kurzgeschichten ist, lüftet sich das Gehemnis vollends. Harry ist es möglich, mit den Toten zu kommunizieren. Deren Körper verwesen zwar, doch ihr Geist existiert irgendwie weiter. Und da sie sich langweilen, führen sie fort, was sie auch zu Lebzeiten getan haben: Musik komponieren, Bücher schreiben, philosophieren ect. Und nur Harry kann mit ihnen reden: Er selbst nennt sich der „Necroscope“.

Parallell dazu wird die Geschichte von Boris Dragosani, einem Mitarbeiter des sowjetischen PSI-Geheimdienstes, erzählt. Er wiederum ist ein Nekromant. Zwar kann er offensichtlich weder Leichen animieren, noch ihnen seinen Willen aufzwingen. Dafür kann er einer Leiche mittels eines Rituals deren Wissen entziehen. Dieses Talent verdankt er einem außergwöhnlichen Mentor, über den er in seiner Kindheit förmlich gestolpert ist. Seine Heimat ist nämlich Rumänien, genauer gesagt die Walachei. Der informierte Leser horcht hier natürlich schon auf. Doch nein, Dracula wird nicht schon wieder bemüht, vielmehr ein Zeitgenosse Draculas, der für diesen dessen Siege auf dem Schlachtfeld errungen hat. Scheinbar überwarf er sich jedoch mit seinen Vorgesetzten und so wurde er in einem Grab mitten im Wald beigesetzt, das er nicht verlassen kann. Denn natürlich ist er untot und darauf erpicht, seinem Gefängnis unter der Erde zu entfliehen. Vor 400 Jahren, so meint er, habe es noch ausgereicht, über die Walachei zu herrschen. Aber heute, wo die Welt viel kleiner geworden ist, müsse es schon der ganze Erdball sein! Und genau dazu braucht er Dragosani. Er weiht ihn häppchenweise in das Geheimnis seiner Existenz ein, hält aber immer genügend Informationen zurück, um Dragosani und den Zuhörer bei der Stange zu halten und hofft dabei merklich auf den Moment, in dem er Dragosanis Hilfe nicht mehr nötig haben wird.

Lumley hat „Das Erwachen“ offensichtlich als Exposition geplant. Es bleibt offen, wie die Geschichten von Dragosani und Harry zusammenhängen und was es mit den Geheimdiensten auf sich hat. Zwischen den Handlungsebenen gibt es bis jetzt keine Berührungspunkte. Trotzdem, oder gerade deshalb, macht das Hörbuch Lust auf mehr. Lumley schreibt zügig voran und scheut sich auch nicht vor deftigen Szenen. Ob Dragosani da nun in den Eingeweiden eines Toten herumwühlt oder seine Unschuld mit einem rumänischen Mädchen verliert – Lumley schaut fasziniert hin und schildert dem Leser bzw. Hörer aufs Genaueste, was er sieht. Gerade auf dem Gebiet der Vampirliteratur, das im Moment romantisch relativ verseucht ist, ist sein Stil sehr erfrischend. Denn er bringt den Vampir dahin zurück, wo er seit Anne Rice nicht mehr war. Er ist weder blass und gutaussehend noch langhaarig und grünäugig. Von Dragosanis Vampir sieht man ohnehin bisher nichts als einen widerlichen Fangarm, der kurz aus der Erde ragt. Doch dieses Wesen ist keineswegs ein Melancholiker und verkappter Romantiker. Er ist ein brutaler, egoistischer Feldherr aus dem Mittelalter, der sich aller nötigen Mittel bedient, um seine Ziele zu erreichen. Er ist skrupellos und das ist von Anfang an zu merken.

Dass dies auch in der Hörbuchfassung so überzeugend klingt, liegt zu großen Teilen am Sprecher Joachim Kerzel, der unter anderem Jack Nicholson, Dustin Hoffmann, Jean Reno oder Sir Anthony Hopkins die Stimme leiht. Er liest sehr konzentriert und durchdacht und kann mit seiner prägnanten und maskulinen Stimme besonders punkten, wenn es um die Darstellung des in der Erde gefangenen Vampirs geht. Diese Szenen klingen fast wie ihm auf den Leib geschneidert und man hat an der sadistischen Ader des Vampirs seine helle Freude.

LPL hat „Das Erwachen“ auf sieben CDs als ungekürztes Hörbuch von 465 Minuten Spielzeit herausgegeben. So muss man nicht das Gefühl haben, gegenüber der Lektüre etwas zu verpassen. Ohnehin ist die Handlung relativ straff durchkomponiert und es kommt weder zu Hängern noch Längen. Wer also auf toughen und spannenden Horror steht, der ist bei „Necroscope“ genau an der richtigen Adresse.